MONSANTO im Allgemeinen und Glyphosat im Besonderen bereiten BAYER nach wie vor viele Probleme. Durch den Hedge-Fonds ELLIOT droht sogar die Zerschlagung des Konzerns.
Von Jan Pehrke
Mit 18.400 Klagen von Geschädigten des Pestizids Glyphosat sieht sich der Leverkusener Multi mittlerweile konfrontiert (Stand: 30.07.2019). Von Quartalsbericht zu Quartalsbericht steigt die Zahl. Wegen dieser Prozess-Flut muss der Konzern jetzt sogar mit einer gerichtlich angeordneten Sonderprüfung rechnen. Der Aktionär Christian Strenger bereitet einen entsprechenden Antrag vor, nachdem er auf der Hauptversammlung für die Einleitung einer solchen Untersuchung nicht die nötige Mehrheit gefunden hatte. Strenger wirft dem Management vor, die mit der MONSANTO-Übernahme verbundenen rechtlichen Risiken nicht ausreichend beachtet zu haben und will das Agieren des Vorstands nun einer detaillierten Inspektion unterziehen.
Von der Entwicklung, dass die Richter*in-nen der bisherigen drei großen Verfahren gegen die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO die Geld-Bußen im Nachhinein verringert hatten, zeigte sich der Anteilseigner wenig beeindruckt. Im Fall „Dewayne Johnson“ schrumpfte die Summe von 289 auf 78 Millionen Dollar, im Fall „Pilliod“ von zwei Milliarden auf 86,7 Millionen und im Fall „Hardeman“ von 80 auf 25 Millionen. Den eigentlichen Schadensersatz ließen die Jurist*innen dabei unberührt. Bei den „punitive damages“ – der eigentliche Strafe – legten sie Hand an. Die Versicherungen hatten für diesen Posten nämlich vor einiger Zeit eine Grundsatz-Entscheidung erzwungen. Seither darf der Betrag das Schmerzensgeld höchstens noch um das Neunfache übersteigen. Deshalb musste es zu den Absenkungen kommen. In der Sache aber gab es kein Vertun. „MONSANTO verdient es, bestraft zu werden“, sagte etwa der Richter Vince Chhabria bei der Ankündigung der Reduzierung. Dementsprechend fiel die Freude des Global Players einigermaßen verhalten aus. „Ein Schritt in die richtige Richtung“, hieß es jeweils.
Elliot legt die Axt an
Vorher schon hatte der Konzern die Prozesse zur Chef-Sache erklärt und die Weichen für einen Strategie-Wechsel gestellt. Es blieb ihm auch kaum etwas anderes übrig, hatte die Hauptversammlung dem Vorstand im April 2019 wegen der Causa „Glyphosat“ doch die Entlastung verweigert. „Der Aufsichtsrat sieht die negativen Auswirkungen, die von der Unsicherheit im Zusammenhang mit den Gerichtsverfahren auf den Aktien-Kurs und die Wahrnehmung der Stakeholder ausgehen“, konstatierte Ober-Aufseher Werner Wenning Ende Juni 2019 und gelobte Besserung. So gab er die Verpflichtung des in Produkthaftungsklagen beschlagenen US-Anwalts John H. Beisner als Berater bekannt. Zudem verkündete der Aufsichtsratschef die Einrichtung eines Sonder-Ausschusses, dem die Aufgabe zukommt, für zusätzliche juristische Expertise zu sorgen.
Der berühmt-berüchtige Hedge-Fonds ELLIOT, der sein schon länger bestehendes Engagement bei BAYER im Herbst 2018 öffentlich gemacht hatte, reagierte umgehend. Er zeigte sich zunächst einmal zufrieden mit den Beschlüssen. Zur Personalie „Beisner“ ließ die von Paul Elliot Singer gegründete Gesellschaft verlauten: „Wie aus seiner Arbeit für MERCK (VIOXX) und JOHNSON & JOHNSON (DEPUY-Hüftimplantate) ersichtlich, hat Herr Beisner eine nachweisbare Erfolgsbilanz, vielbeachtete Produkthaftungsfälle zu einer erfolgreichen Lösung zu führen.“ Auch dem neuen Sonder-Ausschuss erteilte der Fonds sein Placet. Die annoncierten Veränderungen bilden eine geeignete Basis dafür, die Prozesse zu einem guten Ende für die Anleger*innen zu führen, so das Resümee.
Das ist aber noch nicht alles, Singer & Co. denken schon über den Moment hinaus. „Auch wenn die Lösung der Herausforderungen in den Rechtsstreitigkeiten unmittelbare Priorität hat, ist ELLIOT der Ansicht, dass BAYER mehr für die langfristige Wertschöpfung zum Vorteil aller Stakeholder machen könnte“, heißt es in der Presseerklärung. Für die ELLIOT MANAGEMENT CORPORATION spiegelt der derzeitig niedrige Aktien-Kurs nämlich den Wert der einzelnen Geschäftseinheiten – „bzw. die bestehende Wertbeschaffungsmöglichkeit von mehr als 30 Milliarden Euro“ – nicht wider. Im Klartext: Eine Zerschlagung des Konzerns ist in den Augen des Hedge-Fonds lukrativer als die Beibehaltung der jetzigen Struktur. Dementsprechend ruft er den Vorstand zum Handeln auf. Singer sieht einem „glaubwürdigen Bekenntnis der Gesellschaft entgegen, (…) auch langfristige Wertschöpfungsmaßnahmen im Sinne aller Stakeholder zu prüfen“.
„Mit ELLIOT wird BAYERs Alptraum wahr“, konstatierte die Rheinische Post, denn Singer gilt als der aggressivste unter den aggressiven Aktionär*innen. Mit Vorliebe betätigt sich sein Unternehmen als Krisen-Profiteur, weshalb es sich die Bezeichnung „Geier-Fonds“ mehr als verdient hat. So stürzten sich die Finanz-Strateg*innen just zu dem Zeitpunkt auf die Staatsanleihen Argentiniens, da das Land sich für zahlungsunfähig erklärt hatte. Und während ein Großteil der anderen Käufer*innen sich auf einen Schuldenschnitt einließ, verweigerte der Finanz-Konzern sich diesem. Stattdessen verklagte er das südamerikanische Land erfolgreich und verbuchte auf diese Weise eine Rendite von 1.000 Prozent. Im Falle Griechenlands gingen die Fonds-Manager*innen ähnlich vor. Bei angeschlagenen Kapitalgesellschaften hingegen drängen sie in der Regel auf einen Ausverkauf und verfolgen dieses Anliegen dann ohne Rücksicht auf Verluste. Bei THYSSENKRUPP etwa bewog das den Aufsichtsratschef Ulrich Lehner dazu, von seinem Posten zurückzutreten. Von „Psycho-Terror“ sprach er nachher.
Dabei bemisst sich die Macht ELLIOTs nicht nach der Größe des Wertpapier-Depots. Beim Leverkusener Multi hält der Finanz-Konzern eine Beteiligung von 1,1 Milliarden Euro; BLACKROCK kommt auf ein Vielfaches davon. Aber der Hedge-Fonds schafft es immer wieder, auch andere Anleger*innen hinter sich zu bringen, die auf die gute Nase Singers für üppige Schlachtessen bauen. Im Falle BAYERs gab es darauf bereits unmittelbar nach dem Statement der ELLIOT MANAGEMENT CORPORATION zu den Plänen des BAYER-Aufsichtsrates einen Vorgeschmack: Der sogenannte „ELLIOT-Effekt“ trat ein und verschaffte der Aktie des Agro-Riesen ein Kurs-Plus von fast neun Prozent.
Aber nicht nur ELLIOT liebäugelt mit einer Aufspaltung des Konzerns. Die Finanz-Analyst*innen von BERNSTEIN RESEARCH hatten diese Forderung bereits in der Vergangenheit erhoben und wiederholten sie in einem Brief, der dem Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann im Juni 2019 zuging. „Wir haben Schwierigkeiten, große Synergien zwischen den beiden Bereichen zu sehen“, hieß es darin unter anderem. Dem Begehr BERNSTEINs, sich wenigstens von der Veterinär-Sparte zu trennen, kam der Ober-BAYER unterdessen schon nach. Sie ging für 7,6 Milliarden Euro an die US-Firma ELANCO. Die Transaktion ist Teil des Rationalisierungsprogramms, das der Leverkusener Multi im November 2018 beschloss, um seinen Investor*innen wieder Vertrauen in die Aktie einzuflößen, die nach den ersten Urteilen in den Glyphosat-Prozessen massiv an Wert verloren hatte. Die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen sowie das Abstoßen diverser Betriebsteile kündigte Baumann damals an. Und er lieferte. Die annoncierte Verkaufsliste hat der BAYER-Chef mit dem ELANCO-Deal jetzt bereits abgearbeitet. Zuvor wechselten die Sonnenschutz-Mittel der COPPERTONE-Reihe, die Fußpflege-Präparate der Marke DR. SCHOLL’S und die Anteile des Konzerns am Chemie„park“-Betreiber CURRENTA den Besitzer. Bei der CURRENTA schlug MIRA, der Infrastruktur-Fonds der australischen Investmentbank MACQUARIE, zu. Auch DR. SCHOLL’S landete bei einem Finanz-Investor; YELLOW WOODS zahlte dafür 585 Millionen Dollar. COPPERTONE schließlich wanderte für 550 Millionen Dollar zu BEIERSDORF.
Rund 6.500 Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens verschwinden durch diese Geschäfte. Und außerhalb dürften längst nicht alle davon erhalten bleiben. Besonders denjenigen, die unter die Kuratel von Finanz-Investoren geraten sind, droht im Stellenplan der kw-Vermerk für „künftig wegfallend“. MIRA etwa garantiert die geltenden betrieblichen und tariflichen Regelungen nur für drei Jahre. Wie es dann weitergeht, steht dahin, denn längerfristige Pläne hat die MACQUARIE-Tochter nicht. „Wir gehen von einer Haltedauer von zehn bis zwölf Jahren aus“, erklärte Deutschland-Chef Hilko Schomerus lapidar.
Aber nicht nur durch den Verkauf der verschiedenen Sparten gehen Stellen verloren. Der Global Player schließt zudem nach Kräften Standorte. In den USA macht er etwa die Niederlassungen in Durham, Robinson und Mishawaka dicht, was insgesamt über 800 Jobs kostet. In der Bundesrepublik scheut der Agro-Riese solche drastischen Schritte bisher, weil es stärkere Beschäftigten-Vertretungen gibt. Den Stand der Dinge hierzulande fasste der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Oliver Zühlke in einem Interview mit der Rheinischen Post zusammen. „Wir verhandeln weiter mit dem Konzern über die Verteilung auf die verschiedenen Bereiche und Standorte. BAYER prüft, Prozesse zu verändern, Aufgaben zu streichen oder auszulagern. Das ist komplex und braucht Zeit“, so der Gewerkschaftler.
Zu allem Übel hat das Rationalisierungsprogramm nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Es tangiert auch Sicherheitsfragen. Die CURRENTA trägt nämlich einen Teil der Verantwortung für die – immer noch nicht in Betrieb genommene – Kohlenmonoxid-Pipeline, die zwischen Krefeld und Dormagen verläuft. Das Unternehmen überwacht die Giftgas-Röhre nämlich über ihre Kontrollstellen in den Chemie-„Parks“. Bei einem Finanz-Investor wie MIRA ist eine solche Aufgabe denkbar schlecht aufgehoben. Entsprechend besorgt reagierten die Bürgerinitiativen auf die Nachricht von dem Besitzer-Wechsel.
Trumps helfende Hand
Unterdessen erhielt der Leverkusener Multi in Sachen „Glyphosat“ einige Unterstützung von offizieller Seite. So hat die US-amerikanische Umweltbehörde EPA einen Erlass des Staates Kalifornien aufgehoben, der BAYER und alle anderen Vertreiber von Glyphosat anwies, die Käufer*innen auf den Etiketten über die von dem Mittel ausgehende Krebs-Gefahr zu informieren. „Es ist unverantwortlich, das Anbringen von Warnhinweisen auf Produkten vorzuschreiben, wenn die EPA das Produkt für nicht krebserregend hält“, erklärte die „Environmental Protection Agency“. „BAYER is getting a helping hand from Donald Trump“, kommentierte das Internet-Portal Markets Insider den Vorgang. Der US-Präsident hatte nämlich die Spitze der Einrichtung neu besetzt, damit diese die Industrie nicht mehr länger durch so viele lästige Vorschriften am Profitmachen hindert. Seither geht ein Riss durch die Behörde, wie der von der BAYER-Tochter MONSANTO engagierte Schnüffeldienst HAKLUYT (siehe auch SWB 3/19) seinem Auftraggeber meldete: „Die politische Leitung favorisiert Deregulierungen und setzt sich über die Risiko-Analysen der Experten hinweg (…) Besonders, was Glyphosat angeht, gibt es starke Differenzen zwischen dem politischen und dem professionellen Personal.“
Auch die Bundesregierung sprang BAYER bei. Sie entschied sich gegen ein sofortiges Glyphosat-Verbot und beschloss lediglich eine Minderungsstrategie. Das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid bleibt jetzt so lange im Umlauf, wie seine EU-Zulassung währt. Erst zum Jahr 2024 will die Große Koalition es dann aus dem Verkehr ziehen. Bis dahin darf das Pestizid auf den Feldern weiter sein Unwesen treiben; zu mehr als ein paar Einschränkungen konnten sich CDU und SPD nicht durchringen. Lediglich den Gebrauch im Haus- und Garten-Bereich sowie auf öffentlichen Flächen untersagten die Parteien. „Kein Verbot, bis es ohnehin ein Verbot gibt – Hier bekommen wir von der Regierung eine echte Mogelpackung serviert. Dass der Gebrauch von Glyphosat nun ‚systematisch gemindert’ werden soll, ist keine Maßnahme zum Schutz von Mensch, Tier und Umwelt, sondern ein Geschenk an BAYER und die anderen großen Produzenten, die nun die Möglichkeit haben, ihr profit-trächtiges Agrar-Gift dreieinhalb weitere Jahre zu verkaufen“, konstatierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in ihrer Presseerklärung. Der Leverkusener Multi gab sich trotzdem nicht zufrieden. „Wir sehen die Entscheidung der Bundesregierung kritisch, bis Ende 2023 aus Glyphosat auszusteigen“, erklärte der Agrar-Chef Liam Condon.
Kurz vorher hatte er im Hinblick auf die abermalige Zulassungsverlängerung für das Herbizid, über welche die EU 2022 befindet, Gesprächsbereitschaft signalisiert. Das Unternehmen respektiere, dass in einigen europäischen Ländern der Wunsch der Politik bestehe, den Einsatz von Glyphosat zu reduzieren, sagte Condon dem Tagesspiegel zufolge. „Daher werden wir mit den unterschiedlichsten Interessensgruppen zusammenarbeiten, um alternative Lösungen zu entwickeln“, kündigte er an. Was da unter der Anmutung einer Charme-Offensive auftritt, ist indessen knallhartes Kalkül. Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner beschrieb die Strategie des Global Players mit diesen Worten: „BAYER fürchtet um die Glyphosat-Zulassung. Darum deutet der Konzern jetzt einen Kuhhandel wie bei der Gentechnik an.“ Nach Ansicht Ebners setzt der Leverkusener Multi darauf, eine Opt-out-Lösung zu erreichen: Eine EU-weite Genehmigung, die den einzelnen Mitgliedsländern aber Verbote erlaubt. Dann hätte das umstrittene Mittel zumindest in Teilbereichen des europäischen Marktes, der zum Gesamt-Umsatz mit dem Ackergift rund zehn Prozent beiträgt, noch eine Chance.
Die BAYER-Aktie hat sich unterdessen in den letzten Monaten ein wenig erholt, erreicht aber noch längst nicht wieder den Stand, den sie vor dem MONSANTO-Deal einnahm. Ihr Wohl und Wehe hängt immer noch von den Glyphosat-Prozessen ab, und fast jede Meldung dazu bildet sich im Kurs ab. Darum ergehen sich die Finanzmarkt-Akteur*innen auch immer noch in Spekulationen darüber, wie viele Milliarden der Konzern am Ende für die Risiken und Nebenwirkungen des Herbizids zahlen muss und erstellen entsprechend düstere oder weniger düstere Prognosen. Wie stark der Leverkusener Multi sich durch den Desaster-Deal hingegen schon heute verändert hat und was das für die Beschäftigten und die Standort-Städte bedeutet, interessiert die Börse hingegen nicht. ⎜