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[jW] junge Welt

junge Welt, 16. September 2015

Für dumm verkauft

Pharmariese Bayer macht im Internet mit massenhaft gefälschten Postings Schleichwerbung für Risikoprodukte. Rüge aus Österreich

Für ihren in der Vorwoche veröffentlichten »Innovationsreport 2015« hat die Techniker Krankenkasse (TK) 20 im Jahr 2012 neu auf den Markt gekommene Medikamente auf ihre Wirksamkeit untersucht. Ergebnis: Nur ein einziges hat einen »Mehrwert« für Patienten. Bei sieben zeigte die Ampel Gelb, zwölfmal sogar Rot. Da ist zum Beispiel der Wirkstoff Aclidiniumbromid, der in diversen Präparaten verschiedener Anbieter enthalten ist und Linderung bei einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) verspricht. Von ihm heißt es im TK-Gutachten, es sei »kein Zusatznutzen« belegt, vielmehr gebe es andere und in den meisten Fällen deutlich kostengünstigere Vergleichstherapien. Trotzdem schaffte es das Arzneimittel in die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften und wird seitdem besonders eifrig verschrieben.

Auch die Bayer AG versteht sich aufs Produzieren von Sachen, die die Welt nicht braucht. Die Hormonspirale »Mirena« bewirbt der deutsche Pharmariese als preiswerte Alternative zur Verhütung mit der Pille. Wer das glaubt, muss das mitunter teuer bezahlen. So kann es beim Gebrauch zu Verletzungen der Gebärmutter kommen, dazu sollen viele Frauen über Schmerzen, azyklische Schmierblutungen, Gewichtszunahme und Libidoverlust klagen.

Im Beipackzettel erstreckt sich allein die Auflistung derartiger Effekte und Gegenanzeigen über zwei A4-Seiten. Die »Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft« hat schon vor vielen Jahren den Daumen über »Mirena« gesenkt und unter anderem vor einem möglichen Brustkrebsrisiko gewarnt.

Richtig herumgesprochen hat sich das bisher nicht. Seit Vertriebsstart 1997 wurde die Spirale weltweit millionenfach verkauft. Allein im Jahr 2013 setzte Bayer HealthCare damit über 700 Millionen Euro um, mehr als mit Aspirin. Damit das Geschäft weiter so brummt, lassen sich PR-Profis einiges einfallen – etwa Sätze wie diesen: »Also ich hab mir vor einem Jahr die Hormonspirale Mirena einsetzen lassen, und ich muss sagen, dass ich sehr zufrieden damit bin. Hatte am Anfang Angst vor dem Einsetzen, doch das war halb so schlimm.« Was die Adressaten nicht wissen sollen: Dieses sogenannte Posting im Internet stammt nicht von einer Betroffenen, sondern von kreativen Köpfen der Wiener Medienagentur »Modern Mind Marketing« (mhoch3).

Im Laufe seiner jahrelangen Zusammenarbeit mit Bayer hat das Unternehmen Hunderttausende solcher Kommentare in den »sozialen Medien« plaziert. Der österreichische »PR-Ethik-Rat« hat deshalb am vergangenen Donnerstag eine »öffentliche Rüge« gegen mhoch3 und sechs ihrer Kunden »wegen planmäßiger Täuschung von Userinnen und Usern in großem Stil« ausgesprochen. Mit am Pranger stehen neben zwei weiteren Privatkonzernen und der Bank Austria, der Wiener Verband der Österreichischen Volkspartei ÖVP sowie mit der ÖBB Postbus und den Österreichischen Lotterien sogar zwei Unternehmen in Staatshand.

Für sie alle habe mhoch3 eine Vielzahl an Postings in verschiedenen Onlinemedien und -foren veröffentlicht, »mit dem Ziel, die laufende Diskussion über bzw. das Image von Unternehmen oder Themen« zu beeinflussen, schreibt der Ethik-Rat in seiner Stellungnahme. Die Macher hätten »unzählige falsche Identitäten« ohne Auftraggeber- und Absendertransparenz geschaffen und arglose Leser systematisch hinters Licht geführt.

Nach Angaben der Konzernkritiker von der »Coordination gegen Bayer-Gefahren« (CBG) erschienen die gefakten Kommentare unter anderem bei Facebook, Youtube und Spiegel.de, selbst Einträge in der Online-Enzyklopädie Wikipedia seien frisiert worden. Im Zusammenhang mit der Mirena-Spirale sei es insbesondere darum gegangen, »Berichte über unerwünschte Reaktionen zu entkräften«.
Die CBG wusste schon länger von den Machenschaften und hatte Ende 2014 Strafanzeige eingereicht. Tatsächlich ist Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente rechtswidrig. Gleichwohl hat die Kölner Staatsanwaltschaft das Verfahren unlängst eingestellt, ohne eigene Ermittlungen und mit einer reichlich absurden Begründung: Zwar verbiete es das Heilmittelwerbegesetz, »eine aus fachkundigen Kreisen vorgegebene objektive Informationsvermittlung vorzutäuschen«. Im fraglichen Fall handele es sich aber nicht um Experten, sondern um Laien – wenn auch fingierte –, weswegen das Gesetz nicht greife. So kann man Menschen auch für dumm verkaufen.

Laut CGB gehen inzwischen rund zehn Prozent des Marketingbudgets großer Unternehmen in die neuen Medien, um auf diesem Wege das Verhalten der Konsumenten in Echtzeit zu erfassen und personalisierte Werbung zu ermöglichen. Angesichts der vielen Social-Media-Agenturen müsse davon ausgegangen werden, dass die Mehrzahl der durch Postings vorgenommenen Bewertungen gefälscht sei. Bayer betreibe mittlerweile als »Informationsangebote« getarnte Webseiten wie Testosteron.de, um damit das Werbeverbot für Medikamente zu umgehen.

Man dürfe nicht zulassen, dass Pharmahersteller die öffentliche Diskussion über risikoreiche Präparate manipulieren, erklärte CGB-Geschäftsführer Philipp Mimkes in einer Pressemitteilung und verlangte »schärfere Regulierungen«. Gesetzgeber und Gerichte müssen die systematische Unterwanderung sozialer Netzwerke dringend stoppen. Die Staatsanwaltschaft Köln hängt die Angelegenheit nicht so hoch. Ende August gab sie den Fall zwecks »Prüfung etwaiger Ordnungswidrigkeiten« an das Ordnungsamt Leverkusen weiter. Von Ralf Wurzbacher