Claudia Baitinger, Sprecherin Landesarbeitskreis Technischer Umweltschutz des BUND NRW
30.4.2010, Bayer-HauptversammlungSehr geehrte Damen und Herren
Nanotechnik ist zu einem Zauberwort geworden: es verspricht seit Jahren die schöne neue Welt und lässt mit seinen unzähligen Heilsversprechen die Augen der Aktionäre glänzen. Es ist die Türöffnerin für milliardenschwere Fördermittel und Innovationspreise. Offenbar lassen sich damit auch Türen von Genehmigungsbehörden öffnen – aber dazu später.
Der medienwirksam dargestellte Siegeszug von Stoffen aller Lebensbereiche mit nanoskaligen Eigenschaften erinnert an die Anfänge der Atomkraftnutzung und der Gentechnik. Damit feiern wir also jetzt die 3. „schöne neue Welt“. In den beiden anderen Technologien ist inzwischen Ernüchterung eingetreten, sie werden mehrheitlich von der Bevölkerung in Deutschland und darüber hinaus abgelehnt und als irreversible Bedrohung der Biosphäre wahrgenommen. Und wie ist es mit der Nanotechnik?
Es gibt inzwischen praktisch keinen Lebensbereich, der nicht von ihr vereinnahmt wird: Ob bei Lebensmitteln, in der Landwirtschaft, bei Reinigungselexieren oder im Bekleidungsmarkt – nur um einige Beispiele zu nennen.
Und hier passiert genau das Gleiche wie bei der Atomkraftnutzung und der Gentechnik: Verblendet von den Sirenengesängen auf Hochglanzbroschüren und in Pressekonferenzen missachten mal wieder Politik und Rechtsprechung die unweigerlich auftretenden Risiken: Der im Artikel 2.2 grundgesetzlich verbriefte Schutz der Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit wird vor lauter Euphorie, die Entdeckertum, Forschergeist und steigende Gewinnmargen mit sich bringen, hintenan gestellt.
Und jetzt sind wir wieder bei den Genehmigungsbehörden und damit bei der neuen CNT – Fabrik der Bayer AG.
Wir fragen den Vorstand, ob es wirklich ihrer Rechtsauffassung entspricht, wenn sie sich die weltweit größte Produktionsanlage für Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Markennamen Baytubes) – lediglich nach Baurecht genehmigen lässt und sich nicht den wesentlich umfangreicheren und strengeren Prüfkriterien des Immissionsschutzrechtes unterwirft, obwohl eine Produktionskapazität von 200 Jahrestonnen klar den Technikumsmaßstab überschreitet?
Ich zitiere aus einer Bayer-Veröffentlichung:
„STETIGE AUSWEITUNG DER PRODUKTIONSK APAZITÄTEN
Vor diesem Hintergrund hat Bayer MaterialScience bereits früh die Weichen
für eine industrielle Herstellung von Baytubes® gestellt und die Produktionskapazitäten auf die stetig wachsende Kundennachfrage ausgerichtet.
Neben den bereits in den Jahren 2006 und 2007 im badischen Laufenburg
in Betrieb genommenen Anlagen mit einer Jahreskapazität von 60 Tonnen
Baytubes® entsteht jetzt am Standort Leverkusen eine neue Produktionsstätte mit einer jährlichen Kapazität von 200 Tonnen. Weitere Kapazitätserweiterungen sind vorgesehen.“ (http://www.baytubes.com/downloads/bms_cnt_baytubes_de.pdf)
Diese Aussagen wurden heute vormittag von Herrn Wenning bestätigt und ergänzt, als er sagte „Wir sind in der Lage, im Industriemaßstab zu produzieren“. Er unterstrich dieses dadurch, dass er auf eine jährliche Steigerung von 25 % bis hin zum „Weltmarktführer in einigen Jahren“ verwies. Also eine genehmigungsrechtliche Salamitaktik?
Fürchtet die Firma Bayer, dass mit der im immissionsschutzrechtlichen Verfahren dann obligatorischen Umweltverträglichkeitsprüfung die Öffentlichkeit über die Gefahren und Risiken dieses neuen Produktes, das der liebe Gott beim Erschöpfen der Welt offenbar vergessen hat, informiert wird? Dass besorgte Bürger und Umweltverbände Einwendungen erheben und klagen? Dass es dann zu Verzögerungen beim Produktionsbeginn kommen kann?
Wenn Sie sich als die Verantwortlichen Bayer-Manager ihrer Sache so sicher wären, dass wirklich keine Risiken und Gefahren von dieser Anlage ausgehen werden: Warum stellen Sie sich nicht einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren mit öffentlicher Auslegung der Antragsunterlagen und einem öffentlichen Erörterungstermin?
Und was den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser neuen Anlage angeht: Warum wird allen Beteiligten nicht transparent gemacht, welchen Risiken sie täglich am Arbeitsplatz ausgesetzt sein könnten? Noch nicht einmal die Haut eines Menschen bietet Schutz vor Kontamination, die Partikel können die Blut-Hirnschranke überwinden und dringen selbst bis zur DNA vor und können diese verändern – mit weit reichenden Folgen sowohl für die Körperzellen als auch für die Keimzellen der Menschen.
Immerhin verweist die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auf insgesamt 8 Gesetze, die beim Umgang mit Nanomaterialien zu berücksichtigen sind, als da sind:
· das Arbeitsschutzgesetz,
· die Gefahrstoffverordnung,
· das Chemikaliengesetz,
· die Altstoffverordnung,
· die Biozid-Meldeverordnung,
· die EU Biozid-Richtlinie
· die EU Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und
· die EU Agenzienrichtlinie.
Sind die Verantwortlichen wirklich davon überzeugt, dass das alles im Baurecht abzuhandeln ist? Welcher Bauamtsleiter einer Kommune verfügt über solch ein spezielles Wissen?
Befürchten Sie nicht, dass Ihre Genehmigung nicht das Papier wert ist, auf dem sie steht, wenn das Verfahren auf den juristischen Prüfstand kommt?
Ist nicht Rechtssicherheit mehr wert als ein zweifelhaftes schnelles und geheimes Verfahren, um möglichst rasch die begehrten Röhrchen zu produzieren?
Bislang gibt es bei Freisetzungen von Nanomaterialien im Wasser-, Bodenschutz- und Abfallrecht noch keinerlei Regelungen. Wir halten deshalb den Umgang mit diesen Stoffen über den Labormaßstab hinaus für unverantwortlich, solange der Gesetzgeber mit drittschützenden Maßnahmen hinterherhinkt. Und sich dann noch einem „Schlichtverfahren“ zu unterwerfen, ist aus unserer Sicht verantwortungslos.
Profit auf Kosten des vorbeugenden Umweltschutzes – das darfs nicht sein, meine Damen und Herren.