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Beiträge verschlagwortet als “CURRENTA”

CBG verlangt Aufklärung über Pestizid-Einleitungen

CBG Redaktion

Presse-Information vom 24.09.25

Die Bezirksregierung darf nicht mauern!

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) kritisiert die Informationspolitik der Bezirksregierung Köln zu den Pestizid-Rückständen, die vom Leverkusener Chem„park“ der Currenta aus in den Rhein gelangen. So hat die Behörde in ihrer Antwort auf eine Anfrage des BUND NRW nur die Quellen für die Verunreinigungen mit dem PFAS-Stoff PFBS genannt. Zur Herkunft der Ackergifte Cyproconazol, Prothioconazol und Imidacloprid verweigert sie hingegen die Auskunft und begründet das mit Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Hersteller.

„Das Bekanntwerden der Information würde das Geschäftsmodell des Betreibers zum Erliegen bringen und somit einen irreversiblen wirtschaftlichen Schaden für diesen verursachen“, schreibt die Bezirksregierung. Sie sieht diese Position durch die Rechtslage gestützt und verweist dazu seitenlang auf entsprechende Gerichtsurteile und EU-Verordnungen.

„Der Schutz von Unternehmen geht der Bezirksregierung offensichtlich über den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt“, kritisiert Brigitte Hincha-Weisel von der CBG. Das wiegt nach Ansicht der Coordination um so schwerer, da es sich bei zweien der drei Agrochemikalien – Cyproconazol und Imidacloprid – um solche handelt, denen die EU wegen ihres Gefährdungspotenzials die Genehmigung entzogen hat.

Aber nicht nur Geschäftsgeheimnisse stehen dem Aufklärungsinteresse entgegen. „Des Weiteren befinden wir uns zum Ursprung des Imidacloprids noch in der Ermittlungsphase“, erklärt die Bezirksregierung. „Das erscheint unglaubwürdig, denn wer die Substanz entwickelt hat, ist kein Geheimnis: Er war der BAYER-Konzern. Und außer ihm produziert in den Chem„parks“ von Dormagen und Leverkusen nur noch Lanxess Pestizide“, hält Hincha-Weisel fest. 

Noch aus einem anderen Grund dürften die Ermittlungen eigentlich kein Problem sein. Nach der verheerenden Chem„park“-Explosion vom 27. Juli 2021, die sieben Menschenleben kostete, hatte die Currenta nämlich zugesichert, künftig über alle im Entsorgungszentrum eingehenden Produktionsrückstände genau Buch zu führen – gerade um eine Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. „Entweder hält sich das Unternehmen nicht daran oder die Bezirksregierung will nur einfach keine Namen nennen. Beides ist nicht zu akzeptieren“, so Hincha-Weisel.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert die Bezirksregierung Köln auf, sich zu mehr Transparenz der Öffentlichkeit gegenüber zu bekennen und mehr Anstrengungen zu unternehmen, um die von den Chem„parks“ des Landes ausgehenden Umweltbelastungen in den Griff zu bekommen.

Immer neue Giftfrachten der Chemie-Industrie

CBG Redaktion

Erhöhte PFAS- und Pestizidwerte im Rhein

Presse-Information vom 14.07.25

Nach Recherchen des BUND gelangen vom Leverkusener Chem„park“ aus große Mengen an Pestiziden und PFAS-Substanzen in den Rhein. Die PFAS-Rückstände überschritten den Orientierungswert zeitweise um das 50-Fache. Auch die Konzentrationen der Ackergifte Prothioconazol, Imidacloprid und Cyproconazol erreichten bedenkliche Höhen. Bei Imidacloprid und Cyproconazol handelt es sich noch dazu um Stoffe, denen die EU wegen ihres Gefährdungspotenzials die Genehmigung entzogen hat.

„Seit mehr als 150 Jahren benutzt die Chemie-Industrie den Rhein nun schon als das, was sie Anfang des 20. Jahrhunderts einmal „Opferstrecke“ genannt hat. Und die staatlichen Stellen haben dem offenbar wenig entgegenzusetzen“, kritisiert Brigitte Hincha-Weisel von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

Prothioconazol und Imidacloprid stellt der BAYER-Konzern am Standort Dormagen her. Pestizide, die zu den PFAS zählen wie Flufenacet und Fluopyram, produziert er dort ebenfalls. Daher liegt die Vermutung nahe, dass zumindest ein Teil der Giftfrachten von dort stammt, zumal es zwischen Dormagen und Leverkusen einen lebhaften Müll-Tourismus – bzw. einen „wechselseitigen Entsorgungsverbund“ – gibt.

Nach Angaben der Bezirksregierung Köln stellt der Chem„park“-Betreiber Currenta zurzeit Recherchen über die Herkunft der Stoffe an. „Der Bereich, aus dem der Eintrag resultierte, konnte eingegrenzt, aber kein Verursacher ausgemacht werden“, erklärte die Behörde gegenüber dem WDR. „Das wirft Fragen auf. Nach der Explosion vom Juli 2021, die sieben Menschenleben kostete, hatte die Currenta nämlich zugesichert, künftig über alle im Entsorgungszentrum eingehenden Produktionsrückstände genau Buch zu führen, um eine Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. Entweder hält sich das Unternehmen nicht daran oder aber es will einfach nur keine Namen nennen. Beides ist nicht zu akzeptieren“, hält Hincha-Weisel fest. 

Dass innerhalb der Europäischen Union nicht mehr genehmigte Pestizid-Wirkstoffe hierzulande weiterhin in die Umwelt gelangen, zeigt, wie wichtig es wäre, auch die Ausfuhr in Länder außerhalb der EU zu verbieten. In Sachen „PFAS“ besteht ebenfalls akuter Handlungsbedarf, denn die Nebenwirkungen reichen von Krebs und Diabetes über Herz/Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Schädigungen des Embryos im Mutterleib. Aber BAYER & Co. wenden sich mit aller Lobby-Macht gegen Regulierungen. „Die Politik darf sich dem Druck nicht beugen. Sie muss aus den Erfahrungen mit Asbest, DDT und PCB lernen und reagieren, bevor es zu spät ist“, fordert die CBG-Aktivistin deshalb abschließend.

CBG-Mahnwache zu „40 Jahre Bhopal“

Marius Stelzmann

Am 3. Dezember 1984 ereignete sich die Chemie-Katastrophe von Bhopal. In einer Pestizid-Fabrik des US-Unternehmens UNION CARBIDE explodierte ein mit Methylisocyanat gefüllter Tank. Allein in den ersten drei Tagen nach der Detonation starben 2.500 bis 3.000 Menschen; den Spätfolgen erlagen rund 20.000. Und noch heute bedrohen die damals freigesetzten Chemikalien die AnwohnerInnen, denn eine Sanierung des Geländes fand nie statt. Zum 40. Jahrestag von Bhopal hielt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN eine Mahnwache ab, um auf die permanente Gefahr aufmerksam zu machen, die durch die Chemie-Produktion droht. Aus gegebenem Anlass tat sie das in Leverkusen, denn im dortigen Chem„park“ der CURRENTA flog 2021 ebenfalls ein Tank in die Luft, was sieben Menschen das Leben kostete.

Aber es gibt auch direkte Bezüge von Bhopal zu BAYER. Der Konzern hatte im Jahr 2001 nämlich vom neuen UNION-CARBIDE-Besitzer DOW CHEMICAL das in Institute, West Virginia stehende Schwester-Werk von Bhopal übernommen. Über diese MIC-Produktionsstätte hatte es immer geheißen, der Herstellungsprozess laufe ganz anders ab als in Indien, aber es gab offenbar doch noch genug Familien-Ähnlichkeiten, wie sich am 28. August 2008 erweisen sollte. Da ging eine Anlage zur Fertigung des Ackergifts Methomyl hoch. Zwei Beschäftigte starben, acht erlitten Verletzungen. Von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“ sprachen AugenzeugInnen.

BAYER-Pestizid löst Rheinalarm aus

Marius Stelzmann

180 Kilo Indaziflam im Fluss

Presse-Information vom 09.09.24

Am 24. August gelangten vom Klärwerk Leverkusen-Bürrig aus 180 Kilogramm des Pestizid-Bestandteils 2,6-Dimethyl-1-Aminoindan in den Rhein. Die Bezirksregierung Düsseldorf löste sofort Rheinalarm aus. Noch am 4. September maß das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) an verschiedenen Stellen wie Düsseldorf-Flehe und Duisburg-Homberg deutlich erhöhte Werte für die Komponente des BAYER-Ackergiftes Indaziflam. 

Die Substanz wirkt akut toxisch und kann Haut- und Augenschäden verursachen. Für Wasserlebewesen stellt sie eine unmittelbare Bedrohung dar. Erschwerend kommt das derzeitige Niedrigwasser hinzu, da es für eine Erhöhung der Schadstoff-Konzentrationen sorgt. Indaziflam selbst ist in der EU gar nicht zugelassen. Der Leverkusener Multi produziert es in Dormagen nur für den Export in Länder mit laxeren Genehmigungsvorschriften.

Dem LANUV zufolge gehört 2,6-Dimethyl-1-Aminoindan zur Wassergefährdungsklasse 2, was „deutlich wassergefährdend“ bedeutet. „Das ist vor allem für trinkwasser-gewinnende Betriebe im weiteren Verlauf des Rheins, vor allem in den Niederlanden, von Bedeutung“, so LANUV-Pressesprecherin Birgit Kaiser de Garcia gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. 

Erst in der letzten Woche hatten niederländische Wasserversorger in einem Schreiben an Bundesumweltministerin Steffi Lemke über die hohen Chemie-Lasten im Rhein aus Richtung Deutschland geklagt und konkret Grenzwerte für PFAS-Substanzen verlangt. 

Der Klärwerksbetreiber Currenta stieß bei einer Routine-Kontrolle auf den massiven Pestizid-Eintrag in den Fluss. Eine Erklärung dafür konnte er nicht vorbringen.

„Es ist ein Unding, dass die Currenta die Pestizid-Einleitungen nur zufällig entdeckte. Ein Klärwerk sollte technisch so ausgestattet sein, dass es die Abwasser-Ströme misst und bei Unregelmäßigkeiten sofort Alarm schlägt. Aber die Currenta hat offenbar nichts aus den Katastrophen und Zwischenfällen der letzten Jahre gelernt. Noch nicht einmal die Krisen-Kommunikation verläuft besser. Auf der Webseite findet sich kein Sterbenswörtchen über die Gift-Fracht“, kritisiert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

Für die Coordination hat der Pestizid-Baustein zudem überhaupt nichts in Leverkusen zu suchen. BAYER produziert Indaziflam im Chem„park“ Dormagen, wo es ein eigenes Klärwerk gibt. Die Currenta aber schiebt die Fabrikationsrückstände aus ökonomischen Gründen zwischen Dormagen und Leverkusen hin und her, um die Kapazitäten möglichst optimal zu nutzen. Von einem „wechselseitigen Entsorgungsverbund“ spricht das Unternehmen. 

Die CBG sieht sich durch die aktuelle Rhein-Verseuchung in ihrer Forderung bestätigt, die Ausfuhr von innerhalb der EU nicht erlaubten Agro-Chemikalien zu verbieten. „Wie der Vorfall in Leverkusen-Bürrig zeigt, gehen von Indaziflam & Co. nämlich auch hierzulande beträchtliche Risiken aus“, hält Stelzmann abschließend fest.

Pressekontakt:
Marius Stelzmann 0211/33 39 11
presse@cbgnetwork.org

Ein Jahr nach der Explosion

CBG Redaktion

Konsequenzen für die Verantwortlichen!

Ein Jahr liegt die Explosion bei der CURRENTA in Leverkusen nun zurück. Die Bilanz? Die Anlage ist wieder im "Normalbetrieb", weiterhin in unzulässiger Nähe zu den AnwohnerInnen.

Ermittelt wird gegen vier Beschäftigte, die die Explosion durch Fahrlässigkeit verursacht haben sollen. Aber wird gegen den Vorstand der CURRENTA ermittelt, der das gesamte, auf Profit und nicht auf Sicherheit getrimmte Modell der Entsorgung verantwortet und zeitnah nach der Explosion wieder in Betrieb nehmen wollte?

Unsere Forderungen, die wir anlässlich der Wiederinbetriebnahme der Müllverbrennungsanlage gestellt haben, bleiben weiter aktuell:

Hier zu finden

Mit unserem offenen Brief an die Konzernleitung sind wir für eine lückenlose Aufklärung und Bestrafung der Verantwortlichen eingetreten:

Der offene Brief

Ebenfalls zum Weiterlesen:

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Müll-Öfen laufen wieder an

CBG Redaktion

Presse-Information CBG vom 23.06.22

Ein Jahr nach der Chem„park"-Explosion

Weniger als ein Jahr nach der Chemie-Katastrophe vom 27. Juli 2021 läuft die Müllverbrennungsanlage des Leverkusener Chemie„parks" wieder an. Bereits vergangene Woche nahm die CURRENTA den Teilbetrieb auf. Aber der Chem„park"-Betreiber sah sich trotz aller Transparenz-Beteuerungen nicht genötigt, die BürgerInnen vorher über die Wiederinbetriebnahme zu informieren. Erst heute will er sich in der Wiesdorfer Bürgerhalle kritischen Fragen dazu stellen.

Bei der Explosion und dem anschließenden Brand von drei Tanks waren sieben Menschen getötet worden, 31 erlitten teils schwere Verletzungen. Nichtsdestotrotz hat die CURRENTA seither eifrig Lobby-Arbeit betrieben, um die Anlage schnellstmöglich wieder in Betrieb nehmen zu können. Der Konzern drängte: Bereits im März sollte es soweit sein. Doch das Land hatte der CURRENTA die Beauftragung eines unabhängigen Gutachtens zur Auflage gemacht.

Diese erstellte dann ein Team um Prof. Dr. Christian Jochum. Am 3.6.2022 erschien die Untersuchung, deren Schwerpunktsetzung auf schnelle Wiederinbetriebnahme Jochum mit folgenden Worten klarmacht: „Wegen der Bedeutung einer ordnungsgemäßen, sicheren Abfallentsorgung wurde vordringlich untersucht, ob und unter welchen Bedingungen es verantwortet werden kann, die Sonderabfallverbrennungsanlage schrittweise wieder in Betrieb zu nehmen."

Nicht „vordringlich" gestellt wurden hingegen Fragen, die die AnwohnerInnen und Umweltverbände umtreiben: Ist die Sondermüll-Verbrennung in direkter Nähe zu Wohngebieten nicht zu risikoreich, um weitergeführt zu werden? Entspricht die Anlage überhaupt noch dem heutigen Stand der Technik? All das stand nicht zur Debatte.

CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann kommentiert: „So erfüllte die Studie ihren Auftrag und kommt zu dem bestellten Schluss, dass eine – so wörtlich ‚eingeschränkte 1. Wiederinbetriebnahme der VA-1 (Verbrennungsanlage) möglich und verantwortbar' ist. Eine Beruhigungspille aus dem Hause BAYER und CURRENTA."

Zur Explosion vom 27.Juli 2021 heißt es: „Aus den bisher durchgeführten Untersuchungen zur Unfallursache hat sich ergeben, dass bei dem aus Dänemark angelieferten, temperatur-empfindlichen Abfall nicht alle benötigten Informationen über die Gefährlichkeit des Abfalls, wie z. B. die Neigung zur Zersetzung bei gleichzeitiger Selbsterwärmung und Volumenausdehnung, vorlagen. Darüber hinaus waren die sonstigen mitgelieferten Informationen über die Temperaturempfindlichkeit des Abfalls nach bisherigen Erkenntnissen beim Bedienpersonal der SMVA nicht vollständig vorhanden. Diese Informationsdefizite im Gesamtprozess von der Abfallerzeugung über den Transport bis zur Verbrennung führte dazu, dass der Abfall über der Selbsterwärmungstemperatur gehandhabt und in Tank Nummer 3 gelagert wurde, sich bei steigendem Druck immer weiter erwärmte und schließlich die Explosion des Tanks auslöste."

Marius Stelzmann dazu: „Die Entsorgung von giftigen Abfällen, die vorher durch die halbe Welt transportiert wurden, war vor der Katastrophe zentraler Teil des lukrativen Geschäftsmodells der CURRENTA. Nun zeigt die Studie, dass das als erheblicher Risikofaktor mitauslösend für die Katastrophe im vergangenen Juli war. Damit stellt sich natürlich die Frage nach der gesellschaftlichen und rechtlichen Verantwortung. Werden die EntscheidungsträgerInnen, die dieses Modell implementiert haben, für ihre Mitverantwortung für die Explosion bestraft? Und: Muss CURRENTA für die entstandenen Schäden geradestehen?"

Die GutachterInnen empfehlen naheliegenderweise, vorerst keine wärmeempfindlichen und andere besonders gefährlichen Stoffe mehr zu entsorgen und sich auf Müll aus den CURRENTA-Chem„parks" oder dem regionalen Umfeld zu beschränken. CURRENTAs Chem„park"-Leiter Lars Friedrich klagt allerdings jetzt schon öffentlich über den „eingeschränkten" Betrieb, denn „wirtschaftlich ist das noch nicht".

Stelzmann dazu: „Das ist ein Warnsignal. Für Anwohner, für Beschäftigte, für die Bevölkerung von Leverkusen. CURRENTA will den großdimensionalen Wiedereinstieg in den Mülltourismus – in der jahrzehntealten von BAYER erbauten Anlage. BAYER hat die Risiken der gefährlichen Sondermüllverbrennung auf CURRENTA abgewälzt. CURRENTA will sie auf die Allgemeinheit abwälzen – und damit reich werden. Dieses Geschäftsmodell müssen wir stoppen."

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren lehnt eine Wiederinbetriebnahme des Entsorgungszentrums auf Raten ab. „Es reicht nicht aus, ein paar Risiken auszuschließen um ein sicheres Betreiben der Öfen zu gewährleisten, so wie es das Gutachten tut. Es räumt selbst ein, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zur Klärung der Explosionsursache noch andauern und verschiedene andere Gutachten, etwa zur Sicherheitskultur bei der CURRENTA oder zur Schleichleckage in einem Tank mit „Ereignis-Wasser", noch nicht in einer finalen Fassung vorliegen", so Stelzmann abschließend.

Pressekontakt:

Marius Stelzmann 0211/33 39 11

presse@cbgnetwork.org

[Bilanz PK] Presse-Information CBG vom 28.02.22

CBG Redaktion

BAYER Bilanzpressekonferenz 01. März

Profit-Jagd mit Nebenwirkungen

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) wartet die Veröffentlichung des neuen BAYER-Geschäftsberichts für das Jahr 2021 am morgigen Dienstag nicht ab. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann präsentiert bereits heute die Negativ-Bilanz für das abgeschlossene BAYER-Geschäftsjahr: „Wie die Zahlen im Einzelnen auch aussehen mögen, an einem gibt es schon jetzt keinen Zweifel: Wieder einmal hat der BAYER-Konzern im vergangenen Jahr seine Profite auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt erwirtschaftet.“

Der BAYER-Konzern hat auch 2021 wieder Leben und Gesundheit von Millionen Menschen in aller Welt, bis hin zum Tod, geschädigt. Besonders sichtbar wird dieses skrupellose Verhalten daran, dass BAYER sich in den USA mit juristischen Winkelzügen 2021 bereits im fünften Jahr der angemessenen Entschädigung zehntausender Glyphosat-Geschädigter entzog. Viele sind inzwischen bereits an ihren Krebserkrankungen gestorben, ohne jemals Geld vom Leverkusener Multi erhalten zu haben. Durch die Anrufung des US-amerikanischen Supreme Courts zieht das Unternehmen die Verfahren weiter in die Länge, so dass vor 2023 kein Abschluss zu erwarten ist. „Der Global Player verweigert aber nicht nur die Entschädigung Betroffener und die Sanierung von Umweltschäden, er pumpt das toxische und klimaschädliche Sprühmittel Glyphosat weiter in den Weltmarkt, weil es Milliardenprofite bringt! Die zynische Kalkulation ist, dass das schlicht mehr Gewinne einbringt, als die Prozesse der Geschädigten und Erkrankten kosten“, kritisiert Stelzmann.

Der „Fall Glyphosat“ hat längst den Aktienkurs dauerhaft abstürzen lassen und bedroht die Existenz des Konzerns in seiner jetzigen Form. Mehrere Medien berichteten bereits über Aufspaltungsgerüchte. Mit den Worten „Viele hoffen, dass sie sich in die Frühverrentung retten können, bevor der Konzern zerschlagen und sie samt Arbeitsplatz verkauft werden“, zitiert das Manager Magazin eine BAYER-Führungskraft.

Im Arznei-Bereich nutzt der Pillen-Riese derweil die Ungunst der Stunde und bedient sich der mRNA-Impfstoffe in der Corona-Pandemie als Türöffner für andere Behandlungsmethoden, die wegen ihres Gefährdungspotenzials bisher unter Akzeptanz-Problemen litten. „Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt“, frohlockt Bayers Pharma-Chef Stefan Oelrich im Oktober 2021 auf dem World Health Summit. So durchläuft nun z. B. eine BAYER-Gentherapie zur Behandlung von Parkinson die Test-Phase. Im Verlauf ähnlicher Versuche ereignen sich immer wieder gravierende Zwischenfälle. Erst im Sommer 2020 starben im Zuge einer Studie der Firma AUDENTES drei Kinder, die an einer seltenen Muskel-Erkrankung litten, weil das Verfahren bei ihnen eine Leberfehlfunktion auslöste.

„BAYER wird auch unangenehme Fragen zur Explosion der Sondermüll-Verbrennungsanlage in Leverkusen beantworten müssen.“ kündigt Stelzmann an: „Als Auftraggeber, Erbauer und Hauptnutzer der Anlage muss BAYER Entschädigungen zahlen für die Vergiftung des Rheinwassers und Aufkommen für das katastrophale Missmanagement der Ausgliederung der BAYER INDUSTRIAL SERVICES als CURRENTA.“

Am 29. April 2022 findet die Hauptversammlung der BAYER-AktionärInnen statt. Obwohl öffentlich heftig kritisiert, flieht der Konzern erneut vor seinen AktionärInnen ins Internet und verschanzt sich dort wie bereits in den letzten beiden Jahren virtuell. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) wird dennoch präsent sein und kritische Fragen und Beiträge in die Online-HV des Konzerns einreichen. Parallel dazu ist ein Protestprogramm aus Demo, online-Protest im BAYER-Stream und im CBG-live-Stream, mit Vorabendveranstaltungen und prominenten BAYER-KritikerInnen aus dem globalen Süden geplant. Aktuelle Infos dazu ab 7. März unter www.cbgnetwork.org/HV

In Frankreich muss sich BAYER der Konzern-Kritik schon vorher stellen: Ein breites Bündnis hat ab dem 5. März zu Dauer-Protesten und -Blockaden rund um den Glasturm der Frankreich-Zentrale des Konzerns in Lyon aufgerufen. Die CBG unterstützt die Proteste. Es wird nicht weniger gefordert, als dass BAYER „die Umzugskartons packt und aus dem Glasturm verschwindet“.

Pressekontakt:
Marius Stelzmann 0211/33 39 11

[Explosion] Presse-Information vom 15.02.22

CBG Redaktion

CURRENTA-Sondermüllverbrennungsanlage

Keine Wiederinbetriebnahme auf Raten!

 
 
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) lehnt eine sukzessive Wiederinbetriebnahme des Leverkusener Chem„park“-Entsorgungszentrums nach der verheerenden Explosion vom 27. Juli 2022 strikt ab. Entsprechende Pläne hatte der Gutachter Prof. Dr. Christian Jochum am Montag auf einer Sitzung des Stadtrates in Grundzügen vorgestellt. „Unser jetziger Schwerpunkt liegt auf der Frage, wie die Anlage in einem ersten Schritt wieder in Betrieb genommen werden kann“, so Jochum.
 
Als Ursache des Unglücks hatte ein Experte eine über der zulässigen Temperatur gelagerte Chemikalie ausgemacht. Darum sollten laut Jochum vorerst keine Substanzen mehr in die Verbrennung gehen, die aufgeheizt gefährliche Wirkungen entfalten können. Genaueren Aufschluss über derartige Stoffe erhofft er sich von der „Bundesanstalt für Materialprüfung“. Auch beabsichtigt die CURRENTA, zunächst nur solche Abfälle anzunehmen, die vom Chem„park“ selbst oder aus der näheren Umgebung stammen. Überdies will das Unternehmen just in time arbeiten und die Gift-Frachten erst einmal weder lagern noch miteinander vermischen. Dem Wissenschaftler zufolge hat der Chem„park“-Betreiber dieses Konzept gemeinsam mit einem der Sachverständigen erarbeitet. „Es ist ein Unding, dass die CURRENTA bei so etwas mitwirken darf. Sie sollte Gegenstand der Untersuchung sein und kein Kooperationspartner“, kritisiert Marius Stelzmann von der CBG.
 
Darüber hinaus kündigte Christian Jochum weitere Vorsichtsmaßnahmen an. Ihm zufolge gilt es, die Erzeuger des Giftmülls stärker in die Pflicht zu nehmen und zu veranlassen, ihre Produktionsrückstände intensiver zu prüfen. Überdies sei es erforderlich, alle Wege vom Kunden über das Werkstor bis hin zum Verbrennungsofen genauestens mit Vorschriften zu unterlegen und das 4-Augen-Prinzip einzuführen. „Das alles gab es also vorher nicht! Dieser Tatbestand lässt abermals daran zweifeln, ob die Sicherheit bei einem Chem„park“-Betreiber, der dem Infrastruktur-Fonds einer australischen Investmentbank gehört und zur Erwirtschaftung von Profiten gezwungen ist, wirklich in guten Händen ist. Statt jetzt an eine Wiederinbetriebnahme des Entsorgungszentrums auf Raten zu denken, muss – auch angesichts der jüngsten vier Störfälle – der gesamte Chem„park“ auf den Prüfstand gestellt werden“, fordert Stelzmann.

[Explosion] Presse-Information vom 21.01.22

CBG Redaktion

Staatlich gebilligt

Chemie-Kloake Rhein

 
Nach der Explosion im Entsorgungszentrum des Leverkusener Chem„parks“ kam es zu massiven Einleitungen von kontaminiertem Löschwasser in den Rhein. Teilweise wurde es nicht einmal über die Kläranlage geleitet und ging damit ohne Aktivkohle-Behandlung direkt in den Fluss (Korrektur 24.02.22: Das Löschwasser gelangte immer über die Kläranlage, aber nicht immer nach einer Aktivkohle-Behandlung in den Fluss).
 
Einen genauen Aufschluss über diese Katastrophe nach der Katastrophe konnten am vergangenen Mittwoch weder ein neuer Bericht der nordrhein-westfälischen Landesregierung noch die Stellungnahmen von Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) bzw. von VertreterInnen der Bezirksregierung Köln und des „Landesamts für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz (LANUV) im Umweltausschuss des Landtags geben. „Schon Anfang des 20. Jahrhunderts erkor BAYER den Rhein zum werkseigenen Abwasser-Kanal. Über 100 Jahre später hat sich daran nichts geändert. Rücksichtslos werden auch heute hochgiftige Stoffe eingeleitet“, kritisiert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).
 
Die Landesregierung hatte nach der Explosion vom 27. Juli, die sieben Menschen das Leben kostete, noch bekundet, es sei kein Löschwasser in das Gewässer gelangt. In der Ausschuss-Sitzung sprach Heinen-Esser zur Erklärung von einem „kommunikativen Missverständnis“ zwischen dem LANUV und ihrem Ministerium. Eine Korrektur aus eigenem Antrieb erfolgte nie, erst auf öffentlichen Druck hin räumte die Ministerin den Fehler ein.
 
Nach Angaben des BUND pumpte die CURRENTA unmittelbar nach der Detonation rund zehn Millionen Liter „Ereignis-Wasser“ in den Rhein. Unter anderem enthielt es 60 bis 70 Kilogramm des innerhalb der EU wegen seiner Gefährlichkeit verbotenen Pestizids Clothianidin. Dieses dürfte von BAYER stammen, denn der Leverkusener Multi ist der Zulassungsinhaber dieses Insektizid-Wirkstoffs. Allerdings stellt der Konzern ihn am Standort Dormagen her, wo es eine eigene Sondermüll-Verbrennungsanlage gibt. Auf welchen Wegen der Stoff ins benachbarte Leverkusen gelangte, ist eine der vielen Fragen, die bei der Umweltausschuss-Sitzung offen bleiben mussten.
 
Darüber hinaus gerieten perfluorierte Verbindungen in den Fluss, wobei die Konzentrationen an vier Tagen mit zehn Mikrogramm pro Liter den zulässigen Orientierungswert von einem Mikrogramm extrem überschritten.
 
Die CURRENTA stellt ihr – von der Bezirksregierung abgesegnetes – Vorgehen als notwendige Maßnahme zur Gefahrenabwehr dar. Die Rückhalte-Kapazitäten der vorhandenen Tanks hätten für das viele Löschwasser nicht ausgereicht, so das Unternehmen. Auf dieses Manko hatte der BUND schon im Jahr 2016 nach einem Großbrand auf dem Chemie-Areal aufmerksam gemacht, aber weder die CURRENTA noch die Politik reagierte. Wie Dr. Horst Büther von der Bezirksregierung Köln vor dem Ausschuss bekundete, droht hier in Zukunft über die Aufweichung der Löschwasserrückhalte-Richtlinie sogar noch größeres Ungemach.
 
Zu allem Übel floss aus einem undichten Tank dann auch noch über fünf Monate hinweg (!) chemikalien-haltiges Löschwasser völlig ungefiltert in den Rhein ab (Korrektur 24.02.22: Es floss über die Kläranlage, aber ohne Aktivkohle-Behandlung ab). Obwohl der Behälter über eine Füllstandsmesseinrichtung und eine Radarsonde verfügte, bemerkte der Chem„park“-Betreiber die durch eine defekte Klappe ausgelöste „Schleich-Leckage“ über den ganzen Zeitraum hinweg nicht.
 
„Die CURRENTA und die hinter ihr stehenden Investmentbank MACQUARIE vernachlässigen aus Profit-Gründen die Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt. Und die Politik hält wieder einmal die schützende Hand darüber“, resümiert Stelzmann.

[SWB 01/2022] Ampelkoalition

CBG Redaktion

Eine gute Wahl für BAYER

Mit der Losung „Mehr Fortschritt wagen“ treten SPD, Grüne und FDP an. Für mehr Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit steht die Ampel jedoch auf Rot. Eine grüne Welle gibt es nur für die Wunsch-Vorhaben der Industrie. Dementsprechend zufrieden zeigen sich BAYER & Co.

Von Jan Pehrke

„Das richtige Signal für die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft“ geht für BAYER-Chef Werner Baumann von dem Ampel-Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ aus. Jetzt komme es auf die konkrete Ausgestaltung an, erklärte er gegenüber dem Handelsblatt. Aber auch da kann der Große Vorsitzende nicht meckern. So erweist das Klimaschutz-Kapitel des Koalitionsvertrags zunächst einmal den Konzernen seine Reverenz. „Unsere Wirtschaft legt mit ihren Unternehmen, den Beschäftigten sowie Verbraucher-innen und Verbrauchern die Grundlage für unseren Wohlstand“, lautet der erste Satz. Blöd nur, dass „unsere Wirtschaft“ mit ihrem Treibhausgas-Ausstoß auch die Grundlage für eine Gefährdung des Ökosystems „Erde“ legt. Also muss nach dem Willen der AmpelkoalitionärInnen eine Art von Abhilfe her, welche BAYER & Co. schont. Deshalb federn sie die geplanten Maßnahmen entsprechend ab. „Um unsere heimische Industrie, insbesondere die Grundstoff-Industrie, zu unterstützen, werden wir in dem für die Erreichung der Klimaziele ausreichendem Maße geeignete Instrumente schaffen“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Klimaschutz
Im Einzelnen planen die drei Parteien, den Ausstieg aus der Kohle vorzuziehen. „Idealerweise gelingt das schon bis 2030“, formulieren sie vorsichtig und bauen sicherheitshalber mit der „Errichtung moderner Gaskraftwerke“ vor. Zudem beabsichtigen Scholz & Co., bis zum Jahr 2030 80 Prozent des Strombedarfs mit Erneuerbarer Energie zu decken – trotz eines prognostizierten Mehrbedarfs von 20 bis 30 Prozent. Dazu möchten sie den Ausbau von Windkraft & Co. beschleunigen und die entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren einfacher gestalten. Das bleibt jedoch nicht auf Rotoren und Sonnenkollektoren beschränkt und trägt damit einer langjährigen Forderung der Industrie nach einer „Entbürokratisierung“ der verwaltungstechnischen Prozesse Rechnung. Entsprechend angetan zeigten sich BAYER & Co. von dem, was die FAZ einen „Turbo für Großprojekte“ nennt.

Dabei kommt allerdings so einiges unter die Räder. So scheut die neue Regierung nicht vor „Legalplanungen“ zurück, also davor, Vorhaben einfach per Gesetz zu genehmigen, statt sie den langen Marsch durch die Institutionen gehen zu lassen. Überdies hat sie vor, sich ins Reich der juristischen Spekulation zu begeben. Sie will „für solche Projekte unter gewissen Voraussetzungen eine Regelvermutung für das Vorliegen der Ausnahme-Voraussetzungen des Bundesnaturschutz-Gesetzes schaffen“. „Klimaschutz vs. Artenschutz“ – so lautet die neue Frontstellung. Auch die BürgerInnen-Beteiligung muss zurückstehen. Das Recht auf Einwendungen schleift die Regierung Scholz gehörig. Projekte wie die Kohlenmonoxid-Pipeline und der Autobahn-Ausbau in Leverkusen inklusive neuer Rheinbrücke und Öffnung der ehemaligen BAYER-Deponie „Dhünnaue“ dürfte jetzt erheblich leichter grünes Licht bekommen.

Über eine im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführte Abgabe hat sich neben den Privathaushalten auch die Industrie an den Kosten für Windparks, Sonnenenergie- und Photovoltaik-Infrastruktur beteiligt, in geringerem und in BAYERs Fall noch einmal reduzierten Maße zwar (siehe S. 10 ff.), aber immerhin. Selbst das erspart ihr Rot-Grün-Gelb nun. „Um (...) für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energie-Preise zu sorgen, werden wir die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strom-Preis beenden. Wir werden sie daher zum 1. Januar 2023 in den Haushalt übernehmen. Die Finanzierung übernimmt der EKF (Energie- und Klimafonds, Anm. SWB), der aus den Einnahmen der Emissionshandelssysteme (BEHG und ETS) und einem Zuschuss aus dem Bundeshaushalt gespeist wird“, kündigt der Koalitionsvertrag an.
Dem Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten waren ursprünglich noch ganz andere Aufgaben zugedacht. Er sollte den Ausstoß von CO2 so teuer machen, dass es den Multis Anreize für das Errichten saubererer Anlagen bietet. Doch dafür kosten die Zertifikate zu wenig. So kommt es die Konzerne billiger, die CO2-Lizenzen zu erwerben, als in klima-freundlichere Fabriken zu investieren. „Die Industrien schieben Neuinvestitionen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf“, konstatiert die im Auftrag der NRW-Grünen erstellte Studie „Wie kann Nordrhein-Westfalen auf den 1,5-Grad-Pfad kommen“. Die Untersuchung, die Agora Energiewende und die Unternehmensberatung ROLAND BERGER in Tateinheit mit BAYER, BASF, BP, SIEMENS und anderen Firmen erstellt haben, drückt es ein wenig vornehmer aus und spricht von „Investitionsattentismus“. Darum hilft die Ampel den Unternehmen nun freundlicherweise mit Klima-Verträgen („Carbon Contracts for Difference“) aus, „um so insbesondere auch die Wirtschaftlichkeitslücke zu schließen“. Das Geld dazu stellt wieder der Energie und Klimafonds bereit. 60 Milliarden Euro fließen per Nachtragshaushalt in diesen Topf. „Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 erhöht die verfügbaren Mittel für die aus dem Sondervermögen ‚Energie- und Klimafonds’ finanzierten Maßnahmen, von denen viele den Wirtschaftsunternehmen zugutekommen“, heißt es in dem Paragrafen-Werk. Zudem garantiert die Bundesregierung „sichere Absatzmärkte für klima-freundliche Produkte durch Mindestquoten in der öffentlichen Beschaffung“.

Die Vorgänger-Regierung hatte 2019 mit ihrem Klimaschutz-Gesetz nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Felder „Verkehr“, „Gebäude“, „Energie“, „Landwirtschaft“ und „Abfall“ verbindliche Reduktionsvorgaben gemacht – inklusive einer jährlichen Überprüfung. Den Grünen reichte das ursprünglich jedoch nicht. In ihrem Wahlprogramm formulierten sie die Erfordernis, die Regularien „nachzuschärfen“. Davon lassen sie jetzt jedoch ab. Und Die Zeit weiß auch den Grund: „Da die Klimaschutz-Maßnahmen der neuen Koalition nicht unmittelbar zu einer Senkung der Emissionen führen, werden in den kommenden Jahren wohl viele Sektoren ihre Ziele verfehlen. Nun allerdings wären es grüne Minister, die die Misserfolge erklären müssten, was die Partei-Führung offenbar vermeiden wollte. Annalena Baerbock soll diese Überlegung in mehreren internen Gesprächen zum Ausdruck gebracht haben.“ Von einem Klimaministerium mit Vetorecht ist auch nichts geblieben. Olaf Scholz sprach in seiner Regierungserklärung zwar noch von einer „zentralen Querschnittsaufgabe“, an der sich die Ampelkoalition messen lassen will, aber die Evaluation erfolgt dezentral ohne grüne Oberaufsicht. Den Klima-Check für alle Gesetze führen jetzt die jeweis verantwortlichen Ministerien durch.

Dementsprechend enttäuscht zeigte sich die grüne Basis von den Vereinbarungen. „Die versprochenen Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens sind unmöglich zu erreichen“, resümiert der Aufruf „Mehr grün wagen“. Und die Grüne Jugend konstatiert bei aller Notwendigkeit, auf die Koalitionspartner zuzugehen: „Aber klar muss sein, mit dem Klima kann man nicht einfach so Kompromisse machen“. Auch in Zahlen fiel die Reaktion der Partei auf das Verhandlungsergebnis verhalten aus. Nur 57 Prozent der Mitglieder beteiligten sich überhaupt an der Urabstimmung über den Koalitionsvertrag, und 86 Prozent von ihnen votierten dann für „Ja“. Fridays For Future war ebenfalls nicht gerade begeistert. „Während die Welt auf knapp drei Grad Erhitzung hinsteuert, verfehlt der Vertrag von SPD, Grünen und FDP noch vor Amtsantritt die eigenen Versprechen zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Trotzdem feiern wir nach 154 Wochen Klimastreiks auch Erfolge der Klima-Bewegung wie den Kohle-Ausstieg 2030“, heißt es in einer Erklärung der Organisation.

Viel mehr zu feiern hatten allerdings BAYER & Co. So begrüßte der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) in seiner Stellungnahme zum Koalitionsvertrag den Entschluss der Bundesregierung, den Unternehmen bei der CO2-Reduktion nicht mehr so genau auf die Finger zu schauen. In der „Abkehr vom ineffizienten Mikro-Management einer Nachjustierung jährlicher Sektor-Ziele“ sah der Verband „das richtige Signal“. Auch freute ihn, „dass das Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 „weich“ ausgestaltet ist (‚idealerweise’)“ und der Ampelkoalition „Erdgas als Brücken-Technologie“ gilt. Dem Verband kommt es in Sachen „Energie“ nämlich zuvörderst auf die Versorgungssicherheit an – und auf die Strom-Kosten. In diesem Zusammenhang lobt er SPD, Grüne und FDP sehr dafür, die „Wettbewerbsfähigkeit“ ernst genommen zu haben und nennt als Beispiele die Streichung der EEG-Umlage und die Reform der Netz-Entgelte. Die Klimaschutz-Verträge gefallen dem BDI natürlich ebenfalls, allerdings haben die Kontrakte für ihn zu viel mit dem Klimaschutz zu tun. Die „Knüpfung von Industrie-Entlastungen an die Umsetzung wirtschaftlicher Energieeffizienz-Maßnahmen“ schätzt er deshalb entsprechend kritisch ein.

Beim „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) fällt die Bewertung der entsprechenden Passagen des Koalitionsvertrags ähnlich aus. „Wir sehen noch keinen Booster, aber viele gute Ansätze, die Transformation der Industrie aktiv zu flankieren“, so der VCI-Hauptgeschäftsführer und ehemalige BAYER-Manager Wolfgang Große Entrup. Namentlich erwähnt der Verband dabei den Energie- und Klimafonds, die Klima-Verträge, den Wegfall der EEG-Umlage und das „Vorhaben, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu halbieren“.

Nur Risiken, keine Gefahr
So wenig, wie der Koalitionsvertrag für eine Klima-Wende steht, so wenig steht er für eine Agrar-Wende. Die Vereinbarung bekennt sich zwar zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, bleibt aber, was die Umsetzung angeht, vage. So wollen die drei Parteien „den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern und die Entwicklung von natur- und umweltverträglichen Alternativen fördern“, kündigen aber keine konkrete Maßnahmen dazu an. Eine Pestizid-Steuer etwa, wie sie viele Umweltverbände als Instrument für einen Kurswechsel fordern, findet sich in dem Dokument nicht. In Sachen „doppelte Standards“ erwägen die AmpelkoalitionärInnen zumindest eine Regelung. „Wir werden von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, den Export von bestimmten Pestiziden zu untersagen, die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind“, kündigen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP an. Aber nicht nur, weil es diese Möglichkeit mit dem Paragraf 25 des Pflanzenschutzgesetzes eigentlich schon gibt (siehe S. 24 ff.), bleibt dieser Vorstoß mit Fragezeichen behaftet. Klartext spricht der Koalitionsvertrag im Pestizid-Kapitel nur einmal. „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt“, heißt es auf Seite 46.
Die Agro-Gentechnik erwähnt die neue Bundesregierung in dem Schriftstück mit keinem Wort. Stattdessen spricht sie nur nebulös von der Züchtung klima-robuster Pflanzensorten, die sie zu unterstützen gedenkt, von der zu gewährenden Transparenz über Züchtungsmethoden und der zu stärkenden Risiko- und Nachweis-Forschung.

In anderen Bereichen fühlen sich Scholz & Co. durch die aktuellen Entwicklungen beflügelt, offener zu reden. „Deutschland hat die Chance, zum international führenden Biotechnologie-Standort zu werden. Durch den ersten mRNA-Impfstoff aus Mainz hat unser Land weltweite Sichtbarkeit erlangt. Damit ist eine Leitfunktion für die wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Biotechnologie verbunden“, verkünden sie. Die Ampel stand hier offensichtlich auf Gelb und gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf die künftig unter FDP-Ägide stehende Forschungspolitik.

Ganz ähnlich hatte sich zu dem Thema jüngst BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich vernommen. „Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt. Diese Pandemie hat vielen Menschen die Augen für Innovationen in einer Weise geöffnet, die vorher nicht möglich war“, sagte er bei einer Veranstaltung in Berlin.

Selbstredend freuen sich „Bundesverband der Deutschen Industrie“ und der „Verband der Chemischen Industrie“ in ihren Stellungnahmen zum Ampelvertrag wie Bolle über den Auftrieb, den die Gentechnik in Zeiten von Corona bekommen hat. Und dass die Koalition sich generell so zukunftszugewandt wie wagemutig gibt und „künftig neben dem Vorsorge-Prinzip auch Innovationspotenziale konsequent miterfassen will“, trifft beim BDI natürlich auch auf breite Zustimmung. Ebenso angetan zeigt er sich von der Absicht der Dreier-Koalition, das Gefährdungspotenzial von Substanzen auf Basis des Risikos zu beurteilen. „Eine Bewertung allein auf Basis von Gefahren-Eigenschaften wäre nicht zielführend und innovationsfeindlich“, hält der Verband fest.

Eine Prüfung der Stoffe auf Grundlage der „Gefahr“ unterscheidet sich nämlich maßgeblich von einer solchen auf der Grundlage des „Risikos“. Eine Bewertung anhand der Gefahr nimmt allein die Eigenschaften des Produkts in den Blick, eine anhand des Risikos berücksichtigt indes das Ausmaß, in dem Mensch, Tier und Umwelt der Chemikalie ausgesetzt sind. Während die Gefahr einer Substanz also immer absolut gilt und keine Grenzen kennt, ist das Risiko immer relativ. Es ist unter anderem von der Wirkstärke abhängig. Und als Maß der Dinge kommt so der Grenzwert ins Spiel, der das Höchstmaß der Belastbarkeit anzeigt. Solche Limits treffen auf die – zähneknirschende – Zustimmung von BAYER & Co., erlauben diese ihnen doch, ihre Waren auf den Markt zu bringen und zu halten. Und genau darum ist es dem BDI zu tun: „Um innovative Lösungen und gesellschaftlich relevante Technologien entwickeln und einsetzen zu können, muss es auch künftig möglich sein, gefährliche Chemikalien herzustellen und zu verwenden.“
Der VCI begrüßt derweil das „klare Bekenntnis für eine innovative Gesundheitswirtschaft als Garant für medizinischen Fortschritt, Beschäftigung und Wohlstand“. Für den Verband hat gerade die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig ein starker Pharma-Standort Deutschland ist. Deshalb behagt ihm die versprochene Stärkung im Prinzip auch. „Diese sollte aber nicht durch Subventionen, sondern durch wettbewerbsfähige Produktions- und Erstattungsbedingungen erreicht werden. Vor diesem Hintergrund sind die Fortschreibung des Preis-Moratoriums und die Verkürzung der freien Preissetzung für innovative Arzneimittel ein falscher Weg“, kritisiert der „Verband der Chemischen Industrie“. Dabei kann er sich über den Erfolg seiner Lobby-Arbeit eigentlich gar nicht beklagen. Im ursprünglichen Entwurf des Koalitionsvertrages hätten BAYER & Co. den Krankenkassen noch einen Rabatt von 16 Prozent auf patent-geschützte Arzneimittel einräumen müssen. „Doch diese Passagen aus dem ersten Entwurfspapier haben die Parteien auf den letzten Metern noch gestrichen“, wie die Pharmazeutische Zeitung berichtete. Jetzt heißt es nur noch: „Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittel-Preise.

Der Mann, der die Gesundheitspolitik in Zukunft verantwortet, ist ein alter Bekannter von BAYER. Karl Lauterbachs Wahlkreis liegt nämlich in Leverkusen. Der Sozialdemokrat stand sogar schon einmal in Diensten des Konzerns. In einer Studie stellte er dem Cholesterinsenker LIPOBAY, den das Unternehmen später wegen seiner Risiken und Nebenwirkungen vom Markt nehmen musste, ein gutes Zeugnis aus. „Die frühen Hinweise darauf, dass LIPOBAY möglicherweise gefährlich war, nahm Lauterbach damals ebenso wenig wahr, wie es seine Auftraggeber taten“, befand der Spiegel. Andere Medikamente des Global Players kamen bei ihm allerdings nicht so gut weg. So monierte er in einer für die Barmer Ersatzkasse durchgeführten Untersuchung die Praxis der MedizinerInnen, bei Bluthochdruck Kalzium-Antagonisten wie ADALAT zu verschreiben statt der preiswerteren und mindestens ebenbürtigen Entwässerungstabletten. Den Krebs-Arzneien von BAYER & Co., die irre viel Geld verschlingen und das Leben der PatientInnen doch oft nur wenige Monate verlängern, widmete der Mediziner ein ganzes Buch. Aber auch zur allgemeinen Geschäftspolitik des Leverkusener Multis äußerte er sich. Im Jahr 2006 kritisierte er das Rationalisierungsprogramm beim CURRENTA-Vorgänger BAYER INDUSTRY SERVICES. „Politisch doppelzüngig, entlarvend und moralisch ein Armutszeugnis“ nannte der SPDler es und wusste auch um die Motive des Unternehmens: „Der kurzfristige Gewinn ist das Ziel, das ist die ganze Geschichte.“ Lauterbach wähnte sich wegen solcher und ähnlicher Einlassungen sogar auf der berühmt-berüchtigten Schwarzen Liste der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO. „Ich habe vor einigen Tagen Hinweise erhalten, dass MONSANTO auch über mich Dossiers in Auftrag gegeben hat.“ sagte er 2019.

Als fortschrittlichen Gesundheitspolitiker weist ihn seine Vergangenheit allerdings nicht aus. So befürwortete er die Schließung unrentabler Krankenhäuser, saß im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Kliniken und trat für Fallpauschalen ein. Eine dringend erforderliche Neuerung wird es in seiner Amtszeit schon einmal nicht geben: Die Bürgerversicherung. Dementsprechend erleichtert zeigt sich die FAZ. „Die Private Krankenversicherung kann dankbar sein, dass es die Linkspartei nicht in die Koalition geschafft hat. Denn sowohl die Linke als auch SPD und Grüne hatten die Einführung einer Bürgerversicherung angekündigt – mit der es der PVK an den Kragen gegangen wäre. Jetzt aber sichert die FDP den Fortbestand des dualen Systems.“

Die FDP sichert den Konzernen neben einer „Superabschreibung“ auch den Fortbestand der erweiterten Verlust-Verrechnung und zusätzliche Steuer-Einsparungen wie den Ausbau des Verlust-Vortrags. Aber nach Ansicht der Firmen hätte es noch ein bisschen mehr sein dürfen. „Im Koalitionsvertrag fehlt es an einem klaren Bekenntnis der Koalition zu einer wettbewerbsfähigen Besteuerung (fett im Original, Anm. SWB) der Unternehmen von maximal 25 Prozent“, moniert der BDI. Und dem „Verband der Chemischen Industrie“ schwant deshalb Schlimmes: Steuerpolitisch wird der Standort Deutschland aus Sicht des VCI mit dem Konzept des Koalitionsvertrages in den kommenden Jahren noch weiter im Standort-Wettbewerb zurückfallen.“

Bei den handelspolitischen Beschlüssen der Ampel liegt für die Verbände auch so einiges im Argen. Sie bekennen sich zwar grundsätzlich zur Verankerung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards in Handelsverträgen, aber die in der Vereinbarung diesbezüglich formulierten Kriterien für den Kontrakt der EU mit den Mercosur-Staaten sind nach dem Dafürhalten des BDI „so kategorisch formuliert, dass damit faktisch das Abkommen auf Eis gelegt wird“. Nach Meinung des Verbandes gelte es, wie auch in Sachen „Lieferketten“, vielmehr „die richtige Balance zwischen Prinzipien und Pragmatismus zu finden.
Durch andere Vorhaben sehen die Konzerne sich in ihrem Wachstum gestört. So stehen sie einer Erweiterung der Fusionskontrolle ebenso skeptisch gegenüber wie einer Entflechtung, der statt eines Machtmissbrauchs als ultima ratio schon die bloße Macht zum Eingreifen reicht. Dazu dürfte es freilich mit der FDP im Boot schwerlich kommen. Und all die anderen Pläne der Ampel sind auch nicht dazu angetan, den Kapital-Verkehr großartig zu behindern. Dafür nehmen SPD, Grüne und FDP der Konzern-Kritik eine wichtige Plattform. Die Parteien ermöglichen es den Unternehmen, ihre Hauptversammlungen auch ganz ohne Pandemie dauerhaft online abzuhalten und so vor UmweltschützerInnen, Klima-AktivistInnen, Gentech-GegnerInnen und anderen ins Virtuelle zu flüchten.

[SWB 01/2022] CURRENTA bereitet einen Neustart vor

CBG Redaktion

Alles auf Anfang?

Trotz der verheerenden Auswirkungen der Explosion vom 27. Juli im Tanklager des Sondermüll-Entsorgungszentrums mit sieben Toten und 31 Verletzten strebt die CURRENTA eine schnelle Wiederinbetriebnahme dieses Komplexes des Leverkusener Chem„parks“ an.

Von Jan Pehrke

„Winterschlaf“ – diese Statusmeldung gab Chem„park“-Leiter Lars Friedrich im WDR-„Stadtgespräch“ zu dem aktuellen Zustand des Sondermüll-Entsorgungszentrums nach der Explosion vom 27. Juli ab. Er ließ in der Diskussionssendung aber keinen Zweifel daran, dass er auf ein Frühlingserwachen setzt. Benedikt Rees von der Leverkusener Klimaliste reagierte alarmiert auf das Ansinnen, nach einer solchen Katastrophe mit sieben Toten und 31 Verletzten im Tanklager nahe der Verbrennungsöfen einfach wieder zur Tagesordnung übergehen zu wollen. Der Lokalpolitiker forderte stattdessen ein neues Genehmigungsverfahren ein. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser zeigte Verständnis dafür. „Das kann ich absolut nachvollziehen“, so die CDU-Politikerin. Ein amtliches „Ja“ zu einem solchen Prozedere war das jedoch nicht, noch nicht einmal ein neuerliches „Business as usual“ schloss sie aus. „Wir müssen uns anschauen, ob Veränderungen nötig sind“, blieb Heinen-Esser vage.

Als Entscheidungsgrundlage dafür möchte die Landesregierung das Sachverständigen-Gutachten zur Ursache der Detonation heranziehen. „Eine Wiederinbetriebnahme bzw. ein Wiederaufbau der Anlage ist erst nach eindeutiger Klärung des Ereignis-Hergangs und vorbehaltlich eventuell erforderlicher organisatorischer und/oder technischer Änderungen möglich“, erklärten CDU und FDP in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Auch „Änderungsbedarfe an dem bestehenden Regelwerk“ schlossen die Parteien nicht aus. Bei einer Anhörung im Leverkusener Stadtrat nannte Dr. Horst Büther von der Bezirksregierung einige konkrete Punkte. Je nach Ergebnis der Expertise könnten beispielsweise bestimmte Abfall-Gruppen aus der Genehmigung genommen sowie die Überwachung verschärft werden, so Büther.

Entsorgungsnotstand
Gleichzeitig drängt die Landesregierung jedoch zur Eile, denn seit der Detonation im Tanklager besteht in Nordrhein-Westfalen ein Entsorgungsnotstand. Einzelne Firmen wie etwa die ehemalige BAYER-Tochter LANXESS waren schon gezwungen, ihre Produktion zu drosseln. „Die aufgrund des Explosions- und Brandereignisses im Chem‚park’ Leverkusen am 22.(sic!)07.2021 beschädigte Rückstands- und Abfallverbrennungsanlage der CURRENTA GmbH & Co. OHL muss zeitnah wieder in Stand gesetzt werden“, erklärt Schwarz-Gelb deshalb. Welche Hürden zur Wiederaufnahme des Betriebs zu nehmen sind, hängt von den Plänen des Unternehmens ab, wie Horst Büther im NRW-Umweltausschuss erläuterte. „Soll dieses Tankfeld wieder genauso aufgebaut werden, wie es war, oder sollen Änderungen vorgenommen werden? Und je nachdem, welche Änderungen vorgenommen werden sollen, muss eine entsprechende Änderungsgenehmigung beantragt werden bei uns, bei der Bezirksregierung. Und im Rahmen dieser Änderungsgenehmigung werden wir gucken: Was müssen wir für Anforderungen stellen an die Wiederinbetriebnahme des Betriebes? Wenn tatsächlich 1:1 aufgebaut werden sollte, wären die Anforderungen gering, andererseits sind sie höher“, so Büther.

Bis zum 10. Dezember lag der Bezirksregierung Köln aus Leverkusen diesbezüglich noch nichts vor. Ihrer Einschätzung nach beabsichtigt der Chem„park“-Betreiber jedoch, wieder aufs Ganze zu gehen. „Aufgrund der hohen Bedeutung der SMVA (Sondermüll-Verbrennungsanlage, Anm. SWB) für die Entsorgungssicherheit des gesamten Standortes ist davon auszugehen, dass die Fa. CURRENTA die Betriebsgenehmigungen für die derzeit stillstehenden vier Verbrennungslinien künftig weiter in Anspruch nehmen wird“, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Regionalrat des Regierungsbezirks Köln.

Eine neue Genehmigung braucht das Unternehmen der Bezirksregierung zufolge dafür nicht. Es hat nur etwaige Verbesserungsvorschläge der GutachterInnen umzusetzen. Aber diese leisten der Behörde zufolge auch schon Hilfestellung für einen Neustart: „Bestandteil der sicherheitstechnischen Prüfung durch die Sachverständigen ist auch die Möglichkeit der kurzfristigen Wiederinbetriebnahme von Anlagen-Teilen.“

Das reicht der CURRENTA aber offensichtlich nicht. Daher hat sie noch weitere ExpertInnen engagiert. „Die Unterstützung durch Professor Jochum und sein Team ist wichtig, um sicherzustellen, dass aus der Aufarbeitung des Ereignisses die richtigen Schlüsse gezogen werden und Eingang in die Prozesse und Abläufe der CURRENTA finden. Überprüft werden daher auch die Maßnahmen zur Wiederinbetriebnahme der Anlage“, erklärte Geschäftsführer Hans Gennen. Aber auch „Fragen und Sorgen der Öffentlichkeit“ fänden Berücksichtigung, beschwichtigt der Manager. Der Herr Professor wiederum zeigte sich überzeugt, „dass wir die Aufarbeitung des Ereignisses und den Weg zur Wiederinbetriebnahme erfolgreich mitgestalten können.“

Dabei stellen die knappen Abstände des Entsorgungszentrums zu Wohnsiedlungen nach Ansicht der Bezirksregierung keinen Hinderungsgrund dar. „Viele Standorte der chemischen Industrie sind zu Zeiten entstanden, in denen es keine störfallrechtlichen Abstandsregelungen gab. In diesen Fällen genießen Anlagen und Schutzobjekte Bestandsschutz“, konstatiert sie. Die derzeitige Chem„park“-Regelung entspricht ihr zufolge dem Leitfaden der „Kommission für Anlagensicherheit“ (KAS): „Demnach sind die Abstände der SMVA zur benchbarten Wohnbebauung ausreichend.“ Sogar die Hochspannungsleitung, die quer über das ganze Areal verläuft und am Tag der Explosion erst umständlich vom Netz genommen werden musste, ehe die Feuerwehr mit vollem Einsatz löschen konnte, darf bleiben. Lediglich ein „schnelleres Freischalten“ muss die CURRENTA künftig garantieren.

Das Geschäftsmodell, aus der Entsorgung Kapital zu schlagen und dafür Müll aus aller Herren Länder zu akquirieren, sieht die Bezirksregierung Köln ebenfalls nicht gefährdet. Dabei ist dieses mit für das Unglück in Haftung zu nehmen, nicht nur weil die Substanz, die den Tank zum Platzen brachte, von weit her stammte. Ohne den grenzüberschreitenden Müll-Tourismus hätte es solch großer Tanklager als Zwischenlager-Stätten für die giftigen Produktionsreste gar nicht nicht bedurft. Aber die Bezirksregierung beantwortete die Frage abschlägig, ob es behördlicherseits möglich wäre, der CURRENTA eine Auflage zu erteilen, nur noch solche Stoffe zu verbrennen, die vor Ort anfallen. „Die Anlage besitzt eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Verbrennung von 264.000 Tonnen/a und ist aufgrund ihrer Kapazität dafür ausgelegt, Abfälle aus Deutschland und anderen EU- bzw. EFTA-Staaten zu verbrennen. Einschränkungen zum Entstehungsort der Abfälle sind rechtlich nicht begründbar und könnten allenfalls als freiwillige Selbstbeschränkung der Betreiberin umgesetzt werden“, so die Behörde. Noch nicht einmal bei den Kontrollen will sie Defizite einräumen. Sie hält das Prozedere bestehend aus Eigenüberwachung im Zusammenspiel mit Prüfstellen wie dem TÜV und gelegentlichen Inspektionen ihrerseits für nicht reformbedürftig: „Aus Sicht der Bezirksregierung ist dieses Überwachungssystem ausreichend.“ Und beim Thema „Arbeitsschutz“ mag sie offenbar auch keinen Handlungsbedarf erkennen.

Die Ermittlungen
Die Kölner Staatsanwaltschaft, die gleich am Tag nach dem Ereignis Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion eingeleitet hatte, bietet ebenfalls kaum Anlass zur Hoffnung, denn die bürgerliche Justiz muss Schuld individualisieren. Und so präsentierte die Anklage-Behörde dann im Oktober 2021 drei Beschäftigte als Tatverdächtige. Verletzung der Sorgfaltspflichten legt sie ihnen zur Last. Konkret lautet der Vorwurf, die Männer hätten eine Chemikalie über der zulässigen Temperatur gelagert, was zu einem Druckanstieg und schließlich zur Explosion führte. Zur Beweissicherung nahmen die Beamt-Innen bei den Beschuldigten sowie bei der CURRENTA Hausdurchsuchungen vor und stellten Datenträger, Handys und Dokumente sicher.

Mit diesem Vorgehen bricht die Staatsanwaltschaft Organisationsversagen auf menschliches Fehlverhalten herunter. Es war aber eine komplexe Gemengelage, die den großen Knall mit einem solchen Ausmaß an Folgen überhaupt erst möglich gemacht hat. Und ihre Geschichte reicht weit zurück. Deshalb trägt auch der BAYER-Konzern Mitverantwortung, obwohl er seine CURRENTA-Anteile im Jahr 2019 verkauft hat. Der Leverkusener Multi war es nämlich, der einst das Entsorgungszentrum errichtete mitsamt der Tanks, die so dicht nebeneinander standen, dass am 27. Juli ein Domino-Effekt eintrat. Auch trieb er seine ehemalige Service-Gesellschaft dazu, Profit aus der Entsorgung zu schlagen und nutzte all seinen politischen Einfluss, um strengere Sicherheitsauflagen zu verhindern.

Die Betriebsabläufe
Aber noch aus einem anderem Grund schlägt die Arbeit der Kölner Staatsanwaltschaft die falsche Richtung ein. In jedem Industrie-Komplex, welcher der Störfall-Ordnung unterliegt, sollten die Betriebsabläufe eigentlich so durchformalisiert sein, dass individuelle Versehen ohne gravierende Auswirkungen bleiben. Zu diesen Anforderungen zählen unter anderem verbindliche Verantwortlichkeiten für Kontrollen und eine systematische Risiko- und Gefahrenanalyse. Auch eine ständige Qualifizierung des Personals sowie eine detaillierte Unterweisung von Leih- und FremdarbeiterInnen, die nur zeitweise auf dem Gelände tätig sind, gehört zu dem Katalog. Über diesen ganzen Komplex müsste eigentlich zu Gericht gesessen werden, dafür aber fehlen die Instrumente. Darum tritt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bereits seit Jahren für Einführung eines Unternehmensstrafrechts ein. Zudem fordert die Coordination eine grundlegende bauliche, organisatorische und sicherheitstechnische Veränderung des Entsorgungszentrums und dementsprechend ein neues Genehmigungsverfahren mit Bürgerbeteiligung. Grünes Licht für ein einfaches „Weiter so“ auf dem kleinen Dienstweg mit lediglich ein paar kosmetischen Eingriffen darf es nach der verheerenden Explosion vom 27. Juli nicht geben.

[SWB 01/2022] BAYER & Co. umgehen EEG-Umlage

CBG Redaktion

Der Milliarden-Betrug

Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) des Jahres 2000 wollte der Bund den Ausbau von Windkraft, Solarenergie & Co. fördern. Dazu sah er eine Abgabe über die Stromrechnung vor. Während aber die Privat-Haushalte ihre EEG-Umlage ordnungsgemäß zahlen, fanden BAYER & Co. mit der Scheibenpacht einen Dreh, um ihren Beitrag massiv zu reduzieren. Acht bis zehn Milliarden Euro sparten sie laut Spiegel auf diese Weise.

Von Jan Pehrke

Es vergeht kaum ein Tag, an dem BAYER & Co. kein vollmundiges Bekenntnis zu Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Klimaschutz im Besonderen abgeben. Wenn es aber an die praktische Umsetzung geht und dabei Kosten anzufallen drohen, dann suchen die Konzerne schnell nach Alternativen. So auch bei der Abgabe, die der Bund im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführt hat, um den Ausbau von Wind- und Wasserkraft, Photovoltaik, Geothermie und Biomasse zu fördern. Während die Privathaushalte und die mittelständische Wirtschaft diese EEG-Umlage mit ihrer Stromrechnung zahlen, fanden die großen Konzerne eine Möglichkeit, ihre Beiträge drastisch zu senken. Und das, obwohl sie als energie-intensive Betriebe oft eh schon Rabatte eingeräumt bekommen.

Als Hebel diente ihnen das Eigenstrom-Privileg. Nach dieser Bestimmung müssen die Multis auf Strom, den sie auf ihren Werksarealen selbst erzeugen, keine EEG-Umlage zahlen. Zwar besitzen viele Unternehmen solche Kraftwerke, aber das reichte den meisten von ihnen nicht. Darum suchten sie nach juristischen Mitteln und Wegen, ihren Bestand zwecks Umlage-Umgehung zumindest pro forma zu vergrößern, mit freundlicher Unterstützung von Beratungsfirmen wie PRICEWATERHOUSECOOPERS (PWC) oder Anwaltskanzleien wie BECKER BÜTTNER HELD (BBH) und FRESHFIELDS BRUCKHAUS DERINGER.

„Scheibenpacht“ hieß das Mittel der Wahl. BAYER & Co. machten sich auf dem Papier zu Pächtern von Kraftwerksanteilen, reklamierten so das Eigenstrom-Privileg für sich und sparten so Unsummen. Auf acht bis zehn Milliarden Euro schätzt der Spiegel die einbehaltenen Beiträge und zieht Parallelen zum Cum-ex-Skandal. Und die Zeche zahlen die Privathaushalte und MittelständlerInnen. „Weil manche Unternehmen wissentlich seit Jahrzehnten ihre Rechnung nicht vollständig zahlen, wird die EEG-Umlage für alle anderen dadurch höher“, kritisiert Ingrid Nestle von Bündnis 90/Die Grünen. Nach „Die Grünen“: Nicht umsonst stieg der Beitrag seit der Einführung im Jahr 2000 kräftig an, von 0,19 auf zuletzt 6,5 Cent pro Kilowattstunde Strom. Nur Zuflüsse aus der CO2-Abgabe für die Sektoren „Verkehr“ und „Gebäude“ in den EEG-Topf vermochten ihn jüngst auf 3,7 Cent zu drücken.

Diese Vermeidungsstrategie, die sich zum Kassenschlager entwickelte und am Ende sogar Krankenhäuser und Kommunen wie Wuppertal in Anschlag brachten, rief schließlich die Bundesnetzagentur auf den Plan. Daraufhin setzte der Gesetzgeber diesem Treiben 2017 mit der Novelle des EEG-Gesetzes ein Ende. Allerdings verpflichtete er die Konzerne nicht zu Nachzahlungen. Zudem ließ er ihnen mit dem § 104 Absatz 4 die Möglichkeit, an ihren Verträgen festzuhalten, wenn sie ihr „Eigenerzeugungskonzept“ als rechtssicher erachteten. Daraufhin dezimierte sich der Kreis der Scheibenpächter beträchtlich, BAYER, DAIMLER, EVONIK und weitere Global Player aber machten einfach weiter wie bisher.

AMPRION vs. BAYER
Dagegen gingen mehrere Übertragungsnetzbetreiber, die sich als „Treuhändler des EEG-Kontos“ verstehen, gerichtlich vor. AMPRION etwa focht das von der damaligen 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA und den HÜTTENWERKEN KRUPP MANNESMANN (HKM) entwickelte Konstrukt an. Nach diesem wurde die Service-Gesellschaft laut Vertrag zu einer „Eigenerzeugerin von Strom“, indem sie zwei „Kraftwerksscheiben“ mit einer Leistung von 150 Megawatt von HKM pachtete. 20 Prozent der Leistung brauchte das Unternehmen für sich selbst, den Rest „verpachtete“ sie an BAYER und andere Firmen weiter.

Auf dem Wege eines zweistufigen Verfahrens wollte AMPRION per Auskunftsklage zunächst in Erfahrung bringen, wie viel Strom CURRENTA von 2014 bis 2018 im fernen Duisburg „eigenerzeugte“, um so die Nachforderungen genau beziffern zu können. Im Zuge dessen prüften die RichterInnen jedoch auch schon die Legitimität des Spar-Modells an sich. Es erwies sich allerdings als ziemlich schwierig, in dem komplizierten Vertragswerk den wahren Strom-Eigentümer aufzuspüren, denn PWC, BBH & Co. hatten ganze Arbeit geleistet. Die JuristInnen beurteilten die Sachlage am Ende danach, wer von den Vertragspartnern letztendlich das unternehmerische Risiko trägt. Als Kriterien dienten dabei unter anderem die Zuordnung der wirtschaftlichen Verantwortung für die Brennstoff-Beschaffung, die Qualitätsprüfung, die Preis-Bildung sowie für etwaige Umweltschäden und Anlage-Ausfallzeiten. Auf dieser Basis fällte das Landgericht Duisburg im Januar 2021 sein Teilurteil, das eindeutig ausfiel: „Unter Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe liegt eine Eigenerzeugung (...) nicht vor.“ Die Klägerin als Übertragungsnetz-Betreiberin sei berechtigt, die anteilige EEG-Umlage zu verlangen, hieß es im RichterInnen-Spruch weiter. Die somit fällige Abgabe hatte AMPRION auf Basis der Liefermengen auch gleich schon errechnet: 41 Millionen Euro. Das erschien dem Gericht allerdings etwas zu hoch, es kam „lediglich“ auf rund 20 Millionen.

In Köln saß BAYER gleich mit auf der Anklagebank und musste eine Niederlage einstecken. Das Landgericht entschied die Auskunftsklage wiederum zugunsten AMPRIONs. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, gab sich der Leverkusener Multi daraufhin zerknirscht, während sich die CURRENTA trotz allem bemühte, Zuversicht auszustrahlen. Man sei überzeugt, dass die Voraussetzungen für eine umlagefreie Eigenstrom-Erzeugung erfüllt seien, betonte das Unternehmen dem Spiegel gegenüber.

Altmaier amnestiert
Aber nicht erst solche Entscheidungen schürten bei den Scheibenpächtern die Angst vor Rückforderungen. Darum wandten sie sich an die Politik und übten Druck auf den damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) aus. Allein der Leverkusener Multi, der 2020 auf seiner Hauptversammlung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gegenüber Betrugsvorwürfe „entschieden“ zurückgewiesen hatte, setzte drei Schreiben in der Sache auf. Die Konzerne beschwörten „nachteilige Folgen für Standorte“ herauf und mahnten Rechtsschutz an. Der „Verband der Chemischen Industrie“ trat dabei gleich in Vorleistung. Er erstellte laut Spiegel „druckreife Entwürfe für Gesetzes-Änderungen und Amnestie-Regelungen“. Auch die Unternehmensberatungen und Anwaltskanzleien mischten sich ein. Unter anderem trafen sie sich mit Bundestagsabgeordneten und VertreterInnen des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) und konnten gar nichts daran finden. Es sei doch ganz normal, sich als langjährige Kenner der Materie mit der Politik auszutauschen, bekundeten die AntichambriererInnen von BBH & Co. scheinheilig.

All diese Lobby-Anstrengungen führten schließlich zum gewünschten Erfolg. Peter Altmaier setzte sich über MitarbeiterInnen im eigenen Haus, die „verfassungs- und beihilferechtliche Risiken“ geltend machten, hinweg und lieferte. Die EEG-Novelle vom Dezember 2020 hielt die bestellte Amnestie-Regelung bereit, „um Rechtsfrieden zu schaffen“, wie es aus dem BMWi heißt. Stattdessen bleibt den Übertragungsnetzbetreibern jetzt nur, sich auf Vergleichslösungen einzulassen. Eine „Kapitulation der Politik“, konstatierte der Spiegel trocken.

Und die Ampel?
„Diesen Paragrafen muss die neue Regierung wieder kippen. Sie darf nicht einfach freiwillig auf viele Milliarden Euro verzichten, um die BAYER & Co. die Klima-Politik trickreich erleichtert haben“, forderte die CBG die Ampel-Koalition auf. Bei den Koalitionsverhandlungen spielte das Thema jedoch keine Rolle. Dementsprechend taucht es auch im fertigen Koalitionsvertrag nicht auf. Dafür strich die neue Regierungskoalition die EEG-Umlage gleich ganz, womit sie eine langjährige Forderung der Multis erfüllte. Ab 2023 läuft die Bezuschussung der Erneuerbaren Energien nicht mehr über den Strom-Preis, sondern über den Bundeshaushalt. Lediglich über die Einnahmen aus dem Handel mit den Verschmutzungsrechten, welche die Konzerne ab einem bestimmten Punkt für den Ausstoß von Kohlendioxid kaufen müssen, findet indirekt noch eine Beteiligung der Industrie statt. Und viel kommt da nicht zusammen, weil nur Heiz- und Kraftwerke, nicht aber Produktionsstätten erfasst sind – BAYER z. B. ist gerade einmal mit fünf Anlagen dabei. Also dürften die SteuerzahlerInnen nun abermals den Großteil der Kosten tragen, lediglich die Zahlstelle ändert sich.
Aber vielleicht bewegt sich in Sachen „Umlage-Nachzahlungen“ ja doch noch was, obwohl die FDP sich schon dagegen ausgesprochen hat. Die Grünen gaben nämlich nicht nur ein Rechtsgutachten über die Möglichkeit, den Amnestie-Passus zu kippen, in Auftrag, sie fühlen sich auch durch neue Scheibenpacht-Entscheidungen der Gerichte in dem Ansinnen bestärkt, die Unternehmen doch noch zur Kasse zu bitten. Der neue Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Krischer, erklärte dem Spiegel gegenüber, die „bisherigen Urteile, insbesondere des OLG Düsseldorf, sind ermutigend, dass die Energiewende doch noch gerecht finanziert werden kann.“

[SWB 01/2022] Ticker Beilage zu Stichwort Bayer 1/22

CBG Redaktion

Kurzmeldungen zu einem multinationalen Chemiekonzern

AKTION & KRITIK

CBG-Jahrestagung 2021
„Profit für wenige oder Gesundheit für alle? – Corona & Big Pharma“ – so lautete 2021 das Thema der Jahrestagung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Max Klein von der BUKO PHARMA-KAMPAGNE widmete sich in seinem Eingangsvortrag der Schlüsselfunktion, die bei dieser Frage den Patenten zukommt. Sie sichern den Pillen-Riesen exorbitante Gewinne, während sie gleichzeitig den Bedürftigen den Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln verwehren. Der BUKO-Aktivist machte dies am Beispiel der Kontroverse um BAYERs Krebs-Präparat NEXAVAR in Indien deutlich. Da die meisten PatientInnen dort nicht genug Geld für das Medikament haben, erhielt NATCO PHARMA per Zwangslizenz die Erlaubnis, eine preisgünstige Version des Präparats herzustellen, wogegen der Leverkusener Multi sofort – und vergeblich – klagte. Klein zitierte zur Veranschaulichung des Zynismus, mit dem die Pillen-Produzenten agieren, den damaligen BAYER-Chef Marijn Dekkers. „Wir haben diese Arznei nicht für Inder entwickelt (...) Wir haben sie für westliche Patienten entwickelt, die sie sich auch leisten können“, hatte er freimütig erklärt. An dieser Politik hielten BAYER & Co. auch in Zeiten von COVID-19 fest und fanden in der Bundesregierung einen mächtigen Verbündeten zum Schutz des geistigen Eigentums. Vehement stemmt sich diese zurzeit bei der Welthandelsorganisation dagegen, die Patente für Impfstoffe und andere Medizin-Produkte zur Bekämpfung der Pandemie aufzuheben. Standort-Politik für die mRNA-Impfstoffe made in Germany heißt stattdessen das Gebot der Stunde. „Wir wollen gerne mRNA-Hub werden auch für die Welt und für Europa“, zitierte Max Klein den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn. Diese mRNA-Impfstoffe schaute sich dann Isabelle Bartram vom GEN-ETHISCHEN NETZWERK ein wenig genauer an. Sie schilderte die Geschichte ihrer Entwicklung, ihre Wirkungsweise, bewertete ihre Risiken und Nebenwirkungen und plädierte schließlich für Impfungen – „bei allen großen Fragezeichen“. Anschließend gab es einen Einblick in die praktischen Bemühungen, die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Matthias Grzegorczyk berichtete von der Arbeit der VOLKSINITIATIVE KRANKENHAUS NRW, die in Kooperation mit ver.di dafür streitet, die Arbeitsbedingungen für die KrankenpflegerInnen zu verbessern und sich gegen die immer stärkere Durchökonomisierung dieses Bereichs zu wehren. Dafür unterstützt sie beispielsweise die Arbeitskämpfe in den Kliniken. Zudem sammeln Grzegorczyk und seine MitstreiterInnen Unterschriften, um die katastrophale Situation in den Hospitälern auf die Tagesordnung des nordrhein-westfälischen Landtags zu setzen. Und tatsächlich führten die gemeinsamen Anstrengungen zu einigen Erfolgen. So gelang es bereits, 17 „Tarifverträge Entlastung“ durchzusetzen und damit die Krankenhaus-Träger in ihre Schranken zu verweisen, welche die Arbeitsorganisation stets als ihr alleiniges Recht betrachteten. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann beleuchtete schließlich die Rolle, die BAYER in der Corona-Pandemie spielt bzw. nicht spielt. Wie viele andere Pharma-Riesen zeigte der Konzern sich nämlich laut Stelzmann gar nicht mehr in der Lage, schnell auf den Virus zu reagieren, denn er hatte die für die Entwicklung von Pharmazeutika gegen COVID-19 relevanten Gebiete „Infektionskrankheiten und „Atemwegserkrankungen“ längst aufgegeben. Stattdessen konzentrierte sich das Unternehmen im Zuge eines Strategiewechsels auf nur noch wenige besonders lukrative Felder wie Krebs-Therapeutika. So blieb in Sachen „SARS-CoV-2“ nur die Kooperation mit anderen Herstellern. Der Leverkusener Multi stellte sich CURE-VAC als verlängerte Werkbank zur Produktion des Impfstoffes CVnCoV zur Verfügung. Aber selbst das zerschlug sich nach den enttäuschenden Test-Ergebnissen des Vakzins. Zu sämtlichen Vorträgen entwickelten sich lebendige und teils auch kontroversen Diskussionen über die Pandemie, den politischen und medizinischen Umgang damit und über die sozialen und kulturellen Nebenwirkungen. Aber laut wurde es nicht, denn es gab einen Grund-Konsens: Bei BAYER & Co. ist die gegenwärtige gesundheitliche Krise nicht in guten Händen.

CBG-Statement zur Gentech-Regulierung
Die Europäische Union will die neuen Verfahren zur Manipulation des Erbguts nicht mehr nach Maßgabe der Richtlinie für gentechnisch veränderte Organismen regulieren. Stattdessen kündigte sie an, bis 2023 für Genscheren wie CRISPR/Cas und vergleichbare Methoden einen Rechtsrahmen mit lascheren Schutzbestimmungen zu schaffen. Im Zuge dieses Prozesses rief die EU BürgerInnen und Organisationen dazu auf, Stellungnahmen zu dem Vorhaben abzugeben. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nahm das wahr und kritisierte die Pläne in einer Eingabe. Insgesamt gingen in Brüssel 70.894 Statements zu den „Rechtsvorschriften für Pflanzen, die mithilfe bestimmter neuer genomischer Verfahren gewonnen werden“, ein.

Patente: CBG unterschreibt Petition
BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe der Gentechnik, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten. So macht der Leverkusener Multi unter anderem geistiges Eigentum auf eine herbizid-resistente Mais-Art, auf Pflanzen mit einer erhöhten Stress-Resistenz und auf eine Methode zur Erhöhung des Zucker-Gehaltes von Zuckerrohr geltend. Zudem reichte er beim Europäischen Patentamt (EPA) Anträge auf Gewährung von Schutzrechten für Tomaten, Gurken, Melonen, Salat und Kohlgewächse ein. Dadurch droht die Kon-trolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hände der Agro-Riesen zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert die Politik deshalb zum Handeln auf. „Die Minister-Innen der Vertragsstaaten des EPA sollen sich binnen eines Jahres treffen und wirksame Maßnahmen gegen Patente aus konventioneller Zucht von Pflanzen und Tieren ergreifen“, heißt es in dem Aufruf, den die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN mitunterzeichnete.

Petition an FAO-Direktor übergeben
Die Vereinten Nationen und ihre Unter-Organisationen geraten immer mehr unter den Einfluss der Konzerne. So vereinbarte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO eine Partnerschaft mit „Croplife International“, dem weltweit agierenden Lobby-Verband von BAYER & Co. Aus Protest dagegen hatte das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) im Februar 2021 einen Offenen Brief initiiert, den mehr als 350 Organisationen, darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN CBG), unterschrieben haben. Aus diesem sowie aus einem weiteren Schreiben ging dann eine Petition hervor, die mehrere Initiativen am 3. Dezember dem FAO-Generaldirektor Qu Dongyu übergaben. Dabei wählten sie das Datum bewusst. Es handelte sich nämlich um den International Day of No Pesticide Use“ – den alljährlichen Gedenktag an die Bhopal-Katastrophe vom 3.12.1984.

Explosion: Kritik eines BAYER-Werkers
Im September 2021 war der Rundfunk-Sender WDR 5 vor Ort in Leverkusen und widmete sein „Stadtgespräch“ der Explosion vom 27. Juli. Und da bekamen CURRENTAs Chem„park“-Leiter Lars Friedrich und die NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ganz schön was zu hören. Eine katastrophale Informationspolitik, eine unzureichende Anlagen-Kontrolle, Mängel bei den Schadstoff-Messungen nach der Explosion – so nur einige der Vorwürfe. Auch ein Vertreter der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) meldete sich zu Wort und fragte Friedrich, ob die CURRENTA trotz der verheerenden Auswirkungen der Detonation weiterhin aus Profit-Gründen Müll aus aller Herren Länder zur Entsorgung annehmen wolle. Antwort: Der Anteil des Abfalls, der nicht vom Gelände selbst stammt, betrage doch „nur“ 30 Prozent. Besonders schwer wog an dem Abend die Kritik eines ehemaligen BAYER-Werkers. Peter Odenthal hatte in der Abteilung für Umweltanalytik gearbeitet und pflichtete dem CBGler bei. Für solche grenzüberschreitenden Abfall-Geschäfte wären die Vorrichtungen des Entsorgungszentrums gar nicht ausgelegt gewesen, so Odenthal. Vor allem aber warf er dem obersten Chemparker Verharmlosung vor. „Die Straße war mit Tropfen übersät, und meine Haut hat gebrannt“ berichtete er. „Bei uns in der Nachbarschaft sind die Dächer kaputt, die Regenrinnen sind kaputt, die Autos sind beschädigt (...), die Pflanzen sind beschädigt, und dann reden Sie mir nicht davon, dass keine Gefahr besteht. In diesem Bereich war unmittelbar eine enorme Belastung“, führte der Ex-BAYER weiter aus. Er hatte sogar seine Hilfe angeboten und selbst Proben gesammelt. Vergeblich aber wartete der Pensionär auf einen Rückruf aus der Analytik-Abteilung von CURRENTA. „Zynisch bis zum letzten Tag“ nannte Odenthal den Umgang des Managers mit der Explosion und schloss: „Wir glauben Ihnen in Summe kein Wort mehr.“

KAPITAL & ARBEIT

BAYER schließt Arznei-Anlage
Der Pharma-Multi fertigt in Leverkusen keine Flüssig-Arzneien mehr; er stellt die sogenannten Parenteralia bloß noch am Standort Berlin her. Anfang August 2021 gab der Konzern die Schließung der Anlage an seinem Stammsitz bekannt. Viele ZeitarbeiterInnen, die dort langjährig tätig waren, ohne vom Pillen-Riesen übernommen zu werden, verloren dadurch ihre Jobs.

WUXI kauft BAYER-Anlagen
Die Risiken und Nebenwirkungen des MONSANTO-Deals wie z. B. die Schadensersatz-Ansprüche von Glyphosat-Geschädigten zwangen BAYER Ende 2018 zu einem Spar-Programm, das 12.000 Arbeitsplätze vernichtete. Im Zuge dessen stellte er in Wuppertal auch die in einer neu errichteten Anlage gerade erst angelaufene Fertigung des Bluter-Präparats KOVALTRY ein. Der Pharma-Riese verkaufte die Produktionsstätte Ende 2020 an das chinesische Unternehmen WUXI BIOLOGICS. Dieses hatte zuvor schon den für KOVALTRY in Leverkusen vorgesehenen Weiterverarbeitungsbetrieb übernommen.

NORD & SÜD

Mehr MIRENA für den globalen Süden
„Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson über seine Vorstellung von „Entwicklungshilfe“. Zur großen Befriedigung BAYERs erfreut sich diese Art von Bevölkerungspolitik auch heute noch großer Beliebtheit. Die „gigantischen Fruchtbarkeitsmärkte“ in den armen Ländern versprechen nämlich gute Absatz-Chancen für die Verhütungsmittel des Konzerns. Bevorzugt arbeitet er bei der Vermarktung mit staatlichen oder privaten Entwicklungshilfe-Organisationen zusammen, die – gegen Preis-Nachlass – langfristige Lieferverträge garantieren. Im Juli 2021 konnte der Pharma-Riese zwei Geschäfte dieser Art abschließen. Die US-amerikanische Entwicklungsagentur „United States Agency for International Development“ (USAID) und der „United Nations Population Fund“ nahmen das Langzeit-Verhütungsmittel MIRENA in ihren Produkt-Katalog auf. Der von dem Millionär John Rockefeller III 1952 ins Leben gerufene „Population Council“ (PC) hatte diese Hormon-Spirale kreiert und ihre Entwicklung gemeinsam mit der jetzigen BAYER-Tochter SCHERING vorangetrieben. Das sogenannte hormonelle Intrauterin-System hat erhebliche Nebenwirkungen wie Brustkrebs, nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen und Unruhe. Auch Schlaflosigkeit, Bauchkrämpfe, Oberbauchschmerzen und Gebärmutter-Verletzungen zählen dazu. Fast 3.000 Klagen von Geschädigten erhielt der Leverkusener Multi deshalb bereits. Das allerdings ficht BAYERs obersten Öffentlichkeitsarbeiter Matthias Berninger nicht an. „‚Der United Nations Population Fund’ und die ‚United States Agency for International Development’ haben vor kurzem ein hormonelles Intrauterin-System von BAYER in ihre jeweiligen Produkt-Kataloge aufgenommen. Dies ist ein großer Fortschritt bei der Bereitstellung von zusätzlichen Verhütungsoptionen für Frauen und Familien in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommensniveau“. Nicht die bettelarmen Staaten will der Leverkusener Multi also beglücken, sondern „Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommensniveau“. Die ManagerInnen reden da auch gerne von den „Low-Income Markets“. Und die versprechen durchaus einträgliche Geschäfte. Die vom Pillen-Riesen SANOFI gesponserte und vom „Bundeswirtschaftsministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“herausgegebene Expertise „Bringing Medicines to Low-income Markets“, an der Annette Wiedenbach von BAYER als eine der ExpertInnen mitwirkte, frohlockte bereits im Jahr 2012: „Diesen Markt haben sich die Pharma-Firmen noch kaum erschlossen.“ Daran macht sich der Global Player nun. Um die gesteigerte Nachfrage zu bewältigen, investiert er rund 400 Millionen Euro in die Errichtung einer neuen Fabrik in Costa Rica und den Ausbau der Produktionskapazitäten am finnischen Standort Turku.

POLITIK & EINFLUSS

Glyphosat-Studie im EPA-Giftschrank
Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA hat vor einigen Jahren eine Expertise, die den Zusammenhang zwischen Glyphosat und bestimmten Arten von Lymphdrüsen-Krebs untersuchte, im Giftschrank verschwinden lassen. Das deckte die Journalistin Sharon Lerner auf, die das Ergebnis ihrer Recherchen in dem Internet-Magazin The Intercept veröffentlichte. „Die verfügbaren epidemiologischen Studien liefern überzeugende Belege für einen Zusammenhang zwischen einer Glyphosat-Exposition und einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome“, heißt es in dem Behörden-Dokument. In die abschließende Beurteilung des Herbizids floss diese Auswertung von 14 Studien jedoch nicht ein. Die „Environment Protection Agency“ behandelte die Arbeit damals als geheime Verschlusssache. Lerner zufolge vermochte es die Umweltschutz-Agentur nicht, „sich gegen den Druck der mächtigen agro-chemischen Unternehmen, die jährlich Dutzende von Millionen von Dollar für Lobbyarbeit ausgeben und viele ehemalige EPA-Wissenschaftler beschäftigen“ zu stellen. Die jetzige US-Regierung hat nun mit Michael S. Regan jedoch einen neuen Direktor eingesetzt, der Besserung gelobt. Tatsächlich begannen auch interne Revisionen. So räumte die Agency bereits gravierende Mängel bei der Zulassung des Pestizids Dicamba ein, das unter anderem von BAYER und der BASF vertrieben wird. Auch kündigte sie an, mögliche schädliche Auswirkungen von Glyphosat auf bestimmte Schmetterlingspopulationen neu zu prüfen und die Gefahr detaillierter zu analysieren, die bei der Ausbringung des Herbizids durch Verwehungen auf teilweise weit entfernte Ackerflächen droht. Zugleich hält die EPA jedoch an ihrer Einstufung des Mittels als gesundheitlich unbedenklich fest.

EU will Gentech 2.0 deregulieren
Im Juli 2018 hatte der Europäische Gerichtshof die neue Gentechnik den alten gentechnisch veränderten Organismen (GVO) gleichgestellt. Die RichterInnen kamen in einem Grundsatz-Urteil zu dem Schluss, „dass sich die mit dem Einsatz dieser neuen Mutagenese-Verfahren verbundenen Risiken als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO im Wege der Transgenese auftretenden Risiken erweisen könnten“. Deshalb lehnten sie es ab, Genscheren wie CRISPR/Cas und anderen Verfahren Sonderregelungen einzuräumen. „Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen“, lautete ihr Votum. Dagegen liefen BAYER und die anderen Agro-Riesen Sturm, was bei der Europäischen Union nicht ohne Folgen blieb. Sie gab eine Studie zu dem Thema in Auftrag, um wieder Handlungsspielraum zu bekommen. Und wie erwartet machte die im April 2021 vorgelegte Untersuchung dann Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen durch eine allzu strenge Regulierung aus und plädierte für einen lockereren Umgang mit den neuen Technologien. „Jede weitere politische Maßnahme sollte darauf abzielen, die Vorteile der Innovation zu nutzen und gleichzeitig auf Bedenken einzugehen. Eine rein sicherheitsbasierte Risiko-Bewertung reicht möglicherweise nicht aus (...)“, heißt es in der Zusammenfassung. Das lieferte der Europäischen Union die erwünschte Vorlage dafür, bis zum Jahr 2023 einen neuen Rechtsrahmen für die Gentechnik 2.0 zu schaffen. Im Zuge dieses Prozesses rief sie BürgerInnen und Organisationen dazu auf, ihre Meinung zu dem Vorhaben kundzutun, was die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auch nutzte (siehe AKTION & KRITIK).

Kein Geld mehr für die RAGA
Der BAYER-Konzern hatte den Sturm auf das Washingtoner Kapitol vom 6. Januar 2021 nach Recherchen der taz durch Spenden an den „Verband der republikanischen Generalstaatsanwälte“ (RAGA) mitfinanziert (Ticker 2/21). 50.000 Dollar zahlte seine Tochter-Gesellschaft MONSANTO 2020 der RAGA, dessen Unterorganisation „Rule of Law Defense Fund“ massiv zu Aktionen an dem Tag mobilisierte. Nach dieser Enthüllung stoppte der Leverkusener Multi die Überweisungen nicht etwa sofort, er erklärte stattdessen, eine weitere Förderung von einer internen Untersuchung der RAGA zu den Vorgängen abhängig zu machen. Im Mai gab der Agro-Riese dann per Twitter seine Entscheidung bekannt: „Bei der RAGA fehlt eine kritische Aufarbeitung der Rolle des mit ihr verbundenen „Rule of Law Defense Fund“ beim Sturm auf das Kapitol. Daraus ziehen wir die Konsequenz.“

Online-HV: BAYER noch unentschieden
Schon lange vor Corona hatten BAYER & Co. mit der Abkehr von Präsenz-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen besser vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit dazu, was BAYER als erster DAX-Konzern nutzte. Im September 2021 erteilte der Gesetzgeber den Unternehmen nun das Recht, auch im nächsten Jahr wieder ins Virtuelle zu flüchten. Es blieb bei einer Mahnung, dabei besonnen vorzugehen: „Auch wenn die Erleichterungen somit noch bis einschließlich 31. August zur Verfügung stehen, sollte von diesem Instrument im Einzelfall nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemie-Geschehens und im Hinblick auf die Teilnehmer-Zahl der jeweiligen Versammlung erforderlich erscheint.“ Unmittelbar nach dem Beschluss erklärte der Global Player auf Anfrage des Leverkusener Anzeigers, es stehe noch nicht fest, ob er sich für eine Online-HV entscheiden werde.

CORONA & CO.

Aus für CUREVAC-Impfstoff
Der Corona-Impfstoff des BAYER-Partners CUREVAC erreichte bei den Tests nur eine Wirksamkeit von 48 Prozent. Offensichtlich reichte bei CVnCoV die Dosierung nicht aus. Eine stärkere Konzentration konnte das Tübinger Unternehmen jedoch nicht vornehmen, ohne heftige Nebenwirkungen zu provozieren. Anders als MODERNA und BIONTECH hatte CUREVAC den Wirkstoff nämlich nicht chemisch verändert, um ihn ungefährlicher zu machen. Besonders bei Älteren schlug das Vakzin nicht in gewünschter Form an. Zunächst wollte die Tübinger Firma nach der Devise „Was nicht passt, wird passend gemacht“ vorgehen und Studien – etwa durch die Einbeziehung besonders junger Proband-Innen – neu konzipieren, Mitte Oktober entschied das Management sich jedoch um. Es verkündete das Aus für das Pharmazeutikum und gab bekannt, zukünftig allein auf seinen Impfstoff der zweiten Generation zu setzen, für den die Firma sich GLAXOSMITHKLINE als Partner auserkoren hat. Die Lieferverträge mit der Europäischen Union fallen jetzt flach. Die Vorabzahlungen der EU in Höhe von 450 Millionen Euro muss CUREVAC aber ebenso wenig zurückzahlen wie die 196 Millionen Euro aus dem Fördertopf des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Kooperation mit BAYER liegt jetzt ebenfalls auf Eis. Ursprünglich hatte die Aktien-Gesellschaft vor, 160 Millionen Dosen CVnCoV herzustellen. 30 Beschäftigte stellte sie dafür ein. Aber nun heißt es aus der Unternehmenszentrale: „Es gibt keinen Gegenstand mehr, auf den sich die Partnerschaft beziehen könnte.“ Die Anlage für die Corona-Arznei hatte der Konzern noch gar nicht gebaut, weshalb sich die Unkosten in Grenzen halten und eine Fertigung für andere Vakzin-Anbieter nicht in Frage kommt. Entsprechende Hoffnungen der nordrhein-westfälischen Landesregierung enttäuschte der Pharma-Riese. Ursprünglich hatte Ex-Ministerpräsident Armin Laschet noch ganz andere Pläne und bei der Bekanntgabe der Zusammenarbeit frohlockt: „Der Einstieg der BAYER AG in die Impfstoff-Produktion ist ein weiterer wichtiger Schritt im Kampf gegen das Virus. NRW will zu einem Zentrum der mRNA-Technologie werden.“ Beim Leverkusener Multi heißt es jetzt lediglich unverbindlich: „Wir schauen uns die mRNA-Technologie grundsätzlich weiter an, setzen aber vor allem auf die Gen- und Zelltherapie.“ Und für die 30 Neueingestellten hat er bereits andere Aufgaben gefunden.

CUREVAC forcierte Staatsbeteiligung
Im Juni 2020 erwarb der Bund 23 Prozent der Anteile an BAYERs zeitweiligem Impfstoff-Partner CUREVAC (s. o.). Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) begründete diesen Schritt mit der Notwendigkeit, „elementare Schlüsselindustrien am Standort zu erhalten und zu stärken“ und die industrielle Souveränität Deutschlands zu wahren. „Deutschland steht nicht zum Verkauf“, so Altmaier. Vorher hatte es Gerüchte um einen Börsengang von CUREVAC in den USA sowie um das Bemühen Donald Trumps gegeben, die Firma ganz in die USA zu locken. Diese Gerüchte hat CUREVAC bewusst geschürt, um staatliche Gelder zu erhalten. Das hat die Initiative FRAG DEN STAAT enthüllt, die eine Anfrage auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes stellte und so Einsicht in den Briefverkehr des Unternehmens mit der Bundesregierung erhielt. „Ich möchte gerne den Technologie-Transfer unserer proprietären Produktion in die USA und den Abzug der Impfdosen aus Tübingen verhindern, deswegen wende ich mich nochmals an Sie“, so unterlegte das Management die Bitten um Geld. Auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) lobbyierte für die finanzielle Unterstützung CUREVACs. Er wandte sich in einer E-Mail persönlich an den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und warnte ebenfalls vor einer Abwanderung der Firma in die USA, falls die Euros ausblieben.

BAYER prüft Impfpflicht in US-Werken
Der BAYER-Konzern prüft, in seinen US-amerikanischen Niederlassungen eine Impfpflicht zu erlassen. „Es wird auch bei uns in den USA darüber diskutiert, es gibt aber derzeit keine Entscheidung in dieser Richtung“, bekundete ein Sprecher des Unternehmens.

Geimpfte und Nicht-Geimpfte getrennt
Der BAYER-Konzern trennt in seinen Kantinen Geimpfte und Nicht-Geimpfte voneinander und betritt damit eine rechtliche Grauzone. Unternehmen ist es nämlich nicht gestattet, sich nach dem Impf-Status der Beschäftigten zu erkundigen, denn Gesundheitsdaten unterliegen einem besonderen Schutz. Nur für Krankenhäuser, Pflege-Einrichtungen, Schulen und Kita gelten laut Infektionsschutz-Gesetz Ausnahme-Bestimmungen. Der Leverkusener Multi betont allerdings, die Regelung „in enger Absprache mit den Betriebsräten“ getroffen zu haben. Und der Agro-Riese hat noch einen Dreh gefunden, die Vorschriften zu unterlaufen: Er überlässt die Angelegenheit einfach den Belegschaftsangehörigen. „Selbstorganisierte Gruppen, zum Beispiel in Mehrpersonen- oder Großraumbüros, in Laboren oder Teilbereichen der Produktion, können unter freiwilliger Anwendung der 2G-Regel ohne Abstand und Maske zusammenarbeiten oder Arbeitsmeetings in Präsenz durchführen“, erklärt der Global Player.

BAFIN prüft InsiderInnen -Geschäfte
Mitte Juni gab die Biotech-Schmiede CUREVAC, mit der BAYER in Sachen „Corona-Impfstoff“ einen Kooperationsvertrag abgeschlossen hatte, enttäuschende Test-Ergebnisse für seinen Vakzin-Kandidaten bekannt. Unmittelbar danach stürzten die Aktien des Unternehmens ab. Das rief die Finanzaufsicht BAFIN auf den Plan. Die Behörde leitete ein Prüfverfahren ein, um zu eruieren, ob ManagerInnen der beiden Konzerne ihr InsiderInnen-Wissen nutzten und kurz vor Schluss noch einmal Kasse machten. Die Tübinger Firma stritt das jedoch vehement ab und verwies auf einen schon weit vorher festgelegten Verkaufstermin: „Es besteht daher keine logische Kausalität zwischen den beschriebenen Transaktionen und aktuellen Firmen-Entwicklungen bei CUREVAC.“

BAYERs Patent-Lobbyismus
Nur 0,5 Prozent der verfügbaren Impfstoffe gegen COVID-19 landeten in den ärmeren Ländern, wie Max Klein von der BUKO PHARMA-KAMPAGNE auf der letzten CBG-Jahrestagung Anfang Oktober darlegte. Um eine gerechtere Verteilung der Vakzine zu gewährleisten, fordern diese Staaten deshalb eine Aufhebung der Patente. Dagegen sträuben sich die Pharma-Unternehmen – unterstützt von der Bundesregierung – jedoch vehement. So bekundete BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich auf der letzten Hauptversammlung des Leverkusener Multis: „Bei der Bekämpfung einer solchen Pandemie geht es in erster Linie darum, den Menschen so schnell wie möglich und auch unbürokratisch zu helfen. Dabei stehen Fragen des Patentschutzes zunächst nicht im Vordergrund. Davon unabhängig gilt, dass der Schutz des geistigen Eigentums als Anreiz für die Entwicklung neuer Arzneimittel unverzichtbar ist. Dies ist die Basis dafür, dass es heute mit Hilfe neuer Technologien in Rekordzeit entwickelte Impfstoffe überhaupt gibt. Ohne Rechte an geistigem Eigentum würden die Impfstoffe gegen Covid-19 nämlich nicht existieren.“ Und solchen Worten folgen auch Taten, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ hervorgeht. So nahm Oelrich in Sachen „Patente“ an einer Videokonferenz des Bundeskanzleramts teil, und auch in einer zweiten zum Thema war ein Emissär des Konzerns vertreten. Bei einem „Zukunftsdialog“ zu der Frage, den das Bundeswirtschaftsministerium initiierte, durfte der Pharma-Riese selbstverständlich ebenfalls nicht fehlen. Überdies gab es telefonische Kontakte mit dem Staatssekretär Andreas Feicht. Und am 23. Juni kam es sogar zu einem persönlichen Treffen von BAYER-ManagerInnen mit Kanzleramtschef Helge Braun.

BAYER & Co. wollen „Studienreform“
Für die klinische Erprobung der verschiedenen Impfstoffe und Medikamente gegen Corona gab es beschleunigte Verfahren. Beispielsweise wurden die verschiedenen Phasen der Prüfungen zusammengelegt. Infolgedessen kamen in der praktischen Anwendung viele Nebenwirkungen zum Vorschein, die in den Tests unbemerkt blieben. So ging die Europäische Arzneimittel-Agentur unter anderen Hinweisen auf vermehrt auftretene Fälle von Herzmuskel-Entzündungen, Herzbeutel-Entzündungen, Embolien, Thrombosen, Blutungsstörungen, Nierenstörungen und Augenleiden nach. BAYER & Co. aber wollen trotzdem die Ungunst der Stunde nutzen, um generell weniger Auflagen für Pharma-Tests durchzusetzen. „Für klinische Studien ist es wichtig, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, dass es von der Planung bis zur Studie schneller losgehen kann“, sagt etwa BAYER-Managerin Heike Prinz. Und der vom Leverkusener Multi gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ sekundiert: „Die Vielzahl der nötigen Genehmigungen und Zustimmungen, insbesondere bei Datenschutz und Ethik, macht alles sehr bürokratisch, aufwendig und manchmal auch langsam.“

Kein Antikörper-Impfstoff mit BAYER
Der BAYER-Konzern hatte sich an einer Kooperation zur Entwicklung eines Antikörper-Vakzins gegen Corona beteiligt. Gemeinsam mit CORAT THERAPEUTICS und dem „Fraunhofer-Institut für Toxikologie und experimentelle Medizin“ wollte er ein Vakzin auf Antikörper-Basis entwickeln, das als sogenannter Passiv-Impfstoff die Ausbreitung der Krankheit bei schon Infizierten eindämmt. Der Beitrag des Leverkusener Multis zum Verbund bestand darin, CORAT Zugriff auf seine Prozessentwicklungsplattform zu gewähren. Im März 2021 aber kündigte das Unternehmen seine Zusammenarbeit mit den beiden Partnern auf. Offenbar hatte es sich damals entschieden, ganz auf die Impfstoff-Liason mit CUREVAC zu setzen.

Zweite Karriere für BAYER-Mittel?
Zu schweren Verläufen von Corona kommt es zumeist durch eine Überreaktion des Immunsystems, die auch zu einer Schädigung gesunder Zellen führt. Bei Versuchen, dies zu verhindern, stießen WissenschaftlerInnen des „Berlin Institute of Health“ auf eine alte BAYER-Substanz. Als Mittel gegen chronische Entzündungskrankheiten scheiterte das Präparat, das Chemokine – Botenstoffe des Immunsystems – blockiert, einst. Nun hoffen die ForscherInnen auf bessere Resultate bei COVID-19. Die vom Bundesforschungsministerium mit 3,5 Millionen Euro geförderte klinische Studie beginnt direkt mit der zweiten Phase; die Herstellung der Prüfsubstanz hat der Leverkusener Multi übernommen.

DRUGS & PILLS

BAYER setzt auf Krebsmittel
Therapeutika gegen Krebs werfen im Arznei-Bereich mit am meisten Geld ab, obwohl diese Pharmazeutika die Überlebenszeit der PatientInnen zumeist nur um wenige Monate verlängern. So kostet etwa eine Behandlung mit BAYERs Tumor-Präparat VITRAKVI schlappe 32.800 Dollar pro Monat. Solche Profit-Aussichten veranlassen den Konzern nun, die Sparte auszubauen. „Es ist unser Ziel und unser Anspruch, dass wir in diesem Feld bis 2030 zu den „Top-Ton“-Pharmaunternehmen gehören“, verkündete BAYERs Forschungsleiter Christian Rommel. Momentan nimmt der Global Player Rang 14 ein. Aus eigener Kraft will er den Aufstieg allerdings nicht bewerkstelligen. Der Leverkusener Multi setzt dabei auf externe Kooperationen.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat-Absatz wächst
In Deutschland legt der Glyphosat-Absatz wieder zu. Während die Zahlen zwischen 2015 und 2019 von 4.315 Tonnen auf 3.059 Tonnen sanken, stiegen sie im Jahr 2020 auf 3.773 Tonnen an – eine Steigerung um fast 25 Prozent.

Glyphosat verseucht Nudeln
In vielen Teigwaren finden sich Glyphosat-Spuren. Das Magazin Ökotest untersuchte 19 Spaghetti-Marken und spürte in elf von ihnen Reste des Pestizids auf. Während keines der fünf untersuchten Bio-Fabrikate mit dem umstrittenen Herbizid verunreinigt war, galt das nur für drei der konventionell hergestellten Produkte.

Glyphosat verseucht Wälder
Der Einsatz von BAYERs Glyphosat in der Forstwirtschaft Kanadas verursacht weitreichende Schäden. Hatte ein ForscherInnen-Team um Nicole Botten von der „University of Northern British Columbia“ noch ein Jahr nach der Ausbringung Rückstände des Herbizids in Himbeeren und Heidelbeeren nachgewiesen (Ticker 4/21), so machten ihre KollegInnen Alexandra R. Golt und Lisa J. Wood nun negative Effekte auf Unterholz-Sträucher wie Stachel-Rosen aus. Laut der Studie hemmte das Pestizid die Verbreitung der Pflanze, sorgte für eine verminderte Größe der Pollen und schränkte deren Überlebensfähigkeit ein. Das gefährdet nach Ansicht der beiden WissenschaftlerInnen die gesamte Artenvielfalt des Waldes. Der BAYER-Konzern hingegen will von all dem nichts wissen. „Unsere glyphosat-basierten Produkte wurden von den Zulassungsbehörden in Kanada und weltweit gründlich geprüft, um sicherzustellen, dass alle zugelassenen Anwendungen der Produkte die Umwelt schützen, einschließlich der Nicht-Zielpflanzen“, bekundete Konzern-Sprecher Utz Klages. Dabei verwies er auch auf eine Untersuchung der Forstbehörde, die ihm zufolge zu dem Schluss kam, „dass Glyphosat, wie es in der kanadischen Forstwirtschaft verwendet wird, kein inakzeptables Risiko für natürliche Lebensräume, Wildtiere oder die Umwelt darstellt“.

Glyphosat-Regelungen in Kraft
Im September 2021 trat ein Gesetzes-Paket zum Insektenschutz in Kraft, das auch Maßnahmen zur Einschränkung des Pestizid-Gebrauchs umfasst. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für die Anwendung im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fällt. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid bis 2023 erlaubt. Erst dann erfolgt das Aus – und das auch nur unter Vorbehalt. Wenn die EU Glyphosat bis dahin nämlich nicht aus dem Verkehr zieht, wackelt auch der Beschluss der Bundesregierung. „Sollten sich in diesem Zusammenhang Änderungen der Dauer der Wirkstoff-Genehmigung ergeben, ist das Datum des vollständigen Anwendungsverbots gegebenenfalls anzupassen“, hält die „Pflanzenschutzanwendungsverordnung“ fest. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte erweisen sich ebenfalls als unzureichend. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände.

Merkel & Co. antworten Bundesrat
Der Bundesrat hatte dem Gesetzes-Paket zum Insektenschutz (s. o.) zwar zugestimmt, aber noch Änderungen erwirkt. Einerseits beschloss er einen Bestandsschutz für Länder-Regelungen zur Einschränkung des Pestizid-Gebrauchs, die über das Bundesrecht hinausgehen, andererseits schuf das Länder-Gremium einen weiteren Ausnahme-Passus. So wollte es den Einsatz von Glyphosat & Co. zur „Gewährleistung der Verkehrssicherheit von Schienen-Wegen“ weiterhin erlaubt sehen. Insgesamt erachtete der Bundesrat das Paragrafen-Werk jedoch als nicht ausreichend. Deshalb bat er die Bundesregierung in einer Entschließung, „weitere Vorschläge zum Schutz und zur Stärkung der Artenvielfalt zu erarbeiten“. Drei Monate später kam die Antwort. Handlungsbedarf konnte die Große Koalition allerdings nicht erkennen. Sie verwies auf die zusätzlich zu den neuen Paragrafen-Werken noch durch das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ sowie die EU-Landwirtschaftspolitik initiierten Maßnahmen und führte einige vom Bund unterstützte Forschungsprojekte zu weniger schädlichen Pestiziden oder nicht chemischen Verfahren auf.

PFLANZEN & SAATEN

Saatgut: Biden will regulieren
Auf den meisten Agrar-Märkten haben sich oligopolhafte Strukturen gebildet. Die Biden-Administration sieht deshalb den Wettbewerb gefährdet und die LandwirtInnen einem immer höheren Preisdruck ausgesetzt. Darum will sie die einzelnen Sektoren prüfen. Als erste Sparte hat sich Landwirtschaftsminister Tom Vilsack den Saatgut-Bereich vorgenommen, in dem BAYER, CORTEVA, LIMAGRAIN und CHEMCHINA/SYNGENTA 52 Prozent aller Geschäfte abwickeln. Und einen Ansatzpunkt hat der Politiker schon identifiziert: „Man fragt sich, ob diese langen Patente Sinn machen.“

BITS & BYTES

Immer mehr digitale Landwirtschaft
Die Digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. BAYER hat dazu die Plattform „FieldView“ im Angebot und preist es den FarmerInnen mit einigem Erfolg als probates Mittel an, um „Risiken aktiv zu managen, die Produktivität zu steigern und Betriebsabläufe zu vereinfachen“. Kam das Erzeugnis der Digital-Tochter CLIMATE CORPORATION im Jahr 2018 auf einer Fläche von 24 Millionen Hektar zum Einsatz, so sind es nunmehr bereits 73 Millionen Hektar. Und allen Beteuerungen des Leverkusener Multis zum Trotz, das Tool offen für andere Anbieter von Pestiziden, Saatgut und anderen Input-Gütern zu halten, steigert es ganz im Sinne des Erfinders doch den Absatz der eigenen Hervorbringungen. „Zudem ist der Umsatz mit Produkten des Unternehmens bei den Nutzern von ‚FieldView’ gestiegen“, hält der Global Player zufrieden fest.

WASSER, BODEN & LUFT

BAYERs Treibhaus-Gase
Als klima-schädlicher Stoff steht zumeist das Kohlendioxid im Mittelpunkt der Diskussion, weil BAYER & Co. es in Massen emittieren. Die anderen Treibhaus-Gase sind jedoch auch nicht ohne. In der Summe richten fluorierte Kohlenwasserstoffe, Lachgas, Methan, Kohlenmonoxid und Ruß fast einen genauso großen Schaden an wie CO2, denn die Stoffe haben es in sich. So ist Methan 25-mal so wirksam wie CO2 und Lachgas sogar 125-mal. Und der Leverkusener Multi mischt auch auf diesem Feld kräftig mit. Er stieß im Geschäftsjahr 2020 22.000 Tonnen fluorierte Kohlenwasserstoffe, 8.000 Tonnen Lachgas, 3.000 Tonnen Methan und 1.160 Tonnen Kohlenmonoxid aus.

Methan im Fokus
Die Klima-Politik nimmt neben Kohlendioxid endlich auch andere Treibhaus-Gase (s. o.) in den Fokus. So hat die EU eine Methan-Strategie verabschiedet und gemeinsam mit den USA eine Reduktionsinitiative an den Start gebracht. Die 30 Länder, die sich ihr angeschlossen haben, verpflichten sich, den Ausstoß dieses Gases bis 2030 um 30 Prozent gegenüber dem Jahr 2020 zu senken.

Schmutzige Glyphosat-Produktion
Im US-Bundesstaat Louisiana stößt kaum eine Produktionsstätte mehr chemische Stoffe aus als BAYERs Glyphosat-Fabrik in Luling. 2020 setzte sie nach Angaben der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA rund 7.700 Tonnen an Cobalt, Kupfer, Nickel, Ammonium, Methanol, Formaldehyd, Phosphor und anderen Substanzen frei. Aber auch die Anlage in Soda Springs, wo der Leverkusener Multi das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor herstellt, ist eine veritable Dreckschleuder. Auf ca. 2.270 Tonnen Cobalt & Co. kommt der Standort.

Keine Grundwasser-Schäden in der Ville?
Die NRW-Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erkundigten sich nach etwaigen Grundwasser-Verunreinigungen durch Sonderabfall-Deponien (SAD). „Bei Gruben-Deponien kann es zu einem marginalen Eintrag von Grundwasser durch das Dichtungssystem in den Ablagerungsbereich kommen“, räumte die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage ein. Im Falle von Hilgenberg und Ochtrup sei das auch wirklich geschehen, räumt die schwarze-gelbe Koalition ein. Die Sonderabfall-Deponie des Chemie„parks“ Hürth-Knapsack, in dem BAYER ein Pestizid-Werk betreibt, hält ihr zufolge aber dicht: „Grundwasser-Schäden durch die SAD Knapsack sind hier nicht bekannt.“

Altlasten-Standort Leverkusen
Unter dem Pflaster Leverkusens liegt alles andere als der Strand. Der Boden des Stadtgebiets ist großflächig mit industriellen Altlasten kontaminiert. Ein nicht geringer Teil davon dürfte made by BAYER sein. Insgesamt 39 Abfall-Konglomerationen befinden sich unter der Grasnarbe. Bei dreizehn davon haben die Aufsichtsbehörden die Gefährdungsabschätzung abgeschlossen; dreizehn weitere überwachen sie dauerhaft. Bei neun der Hinterlassenschaften haben die ExpertInnen noch keine Maßnahmen festgelegt. Einer Sanierung unterzogen oder bereits saniert sind vier Altlasten. Das ergab eine Kleine Anfrage der NRW-Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Mehr Giftmüll in die Ville
Die Sonderabfall-Deponie des Chemie„parks“ Hürth-Knapsack, in dem BAYER ein Pestizid-Werk unterhält, liegt im ehemaligen Braunkohle-Tagebaugebiet „Vereinigte Ville“. Die giftigen Hinterlassenschaften der Konzerne landen in den verwaisten Braunkohle-Gruben. „Deponien sind schon seit Langem ein fester Bestandteil einer funktionierenden Kreislauf-Wirtschaft. Trotz aller Bemühungen zur Vermeidung, zur Wiederverwendung oder anderweitigen Nutzung von Abfällen bleiben auch zukünftig nennenswerte Anteile an Abfällen übrig, die aufgrund ihres Gehaltes an Schadstoffen gesichert deponiert werden müssen“, so die Betreiber ABFALLENTSORGUNGS- UND VERWERTUNGSGESELLSCHAFT KÖLN, RWE und REMONDIS. Und zwar so nennenswerte Anteile, dass die Deponie an ihre Grenzen stößt. Darum möchten die Eigentümer die Kapazität um 35 Millionen Kubikmeter erweitern und haben ein entsprechendes Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Dabei liegt die „Vereinigte Ville“ in unmittelbarer Nähe eines tektonischen Risses, des „Kierberger Sprungs“. Die NRW-Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wollte deshalb von der Landesregierung wissen, ob die Erdbeben-Gefahr beim Genehmigungsprozess Berücksichtigung findet. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition bejahte das mit dem Verweis auf ein in Auftrag gegebenes hydro-geologisches Standort-Gutachten. „Es ist Grundlage für den Abwägungsprozess im Planfeststellungsverfahren und für Vorgaben im Bescheid“, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Ida legt Glyphosat-Produktion lahm
Der BAYER-Konzern ist nicht nur Klimawandel-Täter mit einem CO2-Ausstoß von 3,58 Millionen Tonnen im letzten Jahr, sondern auch Klimawandel-Opfer. Er leidet selbst unter den zunehmenden Extremwetter-Ereignissen, die der Treibhausgas-Ausstoß verursacht. So legte der Hurrikan Ida Ende August 2021 seine Glyphosat-Produktion am US-amerikanischen Standort Luling lahm. Mehr als sechs Wochen dauerte es, bis der Agro-Riese die Strom-Versorgung wieder sicherstellen und neues Glyphosat herstellen konnte. Da es bereits im Frühjahr Lieferengpässe gab und auch China wegen Energie-Mangels weniger von dem Herbizid fertigte als üblich, zogen die Preise für das umstrittene Mittel kräftig an.

Die Zukunft des Entsorgungszentrums
Am 27. Juli 2021 ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chem„parks“ eine Explosion. Der Störfall im Tanklager des Entsorgungszentrums forderte sieben Todesopfer. 31 Menschen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Anfang November wollten die nordrhein-westfälischen Grünen von der Landesregierung wissen, wie diese sich die Zukunft der Sondermüll-Verbrennungsanlage und der anderen Vorrichtungen auf dem Areal vorstellt, die sich laut CURRENTA momentan im „Winterschlaf“ befinden. „Eine Wiederinbetriebnahme bzw. ein Wiederaufbau der Anlage ist erst nach eindeutiger Klärung des Ereignis-Hergangs und vorbehaltlich eventuell erforderlicher organisatorischer und/oder technischer Änderungen möglich“, erklärten CDU und FDP in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage. Auch „Änderungsbedarfe an dem bestehenden Regelwerk“ schlossen die Parteien nicht aus. Bei einer Anhörung im Leverkusener Stadtrat nannte Dr. Horst Büther von der Bezirksregierung einige konkrete Punkte. Je nach Ergebnis des Sachverständigen-Gutachtens könnten beispielsweise bestimmte Abfall-Gruppen aus der Genehmigung genommen sowie die Überwachung verschärft werden, so Büther. Gleichzeitig drängt die Landesregierung jedoch auf Eile, denn seit der Detonation im Tanklager besteht in Nordrhein-Westfalen ein Entsorgungsnotstand. Einzelne Firmen wie etwa die ehemalige BAYER-Tochter LANXESS waren schon gezwungen, ihre Produktion zu drosseln. „Die aufgrund des Explosions- und Brandereignisses im Chem‚park’ Leverkusen am 22(sic!).07.2021 beschädigte Rückstands- und Abfallverbrennungsanlage der CURRENTA GmbH & Co. OHL muss zeitnah wieder in Stand gesetzt werden“, erklärt Schwarz-Gelb deshalb. Welche Hürden zur Wiederaufnahme des Betriebs zu nehmen sind, hängt von den Plänen des Unternehmens ab, wie Horst Büther im NRW-Umweltausschuss erläuterte. „Soll dieses Tankfeld wieder genauso aufgebaut werden, wie es war, oder sollen Änderungen vorgenommen werden? Und je nachdem, welche Änderungen vorgenommen werden sollen, muss eine entsprechende Änderungsgenehmigung beantragt werden bei uns, bei der Bezirksregierung. Und im Rahmen dieser Änderungsgenehmigung werden wir gucken: Was müssen wir für Anforderungen stellen an die Wiederinbetriebnahme des Betriebes? Wenn tatsächlich 1:1 aufgebaut werden sollte, wären die Anforderungen gering, andererseits sind sie höher“, so Büther. Nach Ansicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) muss es ein komplett neues Tanklager geben, weil das alte den Sicherheitsanforderungen nicht entsprach, und ergo auch ein komplett neues Genehmigungsverfahren mit BürgerInnen-Beteiligung.

Kläranlagen bald wetterfester?
Der Starkregen, der Mitte Juli 2021 Deutschland, Holland, Belgien und die Schweiz heimsuchte, hatte katastrophale Folgen. Auch der Chemie„park“ Knapsack, in dem BAYER ein Pestizid-Werk betreibt, spürte die Auswirkungen. Die Abwasser-Behandlungsanlage lief über, was zum „Abfluss erheblicher Mengen Niederschlagswassers sowie Abwassers“ führte. Die Stadt Hürth setzte daraufhin eine Warnmeldung ab, die das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ aufgriff und weiterverbreitete. „Innerhalb des Stadtgebietes Hürth ist es im Bereich Alt-Hürth und Teilen von Hermülheim zu einem größeren Schadensereignis gekommen. Dabei werden Schadstoffe freigesetzt, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Hautreizungen führen können“, so der Wortlaut. Die „Entfesselungspolitik“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung, im Zuge derer sie auch das Landeswasserrecht reformierte, hatte sich als fatal erwiesen. Schwarz-Gelb veränderte bei der Neufassung des Landeswasser-Gesetzes nämlich den Paragrafen, der vorschrieb, neue Abwasser-Anlagen hochwassersicher zu bauen und ältere bis Ende 2021 umzurüsten. Bis 2027 gaben die Parteien den Betreibern nun Zeit – zu lange, wie sich im Juli zeigte. Jetzt aber erkennt die Landesregierung Handelsbedarf. Sie plant, „weitergehende Regelungen – zum Hochwasserschutz bei Abwasser-Anlagen auf der Basis von einzuführenden, allgemein anerkannten Regeln der Technik – zu erlassen“, wie es in ihrer Antwort auf eine entsprechende Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen hieß. Zudem gelte es, „einzelfall-bezogen zu prüfen, inwieweit weitergehende Rückhalte-Maßnahmen für künftige Starkregen-Ereignisse erforderlich und umzusetzen sind“, so CDU und FDP.

STANDORTE & PRODUKTION

Der Berkeley-Deal
Anfang der 1990er Jahre plante BAYER eine große Erweiterung seines Pharma-Werks in Berkeley. Dagegen erhob sich allerdings ein breiter Protest. Die CITIZENS OPPOSING POLLUTED ENVIRONMENT fürchteten sich vor allem vor den Risiken und Nebenwirkungen der Gentechnik. Aber auch die Produktion von Impfstoffen gegen die Pest und andere Erreger für das Pentagon stieß auf Kritik, weil es dabei zu einer Infektion von mehreren Beschäftigten kam. Der Leverkusener Multi startete eine große Öffentlichkeitskampagne, die vor allem auf die vielen in Aussicht stehenden neuen Arbeitsplätze verwies, und hatte damit schließlich Erfolg. Allerdings musste er sich auf ein Development Agreement mit der Stadt einlassen und Geld für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen. Nun will der Konzern, der sich mittlerweile zum größten Unternehmen Berkeleys entwickelt hat, weiter wachsen und Produktionsstätten bis zu einer Höhe von 24 Metern errichten. Und abermals macht sich unter den Anwohner-Innen Skepsis breit. Deshalb steht auch ein neues Development Agreement an. In den nächsten 30 Jahren beabsichtigt der Global Player dafür 30 Millionen Dollar bereitzustellen. 60 Prozent des Etats sieht er dabei für Bildungsprogramme vor, bei denen – als ein nicht ganz unbeabsichtigter Nebeneffekt – auch wissenschaftlicher Nachwuchs für seine Labore abfällt. 20 Prozent des Geldes sollen der lokalen Wirtschaft zugutekommen, und weitere 20 Prozent fließen in ein kommunales Wohnungsprogramm. Auch für Sozialarbeit bleibt ein bisschen was übrig. Das alles reicht dem Bürgermeister Jesse Arreguin allerdings nicht. „Ich glaube, sie können mehr tun“, sagt er. Konzern-Sprecherin Cathy Keck schaltete jedoch auf stur und brachte flugs andere Standorte ins Spiel, die ihr als Interessenten für „BAYERs globale Infrastruktur-Dollars“ einfielen. Aber nach zähen Verhandlungen einigten sich beide Parteien schließlich doch. Der Agro-Riese stimmte zu, bis zum Jahr 2052 33 Millionen Dollar zu zahlen.

IMPERIUM & WELTMARKT

Deal mit MICROSOFT
Die digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. BAYER hat dazu die Plattform „FieldView“ im Angebot und preist sie den FarmerInnen mit einigem Erfolg als probates Mittel an. Auf 73 Millionen Hektar kommt dieses Erzeugnis der Digital-Tochter CLIMATE CORPORATION bereits zum Einsatz. Dem Konzern reicht das jedoch noch nicht. Ihm zufolge „besteht weiterhin großer Bedarf an Lösungen, um die gesamte Wertschöpfungskette für Nahrungs- und Futtermittel sowie Kraftstoffe und Textilfasern zu optimieren“. Deshalb hat das Unternehmen im November 2021 eine umfassende Kooperation mit MICROSOFT vereinbart. „BAYER und MICROSOFT schließen strategische Partnerschaft, um die Digitalisierung der Wertschöpfungskette für Lebensmittel voranzubringen“ ist die entsprechende Pressemitteilung überschrieben. „Die Partnerschaft basiert auf einer langjährigen Geschäftsbeziehung zwischen BAYER und MICROSOFT und dem gemeinsamen Engagement für Datenschutz, Cybersicherheit und Kundenvertrauen“, heißt es weiter. Der Global Player will jetzt sein „FieldView“-Tool in die neue Infrastruktur überführen und gemeinsam mit der US-Firma „die erforderlichen Data-Science-Kapazitäten“ entwickeln. Die fertige Plattform soll dann auch anderen – „von Start-ups bis zu globalen Konzernen“ – zur Verfügung stehen. Wie die bisherigen Erfahrungen mit AMAZON, APPLE, FACEBOOK & Co. zeigen, präferieren diese digitalen Instrumente aber stets die Gründer und monopolisieren die Märkte. Auch der BAYER-Konzern nutzt diese in seinem Sinne (s. Bits & Bytes). Zudem ist eine neue Daten-Krake das letzte, was die Welternährung braucht. Darum fordert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die EU auf, im Rahmen des geplanten Gesetzes für digitale Märkte auch dem Landwirtschaftsbereich strenge Auflagen zu machen und ein umfassendes Kontrollsystem zu etablieren.

In Treue fest zu MONSANTO
Mehrere Finanz-AnalystInnen und InvestorInnen forderten BAYER zur Rückabwicklung des MONSANTO-Kaufs auf. Aber Konzern-Chef Werner Baumann antwortete auf die Frage des Wirtschaftsmagazins Capital, ob das für ihn eine Option sei: „Natürlich nicht“. Der Große Vorsitzende steht nach wie vor in Treue fest zu dem von ihm eingefädelten Deal. „Kein Unternehmen kann einen so großen Beitrag zur Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft leisten“, fabulierte Baumann.

Verkauf von SCHERING DO BRASIL
Während der BAYER-Konzern seine Anstrengungen verstärkt, die Armutsregionen mit seinem Langzeit-Verhütungsmittel MIRENA zu beglücken (siehe NORD & SÜD), stößt er seine Tochter-Gesellschaft SCHERING DO BRASIL ab, die Kontrazeptiva und Hormon-Präparate wie MICROVLAR, MIRANOVA, NEOVLAR, FEMIANE, CLIMENE, PRIMOLUT NOR vor allem für den lateinamerikanischen Markt hergestellt. Der Leverkusener Multi verkaufte die Niederlassung für 112 Millionen Dollar an die GRUPO UNIÃO QUÍMICA. Einzelne Produkte verbleiben jedoch noch bis zu fünf Jahren im Sortiment des Global Players.

ÖKONOMIE & PROFIT

Der „CURRENTA-Moment“
Im Jahr 2019 haben BAYER und LANXESS ihre Beteiligungen an dem Chemie„park“-Betreiber CURRENTA an die australische Investmentbank MACQUARIE veräußert, genauer: an MIRA, den Infrastruktur-Fonds des Geldhauses. Der Leverkusener Multi drängte zum Verkauf. Er brauchte wegen der Millionen-Klagen in Sachen „Glyphosat“ Geld. LANXESS hingegen zögerte. Das Unternehmen hatte mehr Werke auf dem CURRENTA-Areal als der Agro-Riese und traute MACQUARIE das Management inklusive der sachkundigen Weiterentwicklung der Infrastruktur der „Parks“ nicht so recht zu. Aber schließlich stimmten beide Partner dem Deal zu, denn das Geld lockte. 3,5 Milliarden Euro zahlten die Australier – das Zwölffache des CURRENTA-Jahresgewinns. Dies ließ die Branche aufhorchen. Von einem „CURRENTA-Moment“ sprechen BeobachterInnen. Und den erhofft sich nun auch das Unternehmen INTRASERV HÖCHST, das einen – unter anderem mit einem Pestizid-Werk von BAYER bestückten – Chemie-Komplex in Frankfurt unterhält. Nachdem Gespräche über einen Verkauf vor rund 20 Jahren an Zweifeln ob der Kompetenz möglicher Investoren scheiterten, unternimmt INTRASERV nun einen neuen Anlauf. Zu den Interessenten soll der FAZ zufolge auch MACQUARIE gehört haben. „Ein Kenner der Materie wies allerdings darauf hin, dass die Gesellschaft noch mit dem schweren Unfall in Leverkusen zu kämpfen hat“, so die Zeitung (siehe auch UNFÄLLE & KATASTROPHEN). Solche Unwägbarkeiten waren es auch, welche die Verhandlungen von DOW mit MACQUARIE und zwei anderen Bietern platzen ließen. „Unklarheit über Haftungsfragen bei Umweltschäden“ nennt das Blatt als Grund.

RECHT & UNBILLIG

Explosion: drei Tatverdächtige
Am 27. Juli 2021 ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chem„parks“ eine Explosion (siehe SWB 4/21). Der Störfall im Tanklager des Entsorgungszentrums forderte sieben Todesopfer. 31 Menschen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Abermals zeigte die Katastrophe die lebensgefährlichen Risiken einer dem Profit-Prinzip folgenden Wirtschaftsweise auf. Die bürgerliche Justiz aber muss Schuld individualisieren. Bereits am ersten Tag nach der Detonation leitete die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen gegen unbekannt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion ein. Im Oktober 2021 gab sie dann bekannt, sich dabei konkret auf drei Personen zu fokussieren. Verletzung der Sorgfaltspflichten lautet der Vorwurf. Die Staatsanwaltschaft legt den Beschäftigten zur Last, eine Chemikalie über der zulässigen Temperatur gelagert zu haben, was zu einem Druckanstieg und schließlich zur Explosion führte. Zur Beweissicherung nahmen die Behörden bei den Beschuldigten sowie bei der CURRENTA Hausdurchsuchungen vor und stellten Datenträger, Handys und Dokumente sicher. Mit diesem Vorgehen bricht die Staatsanwaltschaft Organisationsversagen auf menschliches Versagen herunter. Es war aber eine komplexe Gemengelage, die den großen Knall und ein solches Ausmaß an Folgen überhaupt erst möglich gemacht hat. Zum einen handelt sich um ein uraltes, noch von BAYER errichtetes Entsorgungszentrum mit Tanks, die so dicht nebeneinander standen, dass am 27. Juli ein Domino-Effekt eintrat. Zudem verlief über das Gelände eine Starkstrom-Leitung, die zerbarst und erst umständlich vom Netz genommen und geerdet werden musste, was die Lösch-Arbeiten verzögerte. Überdies hat die CURRENTA die Müll-Entsorgung als rendite-orientierten Geschäftszweig betrieben und Abfall aus aller Herren Länder akquiriert – aus Dänemark stammte derjenige, der bei der Detonation hochgegangen ist. Darüber hinaus müssten die Betriebsabläufe mit einer systematischen Risiko- und Gefahrenanalyse eigentlich so durchformalisiert sein, dass ein persönliches Fehlverhalten ohne gravierende Folgen bleibt. Auch haben die Behörden die Anlagen-Überwachung nicht ernst genommen. So schauten KontrolleurInnen der Bezirksregierung zuletzt im Jahr 2018 mal im Chem„park“ vorbei. Und die Politik beugte sich immer wieder dem Druck der Konzerne und unterließ es, strengere Sicherheitsregelungen einzuführen. Über all dies müsste zu Gericht gesessen werden, dafür fehlen aber die Instrumente. Darum fordert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN bereits seit Jahren die Einführung eines Unternehmensstrafrechts.

BAYER gewinnt Glyphosat-Prozess

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Der Leverkusener Multi hat vor einem US-amerikanischen Gericht einen Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ gewonnen. Der „Superior Court of the State of California“ in Los Angeles wies am 5. Oktober 2021 die Klage von Destiny Clark ab, die das Herbizid der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO für die Lungenkrebs-Erkrankung ihres 10-jährigen Sohnes Ezra verantwortlich gemacht hatte. Obwohl die Clarks die Agro-Chemikalie über Jahre hinweg in ihrem Garten versprüht hatten, konnten die Geschworenen keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Ausbringung und Ezras „Non-Hodgkin-Lymphom“-Diagnose im Alter von vier Jahren erkennen. Zuvor musste der Konzern in drei Verfahren Niederlagen einstecken. Ein viertes verlor er freiwillig, um die Möglichkeit zu haben, in einer höheren Instanz ein Grundsatz-Urteil zu erwirken. Mit ausschlaggebend für das Votum des Superior Courts dürfte gewesen sein, dass interne Firmen-Unterlagen über manipulierte Studien, die Beeinflussung von Zulassungsbehörden und MONSANTO-eigene Erkenntnisse zu den Gesundheitsgefahren des Mittels nicht zur Beweisfindung zugelassen waren. Ob die Familie den Richter-Spruch anfechten will, steht zurzeit noch nicht fest. Sofort nach Bekanntgabe der Entscheidung stieg der Aktien-Kurs des Global Players kurzzeitig um bis zu 2,7 Prozent. Der Finanzmarkt erachtete den Freispruch offensichtlich als gutes Omen für die künftigen juristischen Auseinandersetzungen und sah die Position des Unternehmens in den noch ausstehenden Vergleichsverhandlungen gestärkt. BAYER zeigte sich ebenfalls hocherfreut. „Das Urteil der Geschworenen zur Frage der Kausalität zu unseren Gunsten beendet das Gerichtsverfahren und entspricht sowohl der Einschätzung der zuständigen Regulierungsbehörden weltweit als auch den umfangreichen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus vier Jahrzehnten“, ließ die Aktien-Gesellschaft wider besseren Wissens verlauten. Einige Staaten haben Glyphosat nämlich bereits verboten, und selbst die vom Agro-Riesen immer wieder als Kronzeugin für die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Mittels angeführte US-Umweltbehörde EPA beurteilte das Pestizid in internen Expertisen als krebserregend (siehe POLITIK & EINFLUSS).

BAYER gewinnt Glyphosat-Prozess

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Der BAYER-Konzern hat im Dezember 2021 einen weiteren Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ gewonnen. Ein Gericht im US-amerikanischen San Bernadino wies die Klage der 71-jährigen Donnetta Stephens ab, die das Mittel über 30 Jahre lang verwendete und für ihr Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) – eine spezielle Art des Lymphdrüsen-Krebses – verantwortlich machte. Damit verlor der Rechtsanwalt Fletch Trammel, der rund 4.000 Glyphosat-Geschädigte vertritt, nach dem Fall „Clark“ (s. o.) schon seinen zweiten Prozess gegen den Leverkusener Multi. Er kündigte jedoch an, in Berufung zu gehen.

BAYER verliert Glyphosat-Prozess
Die Glyphosat-Geschädigten Alberta und Alva Pilliod haben den Prozess gegen die BAYER-Tochter MONSANTO endgültig gewonnen. Am 17. November 2021 wies der „California Supreme Court“ den Einspruch des Leverkusener Multis gegen das Urteil des Berufungsgerichts ab. Der „Court of Appeal“ hatte den Anspruch der beiden RentnerInnen auf Schadensersatz am 9. August für berechtigt erklärt und dem Unternehmen „eine rücksichtslose Missachtung der Gesundheit und Sicherheit der vielen ahnungslosen Verbraucher“ attestiert (Ticker 4/21). Auch der neuen Strategie des Konzerns, die Justiz der Einzelstaaten in Sachen „Glyphosat“ für unzuständig zu erklären, weil es sich um eine vor den Obersten Gerichtshof gehörende Bundesangelegenheit handele, erteilte der Court damals eine Abfuhr. Der Global Player muss den Pilliods nun 86,7 Millionen Dollar an Strafe und Schmerzensgeld zahlen. Sie hatten auf ihren Grundstücken über 30 Jahre lang das unter dem Produktnamen ROUNDUP vermarktete Glyphosat genutzt. 2011 erkrankte Alva am Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), einer speziellen Art des Lymphdrüsen-Krebses, 2015 seine Frau. Zwei Jahre später reichte das Ehepaar Klage ein. Erstinstanzlich bekam es 2019 zwei Milliarden Dollar zugesprochen. Später reduzierte der „Alameda County Superior Court“ die Summe auf die jetzt letztinstanzlich bestätigten 86,7 Millionen Dollar. Aber trotz der juristischen Schlappe lässt der Agro-Riese immer noch nichts auf das Pestizid kommen. „Wir stehen weiterhin fest hinter der Sicherheit von ROUNDUP, eine Position, die sowohl von den Regulierungsexperten weltweit als auch von dem überwältigenden Gewicht von vier Dekaden umfangreicher Forschung gestützt wird“, erklärte die Aktien-Gesellschaft nach der Entscheidung.

Glyphosat: Vergleich und Verzicht
125.000 KlägerInnen haben die Risiken und Nebenwirkungen des Pestizids Glyphosat, das die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO unter dem Namen ROUNDUP vermarktet, in den USA auf den Plan gerufen. Diese machen das Ackergift für ihr Non-Hodgkin-Lymphom, eine spezielle Art des Lymphdrüsen-Krebses, verantwortlich. Mit Kanzleien, die 98.000 der Betroffenen vertreten und zu den größten der Branche zählen, hat der Leverkusener Multi sich mittlerweile auf Entschädigungen verständigt (Stand 22. Oktober 2021). Im Rahmen dieser Vereinbarungen verpflichteten die Rechtsanwaltsbüros sich auch, keine neuen Fälle mehr anzunehmen. Die Rechtsfirma, welche die Interessen von Alberta und Alva Pilliod wahrnahm (s. o.), zählt ebenfalls dazu. In der Presseveröffentlichung, die den Sieg des Ehepaars in Sachen „Glyphosat“ verkündete, hieß es deshalb: „BAUM HEDLUND ARISTEI & GOLDMAN nimmt keine ROUNDUP-Fälle mehr an. Nichts in dieser Mitteilung zielt darauf ab, weitere Rechtsstreitigkeiten gegen MONSANTO zu fördern oder zu unterstützen im Zusammenhang mit ROUNDUP und dem Non-Hodgkin-Lymphom.“ Neuerkrankte haben es deshalb inzwischen schwer, juristischen Beistand zu finden.

Mexiko: Glyphosat-Bann bleibt
Im Jahr 2020 hatte die mexikanische Regierung Glyphosat verboten, was auf massiven Druck von Landwirtschaftsorganisationen, Umwelt- und VerbraucherschützerInnen zurückging. Der BAYER-Konzern leitete gemeinsam mit anderen Unternehmen gerichtliche Schritte ein, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Im Oktober 2021 lehnte der Supreme Court des Landes die Klagen der Konzerne endgültig ab.

BAYER verliert zweiten PCB-Prozess
Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie. Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheits- und Umweltrisiko dar. Darum ist der Konzern mit einer Vielzahl von Schadensersatz-Ansprüchen konfrontiert. Im Juli 2021 gab ein Gericht in Seattle drei LehrerInnen des Sky Valley Education Centers in Monroe recht, die ihre Leiden auf das PCB-kontaminierte Schulgebäude zurückführten. „So viele Schüler und Lehrer mussten Sky Valley verlassen, weil sie einfach zu krank wurden“, sagte etwa Michelle Leahy, eine der PädagogInnen. Strafe und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 185 Millionen Dollar kostete das den Leverkusener Multi. Im November 2021 verlor er auch den zweiten Prozess in dieser Sache. Dieses Mal sprachen die RichterInnen den Betroffenen 62 Millionen Dollar zu. Der Agro-Riese legte – wie schon nach dem ersten Urteil – Berufung ein. Er hält das von seiner jetzigen Tochter-Firma MONSANTO stammende PCB nicht für den Auslöser von Krebs, Hormonstörungen oder neurologischen Erkrankungen. Nach der Entscheidung vom Juli hatte BAYER erklärt: „Die Beweislage in diesem Fall stützt nicht die Schlussfolgerung, dass die Kläger im Sky Valley Education Center gefährlichen PCB-Werten ausgesetzt waren oder dass eine Exposition ihre Gesundheitsstörungen hervorgerufen haben könnte“. Nur „extrem niedrige PCB-Werte“ seien in der Schule gemessen worden, so der Global Player. Ob er damit die Gerichte in den weiteren Verfahren – allein von Betroffenen aus dem Sky Valley Education Center liegen noch rund 200 Klagen vor – überzeugen kann, ist zu bezweifeln.

BAYER verklagt DR. REDDY’S
Routinemäßig geht der Leverkusener Multi rechtlich gegen Unternehmen vor, die sich anschicken, nach Ablauf der Patentlaufzeit seiner Medikamente Nachahmer-Versionen von diesen herauszubringen. Damit verfolgt der der Pharma-Riese die Absicht, das Inverkehrbringen der Generika zu verzögern, damit er noch möglichst lange Monopol-Profite einstreichen kann. In Sachen „NEXAVAR“ – ein zusammen mit ONYX PHARMACEUTICALS entwickeltes Krebsmittel, das pro Tablette rund 180 Dollar kostet – führte BAYER schon unzählige Prozesse. Die jüngste Klage reichte der Global Player gegen die indische Gesellschaft DR. REDDY’S ein, die in den USA eine Zulassung für das Präparat beantragte. Zuvor hatte es MYLAN und NATCO PHARMA getroffen.

BAYER verklagt APOTEX
Das Unternehmen MEDA erhielt 2009 von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA die Zulassung für das Allergie-Spray ASTEPRO ALLERGY. Der BAYER-Konzern erwarb später die Lizenz zum Vertrieb des Präparats, dessen Patent im Jahr 2028 ausläuft. Ab Juni 2021 konnte er dann die Ausweitung der Vermarktungszone betreiben: Die FDA hob die Rezeptpflicht auf. Nun aber droht Konkurrenz. APOTEX stellte den Antrag auf Genehmigung einer Nachahmer-Version des ohne Steroide auskommenden Mittels und begründete das mit zu Unrecht erteilten Schutzrechten. Dagegen schreiten BAYER und MEDA jedoch ein. Sie verklagten APOTEX umgehend.

[Störfall] Presse-Information vom 20.12.21

CBG Redaktion

Bezirksregierung stellt Weichen für einfachen Neustart

Kein „Business as usual“ nach der Chem„park“-Explosion!

 
Bei der Explosion im Entsorgungszentrum des Leverkusener Chem„parks“ kamen am 27. Juli sieben Menschen ums Leben; 31 wurden zum Teil schwer verletzt. Trotzdem will die Bezirksregierung der CURRENTA einen einfachen Re-Start ermöglichen. Das berichtete der Kölner Stadtanzeiger mit Verweis auf eine Sitzungsvorlage für den Regionalrat Köln, die auch der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) vorliegt.
 
So hält die Bezirksregierung ein neues Genehmigungsverfahren für die Sondermüll-Verbrennungsanlage (SMVA) und die anderen Vorrichtungen nicht für erforderlich. Auch die Abstände des Entsorgungszentrums zur Wohnbebauung genügen ihr: „Viele Standorte der chemischen Industrie sind zu Zeiten entstanden, in denen es keine störfallrechtlichen Abstandsregelungen gab. In diesen Fällen genießen Anlagen und Schutzobjekte Bestandsschutz.“ Auf den Leitfaden der „Kommission für Anlagensicherheit“ verweisend konstatiert sie: „Demnach sind die Abstände der SMVA zur benachbarten Wohnbebauung ausreichend.“ CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann kritisiert das scharf: „Der CURRENTA wird eingeräumt, aus reinem Gewohnheitsrecht weiter viel zu nah an Wohnanlagen mit giftigen Abfällen zu arbeiten, obwohl diese Nähe in jüngster Vergangenheit zu einer Katastrophe geführt hat. Für lebensgefährliche Anlagen darf es keinen Bestandsschutz geben!“
 
Auch das Geschäftsmodell, giftige Abfälle zu importieren, um diese profitträchtig zu entsorgen, bleibt unangetastet. „Einschränkungen zum Entstehungsort der Abfälle sind rechtlich nicht begründbar und könnten allenfalls als freiwillige Selbstbeschränkung der Betreiberin umgesetzt werden“, heißt es in der Stellungnahme der Bezirksregierung.
 
Selbst das Sahnehäubchen darf die CURRENTA unverändert behalten: Bei der Katastrophe war die 110 Kilovolt starke Starkstromleitung, die über dem Entsorgungszentrum verläuft, gerissen und hatte den Boden unter Strom gesetzt, was die Löscharbeiten erheblich verzögerte. Für die Aufsichtsbehörde stellt das aber offensichtlich kein Problem dar: „Die bestehende Hochspannungsleitung muss unter Berücksichtigung der derzeit gültigen technischen Regelwerke (z.B. Technische Regel für Anlagensicherheit TRAS 120) nicht verlegt werden.“ Es seien lediglich nicht näher definierte „organisatorische Maßnahmen zu treffen, um im Ereignisfall ein schnelleres Freischalten der Hochspannungsleitung zu ermöglichen.“
 
Die NRW-Landesregierung wünscht ebenfalls eine schnelle Wiederinbetriebnahme, denn seit der Detonation im Tanklager besteht in Nordrhein-Westfalen ein Entsorgungsnotstand. Einzelne Firmen wie etwa LANXESS waren schon gezwungen, ihre Produktion zu drosseln. „Die aufgrund des Explosions- und Brandereignisses im Chem‚park’ Leverkusen am 22.(sic!)07.2021 beschädigte Rückstands- und Abfallverbrennungsanlage der CURRENTA GmbH & Co. OHL muss zeitnah wieder in Stand gesetzt werden“, erklärt Schwarz-Gelb deshalb in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen.
 
„Die Profit-Maschinerie soll möglichst schnell wieder ans Laufen kommen, ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist die Katastrophe nach der Katastrophe“, hält Marius Stelzmann abschließend fest.
 

[Störfall] Presse-Information vom 03.12.21

CBG Redaktion

Organisationsversagen bei Chem„park“-Explosion

CBG fordert Ermittlungen gegen die Konzernspitze

Am 27. Juli 2021 tötete eine Explosionskatastrophe bei CURRENTA in Leverkusen 7 Menschen. Weitere 31 ArbeiterInnen wurden verletzt, die Stadt wurde in Angst und Schrecken versetzt, eine Giftwolke zog bis nach Dortmund.

Seit Mitte Oktober ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft gegen drei ArbeiterInnen des Chem„park-Betreibers CURRENTA wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion. Sie prüft, ob diese ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben, indem sie eine Chemikalie über der zulässigen Temperatur lagerten und damit eine Ketten-Reaktion auslösten.

„Mit diesem Vorgehen geht die Staatsanwaltschaft gegen die Kleinen vor und lässt die Großen laufen. Nicht die ArbeiterIinnen, sondern die Geschäftsleitungen von CURRENTA und BAYER müssen ins Visier genommen werden! Wie mittlerweile bekannt geht es um Organisationsversagen, und dafür haften diejenigen, die die Anlage geplant, gebaut und betrieben haben, also die Geschäftsleitung des jetzigen Betreibers CURENTA und die Verantwortlichen bei BAYER, die die Anlage errichteten und in Betrieb hatten. Nicht zuletzt trug eine einzig am Profit-Prinzip orientierte Wirtschaftsweise bei CURRENTA zur Vernachlässigung der Sicherheitsanforderungen und damit zur Katastrophe bei“, fordert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

In jedem Industrie-Komplex, der der Störfall-Ordnung unterliegt, müssen die Betriebsabläufe von vorneherein so geregelt sein, dass individuelles Versehen ohne gravierende Folgen bleibt. Zu diesen Anforderungen zählen unter anderem verbindliche Verantwortlichkeiten für Kontrollen und eine systematische Risiko- und Gefahrenanalyse. Dazu gehört auch eine ständige Qualifizierung des Personals inklusive einer detaillierten Unterweisung von Leih- und FremdarbeiterInnen, die nur zeitweise auf dem Gelände tätig sind. Es muss daher untersucht werden, woran es der für die Anlage verantwortliche BAYER-Konzern und der jetzige Betreiber CURRENTA im Einzelnen haben fehlen lassen.

CURRENTA hat die zunächst nur für BAYER zuständige Müllentsorgung in kürzester Zeit systematisch zu einem lukrativen Geschäftsfeld mit hochgefährlichen Chemie-Abfällen aus aller Welt ausgebaut. Aus Dänemark beispielsweise stammte derjenige, der an 27. Juli hochgegangen ist. Diese Profitjagd machte riesige Tank-Anlagen als Zwischenlager-Stätten nötig. Bei einer Konzentration allein auf den im Chem„park“ Giftmüll hätte die CURRENTA natürlich auch sehr viel genauer über die zur Verbrennung anstehenden Stoffe und ihr jeweiliges Gefahren-Potenzial Bescheid gewusst.

Darüber hinaus wirkten die baulichen Voraussetzungen wie ein Brandbeschleuniger. Die BAYER-Baupläner stellten die Tanks so dicht nebeneinander, dass am 27. Juli ein Domino-Effekt entstand. Damit nicht genug, verlief über dem Entsorgungszentrum eine Starkstrom-Leitung, die zerbarst und erst umständlich vom Netz genommen und geerdet werden musste, ehe die Feuerwehr mit vollem Einsatz löschen konnte.

Schließlich kommt auch Politik und Verwaltung eine Mitverantwortung zu. So haben die Behörden keine regelmäßigen Sicherheitskontrollen durchgeführt. BeamtInnen der Bezirksregierung schauten zuletzt im Jahr 2018 (!!) im Leverkusener Chem„park“ vorbei. Und die verschiedenen Bundesregierungen beugten sich immer wieder dem Lobby-Druck der Konzerne und unterließen es, strengere Sicherheitsauflagen zu erlassen.

„Über all dies und die tatsächlich Verantwortlichen in den Geschäftsleitungen von BAYER und CURRENTA muss zu Gericht gesessen werden, statt über drei abhängig beschäftigte ArbeiterInnen. Das Unternehmensstrafrecht muss dringend verschärft werden (Hier irrte die CBG. Es gibt noch gar kein Unternehmensstrafrecht. Die Große Koalition hatte das Projekt fallengelassen) und eben diese zentrale Haftung in das Zentrum stellen“, erklärt CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann abschließend.

[Explosion] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

Explosion im Chem„park“

Die Verantwortung BAYERs

Am 27. Juli 2021 ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chem„parks“ eine Explosion. Der Störfall im Tanklager des Entsorgungszentrums forderte sieben Todesopfer. 31 Menschen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Abermals zeigte die Katastrophe die lebensgefährlichen Risiken einer dem Profit-Prinzip folgenden Wirtschaftsweise auf.

Von Jan Pehrke

Es war die größte Chemie-Katastrophe in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Sieben Menschen starben bei der Explosion im Leverkusener Chem„park“. 31 verletzten sich zum Teil schwer. 55 Rettungskräfte hatten nach ihrem Einsatz gesundheitsgefährdende Mengen an Schadstoffen im Blut. Und zahllose AnwohnerInnen klagten über Gesundheitsstörungen.
Dazu kamen besorgniserregende Sachschäden wie etwa ein Defekt an den Brunnen der Dhünnaue-Deponien, die das verseuchte Sickerwasser auffangen und zusammen mit der Grundwasser-Barriere verhindern, dass es in den Rhein fließt. „Es wird davon ausgegangen, dass der Rohrbruch, der am 28.07.2021 festgestellt wurde, im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 27.07.2021 steht“, konstatiert das Landesumweltministerium in einem Bericht. Auch die Kläranlage des Entsorgungszentrums lädierte die Explosion. Dort fiel die Prozessleitsteuerung aus.
Noch in 40 Kilometer Entfernung von der Unglücksstelle schlugen die Messgeräte des nordrhein-westfälischen Geologischen Dienstes aus, eine solche Kraft hatten die Druckwellen. Die Rauchwolke zog über das ganze Bergische Land bis nach Dortmund hin. Eine Warnmeldung der Kategorie „extreme Gefahr“ setzten die Behörden ab. Die Feuerwehr forderte die Bevölkerung auf, die Fenster zu schließen und die Klima-Anlagen auszuschalten. Sie mahnte eindringlich, die niedergehenden Ruß-Partikel nicht zu berühren, kein Obst und Gemüse aus den eigenen Gärten zu essen und verschmutzte Gegenstände nicht selbst zu reinigen. Eine Größe von bis zu zwei Zentimetern erreichten die Flocken und waren nicht ohne: Mitunter fraßen sie sich sogar durch die Schutzschicht von Autolacken. Die Stadt Leverkusen sperrte alle Spielplätze, und die LandwirtInnen der Umgebung ließen ihre Kühe nicht mehr auf die Weide.
„Ich dachte, ein Flugzeug wäre auf unserem Hausdach gelandet“, so beschreibt eine Frau aus Leverkusen-Bürrig die Detonationsgeräusche. Am nächsten Tag legte sich ihr zufolge dann ein schwerer, gummiartiger Gestank über den Stadtteil, und sie hatte einen „bitteren Geschmack“ auf der Zunge. Den hatte auch ein anderer Anwohner. Das war aber nicht alles. Er habe „starke Lungenschmerzen bekommen“, berichtete er dem Kölner Stadtanzeiger. An eine Atom-Explosion, einen Fall-Out, erinnerte ihn das Ganze. Ein Mann klagte derweil über brennende Haut, und eine ältere Frau spürte noch am Wochenende darauf die Nachwirkungen. „Am Sonntag hatte ich den ganzen Tag Kopfschmerzen“, sagte sie in einem Monitor-Interview.

Verharmlosungen
Bereits am ersten Tag nach der Detonation begann die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion. Diese hatte sich in dem Tanklager der Sondermüll-Verbrennungsanlage des Chemie„park“-Betreibers CURRENTA, genauer im Tank 3 ereignet. Und es war ein Unglück mit Ansage. Schon ab etwa fünf Uhr morgens kam es an dem 27. Juli zu einem Temperatur- und Druckanstieg in dem Behältnis, da sich eine Chemikalie erhitzt hatte. Eine Alarmierung der Feuerwehr erfolgte zu diesem Zeitpunkt aber nicht. Die CURRENTA pumpte zur Abkühlung Heizöl in den Tank, aber das konnte die chemische Reaktion nicht stoppen. „Der ganze Vorgang ging so schnell, dass die Sicherheitseinrichtungen den Druck nicht mehr abführen konnten. Als der Druck dann über dem Auslegungsdruck des Behälters lag, explodierte dieser“, heißt es in dem Zwischenbericht des Gutachters. Der größte Druck- und Temperaturanstieg fand eine Viertelstunde vor der Detonation statt, die sich um 9.40 Uhr ereignete. Die Abfall-Flüssigkeit, die dem zweiten Zwischenbericht zufolge in Bürrig „oberhalb der Selbsterwärmungstemperatur gelagert wurde und so die Reaktion in Gang“ setzte, vermengte sich dann mit der Luft und dem Heizöl, was einen Brand auslöste. Das Feuer griff bald auch auf acht der Nachbar-Tanks über und zerstörte diese oder beschädigte sie stark.
Die Feuerwehr durfte sich zu diesem Zeitpunkt dem Brandherd immer noch nicht von allen Seiten nähern, sondern nur von Westen aus. Über dem Entsorgungszentrum verlief nämlich eine Starkstrom-Leitung, die zerbarst und erst umständlich vom Netz genommen und geerdet werden musste. Nach den heutigen technischen Bau-Bestimmungen für Betriebe, die der Störfall-Verordnung unterliegen, wäre eine solche überirdische Führung von 110 Kilovolt gar nicht mehr erlaubt. Aber der Gesetzgeber gewährt freundlicherweise Bestandsschutz. Und so verstrichen rund anderthalb Stunden, ehe die 360-köpfige Lösch-Crew die Möglichkeit hatte, vollen Einsatz zu zeigen. Gegen 13 Uhr gelang es ihr schließlich, das Feuer – mit potenziell umweltschädlichen – Sonderlöschmitteln unter Kontrolle zu bringen.
Dreieinhalb Stunden später folgte schon die erste Entwarnung. „Im gesamten Stadtgebiet wurden von der Feuerwehr Leverkusen und dem LANUV (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, Anm. SWB) Luftmessungen vorgenommen, die unauffällig blieben“, vermeldete die Stadt Leverkusen. Dabei war im Einzelnen gar nicht klar, was da ins Freie gelangt war – und ist es bis heute nicht. Laut CURRENTA befanden sich in den Tanks „organische Wasser- und Lösungsmittel-Gemische und chlorierte Wasserstoffe“. Daraus zog das LANUV erste Schlüsse: „Daher gehen wir derzeit davon aus, dass über die Rauchwolke Dioxin-, PCB- und Furan-Verbindungen in die umliegenden Wohn-Gebiete getragen wurden.“ Über die Konzentration der Stoffe vermochte die Behörde aber noch keine Angaben zu machen. Drei Tage später legte sie dann ihre Ergebnisse vor. „Eine nur geringe Schadstoff-Belastung“ stellte das LANUV fest. „Bei den Stoffgruppen der Dioxine (einschließlich dioxin-ähnliche PCB) wurde die Bestimmungsgrenze nicht erreicht. Bei den Polychlorierten Biphenylen (PCB) und den Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) wurden sehr geringe Werte gemessen, die die Bewertungsgrenzen unterschritten“, so das Landesamt. Nach anderen Stoffen hatte die Einrichtung allerdings zu der Zeit noch nicht gefahndet. Daher empfahl sie, zunächst noch alle Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten.
An den Dioxin-Befunden erhoben sich sogleich Zweifel. So machte der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) auf die geringe Anzahl der genommenen Proben aufmerksam und kritisierte die Aussage des LANUV-Mitarbeiters Ulrich Quaß, „dass die Ruß-Flocken auch für Kinder völlig unkritisch seien, selbst wenn diese so einen Brand-Rückstand verschlucken sollten“, als „völlig unangebracht“. Wenig später sah sich diese Skepsis durch eine GREENPEACE-Untersuchung bestätigt, die sich auf 20 statt bloß auf drei Proben stützte. „Teilweise wurden höhere Konzentrationen nachgewiesen als in den veröffentlichten Mess-Ergebnissen des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV)“, erklärte die Organisation. Während die Greenpeace-ChemikerInnen in den Wischproben von Staub auf Spielplätzen und in Hausgärten genauso wenig wie ihre LANUV-KollegInnen gefährliche Rückstände aufspüren konnten, stießen sie in dem Ruß sehr wohl auf bedenkliche Werte. „In vier von sieben quantitativ untersuchten Proben von Ruß-Niederschlägen werden Polychlorierte Dibenzo-Dioxine und -Furane in Konzentrationen oberhalb der Bestimmungsgrenze nachgewiesen“, heißt es in dem Bericht der Initiative. „Die Entwarnung kommt zu früh“, konstatierte GREENPEACE deshalb: „Kinder sollten auf keinen Fall mit diesen Fundstücken in Berührung kommen.“ Die Stadt forderten die Umweltschützer*innen auf, die Rückstände flächendeckend und systematisch zu analysieren und die CURRENTA, die Rußpartikel einzusammeln und fachgerecht zu entsorgen.
Mit genaueren Informationen zum Tank-Inhalt rückte der Chem„park“-Betreiber immer nur häppchenweise heraus, was die Untersuchungen zum Schutz der AnwohnerInnen massiv erschwerte. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser musste sogar persönlich in Leverkusen vorstellig werden, um bei dem Unternehmen Druck zu machen. Eine Verzögerungstaktik sah sie dabei aber nicht am Werk. Die CDU-Politikerin schrieb das Verhalten laut dpa lediglich einer vorübergehenden Überforderung zu. Am 31. Juli tat die Bezirksregierung Köln dann kund, in dem explodierten Tank hätten sich „flüssige Reststoffe aus der Produktion von Chemikalien für die Landwirtschaft“ befunden, in der Hauptsache phosphor- und schwefelhaltige Substanzen. Knapp eine Woche später publizierte das LANUV dann die Resultate ihrer Untersuchung auf der Basis der erhaltenen Stofflisten. 450 Agrochemie-Bestandteile spürte es in Boden- und Pflanzenproben nach und fand „keine relevante Konzentration und keinerlei Grenzwert-Überschreitungen“. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die einzelnen Bestandteile der Agrar-Chemikalien aus den Tanks durch den unmittelbar nach der Explosion einsetzenden Brand fast vollständig zerstört wurden“, so die Behörde.
Am 11. August durfte dann auch die Öffentlichkeit Genaueres erfahren. Die CURRENTA informierte über die Stoffe in den Tanks und im Fall des hochgegangenen Behälters auch über deren Herkunft. Sie stammten von einem „außerhalb des Chem„park“ ansässigen Kunden aus dem EU-Ausland“. Bei seinem Besuch der Leverkusener Stadtratsfraktionen nannte Unternehmenschef Lars Friedrich dann noch weitere Details. So brachte ein einziger Stoff, mit dem es das Entsorgungszentrum zuvor noch nie zu tun hatte, den Tank 3 zum Platzen. Die Bezirksregierung warnte sogleich alle Betreiber von Verbrennungsanlagen im In- und Ausland vor dieser Substanz. Genauere Angaben zu der Chemikalie verweigerte Friedrich jedoch mit Verweis auf die noch laufenden Ermittlungen. Er versicherte Erhard Schoofs von der Bürgerliste lediglich, dass die CURRENTA auch diese Lieferung sorgfältig beprobt hätte, bevor sie abgefüllt wurde.

Made by BAYER
Ein Leverkusener wusste laut Rheinischer Post sogleich, was er zu tun hatte, als er am Morgen des 27. Juli die ungeheure Erschütterung vernahm: „Ich geh’ rein, mach die Fenster zu. Wenn das vom BAYER kommt ...“ „Und ja, es kommt ‚vom BAYER’, wie man in Leverkusen sagt, wenn man über den Chem„park“, das ehemalige BAYER-Werk, spricht“, schreibt die Zeitung. BAYER und der Chem„park“, das ist für die Stadt immer noch eins, obwohl die Besitzverhältnisse inzwischen andere sind. Im Jahr 2019 verkaufte der Konzern seine 60-prozentige Beteiligung an der CURRENTA und hat somit rein formal nichts mehr mit dem Störfall zu tun. Andererseits trägt er aber sehr wohl Verantwortung. Der Multi war es nämlich, der nicht nur das Entsorgungszentrum mit dem Tanklager und den Verbrennungsöfen errichtete, sondern auch die ganze Chem„park“-Struktur mitsamt seiner Sicherheitsarchitektur schuf, die sich dann am 27. Juli nicht zum ersten Mal als sehr anfällig erwies. 2011 ging von der Sondermüll-Verbrennungsanlage aus ein Sandregen über Teile Leverkusens nieder. 2010 entzündete sich ein Feuer, und 2009 traten nach einem Defekt in der Dosier-Einrichtung der Abluft-Behandlung Schadstoffe aus. Im Jahr 1986 kam es in einem Müll-Ofen zu einer Detonation, bei der Nitrose freigesetzt wurde. 1980 schließlich explodierten Stoffe im Anlieferungsbunker. Sie töteten einen Bagger-Fahrer und zerstörten das „Entsorgungszentrum“ zum größten Teil.
Alles, was heute der Chem„park“ ist mit seinen rund 70 Firmen, nahm ursprünglich der BAYER-Konzern mit seinen Produktionsanlagen allein in Beschlag. Den dabei anfallenden Giftmüll verbuddelte er lange Zeit einfach. 1957 dann nahm das Unternehmen die erste Vorrichtung zur Sonderabfall-Verbrennung in Betrieb. Neue Öfen folgten in den Jahren 1967 und 1976. Eine Generalüberholung der Verbrennungsanlage 1 führte der Chemie-Riese 1989 durch, die der Verbrennungsanlage 2 1991/92. Da die beiden Vorrichtungen aber immer noch mehr Schadstoffe in die Luft bliesen, als die 17. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) erlaubte, musste BAYER 1995 „eine weitere Nachrüstung der Rauchgas-Reinigung“ vornehmen. Im Jahr 2016 erfolgte die bisher letzte Sanierung für rund vier Millionen Euro. Dabei wurde unter anderem ein sechs Meter langer Abschnitt eines Ofen-Drehrohres ersetzt.

Müll als Geschäft
Im Lauf der Zeit veränderte sich auch der Status der Produktionsrückstände – aus dem Müll wurde ein Geschäft. Noch aus den entlegensten Erdteilen versuchten die ManagerInnen gefährliche Produktionsrückstände zu akquirieren. Dazu erweiterten sie ständig die Kapazitäten der Öfen. Zuletzt war dies 2012 der Fall. Da stieg das Fassungsvermögen von 80.000 Tonnen auf 120.000 Tonnen. Die Lieferungen bestanden nämlich immer weniger aus heizwert-reichen Abfällen, bei deren Verbrennung eine als Energie nutzbare Wärme entsteht. Deshalb brauchte der Entsorger mehr Masse. „Der Energie-Ausgleich muss bei uns mit mehr Menge erfolgen, um unsere Verbrennungsanlage weiter wirtschaftlich betreiben zu können“, so der damalige CURRENTA-Sprecher Mark Mätschke. Diese Vergrößerungen machten riesige Tank-Anlagen als Zwischenlager-Stätten nötig. Wenn sich die Service-Gesellschaft darauf beschränkt hätte, nur den im Chem„park“ selbst regelmäßig anfallenden Sondermüll zu verbrennen, hätte es solch großer Vorrichtungen gar nicht bedurft, aber da war die Profit-Gier BAYERs vor. Wegen dieses Eifers, aus der Beseitigung von Fabrikationsresten einen blühenden Geschäftszweig gemacht zu haben, bezeichnete die ehemalige NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn den Leverkusener Multi deshalb einmal als „Müllstaubsauger“.
Und noch etwas anderes veränderte sich über die Jahre. Durch Produktionsverlagerungen bzw. -schließungen oder kleiner dimensionierte Neu-Anlagen entstanden auf dem Werksgelände immer mehr Freiflächen. Da machte BAYER aus der Not eine Tugend bzw. einen Chem„park“. Es wandelte sein Werk-Areal zu einem offenen Gewerbe-Gebiet um und warb andere Chemie-Firmen als Mieter an. Auch der Konzern selbst wandelte sich. Das Unternehmen gab sich im Jahr 2002 eine Holding-Struktur mit selbstständig arbeitenden Einheiten, um sich leichter von Unternehmensteilen trennen zu können. Das „Park“-Management inklusive „Müllabfuhr“ fiel dabei der Dienstleistungstochter BAYER INDUSTRY SERVICES (BIS) zu. Im Jahr 2005 stieß der Multi dann seine Chemie-Sparte und Teile des „Plaste & Elaste“-Segments ab. Im Zuge dessen gab er der fortan unter LANXESS firmierenden Abspaltung 40 Prozent der BIS-Aktien mit auf den Weg. Drei Jahre später verschwand „BAYER“ aus dem Namen, CURRENTA nannte sich die Service-Gesellschaft nun. Und 2019 schließlich veräußerten BAYER und LANXESS ihre Beteiligungen an die australische Investmentbank MACQUARIE, genauer: an MIRA, den Infrastruktur-Fonds des Geldhauses. Ein langfristiges Engagement stellte dieser jedoch nicht in Aussicht. „Wir gehen von einer Haltedauer von zehn bis zwölf Jahren aus“, so Deutschland-Chef Hilko Schomerus damals.
Aber immer noch unterhält der Leverkusener Multi vielfältige Geschäftsbeziehungen zu seiner Ex-Tochter und lässt beispielsweise seine Produktionsrückstände weiter von ihr entsorgen. Er wähnt diese bei einem Finanzmarkt-Akteur nach wie vor in guten Händen. „BAYER erklärt auf Anfrage, man gehe davon aus, dass sich an den Sicherheitsstandards nach dem Verkauf nichts geändert habe“, meldete die Rheinische Post. Es gäbe Sicherheitsvereinbarungen, erklärte der Agro-Riese der Zeitung gegenüber, überdies behielten die verantwortlichen ManagerInnen sich Kontrollen vor. Und die CURRENTA versicherte ebenfalls, die Schutzmaßnahmen seien „nie heruntergefahren worden“. Aber offensichtlich reichten schon die bestehenden nicht aus.

Dienstbare Politik
Und dafür hat BAYER so einiges getan. „Chemie-Anlagen sind keine Schokoladen-Fabriken“, bekundete der damalige Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider 1994 auf der Hauptversammlung und insinuierte auf diese Weise, AnwohnerInnen und Beschäftigte hätten die Risiken und Nebenwirkungen dieser Art der Produktion als Schicksal hinzunehmen. Gegen schärfere Sicherheitsvorschriften setzte sich BAYER stets mit allen Mitteln zur Wehr. So gelang es dem Konzern etwa, den nordrhein-westfälischen Abstandserlass, der nach mehreren Beinahe-Katastrophen keine gefährlichen Fertigungsstätten in der Nähe von Wohngebieten mehr zulassen wollte, zu verwässern. Bestehende Werke nahm die Landesregierung auf Druck des Unternehmens ausdrücklich von den Regelungen aus.
Angemessene Abstände und eine scharfe Kontrolle aller Störfall-Betriebe sahen schließlich auch die verschiedenen Seveso-Richtlinien vor, welche die Europäische Union nach dem verheerenden Chemie-Unglück, das sich 1976 in der Nähe der italienischen Stadt Seveso ereignet hatte, auf den Weg brachte. Dagegen opponierte der Multi ebenfalls. Er sprach sich gegen die festgeschriebene Prüfung aller zu einer Firma gehörigen Anlagen aus und kritisierte den bürokratischen Aufwand. Die Aufsichtsbehörden sollten nicht auf Zwangsmaßnahmen setzen, sondern auf ein „partnerschaftliches Miteinander“, meinte die Aktien-Gesellschaft.
Und die Politik spielte mit, von der obersten bis zur untersten Ebene. Der Bund etwa nahm sich bei der Umsetzung der Seveso-II-Richtlinie in deutsches Recht lange Zeit und ließ dabei nicht selten Lücken, weshalb die EU die Bundesrepublik im Jahr 2000 verklagte. Zudem wollte die Bundesregierung die Seveso-Vorgabe der angemessenen Abstände in einer Technischen Anweisung (TA) konkretisieren. Aber dazu kam es nicht, da BAYER & Co. Sturm liefen. Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) formulierte damals seine Bedenken in einem Positionspapier. Demnach sollte der Sicherheitsabstand nur eine von vielen Möglichkeiten sein, die von Störfallen ausgehenden Gefahren zu reduzieren und eine Unterschreitung auf keinen Fall zur Nichtgenehmigung einer Anlage führen. Andernfalls wäre „im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 der 12. BImSchV die Tolerierbarkeit des Restrisikos aufgehoben“, so der BDI. Es galt für ihn lediglich, „die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Störfall auf ein tolerierbares und sozialadäquates Maß“ zu reduzieren: „Das heißt, dass ein Restrisiko verbleibt.“ Zudem trat die Lobby-Organisation dafür ein, bei der „Definition der Schutzobjekte“ das Augenmaß zu wahren. Überdies muss für den Bundesverband bei Genehmigungsverfahren „darauf geachtet werden, dass es nicht zu Verfahrensverzögerungen und Kostensteigerungen“ durch die Regelung kommt. Das Bundesumweltministerium führte dann ein Planspiel zur Realisierung der TA Abstand durch, das einen schlechten Ausgang nahm. So blieb alles beim Alten, und Einzel-Gutachten beurteilten wie eh und je jeweils konkret das Gefährdungspotenzial eines Vorhabens für die Umgebung.
Am BAYER-Standort Dormagen erzielte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) dennoch einmal einen Erfolg. Im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens für ein Kunststoff-Werk monierte sie den zu geringen Sicherheitsabstand der Anlage zu Wohnsiedlungen und Verkehrseinrichtungen. Daraufhin holte die Bezirksregierung ein Gutachten ein, das Handlungsbedarf erkannte, und der Leverkusener Multi musste bei der S-Bahn-Station „Dormagen BAYER-Werk“ einen Schutzraum errichten.

Dienstbare Kommunen
Die Kommune selber hält dagegen ebenso ungern Distanz zu BAYER wie Leverkusen. Die Städte fühlen sich durch die Seveso-Richtlinien nämlich in ihrem Aktionsradius bei der Ausweisung von neuen Wohn- oder Gewerbegebieten eingeschränkt. Deshalb versuchen sie sich durch Gutachten Handlungsraum zurückzuerobern. Zu diesem Behufe beauftragte Leverkusen vor einigen Jahren den TÜV, die Chancen für die Entwicklung Wiesdorfs zu eruieren. Das TÜV-Gutachten erklärte dann zwar die unmittelbar an den Chem„park“ angrenzenden Flächen, die Planungszone 1, zur No-Go-Area, in der keine Bebauung mehr gestattet ist, gab ansonsten aber Entwarnung. „Im Ergebnis des ersten Arbeitsschrittes konnten durch die Detail-Betrachtung im technischen Gutachten die Abstände zum Teil deutlich reduziert werden“, vermeldete der „Technische Überwachungsverein“ erfreut. Nach der bisherigen Richtgröße, dem von der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) pauschal festgelegten „Achtungsabstand“, wäre die Bannmeile nämlich deutlich breiter ausgefallen. Nunmehr aber unterlag die vom TÜV umrissene Planungszone 2 jetzt nur noch wenigen Auflagen. Und auf der Basis dieser Festlegungen erstellte Leverkusen schließlich einen Entwicklungsplan für das Stadtgebiet. Die Bezirksregierung Köln beobachtete dieses Treiben mit einiger Sorge. So kritisierte ihr Immissionsschutz-Experte Wolfgang Raffel laut Leverkusener Anzeiger „den Leverkusener Trend, in Gefahrenbereichen zu bauen“.
Ansonsten aber zeigt auch die Behörde keinen übermäßigen Ehrgeiz, die AnwohnerInnen vor den Risiken und Nebenwirkungen der Chemie-Produktion zu schützen. Die Kapazitätserweiterung der Öfen von 80.000 auf 120.000 Tonnen winkte sie 2012 durch, ohne dabei die vom gesamten „Entsorgungszentrum“ ausgehenden Gefährdungen mit zu berücksichtigen. „Spezielle über den Antragsgegenstand hinausgehende Anforderungen an die Sicherheitstechnik wurden im Genehmigungsbescheid nicht festgelegt“, erklärte die Bezirksregierung laut report-K. Dadurch versäumte sie es, insbesondere das Tanklager mit den dicht nebeneinander stehenden Tanks auf die Gefahr möglicher Kettenreaktionen hin zu untersuchen, obwohl schon die zu der Zeit geltende Seveso-II-Richtlinie eine Prüfung etwaiger Domino-Effekte vorschrieb. Das Tanklager selbst sahen sich die KontrolleurInnen zuletzt im Januar 2016 an und waren damit bereits nach einer Stunde fertig.
Seither nahm die CURRENTA insgesamt neun bauliche Eingriffe vor. Genehmigungsverfahren brauchte es dafür aber nach Ansicht der Bezirksregierung nicht. Sie schaute nur mal kurz drüber. „Die technischen Änderungen wurden zeitnah nach der Installation in Augenschein genommen“, erklärte sie. Die letzte Störfall-Inspektion des gesamten Areals fand 2018 statt. Und auch bei dieser Gelegenheit musterte die Bezirksregierung die Tanks nicht genauer. Es handelte sich da nach Angaben der Landesregierung nämlich nur um eine „System-Prüfung, d. h. es wird kein einzelner Tank überprüft, sondern es wird überprüft, ob die grundsätzlichen technischen und organisatorischen und management-spezifischen Vorkehrungen des Betreibers geeignet sind, Störfälle zu verhindern“. Die nächste, turnusmäßig für 2020 vorgesehene Kontrolle ließ die Bezirksregierung ausfallen und holte sie auch im April 2021 nicht komplett nach. Wegen der Corona-Pandemie fand lediglich eine Video-Konferenz statt. Einen Lokaltermin hatten die BeamtInnen erst für August angesetzt. Aufgeschreckt durch die Ereignisse vom 27. Juli kontrollierte die Bezirksregierung Köln jetzt wenigstens einmal CURRENTAs Entsorgungszentrum in Dormagen und beauftragte damit gleich zwei Überwachungsteams. „Bei der Inspektion wurden keine Mängel festgestellt“, gab sie anschließend Entwarnung.

Die Reaktionen
„Der Unfall in unserem Entsorgungszentrum in Leverkusen hat uns alle zutiefst erschüttert. Es ist furchtbar, was hier passiert ist“ erklärte die CURRENTA nach der Explosion und hielt fest: „Es ist unsere Aufgabe, den Unfall umfassend aufzuklären. Dabei unterstützen wir die Behörden mit aller Kraft.“ Für den LANXESS-Konzern – bis 2019 gemeinsam mit BAYER Eigentümer der CURRENTA– äußerte sich der Vorstandsvorsitzende Matthias Zachert. Er nannte die verstorbenen und verletzten Beschäftigten „de facto ehemalige Schwestern und Brüder“ und sprach von einem emotionalen Schock. Solche Worte waren von BAYER-Chef Werner Baumann nicht zu vernehmen. Er beließ es bei einer routinierten Beileidsbekundung: „Unser tiefempfundenes Mitgefühl gilt allen, die bei diesem schrecklichen Unfall zu Schaden gekommen sind. Unsere Gedanken sind auch bei den Familien der Betroffenen“. Ansonsten galt Business as usual. Sogar BAYER 04 Leverkusen lief schon am Tag nach der verheerenden Explosion auf, denn der Rasen war bespielbar, wie eine Überprüfung ergeben hatte: kein Partikel-Niederschlag.
Der Vorsitzende der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE), Michael Vassiliadis, nannte die Explosion im Tanklager „ein tragisches, furchtbares Unglück“ und versicherte den Betroffenen und ihren Familien seine Anteilnahme. Detlef Rennings forderte als Betriebsratsvorsitzender der CURRENTA Transparenz ein. „Als Betriebsräte erwarten wir, dass die Ursachen detailliert aufgeklärt werden. Wir müssen verstehen, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Denn eines ist klar: So etwas darf nie wieder passieren“, sagte er. Dafür will Rennings zufolge auch der Betriebsrat sorgen: „Natürlich werden wir uns dafür einsetzen, dass aus den Erkenntnissen konkrete Maßnahmen abgeleitet werden und dass wir als Unternehmen und Belegschaft daraus lernen.“
Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Leverkusener Stadtrat, Milanie Kreutz, zeigte sich völlig überrascht von dem Ereignis: „Wir haben immer darauf vertraut, dass die Sicherheitsmaßnahmen ausreichend sind.“ Jetzt stimmt die Chemie für sie nicht mehr so ganz, ein einfaches Weiter-so schloss Kreutz dem Spiegel gegenüber aus. „Wir müssen trotz freundlichem Miteinander unsere Kontrollfunktion bei der Aufklärung ausüben“, so Kreutz. Ihr Partei-Kollege Karl Lauterbach, Bundestagsabgeordneter mit Wahlkreis Leverkusen-Köln IV, betrachtete die Stadt dagegen immer schon als gefährdet. „Hier kommt einfach einiges zusammen, was Leverkusen zu einer Hochrisiko-Stadt gemacht hat“, konstatierte er und mahnte: „Für künftige Bauvorhaben sollte nach diesem Vorfall genauer geprüft werden, ob Müllverarbeitungsanlagen so nah an einer Stadt errichtet werden dürfen.“ Der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Josef Neumann verlangte derweil von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), die Explosion zur Chef-Sache zu machen. „Wir müssen wissen, wie es um die Sicherheit solcher Anlagen steht (...) Konkret muss jetzt geklärt werden, ob die Anlage in Leverkusen allen aktuellen Standards und den Auflagen der Sicherheit entsprochen hat“, so Neumann. Und für Norwich Rüße, den umweltpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, steht schon fest, dass es Handlungsbedarf gibt: „Klar ist bereits jetzt: Dieser erneute Störfall in einem Chemie-Betrieb muss Anlass sein, störfall-anfällige Chemie-Anlagen weiter in puncto ‚Sicherheit’ zu optimieren.“
Zu dieser Einschätzung war das Umweltbundesamt auf der Basis einer umfassenden systematischen Auswertung von 13 Störfällen schon vorher gekommen. Die Mängelliste umfasst zahlreiche Faktoren, und nicht wenige davon treffen auch auf die Chemie-Katastrophe vom 27. Juli zu. Auf betrieblicher Ebene machte die vom UBA in Auftrag gegebene Untersuchung ein Regelungsdefizit bei Kontrollen und der Umsetzung von Auflagen aus. Darüber hinaus hapert es der Studie zufolge bei der „systematischen Risiko- und Gefahrenanalyse“. Als ein Beispiel dafür nennt sie bei einem Vorfall eine unzureichende sicherheitstechnische Bewertung eines Druckanstiegs in einem Kälte-Aggregat. Zudem stießen die AutorInnen oft auf eine Betriebspraxis, die von der genehmigten Auslegung der Produktionsstätte abwich. Auch die Arbeitsbedingungen identifizierten sie als Risiko für Unfälle. Den Einsatz von Fremdfirmen, ohne die Beschäftigten ausreichend einzuweisen, machte die Expertise ebenfalls als Schwachstelle aus. Überdies fehlt es ihr zufolge häufig an einem „Alterungsmanagement“ der Anlagen, weshalb Instandhaltungsmaßnahmen ausbleiben. Und schließlich kristallisierte sich „bei einem Teil der Ereignisse eine erhöhte Kontrolle durch Aufsichtsbehörden (...) als Verbesserungspotenzial“ heraus.

Die CBG-Aktivitäten
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte ab dem 27. Juli turbulente Wochen. Sie veröffentlichte noch am Tag der Explosion eine Presseerklärung und ließ weitere, etwa zur Sondersitzung des NRW-Umweltausschusses im Landtag, folgen. Unzählige Medien-Anfragen beantwortete das konzern-kritische Netzwerk und gab viele Interviews. Zudem versorgte sie JournalistInnen mit Informationen und wies sie zum Beispiel auf die Mängel bei den Anlagen-Kontrollen der Bezirksregierung Köln hin.
Gemeinsam mit der aktion ./. arbeitsunrecht verlangte sie in einem Offenen Brief an die CURRENTA genauere Auskünfte über die Beschäftigungsverhältnisse zum Zeitpunkt des Unglücks und wollte beispielsweise wissen, wie hoch der Anteil der LeiharbeiterInnen war. Einen zweiten Offenen Brief adressierten die beiden Initiativen an den WDR, um die oberflächige, unkritische Berichterstattung zu geißeln. Den längsten Offenen Brief, diesmal von der CBG allein verfasst, erhielt der Leverkusener Multi. Dieser steht nach Ansicht der Coordination trotz der 2019 erfolgten Trennung von der CURRENTA nämlich immer noch in der Verantwortung, nicht nur weil das Tanklager und die Müll-Ofen von ihm stammten. Es war „der BAYER-Konzern, der für den Chem„park“ in Leverkusen und die anderen Chem„park“-Standorte das Nutzungskonzept, die Organisationsstruktur und die Sicherheitsarchitektur entwickelt hat“, hieß es in dem Schreiben unter anderem.
Und natürlich war die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN vor Ort in Leverkusen. Am 2. August stieß sie zu einer von der Partei MLPD initiierten Kundgebung, und am 21. September veranstaltete sie die Podiumsdiskussion „Wie weiter nach der Explosion?“ Daran nahmen neben dem Verfasser dieser Zeilen der GREENPEACE-Schadstoffexperte Manfred Santen, Hanno Raussendorf als umweltpolitischer Sprecher der Partei „Die Linke/NRW“ und Beate Hane-Knoll, die Bundestagskandidatin von „Die Linke“ für den Wahlkreis Leverkusen-Köln IV, teil. Rund 50 BesucherInnen kamen ins Forum Leverkusen. Die AnwohnerInnen waren von dem Ereignis immer noch merklich aufgewühlt und hatten auch allen Grund dazu. Beispielsweise klagten manche – zwei Monate danach – immer noch über Geruchsbelästigungen. Es liegt also immer noch Chemie in der Luft – allen Beteuerungen der CURRENTA und des LANUVs zum Trotz. Der Umgang des Chemie„park“-Betreibers und der Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung mit der Katastrophe gehörte dann auch zu den zentralen Kritikpunkten von Podium und Publikum. Auch deckte der große Knall für den Saal das eklatante Versagen der Behörden bei der Kontrolle von störfall-anfälligen Anlagen auf. Zudem machte er deutlich, welche Gefahren es birgt, aus der Müllentsorgung ein lukratives Geschäftsfeld zu machen. Und schließlich führte er das Fehlen scharfer politischer Regelungen vor Augen – ein dem unermüdlichen Lobby-Einsatz von BAYER & Co. geschuldeter Mangel. So lautete das Fazit an dem Abend dann auch: Der Risiko-Faktor Nr. 1 ist eine dem Profit-System folgende Wirtschaftsweise. ⎜

[Hochwasser] Stichwort BAYER 04/21

CBG Redaktion

BAYER & Co. vernachlässigen den Hochwasser-Schutz

Schadstoffe in den Fluten

Die Hochwasser-Katastrophe vom Juli 2021 hat auch die mangelhaften Schutzvorrichtungen von BAYER & Co. offenbart. So lief im Chemie„park“ Knapsack, wo der Global Player Pestizide produziert, die Abwasser-Behandlungsanlage über und setzte Giftstoffe frei.

Von Jan Pehrke

Der Starkregen, der Mitte Juli 2021 Deutschland, Holland, Belgien und die Schweiz heimsuchte, hatte katastrophale Folgen. Durch das Hochwasser, das er auslöste, starben allein in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über 170 Menschen. Unzählige erlitten Verletzungen. Zudem verloren Zehntausende ihr Hab und Gut. Die Schäden an Häusern, Fabriken, Straßen, Brücken und Gleisen gehen in die Milliarden.
Auch im Chemie„park“ Knapsack südwestlich von Köln, wo BAYER Pestizide produziert war „Land unter“. „Durch die extremen Wassermassen kam es zu Erdrutschen und einer vollständigen Überschwemmung des Geländes“, vermeldete der Betreiber YNCORIS. Und zu noch etwas anderem kam es: Die Abwasser-Behandlungsanlage lief über, was den „Abfluss erheblicher Mengen Niederschlagswassers sowie Abwassers“ zur Folge hatte. Die Stadt Hürth setzte daraufhin eine Warnmeldung ab, die das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ aufgriff und weiterverbreitete. „Innerhalb des Stadtgebietes Hürth ist es im Bereich Alt-Hürth und Teilen von Hermülheim zu einem größeren Schadensereignis gekommen. Dabei werden Schadstoffe freigesetzt, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Hautreizungen führen können“, so der Wortlaut. Tatsächlich traten bei einigen AnwohnerInnen solche Krankheitssymptome dann auch auf. Trotzdem wiegelte YNCORIS ab. In der näheren Umgebung des Chemie„parks“ entnommene Proben hätten „keine auch nur annähernd gefährlichen Schadstoff-Gehalte“ ergeben.

Chemie-Fluten
Aus SHELLs Kölner Energie- und Chemie„park“ in Köln-Godorf floss Kohlenwasserstoff in den Rhein. Am BAYER-Standort Bergkamen ist hingegen alles noch einmal gut gegangen. Das Auffangbecken der Kläranlage war zwar „außergewöhnlich belastet“, konnte die Wassermassen aber gerade noch halten. So gelangten keine Chemikalien in die Umwelt. Wie schon 2017 nach heftigen Regenfällen blieb es bei weithin spürbaren Geruchsbelästigungen – die Niederschläge hatten sich mit Hefe-Bakterien und anderen Produktionsrückständen aus der mikrobiologischen Abteilung vermischt und zu Faulgas-Bildungen geführt. „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten durch die Geruchsbildung und arbeiten mit Hochdruck daran, das Wasser zu verarbeiten und zu beseitigen“, bekundete das Unternehmen. Auf dem Wuppertaler Werksgelände musste die Feuerwehr anrücken, um das Wasser abzupumpen. So blieb es bei vollgelaufenen Kellern in den Verwaltungsgebäuden. „Das Produktions-gelände ist nicht betroffen“, gab der Konzern Entwarnung. In Leverkusen lief es ebenfalls glimpflich ab. Am Stammsitz haben sich die Vorsorge-Maßnahmen, auf welche die Politik nach 2002 drängte, ausgezahlt. „Nachdem staatlicherseits nach den letzten großen Rheinhochwasser-Ereignissen die Schutzziele neu definiert wurden, hat der BAYER-Chemie‚park’ Leverkusen seinen Hochwasser-Schutz mit dem Neubau von ortsfesten und mobilen Schutzwänden sowie durch ein Hochwasser-Pumpwerk auf ein 200-jähriges Bemessungshochwasser erweitert“, so beschrieb das Umweltbundesamt im Jahr 2007 die vorgenommenen Veränderungen. Und das reichte offensichtlich aus. In Dormagen passierte ebenfalls nichts. „Uns sind keine Schäden bekannt“, bekundete die CURRENTA, die beide Chem„parks“ unterhält.
Zu den bekannten Schäden jedes Hochwassers zählt indes die Erhöhung der Giftstoff-Konzentration in den Flüssen. Und das nicht nur, weil vermehrt Pestizide von den Feldern in die Gewässer geraten oder die Fluten Chemikalien aus Lagerstätten mitreißen. Durch die Wetter-Ereignisse steigt nämlich die Fließgeschwindigkeit der Gewässer und wirbelt Sedimente auf dem Grund auf, in denen sich Schwermetalle, Dioxine und andere schädliche Substanzen ablagerten. Diese finden sich dann unter anderem in den Auen der Flüsse wieder. So bergen die Böden rund um Wupper und Rhein nach einer Untersuchung des „Ingenieurbüros Feldwisch“ im Auftrag der Stadt Leverkusen bedenkliche Mengen an Quecksilber, Chrom und anderen Rückständen aus der Industrie-Produktion. „Ich habe den Eindruck, dass das Problem der Schadstoffe aus den Altsedimenten in Deutschland und auch in Europa stark unterschätzt wird. Schadstoff-belastete Altsedimente sind aber eine tickende Zeitbombe, die mit jeder Flut hochgehen kann“, sagt der Umwelt-Toxikologe Henner Hollert von der Frankfurter Goethe-Universität.
Überdies unterspült jedes Hochwasser BAYERs Giftmüll-Deponie „Dhünnaue“, und ob allein Brunnen und Sperrwände verhindern können, dass belastetes Wasser bei niedrigeren Pegelständen wieder zurück in den Rhein oder ins Grundwasser fließt, daran haben viele ExpertInnen Zweifel.

Eine lange Geschichte
Bereits 1988 hatte die damals noch nicht sanierte und mit Wohnsiedlungen überbaute Lagerstätte bei einem Hochwasser für Gesundheitsgefährdungen gesorgt. Die Fluten spülten Dioxine, Chrom und andere Stoffe der Altlast in die Keller und lösten bei den AnwohnerInnen Nasenbluten und Übelkeit aus. So wie damals offenbarten sich die Gefahren, die von Chemie-Anlagen und ihren Hinterlassenschaften ausgehen, wenn die Flüsse über die Ufer treten, immer wieder. Im Jahr 1995 wäre es beinahe zu einer Überflutung des Leverkusener Chem‚parks’ gekommen. Das Rhein-Hochwasser stand lediglich zehn Zentimeter unterhalb der Kaimauer-Kante. 2001 havarierte ein mit Salpetersäure für BAYER beladenes Schiff auf dem Rhein. Wegen des hohen Wasserstandes und der starken Strömung drohte es zu bersten, weshalb die Feuerwehr gezwungen war, die Salpetersäure abzupumpen und in den Fluss zu leiten. 2002 trat die Elbe über die Ufer und setzte die tschechische Chemie-Fabrik Spolana Neratovice unter Wasser, so dass Chlorgas und Quecksilber in den Fluss gelangten. Für den elbabwärts gelegenen Bitterfelder Chemie„park“ entstand ebenfalls eine bedrohliche Lage. Dabei hatte der Pillen-Riese aus der Geschichte gelernt – 1954 wurde das gesamte Gelände überflutet – und seine neuen Anlagen auf einem höheren Grund errichtet. Auch baute er auf sicherem Fundament, verzichtete auf Keller und verlegte die Verarbeitung wassergefährdender Substanzen auf höhere Stockwerke. Trotzdem stand eine Umwelt-Katastrophe unmittelbar bevor. Bis an eine unmittelbar neben der Fertigungsstätte gelegene Straße drang das Wasser vor. Nur dem unermüdlichen Einsatz der vielen Helfer*innen war es zu verdanken, dass der den Chemie„park” umgebene Damm hielt. Und hätten nicht Deichbrüche bei Bad Düben das Wasser des Elb-Nebenflusses Mulde in die alten Tagebau-Stollen geführt, wäre auch diese Arbeit nutzlos gewesen. Von einer akuten Gefährdung sprach ein Bundeswehr-Angehöriger damals. Beim Leverkusener Multi aber hieß die Devise, solange es nur irgend ging: „Business as usual”. Ein Runterfahren der Produktion aus Sicherheitsgründen hielt das Unternehmen zunächst für unnötig, weil das ans Geld gegangen wäre. Darüber hinaus war der Global Player erst auf eindringliche Ermahnungen von GREENPEACE hin bereit, draußen auf dem Werksgelände lagernde Chemikalien vor den Fluten in Sicherheit zu bringen.
Die Elbe trug damals bleibende Schäden davon. Die erhöhten Fließgeschwindigkeiten von Mulde und Spittelwasser hatten nämlich die hochbelasteten Altsedimente gelöst und in den größeren Strom gespült.
Für BAYER wiederholte sich 2013 das Spiel. Wie schon 2002 musste die Bundeswehr einen provisorischen Deich errichten, um das Areal zu schützen. „Durch die anhaltenden Niederschläge ist die Hochwasser-Situation im Umfeld der BAYER BITTERFELD GmbH und in der Chemie-Region Bitterfeld sehr angespannt“, erklärte der Konzern.
In den USA trat 2017 derweil der Worst Case ein. Einströmende Wasser-Massen unterbrachen die Stromversorgung einer Chemie-Fabrik in Texas. Die Kühlung versagte, und die Temperatur der eingelagerten Substanzen sank ab. Das löste eine Reihe von chemischen Reaktionen aus, an deren Ende zwei Explosionen standen.

VCI gegen Maßnahmen
Trotz alledem wiegelt der „Verband der Chemischen Industrie“ ab. „Gefahren für Chemie-Anlagen durch Natur-Katastrophen wie Hochwasser sind in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in einem komplexen Sicherheitsmanagement berücksichtigt“, bekundet die Organisation. Darum lehnt sie zusätzliche Maßnahmen ab. So wendet sich der VCI gegen den länderübergreifenden Raumordungsplan für einen verbesserten Hochwasser-Schutz (BRPH), wie ihn CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen haben. Die Parteien beabsichtigen nämlich, den Betrieb von Chemie-Anlagen in Überschwemmungsgebieten zu untersagen, da von diesen im Überflutungsfall ein besonderes Gefährdungspotenzial für die Gesellschaft ausgeht. „Darunter fallen insbesondere jene Anlagen und Tätigkeiten, die im Falle einer Überflutung zur Freisetzung giftiger Stoffe sowie aufgrund thermischer Wirkungen zu Bränden und Explosionen führen können“, heißt es im Raumordnungsplan-Entwurf. Auch nimmt sich dieser vor, neue Risiko-Gebiete auszuweisen. Das alles behagt dem Verband nicht. Schwierigkeiten bei der Errichtung neuer Werke befürchtend, spricht er sich gegen „eigenständige Regelungen auf Bundesebene“ aus. „Da hier auf ‚hochwasser-angepasste Bauweise’ und technische Regeln verwiesen wird, dürfte hier die Begründungs- und Darlegungslast beim Vorhaben-Träger liegen, die von den Behörden eingehend zu prüfen ist. Das führt zu einer weiteren Planungsunsicherheit“, konstatiert der Lobby-Club in der seiner Stellungnahme zu dem Vorhaben. „Soll Deutschland Hightech-Industriestandort bleiben, sollten derartige Regelungen nicht in Kraft gesetzt werden“, so der VCI abschließend.
Der „Bundesverband der Industrie“ (BDI) pflichtete dem bei. Er monierte ebenfalls den Ausschluss bestimmter Gebiete als Bau-Gründe für Anlagen. Zudem sieht der Verband die „Bewirtschaftung und Weiterentwicklung der Flüsse“ durch den BRPH gefährdet. Praktischerweise macht der BDI auch gleich konkrete Streichungsvorschläge. Sein Resümee lautete: „Zusätzliche Regelungen halten wir für nicht erforderlich und lehnen den BRPH in Gänze ab. Sollte der Bundesraumordnungsplan in der aktuellen Fassung verabschiedet werden, hat dieser massive negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Fortbestehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“

Politik hört die Signale
Beinahe hätten BAYER & Co. Vollzug melden und den Plan auf den Müllhaufen der Geschichte bugsieren können. Aber dann kam im Juli die Hochwasser-Katastrophe, die der Politik keine Wahl ließ. Aber die Konzerne erreichten über das Wirtschaftsministerium viele Änderungen, die nicht einmal Innenminister Horst Seehofer geheuer waren. Es gebe Kritik an den Ausnahmen für Unternehmen und Infrastruktur in Risiko-Gebieten erklärte der CSU-Politiker laut Handelsblatt und kündigte an: „Wir schauen uns das Ganze noch mal an.“ Daraus wurde allerdings nichts, und ob die nächste Bundesregierung das tun wird, steht auch in Frage. Das Umweltministerium zeigte sich ebenfalls unzufrieden. „Die zuletzt getroffenen Ausnahmen innerhalb des Plans behindern eine wirksame Hochwasser-Vorsorge“, hielt Staatssekretär Jochen Flassbarth fest und empörte sich über BAYER & Co. Auch der Wirtschaft müsse klar sein, „dass ihre Betriebe direkt vom Hochwasser-Risiko betroffen sein können und dass der Allgemeinheit aber auch ihnen selbst in Zukunft enorme Schäden und Kosten durch Hochwasser drohen“, so Flassbarth.
Der nordrhein-westfälischen Landesregierung indes gelang noch im Frühjahr das Kunststück, den Hochwasserschutz massiv zurückzufahren. Im Rahmen seiner „Entfesselungspolitik“, mit der Armin Laschet auch die ganze Republik hatte beglücken wollen, nahm er sich das rot-grüne Landeswasser-Gesetz vor und fledderte es. „Wasserrechtliche Verfahren sollen dereguliert und verschlankt werden“, verkündete Schwarz-Gelb und verabschiedete im Mai das Gesetz zur Änderung des Landeswasserrechts. Mit diesem begaben sich CDU und FDP freiwillig vieler Möglichkeiten, Vorsorge-Maßnahmen zu treffen, wie etwa den Flüssen durch das Anlegen von Überschwemmungsgebieten mehr Raum zu geben, um die Folgen steigender Wasserstände zu mildern. So strichen die Parteien den Paragrafen, der dem Land bei fluss-nahen Flächen ein Vorkaufsrecht sicherte. Ein Passus, der den staatlichen Stellen die Befugnis einräumte, mehr solcher Retentionsareale auszuweisen, fiel ebenfalls unter das Rubrum „kann wegfallen“.
Und schließlich machten sich die EntfesselungskünstlerInnen auch daran, an einer Regelung herumzuschrauben, welche beabsichtigte, Abwasser-Behandlungsanlagen wie die in Köln-Knapsack gegen Starkregen-Ereignisse zu wappnen.
Die Gefahr eines Abgangs von chemikalien-haltigem Wasser aus den Becken im Falle heftiger Niederschläge ist bereits seit Langem bekannt. Angelika Horster vom BUND NRW vermisste „Maßnahmen gegen einen Abfluss von Abwasser aus Industrie-Kläranlagen“ in den Katastrophen-Plänen von BAYER & Co. bereits 2003; „Gefahrenherd Rhein-Hochwasser – Anlagen von BAYER & Co. nicht hochwasser-sicher“ überschrieb sie ihren SWB-Artikel damals. Im Jahr 2016 reagierte die rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft schlussendlich auf entsprechende Warnungen und änderte das Landeswasser-Gesetz entsprechend. So schrieb der Paragraf 84 im Absatz 3.2 nun vor, neue Abwasser-Anlagen hochwasser-sicher zu bauen und ältere bis Ende 2021 umzurüsten. Der Absatz 3.3 verfügte, Anlagen „nur so zu errichten und zu betreiben, dass wassergefährdende Stoffe durch Hochwasser nicht abgeschwemmt oder freigesetzt werden.“ Aber das ist jetzt Geschichte. Laschet & Co. verlängerten die Modernisierungsfrist für Abwasser-Anlagen kurzerhand bis 2027 und tilgten den Absatz 3.3 ganz.
Auch dem Flächenfraß mit seinen Versiegelungen, der dem Wasser die Möglichkeit nimmt, in die Böden einzusickern, leisten CDU und FDP weiter Vorschub. 22 Hektar pro Tag kommen in Nordrhein-Westfalen so unter die Räder, aber die beiden Parteien hatten nichts Besseres zu tun, als das 5-Hektar-Ziel aus dem Landesentwicklungsplan zu streichen.
Jetzt auf einmal aber gibt Armin Laschet den obersten Deichgrafen. „Wir müssen Dämme bauen, Rückhalte-Becken, Wasser-Reservoirs, Flächen renaturieren – Schutz nicht nur am Rhein, sondern auch an den großen und vielen kleinen Flüssen“, bekundet er. BAYER erkannte ebenfalls Handlungsbedarf: „Die Katastrophe wird sicher dazu führen, dass bestehende Schutz-Konzepte überprüft werden. Und die CURRENTA will im Chem„park“ Leverkusen ihre mobile Hochwasserwand ausbauen. Bei der Ursachen-Forschung hält sich sich die Branche allerdings nicht länger auf. Ein „Ereignis höherer Gewalt“ nennt Knapsack-Betreiber YNCORIS den Starkregen in einem Brief an die AnwohnerInnen des Chemie„parks“. Klimawandel – nie gehört. Dabei strickt die Chemie-Industrie daran kräftig mit. Neben der Stahl- und der Zementbranche zählt sie zu den größten Emittenten von Kohlendioxid. Auf 3,58 Millionen Tonnen kam allein der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020.
Und Armin Laschet zeigt sich da auch nicht einsichtiger. Er, der im Mai 2019 noch verblüfft konstatierte: „Aus irgendeinem Grund ist das Klima-Thema plötzlich ein weltweites Thema geworden“, fühlt sich noch nicht einmal nach dem Hochwasser bemüßigt, es zu seinem eigenen Thema zu machen. „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht seine Politik“, sagte er am 15. Juli in einem Interview mit dem WDR. ⎜

[Chempark Explosion] Presse-Information CBG vom 27.07.21

CBG Redaktion

Schwere Explosion im Leverkusener Chempark bei BAYER

Mindestens zwei Schwerverletzte

Am heutigen Dienstagmorgen kam es auf dem Gelände des Leverkusener Chemiegebiets Chempark, in dem der BAYER-Konzern und andere Hersteller produzieren, zu einer schweren Explosion. „Bei dem Ereignis wurden mehrere Mitarbeiter verletzt, mindestens zwei davon schwer“, so der Chempark-Betreiber CURRENTA (ehemals Bayer Industry Services GmbH & Co. OHG), der im Auftrag von BAYER und anderen Chempark-Nutzern u.a. die Ver- und Entsorgung betreibt.

Es gab mind. einen Toten, noch mindestens fünf Beschäftige werden vermisst. Die Leverkusener Feuerwehr setzte eine Warnung der Kategorie „Extreme Gefahr“ ab. Die Polizei ließ das gesamte Industrie-Areal räumen und sperrte die Autobahn A1 in beiden Richtungen.

Die Detonation erfolgte im Tanklager der Sondermüllverbrennungsanlage, in der die CURRENTA die Produktionsrückstände von BAYER und anderen auf dem Gelände ansässigen Firmen entsorgt. Danach entstand ein Brand, der die MVA teils erfasste.

Die Feuerwehr tat alles dafür, ihn nicht auf das angrenzende Gebäude, in dem brennbare Lösemittel lagern, übergreifen zu lassen. Mittags gibt es erste Meldungen zur Löschung des Brandherds.

2019 hatte BAYER seine CURRENTA-Mehrheitsbeteiligung an einen Finanzinvestor verkauft, lässt aber u.a. Chempark und seine Sondermüll-MVA rechtlich von CURRENTA betreiben. Vor rund zehn Jahren erteilte die Bezirksregierung Köln dem Unternehmen die Genehmigung, die Kapazitäten der Brennöfen von 80.000 auf 120.000 Tonnen pro Jahr zu erweitern.

Störfälle traten in dem „Entsorgungszentrum“ schon vielfach auf. Im Jahr 2011, als BAYER noch die Mehrheit der CURRENTA-Anteile hielt, erging nach einem Störfall dort ein Sandregen über Teile Leverkusens. 2010 entflammte ein Feuer und 2009 traten nach einem Defekt in der Dosier-Einrichtung der Abluft-Behandlung Schadstoffe aus. Die Müllverbrennung ist umgeben von dichten Wohngebieten mitten auf der „größten Giftmüll-Deponie Europas“ in unmittelbarer Nähe eines der größten Chemie-Werke der Welt sowie nur eine Rhein-Breite getrennt von der Millionenstadt Köln. Explosionen dieser Art können eine Kettenreaktion auslösen und in einen Chemie-GAU münden.

„BAYER/CURRENTA spielen mit dem Feuer. Dieser Beinahe-GAU zeigt einmal mehr, welche Gefahr von Produktion und Entsorgung chemischer Stoffe ausgeht, wenn diese der Profitmaximierung dienen. Offenbar reichten die Sicherheitsanforderungen von CURRENTA und seinen Auftraggebern im Chempark erneut nicht aus, um die Sicherheit der Arbeiter*innen und Anwohner*innen zu schützen. Seit Jahrzehnten fordert die CBG: Wirksamer Schutz für die Bevölkerung muss her!“, konstatiert Marius Stelzmann von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG).

„Für Windräder gelten gigantische Abstandsregeln, aber BAYER & Co dürfen in unmittelbarer Nähe zu Großstädten scheinbar tun und lassen was sie wollen. Dabei geht es hier um einen der größten Umschlagplätze für Chemiegifte in der Region! BAYER und CURRENTA müssen die Öffentlichkeit informieren, was da überhaupt explodiert und verbrannt ist und wie sie das in Zukunft verhindern wollen!“, meint Simon Ernst, Vorstand der CBG.

Pressekontakt:

Jan Pehrke 0211/33 39 11

Aktualisierung (Stand 28.07.21; 9.00 Uhr): Die Zahl der Toten erhöhte sich auf zwei, die der Verletzten auf 31. Fünf davon befinden sich wegen schwerer Verbrennungen in einem Spezial-Krankenhaus. Überdies werden noch fünf Beschäftigte vermisst. Bei den Stoffen, die explodiert sind, hat es sich nach Angaben des Chem„park“-Leiters Lars Friedrich um chlorierte Lösungsmittel gehandelt. Detailliertere Informationen zu den Substanzen lagen der CURRENTA zu dem Zeitpunkt noch nicht vor. Einen Übergriff des Brandes auf einen zweiten Tank, der 100.000 Liter hochentzündlicher, giftiger Abfall-Stoffe enthielt, konnte die Feuerwehr verhindern.

[Ticker 02/21] AKTION & KRITIK

CBG Redaktion

CBG beim Klima-Streik
Der BAYER-Konzern stößt Jahr für Jahr Millionen Tonnen Kohlendioxid aus und trägt so zum Klima-Wandel bei. Darum nahm die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wieder am Klima-Streik teil. Sie beteiligte sich am 19. März 2021 aus gegebenem Anlass dort an den Protesten, wo der Agro-Riese seinen Stammsitz hat: in Leverkusen. Zu einer Mahnwache vor dem Rathaus der Stadt hatte die Ortsgruppe von FRIDAYS FOR FUTURE aufgerufen. Insgesamt gab es an diesem Tag rund 1.000 Aktionen in insgesamt 68 Ländern.

CBG hat Agro-Industrie satt
Jedes Jahr im Januar ist Berlin der Schauplatz der „Wir haben Agro-Industrie satt“-Proteste. Dieses Mal fanden sie in hybrider Form statt. Es gab sowohl eine kleinere Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt als auch die „Aktion Fußabdruck“, die eine „Anwesenheit in Abwesenheit“ ermöglichte. Rund 10.000 Menschen stimmten mit ihren Füßen ab gegen Pestizide, Gentechnik, Monokulturen und Tier-Fabriken, um „die Agrar-Wende loszutreten“. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) beteiligte sich mit einem „Glyphosat-Stopp jetzt!“-Fußabdruck daran. Überdies schickte die Coordination eine vor dem Dormagener BAYER-Werk aufgezeichnete Rede zum Thema „Glyphosat“ in die Hauptstadt. Und trotz alledem ließ sie es sich nicht nehmen, am 16. Januar vor Ort präsent zu sein, wenn auch in reduzierter Mannschaftsstärke. Geschäftsführer Marius Stelzmann vertrat sie dort.

Machtlose Vereinsmitglieder
Der jüngste Beschluss der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zur Verteilung der Gelder aus der TV-Vermarktung benachteiligt die kleinen Vereine aus der 2. Liga gegenüber den Top-Teams aus der 1. Liga. Der Fußball-Funktionär Andreas Rettig sieht darin ein erneutes Zeichen dafür, wie sehr sich der Fußball kommerzialisiert und von seinen Fans entfremdet hat. Eine wichtige Rolle dabei spielte seiner Meinung nach die ehemalige „Werkself“ BAYER Leverkusen. Der Club war nämlich der erste, der die Rechte seiner Mitglieder beschnitt. „Besonders die 1999 erteilte Ausnahmegenehmigung für BAYER 04 Leverkusen von der sogenannten 50-plus-1-Regel (der Verein behält die Stimmrechtsmehrheit in der Gesellschafter-Versammlung einer neu gegründeten Tochter-Gesellschaft) war eine erste Abkehr vom Vereinsleben“, schreibt er in der Rheinischen Post. „Der Verein gehörte nun nicht mehr den Mitgliedern“, so Rettig.

Petition in Sachen „Patente“
BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe gentechnischer Methoden, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten (siehe PFLANZEN & SAATEN). Dadurch droht die Kontrolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hand der großen Konzerne zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert das Europäische Patentamt deshalb in einer Petition dazu auf, keine solchen Schutzrechte mehr zu erteilen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zählt zu den Unterstützern dieser Kampagne.

KAPITAL & ARBEIT

BAYER CROPSCIENCE schrumpft
Ende September 2020 hatte der Leverkusener Multi ein 1,5 Milliarden Euro schweres Spar-Paket angekündigt – noch nicht einmal zwei Jahre nach dem letzten – und dabei auch Verkäufe von Unternehmensteilen nicht ausgeschlossen. „Zudem prüfen wir die Möglichkeit, uns von nicht strategischen Geschäften oder Marken unterhalb der Divisionsebene zu trennen“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Im Februar 2021 wurde aus der Möglichkeit dann Realität: Der Agro-Riese gab bekannt, die Sparte „Environmental Science“ mit den Pestiziden für nicht-landwirtschaftliche Bereiche wie Forstwirtschaft, öffentliche Grünanlagen, Golfplätze und Gleis-Anlagen veräußern zu wollen. Im Rahmen einer Auktion gedenkt er die Einheit zu verscherbeln. Das Mindestgebot steht auch schon fest: Zwei Milliarden Euro. Wie viele Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens durch die Entscheidung verloren gehen, teilte das Management nicht mit.

ERSTE & DRITTE WELT

385 Millionen Pestizid-Vergiftungen
Die letzte Studie über akute Pestizid-Vergiftungen stammt aus dem Jahr 1990. Damals ermittelte die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Million Fälle pro Jahr. Im Herbst letzten Jahres erschien nun eine neue Forschungsarbeit, die mit einem noch einmal drastischeren Befund aufwartet. Die Untersuchung „The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning“ verzeichnet 385 Millionen Pestizid-Vergiftungen per anno. Am stärksten betroffen sind Entwicklungs- und Schwellenländer. Prozentual die meisten Fälle unter LandwirtInnen und LandarbeiterInnen gibt es in Süd- und Südost-Asien sowie in Ostafrika. Auch südamerikanische Staaten wie Kolumbien, Venezuela und Argentinien kommen auf beunruhigend hohe Raten. Die ForscherInnen führen mehrere Gründe für den steilen Anstieg der Zahlen an. Die WHO hat damals nur die schwereren Krankheitsverläufe registriert und konnte sich zudem nicht auf eine so breite Daten-Basis stützen wie die neue Studie. Vor allem aber nahm die Ackergift-Produktion zu. Um rund 80 Prozent erhöhte sich die Menge der von BAYER & Co. in Umlauf gebrachten Substanzen von 1990 bis 2017. Darunter litten ebenfalls wieder vor allem die Länder des globalen Südens. In Südamerika legte die Pestizid-Nutzung um 484 Prozent zu und in Asien um 97 Prozent, während sie in Europa um drei Prozent schrumpfte. Von einem „Problem, das nach einem sofortigen Handeln verlangt“, sprechen die AutorInnen angesichts der vielen Vergiftungen. Die tödlich verlaufenden Intoxikationen haben dagegen abgenommen. Sie reduzierten sich von jährlich 20.000 im Jahr 1990 auf nunmehr 10.000. Als Grund vermuten die WissenschaftlerInnen das Verschwinden einiger besonders gefährlicher Mittel vom Markt. Dies bedürfe allerdings noch einer genaueren Überprüfung, hielten sie fest.

POLITIK & EINFLUSS

Plausch mit der EU-Kommission
Im Dezember 2019 trafen sich VertreterInnen verschiedener EU-Generaldirektionen mit VertreterInnen des europäischen Pharma-Verbandes EFPIA sowie mit LobbyistInnen von BAYER, PFIZER, BOEHRINGER & Co. Die Mitglieder der Generaldirektionen „Steuern und Zoll“, „Industrie und Handel“ und „Gesundheit“ hielten die Konzern-EmissärInnen dabei nicht nur über laufende politische Projekte wie etwa die Verhandlungen zu der pan-afrikanischen Freihandelszone AfCFTA auf dem Laufenden, sondern warben auch proaktiv um Mitarbeit. So ermunterten die GeneraldirektorInnen die EFPIA, der Kommission doch bitte ihre Prioritäten in Sachen „AfCFTA“ zu übermitteln.

Die EU-Chemikalienstrategie
Mit immer mehr Chemikalien suchen BAYER & Co. die Welt heim. Zwischen 2000 und 2017 steigerten die Konzerne ihre Produktionskapazitäten von 1,2 auf 2,3 Milliarden Tonnen. Und für den Zeitraum bis 2030 sagt die UN noch einmal fast eine Verdoppelung des Verkaufs chemischer Substanzen voraus. Dabei hat der Output der Branche schon jetzt massive Folgen für Mensch, Tier und Umwelt. Die Weltgesundheitsorganisation beziffert die Zahl der von Kunststoffen, Pestiziden und anderen Stoffen verursachten Todesfälle auf 1,6 Millionen jährlich. Aus diesen Gründen entschloss sich die Europäische Union zu handeln. „Wenn wir nichts unternehmen, wird sich die Gesamtzahl der Krebsfälle in der EU bis 2035 voraussichtlich verdoppeln“,mahnte die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Darum brachte Brüssel im Oktober 2020 eine Chemikalien-Strategie auf den Weg. Diese versteht sich als Teil des „Green Deals“ und beabsichtigt, „den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu erhöhen“. Im Rahmen dieser Strategie will die Europäische Union beispielsweise Maßnahmen zur Eindämmung von Gefahren ergreifen, die hormon-ähnlich wirkende Erzeugnisse – sogenannte endokrine Disruptoren – hervorrufen, zu denen unter anderem Pestizide wie BAYERs Glyphosat gehören. Bei schwer abbaubaren Stoffen sieht sie ebenfalls Handlungsbedarf. Zudem plant die EU, die Gefährdungen, die von den Kombinationswirkungen der Produkte ausgehen, zu minimieren und alle Waren zu verbieten, die krebserregende, erbgut- oder fortpflanzungsschädigende Substanzen enthalten. BAYER & Co. liefen Sturm gegen das Vorhaben und versuchen nun, Obstruktionspolitik gegen die Umsetzung zu betreiben (s. u.).

VCI will andere Chemie-Strategie
Die Ankündigungen der EU, eine Chemikalien-Strategie auf den Weg zu bringen, ließ bei BAYER & Co. die Alarm-Glocken läuten. Ihre LobbyistInnen in Brüssel arbeiteten rund um die Uhr, um das Schlimmste zu verhindern und konnten auch einige Erfolge verbuchen. So intervenierten die EU-Generaldirektionen „Industrie“ und „Gesundheit“ zugunsten der Konzerne und machten sich für schwächere Bestimmungen stark. Nach der Verabschiedung der Strategie im Oktober 2020 konzentrieren sich die Multis darauf, ihre Vorstellungen bei der konkreten Realisierung der Maßnahmen durchzusetzen. Mitte März 2021 etwa forderte der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) „mehr Augenmaß für die kommenden Reformen“. „Für die Chemie- und Pharmabranche und ihre Kunden in nachgeschalteten industriellen Wertschöpfungsketten wird die EU-Chemikalienstrategie massive Auswirkungen haben, wenn sie unverändert umgesetzt werden sollte“, warnte die Lobby-Organisation. Wieder einmal stieß sie sich an dem Gefahren-Ansatz der EU, der sich dem Vorsorge-Prinzip verpflichtet fühlt. Nach diesem Ansatz sind einige Stoffe an sich schädlich und nicht bloß ab einer bestimmten Schwelle, weshalb schon kleinste Mengen Krankheiten auslösen können. Im Gegensatz dazu kennt der Risiko-Ansatz keine absoluten Gefahren, sondern nur relative, von der Wirkstärke abhängige und deshalb durch Grenzwerte einhegbare. Darum bevorzugt die Industrie eine solche Regulierungsvariante. Dementsprechend behauptet der VCI in seiner Veröffentlichung, „dass auch Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften sicher gehandhabt werden können“ und wendet sich vehement gegen Verbote. Seine Hoffnungen setzt der Verband auf die Gespräche am Runden Tisch, die im Rahmen der Implementierung der neuen Chemie-Politik vorgesehen sind. „Die Einrichtung eines Runden Tisches aller Interessensgruppen begrüßen wir außerordentlich – vorausgesetzt, es kommt zu unvoreingenommenen Diskussionen, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup, der im Jahr 2019 von BAYER zum „Verband der Chemischen Industrie“ gewechselt war.

Ein bisschen weniger Glyphosat
Gegen einen Glyphosat-Stopp vor dem Auslaufen der EU-Zulassung Ende 2023 hatte die Große Koalition sich schon im September 2019 ausgesprochen. Sie gab sich mit einer Minderungsstrategie zufrieden. Für diese ließen sich die PolitikerInnen dann zu allem Übel auch noch Zeit bis kurz vor Toresschluss der Legislatur-Periode. Überdies fielen die Regelungen äußerst bescheiden aus. SPD und CDU verabschiedeten diese im Rahmen des Insektenschutz-Gesetzes, welches das Bundeskabinett im Februar 2021 auf den Weg brachte. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für Anwendungen im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fallen. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid erlaubt. Und die Länder dürften im Bundesrat noch zusätzliche Aufweichungen durchsetzen. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte weisen ebenfalls starke Mängel auf. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kritisierte das Paragrafen-Werk deshalb scharf. „Dieser Beschluss reicht nicht aus. Wir fordern einen sofortigen Glyphosat-Stopp, denn das Pestizid stellt eine immense Gesundheitsgefahr dar“, hieß es in ihrer Presseerklärung.

Druck auf Mexiko wg. Glyphosat
Wenn Länder ein Glyphosat-Verbot ankündigen, nutzt der BAYER-Konzern sofort seine politischen Kanäle, um solche Pläne zu verhindern. Das bekam nicht nur Thailand (Ticker 4/20), sondern auch Mexiko zu spüren, wie Recherchen des US-amerikanischen CENTER FOR BIOLOGICAL DIVERSITY (CBD) ergaben. So setzte die BAYER-Lobbyistin Stephanie Murphy in Washington alle Hebel in Bewegung, um die Verantwortlichen von der Notwendigkeit eines „politischen Engagements auf hoher Ebene“ zu überzeugen. Murphy, einst selbst in der US-Administration beschäftigt – sie arbeitete unter dem US-Handelsbeauftragten als „Director for Agricultural Affairs“ – kontaktierte dabei unter anderem Leslie Yang, die Direktorin für internationale Handels- und Umweltpolitik. Dieser schlug sie unter anderem vor, im Rahmen der Verhandlungen über das USMCA – den Nachfolger des Handelsabkommens NAFTA – Druck auf Mexiko auszuüben. Und die PolitikerInnen taten wie geheißen. Trumps Handelsbeauftragter Robert Lighthizer etwa warnte die damalige Wirtschaftsministerin des lateinamerikanischen Landes, Graciela Márquez Colín, vor der Gefährdung der „Stärke unserer bilateralen Beziehungen“ durch den Glyphosat-Bann und andere neue Agrar-Gesetze. Glücklicherweise blieb Mexiko im Gegensatz zu Thailand schlussendlich bei seiner Position. „Wenn man sich den Email-Austausch zwischen der US-Regierung und BAYER anschaut, sieht man, dass die US-Regierung mehr oder weniger alles tut, worum sie von BAYER gebeten wird. Das ist extrem beunruhigend“, resümiert Nathan Donley vom CBD. Der Leverkusener Multi ist sich hingegen keiner Schuld bewusst. „Wie viele Unternehmen und Organisationen, die in stark regulierten Bereichen tätig sind, stellen auch wir Informationen zur Verfügung und tragen zu wissenschaftlich fundierten Entscheidungsfindungen und regulatorischen Prozessen bei“, verlautete aus der Unternehmenszentrale.

BAYER-Gelder für Kapitol-Sturm
Der Leverkusener Multi und die TELEKOM-Gesellschaft T-MOBILE USA haben den Sturm auf das Washingtoner Kapitol, der am 6. Januar 2021 stattfand, durch Spenden an den „Verband der republikanischen Generalstaatsanwälte“ (RAGA) mitfinanziert, wie Recherchen der taz ergaben. 50.000 Dollar zahlte die BAYER-Tochter MONSANTO dem RAGA, dessen Unterorganisation „Rule of Law Defense Fund“ massiv zu Aktionen an dem Tag mobilisierte, im letzten Jahr. „Um 13 Uhr werden wir zum Kapitol ziehen (...) Wir hoffen, dass Patrioten wie Sie gemeinsam mit uns weiter kämpfen werden, um die Integrität unserer Wahlen zu schützen“, so lautete der Text ihrer Telefon-Kampagne. Schon im Wahlkampf hatte das „Political Action Comitee“ (PAC) des Leverkusener Multis mehrheitlich republikanische KandidatInnen gesponsert. Rund 186.000 Dollar ließ ihnen das „BAYERPAC“ zukommen. 24 der vom Konzern unterstützten PolitikerInnen der republikanischen Partei gehörten dann zu denjenigen 147 Abgeordneten, die am Tag der Belagerung des Parlamentsgebäudes durch den von Donald Trump aufgehetzten rechten Mob gegen die Anerkennung des Wahl-Sieges von Joe Biden votierten. „Nicht genug damit, dass BAYER seit Dekaden Unsummen in die Pflege der politischen Landschaft der USA investiert. Jetzt tragen die Schecks des Agro-Riesen auch noch mit dazu bei, Trumps Angriff auf demokratische Institutionen zu alimentieren, der bereits fünf Menschenleben gekostet hat. Partei-Spenden von Unternehmen müssen endlich verboten werden“, hieß es in der Presseerklärung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN dazu. Gegenüber der taz erklärte der Agro-Riese, nicht nur den „Verband der republikanischen Generalstaatsanwälte“, sondern auch sein demokratisches Pendant mit Geldern zu bedenken. Er wolle jetzt zunächst einmal die RAGA-interne Untersuchung zu den Vorgängen abwarten, um dann über eine weitere Förderung zu entscheiden. Und Spenden an diejenigen RepublikanerInnen, „die gegen die Zertifizierung der US-Präsidentschaftswahl gestimmt haben“, setze BAYER vorerst aus, verlautete aus der Unternehmenszentrale. Katja Kipping von der Partei „Die Linke“ kritisierte die Sponsoring-Praktiken: „Die Spenden von BAYER und TELEKOM an Trump-Unterstützer zeigen vor allem eins: Spenden aus der Wirtschaft haben keinen moralischen, sondern einen profit-orientierten Kompass. Sie dienen der Beeinflussung politischer Entscheidungen im Unternehmensinteresse. Dieses Erkaufen von Wohlwollen widerspricht grundsätzlich dem demokratischen Gedanken und ist abzulehnen.“ Auch der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, verurteilte das Vorgehen der beiden Konzerne. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), der Bundesvorstand der SPD und die Co-Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, wollten sich gegenüber der taz hingegen nicht zu dem Fall äußern.

Agrar-Subventionen für Bauer BAYER
Die EU bedenkt den Leverkusener Multi für seinen Grundbesitz und seine Pestizidsversuchsfelder seit geraumer Zeit mit Agrar-Subventionen. Im Jahr 2019 strich der Konzern stolze 144.585,27 Euro aus Brüssel ein.

Neue Spenden-Kriterien
Der BAYER-Konzern sponsert PolitikerInnen nur in den USA direkt, weil dort angeblich „Spenden an Kandidaten und Politiker Teil der politischen Kultur sind“. Wie die taz herausfand, erhalten sogar veritable Klima-LeugnerInnen wie die Republikaner Blaine Luetkemeyer, Kevin McCarthy und Joni Ernst Schecks vom Leverkusener Multi. Nach dieser image-schädigenden Enthüllung sah der Global Player Handlungsbedarf und formulierte neue Richtlinien, die nun „auch gesellschaftliche Herausforderungen reflektieren“. Bei den jetzigen Vergabe-Kriterien „spielen zum Beispiel die Haltung zum Klimawandel und der Schutz der Biodiversität eine wichtige Rolle“, wie es im Nachhaltigkeitsbericht heißt.

16 Millionen für Verbindungsbüros
In den Hauptstädten der Welt pflegt der BAYER-Konzern die jeweiligen politischen Landschaften von sogenannten Verbindungsbüros aus. 16 Millionen Euro investierte er 2020 in diese. Am meisten Geld verschlang mit 8,5 Millionen Euro die Operationsbasis in Washington, es folgten Brüssel mit 2,4 Millionen, Berlin mit zwei Millionen, Peking mit 1,6 Millionen, Brasilia mit einer Million und Moskau mit 300.000 Euro.

Lückenhaftes Lobbyregister
Im März 2020 hat die Bundesregierung die Einführung eines Lobbyregisters beschlossen. Die Transparenz-Regelungen lassen allerdings zu wünschen übrig. So fehlt etwa ein „legislativer Fußabdruck“. Die BAYER-LobbyistInnen vom Berliner Verbindungsbüro des Konzerns müssen deshalb nicht offenlegen, ob sie den PolitikerInnen beim Schreiben von Gesetzen unter die Arme gegriffen haben. Was die Einfluss-ArbeiterInnen in den Fachreferaten so treiben, wo die meisten Paragrafen-Werke entstehen, erfährt die Öffentlichkeit nämlich auch weiterhin nicht. Zudem können die Konzern-EmissärInnen Angaben zu ihrem finanziellen Aufwand verweigern. Informationen zu den konkreten Zielen ihres Antichambrierens brauchen sie ebenfalls nicht zu geben. Überdies verlangt die Große Koalition von ihnen nicht, alle ihre Treffen in das Register einzutragen. „Die Lobby-Netzwerke, die zentralen Elemente der Einflussnahme, bleiben so verborgen“, kritisierten die Wissenschaftler Ulrich Battis und Andreas Polk deshalb in der FAZ.

PROPAGANDA & MEDIEN

BAYERS Glyphosat-TV
Der BAYER-Konzern wollte nicht auf sich sitzen lassen, was das TV-Magazin W wie Wissen in einer Sendung so alles an Kritik zu Glyphosat zusammengetragen hatte, und betrieb Gegen-Aufklärung. Er produzierte ein „Faktencheck“-Video und lud es auf seinen You Tube-Kanal hoch. Sogar einen echten Landwirt bot der Leverkusener Multi auf, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Aus dessen Munde waren dann aber auch wieder nur die alten Gassenhauer wie „Die Dosis macht das Gift“ zu hören, die der Global Player schon oft zur Aufführung gebracht hatte. Zum Thema „Artensterben“ beließ BAYER es bei einem Achselzucken. So ein Acker ist halt kein Pony-Hof, befand das Unternehmen bzw.: „Eine Fläche, die zur Erzeugung von Lebensmitteln genutzt wird, kann nicht zugleich als Biotop dienen.“ Glyphosat-Verwehungen? Die kommen nicht vor und überhaupt: „Die Wissenschaft ist sich einig, dass Glyphosat bei sachgerechter Anwendung eines der sichersten Pflanzenschutzmittel ist, die es weltweit gibt.“ Noch Fragen?

Konzern-Vehikel swiss-food
BAYER und SYNGENTA betreiben in der Schweiz gemeinsam die Website swiss-food, die sich der Propaganda in Sachen „Glyphosat & Co.“ verschrieben hat bzw. „einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion rund um die Produktion unserer Nahrungsmittel und um Pestizide leisten“ will. Zu diesem Behufe arbeitet sich die Gegenaufklärung gleich an zwölf Mythen parallel ab. „Natürlich ist gesund – Chemie ist Gift“, „Pestizide sind schuld am Insektensterben“, „Dem Schweizer Wasser geht es schlecht“ – gegen das alles und noch viel mehr zieht swiss-food zu Felde.

TIERE & VERSUCHE

95.010 Tierversuche
Der BAYER-Konzern selbst oder von ihm beauftragte Unternehmen führten im Jahr 2020 95.010 Tierversuche durch und damit 22.985 weniger als 2019. 83,8 Prozent der „Test-Objekte“ waren Ratten und Mäuse, 3,3 Prozent Vögel, 1,6 Prozent Fische und 1,5 Prozent Frösche.

DRUGS & PILLS

Kein Zusatznutzen für VITRAKVI
BAYERs Arznei VITRAKVI kommt bei Krebs-Arten zum Einsatz, die durch ein Zusammenwachsen bestimmter Gene entstehen. Solche Tumor-Bildungen treten sehr selten auf. Darum reklamierte der Leverkusener Multi für das Mittel mit dem Wirkstoff Larotrectinib erfolgreich einen „Orphan Drug“-Status und erreichte eine Zulassung, obwohl nur 102 Personen an der Klinischen Prüfung teilgenommen hatten. Das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) zeigte sich von dem Medikament indes nicht überzeugt. Es vermochte keinen Zusatznutzen auszumachen. Die – noch laufenden – Studien könnten einen solchen Nachweis theoretisch erbringen. Diese vergleichen das Mittel jedoch nicht mit anderen, wie das IQWiG kritisierte. Der Pharma-Riese versucht das zu kompensieren, indem er Effekte von VITRAKVI auf das Gesamtüberleben der PatientInnen und die Tumor-Progression beschrieb, die er als „dramatisch“ bezeichnet. Dies ließ das Institut jedoch nicht gelten. Es stellte selbst Vergleichsstudien an und resümierte: „Im Endpunkt Gesamtüberleben sind die bisher beobachteten Unterschiede zwischen Larotrectinib und anderen Therapien bei keiner der Krebs-Erkrankungen so groß, dass sie nicht auch auf systematischer Verzerrung beruhen könnten.“ Zudem übte das IQWiG Kritik an BAYERs Auswertung der Untersuchungsdaten. „Ergebnisse wurden selektiv dargestellt“, befand das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“.

Beschleunigtes Finerenone-Verfahren
Die BAYER-Arznei Finerenone hemmt die übermäßige Ausschüttung von Mineralocorticoid-Hormonen, die zu Nieren- und Herz/Kreislauf-Problemen führen kann. In der Klinischen Prüfung sank dem Konzern zufolge das Risiko eines Nierenversagens bei PatientInnen, die Finerenone erhielten, um 18 Prozent im Vergleich zu denjenigen, die ein Placebo bekamen. Das Risiko für Herzinfarkte und andere kardiovaskuläre Ereignisse reduzierte sich um 14 Prozent. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sicherte dem Leverkusener Multi deshalb ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für das Medikament zu.

Beobachtungsstudien: Keine Bedenken
Erkenntnisse werfen die sogenannten Anwendungsbeobachtungen (AWB), die MedizinerInnen mit ihren PatientInnen zur Wirkung bestimmter Arzneien durchführen, kaum ab. Das ist auch gar nicht Sinn der Übung. Die Prozeduren – wie sie der BAYER-Konzern etwa jüngst zu seinen Blutprodukten KOVALTRY und JIVI in Auftrag gegeben hat – verfolgen nur den Zweck, die Kranken auf die getesteten Präparate umzustellen. Und dafür zahlen die Pharma-Riesen den ÄrztInnen viel Geld. „Fangprämien“ nannte ein ehemaliger Vorsitzender der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ diese Zuwendungen einst. Die Bundesregierung aber sieht das ganz anders – mit den Augen der Pillen-Produzenten nämlich – und will die Praxis deshalb auch nicht unterbinden. „Die AWB sind dazu bestimmt, Erkenntnisse bei der routinemäßigen Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel durch Ärztinnen und Ärzte bei Patientinnen und Patienten zu sammeln. Mit ihrer Hilfe können Erkenntnisse über zugelassene oder registrierte Arzneimittel gewonnen werden“, hieß es in der Antwort von Merkel & Co. auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen.

Schnellere Zulassungen in China
Im Rahmen des „Healthy China 2030“-Programms will die Pekinger Regierung die Entwicklung innovativer Medikamente fördern und schuf dafür auch Anreize. So verkürzt sich für neue Arzneien das Zulassungsprozedere. Auch Pharmazeutika zur Behandlung seltener Krankheiten erhalten Sonderkonditionen.

Preis-Druck in China
Die chinesische Regierung überprüft alljährlich die Arznei-Ausgaben und stellt im Zuge dessen auch die Liste mit denjenigen Medikamenten neu zusammen, für welche die staatliche Krankenkasse die Kosten übernimmt. Dabei führt sie harte Verhandlungen mit den Pillen-Riesen. Von einer „Rabatt-Schlacht“ spricht die Neue Zürcher Zeitung und der BAYER-Lobbyist Matthias Berninger etwas gefasster von „Preisdruck auf die Pharma-Industrie“.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat schädigt das Herz
Nach einer Studie von WissenschaftlerInnen der „Icahn School of Medicine“ und des „Ramazzini Instituts“ kann Glyphosat das Herz schädigen. Den ForscherInnen zufolge löste das Herbizid im Organismus von Ratten eine gesteigerte Produktion der Aminosäure Homocystein aus, die als Risiko-Faktor für Herz/Kreislauf-Erkrankungen gilt. Die Veröffentlichungen zu den Gesundheitsstörungen, die das Herbizid hervorruft, füllen inzwischen Bibliotheken. Eigentlich müsste es – schon um Tierversuche zu vermeiden, welche die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ablehnt – gar keine neuen Untersuchungen (s. u.) mehr geben.

Glyphosat schädigt den Darm
Das Pestizid Glyphosat schädigt die Mikroorganismen-Kulturen im Darm. Das fand ein internationales WissenschaftlerInnen-Team um Dr. Michael Antoniou vom Londoner „King’s College“ heraus und bestätigte damit frühere Studien (siehe Ticker 1/21). Nach Einschätzung Antonious ist das ein alarmierender Befund. „Wir wissen, dass unser Darm von tausenden verschiedenen Bakterien-Stämmen bewohnt wird und ein Gleichgewicht in ihrer Zusammensetzung (...) entscheidend für unsere Gesundheit ist. Also hat alles, was das Darm-Mikrobiom stört (...), das Potenzial, sich negativ auf unsere Gesundheit auszuwirken“, so der Forscher.

Glyphosat schädigt Bienen
Nach einer Untersuchung chinesischer WissenschaftlerInnen greift Glyphosat die Gesundheit von Bienen an. Wie das Team von der „Chinesischen Akademie für Agrar-Wissenschaften“ herausfand, beeinträchtigt das Herbizid die Gedächtnis-Leistung der Insekten. Auch leiden deren körperliche Fähigkeiten. Daher traten die ForscherInnen dafür ein, ein Frühwarnsystem einzurichten, das die ImkerInnen rechtzeitig vor dem Versprühen des Mittels informiert, damit diese ihre Bienenstöcke schützen können.

Glyphosat: Ungeprüft zugelassen
Ende 2017 verlängerte die EU die Glyphosat-Zulassung um fünf Jahre. Den Ausschlag dafür gab die Stimme des damaligen deutschen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt (CSU). Nach dieser Entscheidung stellten BAYER und die anderen Hersteller 30 Anträge auf neue Genehmigungen, da die alten nur bis zum 15. Dezember 2020 Gültigkeit besaßen. Die Behörden der einzelnen EU-Länder schafften es jedoch nur, vierzehn von ihnen rechtzeitig vor dem Verfall der Vermarktungslizenz zu bearbeiten. Damit war das Schicksal der anderen Glyphosat-Erzeugnisse aber keinesfalls besiegelt. „In diesen Fällen müssen die bestehenden Zulassungen gemäß Artikel 43 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 formal um ein weiteres Jahr bis zum 15. Dezember 2021 verlängert werden“, teilte das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit“ mit.

Weniger Glyphosat auf den Schienen
Die DEUTSCHE BAHN zählt zu den Großverbrauchern von Glyphosat. Nach Angaben des Unternehmens gehen rund 0,4 Prozent der jährlich in Deutschland insgesamt ausgebrachten Mengen auf die Gleisanlagen nieder. 2019 verkündete die Bahn allerdings einen Ausstiegsplan. Der Konzern erklärte, bis 2023 ganz auf das Mittel verzichten zu wollen. Und wirklich macht er Fortschritte. 2020 sank der Verbrauch im Vergleich zu 2018, wo er bei 57 Tonnen lag, schon um rund die Hälfte. Unter anderem ersetzt das Mähen den Einsatz der Chemikalie.

Glyphosat in Spaghetti
Die Zeitschrift Ökotest wies bei einer Untersuchung Glyphosat-Rückstände in Spaghetti nach. In 12 von 20 Sorten fanden sich Spuren des Herbizids.

„Glyphosate-residue-free“
In den USA findet das Lebensmittel-Label „ohne Glyphosat-Rückstände“, das die Organisation „Detox Project“ schuf, eine immer stärkere Verbreitung. Die Zahl der Produkte, die dieses Siegel tragen, beläuft sich mittlerweile auf 70, und deren Absatz nahm 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent zu.

PFLANZEN & SAATEN

Patente auf konventionelle Pflanzen
„Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren“ schließt das „Europäische Patent-Abkommen“ von der Patentierbarkeit aus. Trotzdem reklamieren die Konzerne immer wieder Schutzrechte für Gewächse, die mittels althergebrachter Methoden entstanden. Fünf solcher Anträge stellte der Leverkusener Multi allein im Jahr 2020. Das förderte eine Untersuchung des Netzwerkes KEINE PATENTE AUF SAATGUT zutage. „Es gibt bereits zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie rechtliche Schlupflöcher dazu benutzt wurden, um Patente auf Gerste und Bier, auf Melonen oder auch auf Salat aus konventioneller Züchtung zu erteilen“, konstatiert die Organisation. Sie wirft den Unternehmen vor, zufällige genetische Veränderungen als patentierbare Erfindungen auszugeben und die Grenze zwischen konventionellen und gentechnischen Verfahren systematisch zu verwischen. Die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO tat das etwa bei einer Paprika-Sorte, die bestimmten Krankheiten trotzt – ein Ergebnis von Kreuzung und Selektion, basierend auf der Analyse von DNA-Sequenzen. Die Initiative warnt vor den Konsequenzen dieser Entwicklung: „Im Ergebnis erlangen eine Handvoll internationaler Konzerne immer mehr Kontrolle über die Produktion unserer Lebensmittel.“ Darum fordert KEIN PATENTE AUF SAATGUT die Politik auf, das Treiben von BAYER & Co. zu unterbinden. „Die Bundesregierung hat nur noch wenige Monate Zeit, um hier im Sinne des Koalitionsvertrages für mehr rechtliche Klarheit zu sorgen“, erklärte das Netzwerk-Mitglied Georg Janßen von der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT bei der Übergabe der Patent-Studie an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) am 11. März 2021 in Berlin.

EPA widerruft Melonen-Patent
Im Jahr 2011 erteilte das Europäische Patentamt (EPA) der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO ein Patent auf eine Melone, obwohl bei der Züchtung keine gentechnischen Methoden zum Einsatz kamen. Die „neue“ Eigenschaft, eine Resistenz gegen bestimmte Krankheitserreger, war eine alte: indische Sorten verfügten über sie. Das Unternehmen hatte sie nur mittels Selektion und Kreuzungen marktreif gemacht. Darum erhob damals ein breites Bündnis aus solchen Initiativen wie KEIN PATENT AUF LEBEN und GREENPEACE und Aktivistinnen wie Vandana Shiva Einspruch gegen die Entscheidung. Die EPA gab diesem statt, aber MONSANTO ging dagegen vor. Im März 2021 bestätigte nun aber die Beschwerdekammer des Patentamtes den Widerruf des Patents endgültig. Allerdings macht es für den Entzug der Schutzrechte nur formale Gründe geltend. Das US-Unternehmen hätte „das relevante biologische Material“ bei der Antragstellung der Öffentlichkeit zugänglich machen oder eine Probe bei einer anerkannten Institution hinterlegen müssen, so die JuristInnen. Darum fällte die EPA kein Grundsatz-Urteil. Entsprechend skeptisch bleiben die Patent-GegnerInnen. „Das Patent basiert auf konventioneller Züchtung und beansprucht Pflanzen-Sorten. Beides darf laut europäischer Patent-Gesetze nicht patentiert werden. Die Erteilung des Patents war ein klarer Rechtsbruch, doch das spielte bei der Entscheidung des EPA keine Rolle“, kritisiert Ruth Tippe vom Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT.

Kooperation mit ABACUSBIO
Der BAYER-Konzern hat mit dem Unternehmen ABUCUSBIO eine Kooperation auf dem Gebiet der Pflanzenzucht vereinbart. Die neuseeländische Firma will mit den von ihr zusammengetragenden Daten nicht nur „zur genetischen Verbesserung“ der Produkte des Leverkusener Multis beitragen, sondern auch deren „wirtschaftliches Potenzial beeinflussen“.

GENE & KLONE

Neue Import-Zulassung
Die EU-Kommission hat im Januar 2021 acht Import-Genehmigungen für Genpflanzen erteilt. Sechs davon galten BAYER-Produkten. Drei Mais-Sorten und ein Soja-Konstrukt des Leverkusener Multis erhielten erstmals Zulassungen. Die Mais-Arten MON 88017 und MON 89034 durften in die Verlängerung gehen. Die Initiative TESTBIOTECH kritisierte die Entscheidungen scharf. Nach Ansicht des „Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie“ nahm es die EU nämlich mit der Begutachtung nicht allzu genau. Als Beispiel nannte es das Verfahren zum Mais MON 87427 x MON 87460 x MON 89034 x MIR 162 x NK 603. Diese Laborfrucht kann laut Konzern dank der Gentechnik auch Trockenheitsperioden gut überstehen, was TESTBIOTEST zufolge aber erst noch zu beweisen wäre. „Wie eine detaillierte Prüfung der Antragsunterlagen zeigt, wurde der Mais nie unter den entsprechenden Bedingungen getestet. In den Freisetzungsversuchen wurden die Felder stattdessen bei Bedarf bewässert. Zudem wurden beim Anbau der Pflanzen nur rund 900 Gramm Glyphosat pro Hektar eingesetzt und nicht über drei Kilogramm, wie es in der Praxis die Regel ist“, konstatiert die Organisation.

EU-Parlament sagt „Nein“
Im Dezember 2020 weigerte sich das EU-Parlament mit großer Mehrheit, Einfuhr-Genehmigungen für fünf Genpflanzen zu erteilen. Vier Anträge hatte BAYER eingereicht, einer stammte von SYNGENTA. Bei den Laborfrüchten des Leverkusener Multis handelte es sich um eine Soja-Art und drei Mais-Sorten, die mit bis zu vier Giften des Boden-Bakteriums „Bacillus thuringiensis“ bestückt sind, um Schadinsekten abzuwehren. Und diese haben es in sich. Die Bt-Toxine interagieren nämlich mit den Enzymen der Gewächse, in welche die GenwerkerInnen sie eingebaut haben, und potenzieren so ihre Giftigkeit. Bis zu 20 Mal höher als im natürlichen Zustand kann diese sein. Das belegen alte Dokumente des jetzt zu BAYER gehörenden Unternehmens MONSANTO, welche die Initiative TESTBIOTECH aufgespürt hat (siehe Ticker 1/21).

WASSER, BODEN & LUFT

3,58 Millionen Tonnen CO2
Im Geschäftsjahr 2020 stieß der BAYER-Konzern 3,58 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus. Gegenüber 2019 sank der Wert um 180.000 Tonnen, was jedoch mitnichten auf erste Erfolge einer etwaigen Minderungsstrategie verweist. „Dieser Rückgang ist überwiegend auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen“, hält das Unternehmen in seinem Nachhaltigkeitsbericht fest. Für den größten Teil der Emissionen sorgt nach wie vor die Agrar-Sparte. Dabei ist Glyphosat der größte Klima-Killer, denn die Gewinnung seines Vorproduktes Phosphor aus Phosphorit am US-Standort Soda Springs frisst enorm viel Energie. So deutlich drückt der Agro-Riese das allerdings nicht aus. Im neuen Nachhaltigkeitsbericht heißt es lediglich verklausuliert: „Besonders energieintensiv ist unsere Rohstoffgewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science – daher entfällt der größte Anteil unserer Treibhausgas-Emissionen auf diese Division.“

Schlechter Energie-Mix
17.836 Terrajoule Strom erzeugte der BAYER-Konzern im Geschäftsjahr 2020 selbst. Dabei setzt er zum überwiegenden Teil auf fossile Energieträger. Von den im Geschäftsjahr 2020 produzierten 17.836 Terrajoule entfielen 10.911 Terrajoule auf Erdgas und 566 Terrajoule auf Kohle, wobei der Kohle-Anteil gegenüber 2019 immerhin von 13,5 Prozent auf rund drei Prozent sank. Von den 18.022 Terrajoule zugekauften Stroms entstammten nur sechs Prozent aus erneuerbaren Energie-Quellen. Den Rest des Bedarfs deckten Gas, Kohle oder Kernkraft. Der Leverkusener Multi gelobt aber Besserung. „U. a. in den USA, in Mexiko und Spanien haben wir im Berichtsjahr Lieferverträge für Strom aus erneuerbaren Energien abgeschlossen“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht. Bis 2030 will der Global Player hier auf eine Quote von 100 Prozent kommen.

Ein bisschen Emissionshandel
„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren. Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So bekamen die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum braucht der Leverkusener Agro-Riese kaum Emssionshandel zu betreiben. Mit lediglich fünf Anlagen, die für noch nicht einmal zehn Prozent seines jährlichen CO2-Ausstoßes von 3, 58 Millionen Tonnen sorgen, war er im Geschäftsjahr 2020 dabei.

CO2-Kompensation statt -Reduktion
Eigentlich gibt es nur einen Weg, den Klimawandel einzudämmen: die Reduktion des Stromverbrauchs und den Umstieg auf erneuerbare Energie-Träger. BAYER & Co. ist aber noch etwas anderes eingefallen. Sie wollen ihre CO2-Emissionen nicht nur reduzieren, sondern auch kompensieren, also das, was ihre Produktionsanlagen so absondern, an anderer Stelle wieder ausgleichen, sprich: neutralisieren. Der Leverkusener Multi hat sich vorgenommen, diese Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 zu erreichen, und zwar nur zu 42 Prozent durch eine Senkung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase. Den Rest sollen andere Maßnahmen erbringen wie z. B. Investitionen in Projekte zur Wiederaufforstung. Um 200.000 Tonnen CO2 hat der Global Player seine Klima-Bilanz auf diese Weise im Geschäftsjahr 2020 schon aufhübschen können. Bis der Effekt sich allerdings auch anderswo als nur auf dem Papier einstellt und die Bäumchen, die BAYER pflanzt, sich wirklich positiv auf das Klima auswirken, dürften jedoch noch so einige Jahrzehnte ins Land ziehen. Und Menschen, die in der Nähe der Dreckschleudern leben müssen und dadurch ihre Gesundheit ruinieren, nützen Wälder in Uruguay, Brasilien oder China herzlich wenig. Zu allem Übel plant der Agro-Riese auch noch, sein berühmt-berüchtigtes Glyphosat mit in die Rechnung einzubeziehen. Er verkauft das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid nämlich als klimaschonend, weil es den LandwirtInnen das – angeblich Kohlendioxid freisetzende – Pflügen erspart.

Weniger ODS und VOC
Im Geschäftsjahr 2020 haben die BAYER-Werke weniger ozon-abbauende Stoffe (ODS) und flüchtige organische Substanzen (VOC) ausgestoßen als 2019. Der Wert für die ODS sank von 12,3 auf 4,3 Tonnen und derjenige für die VOC von 1.410 auf 690 Tonnen. Bisher sorgten immer die Uralt-Dreckschleudern des Konzerns im indischen Vapi für den Großteil des Ausstoßes. Der Leverkusener Multi doktert zwar schon seit über 15 Jahren an den Anlagen herum, aber neuerliche Sanierungsmaßnahmen scheinen jetzt endlich zu greifen. „Maßgeblich für die Reduktion beider Kennzahlen ist der Anschluss der Lagertanks für Lösemittel an die Abluft-Reinigungsanlage am Standort Vapi, Indien“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns.

Weniger Emissionen in die Luft
Nach BAYER-Angaben führte die COVID-19-Pandemie an einigen Standorten zur Drosselung der Produktion. Infolgedessen reduzierten sich auch die Schadstoff-Mengen, die der Konzern in die Luft emittierte. Der Ausstoß von Kohlenmonoxid ging 2020 gegenüber dem Vorjahr von 2.070 Tonnen auf 1.160 Tonnen zurück und derjenige von Stickoxiden von 4.250 auf 4.160 Tonnen. Auch die Schwefeloxid-Mengen verringerten sich. Sie sanken von 2.430 auf 1.320 Tonnen. Nur mehr Feinstaub fiel im Geschäftsjahr 2020 trotz Corona an. Von 1.960 auf 2.290 Tonnen stieg der Wert.

Enormer Wasser-Verbrauch
Obwohl die Industrie-Produktion in Folge der Corona-Pandemie sank und auch die Fertigungsstätten des BAYER-Konzerns weniger ausgelastet waren, ging sein Wasser-Einsatz im Geschäftsjahr 2020 kaum zurück. Er belief sich auf 57 Millionen Kubikmeter (2019: 59 Millionen Kubikmeter). Zu allem Übel erstreckt sich der enorme Durst des Agro-Riesen auch auf Gebiete, die unter Wasser-Knappheit leiden. Drei Millionen Kubikmeter verbrauchte er in diesen Regionen.

25 Millionen Liter Abwässer
Analog zum etwas gesunkenen Wasser-Bedarf gingen auch BAYERs Abwasser-Einleitungen im Geschäftsjahr 2020 etwas zurück. Sie reduzierten sich von 26 auf 25 Millionen Kubikmeter.

Mehr Schadstoff-Einleitungen
Wegen der Corona-Pandemie liefen viele Produktionsstätten BAYERs nicht auf Hochtouren. Trotzdem gingen die Schadstoff-Einleitungen in die Gewässer 2020 nicht generell zurück, was dem Konzern zufolge spezielle Gründe hatte. Die von 420 auf 480 Tonnen gestiegenen Werte für Stickstoff erklärt er mit einem Störfall auf dem Gelände des Werkes in Kansas City und die größere Menge an organisch gebundenem Kohlenstoff, die in den Flüssen landete, führt er auf die Einführung einer verbesserten Abwasser-Analytik am brasilianischen Standort Camaçari zurück. Nur die Zahlen für Phosphor und Anorganische Salze sanken, von 510 auf 380 Tonnen bzw. 167.000 auf 151.000 Tonnen, während diejenigen für Schwermetalle mit 2,6 Tonnen gleich blieben.

Mehr Abfall
Im Geschäftsjahr 2020 produzierte BAYER mehr Abfall als 2019. Von 872.000 auf 943.000 Tonnen stieg die Menge. „Das ist im Wesentlichen auf den Saatgut-Produktionsstandort Maria Eugenia Rojas, Argentinien, zurückzuführen, an dem große Mengen an pflanzlichen Nebenprodukten als nicht gefährlicher Abfall zur landwirtschaftlichen Nutzung und Kompostierung entsorgt wurden“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht zur Erklärung. Das Aufkommen an gefährlichem Abfall reduzierte sich dagegen „durch den Abschluss von Bau- und Sanierungstätigkeiten am Standort Vapi, Indien“.

Schmutzige Glyphosat-Produktion
Im US-Bundesstaat Louisiana stößt keine Produktionsstätte mehr chemische Stoffe aus als BAYERs Glyphosat-Fabrik in Luling. Schon seit Jahren behauptet sie diesen Spitzenplatz. 2019 setzte sie nach Angaben der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA rund 8.300 Tonnen an Kobalt, Kupfer, Nickel, Ammonium, Methanol, Formaldehyd, Phosphor und anderen Substanzen frei. Aber auch die Anlage in Soda Springs, wo der Leverkusener Multi das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor herstellt, ist eine veritable Dreckschleuder. Auf 2.670 Tonnen Cobalt & Co. kommt der Standort.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

BAYER-Gefahren
Der BAYER-Konzern geht mit zahlreichen gefährlichen Stoffen um. Den Standort Leverkusen betreffend führt der Chemie„park“-Betreiber CURRENTA in einer Broschüre einige Beispiele für risiko-reiche Substanzen auf, die der Agro-Riese einsetzt. Ammoniak, Chlor und Methanol etwa können laut CURRENTA schon „in sehr geringer Menge beim Einatmen, Verschlucken oder Aufnahme über die Haut zum Tode führen“. Das Ammoniak ist überdies in der Lage, mit Luft explosive Gemische zu bilden und das Chlor, Brände zu verursachen oder zu verstärken. Das Methanol findet sich – gemeinsam mit Aceton – darüber hinaus noch in der Rubrik „leicht bzw. extrem entzündbar“ wieder.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

92 Anlagensicherheitsereignisse
Unter „Anlagensicherheitsereignissen“ versteht der BAYER-Konzern „den Austritt von chemischen Substanzen oder Energien oberhalb definierter Schwellenwerte aus ihrer ersten Umhüllung wie Rohr-Leitungen, Pumpen, Tanks oder Fässern“. 92 solcher noch nicht als Störfälle zu bezeichnenden Stoff-Freisetzungen registrierte der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020.

Phosphor-Austritt in Soda Springs
Am 28.11.2020 kam es bei der Herstellung des Glyphosat-Vorproduktes Phosphor zu einem Störfall. Ein Lagertank-Ventil öffnete sich wegen eines Defektes in der Automatik, wodurch phosphor-haltiger Schlamm austrat und sich an der Luft entzündete.

Natriumhydroxid-Austritt in Luling
Am 17. Oktober 2020 ereignete sich bei der Glyphosat-Produktion am US-Standort Luling ein Störfall. Durch ein defektes Ventil an einer Rohrleitung kam es zu einem Austritt von Natriumhydroxid.

ÖKONOMIE & PROFIT

Desaströse Geschäftszahlen
Auf der Bilanz-Pressekonferenz am 25. Februar 2021 legte der BAYER-Konzern desaströse Zahlen für das Geschäftsjahr 2020 vor. Er verbuchte einen Verlust von rund 10,5 Milliarden Euro. Der Umsatz bewegte sich mit 41 Milliarden Euro zwar ungefähr auf dem Niveau von 2019, aber das Unternehmen musste wegen der vielen Schadensersatz-Prozesse „Sonderaufwendungen“ verbuchen. „Diese standen insbesondere in Verbindung mit Rückstellungen für die getroffenen Vereinbarungen in Bezug auf die Rechtskomplexe Glyphosat, Dicamba, PCB und ESSURE“. „Lange Zeit haben die Nebenwirkungen der BAYER-Erzeugnisse keinen Einfluss auf die Geschäftsbilanz gehabt. Das ist jetzt anders“, konstatierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) in ihrer Presseerklärung.

ASKBIO: Die zweitgrößte Übernahme
Im Oktober 2020 hatte BAYER die US-amerikanische Gentherapie-Firma ASKLEPIOS BIOPHARMACEUTICAL (ASKBIO) erworben. Zwei Milliarden Euro zahlte der Konzern sofort, weitere zwei Milliarden stellte er bei erfolgreichen Arznei-Kreationen in Aussicht. In der Rangliste der größten Akquisitionen von deutschen Unternehmen belegte der Leverkusener Multi damit den zweiten Platz. Nur SIEMENS kaufte im vorigen Jahr für noch mehr Geld ein.

STANDORTE & PRODUKTION

Mehr Pillen aus Peking
Der BAYER-Konzern baut seine Anlagen zur Herstellung von Arzneien am chinesischen Standort Peking aus. Mit einer Investition in Höhe von 50 Millionen Euro will er die jährliche Produktionskapazität um 40 Prozent erhöhen.

RECHT & UNBILLIG

Erster Glyphosat-Kläger gewinnt
Der erste Entschädigungsprozess in Sachen „Glyphosat“ hat sein offizielles Ende gefunden. Der Leverkusener Multi erklärte, das Urteil des Berufungsgerichts in San Francisco nicht anzufechten, das der BAYER-Tochter MONSANTO eine erhebliche Schuld an der Krebserkrankung des Klägers Dewayne Johnson zugesprochen hatte. Aber einsichtig zeigt sich der Global Player trotzdem nicht. „BAYER hat großes Mitgefühl mit Herrn Johnson und allen Menschen, die an Krebs leiden, ist aber weiterhin der Meinung, dass das Urteil nicht durch wissenschaftliche Beweise oder das Gesetz gestützt ist.“ Der Rückzug hat lediglich strategische Gründe. Das Unternehmen rechnet sich nämlich in dem zweiten Glyphosat-Verfahren, das Edwin Hardeman angestrengt hatte, mehr Chancen aus. Hier hatte nämlich die von Donald Trump auf Linie gebrachte US-amerikanische Umweltbehörde EPA zu Gunsten BAYERs interveniert und das Herbizid vom Krebsverdacht freigesprochen. Gemeinsam mit dem Justizministerium machte es vom Rechtsinstitut des „Amicus Curiae“ Gebrauch, das es Unbeteiligten erlaubt, Stellungnahmen zu laufenden Rechtsstreitigkeiten abzugeben und plädierte auf Freispruch. „Der Kläger ist im Unrecht“, hieß es in dem Schreiben.

Glyphosat-Kläger versterben
Im Jahr 2015 hatten die ersten Glyphosat-Geschädigten Schadensersatz-Klagen eingereicht. Aber ein abschließendes Urteil liegt erst zu einer vor (s. o.). Unterdessen sterben immer mehr Betroffene an Krebs, ohne von BAYER Zahlungen erhalten zu haben. So erlag Carolina Garces am 8. März 2021 ihrer Krankheit.

Einigung im Fall „Calderon“
Bereits im Juni 2020 wollte BAYER eine Vergleichslösung für die rund 125.000 Glyphosat-Geschädigten präsentieren, die gegen den Konzern Klage eingereicht hatten. Aber der Agro-Riese konnte bisher nichts vorlegen, was den zuständigen Richter Vince Chhabria überzeugt hätte. Darum drohte dieser im November 2020 an, die von ihm für die Zeit der Mediationsgespräche gestoppten Prozesse wieder anlaufen zu lassen: „Ich bin nicht daran interessiert, den Zeitplan für die Entscheidung dieser Fälle so lang zu strecken“, bekundete er. Und Chhabria hielt Wort. Er lehnte das Begehr des Leverkusener Multis ab, die Streitsache „Jaime Alvarez Calderon“ zusammen mit all den anderen auf die lange Bank zu schieben und ließ die Justiz-Maschine wieder anlaufen. Calderon hatte 33 Jahre auf Weingütern arbeitet und dabei immer wieder Umgang mit Glyphosat. 2014 bekam er Lymphdrüsen-Krebs, dem er im Dezember 2019 erlag. Seine Hinterbliebenen führten die juristische Auseinandersetzung jedoch weiter. Ihnen machte BAYER jetzt ein Vergleichsangebot, um es nicht zu einem schlagzeilen-trächtigen Prozess kommen zu lassen.

Immer noch kein Vergleich
Die juristischen Auseinandersetzung um Schadensersatz in Sachen „Glyphosat“ gegen die BAYER-Tochter MONSANTO ziehen sich nun bereits seit sechs Jahren hin. Nach den ersten drei Verfahren schlug der zuständige Richter Vince Chhabria Vergleichsverhandlungen vor und verhängte gleichzeitig ein Prozess-Moratorium. Im Juni 2020 präsentierte der Leverkusener Multi dann seinen Vorschlag für den Umgang mit den rund 125.000 Klagen. Er bot Zahlungen von bis zu acht Milliarden Euro für die Erkrankten an. Für zukünftige Fälle – mit denen zu rechnen ist, da der Konzern aus Profit-Gründen partout nicht auf den Verkauf von Glyphosat-Vermarktung verzichten mag – reservierte er eine Milliarde Dollar. Über die Rechtmäßigkeit dieser Ansprüche sollte nach seinen Vorstellungen allerdings kein Gericht befinden, sondern ein „unabhängiges Wissenschaftsgremium (Class Science Panel)“. Diesem wollte das Unternehmen die Entscheidung darüber überlassen, ob das von der Aktien-Gesellschaft unter dem Namen ROUNDUP vermarktete Pestizid wirklich Lymphdrüsen-Krebs verursachen kann. „Dadurch wird diese Entscheidung anstelle von Jury-Verfahren wieder in die Hände sachkundiger Wissenschaftler gegeben“, so der Global Player. In den rund vier Jahren, die das mindestens dauert, hätten sich die Betroffenen in Geduld zu üben: „Mitglieder der Gruppe möglicher künftiger Kläger dürfen ihre Ansprüche bis zur Entscheidung des Wissenschaftsgremiums nicht weiter geltend machen und keinen Schadensersatz fordern.“ Chhabria lehnte eine solche Lösung jedoch ab. Vor allem akzeptierte er nicht, zukünftigen Glyphosat-Geschädigten den Rechtsweg zu verbauen. Der Jurist stellte infrage, „ob es verfassungsgemäß (oder generell gesetzmäßig) wäre, die Entscheidung der Kausalitätsfrage (d. h. ob – und wenn ja, ab welcher Dosis – ROUNDUP in der Lage ist, Krebs zu verursachen) über Richter und Jurys hinweg an ein Gremium von Wissenschaftlern zu delegieren“. Also musste BAYER wieder in Klausur. Den zweiten Anlauf unternahm der Agro-Riese dann Anfang Februar 2021. Darin stockte er den Fonds für die noch zu erwartenden Glyphosat-Klagen um eine Milliarde Dollar auf und schränkte gleichzeitig die Kompetenzen des Class Science Panel etwas ein. Aber auf Zustimmung traf der Konzern damit trotzdem nicht. Er hatte die Vereinbarung nämlich nur mit ein paar Großkanzleien getroffen, die nicht ganz aus freien Stücken handelten – 170 Millionen Dollar hatten sie vom Konzern als Entscheidungshilfe erhalten. Zahlreiche andere Anwaltsbüros und JuristInnen-Vereinigungen erhoben hingegen Einspruch gegen den neuen Vorschlag. Nach Meinung der „National Trial Lawyers“ erschwert er unzähligen Menschen den Zugang zur Justiz und schafft überdies einen unheilvollen Präzedenz-Fall für künftige Prozesse: „Diese Art von Vergleich würde anderen Unternehmen, die sich der Haftung und den Konsequenzen für ihr Verhalten entziehen wollen, eine unhaltbare Vorlage liefern.“ BAYER lässt den Geschädigten nun zwar die Wahl, ob sie die vorgeschlagenen Summen akzeptieren oder aber ihre Klage aufrechterhalten, aber in den zukünftigen Prozessen sind statt Strafzahlungen nur noch Entschädigungen vorgesehen, was viele RechtsanwältInnen kritisieren. Zudem stießen sich viele JuristInnen an dem Plan des Leverkusener Multis, durch die Etablierung des Class Science Panel neue Verfahren erst einmal für vier Jahre zu blocken. Wegen all dieser Kritik verzögert sich die Causa weiter. Die AnwältInnen des Global Players baten sich mehr Zeit aus, um alles nochmals zu überarbeiten. Vince Chhabria gab dem auch statt und setzte den 12. Mai als neuen Termin an.

NBFA-Klage geht zu Gericht
Nicht alle in den USA anhängigen Glyphosat-Verfahren haben eine Schadensersatz-Forderung zum Inhalt. So will die NATIONAL BLACK FARMERS ASSOCIATION (NBFA) ein Urteil erzwingen, dass den BAYER-Konzern daran hindert, „seine glyphosat-haltigen Produkte in einer Weise zu vermarkten, welche die Mitglieder der NBFA in unzumutbarer Weise gefährdet“. Aber die Klage hängt. Der für alle juristischen Vorgänge in Sachen „Glyphosat“ zuständige Richter Vince Chhabria hat nämlich im Sommer 2019 Vergleichsverhandlungen angeregt und bis zum Finden einer Lösung ein Prozess-Moratorium verhängt. Der NBFA dauerte das alles jedoch zu lange. Darum erbat sie von den BAYER-AnwältInnen die Zustimmung dafür, ihre Klage aus dem Paket zu lösen und vor Gericht zu bringen. Das lehnten diese jedoch ab. Darum wandte die Organisation sich an den „U.S. District Court for the Northern District of California“, der dann auch erste Termine festsetzte.

Glyphosat-Klage in Australien
Auch in Australien beschäftigen die Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat nun die Gerichte. Eine Gruppe um den Landwirt John Fenton, der das Herbizid für seine Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung verantwortlich macht, reichte im Februar 2021 eine Sammelklage ein.

Umweltstrafe wg. Glyphosat
„Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hochproblematischer Stoff“, sagt die Umwelt-Aktivistin Hannah Connor von der US-amerikanischen Organisation „Center for Biological Diversity“. Und tatsächlich sorgt das Herbizid sogar schon vor seinen eigentlichen Geburt für so einige Verwerfungen. Der Abbau des Sediment-Gesteins Phosphorit, das BAYER zur Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor benötigt, belastet Mensch, Tier und Umwelt nämlich massiv. Unter anderem setzt die Förderung der Mineral-Gemenge in den Tagebau-Minen vor den Toren der Phosphor-Fertigungsstätte am US-amerikanischen Standort Soda Springs giftige Stoffe wie Selen, Arsen, Uran, Radium und Radom frei. Besonders die Indigenen, die in der Nähe der Minen leben, leiden stark unter den gesundheitsschädlichen Wirkungen der Substanzen. Darum haben sie gemeinsam mit der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA gegen BAYERs Minen-Gesellschaft P4 PRODUCTIONS geklagt und einen Erfolg erzielen können. Das Unternehmen verpflichtete sich, rund um die Ballard-Mine eine Fläche von über 200 Hektar zu sanieren. Unter anderem muss es Trinkwasser-Barrieren bauen und Feuchtgebiete zur Wasser-Reinigung anlegen. Zudem erklärte sich P4 PRODUCTIONS bereit, mehrere hunderttausend Dollar an Entschädigungen zu zahlen und mit einer Bürgschaft über 89 Millionen Dollar dafür zu garantieren, dass das Geld für die Maßnahmen auch ausreicht. Bereits in den Jahren 2011 und 2015 hatte die Minen-Gesellschaft Umweltverbrechen begangen, die hohe Strafen nach sich zogen.

Viele Klagen zum MONSANTO-Deal
Zahlreiche GroßaktionärInnen gehen gegen BAYER juristisch vor, weil der Konzern ihrer Meinung nach bei der Prüfung der MONSANTO-Übernahme möglichen Prozessen von GLYPHOSAT-Geschädigten nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte, was in der Folge für einen Kurs-Absturz sorgte. In Deutschland zogen die beiden Kanzleien Tilp und Hausfeld für ihre MandantInnen vor Gericht. „MONSANTO hat immer so getan, als gäbe es kein Prozess-Risiko, weil die Behauptungen, Glyphosat sei krebserregend, haltlos seien“, so der Hausfeld-Jurist Wolf von Bernuth: „Tatsächlich gab es sehr wohl erhebliche Prozess-Risiken. Das durfte BAYER bei Bekanntgabe der Übernahme-Absicht nicht verschweigen“. In den USA haben die Investment-Gesellschaft HAUSSMANN TRUST sowie die beiden Pensionsfonds „City of Grand Rapids Police & Fire Retirement System“ und „City of Grand Rapids General Retirement System“ Klagen eingereicht. Und Anwaltsbüros suchen per Annonce nach AktienhalterInnen, die Ansprüche geltend machen wollen.

Laues Lieferketten-Gesetz
Die Lieferketten BAYERS erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi seine Arznei-Grundstoffe zu einem guten Teil aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei zunächst davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne ausüben und setzte auf Freiwilligkeit. Sie hob den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe und machte sich daran, erst einmal ein Lagebild zu erstellen. Dazu startete die Große Koalition eine Umfrage unter den Betrieben und bat um Informationen darüber, ob – und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollte sie dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Nur ein Bruchteil der angeschriebenen Firmen antwortete überhaupt, und von diesen genügte bei den globalen Einkaufstouren kaum eines den sozialen und ökologischen Anforderungen. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Und den bereitete die Politik dann auch vor, was die Industrie-VertreterInnen in Panik versetzte. „Hier wird eine faktische Unmöglichkeit von den Unternehmen verlangt: Sie sollen persönlich für etwas haften, was sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“, echauffierte sich etwa der damalige Präsident der „Bundesvereinigung der Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), Ingo Kramer. In der Folge taten die LobbyistInnen alles, um das Schlimmste zu verhindern. Sie mahnten eine Beschränkung des Paragrafen-Werks auf direkte Zulieferer an und lehnten eine Haftungsregelung vehement ab. Schlussendlich konnten sie sich damit durchsetzen. Im jetzigen Gesetzes-Entwurf fehlt beides. Dem Leverkusener Multi dürfte es daher erspart bleiben, mit einer Klage von solchen InderInnen oder ChinesInnen konfrontiert zu werden, die in den Hot Spots der globalen Pharma-Produktion leben und unter den gesundheitlichen Folgen leiden. Dazu liegen nämlich zu viele Zwischenhändler zwischen BAYER und den Arznei-Produzenten vor Ort. Zudem müssten die Betroffenen in Deutschland noch eine Nichtregierungsorganisation finden, die in ihrem Namen vor Gericht zieht und so eine „Prozess-Standschaft“ wahrnimmt. Das ist BAYER & Co. aber noch zu viel. Die Konzerne sehen in dieser „Prozess-Standschaft“ ein Instrument dafür, eine zivilrechtliche Haftung „durch die Hintertür“ einzuführen. „Hier muss der Text geschärft werden. Juristische Winkelzüge dürfen nicht dazu genutzt werden, um die Unternehmen doch einer weltweiten Klage-Industrie auszusetzen“, verlangt der „Verband der Chemischen Industrie“.

EU-Lieferkettengesetz
Auch die EU plant ein Lieferketten-Gesetz (s. o.). Ihre Vorstellungen gehen dabei weit über das deutsche Paragrafen-Werk hinaus. So will die Europäische Union den Anwendungsbereich nicht nur auf die direkten Zulieferer beschränken, Haftungsregelungen einführen und auch kleinere Firmen in die Regelung einbeziehen. „Wir denken nicht nur über Geldbußen für Verstöße gegen die Auflagen nach, sondern auch über strafrechtliche Konsequenzen“, so EU-Justizkommissar Didier Reynders. BAYER & Co. scheint er mit diesen Vorschlägen allerdings nicht überzeugt zu haben. „Die Industrie bleibe zurückhaltend, räumt er ein“, konstatiert die FAZ. Für den Sommer kündigt die EU-Kommission einen Gesetzes-Entwurf an. Das dürfte die Konzerne zu einigen Lobby-Aktivitäten animieren.

Simpson lässt nicht locker
In ihrer Zeit als BAYER-Beschäftigte bekam Laurie Simpson einen umfassenden Einblick in die Praxis des Leverkusener Multis, die Risiken seiner Arzneien zu verschweigen und die Mittel ohne Rücksicht auf Verluste mit Hilfe zum Teil illegaler Marketing-Methoden zu vertreiben. Sie kritisierte dieses Vorgehen intern und musste dafür berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Darum machte sie die Fälle öffentlich und begann im Jahr 2008 drei Prozesse gegen den Pharma-Riesen zu führen, die bis heute andauern. In dem Verfahren um das bei OPs zum Einsatz kommende Blutstill-Präparat TRASYLOL lastet Simpson dem Konzern an, der medizinischen Öffentlichkeit und den PatientInnen das gesundheitsgefährdende Potenzial des Medikaments verheimlicht zu haben, das er zwischenzeitlich vom Markt zurückziehen musste. Zudem beschuldigt sie das Unternehmen, den Verkauf des Pharmazeutikums mit illegalen Methoden wie dem Einräumen von Rabatten und der Gewährung anderer Vergünstigungen befeuert zu haben. Darüber hinaus bezichtigt die Frau den Global Player, den Gebrauch von TRASYLOL auch bei Operationen wie beispielsweise Leber-Transplantationen empfohlen zu haben, obwohl für die Indikationen gar keine Zulassungen vorlagen. Ähnliche Praktiken wirft Laurie Simpson dem Leverkusener Multi im Umgang mit dem Cholesterin-Senker LIPOBAY vor, das er nach über 100 Todesfällen im Zusammenhang mit der Arznei nicht mehr vertreiben durfte. Zudem brachte sie die Strategie der Aktiengesellschaft, den Absatz seines Antibiotikums AVELOX durch Geldzahlungen und andere Zuwendungen an MedizinerInnen zu fördern, vor Gericht.

FORSCHUNG & LEHRE

Viele Forschungssubventionen
Im Geschäftsjahr 2020 erhielt BAYER vom bundesdeutschen Staat dreizehn Millionen Euro an Forschungssubventionen und damit eine Million mehr als 2019.

[Landeswasser-Gesetz] Neues Landeswasser-Gesetz

CBG Redaktion

Laschet löscht BAYERs Wasser-Durst

Trotz der im Zuge des Klimawandels immer häufiger auftretenden Trockenheitsperioden will die nordrhein-westfälische Landesregierung das Landeswasser-Gesetz ändern und BAYER & Co. den Zugriff auf das kostbare Gut erleichtern.

Von Jan Pehrke

Der Klimawandel macht sich immer deutlicher bemerkbar. 2020 registrierten die MeteorologInnen bereits den dritten trockenen Sommer in Folge. Auf lange Sicht bedroht diese Entwicklung die Trinkwasser-Versorgung. In Nordrhein-Westfalen geht die Grundwasser-Neubildungsrate schon seit Jahren zurück, was auch die Qualität beeinträchtigt. Wenn nämlich die Gesamtmenge bei konstant bleibenden Schadstoff-Einträgen abnimmt, steigt die Konzentration der gefährlichen Substanzen.

Anstatt nun die Schutzvorrichtungen zu verstärken und die Konzerne dazu anzuhalten, ihr Prozess-Wasser verstärkt aus der Aufbereitung von Oberflächen- und Brauchwasser zu gewinnen, geht die nordrhein-westfälische Landesregierung den umgekehrten Weg. Sie will BAYER & Co. Hindernisse bei der Verwertung der Ressource aus dem Weg räumen. „Wasserrechtliche Verfahren sollen dereguliert und verschlankt werden“, heißt es im Entwurf zur Novelle des Landeswasser-Gesetzes. So beabsichtigt die schwarz-gelbe Koalition, Wasserentnahme-Rechte zu entfristen und so auf Dauer zu stellen. Zudem möchte sie die Genehmigungspflicht für das Entsorgen flüssiger Stoffe aufheben und durch eine schnöde Anzeige-Pflicht ersetzen. Bei Indirekt-Einleitungen schädlicher Substanzen steht sogar die bloße Möglichkeit zur Disposition, in Ausnahmefällen noch eine Genehmigungspflicht anzuordnen. Überdies haben CDU und FDP vor, auch in Trinkwasser-Schutzgebieten den Abbau von Kies und anderen Rohstoffen zu gestatten. Und schließlich planen die Parteien, die bisherigen Regelungen zu Gewässer-Randstreifen außer Kraft zu setzen, die dem Umweltministerium das Recht gaben, das Ausbringen von Pestiziden und Düngemitteln in unmittelbarer Nähe von Flüssen oder Seen zu untersagen.
Sollte die Magerkur wirklich Anfang 2021 den Landtag passieren, kann der BAYER-Konzern seinen ungezügelten Wasser-Durst künftig noch maßloser stillen. Im Geschäftsjahr 2019 stieg sein Verbrauch gegenüber 2018 um 17 Milliarden auf 59 Milliarden Liter. Allein am Standort Leverkusen kommt der Global Player auf einen Wasser-Einsatz von 700 Millionen Litern. Der gesamte Chemie-„Park“ mit seinen rund 200 Betrieben konsumiert noch einmal ein Vielfaches davon. Chem„park“-Betreiber CURRENTA, eine ehemalige BAYER-Tochter, darf pro Jahr nicht weniger als 100 Milliarden Liter Grundwasser abpumpen. Das hat desaströse Auswirkungen auf die Umwelt. „Die Auenwälder, die es eigentlich hier südlich des Chemie-„Parks“ geben müsste, sind längst verschwunden. Wir sehen hier trockene Wiesen und eine künstliche, mit Wasser gefüllte Rinne“, so Paul Kröfges vom BUND gegenüber dem WDR.

Am einstigen BAYER-Standort Brunsbüttel sahen die LandwirtInnen vor Jahren noch schlimmere Dinge. Dort sorgte der immense Bedarf des Global Players für eine Senkung des Grundwasser-Spiegels. In der Folge brach die Wasserversorgung zusammen: Viele Haus- und Weidebrunnen von LandwirtInnen der Umgebung zogen nur noch Luft. Zudem sackten viele Böden ab, was zu Gebäudeschäden führte. Daraufhin begannen langwierige Auseinandersetzungen der Betroffenen mit dem Leverkusener Multi, dem Wasserwerk Wacken, welches das Wasser für die Unternehmen gewinnt, und dem zuständigen Landesamt für Natur und Umwelt (LANU). „Ja, wir kennen das Problem, aber uns ist das Wasser versprochen worden“, erklärte ein BAYER-Vertreter einst dem Bauern Hans Möller. Anfang 2008 reichte dieser gemeinsam mit sechs weiteren Geschädigten sogar eine Klage ein, die allerdings keinen Erfolg hatte.

Möller engagiert sich bis heute, wo der Agro-Riese sein Werk längt abgestoßen hat, für eine Besserung der Lage. Und in Nordrhein-Westfalen laufen die Umweltverbände Sturm gegen das Projekt von Schwarz-Gelb, damit es gar nicht erst so weit kommt wie in Brunsbüttel. Aber nicht nur der BUND und der NABU kritisierten das Gesetzes-Vorhaben am 9. November 2020 bei einer Anhörung im Landtag vehement. Andere Verbände äußerten ebenfalls gravierende Bedenken. Die „Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Nordrhein-Westfalen“ etwa lehnt die Entfristung von Genehmigungen zur Wasser-Entnahme ab. „Durch eine Befristung wird sichergestellt, dass regelmäßig die Bedingungen für die Gewässer-Benutzungen und die Wasser-Entnahmen untersucht werden und bei Bedarf anzupassen sind“, halten die NRW-Kommunen fest. Dazu verweisen sie auch auf die Schwierigkeiten, die ihnen auf die Ewigkeit ausgestellte Lizenzen – BAYERs Wasser-Rechte reichen teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurück – schon bereitet haben: „Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass vorhandene und unbefristete alte Wasser-Rechte die Anpassungen an die Gewässer-Entwicklung erheblich erschweren können.“ Ebenso wenig trafen die avisierten Änderungen bei den Bestimmungen zur Einleitung flüssiger Stoffe auf Zustimmung. Für die Arbeitsgemeinschaft „hatte die Genehmigungpflicht der zuständigen Wasserbehörde eine wichtige Funktion. Die Reduzierung auf eine schlichte Anzeige wird damit dem Gewässerschutz und dem Schutz der öffentlichen Abwasser-Anlagen nicht gerecht“, heißt es in ihrer Stellungnahme. Zudem warnten die Städte davor, die Gesetzes-Passagen zu den Gewässer-Randstreifen zu ändern und damit die Umsetzung der Wasser-Rahmenrichtlinie der EU zu behindern, worin sie sich mit der „Arbeitsgemeinschaft der Wasserwirtschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen“ (agw) einig wussten. „Die Beschneidung der Regelungen zu Gewässer-Randstreifen führt dazu, dass auch in Zukunft die Nährstoff- und Pestizid-Einträge in die Gewässer nicht sinken und auch die Ziele der Wasser-Rahmenrichtlinie in diesem Zusammenhang nicht erreicht werden“, konstatiert die agw in ihrer Eingabe.
„Unternehmer NRW“, die „Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen“, zeigte sich dagegen hocherfreut über die Pläne der Regierung Laschet. So befand die Lobby-Organisation zur Streichung der Befristung für Wasser-Entnahmen: „unter Wettbewerbsgesichtspunkten positiv“. Den Wegfall der Genehmigungspflicht für die Einleitung flüssiger Stoffe und die Abwicklung der bisherigen Vorschriften zu den Gewässer-Randstreifen begrüßt „Unternehmer NRW“ ebenfalls. Der Verband macht „eine Reihe sinnvoller und notwendiger Korrekturen“ in dem Entwurf aus und resümiert: „Gerade mit Blick auf den nationalen und internationalen Wettbewerb sind die vorliegenden Änderungen am LWG weit überwiegend ein Schritt in die richtige Richtung.“ Und diese dürften sich auch alle in der Endfassung wiederfinden, denn Landesumweltministerin Ursula Heinen-Esser erklärte nach der Anhörung ungeachtet aller vorgebrachten Einwände, die Neuregelungen beibehalten zu wollen.