Wasser, Boden & Luft
Die Stadt, der Müll und die Autobahn
Der Erörterungstermin
In der Stadthalle von Köln-Mülheim gab es Anfang Juli viel zu bereden: Die Pläne des Landes Nordrhein-Westfalen, die Autobahn A1 auszubauen und dafür den Weg durch eine Giftmüll-Deponie von BAYER freizumachen, stoßen nämlich auf viel Widerstand. 268 Einwendungen gegen das Projekt hatte die Bezirksregierung erhalten, darunter auch eine der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN.
Von Jan Pehrke
Gleich zu Beginn ging es hoch her in der Köln-Mülheimer Stadthalle: „Tumultartige Szenen“ machte der Leverkusener Anzeiger“ beim Erörterungstermin zum Ausbau der Bundesautobahn A1 aus. Dieser fand nämlich nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt wie alle derartigen Veranstaltungen, die Bezirksregierung und der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen (Straßen.NRW) beabsichtigten zusätzlich, die Presse-VertreterInnen aus dem Saal zu weisen. Versammlungsleiter Andreas Hein verwies dazu auf die Gesetzeslage. Nach vielen Unmutsäußerungen aus den Reihen der EinwenderInnen versuchte er erst einmal vergeblich, die VertreterInnen von Straßen.NRW umzustimmen. Diese blieben zunächst hart, aber nicht etwa, weil sie lieber nichts über sich selber in der Zeitung lesen wollten. Nein, „weil die Bürger dann nicht frei sprechen könnten“, lautete die fadenscheinige Begründung aus dem Mund von Projektleiter Thomas Raithel. „Wir Bürger haben kein Problem mit der Öffentlichkeit, aber Sie“, schallte ihm jedoch entgegen. Und schlussendlich mussten er und seine Crew doch noch einlenken.
Dann bekam Straßen.NRW ausreichend Gelegenheit, das vorzustellen, auf das sich Raithel bei seinem Amtsantritt im Herbst 2015 als „eines der größten Infrastruktur-Projekte in Nordrhein-Westfalen“ so gefreut hatte: Die A1-Erweiterung nebst neuer Brücke. Dabei gaben sich die IngenieurInnen alle Mühe, Zweifel ob ihres Vorhabens zu zerstreuen. Sie nannten das Risiko „vertretbar“, Hand an BAYERs Dhünnaue-Deponie zu legen, um einen Teil der Bundesautobahn dort entlangzuführen. Eine Erdschicht von zwei Metern Tiefe, die 87.820 Kubikmeter Giftmüll birgt, planen die StraßenbauerInnen für das Fundament der Trasse abzutragen. Als die IngenieurInnen 1960 eine neue Autobahn anlegten, hatten sie sich noch für einen Komplettaushub entschieden, denn auf Altlasten kann eigentlich keine/r bauen. In denen rumort es nämlich bisweilen noch kräftig. Der organische Anteil des Mülls zersetzt sich, weshalb das Volumen abnimmt und mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist. Das tut auch Straßen.NRW. In ihren Planungen gehen die IngenieurInnen vorsichtshalber schon einmal von einstürzenden Neubauten aus. „Eine ggf. erforderliche vorzeitige Instandsetzung des Oberbaus ist berücksichtigt“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Landesbetriebs zur Einwendung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Ansonsten verweisen die StraßenbauerInnen jedoch auf die 1970 ebenfalls nur auf einer zwei Meter starken Polsterschicht errichtete A 59, die sich im Großen und Ganzen als stabil erwiesen habe. Dass die neue A1 jedoch ein viel größeres Verkehrsaufkommen zu bewältigen hat, ficht Raithel & Co. dabei nicht an.
Aus rein finanziellen Erwägungen heraus entschied sich der Landesbetrieb für das, was er selbst einen nur „beschränkt optimierten Eingriff“ nennt. Ein Mitarbeiter bezeichnete beim Erörterungstermin die Auskofferung des ganzen Giftgrabes ganz offen als die „optimale Gründung“ für die A1. Nichtsdestotrotz müht sich der NRW-Betrieb nach Kräften, die kleine Lösung als besonders sanfte, da minimal-invasive Methode erscheinen zu lassen. Ziel sei es, „den Eingriff auf ein Mindestmaß zu beschränken“ und „die zu entnehmenden Abfall-Massen möglichst gering zu halten“, gibt sich Straßen.NRW in der Antwort auf die CBG-Einwendung bedächtig. Und mit diesem „beschränkt optimierten Eingriff“ ändern sich zu allem Übel auch noch die Verantwortlichkeiten für Quecksilber, Arsen, Chrom, Blei & Co. Die Haftung geht nämlich an den „Zustandsstörer“ über, wie es das BürokratInnen-Deutsch verklausuliert. Im Klartext: Die SteuerzahlerInnen kommen im Fall des Falles für den Schaden auf.
Eine Ingenieurin versuchte derweil wacker Überzeugungsarbeit zu leisten, indem sie den immensen Sicherheitsaufwand darlegte, mit dem die StraßenbauerInnen zu Werke gehen wollen. Aber gerade die Bilder, mit denen sie ihren Powerpoint-Vortrag illustrierte, führten noch einmal die ganze Monströsität des Vorhabens vor Augen. Da sogar aus der eigentlich abgedichteten Deponie noch Gas austritt, plant der Landesbetrieb mit viel Aufwand eine Absaugvorrichtung zu installieren und alle ArbeiterInnen mit Schutzanzügen auszustatten. Originalton Straßen.NRW: „Es wurden relativ geringe Schadstoff-Gehalte festgestellt“. Und damit weder Gas noch Gift von der Baustelle unkontrolliert an andere Orte gelangt, müssen die Lastwagen, die den Müll in besonders gesicherten Containern abtransportieren, erst einmal eine Art Waschstraße durchfahren, ehe sie das Gelände verlassen. Gespenstische Szenen warf der Computer da auf die Leinwand – der Rückbau eines AKWs dürfte sich kaum komplizierter gestalten.
Und so gewann dann die von der CBG und vielen Initiativen vorgeschlagene Alternative, den Verkehr statt durch die Dhünnaue unterirdisch durch einen langen Tunnel zu führen, noch mehr an Überzeugungskraft. Entsprechend hart gingen die EinwenderInnen mit den VertreterInnen von Straßen.NRW ins Gericht. „Es wird alles in Frage gestellt“, jammerten diese schon bald und stellten auf stur. „Wir werden nur noch auf unsere schriftlichen Stellungnahmen verweisen“, verkündeten die StraßenbauerInnen und demonstrierten damit ihr Verständnis von Dialogkultur.
Die Bezirksregierung sah das alles erwartungsgemäß anders. Sie fasste das Geschehen am 6. Juli wie folgt zusammen: „Die Auswirkungen auf die Alt-Ablagerung Dhünnaue beschäftigte die Versammlung den ganzen Tag. Die Plausibilität der Gutachten zur Standsicherheit der Autobahn, die Entsorgungswege und die Auswirkungen auf die Nachbarn wurden im Detail hinterfragt. In der Sache konnten zahlreiche Fragen beantwortet und die Vorgehensweise erläutert werden.“ Darum dürfte die Bezirksregierung Köln die Pläne von Straßen.NRW im Herbst auch durchwinken und allenfalls ein paar kosmetische Änderungen verlangen.