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Politische Ökologie

Dezember 2003: Politische Ökologie, Nummer 86: Neue Chemie

Zum Beispiel Bayer: Die Chemische Industrie in den Ländern des Südens

Von Philipp Mimkes, Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts unterhält die Bayer AG Niederlassungen in Ländern des Südens. So ist das Unternehmen seit 1896 in Brasilien vertreten und beschäftigt dort heute über 2.000 Personen. Weitere große Werke in Lateinamerika gibt es in Mexiko, Argentinien und Kolumbien. Die Produktion in Peru hingegen wurde gegen großen Widerstand der Belegschaft geschlossen.

Besondere Hoffnungen setzt Bayer in den wachsenden asiatischen Markt – insbesondere China, wo das Unternehmen ebenfalls seit über 100 Jahren präsent ist. In Shanghai baut Bayer für drei Milliarden Euro eine neue Kunststoffproduktion auf, bereits jetzt macht der Konzern in China einen Umsatz von über einer Milliarde Euro jährlich. Weitere wichtige Werke finden sich in Korea, China, Thailand und Indien, kleinere Produktionsstätten auf den Philippinen und in Indonesien.

Zwar gibt es praktisch in jedem Land der Welt eine Niederlassung des Konzerns. Große Werke besitzt Bayer jedoch nur in Industriestaaten und in ökonomisch interessanten Schwellenländern – so ist das Geschäft in Afrika fast vollständig auf Südafrika konzentriert. Der Rest von Afrika, die arabischen Länder und große Teile Asiens spielen praktisch keine Rolle.

Standortverlagerungen
Zwar droht die Chemieindustrie – wie die meisten Wirtschaftszweige – wegen angeblich in Europa zu hoher Steuerlast und zu strenger Umweltauflagen häufig mit Standortverlagerungen. In der Realität werden große Investitionen jedoch fast ausschließlich in Hinblick auf die Erschließung und Sicherung von Absatzmärkten getätigt; darüber hinaus spielen allenfalls die Arbeitskosten bei der Standort-Suche eine Rolle. Der allergrößte Teil der Investitionen der chemischen Industrie fließt trotzdem in EU-Staaten, die USA und nach Japan, also in Länder mit hohem Lohnniveau. In Lateinamerika werden die Kapazitäten wegen der anhaltenden Wirtschaftsprobleme seit längerem nicht wesentlich erhöht. In Osteuropa wurden nur kleinere Werke gebaut. Einzig in Ost- und Südostasien wurden wegen des starken Wachstums in China sowie des (zwischenzeitlich unterbrochenen) Booms in den Tigerstaaten größere Investitionen getätigt.

Um Lohnsteigerungen entgegenzutreten, versucht die Firmenleitung trotzdem, die Belegschaften untereinander auszuspielen: während die deutschen Mitarbeiter zu hören bekommen, dass ihre Kollegen in Südamerika billiger produzieren, werden den brasilianischen Angestellten die niedrigen Löhne in Asien vorgehalten. Einzelne Produktionseinheiten werden denn auch häufig verlagert, zusammengefasst oder verkauft. So wurde 1998 die risikoreiche Chromatproduktion in Leverkusen sowie in Brasilien geschlossen und in Südafrika, wo das Unternehmen eigene Chromatminen unterhält, wieder aufgebaut – nur fünf Jahre nach Schließung der Bayer-Tochter Chrome Chemicals, in der es wegen mangelnder Sicherheitsstandards zu einer hohen Zahl von Krebserkrankungen und Todesfällen gekommen war.

Verkauf gefährlicher Stoffe
Zwar stellen Störfälle und Emissionen in Luft und Wasser nach wie vor eine Bedrohung für Umwelt und Gesundheit dar. Ein höheres Risikopotenzial geht heute aber von legal verkauften Produkten aus: leberschädigende Flammschutzmittel, krebserregende Weichmacher, pestizidbelastete Lebensmittel, hormonaktive Kunststoffe, etc. Für die Länder des Südens kommt, hauptsächlich durch Pestizide, die Gefahr akuter Vergiftungen hinzu.

Bayer ist der zweitgrößte Pestizidhersteller und somit für einen großen Teil der weltweit 3-5 Millionen Pestizidvergiftungen verantwortlich. Im Bereich der hochgefährlichen Insektizide, mit denen sich jährlich zehntausende Landarbeiter tödlich vergiften, ist der Leverkusener Konzern die Nummer eins. 1996 versprach das Unternehmen, innerhalb von fünf Jahren alle Pestizide der Gefahrenklasse I („extrem gefährlich“) vom Markt zu nehmen – bis heute wurde diese Ankündigung jedoch nicht umgesetzt.

Immer wieder kommt es zu schrecklichen Vergiftungsfällen. So starben in dem peruanischen Andendorf Tauccamarca vor drei Jahren 24 Kinder an einer Vergiftung mit dem Bayer-Pestizid Folidol. Der Wirkstoff war ohne Gefahrenhinweise in den Handel gekommen und durch ein Versehen in die Schulmilch der Kinder geraten.

Ein weiteres Problem stellen die rund 500.000 Tonnen Altpestizide und unbrauchbare Chemikalien dar, die in meist ungesicherten Lagern in Ländern der „Dritten Welt“ verrotten und die Gesundheit der Bevölkerung akut bedrohen. Oftmals wurden die Giftstoffe am Bedarf vorbei als „Entwicklungshilfe“ geliefert, zum Teil sollten durch den Export nur teure Entsorgungsgebühren gespart werden. Die Chemieindustrie hat in Einzelfällen eine nachträgliche Entsorgung durchgeführt – die große Masse dieser Altgifte ist jedoch bislang nicht einmal inventarisiert.

Handel mit Krisengebieten
Gänzlich skrupellos zeigt sich Bayer bei der Rohstoffbeschaffung. So war die Bayer-Tochter H.C. Starck jahrelang größter Abnehmer des Minerals Coltan aus dem Bürgerkriegsgebiet im Osten des Kongo. Allein die Rebellenarmee RCD nahm nach eigenen Angaben mit dem Export mehr als 1 Million US$ monatlich ein, mit den Erlösen wurden Waffen gekauft und Soldaten rekrutiert. Das Worldwatch Institute schätzt, dass Ruanda allein im vergangenen Jahr durch die Coltanausbeute im Ostkongo 250 Millionen Dollar eingenommen hat – viel Geld in einer Region, in der eine Kalaschnikow für 30 Dollar erhältlich ist.
Die UNO hat Starck und anderen Firmen vorgeworfen, den mörderischen Krieg, dem bislang rund drei Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, durch diese Geschäfte am Laufen zu halten. Ende September kündigte der Internationale Gerichtshof in Den Haag Ermittlungen gegen Firmen an, die den Krieg befördert haben. H.C. Starck hatte die Importe lange abgestritten und erst nach Recherchen der Vereinten Nationen sowie von Journalisten eingeräumt.

Kinderarbeit bei Zulieferern
Die Sicherheitsstandards in den Chemiewerken in Ländern des Südens sind häufig niedriger als in Europa. Weit schlimmer – und vollkommen unkontrolliert – ist jedoch die Situation bei Zulieferern der Konzerne. Dort werden selbst niedrigste Arbeits- und Umweltschutzstandards nicht eingehalten und in großer Zahl Kinder eingesetzt. Auf die Bedingungen bei ihren Zulieferern angesprochen, bezeichnen sich die Konzerne als „nicht zuständig“.

Eine im August veröffentlichte Studie des indischen Instituts Glocal Research and Consultancy Services wies beispielsweise nach, dass bei Zulieferern internationaler Agrokonzerne wie Monsanto, Bayer und Syngenta Zehntausende Kinder eingesetzt werden. Die Unternehmen lassen Baumwoll-Saatgut von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben herstellen. Die Zulieferer arbeiten zwar nominell unabhängig, sind jedoch durch Qualitäts- und Preisvorgaben sowie durch langfristige Lieferverträge vollständig an die Multis gebunden. Auf Anfrage räumen die Unternehmen immerhin „Probleme mit Kinderarbeit“ ein, schieben jedoch die Verantwortung auf die lokalen Betriebe. Die Farm-Betreiber hingegen verweisen auf die niedrigen Abnahmepreise, die eine rentable Produktion nur mit Hilfe billiger Kinderarbeit ermöglichen.

Hierdurch werden Kernbereiche der Konvention der Internationalen Arbeits-Organisation ILO verletzt, in der auf die Verantwortung großer Firmen auch für ihre Zulieferer hingewiesen wird. Ernsthafte Anstrengungen, die Produktion mit Hilfe erwachsener Arbeitskräfte durchzuführen und die (häufig nur sechs bis zehnjährigen) Kinder zurück in Schulen zu bringen, sind jedoch bis heute unterblieben.

Greenwashing
Der Global Compact, ein Abkommen zwischen den Vereinten Nationen und ursprünglich 45 internationalen Konzernen, stellt den bisherigen Höhepunkt der Kooperation von Wirtschaft und internationalen Institutionen dar. Bei der Auswahl der Partner legen die UN keine hohe Messlatte an: alle Unternehmen, die sich beteiligen möchten, – vom Hersteller von Atomkraftwerken bis hin zu Ölkonzernen – werden akzeptiert. Informationen unabhängiger Beobachter über das Verhalten der Firmen holen die UN nicht ein. Gefordert werden lediglich ein unverbindliches Bekenntnis zu acht Prinzipien sowie die Einrichtung von Musterprojekten in Ländern des Südens. Weitergehende Kontrollen sind nicht vorgesehen.

Die Firmen nutzen die Verbindung mit der wichtigsten internationalen Organisation weidlich und rühmen sich gegenüber der Öffentlichkeit für ihr vorbildliches Engagement. So wurde in den Geschäftsberichten von DaimlerChrysler und Bayer sogar eine Rede von Kofi Annan als Grußwort abgedruckt – mit Foto und UN-Logo.

Die im Rahmen des Compact präsentierten „best practice“-Projekte sind bei genauerer Betrachtung reine Publicity-Maßnahmen. So rühmt sich Bayer beispielsweise mit dem Programm „Agrovida“, in dessen Rahmen in Brasilien „mehrere tausend Menschen in den sicheren Umgang mit Pflanzenschutzmitteln eingeführt“ werden. Gleichzeitig vertreibt Bayer in Brasilien das hochgiftige Pestizid „Baysiston“, dessen Anwendung zu zahlreichen Todesfällen und Tausenden von Vergiftungen führte. Die Firma selbst gibt zu, dass das Programm Agrovida „vielleicht nur ein erster Schritt“ sein könne. Sogar die unternehmerfreundliche New York Times kritisiert denn auch, dass „der Global Compact den größten und reichsten Unternehmen erlaubt, sich in eine blaue UN-Flagge zu hüllen, ohne irgendetwas Neues dafür zu tun“.

publicityträchtige Spenden
Um ihr Renommee aufzupolieren, spenden große Unternehmen gerne für soziale Zwecke. Bayer stellte beispielsweise der WHO kürzlich Mittel gegen die afrikanische Schlafkrankheit zur Verfügung und spendete nach den Erdbeben in Indien, der Türkei und El Salvador Medikamente. Die andere Seite der Medaille ist, dass das Unternehmen in den 80er Jahren seine Abteilung „Tropenforschung“ geschlossen hat, obwohl Tropenkrankheiten weltweit mehr Todesopfer fordern als Herzinfarkt und Schlaganfall zusammen – nur können sich die Opfer von Malaria und Bilharziose in den seltensten Fällen eine kostenträchtige Behandlung leisten.

Auch ist es instruktiv, den Wert der von BAYER geleisteten Spenden mit den durch das Unternehmen gezahlten bzw. nicht gezahlten Steuern zu vergleichen: Lagen die weltweiten Unternehmenssteuern von BAYER im Jahr 2000 noch bei rund 1,15 Milliarden Euro, so wurden diese im Jahr 2001 bereits um fast 90% reduziert: gerade noch 150 Millionen Euro überwies der Konzern an Bund und Länder. Sämtliche „wohltätigen“ Gaben von BAYER machen maximal ein Prozent der eingesparten Steuern aus. Die Gesellschaft wäre jedoch mit angemessenen Steuern auf den Unternehmensgewinn, deren Einsatz planbar und frei verfügbar wäre, weit besser bedient als mit einzelnen, nach Öffentlichkeitswirksamkeit verteilten Spenden.