BAYER bricht die Glyphosat-Vergleichsverhandlungen ab
Sechs Jahre währt die Causa „Glyphosat“ jetzt schon, und ein Ende ist nicht abzusehen. Ende Mai 2021 ließ BAYER die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der Geschädigten platzen. Der Konzern sah keine Chance mehr, den richterlichen Segen für sein Ansinnen zu bekommen, das Herbizid unbegrenzt weiter zu vermarkten, aber für weitere Gesundheitsschäden nur noch begrenzt zu haften.
Von Jan Pehrke
Das Urteil des zuständigen Richters Vince Chhabria über BAYERs Vergleichsvorschlag zur Regelung der Ansprüche von US-amerikanischen Glyphosat-Geschädigten ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Als „eindeutig unangemessen“ bezeichnete er den „settlement plan“. Damit erhielt der Leverkusener Multi für seine Vorstellungen zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten bereits zum zweiten Mal eine Abfuhr von Chhabria. Die Nachbesserungen, die der Konzern vorgenommen hatte – eine Erhöhung des Etats für zukünftige Klagen auf zwei Milliarden Dollar und ein nur noch beratend tätiges, nicht aber länger über die Berechtigung der Schadensersatz-Forderungen entscheidendes Wissenschaftsgremium – reichten ihm nicht aus. Vor allem stieß er sich an der auf vier Jahre begrenzten Laufzeit des Programms für Menschen, die neu am Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), eine Art von Lymphdrüsen-Krebs, erkranken. Angesichts der Fülle von Jahren, die zwischen einer Glyphosat-Exposition und dem NHL-Ausbruch liegen kann, sei das nicht genug, so der Jurist. Bei der Anhörung versetzte er sich in die Lage eines solchen Betroffenen, der erst lange nach dem Gebrauch des von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO hergestellten Herbizids Symptome herausbildet, und erklärte: „Es gibt keinen Grund für mich anzunehmen, dass dieser Vergleich für mich dann eine Entschädigung bereithielte.“
Zudem fiel es Chabria schwer zu beurteilen, ob der Fonds die Kranken mit den zwei Milliarden fair entschädigen würde, da der Agro-Riese keine Angaben über die Höhe der Zahlungen bei den bisher getroffenen außergerichtlichen Einigungen machte und überdies die Zahl der Anspruchsberechtigten nicht abzuschätzen sei. Darüber hinaus stieß er sich daran, dass der Vergleich zwar eine Ausstiegsklausel hat und den Rechtsweg für die Geschädigten offenhält, ihnen aber gleichwohl den Zugang zu Verfahren verbaut, an deren Ende die für das Unternehmen besonders kostspieligen „punitive damages“ lauern. Dies würde die Verhandlungsposition der KlägerInnen bei den Gesprächen über mögliche Vergleiche schwächen, befand der Richter. Überdies verstand er nicht, warum der Konzern sich so dagegen sperrt, auf den Glyphosat-Packungen eindeutiger vor den Risiken und Nebenwirkungen des Mittels zu warnen, wie es z. B. die Tabak-Firmen tun, um sich vor kostspieligen Prozessen zu wappnen. Und auch mit der nunmehr zurechtgestutzen Rolle des „science panels“ zeigte er sich noch nicht zufrieden. Er wusste nämlich nur allzu genau, was die BAYER-Tochter mit dieser Einrichtung im Schilde führt. „Der Grund dafür, warum MONSANTO so dringend ein science panel will, ist, dass das Unternehmen die ‚Schlacht der Experten’ in drei Verfahren verloren hat“, so Chhabria.
„Kurz gefasst, würde dieser von den AnwältInnen vorgeschlagene Vergleich MONSANTO viel nutzen“, resümierte er, während der Vorschlag für zukünftige Geschädigte des von BAYER unter dem Namen ROUNDUP vermarkteten Pestizids nicht viel Gutes bereithielte: „Für die ROUNDUP-Anwender, bei denen kein NHL diagnostiziert wurde, würde es weit weniger bringen – und nicht annähernd so viel, wie die Anwälte, die diesen Deal vorantreiben, behaupten.“
Hatte sich BAYER unmittelbar nach der Anhörung am 19. Mai 2021 noch optimistisch gezeigt, „die vom Gericht aufgeworfenen Punkte gemeinsam mit den Kläger-Anwälten lösen zu können“, so änderte sich das nun. Zu grundsätzlich erschienen dem Konzern Chhabrias Einwände in schriftlich vorliegender Form. „Leider lässt sein jüngster Beschluss keinen anderen Schluss zu, als dass das Gericht den Lösungsmechanismus nicht ohne weitere erhebliche Änderungen genehmigen wird. Diese Änderungen sind nicht im Interesse von BAYER“, konstatierte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann in einer Telefon-Konferenz für Investoren und Medien. Also erklärte der Agro-Riese die Vergleichsverhandlungen für beendet und legte gleich einen eigenen 5-Punkte-Plan zur Beilegung der Rechtsstreitigkeiten vor. „Jetzt ist es unter unserer Kontrolle“, bekundete Baumann.
Der BAYER-Plan
Das Programm sieht vor, auf den Packungen des Herbizids statt eines Warn-Labels einen Hinweis auf wissenschaftliche Studien zu Glyphosat anzubringen. Überdies stellt es die Zukunft des Mittels auf dem PrivatkundInnen-Markt zur Disposition, da aus diesem Kreis über 90 Prozent der KlägerInnen stammten und die Verluste von rund 300 Millionen Euro bei einem Gesamtumsatz mit dem Herbizid von rund 2,5 Milliarden Euro zu verschmerzen sind. Die 30.000 von rund 125.000 Klagen, die bisher noch nicht Teil einer Vergleichslösung sind, will der Konzern nach wie vor „gütlich beilegen“. Gleichwohl kündigte er eine härtere Gangart bei den Verhandlungen mit den AnwältInnen an: „Allerdings behält sich das Unternehmen vor, regelmäßig zu prüfen, ob dieser Ansatz noch im besten Interesse des Unternehmens ist.“ Zum Umgang mit den zukünftigen Klagen – dem eigentlich Knackpunkt – äußerte BAYER sich nur vage. „Das Unternehmen wird andere Lösungen für potenzielle künftige Klagen zu ROUND UP prüfen“, heißt es.
Bei denjenigen Klagen, die schon zu Gericht gingen und in Prozesse mündeten, beabsichtigt der Global Player hart zu bleiben. „Die Berufungsverfahren in den beiden Fällen Hardeman und Pilliod werden weiter betrieben“, hält er fest. Der Konzern hofft nämlich darauf, auf diesem Wege ein Grundsatz-Urteil des U.S. Supreme Courts zu seinen Gunsten erwirken zu können, das neue Glyphosat-Geschädigte davon abhält, den Rechtsweg zu bestreiten.
Dabei setzt der Leverkusener Multi vor allem auf die US-amerikanische Umweltbehörde EPA. Von Trump auf Linie gebracht, hält diese das Herbizid nämlich im Gegensatz zur Weltgesundheitsorganisation WHO nicht für „wahrscheinlich krebserregend“ und schritt ein, als der Staat Kalifornien die Produzenten zu entsprechenden Warn-Hinweisen verdonnern wollte. Die EPA diente sich bei der Causa „Hardeman“ sogar als Entlastungszeuge für BAYER an. Gemeinsam mit dem Justizministerium nutzte sie das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht, das es Unbeteiligten gestattet, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, erklärten die staatlichen Stellen ummissverständlich.
Wenn die Umweltbehörde der USA nichts an Glyphosat findet, dann darf es die Justiz des Landes auch nicht – dieser Argumentation will die Aktien-Gesellschaft endlich Geltung verschaffen. Sie steht nämlich nach wie vor in Treue fest zu ihrem Produkt. Es blicke auf eine lange, 40-jährige Geschichte der Bewertung durch Zulassungsbehörden zurück, die in den Gerichtssälen bislang keine Rolle gespielt habe, aber überall sonst in der Welt sehr präsent sei, so BAYERs oberster Prozess-Beauftragter Bill Dodero in der Investoren-Konferenz. „Dass ein Hersteller, der sich an die Wissenschaft hält und alle Vorschriften befolgt hat, haftbar gemacht wird“, findet er schlichtweg skandalös.
Zur Abwendung dieses Schicksals bedient das Unternehmen sich aller möglichen juristischen Winkelzüge. So gab es ein eigentliches schon gewonnenes Glyphosat-Verfahren im Nachhinein verloren und zahlte dem Prozess-Gegner 100.000 Dollar, um Berufung einzulegen und die juristische Auseinandersetzung so weiter durch die Instanzen bis hin zum Supreme Court treiben zu können. „Was den Obersten Gerichtshof betrifft, so ist er sicherlich ein wichtiger Teil des Plans“, spricht Dodero Klartext.
Mit diesem Vorstoß hat der Leverkusener Multi der unendlichen Glyphosat-Geschichte nun ein neues Kapitel zugefügt, von dem er denkt, dass es das letzte sei: „BAYER ist überzeugt dass dieser neue Fünf-Punkte-Plan aus rechtlichen und kommerziellen Maßnahmen ein guter Weg ist, um die Risiken durch mögliche künftige Rechtsstreitigkeiten zu ROUNDUP zu minimieren.“
Viel Kritik
Diese Einschätzung teilten die Kommenta-tor-Innen allerdings nicht. „Einen Ausdruck von Hilflosigkeit“ nannte die Rheinische Post den Fünf-Punkte-Plan. Für den Kölner Stadtanzeiger hielt er „mehr Fragen als Antworten“ bereit, während die Süddeutsche Zeitung ihn als einen „Affront gegen den Richter, aber auch gegen das gesamte US-Rechtssystem“ bezeichnete. Mit Verweis auf den nach der Vorstellung des neuen Ansatzes um zeitweilig 5,4 Prozent eingebrochenen Aktien-Kurs konstatierte das Münchner Blatt: „Was die Investoren davon halten, zeigten sie Baumann deutlich: nichts“. Der FAZ zufolge ist BAYER nun „zurück auf Los“ und „weit entfernt davon, einen Schlussstrich unter den seit Jahren andauernden Rechtsstreit in Amerika zu ziehen“. Die Börsen-Zeitung diagnostizierte derweil einen „Kontrollverlust“ und sah eine zweite Klagewelle auf den Konzern zukommen. Auch beschworen nicht wenige BeobachterInnen die Gefahr der Aufspaltung herauf, da Hedge Fonds den verminderten Börsen-Wert als Chance nutzen könnten, um zuzuschlagen.
Viele Publikationen stellten deshalb die Position Werner Baumanns als Vorstandsvorsitzender in Frage. Business Insider präsentierte mit Heiko Schipper, der beim Unternehmen momentan der „Consumer Health“-Sparte vorsteht, sogar schon einen Nachfolger. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert ebenfalls Baumanns Rücktritt. Ihre Vorschläge zur Lösung der gegenwärtigen Probleme des Konzerns gehen jedoch weit über diese Personalie hinaus. „Glyphosat muss endlich vom Markt. Die Opfer müssen schnellstens entschädigt werden! Die Verantwortlichen müssen endlich vor Gericht gestellt und zur Verantwortung gezogen werden ( …) Der Konzern muss endlich unter demokratische Kontrolle gestellt werden“, hieß es in ihrer Presseerklärung.