Museumsreifes Schmutzwasser
Der bekannte deutsche Künstler Hans Haacke machte 1972 das Krefelder Museum Haus Lange zu einem Laboratorium, das die Verunreinigung des Rheins durch BAYER und andere Umweltsünder untersucht. Im Rahmen der Ausstellung „Hans Haacke – Kunst, Natur, Politik“ rekonstruiert nun das Mönchengladbacher Museum Abteiberg die damalige Schau.
Von Jan Pehrke
Hans Haacke zählt zu den bekanntesten politischen KünstlerInnen Deutschlands. 1993 baute er auf der Biennale in Venedig kurzerhand den deutschen Pavillon zurück, dem die Nazis 1938 seine bis dahin kaum veränderte Gestalt verliehen hatten. Und zu Anfang des Jahrtausends betrieb er mit Brecht Kunst am Bau des Reichstagsgebäudes. Der heute 84-Jährige legte im Innenhof des Bundestages ein Blumenbeet an, zu dem die Abgeordneten Erde aus ihren Wahlkreisen beisteuern sollten, und schrieb in Neon-Lettern die Zueignung „Der Bevölkerung“ hinein. Mit ihr wollte er – inspiriert von dem Diktum Bertolt Brechts: „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht“ – die Inschrift „Dem deutschen Volke“ über dem Portal des Hauses überschreiben. Deshalb orientierte er sich auch an deren Schrift-Type. Diese semantische Intervention rief sogleich KritikerInnen auf den Plan. Ein von den GegnerInnen des Projektes in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten bezeichnete die Installation sogar als „verfassungswidrig“.
Das Mönchengladbacher Museum Abteiberg widmete sich jetzt dem Frühwerk Hans Haackes und dokumentierte in diesem Rahmen auch eine Ausstellung von 1972, in der BAYER eine prominente Rolle spielt. Als der seit 1965 in New York lebende Künstler die Einladung des Krefelder Museums Haus Lange annahm, befand er sich gerade an einem Scheideweg. Begonnen hatte Haacke mit Arbeiten am Schnittpunkt von Kunst und Wissenschaft, die auf experimenteller Basis physikalische oder biologische Prozesse initierten wie im „Kondensationswürfel“ von 1965. Der mit destilliertem Wasser gefüllte Plexiglas-Quader reagierte auf die sich ändernden Licht-, Luftströmungs- und Wärme-Verhältnisse im Raum und bot ein Wasserspiel dar, das den Kreislauf von Verdunstung, Kondensation und Tröpfchen-Bildung zeigte. Nicht als Skulpturen, sondern als Systeme betrachtete der Künstler solche Schöpfungen und rechnete sich folglich auch der sogenannten Systemkunst zu.
Beeinflusst von der Bürgerrechtsbewegung und dem Tod Martin Luther Kings übertrug Hans Haacke diese Herangehensweise dann auf das Gesellschaftliche. Als ein „Real Time Social System“ plante er im New Yorker Guggenheim-Museum windige Immobilien-Geschäfte zu dokumentieren, dessen ProtagonistInnen die StadtbewohnerInnen „Slumlords“ tauften, da ihre Transaktionen bevorzugt in den mehrheitlich von Schwarzen bevölkerten Vierteln stattfanden. Doch dazu kam es nicht. Das Museum sagte die Ausstellung ab. „Aktives Engagement mit sozialen und politischen Zielen“ wollte es nicht zulassen, was einen großen Skandal verursachte.
In Krefeld machte Hans Haacke trotz dieser Erfahrung konsequent auf dem neu eingeschlagenen Weg weiter und präsentierte „Demonstrationen der physikalischen Welt: biologische und gesellschaftliche Systeme“. Zum Studien-Objekt erkor er dabei die Rhein-Verschmutzung. Der New Yorker betrieb dazu ein Jahr lang akribisch Feldforschung und recherchierte dabei unter anderem, wer, wann, was, wo in den Fluss einleitete. Das Ergebnis nahm schlussendlich eine ganze Museumswand ein, wie die Mönchengladbacher Ausstellung mit einem Foto von damals dokumentiert. Auf einem meterlangen Diagramm listete Haacke die kommunalen und industriellen Umweltverschmutzer von Bonn bis Kleve auf. Und an Rhein-Kilometer 766,3 findet sich der Eintrag zu den „FARBEN-FABRIKEN BAYER, Krefeld, Uerdingen“. Zur Art des Abfalls ist in der Aufstellung vermerkt: „industriell (chem.)“, zur Menge pro Tag: „450.000 Kubikmeter“, zur Technik der Abwasser-Behandlung: „mechanisch, Säure-Verschiffung“ und schließlich zum Zustand des Rheins unterhalb der Zuleitung: „übermäßig verunreinigt“. Gegenüber an der Stirn-Seite des Raumes hatte der Künstler die Fotografie „Rhein-Ufer in der Nähe einer Verlade-Vorrichtung der Farben-Fabrik BAYER AG“ in einem großen Format platziert. Sie zeigt Steine, die durch Pigment-Rückstände aus der Farben-Produktion mit einer roten Schicht überzogen sind.
Schlimmer trieb es keiner. Deshalb widmete sich Haackes „Krefelder Abwasser-Triptychon“ BAYER noch einmal genauer. Den Mittelteil nimmt ein (stark bearbeitetes) Schwarz/Weiß-Foto ein, das in der Höhe der Einleitungsstelle des Werks entstand. Die Produktionsanlagen selber mit dem hoch aufragenden Turm zeichnen sich jedoch nur grau im Hintergrund ab; im Zentrum des Bildes steht eine über dem Wasser kreisende Möwen-Schar. Und das ist wirklich die Aufnahme eines biologisch-gesellschaftliches Systems, allerdings eines pervertierten. Die Vögel versammeln sich nämlich so zahlreich bei den Abfluss-Rohren, weil sie hier ihre Mahlzeit mundgerecht frei Haus geliefert bekommen: an einer Überdosis Chemie gestorbene Fische, die auf der Oberfläche des Flusses treiben.
Haacke schuf in Krefeld auch selbst Systemkunst. Wie in seinem Kondensationswürfel inszenierte er wieder einen Wasserkreislauf, aber diesmal keinen rein physikalischen, sondern einen ökologischen. Der Künstler setzte eine voluminöse „Rheinwasser-Aufbereitungsanlage“ in das Haus Lange. Dazu leitete er die Giftfracht aus voluminösen Bottichen in verschiedene Becken, in denen Chemikalien die Schmutz-Partikel banden und Filter die restlichen Schadstoffe herauszogen. Anschließend floss das Wasser dann in ein Aquarium mit Goldfischen und von dort nach draußen in den Museumsgarten.
Das „Corpus Delicti“ selbst konnten die BesucherInnen der 1972er-Schau ebenfalls in Augenschein nehmen. Haacke stellte in großen Gefäßen nämlich „Proben aus der Abwasser-Fahne des Krefelder Einleiters und des Einleiters der Farbwerke BAYER AG, Uerdingen, entnommen am 10.5.72“ aus.
„Schmutzwasser wird museumsreif“ schrieb die Westdeutsche Zeitung über die Ausstellung, und die Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung bemerkte zum Abwasser-Triptychon: „alles andere als eine Werbung für Krefeld“. Das Blatt befragte auch den damaligen Stadtdirektor, der in Personalunion dem Umweltdezernat vorstand, ob er sich die Schau schon angesehen habe. „Ich kann nicht überall sein“, antwortete dieser abweisend. Er befürchtete auch keine politische Unbill: „Ach Du lieber Gott, wer geht denn da schon hin?“ Ob der Leverkusener Multi, der sich im Jahr 2015 von seiner Krefelder Produktionsstätte und allen anderen Kunststoff-Werken trennte, auf die engagierte Kunst-Intervention reagierte, weiß Hans Haacke nicht mehr. In den Arbeitsprozess griff der Konzern jedenfalls nicht ein. Haake dankte dem damaligen Museumsdirektor Paul Wember in einem Brief persönlich dafür, dass „ich bei Ihnen nie das Empfinden (hatte), ich sollte meine Pläne aus realpolitischen, finanziellen oder kunst-ideologischen Gründen modifizieren. Das ist eine so glückliche Situation gewesen, dass dies ausdrücklich vermerkt werden muss.“
Wer die Ausstellung dieser Ausstellung in Mönchengladbach sehen will, hat noch bis zum 28. Oktober Zeit.