junge Welt, 18. April 2016
»Bayer erfindet die Wechseljahre des Mannes«
Das Hormon Testosteron wird von dem Pharmakonzern wie ein Wundermittel beworben. Ein Gespräch mit Philipp Mimkes
Die »Coordination gegen Bayer-Gefahren« und die Ärzteinitiative »MEZIS«, »Mein Essen zahl‘ ich selbst«, fordern die Firma Bayer auf, ihr Marketing für Testosteronpräparate wie Nebido oder Testogel einzustellen. Einen entsprechenden Antrag zur Hauptversammlung des Unternehmens am 29. April haben Sie bereits eingereicht. Was werfen Sie dem Konzern vor?
Wir kritisieren das Ansinnen von Bayer, eine Krankheit zu erfinden, nämlich die angebliche Menopause des Mannes. Zu diesem Zweck führt der Konzern umfangreiche Marketingmaßnahmen durch. Natürlich ist es sinnvoll, wenn Ärzte in begründeten Einzelfällen Testosteron verordnen. Aber Bayer versucht, generell für Männer ab 40 die »Wechseljahre des Mannes« zu etablieren, nur um Präparate gewinnbringend verkaufen zu können.
Werden Männer durch Testosteron nicht im Gegenteil möglicherweise eher aggressiv, statt munter, wie der Konzern behauptet?
Das ist sicher nicht ausgeschlossen. Problematischer ist aber, dass Bayer ein Hormon wie eine Art Wundermittel bewirbt. Der Konzern verspricht »müden, lustlosen, unkonzentrierten und gestressten« Männern, »vital, aktiv und ausgeglichen« zu werden, wenn sie ihren angeblichen Testosteronmangel beheben. Das wünscht sich ja letztlich fast jeder. Eine im August 2015 vom Journal of the American Medical Association, JAMA, veröffentlichte Studie zeigt aber, dass eine Behandlung mit Testosteron meist ohne Nutzen ist – zudem sogar mit gefährlichen Nebenwirkungen einhergehen kann. So kann die Einnahme von Testosteron das Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen steigern und das Wachstum von Prostatakarzinomen fördern.
Obendrein steigt das Risiko für Patienten, die den Wirkstoff nicht der Indikation entsprechend einnehmen, sondern zum Beispiel als Dopingmittel. Es gibt also vielfältige Gefahren. Dennoch behauptet der Konzern, dass die Bestimmung des Testosteronspiegels für »Männer ab 40 Jahren ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsvorsorge« sei. Für das Marketing hat die Bayer-Tochter Jenapharm eigens die Webseite ¬testosteron.de geschaltet und spezialisierte PR-Agenturen wie die »Cramer-Gesundheits-Consulting GmbH« engagiert. Die brüstete sich offen damit, »mit PR eine neue Indikation« geschaffen zu haben.
Hat die vom Konzern konstatierte Müdigkeit nicht vielmehr etwas mit Stress durch miese Arbeitsbedingungen oder zu viele Leistungsanforderungen zu tun?
Ja, natürlich. Das Marketing richtet sich ausdrücklich an den Mann ab 40 Jahren. Der steht in der Tat mitunter unter Druck, da ihn Karriere und Familie zugleich fordern. Physiologisch ist es aber ganz normal, dass der Hormonspiegel altersbedingt sinkt und die Kräfte abnehmen – genauso wie seelische oder soziale Krisen auftreten können. Das als Krankheit darzustellen, es zu pathologisieren, ist der falsche Weg. In den USA zeigt dieses Vorgehen aber leider schon Wirkung: Durch die massiven Werbekampagnen haben sich die Verkaufszahlen innerhalb eines Jahrzehnts verdreifacht.
In Deutschland ist Testosteron verschreibungspflichtig. Daher versuchen die Hersteller, auch auf Ärzte einzuwirken. Jan Salzmann von der Medizinerinitiative »MEZIS« wird hierzu in der Bayer-Hauptversammlung am 29. April sprechen und den Konzern auffordern, damit aufzuhören, gesunde Männer weiter medikamentieren zu wollen. Hormone sind kein Lifestyleprodukt. Diese Marketingkampagne muss gestoppt werden.
Sie sagen, das Erfinden von Erkrankungen und die Ausweitung von Indikationen betrieben Pharmakonzerne wie Bayer seit Jahrzehnten mit Erfolg. Gibt es dafür weitere Beispiele?
Aspirin wird zum Beispiel nicht nur als Schmerzmittel und zur Blutverdünnung beworben; auch hier versucht Bayer immer wieder, die Indikationen auszuweiten. Oder Antibabypillen, die mit lupenreiner Haut und einem »Figurbonus« beworben werden.
Rechnen Sie sich Chancen aus, mit Ihrer Kritik durchzudringen?
Zunächst einmal wollen wir den Bayer-Vorstand mit den negativen Auswirkungen seiner Geschäftspolitik konfrontieren. Hinzu kommt, dass wir die Öffentlichkeit generell über die Risiken solcher Präparate aufklären möchten.
Philipp Mimkes ist Sprecher der »Coordination gegen Bayer-Gefahren«
Interview: Gitta Düperthal