Weiterhin Kinderarbeit im Baumwollsaat-Anbau
Internationale Kampagne mit ersten Erfolgen
Vor zwei Jahren veröffentlichte die Coordination gegen BAYER-Gefahren eine Studie indischer Arbeits-Wissenschaftler. Die Ergebnisse der Untersuchung waren erschreckend: zehntausende Kinder arbeiten im indischen Saatgutanbau, viele befinden sich in Schuldknechtschaft. Auch Zulieferer multinationaler Konzerne profitieren von den Billiglöhnen. Eine internationale Kampagne führte dazu, dass die Unternehmen ihre Verantwortung einräumten und wirksame Schritte ankündigten. Bislang sank die Zahl der beschäftigten Kinder jedoch nur geringfügig.
von Philipp Mimkes
Bis zu 400.000 Kinder, überwiegend Mädchen zwischen 6 und 14 Jahren, arbeiten in kleinen Zulieferbetrieben, die für Agro-Unternehmen wie BAYER, SYNGENTA und MONSANTO Baumwoll-Saatgut produzieren. Die Zulieferer sind zwar nominell unabhängig, aber durch Qualitäts- und Preisvorgaben sowie durch langfristige Lieferverträge vollständig an die Saatgut-Multis gebunden. Diese nehmen auf den Farmen regelmäßige Kontrollen vor und sind daher über den Einsatz von Kindern im Bilde. Die Kinder werden ihren Eltern von lokalen Werbeagenten für einen Vorschuss abgeworben, viele sind über Jahre hinweg auf den selben Feldern tätig, um immer wieder neue Vorschüsse abzuarbeiten. Sie sind giftigen Pestiziden ausgesetzt – es kam bereits zu Todesfällen – und erhalten für eine 12-Stunden-Schicht unter 50 Cent. Da sie keine Schulbildung erhalten, haben sie keine Chance, jemals dem Armutskreislauf zu entfliehen.
Dies sind Ergebnisse der Studie „Kinderarbeit im indischen Baumwollanbau – die Rolle multinationaler Saatgut-Unternehmen“, die von dem in Hyderabad ansässigen Institut „Glocal Research and Consultancy Services“ (GRCS) erstellt wurde. Geleitet wird das GRCS von dem Arbeitswissenschaftler Dr. Davuluri Venkatesvarlu, der für die Untersuchung Dutzende von Baumwollfarmen inspizierte.
Internationale Kampagne
Mit der Übersetzung und Veröffentlichung der Studie in Deutschland startete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) im Sommer 2003 eine Kampagne, um auf die Mit-Verantwortung des BAYER-Konzerns für die Ausbeutung von Kindern aufmerksam zu machen. Der Kampagne haben sich unterdessen weitere Gruppen angeschlossen: GERMANWATCH, der GLOBAL MARCH AGAINST CHILD LABOUR, die ARBEITSGEMEINSCHAFT SOLIDARISCHE WELT und das EINE WELT NETZ NRW. Auch in Holland, England und den USA arbeiten Gruppen zu dem Thema, indischer Partner ist die renommierte MV FOUNDATION. Medien im In- und Ausland berichteten ausführlich.
Einen ersten Erfolg verbuchten die Gruppen nur wenige Wochen nach Veröffentlichung der Studie: die kritisierten Unternehmen erklärten sich zu einem Treffen mit der MV FOUNDATION bereit und übernahmen darin die Verantwortung für das Auftreten von Kinderarbeit bei ihren Zulieferern. Die Firmen gründeten eine task force, die „Child Labour Elimination Group“ (CLEG), in der BAYER den Vorsitz übernahm. Die Zulieferer sollten offengelegt und somit unabhängige Kontrollen ermöglicht werden. Für das darauffolgende Frühjahr – also Anfang 2004 – strebten die Unternehmen eine weitgehende Ersetzung der Kinder durch erwachsene Arbeitskräfte an. Wegen der höheren Löhne, die an Erwachsene gezahlt werden, würde dies in den betroffenen Regionen auch zu einer Verbesserung der sozialen Lage führen.
Monatelang bewegte sich jedoch nichts. GERMANWATCH, COORDINATION und GLOBAL MARCH wandten sich daher in einem Offenen Brief an den BAYER-Konzern. Darin forderten sie die Zahlung höherer Abnahmepreise, um die Einstellung erwachsener Arbeitskräfte zu ermöglichen, sowie Wiedereinschulungs-Programme für Kinderarbeiter. In seiner Antwort wies das Unternehmen darauf hin, selbst keine Kinder zu beschäftigen (was auch niemand behauptet hatte) und ansonsten „die Anbauer für das Thema Kinderarbeit zu sensibilisieren“ – durch Öffentlichkeitskampagnen, Kontrollen und entsprechenden Klauseln in den Lieferverträgen.
BAYER-Vorstand diskutiert
Tatsächlich beließen es BAYER und SYNGENTA nicht bei reinen Lippenbekenntnissen (im Gegensatz zu den Unternehmen MONSANTO und ADVANTA) und starteten einige Aktivitäten: Radiospots und Anzeigen forderten dazu auf, Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen; Firmenvertreter führten Kontrollen bei Zulieferern durch, um das Ausmaß des Problems genauer abschätzen zu können – eigene Untersuchungen hatten die Firmen bis dahin nicht durchgeführt; BAYER schickte zudem für die Gespräche mit der MV FOUNDATION mehrfach Firmenvertreter nach Indien.
Die Auswirkungen dieses Engagements waren jedoch ernüchternd. Eine Folgestudie im Herbst 2004 zeigte, dass die Zahl der arbeitenden Kinder kaum gesunken war – bei Zulieferern der BAYER-Tochter PROAGRO von gut zweitausend auf rund 1.650. Der Rückgang war hauptsächlich auf eine Dürreperiode und der damit einhergehenden Verringerung der Anbaufläche zurück zu führen. Weder wurden die Abnahmepreise erhöht, was eine Beschäftigung Erwachsener erleichtert hätte, noch wurden die Standorte der Zulieferer vollständig offen gelegt. Zwar führten einige Abnehmer, darunter auch BAYER, in ihre Lieferverträge Verbote für die Verwendung von Kindern ein, mangels wirksamer Kontrollen oder Strafzahlungen hatte dies jedoch keine realen Konsequenzen.
Zwischen der BAYER-Zentrale in Leverkusen und der indischen Tochterfirma kam es in diesem Prozess zu Spannungen – offenbar drängte der Firmensitz wegen der Negativ-Publicity auf wirksamere Schritte. In Treffen mit der MV FOUNDATION räumten BAYER-Vertreter ein, dass das Thema bis hin zum Vorstand des Konzerns diskutiert wurde. Auch auf der Hauptversammlung des Konzerns sprachen Kritiker das Thema an. „Es war ganz eindeutig, dass die Firma nur aufgrund des Drucks von dieser Seite zu Diskussionen mit uns bereit war“, unterstreicht denn auch Shanta Sinha, Vorsitzende der MV FOUNDATION, die Bedeutung der Kooperation von lokalen und internationalen Aktivisten.
OECD Beschwerde
Da sich trotz der Zusagen an dem realen Problem kaum etwas änderte, entschlossen sich die deutschen Vertreter der Kampagne im Herbst 2004, eine Beschwerde gegen den BAYER-Konzern wegen Verstoßes gegen die „OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen“ einzureichen. Die OECD-Leitlinien verbieten Kinderarbeit und legen eine Verantwortlichkeit auch für direkte Zulieferer fest. Wörtlich heißt es daher in der Beschwerde: „Die Produktion in den Zulieferfirmen wird direkt von den Auftraggebern überwacht. Die einzelnen Schritte der Produktion (Zeitpunkt der Aussaat, Bewässerung, Arbeitsumfang, Qualität, Abnahmepreise) werden vertraglich exakt festgelegt. Die Marktstellung von Proagro/Bayer ist der der Zulieferer überlegen: Proagro liefert das Saatgut, gibt Kredite, hat das Recht, jederzeit Kontrollen durchzuführen, etc.“ Das OECD-Verfahren ist nach Meinung der beteiligten Gruppen auch deshalb notwendig, weil dem BAYER-Konzern das Problem jahrelang bekannt gewesen war, Konsequenzen aber erst nach der Veröffentlichung der Studie und den nachfolgenden Medienberichten gezogen wurden.
„Schon seit letztem Jahr versuchen wir, im Dialog mit der indischen Bayer-Tochter ProAgro das Problem der Kinderarbeit bei ihren Zulieferern zu lösen, leider ohne Erfolg. Deshalb wollen wir jetzt mit der OECD-Beschwerde den Druck auf das Unternehmen erhöhen und auch die staatliche Ebene in Deutschland einbeziehen“, erläutert Cornelia Heydenreich von GERMANWATCH. Rainer Kruse von der deutschen Sektion des GLOBAL MARCH drängt auf unverzügliches Handeln: „Die Gesundheit und das Leben der Kinder darf nicht länger aufs Spiel gesetzt werden. Und sie müssen wieder in die Schule gehen können. Jede weitere Arbeitssaison schädigt eine neue Generation von Kindern.“
Bonuszahlungen und Musterdörfer
Das Thema zieht mittlerweile immer weitere Kreise: die WELTHUNGERHILFE wandte sich zu Beginn dieses Jahres per Brief an Bayer und beklagte die mangelnde Umsetzung der von den Firmen angekündigten Schritte. Im Februar startete das EINE WELT NETZ NRW eine Kampagne unter dem Titel „Wer hat mit Kinderarbeit und Kopfschmerzen zu tun…. und reimt sich auf MAYER?“. Hunderte Unterstützer sandten Briefe an den Vorsitzenden von Bayer CropScience, Friedrich Berschauer, und forderten höherere Abnahmepreise, wirksame Kontrollen und ein ernsthaftes Engagement des Konzerns. Auf der BAYER-Hauptversammlung am 30. April gab es erneut Protestaktionen (siehe den Artikel „Das Misstrauensvotum“ in diesem Heft).
Erneut reagierte der Konzern: VertreterInnen von WELTHUNGERHILFE und EINE WELT NETZ wurden zu Gesprächen nach Monheim eingeladen. In Hyderabad gab es ein Treffen mit den indischen Partnergruppen. Der Konzern stellte dabei ein neues Konzept vor: Die Saatgut-Produktion von BAYER/PROAGRO soll in den nächsten Jahren auf wenige, besser zu kontrollierende „Musterdörfer“ konzentriert werden. Auf nachweislich ohne Kinderarbeit hergestelltes Saatgut soll ein Bonus von bis zu 15% bezahlt werden. Im Juni soll die MV FOUNDATION – wie schon vor zwei Jahren versprochen – eine Liste der Vertragspartner erhalten, um unabhängige Kontrollen durchführen zu können. Außerdem will BAYER in einer Kooperation mit der NAANDI FOUNDATION Schulprojekte initiieren. Die Strategie sei mit den Firmen SYNGENTA und EMERGENT GENETICS abgestimmt. Ein Vorgehen innerhalb des indischen Saatgut-Verbands Association of Seed Industries (ASI) wäre nicht zustande gekommen, da mehrere Unternehmen nach wie vor kein Interesse an dem Thema haben.
Guter Kritiker, böser Kritiker
Wie schon bei früheren Streitthemen bleibt der Konzern bei der Strategie, seine Kritiker in „gut“ und „böse“ aufzuteilen. Während WELTHUNGERHILFE und EINE WELT NETZ zu Gesprächen eingeladen werden, ließ das Unternehmen einen Termin im Bundeswirtschaftsministerium, in dem die OECD-Beschwerde diskutiert werden sollte, platzen. Grund für die Absage: die Teilnahme der COORDINATION, die „ideologisch motivierte Kampagnen“ gegen BAYER führe und die „für uns keine ernstzunehmende und seriöse Organisation“ darstellt. Kein Wort darüber, dass die Veröffentlichungen der CBG die Kampagne in Deutschland überhaupt erst ins Rollen gebracht hatten….
Skepsis bleibt bestehen
Die neue Anbau-Saison beginnt im Juli, so dass im Moment nicht absehbar ist, ob die von BAYER angekündigten Konzepte greifen oder ernst gemeint sind. Auch bleibt unklar, wieweit das Handeln der Unternehmen über einige „Vorzeigeprojekte“ hinaus Erfolg verspricht.
Dr. Venkatesvarlu, dessen Studie die Basis der Kampagne darstellt, äußert Zufriedenheit, dass die meisten Forderungen der MV FOUNDATION erfüllt wurden. Darüberhinaus sei eine Bewertung im Moment jedoch nicht möglich – Venkatesvarlu erinnert daran, dass ähnlich lautende Versprechen aus dem Jahr 2003 nicht umgesetzt wurden und dass „BAYER nur aufgrund des kontinuierlichen Drucks von Gruppen aus ganz Europa“ zu weiteren Zugeständnissen gebracht werden konnte.
Skeptischer äußert sich Rainer Kruse vom GLOBAL MARCH AGAINST CHILD LABOUR: „Multinationale Unternehmen sind auf Profite aus und haben naturgemäß keine altruistischen Ziele. Wenn sie Kooperationen mit NGOs suchen, dann vor allem um ihr öffentliches Image zu verbessern. Alle Organisationen, die gegen Kinderarbeit kämpfen, sollten ihre Unabhängigkeit bewahren und so lange wie nötig öffentlichen Druck auf die Firmen ausüben“. Auch das Prinzip der „Musterdörfer“ kritisiert Kruse: „Die von BAYER angekündigten Extra-Zahlungen an solche Bauern, die keine Kinder einstellen, laufen letztlich darauf hinaus, dass für die Einhaltung der indischen Kinderschutzgesetze ein Bonus bezahlt wird – ein völlig falsches Signal. Zudem hat das Konzept keinen langfristigen Effekt, nach Beendigung des Projekts wird alles wie zuvor sein. Wegen der hohen Kosten ist das Konzept zudem nicht in größeren Regionen nachahmbar. Bonuszahlungen sind das Gegenteil von bewusstseinsbildenden Maßnahmen, die bislang die Stärke der indischen NGOs waren.“ Kruse leitete 26 Jahre lang das Indienreferat von BROT FÜR DIE WELT.
langer Atem nötig
Selbst wenn sich die Situation im indischen Saatgut-Anbau in Bezug auf Kinderarbeit verbessert, ist weiterhin ein langer Atem gefragt. Sprecher von BAYER räumten bereits ein, dass auch im kommenden Jahr Kinder auf Vertragsfarmen arbeiten werden. Auch wurde bereits eine Verlagerung des Problems in andere Regionen Indiens beobachtet.
Die beteiligten Gruppen sind an einer Fortführung der Kampagne interessiert – bleibt zu hoffen, dass die von BAYER betriebene Strategie des „divide et impera“, mit der der Widerstand auseinander dividiert werden soll, nicht aufgeht.