Der BAYER-Konzern hat sich bei der Übernahme des US-Unternehmens MONSANTO übernommen und muss deshalb zu drastischen Maßnahmen greifen. Zu spüren bekommen das hauptsächlich die Beschäftigten.
Von Jan Pehrke
BAYERs MONSANTO-Übernahme war erst wenige Wochen amtlich, da begann das Verhängnis auch schon. Es erging das erste Urteil in einem Prozess um Glyphosat-Entschädigungen. Am 10. August 2018 verurteilte ein US-amerikanisches Geschworenen-Gericht den Leverkusener Multi zur Zahlung von 289 Millionen Dollar. Die Aktie des Konzerns stürzte massiv ab und fing sich selbst dann nicht, als die Richterin Suzanne R. Bolanos die Strafsumme später auf 78 Millionen Dollar herabsetzte. Zum damaligen Zeitpunkt gab es nämlich noch fast 10.000 weitere Klagen. BLACKROCK und andere Investment-Häuser meldeten da Handlungsbedarf an – und der Agro-Riese lieferte. Er verkündete Ende November 2018 ein Einspar-Programm, das ein Volumen von 2,6 Milliarden Euro hatte und unter anderem die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen vorsah. Aber das reichte offenbar nicht. Ende September 2020 musste der Global Player eine Gewinn-Warnung verkünden und legte deshalb nach. Er gab Kürzungen in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro bekannt. Das erste Paket zum Maßstab genommen, liefe das auf den Verlust von 7.000 weiteren Stellen hinaus. Überdies will der Global Player sich von einzelnen Produkt-Segmenten seiner Agro-Sparte trennen.
Der Tag der Wahrheit
Über das ganze Ausmaß der Verluste berichtete BAYER am 2. November 2020 bei der Vorstellung der Zahlen für das dritte Quartal des Jahres. Der Konzern vermeldete einen Umsatz-Rückgang von 5,1 Prozent auf 8,5 Milliarden Euro. Besonders hohe Einbrüche verzeichnete er mit minus 11,5 Prozent im Landwirtschaftsbereich. Dafür nannte das Unternehmen eine ganze Reihe von Ursachen: den Verfall der brasilianischen Währung, gesunkene Lizenz-Einnahmen, Produkt-Retouren, die schrumpfende Nachfrage nach Biokraftstoffen, den Preisverfall bei Saatgut aufgrund des Konkurrenz-Drucks, den Handelskonflikt zwischen den USA und China, das Wetter – und natürlich Corona. Am Ende des Tages kam der Multi nicht darum herum, im Agro-Bereich eine Wertberichtigung in Höhe von 9,3 Milliarden Euro vorzunehmen. Zu zwei Dritteln waren dafür laut Konzern-Angaben Währungs- und Zins-Einflüsse verantwortlich und bloß zu einem Drittel das ausgebliebene Wachstum. Ob die Wertberichtigung eher auf das Konto des von dem Neuerwerb eingebrachten Sortiments geht oder den Altbestand betrifft, konnten – oder wollten – weder der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann noch Finanz-Vorstand Wolfgang Nickl näher aufschlüsseln. „Das lässt sich so genau nicht mehr sagen, was MONSANTO und was BAYER ist. Wir haben ein Cropscience-Geschäft“, so Nickl.
Der 2. November war aber noch aus einem anderen Grund ein entscheidendes Datum für die Aktien-Gesellschaft. Da lief nämlich die Frist ab, die der US-Richter Vince Chhabria für das Einreichen einer Vergleichslösung in Sachen „Glyphosat“ gesetzt hatte. Eine solche hatte der Leverkusener Multi eigentlich schon im Juni präsentiert, Chhabria verlangte jedoch Nachbesserungen. Der Konzern hatte nämlich falsche Angaben über die Zahl der bisher erreichten Einigungen mit den rund 125.000 Glyphosat-Geschädigten gemacht. Nicht drei Viertel aller Fälle hatte BAYER zum Abschluss gebracht, wie im Juni behauptet, noch nicht einmal annähernd so viele: Bis Ende August lagen bloß 30.000 Vereinbarungen vor. Darüber hinaus hatte der Agro-Riese einen äußerst fragwürdigen Vorschlag über den Umgang mit den zukünftig zu erwartenden Klagen vorgelegt, mit denen zu rechnen ist, da er sein hauptsächlich unter dem Namen „ROUNDUP“ vermarktetes Mittel partout auf dem Markt halten will. Das Ansinnen, kommende Verfahren der Zuständigkeit der Justiz zu entziehen und einem Wissenschaftsgremium zu überantworten, betrachtete Vince Chhabria als eine Missachtung des Gerichts. Er äußerte massive Zweifel daran, „ob es verfassungsgemäß (oder generell gesetzmäßig) wäre, die Entscheidung der Kausalitätsfrage (d. h. ob – und wenn ja, ab welcher Dosis – ROUNDUP in der Lage ist, Krebs zu verursachen) über Richter und Jurys hinweg an ein Gremium von Wissenschaftlern zu delegieren“.
Und diese Zweifel blieben über den 2. November hinaus ebenso bestehen wie die große Zahl nicht ausverhandelter Deals. Dabei wäre eine außergerichtliche Bereinigung bitter notwendig gewesen. Das hatte sich ein paar Tage vorher gezeigt: Am 21. Oktober 2020 nämlich lehnte der kalifornische Supreme Court BAYERs Antrag auf Berufung in dem vom Glyphosat-Geschädigten Dewayne Johnson angestrengten Verfahren ab, was die Aussicht auf einen Gewinn der juristischen Auseinandersetzung noch einmal schmälert.
Aber der Leverkusener Multi konnte zum Stichtag nicht liefern. „Obwohl Fortschritte erzielt wurden, wird dieser Prozess mehr Zeit brauchen“, erklärte der Agro-Riese. Er vermochte noch nicht einmal die genaue Zahl der bisher geschlossenen Übereinkommen zu nennen. „Im Zusammenhang mit glyphosat-basierten ROUNDUPTM-Produkten hat das Unternehmen zu etwa 88.500 Klagen verbindliche Vergleichsvereinbarungen abgeschlossen, ist derzeit dabei, diese abzuschließen oder hat sich dem Grund nach geeinigt“, hieß es lediglich. Damit war die Geduld Vince Chhabrias zuende. Der Richter hatte für die Zeit der Mediationsgespräche BAYERs mit den Geschädigten-AnwältInnen alle laufenden Glyphosat-Verfahren ausgesetzt. Am 10. November erklärte Chhabria jedoch, sie wieder vor Gericht bringen zu wollen, weil er keinen Aufschub mehr duldet: „Ich bin nicht daran interessiert, den Zeitplan für die Entscheidung dieser Fälle so lang zu strecken.“
Der Global Player sollte es noch nicht einmal schaffen, andere Rechtsstreitigkeiten, die er in einem Aufwasch mit dem Glyphosat-Komplex zu den Akten legen wollte, zu beenden, wie sich Anfang Dezember herausstellte. So fanden die Vereinbarungen, die der Konzern geschlossen hat, „um den wesentlichen Teil des Verfahrenskomplexes zu den Auswirkungen von PCB (Polychlorierte Biphenyle) in Gewässern beizulegen“, nicht die Gnade des Bezirksrichters Fernando Olguin. Er bezeichnete die Abmachungen als „zu weit gefasst“, weil diese BAYER vor allen zukünftigen Ansprüchen schützten, und nannte die den klagenden Städten in Aussicht gestellte Kompensation von 650 Millionen Dollar „sehr bescheiden“. Die Summe reiche zur Deckung der Kosten nicht aus, die den Kommunen durch das Herausfiltern der gesundheitsschädlichen Industrie-Chemikalie aus ihren Wasserversorgungssystemen erwüchsen, befand Olguin.
In Treue fest zum Deal
Trotz alledem hält der Leverkusener Multi weiter in Treue fest zu dem MONSANTO-Deal. Die JournalistInnen-Frage, ob die Übernahme ein Fehler war, verneinte Werner Baumann. Er sehe „dieses Geschäft langfristig sehr, sehr gut aufgestellt mit den führenden Positionen, die wir haben, und darüber hinaus auch einem langfristig wachsenden Markt“, beschied der BAYER-Chef Antje Höning von der Rheinischen Post. Der Nachrichtenagentur AFP gegenüber räumte er allerdings ein, die Kaufsumme von 59 Milliarden Euro wäre vielleicht doch ein wenig hoch ausgefallen. „Der Preis, den wir seinerzeit in 2016 bezahlt haben, war einer, der sich auch im Wettbewerb mehrerer Bieter ergeben hat“, so Baumann, die Bewertung eines Unternehmens wäre „auch immer eine Frage der jeweiligen Zeit“.
Das Presse-Urteil nach dem 2. November fiel verheerend aus. „MONSANTO wird zu BAYERs Mühlstein“ lautete die Überschrift des FAZ-Artikels – „Verkalkuliert“ lautete schlicht das Resümee des Blattes. „Letzter Platz, überall – der nächste Sturz einer deutschen Legende“ befand Springers Welt, und von einem „Desaster“ sprach die Wirtschaftswoche. Die Rheinische Post überschrieb ihren Kommentar derweil: „Mitarbeiter zahlen für BAYERs Milliarden-Fehler“. Zu Anfang verwies der Text auf die ehrgeizigen Ziele des Unternehmens: „Der Anspruch von BAYER ist groß: Nichts weniger als die Welternährung will der Leverkusener Konzern retten“, dann blickte er zurück: „Die Vergangenheit ist nicht minder groß: Als Apotheke der Welt hatte sich der Erfinder von ASPIRIN und Antibiotika einst einen Namen gemacht“, um schließlich in der Gegenwart anzukommen: „Groß sind bei BAYER nur noch die Verluste und die Zahl der Glyphosat-Kläger.“ Der letzte Satz lautete dann unmissverständlich: „Der Vorstandschef ist gescheitert.“ Und die LeserInnen stimmten zu. „In der Unterzeile zur Überschrift schreibt Frau Höning, dass die MOSANTO-Übernahme zum Alptraum wird. Das trifft es, denn Tausende Familien leben jetzt in der Angst um ihren Arbeitsplatz“, hieß es etwa in einem Brief an die Redaktion.
Auch die institutionellen Investoren kamen zu keiner anderen Einschätzung. „Die MONSANTO-Strategie ist unterm Strich bisher gescheitert“, konstatierte Ingo Speich von der Fonds-Gesellschaft DEKA. Der Aktien-Kurs reagierte entsprechend und sank am 3. November um fast zwei Prozent ab. Die Rating-Agentur MOODY’S hatte schon die Gewinn-Warnung Ende September zum Anlass genommen, den Ausblick für den Agro-Riesen von „stabil“ auf „negativ“ nach unten zu korrigieren. Da fühlte der Vorstand sich zu einer symbolischen Aktion aufgerufen. Allein Werner Baumann kaufte BAYER-Papiere im Wert von über 2,4 Millionen Euro zum Zeichen dafür, dass er an den Konzern glaubt.
Der Glaube des Konzerns an ihn ist allerdings nicht ganz so unerschütterlich. Der Vorstandsvorsitzende erhielt zwar einen neuen Vertrag, aber keinen mit der üblichen Laufzeit. Er endet nicht nach vier, sondern nach drei Jahren – auf Baumanns Wunsch, wie es hieß. Selbst das erscheint einigen Großinvestoren allerdings zu lang. Sie drängen auf eine frühere Ablösung. Zudem fordern einige Fonds eine Aufspaltung des Unternehmens. Und Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann hat beides nicht rundheraus abgelehnt, wie das Medienhaus Bloomberg berichtete. Erst einmal müsste aber die Causa „Glyphosat“ vom Tisch, so gibt ein Insider den Journalisten Eyk Henning und Tim Loh gegenüber die Worte von BAYERs Oberaufseher wieder. Auch in den kommenden Jahren dürfte beim Leverkusener Multi also keine Ruhe einkehren.