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[Nobelpreisträger] BAYERs Nobelpreisträger

CBG Redaktion

IG FARBEN & heute

Gerhard Domagk im „Dritten Reich“

BAYERs Nobelpreisträger

Der Arzt und Psychoanalytiker Dr. rer. nat. Detlev Stummeyer stieß bei seinen Familien-Forschungen auf einen Briefwechsel des ehemaligen BAYER-Forschers Gerhard Domagk mit dem Großvater seiner Frau, Paul Bosse, dem Chirurgen und Autoren der Monografie „Die örtliche Sulfonamidtherapie“ (1942). Seitdem beschäftigt er sich mit dem Mann, der in keiner BAYER-Festschrift fehlen darf. Domagk entdeckte nämlich 1932 die antimikrobielle Wirkung der Sulfonamide und erhielt dafür 1939 den Medizin-Nobelpreis. Den durfte er allerdings nicht annehmen. Stattdessen verbrachte er sogar einige Tage in Haft. Aber reicht diese Episode, um aus dem Wissenschaftler einen Regime-Gegner zu machen? Das Stichwort BAYER geht der Frage nach.

Von Detlev Stummeyer

Gerhard Domagk und die Sulfonamide gehören zusammen. 1932 entdeckte der BAYER-Wissenschaftler die antimikrobielle Wirkungsweise dieses Pharma-Stoffes, und nicht wenige sehen darin zu Recht eine wahre Revolution der Behandlungsmöglichkeiten in der Medizin. Wahre Wunderdinge erwartete die Fachwelt damals von den Sulfonamiden. In so gut wie allen Disziplinen der Heilkunst halten die Sulfonamide ihren Einzug – heutzutage würde man es einen „Hype“ nennen. Domagk, der zu der Zeit im Wuppertaler Werk der von BAYER mitgegründeten IG FARBEN die Stellung eines Abteilungsleiters innehat, reagiert etwas zurückhaltender. Er streicht zwar deutlich die neuartigen Qualitäten der heute eher ein Schattendasein fristenden Sulfonamide heraus, verbindet dies aber mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer genauen Indikationsstellung und dringt auf die Beachtung bestimmter Regeln bei ihrer Anwendung wie etwa eine möglichst frühzeitige Einnahme in genügend hoher Dosierung und Menge.
Für seine Entdeckung der Wirkkraft der Sulfonamide erhält Domagk 1939 den Medizin-Nobelpreis. Er darf die Auszeichnung allerdings nicht entgegennehmen. Da Hitler die Verleihung des Friedensnobelpreises an den antifaschistischen Journalisten Carl von Ossietzky sehr erzürnt, untersagt er 1937 allen Deutschen, den Nobelpreis anzunehmen. So bedankt sich Domagk in einem offiziellen Brief für die Ehrung, äußert jedoch starke Zweifel daran, den Preis annehmen zu können. Schon allein das ist den Nazis zu viel. Nach dem Willen des Auswärtigen Amts und der Reichskanzlei sollte nämlich die deutsche Gesandtschaft in Stockholm die Ablehnung verkünden. Der BAYER-Forscher startet einen Versuch, Hitler umzustimmen. Er wendet sich persönlich an ihn und bittet, das Preisgeld für wohltätige Zwecke spenden zu dürfen. Die „Pflege von deutschen Verwundeten und solchen des Feindes“ in deutscher Hand schlägt er vor, „falls nicht eine andere Regelung im Interesse des Reiches wichtiger ist“. Das Schreiben bleibt jedoch ohne Antwort. Zwischenzeitlich kann der Bakteriologe und Pathologe noch einmal Hoffnung schöpfen, denn mit Adolf Butenandt und Richard Kuhn gibt es weitere deutsche Nobelpreisträger und in der Folge Fürsprecher für eine Annahme. Hitler bleibt jedoch bei seinem Entschluss. Und Domagk kommt am 17.11. sogar für mehrere Tage in Haft – auf Geheiß des „Führers“ wegen „verbotener internationaler“ Kontakte, wie der Forscher während des Krieges von einem ihm bekannten Professor und höheren NS-Funktionär erfährt. Einen vorformulierten, ablehnenden Brief an das Nobelpreis-Komitee müssen die drei Geehrten unterschreiben: Domagk kurz nach seiner Haft, Butenandt nach einer Bedenkzeit, Kuhn den Zusatz „Des Führers Wille ist unser Glaube“ hinzufügend.
Aber weist die Affaire um den Nobelpreis Domagk schon als Gegner des Nationalsozialismus aus? Ganz so einfach stellt sich der Sachverhalt nicht dar. Hitlers Intervention wird kurz nach Domagks Haft in einem geheimen Schreiben mit dem „illoyalen Verhalten“ des Wissenschaftlers gegen das Reich begründet, gleichzeitig wird seine wissenschaftliche Leistung hervorgehoben. Die auf Domagks Ansehen als unbestechlicher Patriot bedachte Biographie von Ekkehard Grundmann1 lässt die erst in den 1960er Jahren verfassten Erinnerungen Domagks zu einem authentischen Tagebuch werden. Grundmann ist es, der wichtige Abschnitte ausblendet, in denen sich Domagk als Nutznießer des NS-Systems zu erkennen gibt. Hingegen attestiert im November 1939 der SD (Sicherheitsdienst, Außenstelle Wuppertal) dem Forscher, „voll auf dem Boden des Nationalsozialismus“ zu stehen2.
Für Domagks Karriere hat die Haft dann auch keine negativen Folgen. Er erhält kein Reiseverbot, im Gegenteil, er fährt ab 1940 vielfach zu Ehrungen ins faschistische Ausland, wird aber auch im Inland ausgezeichnet. Zudem erhält er als geschätzter Wissenschaftler weiterhin Einladungen zu Vorträgen und Kongressen. „Aus dem Ministerium in Berlin (Prof. Mentzel) (einflussreicher Wissenschaftspolitiker und hohes SS-Mitglied, Anm. SWB)“ wird ihm bedeutet, dass man ihn für seinen Verzicht auf den Nobelpreis entschädigen wolle, berichtet Domagk in seinen Erinnerungen. Und er ist geschmeichelt und genießt sichtlich die vielfältigen Kontakte auf seinen Reisen ins Ausland, die ihn auch mit staatlichen Würdenträgern und faschistischen Parteifunktionären zusammenbringen. Er gibt sich als ein überzeugter Deutsch-Nationaler zu erkennen, der lange Hitlers Erfolge feiert. Er ist kein Nationalsozialist, aber ein Beispiel dafür, wie es die Machthaber im „Dritten Reich“ verstanden haben, mit Hilfe von Gratifikationen auch dem NS-System ursprünglich nicht nahestehende Personen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, solange es genügend ideologische Übereinstimmungen gibt. Im Falle von Domagk verschränkt sich diese Zusammenarbeit mit der engen Verstrickung seines Arbeitgebers, der IG FARBEN, mit dem Hitler-Regime. Noch Anfang der 1960er Jahre, zu der Zeit, als er an seinen Erinnerungen schreibt, spricht er rückblickend angesichts von innerbetrieblichen Konflikten im Jahr 1943 von mehreren Angeboten. Er müsse nur „zusagen“, dann werde der Gau Ostpreußen für ihn ein Institut errichten oder er könne in einem Werk in Schlesien weiter forschen – der Wechsel nach Ostpreußen bleibt allerdings ebenso aus wie der nach Monowitz, wo die IG FARBEN ein eigenes KZ betreibt.
So nimmt es kein Wunder, dass er Ende 1943 durch den Reichsminister des Inneren Heinrich Himmler zum Ehrenmitglied des Robert-Koch-Institutes, das sich an Menschenversuchen mit KZ-Häftlingen beteiligt, ernannt wird. 1944 wird er in den Wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigen für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, Karl Brandt, berufen. Ebenfalls 1944 wird er für seine Entdeckungen auf dem Gebiet der Sulfonamide mit dem „Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes“ ausgezeichnet – eine Ehrung, die nur mit Hitlers persönlicher Zustimmung erfolgen kann. Noch am 30.1.45 erhält der BAYER-Wissenschaftler von der Universität Münster, an der er Pathologie lehrt, die Ehrendoktorwürde. Aus der Hand des Rektors, dem fanatischen Nationalsozialisten Herbert Siegmund, nimmt er sie entgegen. Für die anlässlich dieser Ehrung ausgerichtete Feier in Salzuflen, wohin die Medizinische Fakultät in den letzten Kriegsmonaten ausgelagert wird, bedankt er sich vielmals beim Rektor, mit Wünschen für „ihre aufblühende Universität als Vorbild künftiger deutscher Hochschulen“. Kein Zweifel: Domagk gehört, auch während der NS-Zeit, zur ärztlichen Elite Deutschlands.
Sein Interesse an den Sulfonamiden rührt von seiner Erfahrung als Sanitäter im Ersten Weltkrieg her. Damals vermag man gegen Gasbrand-Infektionen, eine besonders schwere Wundinfektion, nichts auszurichten; sie enden zumeist mit einer Amputation oder dem Tod. Darum kämpft Domagk nun dafür, dass den Militär-Ärzten bei der Behandlung von Wundinfektionen die Anwendung von Sulfonamiden befohlen wird. Im Sonderlazarett Brüssel demonstriert der Mediziner im Sommer 1942 die Wirkung bereits eingesetzter Sulfonamide an Tieren. Aber obwohl er damit den Heeres-Sanitätsinspekteur Siegfried Handloser und Karl Brandt, Begleitender Arzt Hitlers und mitverantwortlich für die Ermordung von geistig und körperlich Behinderten im Zuge der Aktion T4, überzeugt, wird die bestehende Empfehlung für die Anwendung von Sulfonamiden bei Wundinfektionen nicht umgewandelt in eine Anweisung mit Befehlscharakter – und dies ändert sich auch im ganzen Krieg nicht mehr.
Im Gegensatz dazu entscheiden sich die Alliierten sehr früh für den obligaten Einsatz von Sulfonamiden bei Wundinfektionen. Die Engländer erbeuten 1943 in Nordafrika von der deutschen Armee zurückgelassenes, ihnen unbekanntes Sulfonamid, das IG-Produkt Marfanil. Als dieses Medikament in englischen Kliniken getestet wird, stellt man fest, dass es das wirkungsvollste, bisher untersuchte Sulfonamid gegen Gasbrand sei. Amerikanische Forscher hielten 1940 dieses Sulfonamid in ihren Händen, unterließen aber eine Testung auf anaerobe Bakterien, die Erreger des Gasbrands – so entging ihnen die besondere Wirksamkeit dieses Stoffes gegen Gasbrand-Infektionen.
In Deutschland tobt derweil ein erbitterter Streit um die Anwendung von Sulfonamiden bei Kriegswunden zwischen um ihr Fach fürchtenden, einflussreichen Chirurgie-Professoren auf der einen Seite und nicht so renommierten Chirurgie- und Dermatologie-Professoren sowie Militär-Ärzten auf der anderen Seite. Immer wieder versucht Domagk zaudernde Kollegen von der Notwendigkeit eines obligaten Einsatzes von Sulfonamiden gegen Gasbrand-Erreger zu überzeugen. Sie lassen aber nur eine großzügige Ausschneidung der Wundränder als chirurgische Behandlung gelten; sie befürchten eine Vernachlässigung chirurgischer Maßnahmen und bestreiten den Nutzen einer zusätzlichen medikamentösen Behandlung mit Sulfonamiden. Allerdings werden die Sulfonamide bis Kriegsende massenweise bei Wundinfektionen an der Front eingesetzt, und ihr praktischer Nutzen spricht eine eindeutige Sprache: Viele Leben werden durch diese Behandlung gerettet. Trotzdem wird 1949 auf dem Chirurgie-Kongress in Frankfurt die Wirksamkeit der Sulfonamide zur Verhinderunng oder Linderung von Wund-Infektionen angezweifelt. Es werde bei aller Begeisterung „eine Nachlese geben (...), und diese Nachlese wird eine sehr chirurgische sein“, bekommt Domagk nach seinem Vortrag von Eduard Rehn, dem Präsidenten der „Deutschen Gesellschaft für Chirurgie“ zu hören.
Traurige „Berühmtheit“ erlangen die Sulfonamide durch die Menschenversuche in den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen, vor allem aber durch die im KZ Ravensbrück ab Juli 1942. Zwar hat es schon ab 1939/40 Versuche zur Gasbrand-Behandlung gegeben, aber nach dem Scheitern der „Blitzkriege“ und einer bedrohlich steigenden Zahl von Kriegsverletzten drängen Wehrmacht und Waffen-SS auf eine Klärung des Streits. Die Art, wie das geschieht, spricht nicht nur jedem moralischen Empfinden Hohn, sie hält auch keinen wissenschaftlichen Kriterien stand, nicht zuletzt deshalb, weil ein Mediziner damit nur sein persönliches Interesse verfolgt.
Nach dem Tod des hohen SS-Führers Reinhard Heydrich im Juni 1942 durch ein Attentat gerät nämlich der seine Behandlung beaufsichtigende Chirurg Karl Gebhardt bei Hitler und Himmler unter Druck, hat er doch als entschiedener Gegner der neuen Therapie bei der durch die Verletzungen ausgelösten Sepsis eine Behandlung mit Sulfonamiden unterlassen3. Er setzt durch, dass die Menschenversuche unter seiner Aufsicht und Bewertung im KZ Ravensbrück erfolgen, um seinen Therapie-Ansatz zu stützen. So dienen als Versuchspersonen nicht etwa die im KZ bereits an Gasbrand erkrankten Häftlingsfrauen. Stattdessen infizieren Ärzte Versuchspersonen neu. Durch das Einbringen von Gasbrand-Erregern, Holzspänen und Glassplittern in eine tiefe, künstlich gesetzte Wunde erzeugen die Mediziner in der letzten von drei Versuchsserien das Vollbild einer Gasbrandinfektion. Den zur Behandlung mit Sulfonamiden ausgewählten 24 jungen polnischen Häftlingsfrauen wird jedoch nicht die ausreichende Dosis an Sulfonamiden verabreicht. Im Ergebnis zeigt sich so kein wesentlicher Unterschied zu den unbehandelten Versuchspersonen. Von den 24 Polinnen sterben schließlich fünf an einer Infektion, sechs werden nach Versuchsende erschossen. Die Überlebenden sind nach dem Erleiden höllischer Qualen zumeist invalide. Gebhardt wird bei den Nürnberger Prozessen dafür bestraft: Wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhängen die Richter die Todesstrafe.
Im Mai 1943 werden die Resultate – weitgehende Wirkungslosigkeit der Sulfonamide bei der Behandlung einer Gasbrand-Infekton – schließlich vor der versammelten akademisch-ärztlichen und militär-ärztlichen Elite Deutschlands referiert, ohne dass eine einzige protestierende Stimme sich erhebt, als deutlich wird, dass diese Versuche an wehrlosen Opfern durchgeführt wurden. Trotz des negativen Ausgangs der Menschenversuche setzt sich dann in der Wehrmacht die Behandlung des Gasbrands mit Sulfonamid, speziell mit dem IG-Produkt Marfanil, zunehmend durch.
Die spätere Behauptung Domagks, er habe von der Existenz der Konzentrationslager und damit der Menschenversuche erst nach dem Krieg erfahren, ist stark anzuzweifeln. Ein Forscher mit seinem Renommee und in seiner Stellung hatte wissenschaftlichen Kontakt zu Medizinern, die in Menschenversuche involviert waren – auch IG-Kollegen in Wuppertal-Elberfeld sind das. Zudem soll er persönlich Marfanil-Proben an Gebhardt geschickt haben4. Auf jeden Fall muss das ‚Übersehen’ der verbrecherischen Experimente sehr viel psychischen Aufwand gekostet haben.
Domagk wendet sich gegen Ende des Krieges dann mehr der Entwicklung von Tuberkulostatika zu, wobei er um die Unterstützung seiner Vorgesetzten kämpfen muss, denen eine wissenschaftliche Arbeit auf dem mehr Gewinne versprechenden Gebiet der Sulfonamide lieber gewesen wäre. Aus den Tuberkulostatika-Forschungen wird jedoch seine zweite Großtat erwachsen: die Entwicklung von Conteben und Neoteben (INH). Woran er ab Frühjahr 1944 bis Kriegsende forscht, bleibt im Unklaren, darüber schweigt Domagk. Dass auch er zu denen gehört, auf die der Nationalsozialismus angewiesen ist, wovon der Wissenschaftler wiederum profitiert, hat er da schon längst vergessen. Bereits in seinen Entnazifizierungsunterlagen schreibt er im September 1945, er habe „auf Veranlassung der Universität“ das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes verliehen bekommen. Dass es der Rektor des „Totalen Krieges“, sein Kollege im Wissenschaftlichen Beirat von Karl Brandt und Freund Herbert Siegmund ist, der ihn für die Ordensverleihung im Dezember 1943 dem Reichsmarschall Göring vorschlägt, spielt hier keine Rolle mehr. Domagk hat so an seiner eigenen Legendenbildung gearbeitet, aber andere haben gerne daran mitgewirkt und sie befördert – bis heute.

1Ekkehard Grundmann, Gerhard Domagk. Der erste Sieger über die Infektionskrankheiten. Münster 2001. Hier S. 3; besonders eklatant S. 110.
2Alfred Neubauer, Bittere Nobelpreise. Norderstedt 2011. Hier Pos. 481 (eBook)
3 Offiziell stirbt Heydrich an Sepsis. Hardt findet in einer Nachschau der Obduktionsbefunde keinen Hinweis auf ein septisches Geschehen. (Hardt, Nicolas: Das Attentat von Prag 1942 und die Chirurgie – Zwischen Wissenschaft und Politik, in: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (Hg.): Mitteilungen, Heft 2/2012, S. 157–164, hier S. 161).
4Paul Weindling, Victims and Survivors of Nazi Human Experiments. Science and Suffering in the Holocaust. London 2015, S. 86.

Im Namen BAYERs

CBG Redaktion

CO & Co.

BVG: Kohlenmonoxid-Pipeline verfassungsgemäß

Im Namen BAYERs

Die nordrhein-westfälische Landesregierung darf Enteignungen vornehmen, um den Weg für BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline freizumachen, befand das Bundesverfassungsgericht am 21. Dezember 2016 in einem Skandal-Urteil. Die GegnerInnen der Giftgas-Leitung lassen sich von diesem Beschluss jedoch nicht entmutigen.

Von Jan Pehrke

Seit Urzeiten beschäftigt die Kohlenmonoxid-Pipeline nun schon die Gerichte. So wehrte sich etwa der Monheimer Landwirt Heinz-Josef Muhr dagegen, Teile seines Grundstücks für den Röhren-Verbund hergeben zu müssen und reichte 2007 eine erste Klage ein. 2011 kam es vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht zu einer Verhandlung. In zweiter Instanz landete das Verfahren dann beim Oberverwaltungsgericht Münster (OVG). Aber dort blieb es nicht lang. Die RichterInnen sahen durch den Fall nämlich Verfassungsfragen berührt. Sie hatten erhebliche Zweifel daran, ob das nordrhein-westfälische Rohrleitungsgesetz, mit dem die Düsseldorfer Landesregierung der Giftgas-Leitung den Weg zwischen den beiden BAYER-Standorten Dormagen und Krefeld/Uerdingen freimachen wollte, überhaupt verfassungsgemäß ist. Enteignungen zum Gedeih eines Großkonzerns mit dem Verweis auf das Allgemeinwohl zu legitimieren, wie es das auch „Lex BAYER“ genannte Paragrafen-Werk tut – das mochten die JuristInnen nicht so einfach akzeptieren. Durch ein solches Projekt könne „das Wohl der Allgemeinheit allenfalls mittelbar gefördert werden“, konstatierten sie und befanden, das Rohrleitungsgesetz müsse sich „an den hohen Anforderungen messen lassen, die das Grundgesetz für eine Enteignung zugunsten privater Unternehmen enthalte“. Zur Überprüfung der Sachlage entschloss sich das Gericht deshalb im August 2014, das Bundesverfassungsgericht (BVG) anzurufen.
Mehr als zwei Jahre später – Muhr war inzwischen verstorben, aber seine Witwe führte die juristische Auseinandersetzung für ihn weiter – gab das Bundesverfassungsgericht dann seine Entscheidung bekannt. Es nahm die RichterInnen-Vorlage aus Münster nicht einmal zur Entscheidung an. „Der Vorlage-Beschluss entspricht nicht den Begründungsanforderungen. Er begründet die angenommene Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nur unzureichend“, urteilte die 2. Kammer des Ersten Senates am 21. Dezember 2016 (nicht). Auf neun Seiten fasste sie ihre Motive für die Ablehnung zusammen. De facto kam diese Instant-Rechtsprechung damit doch einem RichterInnen-Spruch gleich.
Das Bundesverfassungsgericht monierte unter anderem, das OVG habe dem weiten Spielraum, den die Verfassungsregelungen zu Enteignungen einräumen, nicht genügend Rechnung getragen. Überdies hätte es die Gründe nicht ausreichend gewürdigt, die das Pipeline-Gesetz zur Legitimation der Eingriffe anführt. Die drei Karlsruher RichterInnen selbst ließen hingegen Sympathie für die Darlegungen erkennen, wonach die Rohrleitung zum Allgemeinwohl beitrage und Inbesitznahmen fremden Eigentums deshalb gesetzeskonform erfolgen könnten. So hielten die JuristInnen etwa in Übereinstimmung mit dem NRW-Gesetzgeber fest, „dass die vom Rohrleitungsgesetz zugelassene Enteignung nicht nur dem die Anlage betreibenden Unternehmen dient, sondern einer Vielzahl von Kohlenmonoxid verarbeitenden Betrieben in der Region zugutekommt“. Und das steigert das Bruttosozialprodukt und dient – der Logik des BVG zufolge – so dem Allgemeinwohl.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN bezeichnete das Karlsruher Votum in einer Presseerklärung als „krasses Fehlurteil“ und warf der 2. Kammer mangelnde Sachkenntnis vor. „Von der CO-Pipeline profitiert zum größten Teil, wenn nicht sogar ausschließlich die BAYER-Tochter COVESTRO“, hieß es in dem Text. Die STOPP BAYER-CO-PIPELINE-Initiativen gingen in ihrem Statement sogar noch weiter: „Das könnte man fast schon als ‚Fake News’ bezeichnen, denn kein weiteres Unternehmen auf der Strecke von Dormagen und am Endpunkt Uerdingen verarbeitet Kohlenmonoxid (CO).“
Überdies sieht das Bundesverfassungsgericht den Röhren-Verbund fälschlicherweise als alternativlos an, denn es besteht die Möglichkeit, das Gas vor Ort, per Steam Reformer, zu produzieren, was die COVESTRO in Dormagen auch bereits tut. Damit entfällt jedoch die rechtliche Voraussetzung für die Enteignungen. Das Rohrleitungsgesetz selber hält diese nämlich nur dann für zulässig, wenn „der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise, insbesondere aus Grundbesitz des die Anlage errichtenden und betreibenden Unternehmens, nicht erreicht werden kann“. Mit diesen technischen Fragen hat sich das BVG skandalöserweise aber gar nicht befasst. Wohl auch nur deshalb schreibt es der CO-Leitung „eine vergleichsweise geringe Belastungsintensität“ zu und verharmlost damit das Kohlenmonoxid in unverantwortlicher Weise. Allein die von diesem Giftgas ausgehenden Risiken sprechen jedem Verweis auf das Allgemeinwohl Hohn.
BAYER zeigte sich natürlich hocherfreut über so viel juristische Ignoranz. „Die Einschätzungen, die das BVG anführt, entsprechen unserer Auffassung“, ließ die COVESTRO verlauten. „Die Richter in Karlsruhe formulieren, dass das Gesetz aus ihrer Sicht geeignet ist, dem Allgemeinwohl zu dienen und bestätigen damit die hinreichende Bestimmheit der gesetzlichen Formulierungen“, befand NRW-Standortleiter Klaus Jaeger. Der Konzern macht sich nun Hoffnung auf eine baldige Betriebsgenehmigung. Ob sich dies erfüllt, steht jedoch noch lange nicht fest. Einstweilen landet die Klage jetzt nämlich erst einmal wieder beim Oberverwaltungsgericht Münster. Die RichterInnen wollen ihre Arbeit nun an dem Punkt fortsetzen, an dem sie diese für Karlsruhe unterbrochen hatten. „Das Prüfprogramm beginnt jetzt“, erläuterte der Pressedezernent Dr. Ulrich Lau auf Anfrage von Stichwort BAYER und verwies dabei unter anderem auf das Sicherheitskonzept und andere Fachfragen. Als „sehr komplex“ und „Tausende von Seiten“ umfassend beschrieb er diesen Vorgang. Also dürften wieder so einige Jährchen ohne den Kohlenmonoxid-Verbund ins Land ziehen. Die Anti-Pipeline-Initiativen lassen sich dann auch vom Bundesverfassungsgericht nicht entmutigen. „Wir kämpfen weiter und sind auf weitere kreative und aktive Jahre eingestellt“, kündigten sie an.

HERVORHEBUNG:

Allein die von diesem Giftgas ausgehenden Risiken sprechen jedem Verweis auf das Allgemeinwohl Hohn

[Hybrid-Weizen] Das große Geschäft lockt

CBG Redaktion

Pflanzen & Saaten

BAYER & Co. setzen auf Hybrid-Weizen

Das große Geschäft lockt

BAYER & Co. wollen mit allen Mitteln ihre Gewinne sichern und weiter steigern. Seit einigen Jahren versuchen sie, aus der Weizen-Züchtung ein globales, lukratives Geschäft zu machen. Auch hier setzen sie auf gentechnisch veränderte Pflanzen und Lizenz-Gebühren. Ein wichtiger Teil ihres Weizen-Programms besteht zudem darin, einen Hybrid-Weizen zu entwickeln, also eine nicht zur Wiederaussaat geeignete Sorten zu züchten, um die Bauern und Bäuerinnen vom Nachbau abzuhalten. Ein Ende des Nachbaus beim Weizen aber heißt: eine noch größere Abhängigkeit von Konzern-Interessen.

Von Eva Gelinsky und Hans-Dieter von Frieling

Das Thema „Nachbau-Gebühren“ bei Getreide werde über kurz oder lang Geschichte sein, so konnte man im Mai 2016 im Internet-Portal des Branchendienstes Top Agrar lesen. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass die Nachbau-Gebühren für diese Arten abgeschafft werden sollen, im Gegenteil. Wenn sich der „illegale“ bäuerliche Nachbau nicht auf rechtlichem Weg verhindern lässt, dann wird es eben auf biologische Weise versucht. Hybrid-Getreide lässt sich schließlich nicht sorten-echt vermehren. Was bei Fremdbefruchtern wie Roggen gut funktioniert – hier beträgt der Hybrid-Anteil bereits über 75 Prozent – soll nun endlich auch beim Selbstbefruchter „Weizen“ klappen. Europa-weit sei Hybridweizen mit ca. 500.000 ha Anbaufläche bereits eine „Erfolgsgeschichte“ und in Deutschland ein „Zukunftsmarkt“ (derzeit ca. 20.000 ha), erklärte Gero Heumann von der SAATEN-UNION, der Vertriebsorganisation mittelständischer Pflanzen-Züchter.
An dieser „Erfolgsgeschichte“ wollen offensichtlich viele Unternehmen teilhaben. Seit 2009 arbeiten einige der ganz Großen – darunter MONSANTO, BAYER, SYNGENTA, BASF, KWS, VILMORIN und DUPONT PIONEER – (teilweise wieder) an der Entwicklung von Hybrid-Weizen. An vollmundigen Versprechen mangelt es nicht. So wollen BAYER und SYNGENTA die ersten Sorten bereits ab 2020 auf den Markt bringen, wobei der schweizer Agro-Riese das Spitzenumsatz-Potenzial laut Medien-Mitteilung vom September 2015 auf über drei Milliarden US-Dollar taxiert. Doch sind die Erfolgsaussichten für die Unternehmen tatsächlich so rosig? Zweifel sind angebracht. Zum einen ist der Ertragszuwachs der Hybrid-Gewächse, der sogenannte Heterosis-Effekt, bei Selbstbefruchtern kleiner als bei Fremdbefruchtern. Bei Hybridweizen soll er z. B. nur bei rund 10 Prozent liegen, bei Hybrid-Roggen sind dagegen Steigerungen bis zu 280 Prozent möglich. Die SAATEN-UNION selbst bemerkt, dass die LandwirtInnen, angesichts der um 60 Prozent höheren Aussaat-Kosten von Hybrid-Getreide, unter Umständen mit leistungsfähigen Liniensorten die bessere Wahl treffen würden. Zum zweiten besteht das Problem, dass die Erzeugung von Hybrid-Saatgut komplex ist und im großen Maßstab einen solchen Hybrid-Mechanismus erfordert, durch den Selbstbefruchtung ausgeschlossen und eine Kreuzbefruchtung gesichert wird.

Die Möglichkeiten der Hybrid-Züchtung bei Winter-Getreide sind:

• Manuelle Kastration. Diese ist bei Getreide zu aufwendig und kommt deshalb nicht in Frage.

• Chemische Kastration der Mutterlinien über das Versprühen chemischer Stoffe (Gametozide). Auch dieses Verfahren ist aufwendig, zudem im Ergebnis unsicher und kritisch, weil man die Übertragung des toxischen Stoffes auf die Hybriden vermeiden muss. Bisher ist nur ein Wirkstoff in der EU zugelassen. Dieser darf nur in Frankreich angewendet werden.

• Genetische Eingriffe, vor allem über die Cytoplasmatische Männliche Sterilität/CMS. Bei diesem Verfahren werden in der Mutterlinie Mutationen induziert, die zu männlicher Unfruchtbarkeit führen. Hier besteht allerdings das Problem, dass diese Ausschaltung der Selbstbefruchtung nicht immer vollständig gelingt und eine aufwendige Selektion der männlich sterilen Pflanzen notwendig ist. Zudem muss anschließend die männliche Fertilität (das natürliche Reproduktionssystem) mittels einer Restorer-Linie wiederhergestellt werden.

• Hoffnungsträger sind aktuell verschiedene gentechnische Ansätze, welche die Sterilität durch die Veränderung des Genoms erzeugen sollen. Ein Problem ist jedoch bislang, dass in den fertigen Hybriden das transgene Event noch enthalten ist. Das Ergebnis wäre ein GV-Hybridweizen.

All diese Methoden haben nicht nur verschiedene technische Tücken – das soll nach ExpertInnen-Meinung auch für die neuen gentechnischen Ansätze gelten – sondern sie sind auch (noch) zu teuer für eine Saatgut-Produktion im großen Maßstab. Ob es den angekündigten Durchbruch in den nächsten Jahren also tatsächlich geben wird, ist zumindest fraglich. Die aktuellen Entwicklungen sollten dennoch aufmerksam und kritisch verfolgt werden. Denn die Politik fördert die Hybridweizen-Züchtung massiv, und die großen Saatgut-Konzerne haben die (Hybrid-)Weizenzüchtung (wieder-)entdeckt und viel Geld investiert. So gibt es allein in Deutschland seit 2007 mindestens ein Dutzend öffentlich (mit)finanzierte Forschungsprojekte wie etwa zur Entschlüsselung des Weizengenoms, zu neuen CMS-Verfahren (z. B. „Gene-Splitting“) und zu Vorhersagen der Hybrid-Leistung. Auch auf der internationalen Ebene ist die Politik aktiv geworden und unterstützt Forschungsgroßprojekte zur Weizen- und vor allem Hybridweizenzüchtung, darunter die 2014 gegründete International Wheat Yield Partnership (IWYP). Ziel ist eine Steigerung der Weizen-Erträge um 50 Prozent bis 2034. In den ersten fünf Jahren sollen 100 Mio. US$ bereitgestellt werden. Das Projekt arbeitet in enger Kooperation mit privaten Unternehmen wie BAYER, DUPONT PIONEER, DOW AGROSCIENCE, SYNGENTA und KWS. Die Saatgut-Konzerne versuchen, sich den exklusiven Zugang zu weizen-genetischen Ressourcen zu sichern, einerseits durch Kooperationsverträge mit Universitäten und Forschungsinstituten, andererseits durch den Aufkauf von Unternehmen. Zu den Sorten und Linien, die sich in der Hand der großen Multis befinden, erhalten kleinere Unternehmen kaum oder gar keinen Zugriff mehr. Aufgrund ihrer Kapital-Ausstattung können die Großen mehr Geld in die Forschung und Entwicklung investieren als kleinere Firmen und haben bessere Möglichkeiten, um intellektuelle Eigentumsrechte durchzusetzen. Und je mehr Patente angemeldet werden, desto unübersichtlicher und riskanter wird es für kleinere Unternehmen, die selbst in diesem Bereich der Züchtung aktiv sind.
Fazit: Auch ohne den großen Durchbruch könnten die aktuellen Entwicklungen im Bereich der (Hybrid-)Weizenzüchtung gravierende Folgen haben: 1. Die Verfügbarkeit und Vielfalt bei Weizen-Saatgut dürfte deutlich eingeschränkt werden, da es kleinere Unternehmen in Zukunft (noch) schwerer haben werden, sich auf dem von den ganz Großen dominierten Markt zu behaupten. 2. Der letzte Bereich, in dem noch nennenswert Nachbau möglich ist, verschwindet. Die Abhängigkeit der LandwirtInnen von den Saatgut-Konzernen wächst weiter.

Eva Gelinsky ist politische Koordinatorin der INTERESSENSGEMEINSCHAFT GENTECHNIK- FREIE SAATGUT-ARBEIT
Hans-Dieter von Frieling ist Wirtschaftsgeograf

[Gentech 1.0] Letzte Ausfahrt Afrika!?!

CBG Redaktion

Erste & Dritte Welt

BAYER & Co. „beglücken“ die Armen mit Gentech 1.0

Letzte Ausfahrt Afrika !?!

In den Industrie-Staaten stagniert das Geschäft mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Zuwächse erfährt es indessen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Darum verstärken BAYER & Co. dort ihr Engagement. Besonders im Fokus steht seit einiger Zeit Afrika. Allerdings vermarkten die Konzerne dort mit Vorliebe ihre noch nach den alten Verfahren hergestellten Labor-Früchte.

Von Stig Tanzmann (BROT FÜR DIE WELT)

Während in Europa und insbesondere in Deutschland schon um die „neuen“ Gentechnikverfahren gestritten wird, erlebt der afrikanische Kontinent eine bisher nicht dagewesene Welle an Anträgen zum kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) nach „alten“ Verfahren. Das wird an einer sich immer weiter fortsetzenden Reihe von Feldversuchen und Zulassungsanträgen deutlich. Am weitesten gediehen sind die Zulassungsanstrengungen bei GVO-Baumwolle. Im Rahmen der „Neuen Allianz zur Ernährungssicherung“1 – einer stark an den Interessen der Privatwirtschaft ausgerichteten Entwicklungsinitiative der G7-Staaten, die mit verschiedenen afrikanischen Staaten eine Zusammenarbeit vereinbart hat – kündigte MONSANTO in Malawi schon 2013 einen kommerziellen Anbau von GVO-Baumwolle an. Bis heute allerdings konnte dort der kommerzielle GVO-Anbau aufgrund vielfältiger Aktivitäten und der Lobbyarbeit der Zivilgesellschaft verhindert werden. MONSANTO hatte sicherlich nicht mit solch fundierten und lang anhaltenden Protestwellen gerechnet, als es sein Bestreben 2013 öffentlich gemacht hatte. Der „Erfolg“ der Zivilgesellschaft kann aber nicht über die äußerst prekäre Situation in Malawi hinwegtäuschen. Denn die Zivilgesellschaft hat in dem sehr schwach entwickelten Land kaum mehr die Kapazität, auch noch die Feldversuche mit GVO-Bananen und GVO-Augenbohnen, die ebenfalls erfolgen oder angekündigt sind, intensiv zu begleiten. Auch mit Blick auf GVO-Baumwolle ist zu erwarten, dass der kommerzielle Anbau nicht dauerhaft aufgehalten werden kann.
Ähnlich sieht es in Nigeria aus. Dort wird die Kommerzialisierung von GVO-Baumwolle ebenfalls vorangetrieben. Das ist insofern verwunderlich, als im nur wenige Hundert Kilometer entfernten Burkina Faso der kommerzielle Anbau von GVO-Baumwolle auf Druck der Bäuerinnen und Bauern für gescheitert erklärt worden ist2. Das GVO-Saatgut war zu teuer und die Faserqualität der GVO-Baumwolle zu schlecht. Logisch wäre es eigentlich aus der Perspektive der nigerianischen Regierung, sehr kritisch und genau zu prüfen, was in Burkina Faso passiert ist, denn in beiden Ländern herrschen ähnliche klimatische und sozioökonomische Bedingungen.
In Nigeria hat sich 2016 eine große Koalition von über hundert Organisationen, die mehr als fünf Millionen Menschen repräsentieren, gegen den Anbau von GVO-Baumwolle und die gleichfalls geplanten Feldversuche mit GVO-Mais formiert. Doch Rufus Ebegba, Generaldirektor der nigerianischen Behörde für Biosicherheit und zuständig für die GVO-Zulassung, hat in einem Interview keinen Zweifel daran gelassen, dass er GVOs für sicher hält und die europäische Zurückhaltung dieser Technologie gegenüber nicht teilt. Zudem verbittet er sich jeden positiven Bezug auf Europa in der nigerianischen Gentechnik-Debatte. Weiter stellte Ebegba klar, dass es auch nigerianische WissenschaftlerInnen und Institute seien, die an den GVOs arbeiteten3. Folgerichtig ist der Anbau von GVO-Baumwolle von seiner Behörde genehmigt worden. Ob der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen Realität in Nigeria werden wird, ist angesichts des anhaltenden Protestes derzeit dennoch noch nicht abschließend abzusehen.

Eine konzertierte Aktion
Die Abgrenzung vom europäischen Umgang mit GVOs ist von einigen afrikanischen RegierungsvertreterInnen und EntscheidungsträgerInnen in den letzten Jahren häufiger kommuniziert worden. Diese Stimmen – auch aus der Forschung – sind so bekannt geworden, dass der MONSANTO-Konzern sich ihrer ebenfalls bedient. So hat das US-Unternehmen 2016 auf den Bericht des Entwicklungsausschusses des Europäischen Parlaments zur „Neuen Allianz zur Ernährungssicherung“, der die G7-Initiative unter anderem für die Propagierung von GVOs kritisiert, mit dem Vorwurf des Neokolonialismus durch das EU-Parlament reagiert4.
Die großen Agro-Konzerne wie BAYER, DUPONT, MONSANTO und SYNGENTA haben in den letzten Jahren zusammen mit der „Bill & Melinda Gates-Stiftung“, der staatlichen Entwicklungsagentur USAID aus den Vereinigten Staaten und der „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ (AGRA) ein gut verwobenes Netzwerk von GentechnikprofiteurInnen und -befürworterInnen quer durch den afrikanischen Kontinent in Regierungen, Ministerien, wissenschaftlichen Instituten und der Wissenschaftsgemeinschaft etabliert. Insbesondere für WissenschaftlerInnen war und ist die Forschung an und zu GVOs häufig die einzige Möglichkeit, eine erfolgreiche Karriere zu starten. In diesem Sektor gab und gibt es Stipendien über das oben genannte Netzwerk sowie die Chance, Zugang zu renommierten US-Universitäten zu bekommen. Gleichzeitig floss und fließt viel Geld der Entwicklungszusammenarbeit aus den USA und Großbritannien in diesen Bereich, wie es sich auch bei der Unterstützung der „African Agricultural Technology Foundation“ (AATF) zeigt. Über AATF besteht eine direkte Verbindung zum „Water Efficient Maize for Africa Project“ (WEMA), über das unter anderem stark für die Einführung von GVO-Mais in Afrika geworben wird5.
Unbedingt beachtenswert und auch besorgniserregend ist vor allem das Folgende: Systematisch speisen die großen Konzerne in diese afrikanischen Netzwerke eigentlich von ihnen geschützte Gen-Sequenzen für Forschungsprojekte afrikanischer Wissenschaftsinstitute und afrikanischer Regierungen ein. Dabei nehmen sie auch Pflanzen in den Blick, die von der herkömmlichen Züchtung eher vernachlässigt werden. Insbesondere der Fokus dieser Aktivitäten auf Pflanzen wie Cassava, Sorghum, Süßkartoffel, Augenbohne, Straucherbse und Bananen, aber auch Reis, hat der GVO-Technologie zunehmend afrikanische Wurzeln verliehen6. Hier spielt es für die Multis sicher eine Rolle, ihre Behauptung, Gentechnik sei für die Sicherung der Welternährung von großer Bedeutung, mit neuen Projekten und Programmen zu unterlegen. Von der internationalen Öffentlichkeit kaum bemerkt, finden in diesem Bereich schon teils weitreichende Feldversuche statt. Im Fokus stehen Länder wie Ägypten, Burkina Faso, Ghana, Kenia, Malawi, Nigeria und Uganda7. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass es aufgrund der Feldversuche bereits zur Kontamination von konventionellen Sorten der genannten Pflanzen gekommen sein kann. Dies sollte in Zukunft auch beim Import der Früchte dieser Gewächse nach Europa beachtet werden, selbst dann, wenn es nicht flächendeckend zur angestrebten Kommerzialisierung dieser neuen GVO-Pflanzen kommt.

Südafrika als Zentrum
Ein spezieller Fall ist Südafrika, dem Zentrum des GVO-Anbaus auf dem Kontinent. Dort wird von MONSANTO die Kommerzialisierung des via WEMA schon viel beworbenen dürre-resistenten GVO-Mais’ vorbereitet. Sicher wird dieses Anliegen auch von der starken Trockenheit, die das südliche Afrika 2015 und 2016 heimsuchte, begünstigt. Eine Klage der Zivilgesellschaft gegen die ersten Feldversuche, die auch die Effektivität des manipulierten Mais‘ infrage stellt, ist 2016 erfolgt. Angesichts der Tatsache, dass sich der südafrikanische Staat gegenüber den großen Saatgut- und Gentechnik-Konzernen stark geöffnet, aber auch abhängig gemacht hat, ist hier mit wenig Erfolg zu rechnen. So sind in Südafrika über 85 Prozent des angebauten Mais‘ gentechnisch verändert, und das Saatgut stammt von zwei Anbietern. Einer davon ist MONSANTO.
Der afrikanische Kontinent wird von den dort aktiven Konzernen weiterhin unter strategischen Gesichtspunkten als wichtig angesehen. Deutlich wird dies unter anderem am Bereitstellen von geschützten genetischen Sequenzen für Forschung und Erzeugung von GVOs durch die großen Saatgut-Hersteller. Der Fokus liegt hier auf lange vernachlässigten afrikanischen Ernährungspflanzen, und natürlich wird der spätere kommerzielle Anbau bei diesen Projekten angestrebt. Sicher ist hier auch ein Ziel, endlich Belege dafür zu bekommen, dass GVOs für die Überwindung des Hungers wichtig sind. Dies wird umso klarer, wenn man betrachtet, wie sich diese Gen-Giganten ihrer Aktivitäten in dem Projekt „Access to Seed-Index“8 öffentlich rühmen, gegen das durchaus der Vorwurf des Green Washing erhoben werden kann. Ziel des „Access to Seed-Index“ ist es nämlich nicht, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu helfen, es geht vielmehr darum, die beteiligten Unternehmen erfolgreicher zu machen. In den Gremien dieses von der „Bill & Melinda Gates-Stiftung“ mitfinanzierten Index sitzen unter anderem ehemalige Mitarbeiter großer Saatgut-Konzerne.
Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie sehr die „alten“ Gentechnik-Verfahren für die Multis inzwischen schon entwertet sind. Das große Geld verspricht man sich anscheinend eher von den „neuen“ Techniken auf Basis von CRISPR/Cas oder anderer Methoden. Nicht umsonst haben sich alle großen Saatgut-Multis inzwischen in die Schlüsselpatente dieser Praktiken eingekauft9. Was die „alten“ Verfahren angeht, können vor diesem Hintergrund die genetischen Sequenzen für die vernachlässigten Pflanzen bereitwillig geteilt werden.
Für die afrikanische Zivilgesellschaft entsteht so der Eindruck, als würde Afrika einmal mehr als letzte Ausfahrt für eine inzwischen veraltete Technologie genutzt. Besteht schon ein kommerzieller Markt für GVOs oder ist er im Entstehen wie bei Baumwolle und Mais, verlangen die Agro-Riesen natürlich trotzdem Geld von den Bäuerinnen und Bauern für die Patente. Ziel scheint es dabei alles in allem auch zu sein, die GVO-Technologie zu afrikanisieren und so eine neue Akzeptanz für die Labor-Früchte aufzubauen. In Teilen scheint dies gelungen, und MONSANTO hat schon begonnen zu zeigen, wie dies in Zukunft gegen die KritikerInnen der Grünen Gentechnik genutzt werden soll.

Die Wirtschaftsinteressen
Dass hinter diesen afrikanischen Aktivitäten der großen Konzerne weiterhin knallharte Geschäftsinteressen stehen, sollte nicht vergessen werden. Dies wird deutlich, wenn man betrachtet, wie strategisch eben diese Unternehmen in den zurückliegenden Jahren die letzten größeren unabhängigen afrikanischen Saatgut-Firmen aufgekauft haben10. Sollten also einmal GVOs in größerem Stil in Afrika angebaut und gehandelt werden, so werden diese Gesellschaften sicherlich davon profitieren, denn sie haben nun auch einen guten Zugang zu den Vermarktungsnetzwerken. Auch sollte beachtet werden, dass die Frage des Zugangs zu den Märkten der Entwicklungsländer, also auch denen der afrikanischen Staaten, eine wichtige Rolle bei den derzeitigen Mega-Fusionen im Agrar-Bereich spielt. SYNGENTA hat vor allem auch deshalb positiv auf das Übernahme-Angebot von CHEMCHINA reagiert, weil sich das Management so mehr Markt-Anteile und Umsatz-Wachstum in den Entwicklungsländern verspricht. Für BAYER sind die afrikanischen Aktivitäten von MONSANTO sicher auch von Interesse. Vor diesem Hintergrund wird es wichtig sein, sehr genau auf die zukünftigen Aktivitäten des im Entstehen begriffenen neuen BAYER-MONSANTO-Konzerns auf dem Kontinent zu schauen.

1https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analyse51_Ernaehrung_fuer_alle.pdf
2http://www.ensser.org/fileadmin/user_upload/Mex16.DOWD-URIBE.Burkina.Faso.GM.Crops.FINAL.Version.2.pdf
3http://www.environewsnigeria.com/cotton-maize-nigeria-release-gm-food-ebegba
4http://www.nutraingredients.com/Regulation-Policy/Monsanto-hits-back-at-MEP-vote-on-GM-in-Africa
5http://acbio.org.za/hands-off-our-food-systems-small-farmers-not-corporates-feed-africa/
6https://acbio.org.za/wp-content/uploads/2016/04/GM-Orphan-Crops-Report.pdf
7http://acbio.org.za/hands-off-our-food-systems-small-farmers-not-corporates-feed-africa/
8http://www.accesstoseeds.org/the-index/
9https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_konzernatlas_2017.pdf
10http://acbio.org.za/wp-content/uploads/2015/12/Seed-Sector-Sub-Sahara-report.pdf

Kasten

BAYER-Gentechnik in Afrika
Wie MONSANTO & Co. konzentriert auch der BAYER-Konzern sein Gentech-Engagement auf Südafrika. Die am weitesten kapitalistisch erschlossene Nation des Kontinents nimmt weltweit unter den Produzenten von Pflanzen mit verändertem Erbgut den neunten Rang ein. Der Leverkusener Multi verfügt dort über Zulassungen für fast sein komplettes Sortiment von FIBERMAX-Baumwolle über LIBERTYLINK-Soja, -Mais und -Reis bis hin zu INVIGOR-Raps. Den Schwerpunkt legt er dabei auf Baumwolle. Der Global Player führte in der Vergangenheit zahlreiche Feldversuche mit den Gewächsen durch und vertreibt aktuell mehrere Sorten für den kommerziellen Anbau.
Daneben kooperiert das Unternehmen mit den Hochschulen des Landes. So arbeitet der Agro-Gigant mit den Gentech-Instituten der Universitäten von Pretoria und Stellenbosch zusammen und erteilt ihnen Forschungsaufträge. Die von ihm geplante Übernahme von MONSANTO hätte nach Einschätzung des AFRICAN CENTRE FOR BIODIVERSITY (ACB) fatale Konsequenzen für den Staat, nicht nur in Sachen „Labor-Früchte“. Das Center kommt in einer für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellten Studie zu dem Urteil, „dass ein potenzielles Zusammengehen von BAYER und MONSANTO signifikante negative Auswirkungen auf den Saatgut- und Pestizid-Sektor sowie auf Bauern und Konsumenten in Südafrika hätte“. Aber auch im Westen Afrikas treibt die Aktien-Gesellschaft ihre Baumwoll-Aktivitäten voran: In Kamerun testet sie derzeit mehrere Arten.
Und selbstverständlich darf der Agrar-Riese bei der „Neuen Allianz zur Ernährungssicherung“, dem „Access-to-Seed-Index“, der „African Agricultural Technology Foundation“ (AATF) und anderen Initiativen des Kapitals, die diesen Erdteil heimsuchen, nicht fehlen.

[Gentechnik] BAYER-Gentechnik in Afrika

CBG Redaktion

BAYER-Gentechnik in Afrika

Wie MONSANTO & Co. konzentriert auch der BAYER-Konzern sein Gentech-Engagement auf Südafrika. Die am weitesten kapitalistisch erschlossene Nation des Kontinents nimmt weltweit unter den Produzenten von Pflanzen mit verändertem Erbgut den neunten Rang ein. Der Leverkusener Multi verfügt dort über Zulassungen für fast sein komplettes Sortiment von FIBERMAX-Baumwolle über LIBERTYLINK-Soja, -Mais und -Reis bis hin zu INVIGOR-Raps. Den Schwerpunkt legt er dabei auf Baumwolle. Der Global Player führte in der Vergangenheit zahlreiche Feldversuche mit den Gewächsen durch und vertreibt aktuell mehrere Sorten für den kommerziellen Anbau.
Daneben kooperiert das Unternehmen mit den Hochschulen des Landes. So arbeitet der Agro-Gigant mit den Gentech-Instituten der Universitäten von Pretoria und Stellenbosch zusammen und erteilt ihnen Forschungsaufträge. Die von ihm geplante Übernahme von MONSANTO hätte nach Einschätzung des AFRICAN CENTRE FOR BIODIVERSITY (ACB) fatale Konsequenzen für den Staat, nicht nur in Sachen „Labor-Früchte“. Das Center kommt in einer für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellten Studie zu dem Urteil, „dass ein potenzielles Zusammengehen von BAYER und MONSANTO signifikante negative Auswirkungen auf den Saatgut- und Pestizid-Sektor sowie auf Bauern und Konsumenten in Südafrika hätte“. Aber auch im Westen Afrikas treibt die Aktien-Gesellschaft ihre Baumwoll-Aktivitäten voran: In Kamerun testet sie derzeit mehrere Arten.
Und selbstverständlich darf der Agrar-Riese bei der „Neuen Allianz zur Ernährungssicherung“, dem „Access-to-Seed-Index“, der „African Agricultural Technology Foundation“ (AATF) und anderen Initiativen des Kapitals, die diesen Erdteil heimsuchen, nicht fehlen.

[A1] Verkehrsplaner BAYER

CBG Redaktion

Wasser, Boden & Luft

Die kurzen Dienstwege des Konzerns

Verkehrsplaner BAYER

Bereits seit Jahren tobt in Leverkusen ein Streit über die Pläne, die marode Autobahn-Brücke über den Rhein zu ersetzen und die A1 in dem Aufwasch gleich auf bis zu zwölf Spuren zu erweitern. „Tunnel oder Stelze“ lautet die Alternative. Wie positioniert sich BAYER in diesem Konflikt?

Von Jan Pehrke

Vom Kölner Stadtanzeiger an Silvester gefragt, welche Erwartungen er mit dem kommenden Jahr verknüpft, musste Dr. Erich Grigat von der BAYER-Tochter CURRENTA nicht lange überlegen. „Für 2017 wünsche ich dem Chem-„Park“ und den Leverkusener Bürgern den Start des Brücken-Neubaus, damit das Verkehrs-Chaos in absehbarer Zeit besser wird“, so der Leiter des Leverkusener Chemie-„Parks“. Dieses Projekt nebst des Ausbaus der A1 auf bis zu zwölf Spuren treibt ihn nämlich schon lange um. „Wenn nicht schnellstmöglich Abhilfe geschaffen wird, fürchten wir, dass die Industrie verlagert wird. Damit ist das langsame Sterben der chemischen Industrie in Deutschland vorprogrammiert“, malt er schon seit einiger Zeit schwarz.
Die Abhilfe, die der Landesbetrieb Straßenbau NRW jetzt schaffen will, hat es allerdings in sich. Die IngenieurInnen wollen für das Vorhaben nämlich BAYERs erst zur Landesgartenschau 2005 einigermaßen abgedichtetes Giftgrab „Dhünnaue“ wieder öffnen. 6,5 Millionen Tonnen Abfälle schlummern dort – mehr oder weniger friedlich – unter der Erde, davon fast eine Million Tonnen gefährliche Rückstände aus der Chemie-Produktion wie Quecksilber, Arsen, Chrom und Blei. Und den Schlaf von rund 160.000 Tonnen, darunter 32.000 Tonnen höher belastetes Erdreich, plant Straßen.NRW jetzt zu stören und für das Fundament der Autobahn-Trasse abzutragen. Da sogar aus der eigentlich abgedichteten Deponie noch Gas austritt, beabsichtigt der Landesbetrieb mit viel Aufwand eine Absaugvorrichtung zu installieren und alle ArbeiterInnen mit Schutzanzügen auszustatten. Und damit weder Gas noch Gift von der Baustelle unkontrolliert an andere Orte gelangt, müssen die Lastwagen, die den Müll in besonders gesicherten Containern abtransportieren, erst einmal eine Art Waschstraße durchfahren, ehe sie das Gelände verlassen. Vielen KritikerInnen erscheint das trotzdem zu risikoreich. Zudem warnen sie vor unkalkulierbaren chemischen Reaktionen durch den Eingriff und „Einstürzende Neubauten“, denn der organische Anteil des Mülls zersetzt sich, weshalb das Volumen abnimmt und mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist. Darum plädiert das Bürgerinitiativen-Bündnis „LEV muss leben“ für eine Kombi-Lösung: einen langen Tunnel als Alternative zur „Megastelze“, der einen Großteil der Verkehrsströme aufnimmt, sowie eine Instandsetzung der alten Brücke.
Doch Ernst Grigat will davon nichts wissen. Bedenken, die „Büchse der Pandora zu öffnen, kennt er keine. Zudem belässt der Chef des Chem-„Parks“ es nicht bei frommen Wünschen. Er hat in der Vergangenheit bereits so einiges für deren Verwirklichung getan. In Tateinheit mit dem CURRENTA-Geschäftsführer Günter Hilken schrieb er bereits im Juli 2013 einen Brief an den Bundesverkehrsminister, den Landesverkehrsminister und Straßen.NRW, um vor dem Tunnel zu warnen. „Eine Tunnel-Lösung im Verlauf der A1, wie sie derzeit in Leverkusen diskutiert wird, würde sich negativ auf unsere Standorte auswirken“ hieß es in dem Schreiben, das eine eindeutige Forderung enthält: „Im Interesse aller an diesen Standorten produzierenden Unternehmen bitten wir Sie daher, von einer derartigen Planung abzusehen.“ Und die Politik hörte die Signale. Der Ministerialrat Michael Heinze sagte den CURRENTA-Managern laut Kölner Stadtanzeiger zu, dass „eine Tunnel-Lösung für Leverkusen nicht vorgesehen sei“. Die Rahmenbedingungen ließen „nicht erkennen, wie ein Tunnel bautechnisch und verkehrstechnisch umgesetzt werden könnte“, so der Beamte. „Da schreibt ein Unternehmen einen Brief an den Verkehrsminister und an die Planungsbehörde, dass eine Tunnel-Lösung ja so schlecht für das Geschäft ist. Und schon werden alle Anstrengungen für die Tunnel-Lösung fallen gelassen. Da sieht man mal wieder, dass der Profit wichtiger ist, als die Gesundheit und Lebensqualität tausender Leverkusener Bürger“, erboste sich ein Leser des Kölner Stadtanzeigers daraufhin.
Das Hauptargument der CURRENTA gegen den Tunnel: Dieser lässt keine Gefahrgut-Transporte zu. Die BefürworterInnen der Kombi-Lösung bestreiten das allerdings. Ernst Grigat regte daraufhin in einem Gespräch mit dem Leverkusener Oberbürgermeister Uwe Richrath an, zur Klärung dieser Frage ein Gutachten zu beauftragen. Das tat die Stadt dann auch. Anfang März 2017 lag das Resultat vor. Und die ExpertInnen vom Ingenieur-Büro VÖSSLING und von der PTV TRANSPORT CONSULT hielten es durchaus für möglich, gefährliche Güter durch die Röhre zu führen, wenn dafür bestimmte Vorrichtungen geschaffen würden wie etwa zusätzliche Notausgänge und Flucht-Treppenhäuser. Also bräuchte die BAYER-Tochter sich eigentlich auch bei dieser Variante keine Sorgen um die rund 200 LKWs zu machen, die täglich mit explosivem und/oder giftigem Material den Chemie-„Park“ verlassen. Entsprechend froh stimmte die Expertise die Bürgerinitiativen. Aber die CURRENTA ließ die Hochstimmung nicht lange währen, denn ergebnis-offen agierte das Unternehmen in der Sache nicht. Da die GutachterInnen anders als vom Konzern erwartet urteilten, blieben Grigat & Co. einfach bei ihrer Position. „Unabhängig von einer konkreten Lösung: Für uns ist wichtig, dass der Gefahrgut-Verkehr über eine Autobahn-Trasse möglich ist“, verlautete aus der CURRENTA-Zentrale.
Die Realisierung dieser Möglichkeit böte dem Betreiber des Chemie-„Parks“ en passant noch die zauberhafte Gelegenheit, sich der Verantwortung für einen Teil der Altlast zu entledigen. Die Haftung geht nämlich an den „Zustandsstörer“ über, wie es das BürokratInnen-Deutsch verklausuliert, also an Straßen.NRW. Im Klartext: Die SteuerzahlerInnen kommen im Fall des Falles für den Schaden auf. Erhard Schoofs von der Bürgerliste wollte im Leverkusener Stadtrat deshalb genauer wissen, was die BAYER-Tochter da gemeinsam mit der Stadt und dem Land NRW vereinbart hat. Da der Kommunalpolitiker glaubt, die CURRENTA habe viel mehr Giftmüll-Fläche an Stadt und Land abgetreten, als für den Autobahn-Bau quer durch die Dhünnaue eigentlich nötig wäre, stellte er einen Antrag auf Offenlegung des Vertrags. Dafür bekam er allerdings nicht die notwendige Mehrheit.
Und noch eine Chance tut sich für die Gesellschaft, an der BAYER 60 Prozent der Anteile hält, im Zuge des Projekts auf: Absurderweise kann sie sich auch noch Hoffnung auf ein Geschäft mit den eigenen giftigen Hinterlassenschaften machen, hat sie mit ihren haus-eigenen Müllverbrennungsanlagen doch Entsorgungsdienstleistungen im Programm.
Der ohnehin nicht gerade gute Ruf von BAYER am eigenen Stammsitz hat durch das Agieren von Mutter- und Tochtergesellschaft in der Frage des A1-Ausbaus noch mehr gelitten. Leverkusens Bundestagstagsabgeordneter Karl Lauterbach (SPD) etwa äußerte seine Verärgerung darüber, dass der Konzern „erwartet, die Infrastruktur soll in der Stadt vorhanden sein, aber BAYER trägt nichts dazu bei, noch nicht einmal Steuern an die Stadt. Das ist nicht die Haltung, die ich von einem Welt-Konzern mit Standort-Bekenntnis erwarte.“ Ob sich die Erwartungen des Unternehmens im Hinblick auf die Mega-Stelze erfüllen, bleibt vorerst im Unklaren. Die Bezirksregierung hatte zwar grünes Licht für das Vorhaben gegeben, aber die Bürgerinitiativen reichten gegen den Beschluss Klage ein. Mit der Entscheidung des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts über den Einspruch ist für den September zu rechnen.

[Weizen-Macher] Weizen-Macher BAYER

CBG Redaktion

Pflanzen & Saaten

Und ewig blüht der Profit

Weizen-Macher BAYER

Seit Anfang des Jahrzehnts treibt der Leverkusener Multi systematisch die Entwicklung neuer Weizen-Arten voran. „Wer erfolgreich eine wesentlich ertragreichere Weizen-Sorte entwickelt, wird ein lukratives Geschäft auftun“, so BAYER-Manager Liam Condon zum Sinn der Übung.

Von Jan Pehrke

„Im Pflanzenschutz für Weizen sind wir bereits das weltweit führende Unternehmen. Jetzt bauen wir zudem eine Forschungsplattform auf, die bei der Züchtung verbesserter Weizen-Sorten führend sein wird“, erklärte der ehemalige BAYER-Manager Dr. Rüdiger Scheitza im Jahr 2011. Die „Verbesserung“ hofft der Agro-Riese dabei sowohl durch konventionelle Zucht als auch durch die Gentechnik und Verfahren, die hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete Sorten produzieren, zu erreichen. 1,5 Milliarden Euro nimmt der Konzern dazu bis 2020 in die Hand; spätestens dann will er auch einen Weizen made by BAYER auf den Markt bringen. Und bis 2030 strebt der Konzern in Europa beim Hybrid-Weizen einen Marktanteil von 25 bis 30 Prozent an.
Dazu geht der Global Player äußerst planmäßig vor. Er sichert sich den Zugang zu den genetischen Ressourcen der Pflanzen-Art, intensiviert – mit freundlicher Unterstützung durch staatliche Subventionen – seine Forschungsanstrengungen und baut ein globales Netz von Zucht-Stationen auf. Überdies spekuliert die Aktien-Gesellschaft in Sachen „Weizen“ auch darauf, bei der geplanten MONSANTO-Übernahme von Forschungen des US-Moguls in diesem Bereich profitieren zu können.
2010 kaufte BAYER zwei ukrainische Weizenzucht-Unternehmen auf. 2011 unterzeichnete der Leverkusener Multi eine Lizenz-Vereinbarung mit dem rumänischen „National Agricultural Research and Development Institute“ (NARDI) und erhielt so Zugriff auf Sorten, die eine hohe Trockenheitstoleranz, Winterhärte und Widerstandsfähigkeit gegen verschiedene Pflanzenkrankheiten auszeichnet. Im selben Jahr handelte der Global Player einen Vertrag mit der „South Dakota University“ über die Nutzung bestimmter Sommerweizen-Linien aus und ging einen Deal mit der französischen Firma RAGT ein, um an die Erträge von deren Winterweizen-Zuchtprogramm zu kommen.
Parallel dazu treibt der Konzern eigene Labor-Aktivitäten voran. Vor allem aber erschließt er sich Wissen von außen. Bereits seit 2009 arbeitet BAYER mit der australischen Forschungseinrichtung „Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation“ (CSIRO) zusammen. 2010 erteilte die Aktien-Gesellschaft dem israelischen Biotech-Unternehmen EVOGENE den Auftrag, nach Genen zu forschen, die – in das Weizen-Erbgut eingeschleust – bessere Erträge, ein besseres Wachstum und/oder eine erhöhte Widerstandsfähigkeit versprechen.
2013 kam das Unternehmen mit dem niederländischen Unternehmen KEYGENE ins Geschäft und erhielt so den Schlüssel zu der neuen Züchtungstechnologie „KeySeeQ“, die den Pflanzen durch das „Hochdurchsatz-Mutagenese-Verfahren“ Eigenschaften wie Trockenheitstoleranz einimpft. Im selben Jahr begann eine Kooperation mit der „Nebraska State University“ zur Kreation neuer und zur „Verbesserung“ alter Weizen-Sorten sowie eine solche mit der „Kansas State University“ zur Entwicklung hybrider Arten. Und 2016 folgten weitere Abkommen in Sachen „Weizen“ mit der „Chinese Academy of Agricultural Sciences“ (CAAS) und dem „Center for International Maize and Wheat Improvement“ (CIMMYT). Damit nicht genug, profitiert der Agro-Riese auch noch von staatlich geförderten Weizenforschungsprojekten wie etwa „Zuchtwert“, das von den bundesdeutschen SteuerzahlerInnen Subventionen in Höhe von sechs Millionen Euro kassierte.
Der Wissenstransfer erfolgt dann in eigenen Zucht-Stationen, deren Zahl BAYER seit 2013 kontinuierlich steigert. Das größte – und unlängst nochmals ausgebaute – Zentrum nahm 2012 im sachsen-anhaltinischen Gatersleben den Betrieb auf. Mittlerweile verfügt es über 80 Hektar Ackerfläche. Weitere Einrichtungen unterhält der Konzern im französischen Millet-la-Foret, im australischen Horsham, im US-amerikanischen Beaver Crossing, im kanadischen Saskatchewan und nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Die Methoden, die der Konzern in den Zucht-Stationen anwendet oder in seinen Laboren erprobt, weisen eine große Bandbreite auf. Die Agro-IngenieurInnen erzeugen etwa Hybride, indem sie in der Mutterlinie Mutationen induzieren, die zu männlicher Unfruchtbarkeit führen. Auch über gentechnische Eingriffe in das Erbgut der männlichen Linie versuchen die ForscherInnen diese Sterilität zu produzieren. Überdies bedienen sich die WissenschaftlerInnen Techniken zur Kennzeichnung vielversprechender Pflanzen-Sorten. „Mit molekularen Markern können wir aussichtsreiche Kreuzungsvarianten schnell erkennen und weniger aussichtsreiche schon früh im Prozess verwerfen“, erklärt BAYERs Weizenzuchtprogramm-Leiter Edward Souza. Die klassische Kreuzungszüchtung praktizieren Souza & Co. aber ebenfalls noch. Große Hoffnungen setzen sie jedoch vor allem auf die neuen Gentech-Verfahren wie z. B. CRISPR/Cas (siehe SWB 2/16). Dieses bedient sich eines Abwehr-Mechanismus’ von Bakterien zum Aufspüren von Fremd-DNA, um bestimmte Gen-Abschnitte anzusteuern, und nutzt dann das Cas-Enzym als Schere zur Auftrennung der Genom-Sequenz. Anschließend setzt CRISPR/Cas entweder mitgeführte neue Erbgut-Stränge ein oder leitet Mutagenese-Effekte ein, also von der Zelle selbst induzierte Veränderungsprozesse.
All diese Möglichkeiten der Manipulation befeuern beim Leverkusener Multi Allmachtsfantasien. Als „Weizen-Macher“ präsentiert er sich in seinem Magazin Research, der sich gottgleich an der 2. Schöpfung versucht. Allerdings mit profanen Zielen: Das Tuning der Pflanzen lässt Extra-Profite erwarten. „Wer erfolgreich eine wesentlich ertragreichere Weizen-Sorte entwickelt, wird ein lukratives Geschäft auftun“, frohlockt Liam Condon, der Chef von BAYER CROPSCIENCE mit Blick auf die Investitionsentscheidungen der ManagerInnen der großen Agrar-Fabriken. Das Versprechen guter Ernten ist es nämlich, was die Saaten „zu einer rentablen Wahl für den Erzeuger macht“, wie der Multi einmal in Bezug auf seine „Ertragsrekorde“ verheißenden „Hightech-Tomaten“ festgehalten hat. Aber mit diesen Business-Strategien mag die Aktien-Gesellschaft die große Öffentlichkeit nicht konfrontieren. Ihr gegenüber inszeniert sie sich lieber als ein Unternehmen, das sich um „die Zukunft des Weizens“ kümmert und damit einen wichtigen „Beitrag zur Sicherung der Welternährung“ leistet.

[Monsanto] Der MONSANTO-Marathon

CBG Redaktion

Imperium & Weltmacht

Die Mühen der Ebenen

Der MONSANTO-Marathon

Der BAYER-Konzern kommt nach eigener Aussage mit seiner MONSANTO-Übernahme gut voran. Um das Verfahren noch einmal zu beschleunigen, machte er dem neuen US-Präsidenten Donald Trump seine Aufwartung und versprach dem Politiker Arbeitsplätze in die Hand. Trotzdem sieht sich die Akquisition noch mit so einigen Hindernissen von Seiten der Kartell-Behörden konfrontiert. Und auch der Widerstand von Gruppen und Initiativen aus der ganzen Welt gegen die Transaktion nimmt zu.

Von Jan Pehrke

Der BAYER-Konzern hat sich in seiner über 150-jährigen Geschichte noch immer mit den Zeitläufen arrangiert, um sein auf Profit ausgerichtetes Geschäftsmodell nicht zu gefährden. Ob Kaiserreich, parlamentarische Demokratie oder Faschismus, ob Friedens- oder Kriegszeit – immer fand das Unternehmen Mittel und Wege, ökonomischen Nutzen aus der jeweiligen historischen Konstellation zu ziehen. Im „Dritten Reich“ ging das sogar so weit, in der Nähe von Auschwitz ein eigenes KZ zu unterhalten und daraus ZwangsarbeiterInnen zu rekrutieren.
Da gibt es dann auch keine Berührungsängste mit Donald Trump – schließlich hatte sich der Global Player dem neuen US-Präsidenten schon durch eine Wahlkampf-Hilfe für die Republikaner in Höhe von 433.000 US-Dollar empfohlen (SWB 1/17). Und so machte BAYER-Chef Werner Baumann dem Politiker am 11. Januar 2017 persönlich seine Aufwartung, um ihm den Plan des Leverkusener Multis, MONSANTO zu übernehmen, näherzubringen. Dabei hatte er mit Hugh Grant auch den Boss des Agro-Riesen aus St. Louis im Schlepptau, dem bei diesem Plausch die undankbare Rolle zufiel, die Wonnen der Unselbstständigkeit zu bekunden. Womit die beiden Trump betören konnten, wussten sie ganz genau, hatte dieser doch zuvor schon einige Konzern-Herren mit Forderungen nach US-Jobs zur Ordnung gerufen. Darum lieferten Baumann und Grant. „Die Vereinigten Staaten sind im Landwirtschaftsbereich global führend, und die Kombination von BAYER und MONSANTO wird diese Rolle unterstreichen und sicherstellen, dass die USA ihre hervorgehobene Stellung als Anker dieser Industrie behalten“, hieß es in einem gemeinsamen Statement der Firmen. Forschungsausgaben von acht Milliarden Dollar binnen der nächsten sechs Jahre in dem Land kündigten die Manager an und beschrieben das als Investitionen in „Innovationen und Menschen“. Mehrere Tausend gut bezahlte Hightech-Arbeitsplätze versprachen Baumann und Grant.

„Trumps Anbiederer“
Auf diese Weise kam BAYER zu der zweifelhaften Ehre, als erstes deutsches Unternehmen den knapp bemessenen Platz der bevorzugten Kommunikationsform Trumps, der Twitter-Nachricht, erobert zu haben. „Die BAYER AG hat nach dem Treffen mit dem gewählten Präsidenten Donald Trump Investments und das Schaffen von mehr US-Jobs zugesichert, als letztes Unternehmen einer ganzen Reihe“, setzte der Politik-Novize ab. Ein „unwürdiges Spektakel“ nannte die FAZ diese Wirtschaftsdiplomatie von BAYER und anderen Gesellschaften daraufhin. „Seit der Wahl lassen sich reihenweise Unternehmen zu vermeintlich großen Ankündigungen hinreißen, um dem neuen Präsidenten zu gefallen“, kritisierte die Zeitung unter der Überschrift „Trumps Anbiederer“. Die Risiken und Nebenwirkungen beschrieb das Blatt ein paar Zeilen später: „Sie nehmen es in Kauf, dass er ihre Zusagen als Ergebnis seines Verhandlungsgeschicks darstellt, auch wenn es nicht stimmt. Sie helfen ihm, Twitter-Interventionalismus als erfolgreiche Wirtschaftspolitik erscheinen zu lassen. Sie lassen sich vor den Karren eines Präsidenten spannen, der in seiner Antrittsrede ein Zeitalter des neuen Protektionismus ausgerufen hat.“
Wohlweislich sprach die Frankfurter Allgemeine von „vermeintlich großen Ankündigungen“, denn Baumann hatte Trump nichts Neues erzählt. So räumte er bei der Bilanz-Pressekonferenz am 22. Februar 2017 dann auch ein: „Wir haben keine Versprechungen gemacht, die über das hinausgehen, was wir im September bei der Bekanntgabe der Transaktion gesagt haben.“ Trotzdem befürchtete der BAYER-Betriebsrat, das Job-Versprechen des Vorstandsvorsitzenden im Zuge seiner transatlantischen Charme-Offensive würde auf Kosten bundesdeutscher Arbeitsplätze gehen. „Wir erwarten (...) vom BAYER-Vorstand, dass er die Zusagen einhält, die er der Belegschaft im Mai bezüglich Kündigungsschutz und Standort-Sicherung gemacht hat“, erklärte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Oliver Zühlke. Aus ganz anderen Gründen beurteilten einige WirtschaftsexpertInnen die Arbeitsplatz-Zusagen des BAYER-Chefs skeptisch. „Ein Unternehmen, das nach einer Akquisition mehr Beschäftigte braucht, suggeriert, dass der Deal ineffizient ist (...) Der Aufbau von Stellen würde ein Grund sein, den Deal zu verhindern statt ihn zu befördern“, schrieb etwa der Kartellrechtsprofessor John M. Newman.
Die eigentliche Zielgruppe von Baumanns Aktion, die Finanzmarkt-AkteurInnen, urteilten erwartungsgemäß positiver über das Treffen. „Mission erfüllt“ hieß es in diesen Kreisen. „Die BAYER AG (...) scheint dem Deal festeren Boden verschafft zu haben, indem sie Präsident Trump Investitionen und den Erhalt von amerikanischen Jobs zusicherte, gab MarketWatch die Ansicht von InvestorInnen und AnalystInnen wieder. Einer allerdings glaubte schon viel früher an die Sache: Warren Buffet. Der nach Bill Gates zweitreichste Mann der Welt hatte über seine Firma BERKSHIRE HATHAWAY bereits im September 2016 mehr als 800 Millionen Dollar in MONSANTO-Aktien gesteckt.
Sicherheitshalber engagierte der Leverkusener Multi aber noch vier neue KommunikationsberaterInnen für die Pflege der politischen Landschaft in den USA und zwangsverpflichtete MONSANTO, bei den PR-Maßnahmen mitzumachen. Und so musste dann der Konzern, der sich Jahrzehnte lang konsequent vor der Öffentlichkeit abgeschottet hatte und sogar sorgfältig darauf achtete, im Internet keine Bilder von seiner Firmen-Zentrale in St. Louis kursieren zu lassen, auf einmal JournalistInnen die Türen öffnen und Image-Pflege betreiben. Mit warmen Worten wie „Ich finde es toll, dass ich jetzt von meiner Arbeit erzählen darf“, begrüßten die ForscherInnen jetzt die ReporterInnen. „Wir tun viele gute Dinge und den Leuten, die hier arbeiten, liegt die Menschheit wirklich sehr am Herzen. Trotzdem werden wir verteufelt“, klagten sie und bemühten sich redlich, eine andere Seite von MONSANTO zu zeigen. Wie sehr ihnen die Menschheit am Herzen liegt, demonstrierten die WissenschaftlerInnen unter anderem mit ihrer Arbeit an einer Zwiebel, die beim Schneiden nicht mehr auf die Tränendrüse drückt. Aber da die beiden Unternehmen den 66-Milliarden-Dollar-Deal mit Vorliebe als ein Projekt vermarkten, das sich als eine Art börsennotierter Welthungerhilfe versteht, setzte sich der US-Gigant bei den Lokalterminen vor allem als Entwicklungshelfer in Szene, den nichts so sehr umtreibt, als die Ernährungsprobleme der Menschheit zu lösen.
Jenseits solcher publizistischen Nebelkerzen lässt BAYER jedoch keinen Zweifel daran, an der Unternehmenspolitik festhalten zu wollen, die MONSANTO zurecht den Beinamen „Evil Empire“ eingebracht hat. So hat der Leverkusener Multi gar nichts dagegen, LandwirtInnen Lizenz-Verträge für Saatgut aufzuzwingen und die Gerichte zu bemühen, falls die Bauern und Bäuerinnen es dann wieder aussäen, ohne zu zahlen. „MONSANTO hat ein völlig neues Geschäftsmodell etabliert und marktfähig gemacht“, lobt Baumann. Selbst die Klagen gegen FarmerInnen rechtfertigt er: „Wenn man ein solches Verhalten als Unternehmen toleriert, entzieht man dem Geschäftsmodell die Basis. MONSANTO hat nur seine Rechtsposition verteidigt“. Gegen Glyphosat hat der Große Vorsitzende ebenfalls nichts. „Ein sehr gutes und auch gut erforschtes Herbizid von MONSANTO, das auch weiterhin seine Daseinsberechtigung haben wird“, befindet er. Gegenteilige Einschätzungen, etwa als krebserregendes Pestizid, seien nicht auf wissenschaftlicher Basis erfolgt, so der Ober-BAYER im Interview mit Die Zeit. Und dass sich in Indien schon hunderttausende FarmerInnen umgebracht haben, weil sie das teure, aber nur wenig Erträge einbringende Gentech-Saatgut von MONSANTO in den Ruin getrieben hat, streitet der Manager schlichtweg ab. „So etwas wird nicht dadurch wahr, dass NGOs sich gegenseitig bestätigen und in ihrer Kritik noch bestärken“, meint er.
Gelänge die Übernahme, so hätte das neue Konstrukt die Möglichkeit, solche Praktiken mit noch mehr Markt-Macht durchzusetzen. Die Geschäftszahlen von 2015 zugrunde gelegt, erzielen die Landwirtschaftssparten von BAYER und MONSANTO zusammen einen Umsatz von 23,1 Milliarden Dollar. Damit kann niemand aus der Branche mithalten. Bei den Pestiziden erreichen BAYER und MONSANTO zusammen einen Marktanteil von rund 25 Prozent, beim Saatgut für gentechnisch veränderte und konventionelle Ackerfrüchte einen von rund 30 Prozent. Allein die Gen-Pflanzen betrachtet, erlangen die beiden Konzerne vereint mit weit über 90 Prozent sogar eine Monopol-Stellung. Und diese hofft Werner Baumann vor allem in China nutzen zu können, wenn das Reich der Mitte im Zuge des SYNGENTA-CHEMCHINA-Deals wie erwartet seinen Widerstand gegen die Laborfrüchte aufgeben wird. Zudem hätte der Leverkusener Multi durch die Akquisition Zugriff auf das riesige Reservoir an Pflanzen-Saaten, das MONSANTO zusammengetragen hat, und wäre so imstande, Mutter Natur tüchtig in die Parade zu fahren. Der Leverkusener Multi aber möchte von diesen Befürchtungen nichts wissen. Er streitet schlichtweg ab, durch die Übernahme eine dominante Position zu erlangen. „Es wird weiterhin intensiven Wettbewerb in der Branche geben“, meint der BAYER-CROPSCIENCE-Leiter Liam Condon.

EU will genau prüfen
Die Kartell-Behörden, denen die Genehmigung der Transaktion obliegt, scheinen daran so ihre Zweifel zu haben. Nicht zuletzt deshalb zeigt sich Werner Baumann zwar zuversichtlich: „Bei der vereinbarten Übernahme von MONSANTO kommen wir gut voran“, appelliert aber doch schon mal vorsorglich an die Geduld seiner AktionärInnen: „Die Übernahme von MONSANTO ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“ Und es liegen so einige Hindernisse auf der Strecke, die Umwege erfordern. In den USA, wo das Prüfverfahren schon läuft, sieht sich der Konzern beispielsweise schon gezwungen, mehr Geschäftsbereiche abzugeben, als zunächst geplant. Hatte er ursprünglich einkalkuliert, sich von einem Sortiment in einem Umfang von bis zu 1,6 Milliarden Dollar Umsatz trennen zu müssen, um die Kartell-WächterInnen gnädig zu stimmen, so ist der Multi in seiner Rechnung nun bereits bei 2,5 Milliarden angelangt.
In Brüssel kam der Konzern bei seinem Marathon-Lauf nicht einmal aus den Startblöcken. Die Wettbewerbsbehörde der Europäischen Union hat Anfang 2017 die Annahme des BAYER-Antrags verweigert, weil wichtige Unterlagen fehlten. Der weitere Ablauf dürfte ebenfalls nicht störungsfrei verlaufen, wie die ManagerInnen von SYNGENTA, CHEMCHINA, DOW und DUPONT schon zu erfahren hatten. Da kommt also so einige Arbeit auf Volker Koch-Achelpöhler zu, den der Leverkusener Mulit im Februar 2017 zu seinem neuen Chef-Lobbyisten in EU-Angelegenheiten bestallte. Der EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis kündigte jedenfalls schon einmal an, die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager werde sich auch BAYSANTO „sehr, sehr genau ansehen“. Bereits unmittelbar nach Bekanntgabe des Deals hatte die sozial-liberale Politikerin aus Dänemark klargestellt, dafür Sorge tragen zu wollen, „dass die Landwirte und Verbraucher die Auswahl zwischen verschiedenen Saaten haben und sie nicht einem einzigen Produzenten und einer einzigen Art von Pestiziden gegenüberstehen“.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) schaltete sich zugleich in den Prozess ein. Sie forderte Vestager in einem Offenen Brief auf, sich nicht in einer kleinteiligen Prüfung des MONSANTO-Kaufs und der anderen Deals zu ergehen und die Vorgänge jeweils bloß mit der Auflage, sich von einigen Geschäften zu trennen, abzuschließen, sondern die Transaktionen schlichtweg zu verhindern. In dem Schreiben, das die Coordination gemeinsam mit der schweizer Initiative „Brot für alle“ verfasste, welche die Übernahme von SYNGENTA durch CHEMCHINA zu stoppen sucht, heißt es unter anderem: „Bereits heute beherrschen sechs transnationale Konzerne die Weltmärkte für Pestizide und Saatgut. Nach Abschluss der geplanten drei Fusionen wären es noch vier. Deren Marktbeherrschung und Kontrolle über das Ernährungssystem wäre immens. Sollten alle Übernahmen zustande kommen, würden die betreffenden drei Firmen über 65 Prozent des globalen Pestizid-Markts und fast 61 Prozent des kommerziellen Saatgutmarkts beherrschen. Bei einzelnen Nutzpflanzen und Pestiziden wäre die Konzentration noch weitaus größer.“ Und die Wettbewerbskommissarin fand in ihrem Briefkasten überdies nicht nur diesen Offenen Brief, sondern auch ähnliche Appelle von BÜNDNIS 90/Die Grünen, FIAN und FRIENDS OF THE EARTH EUROPE. Und das MONSANTO-Tribunal, das im letzten Herbst 29 ZeugInnen zu den Machenschaften der US-Firma vernahm (SWB 1/17) und seine Schlussfolgerungen daraus der Öffentlichkeit am 18. April präsentieren will, sandte ebenfalls Post in die belgische Hauptstadt. Es forderte Margrethe Vestager – mit Durchschlag an den Leverkusener Multi – in einer Eingabe auf, „sicherzustellen, dass BAYER im Falle einer Übernahme die volle juristische Verantwortung übernimmt“ für das, was MONSANTO in den letzten Jahren so verbrochen hat.
Allein auf dem kleinen Dienstweg in Brüssel dürfte die neueste Konzentrationswelle im Landschaftsbereich aber kaum zu stoppen zu sein. Darum gab es in den letzten Monaten noch eine Vielzahl von Aktionen auf der Straße gegen das BAYER-Vorhaben. Am 11. Oktober demonstrierten LandwirtInnen mitsamt ihrer Schweine vor dem BAYER-Stammsitz in Leverkusen gegen den Deal. Drei Wochen später statteten AktivistInnen der Initiative EZLN der Niederlassung des Leverkusener Multis im belgischen Diegem einen Besuch ab und gestalteten die Eingangshalle mit etwas Laub, Erde und Geäst um. Und am 18. Januar 2017 fanden sich LandwirtInnen, ImkerInnen und andere AktivistInnen vor der Berliner BAYER-Zentrale ein und forderten: „BAYER und MONSANTO – bleibt uns vom Acker.“ Auch die „Wir haben es satt“-Demonstration drei Tage später schrieb sich diese Parole auf die Fahnen.
Kulminieren werden diese Proteste aber bei der BAYER-Hauptversammlung, die am 28. April im Bonner „World Conference Center“ (WCCB) stattfindet. Schon am Tag zuvor ist in der Kölner Universität eine Diskussionsrunde zum Weltagrarmarkt mit TeilnehmerInnen wie dem Träger des Alternativen Nobelpreises, Nnimmo Bassey und dem nordrhein-westfälischen Umweltminister Johannes Remmel angesetzt. Und beim AktionärInnen-Treffen selbst muss der Agro-Riese sich vor und in der Halle auf einiges mehr gefasst machen als in den letzten Jahren ...