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[Beispiel Bayer] Charta zu Störfall-Gefahren

Informationspflicht nach § 11a der Störfallverordnung:

BAYER verschweigt und verharmlost

BAYER verpflichtet sich in seinen „Umweltleitlinien“: „Über den sicheren und umweltgerechten Umgang mit Produkten informiert BAYER durch Schulung der Mitarbeiter sowie durch Beratung und Aufklärung der Verbraucher.“ Doch was bedeutet umweltgerecht? Als Minimalanspruch dürfte gelten: Beginnend beim Transport von Rohstoffen, Zwischen- und Endprodukten über die Produktion bis hin zum Vertrieb dürften keine, die Umwelt, die Natur, die Ökosysteme belastende Stoffe entstehen bzw. nach außen abgegeben werden. Doch davon kann bis heute keine Rede sein. Im Gegenteil, es gelingt dem Konzern in keinester Weise Anlagen-, Produktions-, Betriebssicherheit auf heute geltendem Niveau zu garantieren. Die Liste von Un- bzw.Störfällen bei BAYER kann nur unvollständig sein und umfaßt die uns bekannten. Doch gab es allein im Jahre 1987 in allen fünf deutschen BAYER-Werken 1.063 sogenannte Betriebsunfälle.

Chemische Anlagen stellen ein Pulverfaß dar: Vorgeblich kontrollierte Reaktionen lassen Abprodukte entstehen, deren toxische Wirksamkeit zum großen Teil nicht bekannt bzw. deren gezielte Anwendung und damit Rückführung in die Kette aus Produktion und Konsumtion obsolet ist. So sind beispielsweise auch die aktuellen Schadstoffrachten der Chemie (bekannte genehmigte Einleitungen) trotz vielfach beteuerter Fortschritte – einvernehmlich gaben BAYER und der Kölner Regierungspräsident im Jahre 1993 bekannt, die Schadstoffracht des Rheins sei bei wichtigen Stoffgruppen wie die der Schwermetalle um über 70% reduziert worden – immer noch gewaltig: 500 kg Cadmium jährlich, 610 kg Quecksilber, 2,2 Tonnen Dichlormethan, 13 kg Hexachlorbenzol, 650 kg Dichlorbenzole, 500 kg Chlorbenzole, 1,2 Tonnen Arsen, 360 kg Naphtaline, 42 kg Chrom, 560 kg Titan, 1,1 Tonnen Phosphat, 4,5 Tonnen Ammonium…jährlich in Nordrhein-Westfalen in den Rhein und seine Nebenflüsse!

Nach Außen hin vermittelt auch der BAYER-Konzern den Eindruck, bestehende Risikopotentiale in Produktion, Vertrieb, Anwendung und Entsorgung unter Kontrolle zu haben und zwar indem „nicht nur gesetzliche Auflagen erfüllt, sondern aus eigener Initiative zusätzliche Maßnahmen ergriffen“ würden (aus: Leitlinien für den Umweltschutz). Belegen soll dieses Engagement ein Kanon von Verlautbarungen, die Ziele und Selbstverpflichtungen enthalten:
– die BAYER-Leitlinien für den Umweltschutz;
– die Leitlinien für Arbeitssicherheit;
– die Leitlinien für Anlagensicherheit sowie
– die Leitlinien für Sicherheit beim Technologietransfer;
alle insgesamt sehr allgemein gehalten und in vieler Hinsicht mit dem aufwartend, was man nach Sandoz, Seveso und Bhopal von einem Weltkonzern erwarten sollte. Daß zwischen Verlautbarung, Selbstverpflichtung und Realität nicht nur gelegentlich Welten klaffen, wurde von der Coordination gegen BAYER-Gefahren oft genug nachgewiesen. So stellte höchstselbst eine Kommission der Weltgesundheitsorganisation WHO fest, daß 35% der von BAYER 1988 in Länder der „Dritten Welt“ exportierten Pharmaprodukte nicht mehr dem medizinischen Standard entsprechen oder als überholt oder als zu gefährlich gelten. Erinnert sei auch an AIDS-verseuchte Faktor VIII-Präparate, Chrom-Vergiftete in Südafrika, Diskrimminierung von GewerkschafterInnen bei BAYER do Brasil, geächtete Pestizid-Anwendungen in Kolumbien, Costa Rica, Griechenland…und …und…und. Ein umfassender Nachweis soll und kann nicht Aufgabe dieses Beitrags sein.

Die Störfallverordnung gilt für Betriebe, die bestimmte Mengenschwellen bei der Handhabung oder Lagerung bestimmter gefährlicher Stoffe überschreiten. Im Rahmen der Anlagen-Genehmigungsverfahren ist von den Betriebern der nachweis zu erbringen, daß die erforderlichen Sicherheitseinrichtungen vorhanden sind, um einen Störfall zu verhindern. Dazu snd in der Regel Sicherheitsanalysen füe die Anlagen zu erstellen. Diese Sicherheitsanalysen werden von neutraler Stelle geprüft. Neben den Auflagen im Rahmen der Genehmigungsverfahren und wiederkehrenden Kontrollen im Rahmen des vorbeugenden Brandschutzes werden für diese Betriebe und auch für andere Betriebe mit gefährlichen Stoffen, die nicht der Störfallverordnung unterliegen, betriebliche Gefahrenabwehrpläne und/oder Feuerwehreinsatzpläne erstellt. Diese dienen der Festlegung bestimmter Maßnahmen sowie der raschen Orientierung im Betrieb und enthalten die wichtigsten Informationen für die Einsatzkräfte.

Das Neue an der novellierten Störfallverordnung: Anlagenbetreiber müssen nun nicht mehr wie bisher nur die Behörden, sondern – ausdrücklich unaufgefordert – die betroffenen Personen sowie die Öffentlichkeit über die Sicherheitsmaßnahmen informieren. Hinzu kommen Verhaltensregeln für den Störfall. Störfälle im Sinne dieser Verordnung sind Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebs wie z.B. überhöhte Emissionen, Brände, Explosionen etc., wodurch bestimmte Stoffe frei werden, die sofort oder später eine ernste Gefahr für Mensch und/oder Umwelt hervorrufen.

§ 11a der Störfallverordnung beschreibt dies konkret:

„Der Betreiber hat Personen, die von einem Störfall betroffen sein könnten, sowie die Öffentlichkeit in geeigneter Weise und unaufgefordert über die Sicherheitsmaßnahmen und das richtige Verhalten im Fall eines Störfalles zu informieren. Die Informationen enthalten, die in Anhang VI aufgeführten Angaben. Soweit die Informationen zum Schutz der Öffentlichkeit bestimmt sind, sind sie mit den für den Katastrophenschutz und die allgemeine Gefahrenabwehr zuständigen Behörden abzustimmen. Die Informationen sind in angemessenen Abständen zu wiederholen und auf den neuesten Stand zu bringen, Satz 1 gilt entsprechend. Die zuständige Behörde kann festlegen, in welcher Weise die Informationen zu geben sowie zu wiederholen und auf den neuesten Stand zu bringen sind.“

Anhang VI enthält die zu veröffentlichen Angaben. Genannt werden:

„1. Name des Betreibers und Angabe des Standortes

2. Benennung und Stellung der Person, die die Informationen gibt

3. Bestätigung, daß die Störfallverordnung Anwendung findet und die sich daraus ergebenden Mitteilungspflichten erfüllt worden sind

4. Allgemeinverständliche Kurzbeschreibung über Art und Zweck der Anlage

5. Bezeichnung der Stoffe oder Zubereitungen, die einen Störfall verursachen können, unter Angabe ihrer wesentlichen Gefährlichkeitsmerkmale

6. Allgemeine Unterrichtung über die Art der Gefahr bei einem Störfall einschließlich möglicher Wirkungen auf Mensch und Umwelt

7. Hinreichende Auskünfte darüber, wie die betroffenen Personen gewarnt und über den Verlauf eines Störfalles fortlaufend unterrichtet werden sollen

8. Hinreichende Auskünfte darüber, wie die betroffenen Personen bei Eintreten eines Störfalles handeln und sich verhalten sollen

9. Bestätigung, daß der Betreiber geeignete Maßnahmen am Standort getroffen hat, um beim Eintritt eines Störfalles gerüstet zu sein und dessen Wirkung so gering wie möglich zu halten

10. Hinweis auf außerbetrieblichen Alarm- und Gefahrenabwehrplan, der für die Störfallauswirkungen außerhalb des Standortes ausgearbeitet wurde. Dieser sollte auch Ratschläge für die Zusammenarbeit der für die allgemeine Gefahrenabwehr und den Katastrophenschutz zuständigen Behörden bei einem Störfall enthalten.

11. Einzelheiten darüber, wo unter Berücksichtigung der Geheimhaltungsunterlagen weitere Informationen eingeholt werden können. Zu den geheimzuhaltenden Unterlagen zählen auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.“

Ein näherer Blick auf die Aufklärungs-Faltblätter von BAYER mit dem Titel „Unsere Verantwortung – Ihre Sicherheit, Informationen für die Nachbarn des Bayerwerkes… und die Öffentlichkeit“ mit der der Konzern den Verpflichtungen nach § 11a der Störfallverordnung nachzukommen sucht, bestätigt die Befürchtung, daß nur pauschal und summarisch Auskunft über am Werksstandort befindliche Anlagen, produzierte Stoffe und Verbindungen, ihre wesentlichen Gefährlichkeitmerkmale sowie ihre möglichen Wirkungen auf Mensch und Umwelt gegeben wird. Als eigentliche standortspezifische Information unter der Überschrift „Was ist BAYER in…?“ wird den Anwohnern bzw. der öffentlichkeit in Leverkusen, Dormagen, Wuppertal und Krefeld-Uerdingen ein nahezu identischer Text geboten. Ausgetauscht werden lediglich:
– der Name des Standortes (mit Ansprechpartner, Adresse und Telefonnummer)
– die Zahl der im Werk befindlichen Anlagen, ohne nähere Spezifizierung
– die Anzahl der vorfindlichen Stoffe/Stoffgruppen, deren Charakteristika und toxikologische Wirkungen allerdings – beispielhaft – in alllen Standort-Faltblättern identisch beschrieben wird.

Das wars denn schon an werksspezifischer Information. Angereichert werden solche Allgemeinplätze durch pauschale Anmerkungen zur Gefahrenabwehr, zum Verhalten bei Unfällen (durch die wir erfahren, daß Gefahrenmerkmale wie Gasgeruch, Rauchwolke oder „Lauter Knall“ auftreten können!) sowie allgemeinste Sicherheitshinweise (1.Anweisung: „Vom Unfall fernbleiben“!).

Eine konkrete und umfassende Einschätzung der Risiken und Gefahrenpotentiale ist durch solche Art von Verschleierung und Desinformation unmöglich gemacht…und scheint auch nicht beabsichtigt: Schreibt BAYER doch – wiederum für alle Werke in Nordrhein-Westfalen – unmißverständlich nieder „Gefahren gehen von den Störfallstoffen beim bestimmungsgemäßen Betrieb unserer Produktionsanlagen nicht aus.“ Ein solcher Satz in einer Information, die Unfällen vorbeugen und den Umgang mit Gefahren erleichtern soll, kann nur so verstanden werden, daß BAYER die Störfallvorsorge nicht ernst nimmt; ein Zynismus z.B. angesichts der Gemengelage von Wohnen und Chemieproduktion im Wuppertaler Stammwerk des Konzerns. Soll dies die Informationspolitik des deutschen Chemie-Vorzeigekonzerns sein? Der Zustand der Störfallvorsorge in den BAYER-Niederlassungen in der „Dritten Welt“ läßt sich da unschwer erahnen. Bereits 1986 auf der BAYER-Aktionärsversammlung berichtete ein Mitglied der Werksfeuerwehr von BAYER DO BRASIL in Belford Roxo, Paulo Morani von schlichtweg fehleneden betreieblichen und außerbetrieblichen Gefahreabwehrplänen. In Folge von Betriebsstörungen bei BAYER DO BRASIL – immerhin die größte Beteiligungsgesellschaft des Konzerns außerhalb Europas – sei kein organisiertes Reagieren möglich, Anwohner und Beschäftigte seien zudem völlig unzureichend informiert.

Den Gipfel der Desinformation stellen schließlich die BAYER-Angaben zum Werk in Brunsbüttel/Schleswig-Holstein dar. Zwei ganze Seiten in Großdruck sollen über mögliche Gefährdungen informieren. BAYER vermeidet es wiederum, konkret zu Stoffen und Verfahren im Werk im Rahmen einer eigenen Broschüre zu informieren. Stattdessen liegt eine Information von sechs in Brunsbüttel ansässigen Firmen (u.a. BAYER) vor, die in ihrer Pauschalität kaum zu überbieten ist: So erfahren wir, daß im Bayerwerk Farbstoffvorprodukte und Farbstoffe, Kunststoffvorprodukte, Alterungsschutzmittel, Vorprodukte für Pestizide sowie organische Chemikalien hergestellt bzw. verarbeitet werden – doch auch dies ist nicht klar abgrenzbar! BAYER-O-Ton: „Im Werk Brunsbüttel betreibt die BAYER AG Anlagen zur Herstellung von Stoffen durch chemische Umwandlung, insbesondere…..“ Alles beleibt offen; weder Einzelstoffe, noch Verfahren werden genannt; Mengenangaben bleiben – wie üblich – Betriebsgeheimnis. Auf Seite 2 der „Information“ werden Stoffe und ihre Eigenschaften genannt. Doch der informierte Leser wundert sich, tauchen doch exakt dieselben Namen auf wie in den Informationsbroschüren zu den NRW-Standorten des Konzerns. Es gibt keinerlei Zuordnung zu in Brunsbüttel verwendeten Stoffen.

Offenkundig wird: Der BAYER-Konzern kommt seiner Informationsverpflichtung nicht nach, erfüllt die Anforderungen nach § 11a der Störfallverordnung nur völlig unzulänglich. Beschäftigte und Anwohner, die außerbetriebliche Öffentlichkeit beleibt uninformiert. Kontrolle bestimmungsgemäßer Betriebsabläufe und Sicherheit auf hohem Niveau werden vorgegaukelt. Die zitierten Informationsbroschüren von BAYER dienen eher als Beruhigungspille denn zur Aufklärung Betroffener vor Ort. Vertrauen kann damit nicht geschaffen werden.