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Ciprobay

Süddeutsche Zeitung, 11. September 2002

Kurze Karriere einer Wunderpille

In vielen Häusern Amerikas ist gegenwärtig wofür man in der Zentrale des Bayer-Konzerns in Leverkusen nur das Wort „Vergangenheit“ findet. Verklebte Briefschlitze an den Haustüren bezeugen, dass die Menschen dahinter noch immer mit der Angst vor unwillkommener Post leben. Folgen des Milzbrandterrors im vergangenen Oktober – keine vier Wochen nach den Anschlägen vom 11. September: Fünf Menschen in Florida, Washington und New York starben, weil sie mit verseuchten Briefen in Berührung gekommen waren. 13 konnten die Krankheit bezwingen. Viele befürchteten einen „Bio-Krieg“.

Beim Leverkusener Pharmariesen kurbelte diese Angst den Umsatz eines Medikamentes kräftig an: Sein Name ist Ciprobay. Mehr als 18.000 Mal täglich wurde es verschrieben, nachdem eine NBC- Mitarbeiterin als erste an Milzbrand erkrankt war – doppelt so häufig wie vor dem Anschlag.

Um den Lungenmilzbrand zu bekämpfen, lieferte Bayer binnen drei Monaten den Rohstoff für mehr als 200 Millionen Tabletten in die USA. „Die Produktionen liefen rund um die Uhr. Sieben Tage die Woche“, lässt sich im Bayer-Geschäftsbericht 2001 nachlesen. Bekennende Cipro-Schlucker wie der damalige New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani verhalfen den Leverkusenern zu einer Gratis-Kampagne. Bürger horteten die Pillen daheim, um für alles gewappnet zu sein. „Das wird dort wie eine Art Wunderpille gehandelt“, jubelte ein Bayer-Manager.

Das Milzbrand-Mittel aber hat dem Konzern nicht nur Positiv-
Schlagzeilen gebracht: Den Amerikanern war das Antibiotikum zu teuer. Der plötzliche Nachfrage-Boom nach Ciprobay, das in den USA noch bis Ende 2003 patentrechtlich geschützt ist, hat daher eine heftige Diskussion über Pharma-Patente in Gang gesetzt. Um den Patentschutz zu halten, musste Bayer beim Preis einlenken. Statt der sonst üblichen 1,77 Dollar pro Pille zahlte das US-Gesundheitsministerium zunächst nur 95 Cent und später sogar lediglich 75 Cent für die 500 mg Tablette. Dem Endkunden hingegen, der sich über die Apotheke prophylaktisch mit Cipro-Pillen eindecken wollte, knüpfte Bayer fünf bis sieben Dollar pro Stück ab.

Den Amerikanern gefiel die strikte Haltung des Bayer-Konzerns in Zeiten des Terrors nicht: Prompt nahm das US-Verbrauchermagazin Multinational Monitor den Leverkusener Konzern in die Liste der „zehn übelsten Unternehmen des Jahres 2001“ auf. Darin tauchen Unternehmen auf, „die Verbraucher betrügen, die Umwelt verseuchen und Arbeitsrechte missachten“, teilte die Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) mit.

Angesichts solcher Vorwürfe verwundert es nicht, dass man in Leverkusen nur noch ungern über das Thema spricht. Die Phase der Überstunden im Wuppertaler Werk sei längst vorbei. Ciprobay werde wieder in gewohnter Menge produziert, heißt es nur. Trotz des Ärgers ums Patent hat Bayer von der kurzen Karriere seiner Super-Pille profitiert: Immerhin zwei Milliarden Euro hat das Antibiotikum dem Unternehmen nach eigenen Angaben im Geschäftsjahr 2001 eingebracht, ein Plus von zehn Prozent. Dazu wird es im laufenden Jahr wohl nicht kommen: Ciprobay ist zwar noch immer umsatzstärkstes Medikament aus der Bayer-Apotheke. Doch bei 775 Millionen Euro Einnahmen in den ersten sechs Monaten 2002 ist die Vorjahresmarke kaum noch zu knacken.