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Beiträge verschlagwortet als “Dhünnaue”

[Westpol] Die geheime Gefahr

CBG Redaktion

Die geheime Gefahr beim Neubau der Leverkusener Brücke

Von Daniela Becker

Die Leverkusener Autobahnbrücke ist schon lange marode und muss ersetzt werden. Doch für den Neubau soll eine alte Giftmülldeponie geöffnet werden. Interne Dokumente zeigen: Es gibt ungeprüfte Risiken und dubiose Vorgänge bei der Bauplanung.

Das Sprechen fällt Bernward Prinz schwer – eine Krebserkrankung hat die Stimme des ehemaligen Lehrers in Mitleidenschaft gezogen. Es sei „ein Hohn“, sagt er empört, was der Bund da plane: Die neue Autobahnbrücke bei Leverkusen soll mitten durch die Giftmülldeponie hindurch gebaut werden, die ihn krank gemacht hat. Davon ist er jedenfalls überzeugt - auch wenn Gerichte das nie anerkannt haben.

Eigentlich sollte dieser unheilvolle Ort bis in alle Ewigkeiten nicht mehr angerührt werden, dachte Prinz. Nur knapp unter der Erde lagern dort krebserregende Stoffe wie PCB, Dioxine und Schwermetalle. Allein an seiner Schule erkrankten damals innerhalb weniger Jahre 21 Menschen an Krebs: Schüler, Lehrer, der Hausmeister, die Putzfrau.

Wohnsiedlung musste wegen Giftkontamination abgerissen werden

Jahrzehntelang hatten die benachbarten Chemiewerke der Bayer AG und die Stadt Leverkusen das Gelände der „Dhünnaue“ als Giftmülldeponie genutzt. Später entstanden auf Teilen des Geländes Wohnungen und ebenjene Schule. Erst, als in den 1980er Jahren auffällig viele Kinder in der Siedlung an Bronchitis erkrankten, kam heraus, auf welcher tickenden Zeitbombe die Menschen hier lebten. Bodengutachten ergaben eine extrem hohe Giftstoffbelastung, auch im Trinkwasser. Die Stadt sperrte den Spielplatz, Anwohner durften ihre Gärten und andere Freiflächen nicht mehr betreten. 1988 wurde die Siedlung abgerissen.

Straßen NRW will Deponie wieder öffnen: „Kalkulierbares Risiko“

Doch nun will der Landesbetrieb „Straßenbau NRW“ genau hier für 740 Millionen Euro eine neue Autobahnbrücke bauen. Dafür muss die ehemalige Giftmülldeponie wieder aufgerissen werden. Was für Umweltschützer eine Hiobsbotschaft ist, nennt „Straßen.NRW“ ein „kalkulierbares Risiko“: Probebohrungen auf dem Gelände der Dhünnaue hätten ergeben, dass keine Substanzen zu finden waren, „die nicht bereits aus älteren Untersuchungen bekannt waren“. Auch die Schadstoffkonzentration bewege sich „in bekannten Größenordnungen“.

Größenordnungen, die Helmut Meuser, Professor für Bodensanierung an der Uni Osnabrück, nur schaudern lassen: „Ich würde sagen, das ist schon ein extremer Fall von Kontamination. Wenn es eben geht, würde ich die Deponie, die ja gesichert ist, nicht öffnen.“ Die meisten der festgestellten Schadstoffe seien nachgewiesenermaßen krebserregend. So wurden bei Probebohrungen etwa hohe Mengen an Chrom VI gefunden. Wenn an diesen Stellen gebaggert würde, könnte das nicht nur für die beteiligten Bauarbeiter gefährlich werden. Durch ein Öffnen der Deponie könnten giftige Gase in großen Wolken austreten, die der Wind dann auch weit forttragen würde, sagt der Wissenschaftler.

Man habe sämtliche möglichen Bauvarianten für die Brücke vorab untersucht, sagt dagegen Projektleiter Thomas Raithel von „Straßen.NRW“. Dabei habe man festgestellt, dass bei der jetzt gewählten Lösung „die geringsten Eingriffe in die Altablagerung“ vorgenommen würden.

Interne Dokumente: Risiken „nicht mit letzter Akribie geprüft“

Doch die Risiken des Brückenneubaus durch die alte Giftmülldeponie sind offenbar gar nicht voll umfassend geprüft worden. Das geht aus einer internen Stellungnahme der Stadt Leverkusen vom Januar 2016 hervor, die WESTPOL vorliegt. Darin kritisiert das städtische Planungsamt, dass „aufgrund der immensen Dringlichkeit des Vorhabens“ verschiedene Untersuchungen und Planüberlegungen „nicht mit letzter Akribie konzeptioniert und geprüft“ worden seien.

Bayer und Straßen NRW: Bund haftet für Schäden

Besonders zufrieden mit dieser Variante dürfte aber die Bayer AG selbst sein: Um die Brücke auf der Giftmülldeponie bauen zu können, wird schon jetzt in großem Umfang der Steuerzahler haften: „Die Haftung für Schäden, die durch die Baumaßnahmen verursacht werden, trägt die Bundesrepublik Deutschland“, erklärt Bayer schriftlich auf WESTPOL-Anfrage. Und auch Projektleiter Raithel von „Straßen.NRW“ bestätigt: Im Auftrag des Bundes werde „Straßen.NRW“ die Flächen, auf denen der Brückenbau stehen soll, kaufen oder gegen andere tauschen. Noch habe man allerdings keine Grundstücke erworben – schließlich läuft derzeit ohnehin erst noch die Genehmigung der neuen Brücke.

[L.-U. Krajewski] Hauptversammlung 2018

CBG Redaktion
Lars-Ulla Krajewski: Gefahren der Dhünnaue-Öffnung Sehr geehrte (Damen und ? ) Herren von Vorstand und Aufsichtsrat, sehr geehrte Damen und Herren Aktionärinnen und Aktionäre, Mein Name ist Ulla Krajewski, und ich spreche für die Coordination gegen Bayer-Gefahren. Das Thema meiner Rede ist die Dhünnaue. Ich fasse mich sehr kurz, weil ich am Ende 6 Fragen zu stellen habe. Die Dhünnaue ist Europas größte Giftmülldeponie, und sie soll geöffnet werden für den Neubau der erweiterten Leverkusener Autobahnbrücke. In der Dhünnaue lagern fast 1 Mio. t. gefährlicher Rückstände aus der Chemie-Produktion wie z. B. Quecksilber, Arsen, Chrom, Blei sowie Chlor-Verbindungen, die munter mit organischen Verbindungen reagieren, so dass niemand genau weiß, was dort im Boden konkret vor sich geht. Die Deponie wurde nach oben und an den Seiten abgedichtet, dennoch entweichen permanent Gase. Nach unten ist die Deponie offen, so dass ständig verseuchtes Wasser abgepumpt und gereinigt wird, und zwar 750 Kubikmeter stündlich. Für die fraglos notwendige Sanierung der Rheinbrücke und die Lenkung der künftig eher noch zunehmenden Verkehrsströme existieren im. Wesentlichen 2 Konzepte: Einerseits die Kombilösung mit einem langen Tunnel unter dem Rhein incl. Abgasfilterung sowie einer kurzen alten oder neuen Brücke – oder andererseits der Neubau einer breiteren, wohl 10-spurigen Rheinbrücke verbunden mit der Öffnung der Giftmülldeponie. Für die Kombilösung mit langem Tunnel würde sprechen, dass die giftigen Altlasten in Ruhe gelassen würden, dass die AnwohnerInnen vor dem Auto- und LKW-Verkehr geschützt würden, dass die Abgaswerte der EU wieder eingehalten werden könnten sowie dass mehr Verkehrsraum für FußgängerInnen und RadfahrerInnen geschaffen werden könnte. Für den Neubau einer breiten Rheinbrücke ohne langen Tunnel würden die zunächst geringeren Kosten sprechen. Jedoch ist zu erwarten, dass dieser Neubau nicht sehr lange halten wird, weil sich erstens der Baugrund Dhünnaue permanent setzt und die Brückenpfeiler auf keinem wirklich festen Grund stehen würden. Zudem ist dieser Boden chemisch äußerst reaktionsfreudig, was zu Beschädigungen an den Brückenpfeilern selber führen kann. Im Jahr 2013 hat die Bayer-Tochter Currenta einen Brandbrief an den Bundesverkehrsminister, den Landesverkehrsminister sowie Straßen.NRW gesandt, um vor dem Tunnel zu warnen. Man drohte mit einer „negativen Wirkung“ auf den Industriestandort Leverkusen. Angeblich wären Gefahrguttransporte durch den langen Tunnel nicht möglich. Inzwischen liegt hingegen ein von der Stadt Leverkusen beauftragtes Gutachten vor, welches besagt, dass dies unter der Beachtung von Sicherheitsvorkehrungen sehr wohl möglich wäre. Die Reaktion von Currenta bestand lediglich im Beharren auf dem Autobahnneubau. Außerdem wurde bekannt, dass Bayer die Haftung für einen Teil der Giftmülldeponie auf den öffentlichen Bauherren, nämlich Straßen.NRW, übertragen konnte. Eine Klage gegen diesen Haftungsübergang war nicht erfolgreich. Ich beginne mit der: Frage 1: Welche Überlegungen haben den Ausschlag gegeben, dass Sie sich im Jahr 2013 für den Neubau der Rheinbrücke und die Öffnung der Dhünnaue entschieden haben? Waren es tatsächlich Bedenken, ob der Gefahrguttransport auch durch einen Rheintunnel geführt werden kann, oder war es nicht vielmehr die Aussicht, sich von der Haftung für einen Gutteil der Dhünnaue-Deponie elegant zu verabschieden? Frage 2: Nachdem im März 2017 das Argument mit dem angeblich unmöglichen Gefahrguttransport durch den Tunnel hinfällig geworden war, haben Sie da nochmals nachgedacht und alle Argumente für die verschiedenen Lösungen gegeneinander abgewogen? Oder haben Sie der Übertragung der Haftung für Teile der Deponie auf die öffentliche Hand nicht widerstehen können, so dass ein Abrücken von der Antastung der Dhünnaue-Deponie unmöglich erschien? Hier komme ich zur Frage 3: Was passiert mit dem verseuchten Wasser, welches unter dem Teil der Deponie entweicht, für den Sie sich der Haftung entledigt haben? Wird das Wasser weiter gereinigt, wenn ja von wem, und erhalten Sie ggf. Geld dafür? Zusammenhängend damit meine Frage 4: Wieviel verseuchtes Wasser, in qm3 pro Stunde, ist aus Ihrem Haftungsbereich gefallen? In der Leverkusener Bevölkerung besteht nämlich die Befürchtung, dass Sie einen viel größeren Teil der Dhünnaue-Deponie abgegeben haben, als es für die Bauarbeiten angemessen bzw. nachvollziehbar gewesen wäre. Dies alles kann natürlich zu erheblichen Imageschäden führen, wenn es publik wird. Darum komme ich zur nächsten Frage 5: Was gedenken Sie im Falle des Falle zu tun, wenn es zu einer Umweltkatastrophe in Leverkusen und Umgebung kommen sollte, oder gar zum GAU: Sie besitzen ohne Zweifel die größten Kenntnisse über Ihre Hinterlassenschaften und über toxikologische Wirkungen, die sich nach derzeitigem Kenntnisstand entfalten könnten: Wollen Sie so handeln wie in der Vergangenheit, ich nenne einmal 2 Beispiele, vor gut 30 Jahren im indischen Bhopal sowie vor 10 Jahren im US-amerikanischen Institute, wo Sie nach schweren Unfällen händeringend von öffentlichen Behörden um Informationen angefragt wurden, aber keine verwertbaren Informationen herausgerückt haben? In Bhopal nach der größten Chemiekatastrophe der Menschheitsgeschichte wurden Ihre Experten stattdessen lediglich gesichtet, wie sie Opfer zählten und Statistiken anfertigten. Würden sie sich das hier im Rheinland auch erlauben? Oder machen Sie sich über diese Fragen noch keine Gedanken nach dem Motto: „Et hätt noch immer jot jejange?“ ! Ich komme zur letzten Frage Nr. 6: Sind Sie nicht auch selber ein wenig in Sorge über die öffentliche Wahrnehmung der Marke Bayer und die Schäden an Ihrem Image, insbesondere in Ihrem Stammland und in der Umgebung Ihres Stammsitzes? Die Entscheidung, den weltweit unbeliebtesten Chemiekonzern Monsanto zu übernehmen, hat nicht nur UmweltschützerInnen und VerbraucherschützerInnen auf die Barrikaden gebracht, sondern auf der letzten Hauptversammlung zu einhelliger Kritik der Aktionäre geführt. Nach meiner Erinnerung hat nicht ein Redner/eine Rednerin die Fusion begrüßt, sondern alle haben Bedenken oder sogar harsche Kritik geäußert. Diese Sache ist noch lange nicht verdaut, und schon bringen Sie die BürgerInnen mit Ihrem nächsten Projekt in Wallung. Da werden auch schmerzhafte Erinnerungen an die geplante CO-Pipeline von Dormagen nach Krefeld angetriggert, die nicht dadurch verblasst sind, dass Sie diesen Klotz am Bein in Richtung Covestro outgesourct haben. Für die AnwohnerInnen ist es exakt das Gleiche, und zwar für alle Betroffenen quer durch den Industriestandort Rheinland! (Der Engländer würde sagen: „piling the agony“ Aber in dieser Versammlung ist ja leider die englische Sprache verboten. Ich fahre auf deutsch fort und bin auch schon am Ende angekommen:) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Falls Sie als Aktionäre ebenfalls nicht einverstanden sind mit der Geschäftspolitik und diese Versammlung noch vor der Abstimmung verlassen wollen, lassen Sie Ihr Stimmrecht nicht verfallen, sondern übergeben Sie Ihren Stimmkartenblock an uns kritische Aktionäre, wir befinden uns vorne links. Sie haben das Recht, uns für Sie abstimmen zu lassen. Vielen Dank!

[Keneth Dietrich] Hauptversammlung 2018

CBG Redaktion
Keneth Dietrich: BAYER aus Leverkusener Perspektive Ich bedanke mich bei der CBG und den kritischen Aktionären für die Möglichkeit, hier zu sprechen. Zuerst zu meiner Person: Ich bin ausgebildeter Chemielaborant, studiere Chemie und Biologie und bin parteiloses Mitglied des Stadtrates der Stadt Leverkusen und gehöre der Ratsgruppe „Die Linke.Lev“ an. Wie man an der Biografie vermuten kann, hat der Bayer-Konzern direkten Einfluss auf viele Bereiche meines Lebens im Privaten wie Professionellen. Heute möchte ich Ihnen eine Einschätzung geben, ob die Bayer AG im letzten Geschäftsjahr ein erfolgreiches Unternehmen war. Ein solches hat meiner Meinung nach gesellschaftliche Verantwortung (Herr Baumann hat es selbst angedeutet). Wirtschaftlich profitabel zu sein, ist nicht das Einzige. Sie bezieht viele Faktoren mit ein, wie z. B. den Umgang mit: - Umwelt - Menschen - Ressourcen - Wissenschaft und Forschung Man wird sie daran messen. Und daran hängt der langfristige Erfolg. Die Menschen sind (nicht perfekt) informiert, aber sie sind interessiert(Hinweis auf die Demonstranten). Das ist auch keine bloße Angst, sie stellen neue Anforderungen an ein modernes und erfolgreiches Unternehmen. Das erleben Sie bei den Themen: - Das berühmt & berüchtigte Marketing, - Missbrauch des Urheber- und Patentrechts, - Dhünnaue: Die Rheinbrücke wird gebaut und den Verkehr entlasten, es fragt    sich, ob nicht auf lange Sicht eine Lösung klüger ist, die die Altlast nicht    berührt (keine eindeutige Antwort), - Gewerbesteuer: „Kleine“ Kommunen kommen auch duch ihre international    ausgerichtete Steuerpolitik in finanzielle Schwierigkeiten. In Leverkusen    macht man sich Sorgen, ob ein noch größerer Konzern die Interessen der Stadt    noch richtig wahrnimmt ( keine eindeutige Antwort),  - PflanzenSCHUTZmittel. Hat bei diesen Themen der Vorstand nachhaltig & erfolgreich gehandelt? Ich wurde gebeten, Sie aufzufordern, gegen Entlastung des Vorstandes zu stimmen! Denken Sie nach, nutzen Sie ihre Stimme, folgen Sie nicht einfach der Stimmung!

[Artikel Spiegel] Landesgartenschau

CBG Redaktion

„DER SPIEGEL“, Ausgabe 13/92, S. 80 bis 85

Bitterfeld am Rhein

Leverkusen erlebt einen beispiellosen Chemieskandal. Bei Menschen, die auf einer Giftmüllkippe leben, häufen sich Krebserkrankungen.

Von 1968 bis 1987 hatte Bernward Prinz an der Gemeinschaftshauptschule im Leverkusener Stadtteil Wiesdorf unterrichtet. Als Werkkunstlehrer musste Prinz häufig in die Abstellräume im Keller, und da, erinnert sich der Pädagoge, „stank es schon mal“. Vor zwei Jahren, Prinz war als Konrektor an eine Kölner Schule gewechselt, spürte der 49jährige Schluckbeschwerden. Der sechste Arzt, den Prinz aufsuchte, stellte eine deprimierende Diagnose: „Tonsillen-Karzinom“, ein Krebs der Mandeln. Fünf schwere Operationen hat der Pädagoge seither durchlitten, nun erwartet er seine Zwangspensionierung.

Edwald Möller war Hausmeister an der Wiesdorfer Schule. Im Keller des Gebäudes trocknete er in seinen 20 Dienstjahren nach Rhein-Hochwassern „Pfützen mit Farben, so schillernd wie ein Regenbogen“. Hin und wieder fand der Pedell „bunte Ausblühungen hinter abbröckelndem Putz“. Im Jahr 1989, lange nach seiner Pensionierung, klagte der damals 70jährige über Schlaflosigkeit und Schweißausbrüche. Ärzte teilten dem Kranken mit, er leide an „chronisch-lymphatischer Leukämie“, einem Blutkrebs.

Der Ort, an dem Möller und Prinz jeweils 20 Jahre lang wirkten, lässt sich unwirtlicher kaum denken: Eine Aschenbahnlänge trennt die 1960 errichtete Schule an der Wiesdorfer Adolfsstraße vom dröhnenden Lärm der Autobahn Al im Norden. Im Westen schmiegen sich die Schulgebäude und ein benachbarter Kindergarten eng an den Autobahnzubringer Westring. Von Süden her grüßen die qualmenden Schlote des Chemieweltkonzerns Bayer (165000 Beschäftigte, über 40 Milliarden Mark Jahressumsatz).

An Abgase und Autolärm hatten sich die Anrainer der sogenannten Dhünnaue in Leverkusen wohl oder übel gewöhnen müssen. Einen Schock aber löste bei vielen die Mitteilung aus, dass sie gleichsam auf einer gigantischen Müllkippe hocken: einer Deponie von 68 Hektar, auf der die Bayer AG zwischen den zwanziger Jahren und 1963 Schutt, Produktionsrückstände und andere giftigen Chemiemüll abgeladen hatte.

Wie in einem „Fortsetzungsdrama ohne Ende“, sagt Marianne Hurten, Grünen-Abgeordnete im Düsseldorfer Landtag. Die Grünen-Politikerin, zugleich Betriebsrätin der Bayer-Werke, vergleicht die Dhünnaue mit der meistverseuchten Chemieregion im deutschen Osten: „Die Bitterfelder haben ihren Silbersee“, sagt sie, „in der Farbenstadt Leverkusen war alles etwas bunter - eben eine Farbkloake“.

Bereits im Mai 1989 hatte die „Beratende Ingenieursgesellschaft Dr.-Ing. Björnsen“ in einem Gutachten für die Stadt Leverkusen gefordert, die Dhünnaue südlich der Al „unverzüglich“ zu sichern und zu versiegeln: „Geeignete Maßnahmen“ seien von Nöten, um „die Kontaktmöglichkeit Mensch-Boden zu unterbinden“.

Auf dem bislang untersuchten Areal dürfe „keine landwirtschaftliche und gärtnerische Nutzung des Bodens“ mehr erfolgen. Die Altlast solle „nicht mehr als Lebensraum für Pflanzen und Tiere genutzt werden“.
Was die Bayer AG einst - im Einvernehmen mit der von ihr finanziell weitgehend abhängigen Stadt Leverkusen - alles in die Dhünnaue gekippt hat, ist heute nur noch zu erahnen. Bislang wurden lediglich Proben aus dem 25 Hektar umfassenden Gebiet südlich der Al und westlich der Schule Adolfsstraße entnommen. Allein hier hat der Chemiekonzern rund drei Millionen Tonnen Müll abgeladen.

Womöglich, warnte bereits der Düsseldorfer FDP-Landtagsabgeordnete Hans-Joachim Kühl nach Gesprächen mit Bayer-Beschäftigten, sei das „Gefährdungspotential“ der Dhünnaue-Deponie größer als die Bedrohung durch die Gifte „in der Erde von Bitterfeld“. Diese Befürchtung hätten ihm Mitarbeiter der Umweltschutzabteilung von Bayer anvertraut.

Die vom Ingenieurbüro Björnsen ausgewerteten Boden- und Wasserproben stützen das Szenario von einem Bitterfeld am Rhein: „Im Oberboden“ der Deponie fanden sich „auffällig hohe Konzentrationen“ von Schwermetallen und giftigen organischen Verbindungen wie Chlorbenzole, Chlortoluole und polychlorierte Biphenyle.
Der „eigentliche Deponiekörper“ ist sogar „mit einem erweiterten Spektrum an Schadstoffen und in deutlich höheren Konzentrationen belastet“; die giftigen Schwermetalle Chrom und Blei finden sich in schier unglaublichen Konzentrationen (22 beziehungsweise 34 Gramm je Kilogramm - g/kg), für Chlorbenzole wurden Werte bis zu 45 g/kg gemessen.

Das Grundwasser ist im gesamten Untersuchungsbereich durch deponiebürtige Stoffe deutlich belastet; „Kratzproben von Kellerfußböden in den Häusern der Siedlung Rheinallee belegen, dass die Deponie ihr Gift gleichsam ausschwitzt - nachgewiesen wurden Blei (21 g/kg), Chrom (20 g/ kg) und eine ganze Palette giftiger organischer Verbindungen.

Die Luft nahe dem Boden “außerhalb bebauter Flächen„ weist “relative Konzentrationen„ von Schadstoffen wie Benzol auf; im Laub von Pflanzen wurden “erhöhte Gehalte„ an Schwermetallen wie Blei, Chrom, Arsen und Cadmium entdeckt. “Mehr als 20„ der 57 in den Proben nachgewiesenen “Stoffe bzw. Stoffgruppen„ gelten als “kanzerogenverdächtig„ oder sind sogar “nachgewiesenermaßen krebserregend„.

Vollends zum Skandal wird der Fall Dhünnaue durch den Umstand, dass, allen Warnungen zum Trotz, noch immer 106 Familien auf der Giftmüllkippe zwischen Rhein und Al leben - in Häusern, die zwischen 1952 und 1953 errichtet wurden.
Und: Nach wie vor unterrichten Lehrer ihre Schüler an der Gemeinschaftshauptschule Adolfsstraße, tummeln sich Pennäler auf dem Schulhof, bringen Eltern ihre Kinder in den benachbarten Kindergarten. Den Betroffenen, so beschwichtigte noch vor vier Wochen der SPD-Landtagsabgeordnete Ludgerus Hovest, sei durch das “Verbreiten von Horrorgemälden„ nicht geholfen.

Nötig, so der SPD-Politiker, sei vielmehr die “Analyse des Problems, das Aufzeigen von Lösungen und deren Umsetzung„. Die “Altlast Dhünnaue„, bestätigte SPD-Umweltminister Klaus Matthiesen die Sicht des Genossen Hovest, sei “ein hochkomplexer und schwieriger Fall, zu dem es bundesweit bisher kaum eine Parallele gibt„.

Ruchbar wurde der Umweltskandal 1987, als für einen Teil der Dhünnaue zu Planungszwecken eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen wurde. Damals waren, unter anderem in Kellerräumen der Schule, alarmierende Konzentrationen von Giften wie Xylol entdeckt worden.

Was seither geschah, liest sich wie eine Chronik des Versagens: Die Stadt reagierte auf die Xylol-Funde von 1987 lediglich mit ein paar Empfehlungen -die Gartennutzung müsse eingeschränkt werden, Kinder dürften nicht mehr auf den Wiesen der Dhünnaue spielen, unbefestigte Wege und Freiflächen wurden mit einem “Begehungsverbot„ (Ordnungsstrafe: 200 Mark) belegt.

Im Februar 1988 bekannte sich Bayer zu seinen Altlasten und gelobte, sich an der Sanierung der Deponie zu beteiligen. Einen Monat später verlangten Leverkusener Ärzte, die Bewohner der Deponie aus medizinischen Gründen umgehend umzusiedeln. Juni desselben Jahres begann der medizinische Gutachter Hans Joachim Einbrodt mit der Untersuchung von 828 Betroffenen. Im Februar 1989 wurden Kinder aus der Adolfsstraße erneut überprüft.

Ergebnis: 25 Prozent der Probanden von 1988 wiesen “auffällige Befunde„ des Blutbildes auf. Bei 16 Prozent der untersuchten Schüler fanden sich Veränderungen am Blutbild. Eine “akute„ Gefährdung der Betroffenen vermochte der Gutachter zwar nicht zu erkennen, er riet gleichwohl dazu, die Schule zu schließen. Denn über eine mögliche “chronische Gefährdung der Probanden„, so Einbrodt, könne er keine Aussagen machen.

Im Februar 1990 mahnte schließlich auch das Gesundheitsamt die Politiker, “die Einrichtung Schule und Kindergarten aus Vorsorgegründen„ zu verlegen - doch wieder geschah nichts.

Den meisten Lehrern und Schülern der Adolfsstraße dämmerte erst später, in welchem Maße ihre Gesundheit womöglich durch die Giftmülldeponie bedroht wird. Letztes Jahr, so erinnert sich Barbara Ulbricht, Lehrerin der Schule Adolfsstraße, sei ein kranker Kollege von der Schulaufsicht angerufen worden: Er möge sich doch, wurde dem Pädagogen mitgeteilt, “mal vom Amtsarzt untersuchen lassen„.

Im Dezember letzten Jahres schließlich erfuhren die Lehrkräfte, dass es an ihrer Schule in den letzten 15 Jahren insgesamt 15 Krebserkrankungen gegeben habe, darunter fünf mit tödlichem Ausgang - weit mehr, als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Und jetzt erst, so bestätigte die Staatsanwaltschaft Köln, wird “in Sachen Schule Adolfsstraße„ wegen des Verdachts der Gesundheits- und Körperverletzung ermittelt.

“Patentrezepte„, beschwichtigt nun die Stadt Leverkusen die verbitterten Bewohner und Anrainer der Giftdeponie am Rhein, habe es “für die Dhünnaue leider nicht gegeben„. Immerhin, lobten die Kommunalverwalter ihr eigenes Engagement, seien von den 259 Familien der Siedlung Rheinallee “heute 156 versorgt„ mit neuem Wohnraum; Ende dieses Monats “sollen es 189 sein„. Bis zum Oktober, verspricht die Stadt, werde “das Kapitel „neue Wohnungen“ abgeschlossen„ sein.
Ein anderes Kapitel des Skandals ist noch nicht einmal angegangen worden: Zwei Tage vor Weihnachten 1989 hatte die Firma Bayer, festtäglich gestimmt, versprochen, das Gelände mit ihrer Müll-Altlast mittels einer Spundwand abzusichern - geschätzte Kosten: 150 Millionen Mark.

Doch bis zum heutigen Tag ist nicht eine einzige Stahlplanke von der versprochenen Spundwand eingerammt worden. Dabei warnen Experten, dass Deponiegifte schon bei mittlerem Rheinwasserstand mit dem Grundwasser ins Landesinnere geschwemmt und bei ablaufendem Rheinwasser in den Strom gesogen werden.

Insgesamt zehn Verträge sind bislang zwischen der Bayer AG und der Stadt Leverkusen abgeschlossen worden. Dieser von der Stadt so genannte “partnerschaftliche„ Weg wurde eingeschlagen, weil es, wie Minister Matthiesen erläutert, “wegen der Unklarheit der Rechtslage nicht erfolgversprechend erschien„, gegen den Konzern mit “Ordnungsverfügungen vorzugehen„.
Zu den Betroffenen, die unter dem Hickhack leiden, zählen auch die Bewohner eines Altenheimes am Rande der Deponie. “Über den Fortbestand des Altenwohnheims„, so die Stadt, werde “in nächster Zeit in Abstimmung zwischen allen Beteiligten" eine Entscheidung gefällt.

Vor den Alten sind die Haustiere evakuiert worden: Der Verein für Deutsche Schäferhunde e.V., der das Gebiet der Deponie lange Zeit als Klub- und Übungsgelände nutzte, hat das giftbelastete Areal bereits verlassen.