BAYER in der Kritik
Den Pharma-Riesen droht Ärger im Pillen-Paradies. Der Kongress der Vereinigten Staaten will durch eine Untersuchung klären lassen, wie die hohen Preise für BAYERs BETASERON und andere Präparate zur Behandlung der Multiplen Sklerose zustande kommen.
Von Jan Pehrke
„Darf’s ein bisschen mehr sein?“, diese Frage beantworteten sich die Pharma-Riesen in den USA mit Vorliebe selbst: Immer wieder erhöhten sie die Preise für ihre bei der Multiplen Sklerose zum Einsatz kommenden Präparate. Eine Jahres-Therapie mit BAYERs BETASERON etwa, die 1993 mit 11.500 Dollar zu Buche schlug, kostete 2013 schon 60.000 Dollar. Auf solche Steigerungsraten kommen andere Arzneien bei Weitem nicht, wie eine Studie von Daniel M. Hartung und seinem Team ergab. Während BETASERON & Co. sich in dem Zeitraum per anno durchschnittlich um 21 bis 36 Prozent verteuerten, legte die übrigen Pharmazeutika bloß um drei bis fünf Prozent zu. Und mittlerweile verlangen die Konzerne noch mehr für ihre Produkte. So will der bundesdeutsche Pillen-Riese jetzt bereits 91.000 Dollar für sein Präparat haben, das ihm 2016 in den USA einen Umsatz von 386 Millionen Euro bescherte. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik müssen die Krankenkassen für eine solche Behandlung mit dem Medikament umgerechnet „nur“ 21.500 Dollar zahlen.
Wegen solcher alles als andere als „feinen Unterschiede“ hat der US-Kongress auf Initiative der Abgeordneten Elijah Cummings und Peter Welch von den Demokraten einen Untersuchungsausschuss auf den Weg gebracht. BAYER und sechs weitere Hersteller von MS-Medikamenten sind nun aufgefordert, dem Gremium firmen-interne Dokumente mit aussagekräftigen Angaben zu den Profiten, Preis-Strategien, PatientInnen-Programmen und Vertriebssystemen in diesem Markt-Segment zur Verfügung zu stellen. „Wir glauben, dass kein Amerikaner gezwungen sein sollte, darum zu kämpfen, sich lebensrettende Medikamente leisten zu können, insbesondere dann nicht, wenn Pharma-Konzerne ihre Preise ohne Vorwarnung, Grund oder Rechtfertigung anheben“, erklärten die beiden Politiker.
Galten die USA lange als Pharma-Paradies, in dem die neoliberale Ideologie Eingriffe jeglicher Art in das Wirtschaftleben tabuisierte, weshalb der Phantasie von BAYER & Co. bei der Preis-Gestaltung keine Grenzen gesetzt waren, so gerät das Treiben der Konzerne seit einiger Zeit verstärkt in den Blick von Politik und Öffentlichkeit. Auch der Kongress hat sich nicht zum ersten Mal mit den Kosten von Medikamenten beschäftigt. Und frühere „in-depth investigations“ führten durchaus schon zur Verbilligung von Arzneien.
Dazu könnte es nun bei BETASERON & Co. ebenfalls kommen. Die Studie von Daniel Hartung, die Cummings und Welch zu ihrem Vorstoß anregte, vermochte nämlich keine rationale Gründe für die Preis-Explosionen bei den MS-Präparaten zu finden. Die größten Anhebungen nahmen die Unternehmen vielmehr stets dann vor, wenn teure neue Produkte auf den Markt kamen. „Nach der klassischen ökonomischen Theorie sollte der Wettbewerb eigentlich die Kosten für den Verbraucher senken oder zumindest stabilisieren“, wundern sich die AutorInnen. Ihnen zufolge bleibt nur eine Möglichkeit, dieses Phänomen zu deuten: „Die einfachste Erklärung ist, dass die Pharma-Produzenten die Preise für alte und neue MS-Arzeien erhöhen, um mehr Profite zu machen.“ Wobei die Konzerne weitgehend freie Hand haben: Den Pharmazeutika droht wegen ihres komplexen Aufbaus kaum Konkurrenz von Nachahmer-Präparaten. Da diese Unternehmensspolitik „eine Kaskade negativer Effekte für die MS-PatientInnen“ produziert, werfen Hartung und seine KollegInnen auch die Frage nach der „Ethik unseres gegenwärtigen, dem freien Markt unterworfenen Arzneipreis-Systems“ auf und fordern gesundheitspolitische Maßnahmen.
Die PatientInnen-Verbände verlangen ebenfalls solche Schritte. So hat die „National MS Society“ im September 2016 eine Kampagne für billigere MS-Medikamente gestartet. „Der kontinuierliche Preis-Anstieg für Arzneien zur Linderung der Multiplen Sklerose errichtet für die Patienten Barrieren, die für sie lebenswichtige Medikationen auch zu erhalten“, erklärte der Verband.
Das Attribut „lebenswichtig trifft dabei auf BETASERON, das BAYER in der Bundesrepublik unter dem Namen „BETAFERON“ vermarktet, nur eingeschränkt zu, denn das Mittel steht wegen seiner vielen Neben- und nur eingeschränkten Hauptwirkungen in der Kritik (SWB 4/14). Aber nicht nur das lässt der Leverkusener Multi an sich abprallen. Er zeigt sich auch ungerührt von den Ermittlungen in Sachen „Mondpreise“. „BAYERs Engagement für die MS-Kranken begann bereits vor 25 Jahren, und wir fühlen uns weiterhin verpflichtet, den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden“, heißt es in der Stellungnahme des Konzerns zur angekündigten Untersuchung des Kongresses scheinheilig.
HERVORHEBUNG:
„Die einfachste Erklärung ist, dass die Pharma-Produzenten die Preise für alte und neue MS-Arzeien erhöhen, um mehr Profite zu machen.“