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Beiträge verschlagwortet als “Bisphenol A”

[Friedhelm Meyer] Bayer HV 2012

CBG Redaktion

Mein Name ist Friedhelm Meyer. Ich bin evangelischer Pfarrer i.R. und spreche im Namen der Solidarischen Kirche im Rheinland, einer Gruppe in der Tradition der Bekennenden Kirche, für die das Engagement für Gerechtigkeit, Friede und die Bewahrung der Schöpfung wichtig ist. Zusammen mit der Coordination gegen BAYER-Gefahren, deren Mitglied wir sind, engagieren wir uns seit den 90er Jahren regelmäßig auf den evangelischen Kirchentagen mit Informationsständen zu jeweils aktuellen Gefahren, die von Produkten des BAYER-Konzerns ausgehen. Es gibt immer sehr viel Interesse und Zustimmung, besonders von Jüngeren und von Frauen.

Im vergangenen Jahr in Dresden ging es um Bisphenol A, den Grundstoff für Polycarbonat, zu dessen fünf größten Herstellern BAYER gehört. Vielen, mit denen wir sprachen, war nicht klar, wie allgegenwärtig Bisphenol A ist, z.B. in Kunststoffgeschirr, Lebensmittelverpackungen und Behältern, der Innenbeschichtung von Konservendosen, Cds, Kassenquittungen, Babyflaschen oder Zahnfüllungen.

Dabei sind die gesundheitlichen Risiken bis heute nicht geklärt und werden zum Teil kontrovers diskutiert. Die hormonellen Risiken sind seit Jahren bekannt. Säuglinge, deren Hormonsystem noch nicht ausgereift ist, sind besonders gefährdet – Unfruchtbarkeit, Fehlbildungen und verfrühte sexuelle Reife können die Folge sein.

Drei Tage vor dem Kirchentag wurde in der Europäischen Union der Verkauf von Babyflaschen aus Polycarbonat mit Bisphenol A-Gehalt verboten – ein erster Erfolg der jahrelangen Forderungen von Umweltverbänden wie BUND und unserer Coordination sowie auch vom Umweltbundesamt, der Forderung, Bisphenol A für alle risikoreichen Anwendungen zu verbieten. Kanada hatte schon Jahre zuvor Bisphenol A als „gefährliche Substanz“ deklariert, und Frankreich und Dänemark hatten es für Produkte verboten, die mit Kindernahrung in Berührung kommen.

Sie können sich vorstellen, dass nahezu alle, mit denen wir auf dem Kirchentag sprachen, unserem Appell an die Bundesregierung zustimmten:
Bisphenol A muss aus allen risikoreichen Anwendungen wie zum Beispiel Kinderspielzeug und Lebensmittelverpackungen verschwinden.

Das ermutigt uns, Sie, den Vorstand, dringend zu bitten: Nehmen Sie Ihre Verantwortung für die ganze Produktkette von Bisphenol A und die unabsehbaren Folgen wahr. Ersetzen Sie Bisphenol A durch Alternativstoffe.

Wir fragen Sie:

Welche Menge Bisphenol A haben Sie in den vergangenen drei Jahren jeweils produziert?

Welcher Anteil daran wurde für die Produktion von Trinkflaschen,
Lebensmittel-Verpackungen, Geschirr und Kinderspielzeug verwendet? Uns ist bewusst, dass Sie für diese Anwendungen nur die Rohstoffe liefern. Im Sinne einer nachhaltigen Unternehmens-Politik erwarten wir aber von Ihnen, dass Sie für die gesamte Produktionskette Verantwortung übernehmen und kein Bisphenol A an Hersteller solcher risikoreichen Anwendungen liefern.

Der Presse entnehmen wir, dass Bayer die Produktion von Bisphenol A in
Krefeld erweitern möchte. Wann soll die zusätzliche Anlage in Betrieb gehen und mit welcher Kapazität?

Andere Firmen produzieren Polycarbonat ohne das Vorprodukt Phosgen. Zur Erinnerung: Phosgen ist hochgefährlich und wurde im 1. Weltkrieg als Kampfgas eingesetzt. Bislang sind bei Bayer diese modernen Verfahren nicht im Einsatz. Wir fordern Sie auf, zum Schutz der Bevölkerung künftig nur noch phosgenfreie Anlagen einzusetzen.

[Gegenanträge] Hauptversammlung 2014

CBG Redaktion

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hat heute Gegenanträge zur BAYER-Hauptversammlung am 29. April in Köln eingereicht. Die Gegenanträge werden auch auf der website des Konzerns veröffentlicht.

Gegenantrag zu TOP 3: Der Aufsichtsrat wird nicht entlastet

Der Aufsichtsrat kommt seiner Kontrollfunktion ungenügend nach und soll daher nicht entlastet werden. Es folgen Beispiele einer verantwortungslosen Konzernpolitik, die vom Aufsichtsrat mitgetragen wird:

Bienensterben
Um die großflächigen Bienenvolksterben einzudämmen, hat die EU am 1. Dezember die Verwendung der von BAYER verkauften Pestizide Imidacloprid und Clothianidin weitgehend verboten. Die Wirkstoffe schädigen schon in geringsten Konzentrationen das Nervensystem von Insekten und können zu chronischen Vergiftungen führen. Der Rückgang der Bienen-Populationen gefährdet die Bestäubung wichtiger Kulturpflanzen und damit die Ernährungssicherheit. Auch Vögel sind betroffen, da sie wegen der rückläufigen Zahl wildlebender Insekten nicht genügend Nahrung finden.
Trotz des Nachweises der Schädlichkeit durch Dutzende unabhängiger Studien klagen BAYER und SYNGENTA gegen das EU-Verbot. Auch geht der Verkauf außerhalb der EU weiter. Einmal mehr ist für BAYER der kurzfristige Profit wichtiger als der Schutz von Flora und Fauna.

HIV-Infektion von Blutern
Der „Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband“ hat jüngst den Deutschen Hörfilmpreis an die ZDF-Produktion „Blutgeld“ vergeben. Einer der drei Hauptsponsoren war ausgerechnet die BAYER AG.
„Blutgeld“ erzählt die wahre Geschichte dreier Brüder, die durch Gerinnungspräparate mit HIV infiziert wurden. Hintergrund der Handlung: bis Mitte der 80er Jahre wurden tausende Bluter mit HIV und Hepatitis-C infiziert, hauptsächlich durch Produkte von BAYER. Firmeninterne Memos hatten die Gefahren für Bluter frühzeitig benannt, ohne dass das Unternehmen daraus Konsequenzen zog. Der Bundestag kam zu dem Ergebnis, dass die Mehrzahl der Infektionen hätte verhindert werden können, da Tests und Inaktivierungsverfahren rechtzeitig vorlagen. Aus Profitgründen widersetzte sich BAYER jedoch einer Umstellung der Produktion und der Vernichtung ungetesteter Präparate.
Bis heute verweigert BAYER den Opfern eine gerechte Entschädigung. Trotzdem konnten in harten Kämpfen Zahlungen von mehreren hundert Millionen Euro erzwungen werden. Das Sponsoring der Preisverleihung an „Blutgeld“ durch BAYER stellt eine Verhöhnung der infizierten Bluter dar. Die Opfer werden dazu missbraucht, dem Konzern mittels „mildtätiger Gaben“ ein menschliches Antlitz zu verleihen.

Gesundheitsschäden durch Bisphenol A
Die Zähne von rund 10% aller Kinder besitzen wegen unzureichender Mineralisation nicht genügend Festigkeit und zersetzen sich daher. Als Auslöser steht die Chemikalie Bisphenol A (BPA) in Verdacht. Im Tierversuch beeinträchtigt Bisphenol A die Mineralisation von Rattenzähnen.
BAYER ist einer der größten BPA-Produzenten weltweit. Die Chemikalie kommt u. a. in Plastik-Flaschen, Konservendosen und Lebensmittel-Verpackungen zum Einsatz. Dutzende von Studien bringen BPA mit Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen in Verbindung. Dr. Norbert Krämer von der Gießener Poliklinik für Kinder-Zahnheilkunde rät daher, keine Trinkflaschen aus Plastik zu verwenden und auf Lebensmittel zu verzichten, deren Verpackung BPA enthält.
Bereits 2008 hatte Kanada Bisphenol A als „gefährliche Substanz“ deklariert und eine Verwendung in Babyflaschen untersagt. 2011 folgte das EU-Verbot in Babyflaschen. Einige EU-Länder verhängten zusätzliche Verbote für Lebensmittelverpackungen und Trinkflaschen. Trotzdem stellt BAYER den Verkauf von Bisphenol A für risikoreiche Anwendungen nicht ein.
Vor wenigen Wochen kündigte die EU an, den Grenzwert für die BPA-Aufnahme drastisch zu verschärfen. Die Obergrenze soll von 50 µg pro Kilogramm Körpergewicht auf 5 µg gesenkt werden. Dies reicht jedoch nicht aus. Hormonaktive Chemikalien müssen aus allen Produkten des täglichen Verbrauchs verschwinden. Zudem benötigen wir dringend eine Umkehrung der Beweislast: Chemikalien, die im Verdacht stehen, gesundheitsschädlich zu wirken, müssen verboten werden - es sei denn, die Produzenten können diesen Verdacht nachweislich entkräften. Sonst vergehen weiterhin Jahrzehnte zwischen den ersten Hinweisen auf eine Schädigung bis zum Verbot einer Substanz.

Asbest
Ein Arbeitsgericht im nordspanischen Mieres hat BAYER zu einer Entschädigung von 71.800 € an die Hinterbliebenen eines langjährigen Mitarbeiters verurteilt. Der Arbeiter war an den Folgen seiner jahrzehntelangen Asbest-Belastung im Werk Langreo (Asturien) gestorben. Nach Ansicht des Gerichts hatte BAYER die Risiken ignoriert und es versäumt, die Arbeiter angemessen zu schützen.
Insgesamt wurde rund ein Fünftel des weltweit verbrauchten Asbests in der Chemie-Industrie eingesetzt. Die Gefahr für Leib und Leben war BAYER über Jahrzehnte hinweg bekannt. Durch gekaufte Gutachten und Zuwendungen an das damals zuständige „Institut für Wasser-, Boden- und Luft-Hygiene“ konnte die Industrie das Verbot um etwa 25 Jahre verzögern. Tausende Arbeiter/innen bezahlen dies mit ihrem Leben.
Bis heute hat BAYER kein Nachsorge-Programm eingerichtet, das alle Betroffenen erfasst und ihnen medizinische Betreuung anbietet.

Endokrine Disruptoren.

CBG Redaktion

Eine globale Bedrohung

Chemikalien haben viele gesundheitsgefährdende Eigenschaften. Eine der unheimlichsten: Manche Substanzen wirken ähnlich wie bestimmte körpereigene Stoffe und können damit den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln. So gleichen bestimmte Pestizide, Weichmacher oder andere Produkte wie etwa Bisphenol A in ihrem chemischen Aufbau Hormonen. Krebs, Diabetes, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit und andere Gesundheitsstörungen beschreiben MedizinerInnen als mögliche Folge. Darum will die EU die VerbraucherInnen besser vor diesen Produkten von BAYER & Co. schützen, aber die Konzerne torpedieren das nach Kräften. Ein Lehrstück in Sachen „Lobby-Arbeit“.

[Unterschriften] Unterschriftensammlung

CBG Redaktion

Ich fordere ein Verbot von Bisphenol A in risikoreichen Anwendungen wie Trinkflaschen, Kinderspielzeug und Lebensmittel-Verpackungen

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[EDCs SWB] Hormongifte

CBG Redaktion

Politik & Einfluss

Hormon-ähnliche Chemikalien von BAYER & Co.

Eine globale Bedrohung

Chemikalien haben viele gesundheitsgefährdende Eigenschaften. Eine der unheimlichsten: Manche Substanzen wirken ähnlich wie bestimmte körpereigene Stoffe und können damit den menschlichen Organismus gehörig durcheinanderwirbeln. So gleichen bestimmte Pestizide, Weichmacher oder andere Produkte wie etwa Bisphenol A in ihrem chemischen Aufbau Hormonen. Krebs, Diabetes, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit und andere Gesundheitsstörungen beschreiben MedizinerInnen als mögliche Folge. Darum will die EU die VerbraucherInnen besser vor diesen Produkten von BAYER & Co. schützen, aber die Konzerne torpedieren das nach Kräften. Ein Lehrstück in Sachen „Lobby-Arbeit“.

Von Jan Pehrke

Hormone sind die Botenstoffe des Körpers. Sie erfüllen damit eine wichtige Aufgabe in seinem Regulationssystem. Die biochemischen Substanzen steuern beispielsweise das Knochen-Wachstum, den Zucker- und Fett-Stoffwechsel, die Verdauung und die Sexualentwicklung. Stört nun etwas die Signal-Übertragung, so kommen falsche Botschaften an, was die Abläufe gehörig durcheinanderwirbeln kann. Und als solche „Störer“ – sogenannte endokrine Disruptoren (EDs) – hat die Wissenschaft seit einiger Zeit bestimmte Chemikalien ausgemacht. Viele dieser Substanzen gleichen in ihrem Aufbau nämlich Hormonen und haben deshalb ein beträchtliches Irritationspotenzial. Die mögliche Folge: Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Fettleibigkeit, Dysfunktionen des Nerven- und Immunsystems sowie Herz-, Leber- und Gebärmutter-Leiden.
Der Leverkusener Multi hat eine ganze Menge dieser Stoffe im Angebot. Und manche davon wie etwa das Antiraupen-Mittel RUNNER sollen sogar hormonelle Effekte entfalten. Es zählt nämich zu den Insekten-Wachstumsregulatoren, die BAYERs europäischer Lobbyverband „European Crop Protection Association“ (ECPA) wie folgt beschreibt: „Pheromone und Insekten-Wachstumsregulatoren werden im Pflanzenschutz speziell wegen ihrer Wirkungsweise als endokrine Disruptoren eingesetzt, um den Fortpflanzungsprozess zu stören oder den Lebenszyklus der Insekten zu verkürzen.“

Bei anderen Agro-Giften des Konzerns fällt die Beeinträchtigung des Hormonsystems hingegen eher in die Rubrik „Risiken und Nebenwirkungen“. Dies ist auch bei den anderen Substanzen mit hormon-ähnlichen Eigenschaften aus der Produktpalette des Global Players der Fall wie z. B. bei Weichmachern oder der Industrie-Chemikalie Bisphenol A, von welcher der Pharma-Riese allein im Jahr 2011 rund 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr herstellte.

Bereits seit den 1990er Jahren warnen WissenschaftlerInnen vor den Gefahren, die durch endokrine Disruptoren drohen. Die Politik blieb jedoch lange untätig. Die Europäische Union brachte 1999 zwar eine „Strategie für Umwelthormone“ auf den Weg, erkannte aber erst in der Dekade nach dem Jahrtausend-Wechsel Handlungsbedarf, wie die französische Publizistin Stéphane Horel in ihrem Buch „Intoxication“ ausführt. Im Rahmen der Neuordnung der Pestizid-Zulassungen nahm die EU 2009 auch die hormonelle Wirkung der Ackergifte in den Blick. Das Europäische Parlament sprach sich dabei für ein Verbot der entsprechenden Substanzen aus. Zu einer entsprechenden Regelung in der „Verordnung 1107/2009“ kam es damals jedoch nicht. Diese sollte erst per Nachtrag erfolgen, wenn die Europäische Kommission genaue Kriterien zur Bestimmung der EDs entwickelt hatte. Bis Ende 2013 gaben die ParlamentarierInnen ihr dafür Zeit.
Mit der Detail-Arbeit betraute die Kommission dann – vorerst – die „General-Direktion Umwelt“. Diese beauftragte zunächst eine Gruppe von WissenschaftlerInnen mit einer Untersuchung zum Forschungsstand in Sachen „hormon-ähnliche Chemikalien“. Anfang 2012 lag der Report „State of the Art Assessment of Endocrine Disrupters“ schließlich vor. Er bescheinigte den Stoffen einmal mehr gesundheitsschädigende Eigenschaften. Diese „rechtfertigen es, die endokrinen Disruptoren als ebenso besorgniserregende Substanzen anzusehen wie krebserregende, erbgutschädigende und reproduktionstoxische Produkte“, hält die Studie fest. Die ForscherInnen schlugen deshalb vor, eine eigene Kategorie für RUNNER & Co. zu schaffen und diese auch nicht wie andere potenziell gefährliche Hervorbringungen der Industrie nach der Wirkstärke zu beurteilen. Ein solches Kriterium erlaubt den WissenschaftlerInnen zufolge nämlich keine Rückschlüsse auf das von den EDs ausgehende Gesundheitsrisiko. Die Dosis macht das Gift – eben das trifft auf die endokrinen Disruptoren nicht zu, weshalb nach Meinung der AutorInnen auch Grenzwerte nicht vor deren Gefahren schützen. Der an der Expertise beteiligte Andreas Kortenkamp hatte das schon 2002 in einem Experiment nachgewiesen. Er mischte Polychlorierte Biphenyle, wie sie BAYER bis zu ihrem Verbot im Jahr 1989 massenhaft produzierte, Bisphenol A und sechs weitere Chemikalien zusammen, die für sich genommen nicht östrogen wirken, und erhielt ein überraschendes Ergebnis. „0 + 0 + 0 + 0 + 0 + 0 + 0 + 0 = 8“ lautete das Resultat. Also das glatte Gegenteil eines Nullsummenspiels. „Etwas, das aus dem Nichts entsteht“, fasste Kortenkamp den beunruhigenden Befund zusammen. „Schädliche chemische Stoffe in Produkten des täglichen Bedarfs müssen verboten werden. Die Gesundheit steht über dem wirtschaftlichen Interesse“, forderte der Toxikologe deshalb später in einem Zeitungsartikel.

Die unter seiner Federführung entstandene Untersuchung für die General-Direktion Umwelt alarmierte die Industrie und trieb sie zu einer beispiellosen Lobby-Offensive, in der BAYER eine Hauptrolle einnahm. Zudem machten noch zahlreiche große Organisationen Druck. So setzte die CEFIC, der europäische Verband der Chemie-Industrie, die endokrinen Disruptoren ganz oben auf seine Liste mit den „Lobbying-Schlüsselthemen“. Und die CEFIC kann sich diesem Schlüsselthema mit einiger Macht widmen: Sie ist mit ihren 29.000 Mitgliedsfirmen die größte europäische Unternehmensvereinigung, hat in Brüssel 150 Beschäftigte und verfügt über einen Jahresetat von 40 Millionen Euro. Damit nicht genug, opponierten noch weitere Verbände der Konzerne gegen allzu weitreichende Regulierungspläne. Zu ihnen zählten etwa die ECPA, der Zusammenschluss der europäischen Pestizid-Hersteller, dessen US-amerikanisches Pendant „Croplife“, das „American Chemistry Council“ und „Plastic Europe“ mit Patrick Thomas an der Spitze, dem Chef der BAYER-Tochter COVESTRO.
Zunächst heuerten BAYER & Co. willige WissenschaftlerInnen an, um Zweifel am Kortenkamp-Report zu säen.

Der vom „American Chemistry Council“ bestellte und bezahlte Text erschien dann Ende Mai 2012 in der Fachzeitschrift Criticial Reviews in Toxicology. Schon ein Blick auf die deklarierten Interessenskonflikte genügt, um sich eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Kritik, die sich hauptsächlich auf Fragen der Methodik konzentriert, zu ersparen. Alle sechs Autoren verfügten nämlich über beste Connections zu den Multis. Sie arbeiteten beispielsweise als Berater für die BASF oder das „American Chemistry Council“ und veröffentlichten in Tateinheit mit ForscherInnen von BAYER, DUPONT oder MONSANTO Artikel.
Einen ersten Zwischenerfolg erzielten die Konzerne schon bald darauf. Hatten die Unternehmen schon länger daran gearbeitet, den Einfluss der General-Direktion Umwelt zu begrenzen und industrie-freundlicheren EU-Organisationen mehr Gewicht in dem Prozess zukommen zu lassen, so konnten sie im Oktober 2012 Vollzug melden. Die Europäische Kommission übertrug der „Europäischen Behörde für Lebensmittel-Sicherheit“ (EFSA) die Aufgabe, ein wissenschaftliches Gutachten zur Identifizierung und zur Bewertung der endokrinen Disruptoren zu verfassen. Und die Agentur, deren MitarbeiterInnen mehr als einmal mit ihren Beziehungen zur Wirtschaft in die Schlagzeilen geraten waren, versuchte ihrem schlechten Ruf bereits von Anfang an gerecht zu werden: In der von ihr berufenen Arbeitsgruppe befanden sich nämlich überhaupt keine Hormon-SpezialistInnen. Das Ergebnis fiel entsprechend aus: „EDs können wie alle anderen den Menschen und die Umwelt gefährdenden Substanzen behandelt werden.“ Eine Beurteilung nicht einzig nach dem Gefahren-Potenzial, sondern überdies nach dem üblichen Kriterium der Wahl, dem Risiko-Potenzial, schlug die EFSA deshalb vor.

Endokrine Disruptoren fallen für die Agentur also nicht aus dem Rahmen dessen, was sonst so an schädlichen Chemikalien aufläuft, und der Umgang mit diesen kann ihr zufolge daher auch weitgehend in dem bisherigen Rahmen stattfinden. Das war natürlich ganz im Sinne der Industrie. Besonders die Zurückweisung des Gefahren-Ansatzes als einzigem Maßstab zur Beurteilung der EDs fand den Gefallen der Multis. Eine Prüfung der Stoffe auf der Grundlage der Gefahr unterscheidet sich nämlich maßgeblich von einer solchen auf der Grundlage des Risikos. Eine Bewertung anhand der Gefahr nimmt allein die Eigenschaften des Produkts an sich in Blick, eine anhand des Risikos berücksichtigt indes das Ausmaß, in dem Mensch, Tier und Umwelt der Chemikalie ausgesetzt sind. Während die Gefahr einer Substanz also immer absolut gilt und keine Grenzen kennt, ist das Risiko immer relativ. Es ist unter anderem von der Wirkstärke abhängig, und als Maß der Dinge kommt so der Grenzwert ins Spiel, der das Höchstmaß der Belastbarkeit anzeigt. Solche Limits träfen auf die – zähneknirschende – Zustimmung von BAYER & Co., erlaubten diese ihnen doch zumindest, ihre Waren, wenn auch mit mehr oder weniger großen Beschränkungen, auf dem Markt zu halten. Das gelänge bei einer Inventur unter der Maßgabe der Gefahr nicht. Danach müssten etwa alle als EDs identifizierte Acker-Gifte mit einem Verbot rechnen.
Und genau dieses, was der Kortenkamp-Report, ganz im Sinne der Pestizid-Richtlinie von 2009, nahelegte, indem er den endokrinen Disruptoren einen Sonderstatus zuschrieb und das Prinzip der Wirkstärke als Richtschnur für die Bewertung ablehnte, stellte die EFSA jetzt zur Disposition. Die Behörde tat dies wider besseren Wissens, war sie doch kurz vor dem Veröffentlichungsdatum noch drauf und dran, alles zu revidieren. Dass zwei Uno-Organisationen den Stand der Wissenschaft so ganz anders wiedergegeben hatten als sie selber und von den endokrinen Disruptoren als einer „globalen Bedrohung“ sprachen, hatten sie nämlich ins Zweifeln gebracht. „Ich denke, dass wir unseren Bericht (...) leider umarbeiten müssen, damit er besser reflektiert, was der Rest der Welt denkt“, e-mailte ein Mitglied der Arbeitsgruppe aufgestört. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der EFSA schlug indessen vor, wenigstens das Kapitel „Schlussfolgerungen“ zu ändern. Aber am Ende blieb doch alles, wie es war.

Die GD Umwelt hatte also allen Grund, an ihrem umfassenderen Schutz-Ansatz festzuhalten. Das allerdings rief BAYER auf den Plan. Der Leverkusener Multi gelangte vorzeitig in den Besitz des entsprechenden Papiers der GD Umwelt – ein Vertrauter bei der Kommission hatte es dem Chemie-Verband CEFIC durchgesteckt – und setzte im Juni 2013 einen Brief an die stellvertretende Generalsekretärin der EU-Kommission, Marianne Klingbeil, auf. „Die DG ENV (= GD Umwelt, Anm. SWB) favorisiert gegenwärtig ein Konzept, welches durchgängig auf der Basis des Vorsorge-Prinzips konstruiert worden ist (Hazard assessment). Dies bedeutet eine fundamentale Abkehr von den Prinzipien der Risiko-Bewertung und wird in Konsequenz weitreichende, gravierende Auswirkungen auf die Chemie-Branche und Agrar-Industrie (vor allem wegen der bei Pflanzenschutzmitteln angewandten cut-off-Kriterien, die einen Verlust der Zulassung bedingen), nach sich ziehen“, zeigte sich der Pharma-Riese alarmiert. Mehr als 37 Pestizide sieht er von einem Verbot bedroht. Allein der Bann der Antipilz-Mittel aus der Gruppe der Triazole, zu denen etwa die BAYER-Produkte PROVOST OPTI, FOLICUR und NATIVO gehören, würde zu einem Produktivitätsrückgang von 20 Prozent und zu Ernte-Verlusten bis zu 40 Prozent führen, rechnet der Konzern unter Bezugnahme auf zwei Studien vor. Mit Verweis auf die EU-Maxime der „Better regulation“ fordert er die Kommission deshalb auf, bei ihrer Entscheidung über die endokrinen Disruptoren die Auswirkungen auf die Wirtschaft mit zu berücksichtigen und ein sogenanntes Impact Assessment durchzuführen.

Und Brüssel erhörte die Signale. Statt wie vorgesehen 2013 die Kriterien zur Beurteilung der EDs vorzulegen, kündigte die Europäische Kommission erst einmal eine solche ökonomische Folge-Abschätzung an. Der Leverkusener Multi gab sich damit aber nicht zufrieden. Hatte er bereits vor dem Brief an Marianne Klingbeil gemeinsam mit BASF und SYNGENTA ein Scheiben an die EU verfasst und sich darin besorgt gezeigt, die Kriterien zur Bestimmung der endokrinen Disruptoren könnten ihren „komplett sicheren“ Pestiziden den Garaus machen, so setzte er in Tateinheit mit mehreren anderen Konzernen Mitte Oktober 2013 erneut ein Schriftstück auf. Darin gingen die Absender das Vorsorge-Prinzip von einer anderen Seite her an. Sie wollten es nun durch ein „Innovationsprinzip“ ergänzt wissen. Ein Gleichgewicht zwischen Gesundheitsschutz und Innovationsförderung sollte Brüssel nach Meinung der Vorstandschefs anstreben, denn: „Innovationen sind per definitionem mit Risiken verbunden.“

Damit endeten die Lobby-Aktivitäten von BAYER & Co. aber noch bei Weitem nicht. So brachte der willige Wissenschaftler Daniel Dietrich, der immer wieder gerne gemeinsam mit den ForscherInnen von BAYER, DOW oder ASTRAZENECA Studien publiziert, in der Fachzeitschrift Toxicology Letters einen höhnischen Artikel über die mit den endokrinen Disruptoren verbundenen Ängste unter. Darin deklarierte er forsch die den EDs zugeschriebenen Fruchtbarkeitsschädigungen wie etwa die Minderung der Samen-Qualität zu Symptomen einer männlichen Hysterie. „Man kann sich fragen, ob das ganze Thema ‚EDs’ nicht eher in die Kompetenz von Dr. Sigmund Freud fällt als in die der Toxikologie“, meinten Dietrich und seine Co-Autoren. Auf kaum höherem Niveau argumentierten die Konzerne und ihre Vorfeld-Organisationen.

Die CEFIC etwa griff in ihren zahlreichen Eingaben zum Standard-Argument der Industrie und bestritt den Kausal-Zusammenhang zwischen Substanz und Nebenwirkungen. Stattdessen führte die Organisation andere mögliche Ursachen ins Feld wie Umwelteinflüsse und Lebensführung. Zudem erklärte sie die Symptome für reversibel. Allen Ernstes führte sie dafür in einem Schreiben an die EU Horror-Filme als Beispiel an. Diese riefen auch hormonelle Reaktionen des Körpers hervor, allerdings klängen diese bald wieder ab, so die CEFIC.
BAYER versuchte darüber hinaus noch, die LandwirtInnen gegen eine allzu weitreichende Regulation der endokrinen Disruptoren zu mobilisieren. Der Leverkusener Multi entwarf ein Horror-Szenario von Ernte-Verlusten durch bald nicht mehr erhältliche Pestizide und rief die FarmerInnen dazu auf, sich an den Konsultationen Brüssels zu den EDs zu beteiligen. Darüber hinaus ließ der Global Player seine Beziehungen spielen, um direkt mit Karl Falkenberg, dem Leiter der GD Umwelt, ins Gespräch zu kommen. Der heute beim Berliner „Global Forum for Food and Agriculture“ tätige Eckart Guth bat seinen früheren EU-Kollegen Falkenberg um eine Zusammenkunft mit dem BAYER-Manager Franz Eversheim. „Lieber Karl, ich schreibe dir, um dich zu bitten, Herrn (Name in dem EU-Dokument geschwärzt, Anm. SWB) zu treffen, den Leiter Public and Government Affairs Europa von BAYER CROPSCIENCE. Wir haben vor einiger Zeit beim Bier nach dem Tennis über das zur Diskussion stehende Thema gesprochen. Aber ich fürchte, es ist zu ernst, um es dabei belassen zu können. Darum würde ich dir vorschlagen, Herrn (geschwärzt, Anm. SWB) zu treffen, den ich in institutionellen Angelegenheiten berate“, hieß es in dem Schreiben. Und das zur Diskussion stehende Thema, das waren die Kriterien zur Bestimmung der endokrinen Disruptoren. Ob es dann auch wirklich zu dem Tête-à-Tête gekommen ist, das vermochte Stéphane Horel nicht herauszubekommen, dennoch zeigt das Dokument sehr gut, wie Lobbyismus in Brüssel so funktioniert.

2013 brachten es BAYER & Co. allein in der zweiten Juni-Hälfte auf sechs Treffen mit EU-Offiziellen; rund 30 Mails der Industrie liefen in diesem Zeitraum auf. Sogar den Profi-AntichambrierInnen von der ECPA begann das alles über den Kopf zu wachsen. Der Druck von Seiten der Mitgliedsfirmen sei „enorm“, schütteten sie Peter Korytar von der GD Umwelt ihr Herz aus. Dazu kam noch Unterstützung aus Übersee. „Croplife America“, der US-Verband der Pestizid-Produzenten, und das „American Chemistry Council“ übten Druck auf die EU-Repräsentanz in Washington aus, weil sie sich Sorgen um ihre Agrogift-Exporte machten. Darum setzten sie die Pläne der EU in Sachen „endokrine Disruptoren“ auch auf die Agenda der TTIP-Verhandlungen. Als mögliches Handelshemmnis und ein konkretes Beispiel für Reform-Bedarf bei der Regulierungszusammenarbeit galten diese den US-amerikanischen Verbänden.
All das ließ die EU-Kommission nicht ungerührt. Sie entzog schließlich der GD Umwelt die Verantwortung in dem Prozess und verschleppte die Arbeit an den Kriterien für die Bestimmung der ED-Kriterien immer mehr. So sehr, dass Schweden schließlich der Kragen platzte. Das Land verklagte die Kommission wegen Untätigkeit und bekam im März 2016 auch Recht zugesprochen.

Nun mussten Juncker & Co. endgültig liefern. Und Mitte Juni taten sie es schließlich. Die Europäische Kommission unterrichtete das Europäische Parlament und den Europäischen Rat „über endokrine Disruptoren und die Entwürfe der Kommissionsrechtsakte zur Festlegung der wissenschaftlichen Kritierien für ihre Bestimmung im Kontext der EU-Rechtsvorschriften über Pflanzenschutzmittel und Biozid-Produkte“.

Bei der Definition der EDs verzichtet die Kommission auf die umstrittenen Kategorie der Wirkstärke, sie greift zur Freude von BAYER & Co. „wohl aber bei der Bewertung des tatsächlichen Risikos, das von endokrinen Disruptoren ausgeht“, auf diese zurück. Und noch eines weiteren „aber“ bedient Junckers Riege sich. Sie will die Verbotsanordnungen grundsätzlich zwar auf der Grundlage des Gefahren-Ansatzes verhängen und nicht dem Risiko-Relativismus frönen, der sich am dem Maß der ED-Dröhnung orientiert, allein: „Es gibt jedoch einige begrenzte Ausnahmen“. Zu diesen zählt die Kommission ein vernachlässigbares Risiko, eine vernachlässigbare Exposition, sozio-ökonomische Gründe und ernste Gefährdungen der Pflanzen-Gesundheit. Eine ganz schön große Auswahl für die Konzerne – da hatte das die wirtschaftlichen Folgen der ED-Regulierung abschätzende „Impact Assessment“ seine Wirkung offensichtlich nicht verfehlt.

Dementsprechend hart fiel das Urteil von Umweltverbänden und Fachwelt aus. „Das Vorsorge-Prinzip wird durch die Vorschläge mit Füßen getreten“, konstatiert etwa das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN). Hätte ursprünglich der Beleg einer hormon-schädlichen Eigenschaft für eine Regulierung ausgereicht, so müsse nun die Relevanz eines schädlichen Effekts beim Menschen tatsächlich nachgewiesen sein“, moniert die Initiative. Zudem kritisiert PAN die Erweiterung der Ausnahme-Bestimmungen für hormon-aktive Pestizide, die jetzt im Umlauf bleiben dürfen, wenn sie eine bestimmte Schwelle nicht überschreiten. Als „ganz im Sinne der Pestizid- und Chemie-Industrie“ und „Vorboten von CETA und TTIP“ bezeichnet die PAN-Aktivistin Susanne Smolka die Vorschläge der EU. Die Wissenschaftsvereinigung „Endocrine Society“ lehnt den vorgelegten Entwurf ebenfalls ab. „In Bezug auf die endokrinen Disruptoren noch strengere wissenschaftliche Maßstäbe anzulegen als in Bezug auf die Karzinogene, für die sie schon sehr streng sind, wäre ein Schritt in die falsche Richtung“, so Rémy Slama. Auch das Umweltbundesamt zeigt sich enttäuscht: „Damit verlässt die EU den gefahren-basierten Ansatz, den wir fordern.“ Während bundesdeutsche PolitikerInnen sich mit Kommentaren zurückhielten, bezeichnete die französische Umweltministerin Ségolène Royal die Vorlage aus Brüssel als „extrem enttäuschend“. Gemeinsam mit ihren KollegInnen aus Schweden und Dänemark setzte sie deshalb einen Brief an Jean-Claude Juncker auf, der ein generelles Verbot von endokrinen Disruptoren in Pestiziden zur Forderung erhob.
Die Industrie ließ sich indessen ihre Freude nicht anmerken. Aus taktischen Gründen zog sie es vor, gleichfalls in den Chor der KritikerInnen einzufallen, um die Vorlage der EU als goldenen Mittelweg erscheinen zu lassen und ihre erfolgreiche Lobby-Arbeit nicht durch eine Geste des Triumphalismus zu gefährden.

Die ECPA richtete ihren Tunnelblick einzig auf die Ausnahme-Regelungen und empfand diese als ungenügend. Aus diesem Grund krittelte der Pestizid-Verband an den Kriterien herum, die sich seiner Ansicht nach etwas risiko-freudiger hätten zeigen sollen, statt nur der Gefahr ins Auge zu sehen. „Eine Regulierung durch Ausnahmen ist weder akzeptabel noch wissenschaftlich. Wenn man immer mehr Ausnahmen schaffen muss, ist das ein Anzeichen dafür, dass mit den Kriterien etwas nicht stimmt“, meinte ECPA-Sprecher Graeme Taylor. Der „Verband der Chemischen Industrie“ zeigte sich ebenfalls demonstrativ verstimmt. „Die Kriterien taugen in der Praxis nicht zu einer verlässlichen Unterscheidung in schädliche und harmlose Stoffe“, konstatierte er. Harmlose Substanzen gibt es unter den Chemikalien mit hormoneller Wirkungen nach Ansicht der Lobby-Organisation von BAYER & Co. nämlich wirklich. „Eine sichere Handhabung hormon-aktiver Stoffe ist möglich“, befand der Verband und plädierte einmal mehr für eine Regulierung mit Hilfe von Grenzwerten nach Maßgabe der Wirkstärke der EDs. Und dienten seinem europäischen Pendant CEFIC noch Horror-Filme als Beispiele für hormonell Wirksames mit geringer Halbwertzeit, so rekurriert der bundesdeutsche Chemie-Verband nun auf Vitamin D und Koffein als Substanzen, die unterhalb bestimmter Konzentrationen keine Irritationen im Hormon-System hervorrufen.

Lob erntete Brüssel kaum. Nur das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) tat sich wieder einmal unrühmlich hervor. Hatte sich das Institut, in dessen Kommissionen VertreterInnen von BAYER, BASF und anderen Konzernen sitzen, schon in Sachen „Glyphosat“ als Anwalt von Unternehmenspositionen hervorgetan, so ging es nun auch d’accord mit dem EU-Entwurf zu den EDs. „BfR begrüßt wissenschaftliche Kriterien der EU-Kommission für die Identifizierung endokriner Disruptoren“, überschrieben die Risiko-BewerterInnen ihre Pressemeldung. Kunststück: Die Bundeseinrichtung hatte in ihren Einfluss in dem ganzen Prozess immer wieder geltend gemacht. So saßen BfR-VertreterInnen etwa in der EFSA-Arbeitsgruppe, welche keinen prinziellen Unterschied zwischen den endokrinen Disruptoren und anderen Chemikalien machen wollte. Darüber hinaus betonte das Bundesinstitut schon früh „die große ökonomische Tragweite“ der Entscheidung über die hormonellen Substanzen und trat deshalb bei der Kommission immer für Grenzwerte statt für Totalverbote ein.

In der belgischen Hauptstadt geht jetzt erst einmal alles seinen EU-bürokratischen Gang. Andere Gremien müssen sich mit dem Kommissionsentwurf befassen, was noch zu einigen Konflikten führen dürfte. BAYER & Co. haben sich dafür schon einmal in Stellung gebracht und im Falle eines missliebigen Ergebnisses sogar mit gerichtlichen Auseinandersetzungen gedroht. Aber auch die Initiativen haben bereits mit Aktionen begonnen. So hat das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK eine Unterschriften-Aktion an den Start gebracht. Und die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird ebenfalls nicht untätig bleiben.

[Aufruf] Aufruf Demonstrationen 17. September 2016

CBG Redaktion

Aufruf zur Demo gegen TTIP und CETA am 17. September

BAYER setzt sich nicht von ungefähr stark für das Freihandelsabkommen TTIP ein, das die EU und die USA abschließen wollen. Allein durch die avisierte Senkung der Zölle erwartet der Leverkusener Multi große ökonomische Vorteile, vor allem bei dem Handel, den er mit sich selbst betreibt. Der Konzern hat seine Wertschöpfungskette nämlich quer über die Kontinente verteilt, die Herstellung von Vorprodukten erfolgt oftmals ganz woanders als die Verarbeitung. „Auch deshalb summiert sich der transatlantische Handel des BAYER-Konzerns jährlich auf einen Milliarden-Betrag, das meiste davon firmen-intern. Durch TTIP könnten wir also in erheblichem Umfang Zollgebühren sparen“, kalkulierte der einstige BAYER-Chef Marijn Dekkers durch. „Am meisten aber würde eine Annäherung von Regulierungen bringen“, sagte er und zählt als Beispiele vereinheitlichte Kriterien für Arzneimittel-Zulassungen und Betriebsinspektionen auf. Auch von laxeren Standards für Pestizide, Gen-Pflanzen und hormonell wirksame Stoffe wie Bisphenol A hofft der Konzern zu profitieren. Summa summarum beziffert er den TTIP-Effekt auf einen Betrag in dreistelliger Millionen-Höhe – im Jahr wohlbemerkt. Und dann wären da noch die Schiedsgerichte, die ihm noch bessere Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner Rechtspositionen versprechen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wendet sich massiv gegen diese Art der Unternehmensbeglückung auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt. Sie beteiligt sich deshalb aktiv an den Kampagnen gegen TTIP, CETA & Co. und nimmt am 17. September auch an den bundesweiten Protesten gegen die Handelsabkommen teil.

[HV Bericht] STICHWORT BAYER 02/2008

CBG Redaktion

Hauptversammlung der BAYER-KritikerInnen

Verkehrte Profit-Welt

„Pipeline protest comes home“ hieß es auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung von BAYER. Aber nicht nur die GegnerInnen der Kohlenmonoxid-Leitung verdarben der Unternehmensspitze die Freude über „das bisher erfolgreichste Jahr“. Auch die Konzern-KritikerInnen, welche die Gentechnik, die Klimapolitik, die Agrotreibstoffe, die Pharma-GAUs oder die Welternährungskrise auf die Tagesordnung setzten, störten die Jubelfeier über den 4,7-Milliarden-Euro-Gewinn empfindlich.

Die Konzern-KritikerInnen waren als erste da: Schon lange vor Beginn der BAYER-Hauptversammlung hatten sich die Pipeline-GegnerInnen der verschiedenen Bürgerinitiativen, Mitglieder der SOLIDARISCHEN KIRCHE IM RHEINLAND und AktivistInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) vor der Halle 8 der Kölner Messe aufgebaut, um die AktionärInnen in Empfang zu nehmen. Als diese schließlich aus den Bussen strömten, mussten sie sich den Weg zum Eingang zwischen Schildern mit dem einzig wahren BAYER-Motto „Science for a shorter life“, dem auf einem Transparent innig die CO-Pipeline umarmenden Gevatter Tod und Menschen bahnen, denen der Unmut über das Bauvorhaben auf den Leib geschrieben war: „Eure Dividende ist unser Tod - keine CO-Pipeline“ stand auf einem T-Shirt. Und die von zahlreichen flinken Händen verteilten Flugblätter boten noch mehr Lesestoff.

Da war dann in den Heiligen Hallen selber erst einmal Gehirnwäsche angesagt. BAYER empfing die AktionärInnen mit dem aufwändig produzierten Superhelden-Film „BAYER rettet das Weltklima“. In den Hauptrollen: die Jatropha-Pflanze als fossile Brennstoffe ersetzende Sprit-Alternative, die Biotechnologie als Beschützerin der zunehmend den Nebenwirkungen des Klimawandels ausgesetzten Nutzpflanzen und BAYER-Werkstoffe als ressourcen-schonende Wärmedämmer. Bis in die Nebenrollen hinein bot das Werk großes Kino. „Jeder einzelne Mitarbeiter ist eingebunden. So fördern wir den verstärkten Einsatz moderner Kommunikationsmittel, um Dienstreisen zu reduzieren“, hieß es im Kommentar.

„Ich glaube, der Film, den wir soeben gesehen haben und auch die Ausstellung im Foyer führen uns eines eindrucksvoll vor Augen: BAYER leistet wichtige Beiträge zur Reduzierung der C02-Emissionen“, konstatierte BAYER-Chef Werner Wenning zu Beginn seiner Eröffnungsrede, um dann aber gleich zu etwas „completely different“ zu kommen: dem Rekordgewinn von 4,7 Milliarden Euro, der Aktienkurs-Entwicklung und der Dividende. Nur im Mittelteil wurde Wenning noch einmal besinnlich: „Meine Damen und Herren, es besteht allerdings auch kein Zweifel, dass die Reputation und das Vertrauen in das Unternehmensmanagement in letzter Zeit deutlich gelitten haben. Dafür gibt es so manche Gründe, auf die ich hier nicht näher eingehen will“.

Die Pipeline ...
Er wird schon gewusst haben, warum, und sah das Ganze eher von der geschäftlichen Seite. Die gesellschaftliche Akzeptanz eines Unternehmens bezeichnete der Große Vorsitzende als eine wesentliche Grundlage für den Erfolg und kam infolgedessen auch auf das Akzeptanz-Problem zu sprechen, das sich vor der Hauptversammlung Gehör verschafft hatte. „Ich will auch hier noch einmal betonen, dass wir von der Sicherheit und Notwendigkeit der CO-Pipeline überzeugt sind“. Weil der Konzern damit allein auf weiter Flur steht und unlängst nicht einmal das Oberlandesgericht Münster einsehen mochte, inwiefern die Enteignungen entlang des Streckenverlaufes der Allgemeinheit dienlich sein sollten, kündigte BAYER weitere Überzeugungsarbeit an. „Derzeit wird an Aussagen zum Gemeinwohl dieser Pipeline gearbeitet“, teilte Wenning mit. Einstweilen versuchte er jedoch, die starrsinnige Bevölkerung mit Drohungen zu ihrem Pipeline-Glück zu zwingen: „Wir müssen uns fragen, wie wir Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen wollen, wenn wir nicht für eine moderne, wettbewerbsfähige Infrastruktur sorgen“.

Die zahlreichen GegnerInnen der Kohlenmonoxid-Leitung ließen sich davon nicht beeindrucken. So fragte sich Marlis Elsen von der Initiative BAUSTOPP DER BAYER-PIPELINE etwas ganz anderes. „Woher nehmen Sie die Überzeugung, dass die Sicherheitsvorkehrungen die gesetzlichen Vorgaben übertreffen und angemessen für ein derartig tückisches Gas sind“, wollte sie vom Vorstandsvorsitzenden wissen und verwies auf den angeblich hochreißfesten Werkstoff Geogrid, der Baggern standhalten sollte, aber im Praxistest nicht einmal einer einfachen Rosenschere trotzen konnte. „Das Leben von nahezu 200.000 Menschen wird in Gefahr gebracht, nur um den Gewinn eines Großkonzerns zu maximieren“, empörte sich Elsen.

Dieter Donner, der Pressekoordinator der Initiative „Bau-Stopp der BAYER-Pipeline“ vermochte in der Rohrleitung ebenfalls nichts dem Allgemeinwohl dienendes erkennen und warnte den Konzern davor, sich das grüne Licht für die Inbetriebnahme einfach auf dem kleinen Dienstweg von der Landespolitik zu holen. „Da die BAYER AG fremdes Eigentum in Anspruch nimmt, um diese Giftgas-Leitung zu bauen und zu betreiben, reicht es nicht, sich mit Landesregierung und Landtag zu einigen. BAYER wird letztlich darauf angewiesen sein, entweder das Gemeinwohl verfassungsrechtlich vor dem Bundesverfassungsgericht wirksam zu begründen oder sich mit den Klägern zu einigen. Beides wird nicht gelingen“, prophezeite Donner.

Der Krefelder Architekt Harald Jochums brauchte noch nicht einmal eigene Argumente gegen die Pipeline vorzubringen. Die Worte ihrer Befürworter sprachen seiner Ansicht nach für sich. „Es ist natürlich gefährlich, wenn das Gas ausströmt und Sie stehen daneben; dann fallen Sie natürlich um und sind auch tot“, zitierte er den Regierungspräsidenten Jürgen Büssow. Dann ließ der Fachmann für ökologisches Bauen einfach Fotos sprechen. Die Aufnahmen von den Verlegungsarbeiten zeigten, wie es konkret mit den Beteuerungen des Konzernes aussieht, alles Menschenmögliche für die Sicherheit des Projektes zu tun: Viele Baustellen sind seit Monaten verwaist, die Rohre modern im Wasser vor sich hin und verrotten. „Solche katastrophalen Baustellen habe ich in meinem nunmehr 35-jährigem Berufsleben noch nicht gesehen - und das bei so einem hochgefährlichen Medium!“, ereiferte sich Jochums.

Axel Köhler-Schnura von der CBG legte der Hauptversammlung dar, gegen welche enormen Widerstände der Konzern das Projekt vorantreibt: partei-übergreifende Ablehnung in fünf Städten, 80.000 Unterschriften, fast wöchentliche Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen und andere Veranstaltungen, Sicherheitsbedenken von Polizei und Feuerwehr, kritische Fachgutachten und Urteile des Münsteraner Oberlandesgerichts. „Wann kehren Sie endlich auf den Boden der Demokratie zurück und stellen den Bau ein“, fragte der CBG-Vorständler angesichts dieser beeindruckenden Liste. Zudem machte er mit Blick auf die Geschichte der Coordination, die sich vor 30 Jahren nach einem Störfall in Wuppertal gründete, deutlich, in welcher Kontinuität das Pipeline-Projekt steht: „Alles, was aus den letzten 30 Jahren gelernt werden kann, ist, dass dieser Konzern mit seiner Profitgier, mit seinen Gefahren für Mensch und Umwelt gemeingefährlich ist“.

Aber Werner Wenning focht das alles nicht an. Er nahm für sich und seine Kollegen in Anspruch, aus der Geschichte gelernt zu haben - „Aber Sie haben das offensichtlich nicht gemerkt“ - und stand in Treue fest zur Giftgas-Röhre. Sie sei „das beste Transportmittel“, man habe die Alternativen sorgfältig abgewogen. Die Demonstrationen konnten ihn schon gar nicht davon abbringen: „Ob Demonstrationen das geeignete Mittel zum Dialog sind, muss jeder mit sich selber abmachen“. Und die Warnungen Dieter Donners vor einem Image-Verlust ignorierte der BAYER-Chef schnöde. „Ich weiß nicht, was Sie unter einem Image-Verlust verstehen. Wir wissen, dass wir Arbeitsplätze schaffen“, so Wenning. Der Vorstandsvorsitzende hatte allerdings auch gut reden, wohnen doch weder er noch seine Kollegen in unmittelbarer Nähe der Pipeline, wie der Manager auf eine entsprechende Frage hin zu Protokoll gab.

... und andere Katastrophen
Dabei ließ nicht nur der Blick in die Geschichte, den Axel Köhler-Schnura vornahm, den Umgang des Konzerns mit den Risiken und Nebenwirkungen seiner Geschäftstätigkeit als Wiederholungsfall erscheinen, auch das zur Verhandlung stehende Geschäftsjahr 2007 bot dafür genügend Anschauungsmaterial. So sprach CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes die Unfallserie am US-amerikanischen BAYER-Standort Institute an, wo die 2-4fache Menge der gefürchteten Bhopal-Chemikalie MIC in Tanks lagert. In die Nähe des größten Chemie-GAUs der Menschheitsgeschichte wollte Wenning die Niederlassung jedoch nicht gerückt sehen: „Unsere Produktionsanlage in den USA mit Bhopal zu vergleichen, halten wir für völlig unangemessen“. Auch für die Fertigungsstätte in Baytown legte er seine Hand ins Feuer, obwohl eine neue Studie diese - vor allem wegen der Verbrennung von TDA-Rückständen - als viertgrößten Luftverschmutzer der USA brandmarkte. Sie entspräche dem jüngsten Stand der Technik, versetzte Wenning knapp, wohlweislich verschweigend, dass BAYER hier auf doppelte Standards setzt und die TDA-Produktion im heimischen Dormagen auf einem jüngeren Stand der Technik betreibt. Aber auch was die oft genug nicht eben sicheren Produktionsstätten des Multis verlässt, hat es Mimkes zufolge oft genug in sich. Bisphenol A (BPA) etwa, das in Plastikflaschen und Dosenbeschichtungen enthalten ist, kann den Hormonhaushalt schädigen. Die kanadischen Behörden haben den Stoff deshalb jüngst als „gefährliche Substanz“ eingestuft, woraufhin WAL-MART und andere Ketten die entsprechenden Flaschen mit Babynahrung umgehend aus ihrem Sortiment strichen. „Wann hören Sie endlich damit auf, die Risiken von BPA herunterzuspielen?“, fragte der CBGler den Ober-BAYER. „Im Gegensatz zu diesen Unterstellungen, dass wir die Risiken herunterspielen würden, gehen wir verantwortlich damit um“, erhielt er zur Antwort.

Ulrich Grubert vom NIEDERRHEINISCHEN UMWELTSCHUTZVEREIN führte Mimkes‘ Mängelliste fort. Er widmete sich dem in BAYERs Krefelder Chemiepark geplanten Kohlekraftwerk, das nicht nur jährlich vier Millionen Tonnen Kohlendioxid sowie Feinstaub, Schwefeldioxid und Schwefeloxide ausstößt, sondern auch radioaktive Strahlung absondert. „Es wäre ein Skandal, wenn diese Niedrigstrahlung von Atomkraftwerke käme“, hielt Grubert fest. Bei seiner Frage zum genauen Ausmaß der ganzen Emissionen konnte Wenning dem Physiker nicht weiterhelfen. Da müsse er sich an den Betreiber TRIANEL wenden, beschied ihm der Vorstandsvorsitzende. Er wusste lediglich, dass das „hochmoderne Kraftwerk“ angeblich ein Fünftel weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre bläst als ältere Typen und mit einer Rohstoff-Einsparung von 20 Prozent die Bilanz entlastet. Da aber „grüne“ Argumente nicht recht weiterhalfen, griff Werner Wenning wie schon bei der Pipeline-Diskussion wieder zu seinem Totschlag-Argument und drohte im Fall eines Nichtbaus mit Arbeitsplatz-Verlusten.

Der Autor dieses Artikels erweiterte das im Schwarzbuch BAYER besonders umfangreiche Pharma-Kapitel und berichtete von dramatischen Zwischenfällen beim Test des Parkinson-Präparats Spheramine. Depressionen, Lähmungserscheinungen, motorische Störungen, Sprachausfälle, epileptische Anfälle, Hirnblutungen, Asthma und Verwirrtheitszustände beobachteten die MedizinerInnen bei den ProbandInnen, denen sie Zellen zur Dopamin-Produktion ins Gehirn gespritzt hatten. Eine der TeilnehmerInnen an dem Versuch, der nicht den ethischen Standards der bundesdeutschen Aufsichtsbehörden entsprach und deshalb in den USA stattfinden musste, ist sogar für immer an einen Rollstuhl gefesselt und auf fremde Hilfe angewiesen. Da „fühlen wir mit der Patientin und haben bereits eine einvernehmliche Lösung gefunden“, klärte Wenning die Entschädigungsfrage - ohne allerdings die Schuldfrage zu beantworten. „Es ist nicht erwiesen, ob die bei den Patienten beobachteten Symptome in Zusammenhang mit Spheramine stehen“, sagte der BAYER-Chef, während er den Zusammenhang zwischen Spheramine und den angeblich festgestellten „Verbesserungen um 50 Prozent“ bei den Krankheitsverläufen als evident ansah. Zudem wäre man nach den strengsten wissenschaftlichen und ethischen Grundsätzen vorgegangen, tat Wenning kund, diese jedoch „können je nach Land unterschiedlich sein“.

Ein weiteres Sicherheitsrisiko machte CBG-Mitglied Ulla Krajewski in dem BAYER-Genreis aus, der gegen das Herbizid LIBERTY resistent ist. Obwohl noch gar nicht zugelassen, hatte er sich im Jahr 2006 in ganz normalen Supermarkt-Sorten wiedergefunden. Auf „höhere Gewalt“ führte das Unternehmen diese Verunreinigung zurück, was Krajewski nicht ganz mit dem BAYER-Bekenntnis „Wir vertreiben gentechnische Produkte oder Verfahren nur, wenn ihre Sicherheit und Umweltverträglichkeit nach dem Stand des Wissens und der Technik gewährleistet sind“ in Einklang bringen konnte. Werner Wenning brachte das erwartungsgemäß auch nicht zusammen. Eine Verletzung der gesetzlichen Bestimmung im Zusammenhang mit dem Reis läge nicht vor, und im Übrigen handle es sich um „gut erforschte Proteine“, unbedenklich für die menschliche Gesundheit und den Einsatz als Futtermittel, entgegnete er der CBGlerin. Wenning drohte sogar eine EU-weite Ausdehnung der Gefahrenzone an: „Wir sind zuversichtlich, nun auch bald eine Importgenehmigung zu erhalten“. Auf den Philippinen weckte ein solcher Zulassungsantrag die Ängste der Bevölkerung, wie Ulla Krajewski berichtete. Die LandwirtInnen sehen durch die westliche Laborfrucht die Artenvielfalt bedroht, die ihnen die Möglichkeit gibt, besonders widerstandsfähige Reis-Arten zu züchten. Weil das die Nahrungsmittelsicherheit gefährdet, protestierten die FarmerInnen massiv gegen das Vorhaben des Agro-Multis. „Was würden Sie der dortigen Bevölkerung sagen, um ihre Sorgen zu entkräften“, erkundigte sich die CBG-Aktivistin bei dem Konzern-Lenker, „Vermutlich würden Sie versprechen, dass der Anbau von gv-Früchten helfen wird, den weltweiten Hunger zu bekämpfen, aber meine Frage zielt auf konkrete Aussagen: Gibt es schon ein Beispiel, wie eine Genpflanze geholfen hat, den Welthunger zu lindern?“ Dem BAYER-Mann fiel gerade keines ein.

leere Mägen, volle Kassen
Der Welthunger interessiert den Manager nämlich herzlich wenig. Während es in vielen Teilen der Erde zu Aufständen kam, weil die Kosten für Nahrungsmittel ins Unermessliche stiegen, verkündete BAYER die frohe Botschaft: „Wir konnten an der positiven Entwicklung der Welt-Agrarmärkte partizipieren“. „Wie können Sie angesichts der massiven Verteuerung der Grundnahrungsmittel, angesichts des buchstäblichen Verhungerns von Millionen Menschen von einer ‚positiven Entwicklung der Weltagrarmärkte“ sprechen?“, fragte Andrea Will von der DKP den Vorstandsvorsitzenden, um der Hauptversammlung dann am Beispiel Haiti eine kleine Einführung in die Ökonomie des Welthungers zu geben. Das Land besaß Will zufolge noch vor 20 Jahre einen florierenden Reis-Anbau. Dann forderte die Weltbank eine Öffnung der Märkte ein, und die hoch subventionierten Lebensmittel made in USA kamen zu Dumpingpreisen in die Geschäfte. Die Farmer verließen ihre Felder, zogen in die Stadt, und arbeiteten in den Fabriken zu Löhnen, die gerade für die US-amerikanischen Importe reichten. Jedensfalls, solange die Preise für Weizen, Reis & Co. sich an den Warenterminbörsen noch im Rahmen hielten. Als diese aber explodierten, konnten die Menschen sich Brot und Butter nicht mehr leisten. „Und deshalb essen die Menschen in Haiti Lehm, um überhaupt etwas im Magen zu haben“, schloss die Kommunistin ihren Exkurs. Werner Wenning mochte da nicht folgen. Ohne die BAYER-Pestizide, die so „von den positiven Rahmenbedingungen auf den Weltagrarmärkten“ profitierten, wie er in seiner Eingangsrede dargelegt hatte, gäbe es „30 Prozent weniger Erträge“, behauptete der Unternehmensboss.

Susanne Gura vom FORUM UMWELT UND ENTWICKLUNG widerlegte das flugs. „Erst vorige Woche hat der Weltagrar-Rat eine radikale Reform der Landwirtschaft gefordert. Weltweit seien die Böden durch Agrar-Chemikalien geschädigt und daher seit Jahren die Ernten wichtiger Grundnahrungsmittel rückläufig. Die von 400 Wissenschaftlern erarbeiteten Empfehlungen drängen darauf, biologische Methoden anzuwenden“, erläuterte sie. Auch die vom Konzern wegen ihres Klima-Effektes viel gepriesense Biosprit-Pflanze Jatropha war für Gura ein Teil des Hunger-Problems. Die Frucht mit dem exorbitant hohen Öl-Anteil soll in Indien nämlich nicht wie von BAYER angegeben auf Grenzertragsböden wachsen, die sich nicht für die Kultivierung von Nutzpflanzen eignen, sondern auf Gemeinschaftsland, auf dem die Menschen Früchte, Nüsse, Medizinal- und Futterpflanzen sammeln. Jatropha-Plantagen würden den BewohnerInnen diese Möglichkeit der Selbstversorgung nehmen, führte Susanne Gura aus, „Armut und Hunger wären die Folge“. Aber Wenning ließ trotzdem nichts auf das Wolfsmilchgewächs kommen. „Jatropha ist ein vielversprechender Rohstoff“, insistierte er und versicherte, BAYER würde bei seiner Biosprit-Kooperation mit DAIMLER den sozialen Aspekt ebenso beachten wie den ökologischen der Biodiversität.

Wie wenig den Agro-Riesen jedoch alle Aspekte scheren, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Geschäftstätigkeit stehen, machte Ulrike Bey von der BURMA-INITIATIVE des Essener Asienhauses deutlich. Der Leverkusener Multi ist nämlich einer der wenigen Weltkonzerne, die wirtschaftliche Beziehungen zur burmesischen Militärdiktatur pflegen. Er unterhält eine Niederlassung in Rangun und plant das Land mit seinem Hybrid-Reis zu beglücken. „Wirtschaftliche Aktivitäten sind in Burma nicht ohne eine Kooperation mit dem Militärregime möglich. Ihm werden durch die Geschäfte Mittel zur Verfügung gestellt, die zum Kauf neuer Waffen und Militärausrüstung verwendet werden, welche auch gegen die eigenen Bevölkerung gerichtet werden“, stellte Bey fest und erbat Auskunft über die Höhe der Umsätze und Steuerzahlungen auf diesem Absatzmarkt. Werner Wenning rückte jedoch nicht mit Zahlen heraus und blieb im Allgemeinen. Der Global Player verfolge die politische Entwicklung in Burma zwar mit Sorge, aber wiederum auch nicht mit so viel, um seine Geschäftstätigkeit in dem Land einzustellen: „Ein Abbruch der wirtschaftlichen Aktivitäten würde nicht das Regime, sondern die Bevölkerung treffen“.

Antje Kleine-Wiskott vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE verfolgte hingegen die konzern-internen Entwicklungen beim Klimaschutz mit größter Sorge. „Im November stellten Sie Ihr neues Klima-Programm vor. Doch leider werden in diesem wichtige Problembereiche ausgespart, nämlich in der Hauptsache der Bezug von Energie aus Kohleverstromung, der beim Neubau von Kraftwerken über Jahrzehnte festgeschrieben wird. Wir von den KRITISCHEN AKTIONÄREN fragen uns, was ein solches Programm nutzt, wenn kritische Bereiche nicht mit einbezogen werden?“, monierte Kleine-Wiskott. Wie klimaschädigend diese kritischen Bereiche sind, führte sie dezidiert aus. So produziert allein das in Antwerpen geplante Steinkohlekraftwerk jährlich sechs Millionen Tonnen Kohlendioxid. Und das ist noch nicht alles, denn Dreckschleudern dieser Art sollen auch an den Standorten Krefeld und Brunsbüttel entstehen. Aber solche kleinen „klimatischen Eintrübungen“ zählten für den Manager nicht; er sah den Konzern auf einem guten Weg. „Der Klimaschutz ist eine globale Aufgabe, deren Herausforderungen sich BAYER seit Jahren stellt“, gab er der kritischen Aktionärin zur Antwort.

In Abstimmung mit der Coordination informierten insgesamt 12 Redner und Rednerinnen die anwesende Aktionärsschaft über die Kehrseiten von Gewinn und Profit im abgelaufenen Geschäftsjahr. Besonders erstaunlich, dass auch von den übrigen RednerInnen aus der Aktionärsschaft kaum einer ohne Fragen zu Kohlenmonoxid-Pipeline, BAYER-Lobbyisten und Chemie-Unfällen das Mikrofon verließ. „Verkehrte Welt“ hieß es also bei der diesjährigen Hauptversammlung. Zu dieser gehörte allerdings auch, dass sich ausgerechnet eine Betriebsrätin zur Fürsprecherin BAYERs und zur Hauptkritikerin der KonzernkritikerInnen aufschwang. Aber das blieb eine tragikomische Randnotiz und so konnten die AktivistInnen denn nach getaner Arbeit schließlich zufrieden gegen 19 Uhr den Saal verlassen - natürlich standesgemäß fast als Letzte.
von Jan Pehrke