Nachhaltig unnachhaltig
BAYERs Umweltbilanz
Nachhaltigkeit, so weit das Auge reicht – dieses Selbstporträt zeichnete der Leverkusener Multi bei der Vorstellung seiner neuesten Umweltbilanz. Ein Blick in das Kleingedruckte ergibt jedoch ein ganz anderes Bild: Für Kohlendioxid und fast alle anderen schädlichen Stoffe steigen die Emissionswerte an.
Von Jan Pehrke
Schon bei der Vorstellung erhielt der neueste Nachhaltigkeitsbericht des Leverkusener Multis Absolution von höchster Stelle. Ein Vertreter der Vereinten Nationen präsentierte ihn nämlich gemeinsam mit BAYERs Forschungsvorstand Wolfgang Plischke – der bislang größte Erfolg der PR-Strategie des Konzerns, durch Kooperationen mit der UN etwas von der Nobilität der Organisation auf die eigenen profanen Geschäfte abstrahlen zu lassen. Und Wolfgang Engshuber von der „UN-Initiative für nachhaltiges Investment“ zeigte sich dann auch sehr beeindruckt von dem Werk: „Da stehen ja ungeheuer viel Informationen drin!“. Zeit, sie zu bewerten, hatte er aber offensichtlich nicht, sonst wäre sein Urteil kaum so positiv ausgefallen.
Alles öko oder was?
Damit hatte er den anwesenden ReporterInnen aber wenigstens voraus, den Report gelesen zu haben. Die JournalistInnen gaben sich gleich damit zufrieden, wiederzugeben, was Plischke ihnen in den Schreibblock diktierte. „Ein noch ambitionierteres Klimaziel“ habe sich das Unternehmen gesetzt, verkündete etwa die Faz. Als „signifikante Entkoppelung der Produktionsmenge vom Treibhausgas-Ausstoß“ lobte sie das Vorhaben, die Kohlendioxid-Emissionen pro Tonne Verkaufsprodukt gegenüber 2005 um 35 Prozent senken zu wollen. Dass dieser schönen neuen Relativitätstheorie eine häßliche absolute Zahl gegenüberstand – BAYERs CO2-Produktion stieg 2010 um fünf Prozent auf 8,5 Millionen Tonnen – , fand die Zeitung nicht weiter bedenklich. Und der Rheinischen Post zufolge hatte sich „der Chemie-Riese Nachhaltigkeit ganz groß auf die Fahnen geschrieben“. Sie übernahm nämlich unreflektiert den erweiterten Nachhaltigkeitsbegriff Wolfgang Plischkes, der darunter auch die Pillen-Fertigung bzw. „die Gesundheitsversorgung“ und die Pestizid-Produktion bzw. „die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung“ subsummiert – also fast die gesamte Produkt-Palette des Unternehmens.
Im Nachhaltigkeitsbericht selber geht BAYER ebenfalls nach der Methode vor, die harten Fakten hinter Begriffsnebel zu verstecken. So finden sich darin weitschweifige Artikel über alles und jedes, aber die Tabellen mit der wirklichen Umweltbilanz hat der Multi im neuen Report aus den Texten genommen und an den unteren Rand der Seiten verbannt. Wer das Kleingedruckte trotzdem aufmerksam studiert, der verliert rasch den Glauben an einen grünen Global Player im Allgemeinen und ein „verstärktes Klima-Engagement“ im Besonderen. Da mochte Wolfgang Plischke bei der Präsentation der Umweltbilanz noch sehr frohlocken: „Den größten Hebel zur Treibgas-Reduktion sehen wir bei der Energie-Effizienz in unseren Produktionsanlagen“ und von einer Senkung der produkt-spezifischen Emissionen schwärmen, unterm Strich bleibt für 2010 nur eine Steigerung des Kohlendioxid-Ausstoßes um 400.000 Tonnen auf 8,5 Millionen Tonnen übrig. Und der Global Player denkt auch gar nicht an einen Abbau. Im Gegenteil: Von einem Vertreter der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf der Hauptversammlung im April 2011 nach der zukünftigen Klimapolitik gefragt, kündigte BAYER-Chef Marijn Dekkers sogar eine Steigerung an. Im vorletzten Nachhaltigkeitsbericht ist diese noch genau beziffert: 9,3 Millionen Tonnen CO2 stellt BAYER bis 2020 in Aussicht. Im neuen Nachhaltigkeitsbericht findet sich diese düstere Prognose nicht mehr – der Konzern hat das Feld unter der Rubrik „Ziel 2020“ lieber frei gelassen.
Gift-Hotspot Vapi
Auch von den anderen, z. T. ebenfalls klimaschädigenden, aber vor allem die Ozonschicht zerstörenden Stoffen – unter dem Begriff ODS (ozon depleting substances) zusammengefasst – gelangt eine größere Menge in die Luft als im Vorjahr. Um 19 Prozent auf 20,8 Tonnen erhöhte sich der betreffende Wert. Und bei den besonders gefährlichen flüchtigen organischen Substanzen, den so genannten VOCs, gibt es ebenfalls keine Entwarnung. Mit 2.540 Tonnen im Jahr verzeichnete der Agro-Riese lediglich einen Rückgang von 50 Tonnen. Dafür macht der Pharma-Riese vor allem ein Werk verantwortlich. „Mehr als 70 Prozent dieser VOC-Konzern-Emissionen werden am BAYER CROPSCIENCE-Standort Vapi (Indien) emittiert“, konstatiert der Bericht. Auf einen solchen Anteil kommt die Fertigungsstätte auch bei den ODS. Der Leverkusener Multi befindet sich damit in guter Gesellschaft. Das US-amerikanische Blacksmith Institute hat die Industrie-Zone um Vapi mit ihren 1.500 Fabriken und 71.000 AnwohnerInnen lange zu den meistverseuchtesten Regionen der Erde gezählt, erst in jüngster Zeit verschwand sie dank einiger Umweltschutz-Projekte von der Liste. Indien selber setzte Vapi allerdings noch im letzten Jahr auf Platz 2 der meistverschmutztesten Gebiete im Land – hinter Ankleshwar, wo der Global Player ebenfalls eine gemeingefährliche Produktion betreibt (siehe Ticker 4/11). Seit Jahren verspricht er in seinen Nachhaltigkeitsberichten nun schon Besserung, passiert ist jedoch in Vapi bislang nichts. Jetzt kündigt das Unternehmen an, bis 2015 „Verfahrensoptimierungen und zusätzliche technische Maßnahmen in der Abluft-Reinigung“ durchzuführen. So lange müssen die Menschen also mindestens noch mit der Dreckschleuder made by BAYER leben.
Aber nicht nur mit Klima-Killern belastet der Konzern die Atmosphäre. Auch gesundheitsgefährdende Substanzen wie Kohlenmonoxid, Schwefeloxide, Stickoxide und Feinstäube blasen seine Schornsteine in die Luft. Die Mengen bleiben dabei konstant oder wachsen sogar, lediglich der Schwefeloxid-Wert ging 2010 geringfügig von 2.800 auf 2.700 Tonnen pro Jahr zurück.
Wasser in Not
Mit den anderen Elementen geht der Multi nicht pfleglicher um. Sein Durst nach sauberem Wasser nimmt ebenso zu wie sein dringendes Bedürfnis, Schadstoffe in die Flüsse zu entsorgen. Um 16,5 Prozent auf 474 Millionen Kubikmeter stieg sein Flüssigkeitsbedarf im Berichtszeitraum, und der Output ließ ebenfalls nicht zu wünschen übrig. 1.420 Tonnen organisch gebundenen Kohlenstoff (TOC) leitete der Pharma-Riese 2010 in die Gewässer ein – 70 Tonnen mehr als 2009. Anorganische Salze legten von 726.000 Tonnen auf 866.000 Tonnen zu und Schwermetalle von 9 auf 11,4 Tonnen. BAYER macht dafür nicht nur die Ausweitung der Produktion verantwortlich, im Falle des TOCs und der Schwermetalle führt er den Anstieg auch auf Abriss-Maßnahmen zurück, was zeigt, welche Umweltbelastung vom Rückbau ausgehen kann. Darum ist hier in nächster Zeit auch keine Entlastung zu erwarten. Aktuell stellt das Unternehmen nämlich die Chlor-Fabrikation in Krefeld auf quecksilber-freie Verfahren um. Der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers versicherte der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auf der letzten Hauptversammlung zwar, der Konzern würde beim Umbau mit aller nötigen Sorgfalt vorgehen, aber trotzdem dürften die Arbeiten zu erhöhten Quecksilber-Werten führen. Diese werden allerdings nicht im nächsten Nachhaltigkeitsreport auftauchen. Der Gen-Gigant führt sie seit einigen Jahren nicht mehr gesondert auf und versteckt sie stattdessen unter den Zahlen für Schwermetalle.
Eine positive Entwicklung verzeichnet er allein bei Phosphor und Stickstoff. Die betreffenden Werte gingen von 740 auf 90 Tonnen bzw. von 640 auf 490 Tonnen zurück. Aber einer nachhaltigeren Produktion ist das nur zu einem geringeren Teil zu verdanken. Für die schmeichelhaftere Phosphor-Zahl sorgte neben einer optimierten Kunststoff-Herstellung am Standort Baytown eine schnöde Betriebsschließung in Berkeley, und die Stickstoff-Reduktion gelang lediglich durch den außerplanmäßigen 6-monatigen Stillstand der Insektizid-Fertigung am Standort Institute.
Das Abfall-Volumen sank hingegen von 918.000 auf 809.000 Tonnen, wobei der Multi allerdings nur den selbst erzeugten Müll dokumentiert und nicht den im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit für andere Unternehmen entsorgten. Der Anteil gefährlicher Reststoffe an der Gesamtmenge schmolz ebenfalls von 375.000 auf 354.000 Tonnen ab. Das ist aber nicht etwa das Resultat einer umfassenderen Kreislauf-Wirtschaft, denn BAYER produzierte mehr gesundheitsgefährdende Rückstände als 2009. Warum der Giftmüll-Berg trotzdem schrumpfte, erläutert der Nachhaltigkeitsbericht: „Weniger Abriss- und abgeschlossene Sanierungsarbeiten führten 2010 zu einer stark reduzierten Menge gefährlichen Bauschutts, was sich in der Reduktion der Erzeugung gefährlichen Abfalls zeigt.“
Menschen in Not
„Umweltereignisse“ gab es 2010 sechs, zwei weniger als 2009, wohingegen die Transport-Unfälle von fünf auf sieben zunahmen. Ein Mensch kam dabei ums Leben. Wie vielen Belegschaftsangehörigen bereits der Normalbetrieb die Gesundheit kostet, das hingegen vermeldet der Konzern schon lange nicht mehr in seinen Nachhaltigkeitsberichten. Die letzten Angaben zu den von der Berufsgenossenschaft anerkannten Berufskrankheiten – da BAYER & Co. bei den Berufsgenossenschaften mehr als nur ein Wörtchen mitreden, gibt es auch viele nicht anerkannte – stammen aus dem Jahr 2000. Damals waren es 130 Erkrankungen, die meisten von Asbest oder Lärm ausgelöst. Die CBG kritisierte diese Geheimniskrämerei auf der letzten Hauptversammlung und fragte nach den aktuellen Zahlen. Dreizehn Fälle nannte BAYER-Chef Marijn Dekkers, eine solche wundersame Abnahme erscheint jedoch reichlich unglaubhaft.
Aber eine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt geht nicht nur von der Produktion des Chemie-Multis aus, sondern auch von den Produkten, die er herstellt. „Produktsicherheit wird großgeschrieben“ – diese Beteuerung des Nachhaltigkeitsberichts verweist die Realität ins Reich der Legenden. Zahlreiche BAYER-Fabrikationen fügen Personen Schaden zu und beschäftigen deshalb die Gerichte und Aufsichtsbehörden. Die Antibaby-Pillen aus der YASMIN-Familie lösen Thrombo-Embolien aus und brachten allein in den USA bereits mehr als 190 Frauen den Tod. Nicht zugelassener Genreis tauchte unvermittelt in Supermarkt-Packungen auf, und die daraufhin erlassenen Import-Verbote für Reis aus den USA bedrohten die Existenz zahlreicher FarmerInnen. Die in Verpackungsmaterialien Verwendung findende Industrie-Chemikalie Bisphenol A (BPA) steht in dringendem Tatverdacht, Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen zu verursachen, weshalb die EU 2011 ihren Gebrauch in Baby-Flaschen verbot. Und die Pestizide des Agro-Riesen fordern immer wieder Vergiftungsopfer.
Den Konzern jedoch ficht das alles nicht an. Ein „verantwortungsvoller Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“ sei herrschende Praxis, bekundet der Nachhaltigkeitsreport. Und auf Bisphenol A lässt er ebenfalls nichts kommen: „Im Einklang mit zahl- und umfangreichen wissenschaftlich validen Studien sind wir weiterhin der Überzeugung, dass die Sicherheit von BPA in den bestehenden Anwendungsgebieten gegeben ist.“ Und die sieht der Bericht auch im Fall von LIBERTYLINK-Reis und YASMIN & Co. als gegeben an.
Nicht nur wegen dieser Beratungsresistenz fällt das Fazit nach der Lektüre des Nachhaltigkeitsberichtes ernüchternd aus. Aller Bekenntnisse à la „Nachhaltigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Unternehmensstrategie“ zum Trotz deuten fast alle Indikatoren in eine andere Richtung. Die Umweltbilanz des Leverkusener Multis weist noch schlechtere Zahlen aus als ihr Vorgänger und ist noch lange nicht im grünen Bereich.