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[Rainer Roth] Referat Prof. Rainer Roth

CBG Redaktion

Rainer Roth, Vortrag auf der Jahrestagung 2009 der Coordination gegen BAYER-Gefahren, 7.11.2009 (weitere Infos unter http://www.klartext-info.de)

Finanz- und Wirtschaftskrise: Ursachen und „Lösungen“

1. Ist die Krise vorbei?
Die Industrieproduktion des ersten Halbjahres 2009 in Deutschland liegt um 21,3 % unter dem ersten Halbjahr 2008, im Euroraum um 18,5 %, in den USA um rund 14 %, in Japan um rund 20 %.
Der Auftragseingang in Deutschland liegt im ersten Halbjahr sogar um ein Drittel unter dem Vorjahreshalbjahr. Im Werkzeugmaschinenbau sind die Aufträge im dritten Quartal 2009 gegenüber dem Vorjahresquartal sogar um 64 % zurückgegangen. Das gibt einen Ausblick auf die Industrieproduktion der näheren Zukunft. Die Krise wird sich also verstärken.
Die Kapazitätsauslastung liegt im Euroraum und in den USA unter 70 %, in Deutschland bei 71,1%. Auf dem Tiefpunkt der letzten Krise in 2003 lag sie noch bei 82 %. Der letzte Aufschwung baute gewaltige Überkapazitäten auf und bereitete so die Krise vor. Da muss noch Einiges abgebaut werden.
Wirtschaftsminister Brüderle dagegen sieht Deutschland bereits im Aufschwung (Berliner Morgenpost 4.11.2009). Und die Financial Times Deutschland titelte:„Der Aufschwung kommt gewaltig,“ um dann festzustellen: „Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde daher 2009 nur um 4,8 % schrumpfen“ (FTD 04.09.2009). Der Aufschwung wird herbeigeredet, wenn die Industrieproduktion oder das BIP in einem Monat oder einem Quartal den Tiefpunkt des Abschwungs überschritten hat. So kann man mitten in der Krise schon einen Aufschwung melden, wenn sich der Abschwung nur ein wenig abschwächt.
Der Aufschwung hätte aber dann erst eingesetzt, wenn die Industrieproduktion eines Jahres den Höhepunkt des letzten Aufschwungjahres 2008 überschritten hätte. Dazu müsste sie 25 % höher sein als sie es bis einschließlich August 2009 war (eigene Berechnung; Monatsberichte Bundesbank, 10/2009, 62).
Die Vertreter des Kapitals wollen uns im Aufschwung weismachen, dass er robust und nachhaltig sei und auf ihn keine Krise folgen würde. In der Krise wollen sie uns einlullen, dass sie vorbei sei, auch wenn sie noch in voller Blüte steht. Die Herrschaften, die behaupten, sie verstünden etwas von Wirtschaft, wissen aber offensichtlich nicht, wie das System funktioniert, von dem sie leben bzw. betrügen uns.

Die bisherigen Wirtschaftskrisen dauerten 2 bis 3 Jahre. Ausgerechnet die tiefste Krise nach dem 2. Weltkrieg soll schon nach bloß einem Dreivierteljahr in einen neuen Aufschwung übergegangen sein? Das ist lächerlich. Wir stehen bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise erst am Anfang.

Die jetzige Krise wird vermutlich länger dauern als alle vorherigen der Nachkriegszeit. Ein Grund besteht darin, dass der letzte Aufschwung der Weltwirtschaft, die Grundlage der Konjunktur in Deutschland, weitgehend kreditfinanziert war, besser kreditgedopt. „Das Wachstumshormon ‚Schulden’ jagte die Wirtschaft auf Hochtouren“ (Benedikt Fehr, Weltwirtschaft im Umbruch, FAZ 22.04.2009). Es war eine künstliche Blüte, die in riesigen Überkapazitäten endete.
Den Banken flossen im letzten Zyklus gewaltige Kapitalmassen zu, die in der sogenannten Realwirtschaft weder profitabel investiert noch verkonsumiert werden konnten. Das Ausmaß des Kapitalüberschusses wird u.a. in den Bilanzsummen der Banken sichtbar. In den USA und im Euroraum verdoppelten sie sich im letzten Zyklus (2000 auf 2008).
Die Banken als Verwalter des arbeitslosen Kapitals waren gezwungen, die Kapitalmassen nahezu mit Gewalt als Kredit in den Wirtschaftskreislauf zu drücken. Daher explodierten im letzten Zyklus die Kredite an Konsumenten, Unternehmen und Staaten, aber auch an andere Banken. Die Gesamtverschuldung der USA z.B. verdoppelte sich von 2000 bis 2008 von 26,3 auf 52,3 Mrd. Dollar. Sie explodierte von 268 % des BIP auf 370 % des BIP im Q4 2008 (jw 30./31.05.2009, 9).
Die Gesamtverschuldung der USA, der Euro-Zone und Japans wuchs im letzten Konjunkturzyklus erheblich schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Kredite puschten Binnennachfrage und Weltproduktion hoch. Deshalb übertraf die vierjährige Wachstumsphase der Weltwirtschaft von 2004 bis 2007 mit stolzen 5 % jährlich deutlich die Raten der letzten Jahrzehnte und knüpfte an die Zeit vor der Weltwirtschaftskrise 1975 an. Die hohe Auslandsnachfrage, von der Exportweltmeister Deutschland profitierte, war „weitgehend kreditfinanziert“ (FTD 13.02.2009).
Was nicht in Kredite oder in die Hände von Betrügern a la Madoff floss, wurde in Spekulation auf Aktienkurse, Wechselkurse und in hunderttausende von Zertifikaten gesteckt, mit denen man auf alles wetten konnte, auch auf die Preisentwicklung von Nahrungsmitteln, Öl, Kupfer usw. Die Gewinne aus den von Banken verkauften Wetten heizten die Konjunktur weiter an.
Nicht nur die Überproduktion an Waren endet in der Krise, auch die Überproduktion an Kapital.
Nicht nur Industriekonzerne und Einzelhändler sitzen auf riesigen Überkapazitäten, sondern auch die Banken.
Wenn der Umfang der Kredite die Leistungsfähigkeit der Schuldner übersteigt, können sie irgendwann Zins und Tilgung nicht mehr zahlen. Kredite werden faul. Wertpapiere, die auf Kreditforderungen gründen, werden unverkäuflich, d.h. wertlos oder verlieren an Wert. In der US- Immobilienkrise zeigt sich der Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich. Der Kapitalüberschuss wurde gewaltsam in den Bau von Immobilien gedrückt. Der kreditgedopte Boom trieb die Immobilienpreise zunächst hoch, endete aber in einer gewaltigen Überproduktion von Immobilien mit entsprechend fallenden Häuserpreisen. Mit dem Schwund ihrer Sicherheiten sank die Kreditwürdigkeit der Schuldner. Ihre Zahlungsfähigkeit verringerte sich andererseits mit den Entlassungen und Lohnsenkungen in der Wirtschaftskrise, die in den USA schon 2007 begann. Die Überproduktion an Kapital wird mit Hilfe von Abschreibungen (Wertberichtigungen) reduziert. Der IWF schätzt inzwischen, dass Banken bis Ende 2010 weltweit auf Kredite und Wertpapiere noch 1.500 Milliarden Dollar abschreiben müssen. Bis zur Jahresmitte 2009 hätten sie schon 1.300 Mrd. Dollar abgeschrieben (focus money online 30.09.2009) und durch frisches Eigenkapital vor allem von Staaten ersetzt.
Für Deutschland schätzt die US-Bank Merill Lynch den weiteren Abschreibungsbedarf allein der Großbanken auf 60 Mrd. Dollar oder auf 75 % ihres Eigenkapitals (RP-Online 19.10.2009). Nach verschiedenen Angaben sollen bisher weniger als die Hälfte der notwendigen Abschreibungen vorgenommen worden sein. Wir stehen also auch bei der Bewältigung der Finanzkrise erst am Anfang.

Die Profitraten der nicht-finanziellen Unternehmen in Deutschland waren auf dem Höhepunkt des Aufschwungs im Jahr 2007 57 % höher als im Durchschnitt der 90er Jahre. Der Glanz der hohen Profitraten des vergangenen Zyklus ist ebenfalls auf Finanzdoping zurückzuführen. „Nur durch die hohe, aber weitgehend kreditfinanzierte Auslandsnachfrage war die Margenausweitung möglich“ (FTD 13.02.2009).
Die Scheinblüte der Profitraten, die die langfristige Tendenz ihres Falls überdeckt hat, musste in sich zusammenfallen. Die gewaltige Überproduktion von Geldkapital hat die normale zyklische Überproduktion von Waren erheblich gesteigert. Deshalb ist die jetzige Krise die tiefste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Die Finanzkrise ist nicht die Ursache der Wirtschaftskrise. Sie vertieft sie.
Die als Aufschwung verkauften geringeren Produktionsrückgänge gegenüber dem Vorjahr wiederum beruhen zur Zeit ausschließlich darauf, dass Staaten verzweifelt versuchen, die Folgen der Krise mit kreditfinanzierten staatlichen Konjunkturprogrammen abzumildern. Der Absturz der Industrieproduktion wird in vielen Ländern in erster Linie durch Abwrackprämien für den Kauf von Automobilien gelindert. Unter dem Einfluss der Verschrottungsprämie sank die KfZ-Produktion in Deutschland von Mai bis August nur um 20 % gegenüber dem Vorjahr, statt um 36 % im Durchschnitt der Monate Dezember 2008 bis April 2009 (Monatsberichte Bundesbank, 10/2009, 62).

2. Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise: Gier?
Die Chefredaktion der FTD schrieb an ihre Abonnenten: „Die Folgen schwerer Krisen werden am Ende immer von der Allgemeinheit getragen, … schon gar nicht von jenen, die diese Krisen mit ihrer Gier ausgelöst haben.“ Dass Gier oder moralphilosophisch: der Verlust von Maß und Mitte die Ursache der Misere sei, ist auch die Meinung von Merkel und Obama, sowie der christlichen Kirchen und der SPD. Steinmeier in seinem Deutschland-Plan zu den Exzessen des schnellen Geldes, die die Finanzkrise erzeugt haben sollen:“ Die Gier gehört zum Menschen, aber wir können sie zügeln“ (Die Arbeit von Morgen, Juli 2009, 64). Die IG Metall schließt sich in ihrem Frankfurter Appell an: „Die aktuelle Krise …ist von Grund auf das Ergebnis der Ideologie einer zügellosen Marktwirtschaft. ‚Mehr Rendite, schnellere Rendite, höhere Rendite“ – …. wurde schleichend zum überwiegenden Credo des wirtschaftlichen Handelns“. „Die grenzenlose Profitgier … darf nicht weiter die Wirtschaft bestimmen. Diese Ideologie ist gescheitert.“
Dass die Oberen den Hals nicht voll genug kriegen, ist die volkstümliche Version dieser Erklärung der Krise, die von der überwiegenden Mehrheit der Lohnabhängigen geteilt wird. Daraus folgt die inständige Ermahnung, sich doch mit weniger zufrieden zu geben, um den Ausbruch von Krisen zu verhindern.

2.1. Profit ohne Gier?
Gezügelter Profit ja, aber nicht zügelloser Profit. Profit ja, aber bitte ohne Gier. Da die Jagd nach höherer Rendite angeblich nur ein Credo ist, ein Glaubensbekenntnis bzw. eine Ideologie, müsste man doch den falschen Glauben durch den richtigen Glauben ersetzen können, bzw. die falsche Ideologie durch die richtige Ideologie, um Krisen zu verhindern. Man kann ja auch vom Katholizismus zum Protestantismus übertreten.
Die Predigten gegen menschliche Gier als Ursache von Krisen sind so alt wie die kapitalistischen Krisen selbst. Die Londoner Times schrieb1857, zu Beginn der ersten Weltwirtschaftskrise des Kapitalismus: „Das Gift wird eingeflößt, indem man Banden hemmungsloser Spekulanten … zu Musterexemplaren erfolgreichen … Unternehmergeistes erhebt, so dass das Vertrauen in das langsame Reichwerden vermöge ehrlichen Fleißes erschüttert wird“ (zitiert nach MEW Bd. 12, 335). Würden sie doch bloß langsamer reich werden wollen, lautet die große Bitte an die Kapitalisten auch heute.
Die Krise 1873 – 1879 wird von der FAZ auf „krasse Überspekulation“ bei Gründungen von Unternehmen und Banken zurückgeführt, die zu gewaltigen Überkapazitäten geführt habe (Judith Lembke, 04.03.2008). John Kenneth Galbraith erzählt in seinem Buch über die Weltwirtschaftskrise 1929 „eine Geschichte der Gier, des Überschwangs und der Überheblichkeit. Niemand sah die Gefahren …“ (Ulrich Schäfer, 1929 und 2008, SZ 26.09.2008). Die FAZ-Redakteure Gerald Braunberger und Benedikt Fehr fassen ihren Überblick über Finanzkrisen aus 400 Jahren mit den Worten zusammen:„Am Beginn jeder Krise steht eine durch billiges Geld und zügellose Gier ausgelöste Euphorie, die in einem bitten Zusammenbruch endet“ (Crash, Finanzkrisen gestern und heute, Frankfurt 2008) Moralpredigten aus vielen Jahrhunderten haben die Vertreter des Kapitals offensichtlich nicht beeindruckt, von ihrer Gier abzulassen. Man sollte sie also die nutzlosen Moralpredigten wie alle Vertrauensseligkeiten dahin entsorgen, wohin sie gehören, auf den Müllhaufen der Geschichte.
Wirtschaftskrisen wiederholen sich in gewissen Abständen, seit 1825 die erste kapitalistische Wirtschaftskrise ausbrach. Sie sind notwendige Folgen der sachlichen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise und keine übergeschichtlichen Ergebnisse einer angeblich menschlichen Natur.

Nehmen wir als Beispiel die Automobilindustrie. Hier konkurrieren einige wenige Riesenkonzerne um die Aufteilung des Weltmarkts, General Motors, Ford, Daimler, VW, Toyota usw. Jeder produziert für sich auf der Basis seiner Produktionskapazitäten, die er möglichst ausnutzen will, um kein investiertes Kapital brachliegen zu lassen. Investieren und Spekulation auf zukünftige Marktanteile und Gewinne sind kaum zu unterscheiden. Jeder produziert möglichst viele Autos, weil davon die Höhe des Profits abhängt.
Aber: jeder produziert für einen Weltmarkt, dessen Aufnahmefähigkeit er nicht kennt. Daraus entsteht zwangsläufig Überproduktion. Niemand will sie, egal ob er gierig ist oder nicht, und doch produziert jeder Konzern bei, dass sie sich vermehrt. Es ist ein Zustand tiefer Unfreiheit und Ohnmacht, wenn Menschen von den Produkten ihrer eigenen Arbeit beherrscht werden. In ihrem Frankfurter Appell meint die IG Metall: „Die Krise ist … kein Naturereignis, sie ist das Ergebnis menschlichen Willens und Handelns“. Das ist völlig konfus, denn niemand wollte doch die Krise. Obwohl niemand sie wollte ist sie dennoch Ergebnis menschlichen Handelns, das, weil es anarchisch ist, wie ein Naturereignis wirkt, wie ein Tsunami.
Die weltweite Überproduktion an Automobilien wurde schon vor Beginn der Krise auf 25 % geschätzt, jetzt könnte sie 40 bis 50 % betragen. Die Produktion ist in der Tat über’s Ziel hinausgeschossen, sie hat die Grenzen des Marktes nicht eingehalten. Allerdings als Folge der Produktionsverhältnisse insgesamt. Als Folge des Sondereigentums an Produktionsmitteln und der darauf beruhenden Konkurrenz, als Folge des Zwangs zur Kapitalverwertung, als Folge der Warenproduktion für unbekannte Märkte usw., nicht als Folge der menschlichen Gier, die eine Grenze überschritten hätte. Oberflächlichkeit der Analyse ist Trumpf, aber immerhin werden Krisen nicht mehr dem Willen Gottes zugeschrieben.
Krisen brechen auf dem Boden der Kapitalverwertung aus, selbst wenn die Piechs, Quandts, Ackermänner und Wiedekings ihre Zügellosigkeit zügeln könnten bzw. wenn sie durch staatliche Regulierungen gezügelt würden. Es ist unbestreitbar, dass Kapitalismus Gier und Spekulation produziert. In einem auf Privateigentum, auf privaten Vorteil, auf Egoismus gegründeten Wirtschaftssystem kann es nicht anders sein. Gier und Egoismus auf der Basis des Privateigentums abschaffen zu wollen, ist reine Träumerei. Gier und Spekulation sind jedoch nicht das Kernproblem von krisenhaften Erkrankungen des Wirtschaftskörpers, ebenso wenig, wie das Fieber die Ursache von Krankheiten ist. . Es ist der Zwang zur Kapitalverwertung auf der Basis von riesigen Einzelkapitalien, der die Überproduktion von Autos usw. erzeugen musste und in Zukunft wieder erzeugen wird.
Die Kritik an der Profitgier führt letztlich zur Resignation, weil sie wirkungslos ist. Sie führt zu der fatalistischen Auffassung, dass die menschliche Natur offensichtlich nichts Anderes hervorbringen kann, als eine Gesellschaft mit lauter Geiern, die eben nicht gezügelt werden können. In der Tat können sie ebenso wenig gezügelt werden, wie man Reineke Fuchs von einem Raubtier zu einem Vegetarier und frommen Pilger machen kann. Krisen sind vermeidbar, allerdings nicht auf dem Boden der Kapitalverwertung, auf dem Boden des Raubtierkapitalismus.

2.2. Wieso führt die Gier von Bankern zu sinkenden Bankrenditen?
Die Erfindung von riskanten, innovativen Finanzprodukten wird ebenfalls auf Gier zurückgeführt. „Diese Gier schlug sich in einer Risikoneigung nieder, die im Verhältnis zu Eigenkapital übertrieben war“ (FAZ 29.05.2009) Was auf der Oberfläche als Gier erscheint, war aber in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch, dem Fall der Eigenkapitalrenditen der Banken entgegenzuwirken.

Nehmen wir als Beispiel die HRE/Depfa. Zweifellos waren beide Vorstandsvorsitzenden gierig. Funke verlangt die Weiterzahlung seines vertraglich zugesicherten Gehalt von 800.000 Euro jährlich bis 2013 und im Anschluss daran eine monatliche Pension von etwa 50.000 Euro im Monat. Bruckermanns Gehalt belief sich in seinen besten Tagen auf 7 Mio. Euro im Jahr. Beim Verkauf der Depfa an die HRE tauschte er Depfa- gegen HRE-Aktien um und verkaufte sie sofort für 100 Mio. Euro weiter. Er wusste, warum er sich so beeilte.
Aber: die Probleme der HRE/Depfa entstanden nicht durch Geier namens Funke und Bruckermann.
Die Depfa war auf die Finanzierung von Staaten spezialisiert. Da Staaten aber in der Regel (noch) gute Schuldner mit guter Bonität sind, bringen sie nur geringe Zinsen und damit nur geringe Renditen. Die Rendite kann jedoch erhöht werden, wenn man sich die Gelder, die man an Staaten verleiht, möglichst billig besorgt. Das funktioniert, wenn die Zinsen für Kredite mit kurzen Laufzeiten, z.B. drei Monate, gering sind. Man nimmt also kurzfristige Kredite zu niedrigen Zinsen auf und verwandelt sie in langfristige Kredite zu höheren Zinsen. In der Bankersprache wird das als „Fristentransformation“ bezeichnet. Da aber das Niveau von Zinsen mit dem Konjunkturverlauf schwankt (niedrige Zinsen in Krisenzeiten, höhere Zinsen im Aufschwung) musste sich die Zinsdifferenz reduzieren. Die Fristentransformation platzte im Aufschwung ab 2005 nach und nach.
Die HRE dagegen war ursprünglich auf Immobilienfinanzierung spezialisiert. Die Eigenkapitalrendite der Realkreditinstitute (zu denen Hypothekenbanken wie die HRE gehören) war aber schon ab 2005 erheblich gefallen. Sie liegt unterhalb der Renditen des Bankgewerbes insgesamt (vgl. Rainer Roth; Verstaatlichung der Hypo Real Estate: Die Verhinderung des Weltuntergangs, Frankfurt 2009, 7 – www.klartext-info.de). Die HRE hatte zwar „hochproblematische Kredite“ vergeben (Vorstandschef Endres), aber keine spekulative Fristentransformation betrieben. Ihre Eigentümer, mehrheitlich amerikanische Heuschrecken, organisierten genau deswegen die Übernahme der Depfa. Und die Gläubiger der HRE finanzierten sie. Alle erhofften sich dadurch eine Steigerung der Renditen.

Was als Gier von Bankern erscheint bzw. als Streben nach einer unrealistisch hohen Rendite,war in Wirklichkeit ein verzweifelter Kampf gegen den Fall der Bankprofitraten. Hier liegt auch im Allgemeinen die Quelle der riskanten, spekulativen Geschäfte, die in der Finanzkrise platzten.
Selbst Axel A. Weber, der Bundesbank-Chef, sprach davon, dass die Kreditwirtschaft ihre Verluste vor allem mit Wertpapiergeschäfte gemacht habe, die getätigt wurden, „um die zu geringen Margen im Kreditgeschäft im Inland zu ersetzen und durch höhere Erträge am Kapitalmarkt oder von Immobilienmärkten im Ausland auszugleichen“ (Börsen-Zeitung 12.12.2008). Die Eigenkapitalrendite der Kreditinstitute in Deutschland vor Steuern betrug von 1994 bis 1999 durchschnittlich rund 14 %. Im Jahre 2000 brach sie auf 9,32 % ein. In der Krise 2001 bis 2004 sank sie auf durchschnittlich 4 %, erreichte einen neuen Höhepunkt 2005 mit 13 %, um dann deutlich zu sinken und im Jahre 2008 auf minus 7,70 % abzurutschen (http://www.bundesbank.de/bankenstatistik/download/statistik/bankenstatistik/guv_tab6.pdf).

Wie ist zu erklären, dass die rücksichtslose Jagd nach Renditen zu einem deutlichen Fall der Renditen geführt hat, nicht zu „immer höheren Renditen“? Es ist oberflächlich nur von der Jagd nach immer höheren Renditen zu sprechen, ohne die wirkliche Entwicklung der Renditen zu studieren bzw. die wirkliche Entwicklung der Renditen chronisch auszuklammern. Wie kann die „Ideologie der grenzenlosen Profitgier“ dazu führen, dass die angeblich „phantastischen Gewinne“ im Verhältnis zum eingesetzten Kapital sinken? Diese gefährliche Frage stellen sich alle diejenigen nicht, die sich für die Schranken des kapitalistischen Systems nicht interessieren, insbesondere nicht Sozialdemokraten aller Schattierungen. Die Profitgier scheint Grenzen zu haben, die nicht der Staat oder die Moral, sondern die Kapitalverwertung selber setzt.
Das kapitalistische System strebt zwar in der Tat nach immer höheren Renditen, aber das Kapital schafft es nicht. Die durchschnittlichen Renditen innerhalb der Wirtschaftszyklen fallen auf lange Sicht in der Tendenz.
Die Entwicklung der Profitraten müsste nüchtern untersucht werden, wenn man sich nicht mit Phrasen zufrieden geben will, denn die Profitraten sind der „Stachel der kapitalistischen Produktion“ (Karl Marx, Kapital Bd. III, MEW 25, 251). Aber wer nimmt das heutzutage schon noch ernst außer den Kapitalisten selbst? Die Kapitalverwertung dagegen als Idylle von Milliardengewinnen darzustellen, ist unter LohnarbeiterInnen und in der sogenannten Linken vorherrschend.
Die Bankrenditen sind aber gerade wegen des Kapitalüberschusses, den die Realwirtschaft produziert, deutlich gefallen. Der Kapitalüberfluss führt zu tendenziell sinkenden Zinsen und zum Fall der Zinsspannen, d.h. des Verhältnisses von Zinsüberschuss zur Bilanzsumme (vgl. Roth, Finanz- und Wirtschaftskrise: Sie kriegen den Karren nicht flott … , Frankfurt 2009, 8-11; www.klartext-info.de). Zinsen aus Kreditgeschäften sind aber die Haupteinnahmequelle der Banken.
Der von Banken verwaltete Kapitalüberschuss selbst wiederum ist eine Folge der Verschlechterung der Verwertungsbedingungen des Kapitals insgesamt. Sinkende Investitionsquoten, Druck auf die Löhne, auf Steuern usw. spiegeln die Probleme der Kapitalverwertung wieder (vgl. Roth, Finanz- und Wirtschaftskrise: Sie kriegen den Karren nicht flott … , Frankfurt 2009, 47-50). Der Fall der Bankrenditen war der Motor für die inflationäre Ausbreitung von abenteuerlichen Geschäftspraktiken, mit möglichst wenig Eigenkapital Gewinne zu machen. Die Explosion der Verbriefungen von Krediten über Wertpapiere seit dem Anfang dieses Jahrhunderts, die Vergabe von Krediten zum Zweck des sofortigen Weiterverkaufs, die Kreditversicherungen, die die Kredite dem Schein nach absicherten, weil die Versicherer die notwendigen Sicherheit für den Versicherungsfall gar nicht hatten, der massive Einsatz von Krediten überhaupt und die damit verbundene Geldschöpfung – all das waren Mittel, die Bankrenditen wieder auf Trab zu bringen. Die ausufernde Spekulation, die selbst einen Hans-Werner Sinn vom „Casinokapitalismus“ sprechen lässt, ist nur ein Symptom des Kapitalüberschusses, der ebenso wie wachsende Überschüsse an Arbeitskräften wiederum notwendige Folge der Entwicklung der Produktivität unter der Regie der Kapitalverwertung ist. Die Spekulation mit Kapitalüberschüssen ist nicht die Ursache der Finanzkrisen, sondern die Kapitalüberschüsse selbst, die wiederum Probleme der Kapitalverwertung anzeigen. Deshalb können Finanzkrisen auch durch ein Verbot dieser Methoden nicht verhindert werden. Was nicht bedeutet, dass man nicht für Verbote eintreten sollte.

2.3 Krise als Folge falscher Verteilung?
„Die Wirtschaftskrise ist durch die viel zu schwache Binnennachfrage verursacht“, erklärt verdi (ver.di wipo-infos 1/2009,2). Das ist die vorherrschende Erklärung der Krise in den DGB-Gewerkschaften und in der Linkspartei („wichtigste Krisenursache (sei) die Konsumflaute“, erklärte die Bundestagsfraktion (Roth 2009, 96). Die Krise wird als Produkt der Umverteilung von unten nach oben gesehen.
In der Tat: Wenn alle genug Geld hätten, um alle Waren zu kaufen, gäbe es keine Überproduktion von Waren und Kapital. Und wenn immer die Sonne scheinen würde, gäbe es auch kein schlechtes Wetter.
Es ist reine Tautologie, dass Waren nicht verkauft werden, weil sie nicht gekauft werden können.

Aber: Ausgerechnet vor Beginn der Krisen sind die Lohnsteigerungen am höchsten. Hohe Lohnsteigerungen verhindern Krisen also nicht, sondern kündigen sie geradezu an. Das Lohnniveau ist vor Ausbruch der Krise am höchsten, weil die Nachfrage nach Arbeitskraft im Aufschwung, der jeder Krise vorausgeht, eben zunimmt und von daher höhere Lohnsteigerungen möglich sind. Jeder Aufschwung bereitet aber die nächste Krise vor, erzeugt die Überproduktion, die in der Krise wieder abgebaut werden muss. Höhere Lohnsteigerungen auf dem Höhepunkt des Aufschwungs würden den Beginn der Krise allenfalls hinauszögern, nicht verhindern.
Die Lohnentwicklung hängt allgemein vor allem von der Entwicklung der Nachfrage nach Arbeitskraft ab. Arbeitskräfte sind Waren, deren Preis sich auf dem Arbeitsmarkt bildet. Diese Nachfrage sinkt langfristig aufgrund höherer Produktivität, vor allem aufgrund des technischen Fortschritts und der wachsenden Konzentration des Kapitals. Folge ist ein gewaltiger Überschuss an Arbeitskräften und ein deswegen tendenziell sinkendes Lohniveau.
Andererseits eignen sich die Eigentümer der durch Akkumulation und Fusionen wachsenden Kapitalien die unbezahlte Arbeit der LohnarbeiterInnen an und werden dadurch verhältnismäßig reicher. Es sind die Eigentumsverhältnisse, die Produktionsverhältnisse, die eine wachsende Ungleichheit der Verteilung erzeugen. Wachsende Armut und gleichzeitig wachsende Profitmassen und wachsender Reichtum ist nicht die Folge von Fehlern der Kapitalisten oder des Staates. Wenn etwas falsch ist, dann nicht die Verteilung, sondern die Produktionsverhältnisse, die die die jeweilige Verteilung hervorrufen. Von daher ist es „überhaupt fehlerhaft, von der sog. Verteilung Wesens zu machen und den Hauptakzent auf sie zu legen“ (Marx, MEW 19, 22). Die Produktionsweise ist entscheidend für die Verteilung, nicht umgekehrt.
Die riesigen Kapitalüberschüsse, die die sogenannte Realwirtschaft den Banken zur Anlage überlassen hat, sind ebenfalls nicht in erster Linie das Ergebnis einer „Politik des Lohn- und Sozialdumpings“ und der „Senkung von Unternehmens-, Vermögens- und Spitzensteuersätzen“, wie Sarah Wagenknecht meint (jw 15.10.2008). Sie haben in erster Linie nicht politische, sondern ökonomische Ursachen, die in der Entwicklung der Kapitalverwertung liegen, die sich in wachsendem Maße den Boden unter den Füßen wegzieht.

3. Lösungen?
Das Kapital „löst“ die Krise auf seine Art.
Die Überkapazitäten in Produktion, Handel und Finanzwesen werden abgebaut, indem eine Reihe von Unternehmen und Banken bankrott gehen oder bestehende Unternehmen Werke oder Filialen schließen, Konzernteile verkaufen usw. Folge ist eine zunehmende Konzentration des Kapitals, vor allem sichtbar in den USA.
Überkapazitäten bedeuten nicht nur Überkapazitäten an sachlichen Produktionsbedingungen, sondern auch Überkapazitäten an nutzbarer menschlicher Arbeitskraft. Die Krise wird nicht nur mit der Stillegung von sachlichem Kapital angegangen, sondern auch mit dem Abbau von beschäftigten Arbeitskräften. In den USA z.B. hat sich die offizielle Arbeitslosenquote seit Ende 2007 auf mehr als zehn Prozent verdoppelt.
Die Vernichtung von realem Kapital wird begleitet vom Abbau des fiktiven Kapitals. Fiktives Kapital ist Kapital, das längst ausgegeben wurde, aber in Form von Ansprüchen auf Unternehmensgewinne, auf Steuern, auf die Zahlung von Zinsen usw. auch nach seinem „Tode“ noch weiterlebt. Die Ansprüche beziehen sich auf ein Kapital, das längst ausgegeben ist. Aktien, Kredite an Staaten, Unternehmen und Privatpersonen werden selbst wiederum zu Waren, die gehandelt werden. Die Kapitalüberschüsse wollen nicht beschäftigungslos herumlungern und pumpen die Preise dieser Papierchen zu sogenannten Blasen auf. Wenn die Blase in sich zusammenfällt, werden die fiktiven Werte geringer, ohne dass sich der wirkliche Reichtum der Gesellschaft vermindert. Insofern allerdings fiktives Kapital in die Bilanzen von Banken und Unternehmen eingeht, führt das Luftablassen der Vermögensblasen auch zu realen Verlusten, die die Kapitalverwertung zusätzlich erschweren.
Aber: Das Kapital wehrt sich mit Hilfe des Staates gegen die zerstörerischen Marktgesetze. Nachdem viele Kredite an Konsumenten und Unternehmen faul geworden sind, treten Staatskredite an die Stelle der Bankkredite, um die kreditsüchtige Wirtschaft weiterhin dopen zu können. Der weltweite Umfang der staatlichen Konjunkturspritzen beträgt drei Billionen Dollar. Auf die USA entfallen etwa 1 Bio. Dollar. Das entspricht etwa 7 % des BIP der USA. Chinas Konjunkturprogramme entsprechen 14 % des BIP, Japan erreicht 9 %, der Euroraum nur 1,6 % (Tomasz Konicz, Aufschwung auf Pump, jw 29./30.08.2009). Mit Staatskrediten wird der Kauf von Autos und Immobilien gefördert. Mit Staatskrediten werden Investitionen in die Infrastruktur getätigt. Mit Staatskrediten werden Banken und Unternehmen mit Kapital versorgt, die ansonsten in die Insolvenz gehen müssten, allerdings meist ohne dass der Staat daraus Eigentümeransprüche ableitet. Ein Beweis dafür, dass er der oberste Diener des Kapitals ist und nicht sein Herr werden will. Mit kreditfinanziertem Staatskapital werden Insolvenzen verhindert und Überkapazitäten am Leben gehalten, ein Sisyphusakt.
Großen Umfang haben auch die staatlichen Garantien für Bankkredite. 95 % der neu ausgegebenen Hypothekenkredite in den USA z.B. werden staatlich garantiert, in dem die verstaatlichten Fannie Mae und Freddie Mac sie von privaten Hypothekenbanken aufkaufen (FAZ 28.10.2009).
Die Zentralbanken kaufen in großem Umfang faule Wertpapiere auf, entlasten so die Bankbilanzen und versorgen die Banken mit Geld. Andererseits kaufen Zentralbanken auch Staatspapiere und zahlen mit frisch gedrucktem Geld. Der Verkauf von Staatspapieren wiederum läuft über Banken und ist eine ihrer Profitquellen.
Die Verschuldungsmaschinerie wird mit massiver staatlicher Unterstützung aufrechterhalten und verlagert sich mehr und mehr auf die Staatshaushalte. Laut Eurostat wurde die Staatsschuld im Euroraum durch die Bankenrettungsprogramme 2008 um 175 Mrd. Euro erhöht oder 1,9 % des BIP. Für 2009 rechnet man mit 1.200 Mrd. Euro oder 13 % des BIP (FAZ 23.10.2009). Das dicke Ende kommt also noch.
Es hieß, die Ursache der Finanzkrise seien die niedrigen Zinsen der US-Zentralbank gewesen, die zu einem Immobilienboom auf Pump geführt hätten. Jetzt wird die Rettung aus der Finanzkrise in noch niedrigeren Zinsen gesehen. Billigkredite und Zentralbankgelder produzieren schon wieder neue Preisblasen an den Aktien- und Rohstoffmärkten und beleben die Spekulation. Wehe aber den Staatshaushalten, wenn die Zinsen der explodierenden Staatsschulden in einem zukünftigen Aufschwung wieder steigen sollten.
Die Staaten haften also mit gigantischen gesellschaftlichen Mitteln für die Folgen der privaten Profitproduktion und mildern sie ab. Den Vogel schießen die USA ab. Der US-Haushalt des Jahres 2009 wird etwa zur Hälfte mit der Aufnahme von Staatsschulden bestritten.
Je mehr sich das Kapital nur noch mit gesellschaftlichen Mitteln über Wasser halten, desto deutlicher wird, dass es entbehrlich ist.

Aber auch der Staatskapitalismus kann die unlösbaren Widersprüche der Kapitalverwertung und der Marktgesetze nicht unter Kontrolle bekommen. Je mehr er es versucht, desto stärker wird die Wucht sein, mit der er die Folgen auf die ganze Gesellschaft, vor allem auf die LohnarbeiterInnen abladen, mit der er also die Verarmung der Mehrheit vorantreiben muss. Je höher die Staatsschulden, desto mehr wird der Staat ferner dem Willen des Finanzkapitals unterworfen, das seinen Haushalt am Leben hält. Die Abhängigkeit der kapitalistischen Staaten vom Finanzkapital wird umso größer, je höher ihr Kreditbedarf ist. Um so merkwürdiger ist es, wenn Kritiker des Kapitalismus so stark für höhere Staatsschulden plädieren.

4: Die Antwort der Lohnabhängigen
„Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ hieß das Motto der Demonstrationen, die am 28. März stattgefunden haben und heißt das Bündnis, das sie organisiert hat.

Das sollte vor allem bedeuten:
4.1 Wir müssen zuallererst für Forderungen eintreten, die die unvermeidlich steigende Arbeitslosigkeit möglichst vermindern und andererseits abmildern.
* An erster Stelle würde eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich stehen. Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich, die im Aufschwung praktiziert wurde, hat den Widerspruch zwischen Konsumtion und Produktion vergrößert und damit die Krise vertieft. Angesichts des massiven Produktionsrückgangs wird zur Zeit die Arbeitszeit ohne vollen Lohnausgleich verkürzt, in Form von Kurzarbeit bzw. tariflicher Arbeitszeitverkürzung. Wir brauchen eine dauerhafte, deutliche Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich, weil sich die gestiegene Produktivität seit 20 Jahren nicht mehr in Arbeitszeitverkürzung oder Lohnerhöhungen niedergeschlagen hat. Die LohnarbeiterInnen wurden lange genug ausgenommen. Die Propaganda für die 30 Stundenwoche ist aktueller denn je, zumal in der Krise Werte vernichtet werden, die in Milliarden Arbeitsstunden erzeugt worden sind. Was soll das?
* Notwendig wäre ferner eine deutliche Verlängerung des Alg I auf fünf Jahre. Da die Dauer der Arbeitslosigkeit in der Krise zunimmt, weil sie mit höherer Produktivität und gewachsener Konzentration des Kapitals „gelöst“ wird, muss auch die Dauer des Arbeitslosengelds zunehmen.
80% des Nettolohns sind erforderlich, um den Absturz in Hartz IV zu vermeiden.
* Der Eckregelsatz von Hartz IV muss auf mindestens 500 Euro erhöht werden. 359 Euro bedeuten gesellschaftliche Isolation und Mangelernährung (vgl. www.500-Euro-Eckregelsatz.de). Je besser diese Forderung begründet wird, desto mehr wirkt das wenigstens der Tendenz entgegen, dass im Laufe der Krise das Regelsatzniveau gesenkt wird. Das Regelsatzniveau, als Form des sozialen Existenzminimums, ist zugleich der wichtigste Maßstab für den zu fordernden gesetzlichen Mindestlohn.
* Um dem in der Krise wachsenden Druck auf Lohnsenkungen einen Riegel vorzuschieben, ist ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens zehn Euro zu fordern. Da das soziale Existenzminimum von Erwerbstätigen nicht besteuert werden darf, muss der gesetzliche Mindestlohn lohnsteuerfrei sein.
Die Kampagne für mindestens 500 Euro Eckregelsatz und zehn Euro Mindestlohn, lohnsteuerfrei, sollte unterstützt werden. Wie das geschehen kann, ist der website www.500-euro-eckregelsatz.de zu entnehmen.

Der DGB hat sich inzwischen für 420 Euro Eckregelsatz ausgesprochen. Bei einer Mindestlohnforderung von 7,50 Euro bedeutet das jedoch, einen Ausbau von Lohnsubventionen zu fordern, da schon ein Nettomonatslohn auf der Basis von 7,50 Euro und 359 Euro Eckregelsatz unterhalb des durchschnittlichen Hartz IV-Niveaus eines Alleinstehenden liegt. Der Kampagnenrat des Bündnisses 500-Euro-Eckregelsatz hat einen Brief an den DGB-Bundesvorstand geschrieben, dass die 420 Euro-Forderung einen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro notwendig macht, wenn man nicht den Ausbau von Lohnsubventionen anstrebt. Die Antwort war, dass die Argumentation „nachvollziehbar“ sei, aber Schwarz-Gelb es nicht zulasse. Grundsätzlich müssen alle Forderungen aber nicht am Maßstab der „Durchsetzbarkeit“ gemessen werden, sondern daran, ob sie den Interessen der Lohnabhängigen entsprechen, d.h. in diesem Fall dem so formulierten sozialen Existenzminimum eines alleinstehenden Lohnabhängigen oder nicht. Da der DGB seine 7,50 Euro-Forderungen auf dem nächsten Gewerkschaftstag erhöhen will, ist die Zeit günstig, für die 10 Euro-Forderung zu kämpfen.

* Wir sollten all diese Forderungen jedoch nicht mit Illusionen über den gegenwärtigen Kapitalismus verbinden. Wir sollten nicht erklären, dass diese Forderungen Schritte auf dem Weg zu einer solidarischen Gesellschaft seien, wie es das Bündnis „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ tut. Eine Wirtschaftsordnung, die auf Ausbeutung beruht, wird nie eine solidarische Gesellschaft sein können.
* Wir sollten nicht Erklärungen abgeben wie: „Die Folgen der Wirtschaftskrise dürfen nicht auf den Arbeitsmarkt übergreifen.“(IG Metall-Chef Huber in metall 11/2009, 3). Wir haben die tiefste Krise der Nachkriegszeit und sie darf, anders als alle bisherigen Krisen, nicht zu Entlassungen führen? Im Übrigen hat im November 2009 die Krise längst auf den Markt für die Ware Arbeitskraft übergriffen, gerade in der Metallindustrie, und das auch mit Zustimmung der IG Metall. Entlassungen sind in vollem Gange, werden allerdings durch den Ausbau der versteckten Arbeitslosigkeit abgemildert.
* Wir sollten Forderungen nach Mindestlohn und höheren Arbeitslosenunterstützungen auch nicht als Mittel zur Stärkung der Binnennachfrage, als soziales Konjunkturprogramm verkaufen. Es geht um Grundbedürfnisse von LohnarbeiterInnen, nicht um Umsatz- und Profitsteigerung. Wir sollten den Mindestlohn auch nicht als Verwirklichung der Menschenwürde oder der Fairness begründen, wie es Linkspartei, SPD und ver.di tun (ausführlich zu den Forderungen gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise: Roth 2009, 91-95; 114-116).
* Wir sollten radikale Forderungen zur Abmilderung der Angriffe des Kapitals auch nicht als Mittel hochjubeln, dass damit in Zukunft Krisen vermieden werden könnten. Sarah Wagenknecht erklärt z.B., dass: „ohne Frage eine radikale Umverteilung der Einkommen und Vermögen von oben nach unten … das Nachfrageproblem von selbst erledigen“ würde (junge welt 07./08.02.2009).
* Wir sollten nicht von einem „Schutz- oder Rettungsschirm“ sprechen und das bei lächerlichen 7,50 Euro. Ein Schirm verhindert, dass man nass wird. Schutz vor Lohn- und Sozialabbau auf der Grundlage der Kapitalverwertung ist eine illusorische Vorstellung. Die Existenzunsicherheit wächst gerade in der Krise.

Das Interesse, den Kapitalismus innerhalb der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung und innerhalb der sozialen Bewegung schönzureden, scheint gestiegen zu sein, obwohl oder vielleicht gerade weil sich seine Wohlstandsversprechen für alle immer mehr entblättern.
Die Verwirklichung aller genannten Forderungen und auch Schritte in diese Richtung sind Mittel, die Folgen der Krise auf diejenigen abzuladen, die sie mit ihren Privatinteressen verursacht haben. Sie senken die Profitraten des Kapitals.

4.2 Wir müssten für ferner für Forderungen eintreten, die es Finanzkonzernen erschweren, Verluste aus spekulativen Anlagen zu machen und sie auf die ganze Gesellschaft abzuladen.

* An erster Stelle steht dabei die drastische Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen. Um dem Fall der Bankrenditen entgegenzuwirken, haben die Banken ihr Eigenkapital mehr und mehr vermindert und sich auf riskante Geschäfte ohne Eigenkapitalunterlegung verlegt. Sie haben damit ihre Fähigkeit deutlich vermindert, selbst für die von ihnen verursachten Verluste aufzukommen. Sie setzen seit langem auf eine unausgesprochene Staatsgarantie, die jetzt in der Krise eingelöst wurde. Schon eine Eigenkapitalunterlegung von 10 % der Bilanzsumme würde dazu führen, dass die Mittel deutlich stiegen, mit denen Banken für ihre Verluste haften können, ohne gesellschaftliche Mittel über den Staat in Anspruch zu nehmen. Die Deutsche Bank hätte dann 2008 ihre Geschäfte mit 220 Mrd. Euro unterlegen müssen statt wie rund 30 Mrd. Euro. Das Verhältnis des Eigenkapitals zur Bilanzsumme aller Unternehmen liegt bei 25 %. Warum soll ausgerechnet Banken durch Unterausstattung mit Eigenkapital der staatliche Teppich zum Casino ausgerollt werden?

* Der Einlagensicherungsfonds der Banken muss so ausgebaut werden, dass die Banken selbst und nicht die Allgemeinheit für Bankverluste aufkommen muss. Im Fall der HRE haben es die Großbanken durch die von ihnen betriebene Verstaatlichung der HRE geschafft, sich den Bundeshaushalt als Sicherungsfonds für ihre unbesicherten Kredite auszugestalten. Sie haben ihre privaten Verluste in voller Höhe über die Verstaatlichung sozialisiert. Soffin-Chef Hannes Rehm erklärte vollmundig: „Wir müssen den Zustand überwinden, in dem die Gewinne privatisiert werden und Verluste sozialisiert“ (FAZ 3.11.2009). In der Realität spielt das keine Rolle. In Bezug auf die HRE bedeutet die schöne Formel, dass alle Verluste, die jetzt für den Staat entstehen, über eine Sonderabgabe der Finanzkonzerne in voller Höhe getragen werden müssen. Es könnte sich letztlich um eine Summe in Höhe von 25 Mrd. Euro handeln.

* Kredite, deren Bedienung über Wertpapiere weiterverkauft wird, müssen in den Büchern der Banken bleiben. Alle außerbilanziellen Geschäfte sind zu untersagen. Kreditversicherungswertpapiere ohne Sicherheiten sind zu verbieten usw.

Wir sollten diese Forderungen oder andere Forderungen zur Regulierung der Finanzmärkte aber nicht mit der Illusion verbinden, dass dadurch die nächste Finanzkrise verhindert werden könnte. Das sollten wir den Regierungsparteien und der SPD überlassen. Die Finanzkrise ist eine Folge der Überproduktion von Kapital, eine Folge der Kapitalüberschüsse, die die „Realwirtschaft“ produziert, nicht eine Folge der Form der Verwaltung dieser Kapitalüberschüsse. Deswegen gilt nach wie vor: „Keine Art Bankengesetzgebung kann die Krise beseitigen“ (Karl Marx, Kapital Bd. III, Seite 507). Die Eigenkapitalausstattung des britischen Banksystems vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 lag z.B. bei 9 % der Bilanzsumme (der Aktiva) und vor Ausbruch der Finanzkrise 2007 bei rund 7 % (FAZ 23.10.2009). Auch das konnte die Überproduktion von Kapital nicht verhindern.

Die genannten Forderungen würden natürlich die Bankprofitraten vermindern. Sie sind jedoch notwendig, damit es den Finanzkonzernen erschwert wird, die diese und die nächste Finanzkrise auf die Gesellschaft abzuladen und uns die Krise bezahlen zu lassen.

4.3 Wir müssten ferner für Forderungen eintreten, die es dem Staat erschweren, die Staatsschulden, die er im Interessen von Banken und Konzernen macht, um sie „retten“ oder sie vor Krisenfolgen zu bewahren, mit Sozial- und Lohnabbau bzw. mit einer Erhöhung der Massensteuern zu bezahlen.
Staatsschulden müssen mit Steuererhöhungen von denen bezahlt werden, die sich die größten Vorteile aus einer Wirtschaftsordnung verschafft haben, die Armut und Arbeitslosigkeit produziert.

* Der Körperschaftssteuersatz und der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer müssen wieder auf die früheren 56 % angehoben werden.
* Die Vermögenssteuer muss ebenso wiedereingeführt werden wie die Besteuerung der Veräußerungsgewinne von Unternehmen.
* Aktien- und Devisenhandel sowie alle Finanzwetten müssen mit Mehrwertsteuer belegt werden. Es ist nicht einzusehen, dass der Kauf von Brot mit Mehrwertsteuer belegt wird, nicht aber der Kauf des „Brots“ der Investmentbanken, der „Finanzprodukte“.
* Der Kapitalverkehr mit Steueroasen jeder Art ist zu untersagen.

Wir sollten jedoch diese und andere Forderungen jedoch nicht mit der Illusion verbinden, dass man Finanzkrisen durch die steuerliche Abschöpfung eines größeren Teils der Gewinne und Vermögen verhindern könne. Die Kapitalverwertung wird weiterhin arbeitsloses Kapital produzieren. Zyklische Wirtschaftskrisen, die auch die Finanzsysteme erschüttern, werden weiterhin notwendige Folge der Produktionsverhältnisse sein.

5. Mensch vor Profit?
Es ist ein weit verbreiteter Wunsch, dass das Kapital den Menschen dienen soll, nicht umgekehrt. Aber leider ist es der einzige Zweck des Kapitals, sich selbst als Selbstzweck zu vermehren und nicht dem Menschen als solchem zu dienen.
Es ist ein weitverbreiteter Wunsch, dass Menschen Vorrang vor Profit haben sollen. Nur: Solange die Profitwirtschaft herrscht, d.h. die Verwertung von Kapital im Mittelpunkt steht, kann „der Mensch“ nicht im Mittelpunkt stehen. Die Frage steht letztlich: menschliche Grundbedürfnisse oder Kapitalverwertung.
Die jetzige Krise zeigt deutlicher als vorher die Skrupellosigkeit des Kapitals und seiner Repräsentanten, die von sich selber sagen, dass ihr System auf den Zusammenbruch bzw. den Weltuntergang des Finanzsystems zugesteuert wäre. Das wird es auch in Zukunft tun.
Ähnlich steht es mit der „demokratischen Kontrolle“ der Banken, die über die Verstaatlichung der Banken erreicht werden soll. Sie drückt den Wunsch aus, dass das Volk etwas zu sagen hat. Allerdings entziehen sich Banken und Konzerne immer mehr der Kontrolle. Die Realität ist gekennzeichnet durch eine wachsende Konzentration des Bankkapitals und durch die wachsende Unterwerfung des Staates unter seine Interessen, die mit der Staatsverschuldung verbunden. Die Explosion der Staatsschulden führt faktisch zu einer Art Privatisierung des Staates insgesamt. Von demokratischem Einfluss des Volkes auf die Bankgeschäfte ist selbst bei den verstaatlichten Banken, in Deutschland der HRE, nichts zu sehen. Die Kräfte, die einen Staat im Interesse der breiten Mehrheit der Gesellschaft bilden bzw. verstaatlichte Banken im Interesse der Gesellschaft führen könnten, sind nicht in Sicht. Angesichts dessen können wir heute nicht für eine Verstaatlichung der Banken eintreten. Die heutige Verstaatlichung von Banken dient, wie das Beispiel HRE zeigt, letztlich der Stärkung der Privatbanken.

Wir brauchen nicht nur ein gut begründetes Forderungsprogramm, auf dem man sich vereinigen kann, ohne den Kapitalismus zu beschönigen, sondern auch eine schonungslose Aufdeckung der Gesetzmäßigkeiten der Kapitalverwertung, die die heutige Krise erzeugt haben. Es ist nutzlos, sich einfach einen Kapitalismus vorzustellen, der sozial ist und seine Widersprüche ablegt, statt sie auf die Spitze zu treiben. Das fördert eine ausufernde Kompromissbereitschaft und führt nicht dazu, dass man ohne Rücksicht auf die Interessen des Kapitals für Grundbedürfnisse und ihre maximale Befriedigung kämpft.

Damit die Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen im Mittelpunkt stehen und sie realen Einfluss in ihrem Interesse ausüben könnten, müssten die Produzenten des Reichtums auch die Eigentümer der Produktionsmittel sein. Dann könnten sie den von ihnen erarbeiteten Reichtum für die maximale Entfaltung ihrer eigenen Bedürfnisse verwenden statt dass er der Befriedigung der Profitbedürfnisse einer Minderheit von Kapitalanlegern und ihrem Luxuskonsum dient. Erst dann wären sie nicht nur Anhängsel der Entscheidungen von Kapitaleigentümern in irgendeiner Form.
Wenn die sachlichen Produktionsbedingungen kein Kapital mehr wären und die Arbeitskraft keine Ware mehr, würde sich auch die Produktivität nicht mehr in Kapitalüberschuss auf der einen und Arbeitskräfteüberschuss auf der anderen Seite äußern. Das wäre eine Grundlage dafür, dass die erarbeiteten Überschüsse nicht in Krisen vernichtet und in Spekulation verjubelt würden.
Erst wenn Menschen nicht mehr von den mächtigen Naturgewalten der Kapitalakkumulation beherrscht werden, ist es möglich, dass statt Abhängigkeit Freiheit und statt Demütigung Menschenwürde Einzug halten können und dass die maximale Entwicklung des Potentials aller Menschen statt des Selbstzwecks der Kapitalvermehrung der einzige Zweck menschlicher Tätigkeit werden kann.