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[FTD] Kinderarbeit

Artikel der Financial Times zu Kinderarbeit bei BAYER

3. Februar 2012

Der Feldversuch

Die Financial Times Deutschland veröffentlichte heute eine 2-seitige Reportage der Autorin Jarka Kubsova über Kinderarbeit bei indischen Zulieferern des BAYER-Konzerns.

Zusammen mit Germanwatch und dem Global March hatte die Coordination gegen BAYER-Gefahren im Juli 2003 eine Studie veröffentlicht, wonach rund 2.000 Kinder zwischen 6 und 14 Jahren im Saatgut-Anbau für Zulieferer von BAYER arbeiteten. Die Studie führte damals zu Dutzenden von Medienberichten. Da sich die Situation nicht besserte, reichten die drei NGOs im Jahr darauf eine OECD-Beschwerde gegen das Unternehmen ein.

Die Reaktion der verantwortlichen Firmen beschränkte sich lange auf Lippenbekenntnisse. Festzustellen ist, dass dem Unternehmen die Situation auf den Feldern jahrelang bekannt war und dass später nur auf öffentlichen Druck hin gehandelt wurde. Dies wird in dem heutigen Artikel bestätigt, in dem der BAYER-Mitarbeiter Suhash Joshi wie folgt zitiert wird:

Zum Anfang jeder Saison gehen die Kinder von Andhra Pradesh auf die Felder und bestäuben die Baumwollpflanzen, am Ende der Saison kommen sie und helfen bei der Ernte. Fast 2000 sollen es allein auf den Feldern der Vertragsbauern von Bayer gewesen sein. Joshi sagt, er hat das gewusst. Er sagt, in Indien weiß jeder, dass es so ist. Und fast jedem sei es egal. Sein Job war es, die Aufwendungen niedrig, die Erträge hoch zu halten. „Ich war Geschäftsmann, hart, immer nur an Zahlen und Einnahmen interessiert. Das war mein Ding“, sagt Joshi.

Eindringlich wird das Leid der arbeitenden Kinder geschildert: Wenn in den Schulen zur ersten Stunde geläutet wurde, stand Kalpana zusammen mit anderen Kindern unter der heißen Sonne über den pieksenden Sträuchern. Die Pflanzen atmeten Pestizide aus, die Kinder atmeten sie ein. Wie lange sie dort stand, weiß Kalpana nicht, sie sagt: „Lang.“ 14 Stunden dauert so ein Tag in der Regel. Die Kinder bekommen Schmerzen, in den Gliedern, im Kopf, und Geschwüre an den Händen. Das Geld bekommen andere. Viele Kinder werden sehr krank. Manche sterben.

Reagiert hat BAYER nicht aus ethischen Gründen, sondern um dem Schaden für das Image zu begegnen. Hierzu die FTD: Nervös werden die Leute bei Bayer am 12. Oktober 2004. Wie jeden Morgen liegen in Monheim am Rhein die Presseausschnitte auf dem Schreibtisch von Steffen Kurzawa, dem Unternehmenspolitik- und Pressechef. An diesem Morgen brüllen sie ihm entgegen: „Bayer profitiert von Kinderarbeit in Indien.“ So geht es los, und es hört nicht mehr auf. Drei Nichtregierungsorganisationen haben Beschwerde wegen Verstoßes gegen OECD-Leitsätze eingereicht. Der Artikel der FTD bestätigt unsere damaligen Informationen, dass das Thema auch den BAYER-Vorstand mehrfach beschäftigte.

Tatsächlich ist BAYER dann – wenn auch mit jahrelanger Verzögerung – aktiv geworden. Die Situation auf den Feldern verbesserte sich spürbar. Hierzu zitiert uns die FTD: Selbst der schärfste Kritiker des Chemiekonzerns, die Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG), erkennt das Engagement heute an: „Was Bayer in Indien gemacht hat, ist ein Erfolg“, sagt CBG-Vorstand Philipp Mimkes. „Das Problem der Kinderarbeit ist nach wie vor virulent, aber auf den Bayer-Feldern ist sie stark zurückgegangen.“ Ein bitterer Nachgeschmack bleibe dennoch. „Uns stört, dass Bayer das im Nachhinein so verkauft, als wäre alles freiwillig geschehen“, sagt Mimkes. „Das Problem war dort schon lange bekannt. Gehandelt hat Bayer aber erst nach dem öffentlichen Druck.“

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren kooperierte damals auch mit dem norwegischen Staatsfonds, der ebenfalls eine Lösung des Problems forderte. Hierzu die Financial Times weiter: Im Mai 2006 bekommt der Bayer-Vorstand einen Brief aus Oslo. Der staatliche Pensionsfonds Norwegens – einer der größten Fonds der Welt und bekannt für seinen strengen Ethikrat – droht damit, alle Bayer-Aktien abzustoßen. 0,6 Prozent hält er am Konzern. „Hier wurde es richtig schlimm“, sagt Joshi. „Aus Deutschland kam immer mehr Druck.“

Seit Jahren versucht BAYER den Eindruck zu erwecken, von sich aus aktiv geworden zu sein. Doch ohne das Engagement von NGOs aus vier Ländern hätte BAYER wahrscheinlich bis heute nicht reagiert. Deshalb ist es ärgerlich, dass die Firma in ihren Veröffentlichungen so tut, als hätte sie freiwillig agiert. So enthalten Berichte der Firma viele falsche Behauptungen, z.B. “progress that has been made without any public pressure„ oder “Bayer CropScience started up the program after discovering that some subcontractors in the production of cotton seed in India were using child labor“.

Und klar ist auch: es gibt Dutzende andere Probleme, die ebenso gravierend sind, die jedoch kein vergleichbares Echo erhielten und daher bis heute fortbestehen.

Eine ausführliche Chronologie der Kampagne findet sich auf unserer Kampagnenseite

„Der Feldversuch“ ist ein PR-Artikel für Bayer CropScience. Er übertreibt Ethik und Wirksamkeit des Kinderarbeitsprojekts von Bayer im indischen Baumwollgürtel

Anmerkungen von Antje Paulsen, ehemalige Campaignerin bei www.stopchildlabour.eu

Im Januar 2012 feierte die MV Foundation – eine langjährige indische Partnerorganisation der Welthungerhilfe e.V. – dass sie eine Million Kinder aus der Kinderarbeit heraus geholt und nachhaltig in staatliche Schulen integriert hat. Die Organisation hat im indischen Baumwollgürtel, in dem auch Bayer CropScience operiert, sogenannte kinderarbeitsfreie Zonen geschaffen, also Regionen, in denen Kinder nicht arbeiten, sondern zur Schule gehen. Das Kinderarbeits-Projekt von Bayer gibt an, 1400 ehemalige arbeitende Kinder in Schulen integriert zu haben, eine vergleichsweise kleine Anzahl indischer Kinder. Ein bißchen soziales Engagement wird als gutes Vehikel für die PR-Arbeit eines hoch problematischen Welt-Konzerns (vor allem hochgefährliche, Mensch und Umwelt schädigende Pestizide) genutzt. An dieser Stelle sei unterstrichen, dass Bayer einzig und allein aus Imageverlust-Gründen, durch öffentlichen Druck vor allem in Deutschland, begonnen hat, sich mit dem Thema Kinderarbeit bei der Herstellung des hybridem Baumwollsaatgutes bei seinen Vertragsbauern in Indien auseinanderzusetzen.
Der Artikel blendet ferner aus, dass es der starken indischen Zivilgesellschaft, u.a. Organisationen wie der MV Foundation, zu verdanken ist, dass Kinderarbeit heute in Indien kein Randthema mehr ist und dass der Staat Gesetze erließ, die – trotz aller Schwierigkeiten in der Umsetzung – einklagbar sind.

Kommentar von Rainer Kruse, Global March against Child Labour

In dem Artikel werden dem indischen BAYER-Mitarbeiter Suhash Joshi eine Reihe von Aussagen über das Desinteresse an dem Problem Kinderarbeit in Indien sowie über das Versagen der Inder, dieses Problem zu lösen, in den Mund gelegt. Hierzu ist zu sagen: gerade die indischen NGOs haben einen erheblichen Anteil daran, dass das Problem der Kinderarbeit vereint mit dem Konzept „Education for All“ zum weltweiten Thema wurde. Indische Initiativen können viele äußerst erfolgreiche Konzepte und Programme zur Bekämpfung der Kinderarbeit vorweisen. Zu nennen ist zum Beispiel die MV Foundation, die eine Million Kinder aus der Arbeit befreit und in eine schulische Ausbildung vermittelt hat.

Kinderarbeit ist heute in Indien kein Randthema mehr, und dass der Staat hilfreiche Gesetze erließ, haben wir letztlich den indischen NGOs zu verdanken. Auch wenn es bei der Umsetzung noch hapert, wurde zumindest die Möglichkeit, Gesetze einklagen zu können, geschaffen. Das Projekt von BAYER als Modell zu verherrlichen, ist angesichts vieler erfolgreicher indischer Programme nicht akzeptabel.

Auch sei daran erinnert, dass die Firma BAYER ihren Schwenk nur vollzog, weil Kinderarbeit in der westlichen Öffentlichkeit ein hochemotionales Thema ist. Wer die ungezählten von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) veröffentlichten Beispiele kennt, in denen BAYER Gesundheitsgefährdung und Umweltverschmutzung um des Profits willen in Kauf nimmt, wird die angeblich hohe Ethik und Wirksamkeit (Gutes tun) dieses Projekts rasch vor allem als gutes Vehikel für die PR-Arbeit erkennen.

Eine vergleichende Gesamtkalkulation, einschließlich der Gehälter der Arbeiter, liegt jedoch weiter nicht vor. Ohne eine unabhängige Evaluation des Projekts sollten die Jubelmeldungen zunächst skeptisch betrachtet werden.

Uns sollte es weniger darum gehen ob es BAYER gelungen ist, die letzten Schlupflöcher für ein paar unentdeckte Kinderarbeiter zu stopfen, als um die Frage, ob das jetzige Konzept einer kritischen Untersuchung zum Umgang mit den Rechten und der Wohlfahrt der jetzt eingesetzten Landarbeiter/innen standhält. Auch hat sich meine Sorge verstärkt, dass BAYER eine kleine Anzahl indischer Kinder benutzt, um über ein bißchen soziales Engagement sein verheerendes Gesamtimage als Teil des Raubtierkapitalismus aufzupolieren.