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UN

Telepolis, 28.08.2002

Johannesburg: Die größte Lobbyshow der Welt

Philipp Mimkes (Coordination gegen BAYER-Gefahren) zum Einfluss von Unternehmen auf die Politik der Vereinten Nationen und die Auswirkungen in Johannesburg

Frage: Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat auf dem Millenniums-Gipfel der UNO im September 2000 den »Global Compact« vorgestellt. Die Einstellung der Vereinten Nationen gegenüber dem Privatsektor, so Annan damals in New York, habe sich „radikal verändert“. Seitdem hat der Einfluss privater Unternehmen in den UN deutlich zugenommen. Wie ist das zu bewerten?
Antwort: Ursprünglich 44 und derzeit nach offiziellen Angaben 81 multinationale Konzerne bekennen sich mit dem »Global Compact« zu neun Grundsätzen in den Bereichen Umweltschutz, Arbeitssicherheit und Menschenrechte. Die Prinzipien basieren auf der Erklärung der Menschenrechte von 1949, dem Weltsozialgipfel von 1995 und dem Umweltgipfel von Rio 1992. Außerdem verpflichten sich die Konzerne, Musterprojekte zu initiieren. Aus Deutschland haben sich dem Abkommen der Chemie-Konzerne BASF, Aventis und Bayer ebenso angeschlossen wie die Autobauer BMW und DaimlerChrysler sowie die Deutsche Bank.

Von wem stammt die Idee zur Zusammenarbeit?
Die Bekanntgabe der Vereinbarung erfolgte nach einjährigen Verhandlungen von Kofi Annan mit der International Chamber of Commerce (ICC), der weltweit größten Lobbyorganisation multinationaler Unternehmen. Die ICC vertritt weltweit rund 7000 Firmen, wird jedoch von rund 50 Großkonzernen dominiert. In den Verhandlungen mit den UN setzte der Lobbyverband eine unternehmerfreundliche Formulierung der »Prinzipien« des Compact sowie – vor allem – deren völlige Unverbindlichkeit durch. Mit der ICC suchte sich Annan ausgerechnet diejenige Organisation aus, die sich in der Vergangenheit am vehementesten gegen internationale Umweltabkommen gewehrt hat. Sowohl die Formulierung des Kyoto-Protokolls zur Senkung des CO2-Ausstoßes wie auch die Biodiversitätskonvention, das Protokoll von Montreal zum Schutz der Ozonschicht und die Basel-Konvention gegen Giftmüllhandel wurden von der ICC als unpraktikabel und wirtschaftsfeindlich gegeißelt und nach anhaltendem Druck auf die Politik abgeschwächt.

In welchen Ausmaß hat der Einfluss der Privatwirtschaft auf die Vereinten Nationen zugenommen?
Erstmals wurden die Konzerne bei der Vorbereitung des Umweltgipfels von Rio 1992 als gleichberechtigte Partner internationaler Institutionen behandelt. Das 160 Konzerne umfassende World
Business Council for Sustainable Development (WBCSD) war maßgeblich bei der Ausarbeitung der Tagesordnung und des Abschlussdokumentes beteiligt. So setzte sich die neoliberale Sichtweise durch, nach der freie Märkte und Wirtschaftswachstum Voraussetzungen für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung seien und nach der die Industrie ein solches Wachstum nur garantieren könne, wenn sie ohne bindende Rahmenbedingungen arbeiten kann. Statt dessen werden seit Rio »freiwillige Selbstverpflichtungen« propagiert, bei deren Nichteinhaltung jedoch keine Konsequenzen drohen. Ebenfalls 1992 wurde die UN-Kommission zu Transnationalen Konzernen (UNCTC) ersatzlos aufgelöst. Die UNCTC war die einzige UN-Organisation, die seit den siebziger Jahren die Aktivitäten der Multis überwachte. Der Versuch der UNCTC, weltweit bindende Regeln für Arbeitssicherheit, Einhaltung von Gesetzen und Umweltschutz aufzustellen, war der Industrie ein ständiger Dorn im Auge. 1995 bildeten ICC und WBCSD speziell für die Vorbereitung des Gipfels in Johannesburg einen weiteren Lobbyverband: die Business Action for Sustainable Development (BASD) mit dem blumigen Motto »People, Planet, Prosperity«. Geleitet wird die BASD ausgerechnet von Sir Mark Moody Stuart, zuvor Chef des Ölkonzerns Shell, der seit Jahren Ziel zahlreicher Kampagnen von Umweltschützern und Menschenrechtlern ist. Stuart hat als Shell-Boss die Versenkung der Ölplattform Brent Spar sowie das Engagement in Nigeria, das zur tragischen Exekution von Ken Saro-Wiwa führte, zu verantworten.

Im Vorfeld von Johannesburg ist viel von Verantwortung der Industriestaaten und internationaler Konzerne die Rede. Wie steht es in Anbetracht des Lobbypolitik um die tatsächliche Kontrolle dieser Akteure?
Weder WBCSD noch BASD stellen Mindestanforderungen bei der Aufnahme neuer Mitglieder. So finden sich im WBCSD, dem »grünen Gewissen« der Industrie, Ölfirmen wie BP, StatOil, TotalFinaElf und ChevronTexaco, die Autobauer DaimlerChrysler, Nissan, Ford und General Motors, Chemiekonzerne wie Dow, DuPont, BASF, ICI und Aventis sowie Gentechanbieter wie Monsanto, PowerGen und Bayer. Zu den Unterstützern des BASD gehören neben dem Weltverband der Chemischen Industrie und dem Bund der Deutschen Industrie auch das Europäische Atomforum und die World Nuclear Association. Hieß es im Januar im Entwurf für das Abschlussdokument von Johannesburg noch, »ein multinationales Abkommen, das die Verantwortlichkeiten von Unternehmen benennt, soll auf den Weg gebracht werden«, so finden sich im letzten Entwurf vor Beginn des Gipfels wolkige Formulierungen wie »Förderung der Verantwortung der Wirtschaft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung«. Bindende Regeln bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten oder Umweltschutz sind in dem Entwurf nicht mehr enthalten. Annan wirbt um weitere Mitglieder, indem er sich unumwunden zum Anwalt einer konzerngesteuerten Globalisierung macht: »Sowohl die Vereinten Nationen als auch die Wirtschaft dienen einem höheren Zweck: dem Schutz der Menschheit.«

Der internationale Umweltverband „Friends of the Earth“ beklagt eine »schleichende Übernahme der Vereinten Nationen durch die Privatwirtschaft« und befürchtet, dass »auf Freiwilligkeit beruhende Abkommen die Verabschiedung bindender Regeln verzögern«.
In der Allianz für eine wirtschaftsunabhängige UN haben sich 20 Umwelt-, Gesundheits- und Entwicklungsorganisationen aus allen Teilen der Welt zusammengeschlossen. In einem gemeinsamen Brief an Kofi Annan fordert die Allianz die UN auf, keine Partnerschaften mit Unternehmen einzugehen. Der Unterschied zwischen gemeinnützigen und demokratisch legitimierten Institutionen auf der einen und profitorientierten Konzernen auf der anderen Seite dürfe nicht verwischt werden. Die UN müsse ein Forum einrichten, das Bewertungen der »Musterprojekte« entgegennimmt, Verstöße gegen die Prinzipien des Compact untersucht und lernunwillige Firmen ausschließt. Die teilnehmenden Unternehmen müssten alle Ziele und Konventionen der UN und ihrer Tochterorganisationen aktiv unterstützen – andernfalls könnten sich Firmen gleichzeitig im Licht der UN sonnen und deren Ziele, z. B. das Kyoto-Abkommen gegen die Erderwärmung, hintertreiben.

Wird das Problem auch innerhalb der UN diskutiert?
Durchaus. Auf einem »Learning Forum« 15 Monate nach Inkrafttreten des Abkommens äußerten UN-Offizielle, dass »keines der eingebrachten Musterprojekte die Kriterien eines Fallbeispiels im Rahmen des Global Compact erfüllt«. Auch zwei Jahre nach Unterzeichnung des Vertrags findet sich auf der Website der UN keine anerkannte Fallstudie. Die zahlreichen vorgestellten Projekte werden unverbindlich als »Beispiele des Engagements der Wirtschaft« geführt.