Am 19. September verstarb Jürgen Rochlitz. Die Coordination verliert damit einen wichtigen Mitstreiter.
Von Jan Pehrke
Der Tod von Jürgen Rochlitz trifft die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) schwer. Jürgen war ein langjähriger Wegbegleiter der Coordination. Seit Urzeiten gehörte er dem Beirat an und war wirklich auch immer mit Rat und Tat zur Stelle. Wenn es galt, einen wissenschaftlichen Sachverhalt einzuschätzen, an einer Presseerklärung mitzuwirken oder etwa einen Nachhaltigkeitsbericht von BAYER zu analysieren, konnten wir stets auf Jürgen zählen. Und als im Jahr 2013 „150 Jahre BAYER“ anstand, stemmte er für einen Vortrag auf der CBG-Jahrestagung die Herkules-Aufgabe, nicht allein die ganze Firmen-Geschichte aus konzern-kritischer Perspektive zu erzählen, sondern gleich die komplette Branche miteinzubeziehen.
Jürgen Rochlitz war für die Coordination ein Glücksfall, weil sich in seiner Person wissenschaftlicher Sachverstand mit persönlichen Erfahrungen in der Chemie-Industrie – er stand lange in Diensten von HOECHST – und einer konsequent linken Haltung verband. Der Chemiker zählte Anfang der 1980er Jahre zu den Mitgründern von Kreisverbänden der Grünen in der Pfalz und saß später für die Partei im Bundestag. Dort avancierte er unter anderem zum chemie-politischen Sprecher der Fraktion. 1999 aber kündigte Jürgen wegen des Jugoslawien-Krieges seine Mitgliedschaft auf.
Der Zwang zur Gewinn-Maximierung im Kapitalismus korrumpiert die Chemie wie auch die anderen Naturwissenschaften und lässt sie hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben – das war sein Credo. Durch seinen Sitz in der Störfall-Kommission erfuhr er hautnah, welche Risiken für Leib und Leben eine solche Art des Wirtschaften birgt. Eine im wahrsten Sinn des Wortes „explosive“ Mischung aus nicht dem Stand der Technik entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen, Schlampereien und Mangel an Problembewusstsein kam ihm da immer wieder auf den Tisch, wie er einmal in einem Interview berichtete.
Auch im Rahmen der CBG-Arbeit lagen ihm die von der Chemie-Produktion ausgehenden Risiken besonders am Herzen. Regelmäßig meldete er sich nach BAYER-Störfällen zu Wort. Auch analysierte er detailliert die einzelnen Gefahren-Quellen. „Phosgen – die tickende Zeitbombe“ warnte er einmal in einem Artikel für das Stichwort BAYER. Überdies beschäftigte ihn die unsachgemäße Lagerung von Stoffen auf den Werk-Arealen sehr.Die Klima-Krise trieb Jürgen Rochlitz ebenfalls schon früh um. Diesem Thema sollte dann im Jahr 2016 auch die letzte größere Zusammenarbeit mit der Coordination gewidmet sein. Der Leverkusener Multi startete damals mit viel Tamtam eine Greenwashing-Kampagne, welche die Wiederverwendung von ein bisschen Kohlendioxid in der Kunststoff-Fertigung als eine große Maßnahme gegen die Erderwärmung verkaufen wollte. An Jürgen war es da, die Dimensionen in einer CBG-Presseerklärung wieder zurechtzurücken: „ BAYER will 5.000 Tonnen Polyol auf CO2-Basis herstellen und hierbei 1.000 Tonnen Kohlendioxid einsetzen. Das ist nicht einmal ein Tausendstel des jährlichen CO2-Ausstoßes von BAYER.“
„Mit seinem Sachverstand ist er für unser Netzwerk unentbehrlich“, hieß es am 24. Juli 2007 in dem Geburtstagsständchen der Coordination zu Jürgens Siebzigstem. Jetzt ist diese Lücke da, und sie ist nicht zu füllen, denn Jürgen Rochlitz entstammte einer Generation von Chemiker*innen, welche wesentliche Prägungen durch die Umweltbewegung erhielt. So etwas wächst nicht nach.