taz vom 27.4.2006
Geschäft oder Gesellschaft
Die neue Auszeichnung „Preis der Arbeit“ geht an Firmen, die vernünftige Arbeitsbedingungen bieten
Kinderarbeit ist international verboten. Und doch wird sie praktiziert. Nach Recherchen der Deutschen Welthungerhilfe arbeiteten noch 2005 hunderte Kinder auf den Feldern des Bayer-Konzerns in Indien. Bei der Produktion von Baumwoll-Saatgut seien sie giftigen Chemikalien ausgesetzt, erklärten die Kritiker. Nachdem Bürgerrechtsorganisationen wie Germanwatch und die Coordination gegen Bayer-Gefahren ein juristisches Verfahren beim Bundeswirtschaftsministerium angestrengt hatten, wollte das Chemieunternehmen auf die umstrittene Kinderarbeit verzichten. Um den Imageschaden zu beheben, den die Protestkampagne hervorgerufen hatte, veröffentlichte der Leverkusener Konzern seinen Aktionsplan „Glückliche Ernte“. Das Ende der Kinderarbeit scheint seitdem in Reichweite – jedenfalls bei Bayer. In anderen Konzernen ist es noch nicht so weit.
In diesen Tagen veröffentlicht die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ihren neuesten Bericht zum Thema. Immer wieder sind es auch transnationale Unternehmen mit Sitz in den reichen Industrieländern, die von der Ausbeutung der Schwächsten direkt oder indirekt profitieren. Beispiele wie diese haben die Mitglieder des „Forum Zukunftsökonomie“, zu dessen Gründern auch die taz-Genossenschaft gehört, jetzt dazu veranlasst, den „Preis der Arbeit“ auszuschreiben. Die Absicht ist es, Firmen auszuzeichnen, die die internationalen Standards der Menschen- und Arbeitsrechte nicht untergraben, sondern sie respektieren und mit Leben erfüllen. Der Preis wird vergeben für verantwortungsvolle Unternehmensführung.
Die Idee ist damit auch eine Reaktion auf die neue Globalisierung seit 1989. Zuvor herrschte in den Industriestaaten ein relativ stabiles Gleichgewicht zwischen Markt und Staat. Während der Einfluss der nationalen Regierungen seitdem eher schwindet, haben vor allem die international tätigen Konzerne an Bewegungsspielraum gewonnen. Waren ihnen Osteuropa, China und Indien vorher nahezu verschlossen, so können sie nun – zumindest theoretisch – ihre Produktionsstätten dorthin verlagern und ihre Beschäftigten etwa in Deutschland unter Druck setzen. Vieles ist plötzlich möglich: Lohnsenkung statt Lohnerhöhung oder Arbeit zu Armutsbedingungen. Und weil es an einem durchsetzbaren internationalen Wirtschafts- und Sozialrecht fehlt, leisten sich Konzerne in Asien, Afrika und Lateinamerika vieles, was sie im Norden tunlichst unterlassen. Natürlich wissen die meisten Vorstände von Unternehmen mittlerweile um die Spannungen zwischen den Ansprüchen und Befürchtungen ihrer Beschäftigten und Kunden einerseits und den tatsächlichen Zuständen auf dem Weltmarkt andererseits. Sie suchen und finden Mittel, um die Legitimationslücke zu schließen. Eines davon ist die Strategie der Unternehmensverantwortung – im Firmensprech „Corporate Social Responsibility (CSR)“. Viele Unternehmen bemühen sich mittlerweile, demonstrativ Gutes zu tun. Ihre Internetseiten fließen über von schönen Projekten und Initiativen. Sie schützen das Weltklima, fördern Frauen, unterstützen ihre Heimatgemeinden in sozialen Projekten, kämpfen gegen Aids, lindern die Armut in Afrika und bilden Jugendliche aus. Vieles davon stimmt, manches aber auch nicht so richtig. Und sehr oft sollen schöner Schein und Imagepflege die alltäglichen Grausamkeiten verdecken.
Auf den Widerspruch zwischen ihrer CSR-Rhetorik und dem Abbau zehntausender Arbeitsplätze angesprochen, verweisen die Vorstände auf den auf ihnen lastenden Zwang, dem Gewinninteresse der Aktionäre zu gehorchen. Auch hier kann der „Preis der Arbeit“ eine Funktion erfüllen. Mittels Präsentation guter Beispiele soll er sich zu einem Teil eines Instrumentariums entwickeln, mit dem Widersprüche zwischen Außendarstellung und Innenleben der Wirtschaft zum Thema gemacht werden können. Die Auszeichnung fördert die Debatte darüber, welcher Preis der Arbeit gewünscht und angemessen ist. Einiges spricht dafür, dass er heute nicht nur in finanzieller Hinsicht zu niedrig liegt. (HANNES KOCH)