BAYER und die Bauern-Frage
Am 12. Oktober fand in Düsseldorf die Jahrestagung der Coordination gegen Bayer-Gefahren statt. Zum Thema „BAYER und die Bauern-Frage – Profite, Proteste und Perspektiven“ referierten Aktive aus den verschiedenen Feldern der konzernkritischen Bewegung und regten damit lange Diskussionen an.
Von Max Meurer
Um 10 Uhr eröffnete das langjährige CBG-Mitglied Sibylle Arians die Jahrestagung. Sie übernahm die Moderation und führte in das Thema ein. Dabei bezog sie sich kenntnisreich auf die Ursprünge der Coordination, die als Bürgerinitiative in den 70er Jahren ihren Anfang nahm. Mittlerweile kann die CBG, wie Arians hervorhob, stolz darauf sein, dass der BAYER-Konzern der einzige Multi ist, über den es aus den sozialen Bewegungen heraus ein seit Jahrzehnten lückenlos geführtes Archiv gibt. Auch die jährlichen Aktivitäten kritischer AktionärInnen, die Präsenz auf Demonstrationen der Umweltbewegung und die breite Vernetzung der Coordination stellte die Moderatorin heraus und schloss mit dem Aufruf, sich an den zahlreichen Aktionsformen breit zu beteiligen – denn diese seien heute so wichtig wie eh und je.
Die Proteste
Den ersten Vortrag hielt dann Bernd Schmitz, seines Zeichens stellvertretender Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zum Thema „Essen ist politisch“. Die AbL entstand 1980 als Interessensvertretung vor allem kleiner und mittlerer Höfe, die sich im Programm des „Deutschen Bauernverbandes“ nicht repräsentiert sahen, da dieser vor allem die Interessen der industriellen Landwirtschaft und der Großbetriebe vertritt. Schmitz selbst führte, wie er berichtete, längere Zeit einen konventionell geführten Milchwirtschaftsbetrieb, bis er auf die Gentechnik im Futter für seine Kühe stieß. „Das war ein politisierender Moment“, so Schmitz, der von da ab begann, seinen Hof auf Bioproduktion umzustellen.
Er referierte im Folgenden allerdings vor allem über die Bauernproteste, die seit 2023 in ganz Europa auftraten. Die große Unzufriedenheit, so Schmitz, die die Bauern und BäuerInnen massenhaft auf die Straßen trieb, habe verschiedene Ursachen: Einerseits das – als Folge des Klimawandels – ausgesprochen schlechte Wetter für Ackerbau und Viehzucht, das die Erträge der Landwirtschaft stark beeinträchtigte, andererseits aber auch die Maßnahmen der Ampel-Koalition, die die Landwirtschaft mindestens genauso in Not brachten. So wurde eine neue Steuer auf landwirtschaftliche Kraftfahrzeuge eingeführt, die erst nach massiver Kritik kleinlaut wieder zurückgenommen wurde. Gleichzeitig wurden die vormaligen Steuervergünstigen für Agrardiesel einkassiert. Leidtragende dieser Maßnahmen waren vor allem die kleineren LandwirtInnen.
Ebenfalls zum Kontext gehöre die Spaltung im Deutschen Bauernverband, aus der „Land schafft Verbindung“ (LSV) entstand. Diese stünden mitunter auch für diejenigen LandwirtInnen, so Schmitz, die auf selbstorganisierte Protestkultur statt auf Absprachen mit der Industrie und der CDU/CSU setzten. So hatte LSV, im Gegensatz zum Bauernverband, auch von Beginn an zu den Protesten mobilisiert, bis selbiger versuchte, die Proteste des LSV durch den Aufruf zur zentralen Demo am 18.12. wieder einzufangen. Der LSV ist jedoch nicht unumstritten: Viele werfen ihm vor, Positionen und Mitgliedern der AfD sehr viel Platz einzuräumen. Schmitz berichtete darum auch über die Kontroversen rund um den Umgang mit dem LSV, dem er selbst eher kritisch gegenübersteht.
Blickt mensch auf die Lage der Bauern und BäuerInnen, so ist der Unmut sehr nachvollziehbar, denn auch in der Landwirtschaft greift die Zentralisation der Produktion um sich. Schmitz berichtet etwa, dass es 1995 noch 555.065 Höfe gegeben habe. Diese Zahl ist heute auf weniger als die Hälfte (262.776) gefallen, während die Fläche pro Betrieb stieg. Die Höfe sind also auf größtmögliche Produktivität angewiesen, wenn sie in der verschärften Konkurrenz untereinander als Zulieferer bestehen wollen. Auch die neue Agrarpolitik der EU spielt vor allem Großkonzernen in die Karten, während die Subventionen für die Landwirtschaft 2024 merklich niedriger waren als noch 2021. Lagen sie damals (von Seiten der Bundesrepublik) noch bei 3,2 Mrd. Euro, fielen sie 2024 auf 2,4 Mrd. Wozu die langfristige Entwicklung führt, erläuterte der Referent: Der Anteil der Wertschöpfungskette, den die Bauern und Bäuerinnen bekommen, sinkt, und immer mehr Investoren sichern sich Ackerland und treiben so die Preise hoch.
Auch für Schmitz selbst hatte das alles Folgen. Frustriert schilderte er seine Einkommenssituation. Vor Jahren habe er noch doppelt so viel für seine konventionell erzeugte Milch bekommen wie jetzt für seine Öko-Milch. Allein die Umstellung auf Bio-Produktion, so Schmitz, ist bereits immens teuer und erfordert nicht selten die Bereitschaft zu großen Gewinneinbußen, so dass sie für viele LandwirtInnen keine wirkliche Alternative darstellt. Für ihn war sie nach eigenen Aussagen nur möglich, weil er vorher lange Zeit konventionelle Landwirtschaft betrieben hatte. Die Selbstorganisation in Konzepten von Solidarischer Landwirtschaft, die Netzwerke zwischen ErzeugerInnen und VerbraucherInnen unter Ausschluss von ALDI & Co. aufbaut, hilft einigen LandwirtInnen über die Runden zu kommen, doch allzu verbreitet ist diese Alternative noch nicht, bedauerte Schmitz.
Aktivität entfalten
Nach einer musikalischen Einlage von Lars Ulla Krajewski stellte Marius Stelzmann, Geschäftsführer der Coordination, die CBG-Highlights des Jahres vor. Ein beeindruckender Videoclip dokumentierte hier die Aktionen bei BAYERs AktionärInnen-Versammlung. Es zeigte AktivistInnen aus unterschiedlichen Kontexten, die das Wort gegen die menschen- und umweltfeindliche, profitorientierte Praxis des Leverkusener Multis ergreifen. Mithilfe einer Signal-Gruppe und der besseren Bewerbung des Termins auf der Website soll die Beteiligung an den Protesten in Zukunft noch erhöht werden.
Im Anschluss war Tina Marie Jahn von INKOTA an der Reihe. Die Geografin widmete sich der Agrarökologie. Jahn, die an der TU Dresden forscht und Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ ist, arbeitete die Unterschiede zwischen der Agrarökologie und anderen Formen von Landwirtschaft heraus wie z. B. die Fokussierung auf Nachhaltigkeit und Biodiversität. Bei der Agrarökologie handelt es sich allerdings um mehr als nur eine neue Spielart der biologischen Landwirtschaft: Sie will ganzheitlich und unter Zusammenwirken aller Beteiligten Alternativen zur konventionellen Landwirtschaft vor allem in armen, weil ausgebeuteten Ländern anbieten. Dabei gehe es, so Jahn, nicht zuletzt um „Self-Empowerment der von Armut Betroffenen“. Die Agrarökologie versteht sich deshalb durchaus als eine soziale Bewegung, andererseits aber auch als eine wissenschaftliche Strömung, die auf interdisziplinäres Arbeiten setzt – und natürlich als landwirtschaftliche Praxis. Dabei profitiere sie der Geografin zufolge als „Bottom-up“-Ansatz vor allem vom lokalen Wissen der Bevölkerung, der geholfen werden soll, lokale Lösungen zu finden. Als Problem der Agrarökologie benannte Jahn die Gefahr eines „Greenwashings“ durch ein Kapern des Begriffs von Seiten der Industrie, ohne ihn wirklich mit Inhalt zu füllen.
Die BAYER-Propaganda
Besonders bemerkenswert waren im Referat die Entgegnungen auf Zitate von Matthias Berninger, seines Zeichens Leiter der Abteilung „Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit“ bei der BAYER AG, ein waschechter Greenwashing-Experte also. Berninger, der nach seinem Ausscheiden aus der parlamentarischen Arbeit für die Grünen konsequenterweise direkt zum Süßwaren-Hersteller MARS und von da zu BAYER wechselte, warnt bereits seit Jahren vor den angeblichen Gefahren der „Ideologie der Agrarökologie“. So verweist er beispielsweise auf Sri Lanka, wo „zuerst die Agrikultur, dann die Wirtschaft und schließlich die Regierung kollabiert“ sei. Grund dafür sei in erster Linie das Verbot von Pestiziden und Düngern gewesen. Für BAYER führte er ins Feld, dass die Heuschreckenplage in Ostafrika ohne Ackergifte nicht erfolgreich bekämpft hätte werden können.
Unter Verweis auf die Projekte, die INKOTA in zahlreichen afrikanischen Ländern begleitet, entlarvte Jahn die Aussagen des Agrochemie-Propagandisten als das, was sie letztlich sind: Lügen auf dem Rücken der unterdrückten Völker Afrikas und Südasiens. In Sri Lanka, so führte Jahn aus, hätte das Ziel niemals sein dürfen, die Landwirtschaft von heute auf morgen auf Bioökologie umzustellen. Dieser Prozesse nehme längere Zeit in Anspruch, ansonsten wäre ein solches Vorhaben zum Scheitern verurteilt.
Berninger ignoriert darüber hinaus die wirtschaftlich sehr angespannte Lage des in seiner Geschichte von Neokolonialismus, reaktionären Putschversuchen, Militärregimen und Umweltkatastrophen heimgesuchten Staats, der nun endlich unter Führung einer souveränen, linken Regierung eigene Entscheidungen trifft. Die Verbalattacken Berningers gegen Sri Lanka sind vor diesem Hintergrund ausgesprochen schwer nachvollziehbar und wirken eher wie ein Schuss ins eigene Bein.
Zum Schluss brachte Tina Marie Jahn das Anliegen der Agrarökologie noch einmal auf den Punkt. „Es geht darum, dass wir eine sozial gerechte Lösung finden, unser Ernährungssystem zu reformieren und dabei die BäuerInnen in den Mittelpunkt zu stellen.“ In der anschließenden Diskussion wurde nicht zuletzt der Einfluss zahlreicher, angeblich wohltätiger Stiftungen wie der „Bill and Melinda Gates Foundation“ problematisiert, die den Globalen Süden in Tateinheit mit BAYER & Co Top down auf das westliche agro-industrielle Modell einschwören wollen.
BAYER und die Bauernfrage
Bei dessen Etablierung hat BAYER eine bedeutende Rolle gespielt, wie Jan Pehrke von der CBG an dem Tag darlegte. Bereits 1892 formulierte der Konzern das Ziel, „der Landwirtschaft mit Forschungsergebnissen aus der Chemie zu helfen“. Das hinderte freilich das von seinem eigenen Altruismus begeisterte Unternehmen nicht daran, im Ersten Weltkrieg bereits auch an Kriegswaffen zu forschen, doch das nur am Rande. Bereits 1920 richtete es eine eigene Landwirtschaftsabteilung ein, 1924 eröffnete BAYER in Leverkusen das „Biologische Institut der Pflanzenschutz-Versuchsabteilung“.
Heute wie damals sucht der Konzern natürlich den direkten Draht zu den Politik-Strukturen. Constantin Heereman von Zuydtwyck war eben nicht nur ein führender CDU-Politiker, Präsident des Bauernverbands und sieben Jahre lang Abgeordneter im Bundestag, sondern auch Mitglied des Aufsichtsrats der BAYER AG. Er symbolisierte so die enge Verknüpfung von Monopol und Staat im Kapitalismus imperialistischen Stadiums und nahm die Aufgabe wahr, die Bauernverbandsmitglieder im Interesse der GroßlandwirtInnen und Großunternehmen stillzustellen. Und wenn es dann doch einmal gärte, fand Heereman – wie alle seine NachfolgerInnen auch – Mittel und Wege, die Empörung auf system-verträgliche Bahnen zu lenken.
Für Pehrke stellt BAYER die eine Seite des Agrosystems dar, die den LandwirtInnen das Leben zur Hölle macht. Mangels Konkurrenz kann der Global Player ihnen die Preise für Pestizide und Saatgut genauso aufzwingen, wie es auf der anderen Seite ALDI & Co. tun. Trotzdem geriert sich der Konzern als großer Freund der Bauern und Bäuerinnen. Zu den Bauernprotesten fiel Cropscience-Chef Rodrigo Santos sogar folgender mutiger Satz ein: „Landwirte wollen für ihren Beitrag zur Gesellschaft anerkannt werden. Wir alle können ihre Arbeit unterstützen, ob wir nun direkt mit ihnen zusammenarbeiten, Gesetze schreiben oder ihre Produkte konsumieren“. Das fällt dann in eine Reihe mit der Selbstdarstellung, der BAYER-Konzern sorge sich vor allem um die Ernährung der Weltbevölkerung. Dreist? Sicherlich. Ehrlich? Auf keinen Fall.
Der CBG-Vorstand zog eine negative Bilanz der Bauernproteste. Sie stellten das agro-industrielle Modell, das unter anderem BAYER symbolisiert, nicht in Frage. Dieses ist sogar durch die Schwächung der Umweltschutz-Auflagen auf nationaler und internationaler Ebene noch stabilisiert worden. „Auf die Politik ist also nicht zu hoffen“, resümierte er: „Es wird bei Gelegenheiten wie der nächsten ‚Wir haben Agro-Industrie satt‘-Demo in Berlin wieder viel Druck von Umweltverbänden, der bäuerlichen Landwirtschaft und von Verbraucherschutz-Organisationen erfordern, um doch noch etwas zu bewegen.
Wie geht’s weiter?
Zum Abschluss des Tages ergriff nochmal Marius Stelzmann das Wort und wies auf die schwierige Lage von Organisationen wie der CBG in den aktuellen Kriegs- und Krisenzeiten hin. Er stellte dabei heraus: „Damit wir weiterhin eine Antwort finden können auf die Konzernpolitik von BAYER, müssen wir uns auch finanziell absichern.“ Er bedankte sich dabei bei den jahrelangen SpenderInnen und bat auch weiterhin um die Unterstützung konzernkritischer Organisationen wie der CBG. Dafür brauche es aber neben Geld vor allem Aktive, die bereit sind, diesen Kampf mit der Organisation zu führen. „Wenn ihr Leute kennt, von denen ihr denkt, dass die an unserem Kampf Interesse haben könnten, sprecht sie an auf die CBG!“, appellierte er darum an die BesucherInnen. Denn das Ziel sei allein mit einer gelungenen Aktion oder einer gewonnenen Klage noch nicht erreicht. „Diese Konzerne müssen unter demokratische Kontrolle gestellt werden, und daran arbeiten wir mit langem Atem!“ hielt Stelzmann zum Abschluss fest. ⎜