Unternehmenssteuerreform: BAYER & Co. sahnen ab
Nach der Unternehmenssteuerreform ist vor der Unternehmenssteuerreform: Obwohl das von BAYERs ehemaligem Finanzchef Heribert Zitzelsberger im Jahr 2001 konzipierte Gesetzeswerk trotz Milliarden-Entlastungen für die Konzerne keinen einzigen Arbeitsplatz geschaffen hat, will Peer Steinbrück jetzt noch einmal nachlegen.
Von Jan Pehrke
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte die Bundesrepublik vor einiger Zeit zu einem „Sanierungsfall“. Allerdings reicht das Geld noch, um diejenigen zu sanieren, die es am wenigsten nötig haben: die großen Konzerne. Peer Steinbrück will die durchschnittliche Abgabenlast der Unternehmen von 39 auf 29 Prozent senken und ihnen so sechs bis zehn Milliarden Euro schenken. Als ein „klares Signal“ für Investitionen, ohne die keine Arbeitsplätze entstünden, bezeichnet einer seiner Mitarbeiter diese Maßnahme. Ein ebenso deutliches Zeichen hatten die PolitikerInnen im Jahr 2001 von der letzten großen Schenkungsaktion erwartet, die unter der Federführung von BAYERs ehemaligem Finanzchef Heribert Zitzelsberger entstand. Aber die Unternehmen verstanden es nicht und zeigten sich undankbar. Sie trieben vom Fiskus zwar sofort die sogar rückwirkend geltenden Ermäßigungen ein, als sie 2002 über Los kamen – allein BAYER erhielt 250 Millionen Euro Körperschaftssteuer zurück – und freuten sich über die neuen Tarife, schufen aber keinen einzigen neuen Arbeitsplatz. Die neuerliche „Reform“ also wieder mit dem Job-Argument zu begründen, stellt eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit dar.
Schon der Anlass ist fingiert. Im europäischen Vergleich liegt der bundesdeutsche Steuersatz von 40 Prozent zwar tatsächlich im Spitzenbereich – allein: Es zahlt ihn keiner! Nach einer Untersuchung des DGB beträgt die durchschnittliche Belastung von BAYER & Co. gerade mal 15 bis 20 Prozent. Die Konzerne beherrschen die Kunst, sich arm zu rechnen, nämlich meisterhaft. Zwischen dem tatsächlich erwirtschafteten und dem versteuerten Plus klafft eine Riesenlücke. Das Bundesfinanzministerium ermittelte zwischen den in der „Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ ausgewiesenen und den den Finanzämtern angegebenen Gewinnen eine Differenz von 65 Milliarden Euro. Bei den so genannten „Gewinnen vor Steuern“ handelt es sich deshalb nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Lorenz Jarass nur um „eine fiktive Größe“. Auch die realen Erträge konnten die BeamtInnen nicht genau ermitteln. Dem Staat, der sonst mit Bienenfleiß alle möglichen Daten der BürgerInnen zusammenträgt, fehlt hier verlässliches Zahlenmaterial. Als die EU Angaben zur Steuersituation in der Bundesrepublik abforderte, sahen sich die Behörden noch nicht einmal in der Lage, verlässliche Schätzungen über die von den Unternehmen eingefahrene Ernte zu liefern.
Um Steuer-Fiktion und -Wirklichkeit einander wieder ein wenig anzugleichen, will Steinbrück im Gegenzug zu den Entlastungen einige Steuerschlupflöcher schließen und auf diese Weise die Kosten der „Reform“ für den Staat auf sechs Milliarden Euro begrenzen. Allein drei Milliarden Euro an Rückflüssen erhofft er sich davon, Schuldzinsen und Leasinggebühren künftig teilweise gewerbesteuerpflichtig zu machen. Die Unternehmen haben in der Vergangenheit ihren Eigenkapitalanteil kräftig heruntergefahren und Investitionen durch Geld finanziert, das sie sich bei Banken oder eigenen Tochterunternehmen im Ausland geliehen haben. Die dafür nötigen Zinszahlungen haben sie dann in der Bundesrepublik von ihren Gewinnen abgezogen. Was Steinbrück „Verschiebebahnhöfe“ nennt, heißt im Fachjargon „Verlust von Steuersubstrat durch Fremdfinanzierung“. Der Leverkusener Multi, dessen Eigenkapitalanteil vom 1999er-Höchststand „48,5 Prozent“ auf 30,4 Prozent im letzten Geschäftsjahr schrumpfte, konnte seine Steuerlast durch 341 Millionen Euro an Zinsverpflichtungen drücken.
Deshalb laufen die Multis auch Sturm gegen die so genannte Substanzbesteuerung. Die Finanzvorstände von BAYER und anderen Unternehmen schrieben in der Sache einen Brandbrief an Peer Steinbrück. BDI-Präsident Jürgen Thumann sprach derweil im Juni bei Angela Merkel vor und meldete anschließend Vollzug. Die Substanzbesteuerung sei so gut wie vom Tisch, teilte Thumann nach dem Gespräch der Presse mit. Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben schon signalisiert, eine solche Regelung im Bundesrat keinesfalls mitzutragen.
Auch mit anderen Posten von Steinbrücks Gegenfinanzierungsmodell sieht es nicht allzu gut aus. Als reinen „Hoffnungswert“ bezeichnete die Zeit die 3,5 Milliarden, die der Finanzminister durch die „Repatriierung“ bislang im Ausland versteuerter Einnahmen eingeplant hat. Aus diesem Grund wird für BAYER & Co. wohl ein wenig mehr abfallen als die vom Finanzministerium veranschlagten sechs Milliarden. Die Bundeskanzlerin spricht jedenfalls vorsorglich schon von bis zu zehn Milliarden.
Bis in die CDU hinein erhebt sich Protest gegen das Vorhaben. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bezeichnete es als Lebenlüge der CDU, an die arbeitsplatzschaffende Wirkung von Unternehmenssteuersenkungen zu glauben. Und der SPD-Politiker Florian Prohold mahnte, es dürfe nicht sein, dass „den Unternehmen die Sparopfer der Steuerzahler in den Hintern geschoben werden.“ Zehn sozialdemokratische Landtagsfraktionen teilten Steinbrück ihre Ablehnung seiner Reformpläne schriftlich mit. Sogar die EU erhebt Bedenken. Nach der Rechnung von Währungskommissar Joaquin Almunia gefährden die an die großen Kapitalgesellschaften verteilten Wohltaten die Einhaltung des Stabilitätspakts, zu der sich die Bundesrepublik vertraglich verpflichtet hat.
BAYER & Co. hätten hingegen gern noch ein wenig Nachschlag. Ihre Wunschliste reicht von der attraktiveren Besteuerung von Gewinnen und Verlusten innerhalb einer Unternehmensgruppe bis zur völligen Abschaffung der Gewerbesteuer.