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Die IG FARBEN im Spanischen Bürgerkrieg
„Selbstverständliche Pflicht, Franco zu helfen“
Vor 75 Jahren begann der Spanische Bürgerkrieg. Die von BAYER mitgegründete IG FARBEN ergriff dabei auf allen erdenklichen Wegen Partei für die Putschisten um General Franco, wie die 1966 erschienene Untersuchung „Die Herren Generale“ von Dr. Janis Schmelzer erhellt.
Am 17. Juli 1936 erhoben sich die Truppen Francisco Francos gegen die demokratisch legitimierte Volksfront-Regierung. Aber die Bevölkerung setzte sich zur Wehr und verteidigte die Republik. Unterstützung erhielt sie von Freiwilligen aus ganz Europa, während die faschistischen Regime in Deutschland und Italien sich auf die Seite der Putschisten stellten. Hitler sollte sich später brüsten, dass es „ohne die Hilfe der beiden Länder (...) heute keinen Franco“ (1) gäbe.
Einen bedeutenden Anteil daran hatte die von BAYER mitgegründete IG FARBEN. Der mit Abstand größte ausländische Investor in Spanien, der im Land 14 Niederlassungen unterhielt, stand den Putschisten treu zur Seite. Die Volksfront, die als Sieger aus den Wahlen im Februar 1936 hervorgegangen war, bereitete dem Konzern nämlich so einige Sorgen. „Von einer ungezügelten Flut sozialer extremer Bestrebungen“ (2) sprach der Bericht „Über soziale Kämpfe der Gegenwart in Spanien“, knapp sechs Wochen nach dem Erfolg der Koalition aus SozialistInnen, KommunistInnen und RepublikanerInnen verfasst von den IG-Statthaltern in Flix nahe Barcelona. „Die Einführung der Krankenkassen und andere schöne Dinge mehr“ wie die Verkürzung der Arbeitszeit, eine Sozialgesetzgebung und Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit versetzten die Managern nicht weniger in Unruhe als die Aussicht auf eine Stärkung der Selbstständigkeit Kataloniens.
Die IG flieht
Bereits unmittelbar nach dem Putsch verließen sämtliche deutschen Angestellten die Niederlassungen in Flix und Bearcelona - im Stammland der Volksfront mochten sie sich nicht länger aufhalten. Das Auswärtige Amt hatte, von der „Wirtschaftspolitischen Abteilung“ der IG FARBEN um eine Einschätzung der Situation gebeten, zwar versichert, die Regierungskoalition „sei bemüht, Zwischenfälle zu vermeiden“, aber das beruhigte das Personal offenbar nicht. So begab es sich in die von Franco kontrollierten Gebiete oder „Heim ins Reich“, wobei einige der Beschäftigten als Transportmittel das Panzerschiff „Deutschland“ benutzt haben dürften. Auf solche Vorkehrungen hatte die „Wirtschaftspolitische Abteilung“ gegenüber den deutschen Stellen nämlich gedrungen, weshalb sie nach Spanien vermelden konnte: „Das Oberkommando der Kriegsmarine ist auf die Lage der in Flix befindlichen IG-Herren vom Auswärtigen Amt besonders hingewiesen worden und hat entsprechende Anweisungen an die in Spanien befindlichen Kriegsschiffe gegeben“ (3).
Die 3-köpfige Geschäftsleitung von AGFA-FOTO blieb vorerst. Aber Ende September 1936 beorderte die Zentrale zwei von ihnen in die Heimat zurück. Zwei Wochen später ging auch der Geschäftsführer Enrique Herold, nicht ohne 815.000 Peseten, den Tresor-Schlüssel und wichtige chemische Formeln mitzunehmen. Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen mit dem neuen Aufsichtsgremium, welches das katalonische Wirtschaftsministerium geschaffen hatte. Die IG-Manager sahen in dem gewählten Kontroll-Komitee das Schreckgespenst der Kollektivierung aufsteigen, obwohl sich die Schockeffekte sehr in Grenzen hielten und die angeblich so bösen Geister partout nicht von den guten Geistern verlassen werden wollten. Der nunmehr mit der Leitung des Unternehmens betraute Betriebsrat arbeitete zwar „mit allen Mitteln für die antifaschistische Sache“, warf den Managern in einem Brief aber gleichzeitig vor, „zu einer Zeit, wo es gerade besonders nötig und angebracht gewesen wäre, das neue geschäftliche Leben zu organisieren und aufzubauen“, geflohen zu sein (4). Die Gewinne führte die AGFA-Niederlassung ebenfalls ganz ordnungsgemäß ab.
So war es denn auch weniger der Sozialismus, den das damals größte europäische Unternehmen fürchtete, als vielmehr die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtsstaates. Der hatte nämlich ausländischen Firmen schon vor der Volksfront-Zeit verboten, über eine bestimmte Grenze hinaus spanische Firmen aufzukaufen, um die heimische Wirtschaft zu schützen. Darum hatte die IG - wie andere deutsche Konzerne auch - ihren Besitz in dem Land Strohmännern übertragen. Und genau darauf war das Kontroll-Komitee gestoßen. „Das Comité verlangt für heute Auskunft über verschiedene die finanzielle Struktur der AGFA-FOTO betreffende Fragen“, verlautete aufgeregt aus Barcelona (5). „Da es mit Rücksicht auf mögliche spätere außerordentlich hohe Forderungen des Steuerfiskus vorerst unter keinen Umständen konveniert, zuzugeben, dass sich das gesamte Aktien-Kapital der AGFA-FOTO in den Händen der I.G., also einer ausländischen Firma, befindet“, erhielt Enrique Herold zunächst den Rat, auf Zeit zu spielen. Irgendwann aber wurde der Boden für ihn zu heiß.
Auch aus solchen Gründen schlug sich die IG auf die Seite Francos. Sie leistete ihm auf jede erdenkliche Art Beistand. Die Gesellschaft spendete dem General und seinem Anhang mehrmals Beträge in Höhe von 100.000 Peseten und bedachte dabei militärische Erfolge mit Sonderprämien. Gemeinsam mit SIEMENS und anderen deutschen Unternehmen unterstützte der Mörder-Konzern die „Legion Vidal“, die Sanitätstruppe der Putschisten, und rüstete die Kämpfer aus. „Während der ganzen Dauer des spanischen Bürgerkriegs hat Deutschland und innerhalb Deutschlands 100-prozentig die AGFA es fertiggebracht, Spanien, d. h. die spanische Wehrmacht mit den unbedingt erforderlichen Mengen (...) zu versorgen“, verkündete der Multi stolz (6). Von Zellwolle für die Uniformen bis hin zu Quecksilber und Experten für den „chemischen Kriegsdienst“ des Francisco Franco lieferte die IG FARBEN alles. Zufrieden meldete der den Schwermetall-Deal betreuende Generalstabsoffizier - und in Diensten der IG stehende - Luis Muntatas seinem Chef: „Dieser Bitte wurde in Deutschland ohne weiteres nachgegeben, weil man es für eine selbstverständliche Pflicht hielt, der Regierung Franco in jeder Weise behilflich zu sein“ (7).
In internen Schreiben rühmten IG-Manager den „vorbildliche(n) Kampfesmut“ der Franco-Schergen und erklärten die Eroberung von Toledo zum „Ruhmesblatt in der Geschichte Spaniens“ (8). Entsprechend unterteilten sie ihre Belegschaft in „gute Elemente“ und „Rote“. Zu diesem Zweck führte die Direktion Fragebogen-Aktionen durch und legte Schwarze Listen an. Auf einer solchen erschien etwa Tomas de V. Gali, der 2. Kommandant des republikanischen Schlachtschiffes „Gravina“, als besonders verdächtige Person. AgentInnen der Geschäftsleitung spürten solche unsicheren Kantonisten auf, von denen es eine ganze Menge gab. Zwei Drittel der Belegschaftsangehörigen standen den Spitzel-Berichten zufolge auf der Seite der Republik. Diejenigen, „die zur anderen Seite neigen bzw. zu uns halten“, erhielten unter einer Deckadresse Anweisungen zur Sabotage. Sogar in Führungspositionen gelangten die Undercover-Leute: Juan Trilla Buxeda leitete den Betriebsrat. Zudem hatte die IG Nazi-Spione wie Friedrich Lippenheide, Richard Modenhaus, Heinrich C. Langenbein, Rolf Rüggeberg und Albrecht von Koss in ihren Reihen. Insgesamt 104 solcher Personen identifizierte die US-Regierung bei den IG FARBEN, anderen Firmen wie MAN, LUFTHANSA, TELEFUNKEN oder bei den deutschen Konsulaten (9).
Handfeste Interessen
Dabei trieb nicht einfach faschistisches Kameradschaftsgefühl das Nazi-Regime und seinen größten Konzern an. Hitler und die IG verfolgten vielmehr handfeste Interessen. Sie konnten sich in dem Staat an der Zurückdrängung der „roten Gefahr“ versuchen und sich durch den „Weltkrieg im Kleinen“, wie es ein IG-Manager ausdrückte, auf den großen Waffengang vorbereiten. Spanien bot nicht nur Gelegenheit, die Allianz mit Benito Mussolini zu festigen, es diente auch als Truppenübungsplatz und als Rohstoff-Reservoir für die deutsche Wehrwirtschaft.
Diese zu stärken, hatte sich der Vierjahresplan von 1936 zur Aufgabe gemacht. Er leitete die Umstellung zu einer Ökonomie ein, die ihren Schwerpunkt auf die Erzeugung von Rüstungsgütern legt und sich unabhängig insbesondere von Rohstoff-Lieferungen aus dem Ausland macht. Die Blaupause für den Plan hatte die IG FARBEN geliefert. Hatte der Konzern in der Anfangszeit des Faschismus noch auf Freihandel gesetzt, so drängte ihn seine Devisen-Knappheit ab 1935, Niederlassungen in Übersee zu schließen und auf einen Autarkie-Kurs zu setzen. Passgenau für ihre Bedürfnisse schneiderten die IG-Experten das Konzept zurecht, das als Grundlage für den Vierjahresplan diente, weshalb er bald „IG-FARBEN-Plan“ hieß. Auch über die Umsetzung wachten zahlreiche, in die neue Vierjahresplan-Behörde abgestellte Konzern-Beschäftigte. So flossen 90 Prozent des Gesamtetats in den Chemie-Bereich und davon wiederum 72,7 Prozent in die eigenen Kassen weiter. Und bei der „Erweiterung des Lebensraums bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis unseres Volkes“, wie Hitler in seiner Denkschrift zum Vierjahresplan formulierte, kam auch Spanien eine Rolle zu, verfügte das Land doch über wichtige Bodenschätze.
Rohstoff-Reservoir
Ob „wir unsere Hilfeleistungen nach Spanien als erfolgreich oder misslungen bezeichnen können“, machte Johannes Bernhardt als Görings Wirtschaftsstatthalter in dem Land nicht etwa von einem Sieg der Truppen Francos abhängig, sondern ganz profan von der „Lösung oder dem Scheitern unserer Bemühungen im spanischen Bergbau“ (10). Der IG-Direktor Heinrich Gattineau, im Konzern auch Verbindungsmann zur Nazi-Regierung, machte sich gleich im Herbst 1936 auf nach Spanien, um die Lage zu sondieren. Ihn trieb die Sorge um, durch den Bürgerkrieg von der Versorgung mit wichtigen Rohstoffen abgeschnitten zu sein. So warnte er in seinem Reisebericht „vor der sehr gefährlichen Situation, nicht mehr genügend Schwefelkies für die Schwefelsäure-Produktion einführen zu können“. Über die Hälfte des Bedarfs an diesem auch Pyrit genannten Minerals deckte das „Deutsche Reich“ aus spanischen Quellen. Aber die sprudelten entgegen Gattineaus Befürchtungen schon bald wieder. Über 200.000 Tonnen Schwefelkies akquirierten die deutschen Stellen bereits im Oktober 1936. Ein Großteil davon ging an die IG FARBEN; über die Jahre lag ihr Anteil am Gesamt-Import bei 80 Prozent. Auch Wolfram und Eisenerz, das Hitler 1937 in einer Rede als Hauptgrund für das Engagement im Bürgerkrieg genannt hatte, gelangte in ausreichenden Mengen nach Deutschland.
Durch den Rohstoff-Hunger des „3. Reiches“ wandelten sich die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern fundamental. Der Anteil von Schwefelkies, Eisenerz & Co. an den Importen stieg binnen weniger Jahre von 35 auf 80 Prozent und verdrängte landwirtschaftliche Produkte wie Wein und Obst von den Spitzenplätzen - nicht unbedingt zum Gefallen Francos. Auch formell veränderte sich einiges. Das gesamte Ein- und Ausfuhrgeschäft lief über die beiden sich ergänzenden Institutionen HISMA und ROWAK ab, „weil mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Vierjahresplans eine restlose Erfassung der in Spanien zur Verfügung stehenden und für die deutsche Wirtschaft lebensnotwendigen Rohstoffe und Nahrungsmittel anders nicht gesichert erschien“ (11). Die Putschisten verfügten nämlich nicht über genug Gold- oder Devisenreserven, um beispielsweise Waffen zu kaufen und so etablierte Göring über HISMA/ROWAK ein Tauschsystem, in dem Kriegsgerät etwa gegen Bergbau-Konzessionen verrechnet wurde. Später überschrieb Franco zur Zahlung seiner Kriegsschulden in Höhe von 480 Millionen Reichsmark sogar sechs Minen ganz an seinen Bündnispartner.
Die Monopolstellung der neuen Organisation fand nicht die ungeteilte Zustimmung der IG FARBEN, nicht nur wegen der Vermittlungsgebühr, die für jeden über die Einrichtung abgewickelten Deal zu zahlen war. Der Konzern arbeitete lieber selbstständig. „Die Abteilung Exportförderung versucht zur Zeit, private Verrechnungsgeschäfte ohne Einschaltung der ROWAK/HISMA zustande zu bringen“, heißt es in einem Firmen-Dokument vom Dezember 1936 (12). So hatte Heinrich Gattineau auf seiner Spanien-Reise gleich das Hauptquartier der Franco-Schergen in Burgos aufgesucht, um eigenmächtig über die Lieferung von Stickstoff für den militärischen Bedarf zu verhandeln. Aber es gelang schließlich nicht, die ROWAK dabei zu umgehen, wie auch später kaum. Nur beim Export von Farben und Pharmazeutika in geringeren Mengen konnte das Unternehmen die mächtige Institution außen vor halten.
Guernica
Die bürokratischen Umwege, welche die IG FARBEN gehen musste, beeinträchtigten die Geschäfte indes kaum. Besonders die Nord-Offensive Francos vom Frühjahr 1937, die für immer mit dem Namen „Guernica“ verbunden bleibt, feuerte die Rohstoff-Exporte an, gelang es den Putschisten doch, Kontrolle über bodenschatz-reiche baskische Industrie-Regionen zu bekommen. Die Eisenerz-Ausfuhr verdreifachte sich von 1937 auf 1938, während die entsprechenden Lieferungen nach England einbrachen. Auch die Schwefelsäure-Exporte zogen an.
Dafür leistete der Chemie-Verbund Franco beträchtliche Schützenhilfe, denn bei den Luftangriffen der „Legion Condor“ auf Guernica und andere baskischen Städte kam die IG-Brandbombe B1E zum Einsatz. Sie entwickelte beim Einschlag eine Hitze von bis zu 2.400 Grad und entfachte eine Feuersbrunst, der mit Löschwasser nicht beizukommen war. Es zersetzte sich unter solch hohen Temperaturen sofort in Wasserstoff und Sauerstoff und bildete explosives Knallgas.
Die genaue Zerstörungsleistung - allein in Guernica starben an einem einzigen Tag fast 1.700 Menschen - untersuchten Experten minutiös; Spanien galt den Nazis nämlich auch als gigantischer Truppenübungsplatz. Und „Folgerungen im Hinblick auf einen europäischen Krieg“ ergaben sich gleich mehrere. Die Zivilbevölkerung sei „durch fortdauernde Angriffe kleinerer Einheiten (...) tief beeindruckt und verängstigt“ worden, protokollierten die Berichterstatter und prognostizierten: „In einem europäischen Krieg können Städte mit Holzfachwerk-Bau durch die Brandbombe angesteckt werden“ (13). Das tat der Legionsstabschef Wolfram Freiherr von Richthofen mit seinen Spanien-erprobten Geschwadern dann auch später bei seinen Weltkriegseinsätzen über Wielu, Minsk, Witebsk, Orscha und anderen polnischen oder sowjetischen Städten.
Nach dem Bürgerkrieg
Zum Ende des Bürgerkriegs zog die IG eine positive Bilanz. „Die zukünftige Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen Spanien und Deutschland wird positiv gesehen“, heißt es im Report „Spaniens Wirtschaftskräfte“ (14). „Deutschland ist in der Position, spanische Rohstoffe in ansehnlichen Mengen zu importieren“, konstatiert er und macht sich Hoffungen darauf, nicht nur vom Krieg, sondern auch vom Wiederaufbau profitieren zu können. Die große Bedeutung des Landes für Nazi-Deutschland strich im selben Jahr noch einmal der IG-Obere Carl Krauch heraus, der in der Vierjahrsplan-Administration inzwischen zum mächtigsten Mann aufgestiegen war. In einem unverhohlen kolonialistischen Memorandum empfahl er, dass „das Wirtschaftsgebiet zunächst friedlich auf den Balkan und auf Spanien ausgedehnt wird, entsprechend den verbesserten Rohstoff-Verhältnissen unserer Bundesgenossen“ (15).
In der Zeit nach dem Ende des Bürgerkriegs entfaltete die IG FARBEN eine rege Wirtschaftstätigkeit. Da der Heimatmarkt kaum noch lukrative Anlage-Möglichkeiten bot, suchte sie - wie andere deutsche Konzerne auch - anderweitig nach lohnenden Investitionsobjekten. So nahmen die FLIX-Werke 1941 eine Kapitalerhöhung vor. 1943 wollte die Niederlassung nochmals zunächst von neun auf zwölf Millionen Peseten und dann sogar auf 40 Millionen aufstocken. Die Nazi-Behörden erlaubten das jedoch nicht, zu sehr litt das „Deutsche Reich“ mittlerweile an der Kapitalflucht.
Nach dem Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg focht das faschistische Spanien nicht mit den Achsenmächten. Vom Bürgerkrieg ausgepowert, wahrte es Neutralität, wobei diese sich jedoch - je nach Frontverlauf - mal mehr zu der einen und mal mehr zu der anderen Seite neigte. Ab 1944 wandte das Land sich verstärkt den Alliierten zu und machte auch entsprechende Zugeständnisse wie etwa die Einstellung der Wolfram-Exporte nach Deutschland.
Der Franco-Staat blieb aber immer ein unzuverlässiger Partner. Er konfizierte zwar die Geschäftsvermögen der IG FARBEN und anderer deutscher Firmen auf Geheiß der USA, tat das aber auf eine Weise, die den Schaden in Grenzen hielt (16). Weil das Außenministerium das wahre Ausmaß des deutschen Firmenbesitzes in Spanien vor den Siegermächten verbarg, vermochte diese nur 27 Prozent der eigentlich angesetzten Summe zu beschlagnahmen . Vor allem sorgte die zuständige Kommission dafür, dass die IG und andere Unternehmen nie ganz den Zugriff auf ihre spanischen Latifundien verloren. Die mit der Versteigerung der Betriebe betraute Bank URQUIJO erteilte nämlich mit Vorliebe spanischen Statthaltern oder früheren Angestellten den Zuschlag. Damit diese Übergabe reibungslos vonstatten gehen konnte, hatte das Außenministerium die Ausweisung nicht weniger deutscher Manager, Politiker oder Spione verhindert. Auch der Spanien-Chef der IG, Ferdinand Birk, verschwand so von der Schwarzen Liste der Alliierten, angelegt, um das Land nicht zu einem Rückzugsort für deutsche Nazis werden zu lassen. Er stieg stattdessen zum Leiter von UNICOLOR auf. Die AGFA-Foto ging an ihren ehemaligen Geschäftsführer Enrique Herold. Der spanische IGler José Luis Gallego durfte gleich zwei Niederlassungen vorsitzen, während sein Bruder mit finanzieller Hilfe von BAYER und SCHERING das „Instituto Farmacológico Español“ aufbaute.
Die Herren taten alles dafür, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten wieder zu normalisieren. Besonders Birk legte sich mächtig ins Zeug. Er nahm die spanische Staatsbürgerschaft an, stand an der Spitze der deutschen Handelskammer und hielt nicht nur in dieser Funktion die Gemeinde der „MigrantInnen“ zusammen. Die beiden HistorikerInnen Núria Puig und Rafael Castro bezeichnen ihn als „Master of Ceremony“ des Comebacks der deutschen Wirtschaft in dem europäischen Land. Das größte Hindernis dafür wurde 1958 aus dem Weg geräumt. In diesem Jahr schlossen Bonn und Madrid ein Abkommen, das die Rückgabe-Frage klärte und den deutschen Firmen zehn Prozent der nach 1945 konfizierten Vermögenswerte zurückerstattete. Franco war daran gelegen, Investoren ins Land zu locken, weshalb er ein Jahr später auch seinen Botschafter austauschte. Neuer Chef-Diplomat wurde mit Luis de Urquijo y Landecho der Vizepräsident der URQUIJO-Bank. Die Konzerne ergriffen sofort die Chance und brachten sich nach und nach auch offiziell wieder in den Besitz ihrer Firmengüter. Und so nahmen die IG-FARBEN-Nachfolger unter den größten deutschen Firmen in Spanien bald wieder Spitzenplätze ein. 1972 führte BAYER vor HOECHST die Rangliste an, und nach der AEG und SIEMENS folgte die BASF auf Position fünf. Von Jan Pehrke
Quellen:
=> “Die Herren Generale (1966), Dr. Janis Schmelzer (eine Kopie senden wir gerne zu)
=> French and German Capital in Nineteenth- and Twentieth-Century Spain, Núria Puig and Rafael Castro http://www.h-net.org/ business/bhcweb/publications/BEHonline/2006/puigandcastro.pdf
=> DIE ZEIT zur Zerstörung von Guernica
ANMERKUNGEN
(1) Der Spanische Bürgerkrieg in der internationalen Politik, Hg: Wolfgang Schieder u. Christof Dipper, München 1976, S.15
(2) Dr. Janis Schmelzer, Die Herren Generale, Halle-Wittenberg, 1966, S. 13
(3) a.a.O, S. 23
(4) a.a.O, S. 83
(5) a.a.O, S. 68
(6) a.a.O, S. 25
(7) a.a.O, S. 27
(8) a.a.O, S. 68
(9) Robert H. Whealey, Hitler and Spain: The Nazi Role in the Spanish Civil War, Kentucky 2005, S. 144
(10) Schieder, S. 176
(11) a.a.O, S. 176
(12) Schmelzer, S. 76f
(13) Hannes Heer, Straße um Straße in DIE ZEIT Nr.17 vom 19.04.2007
(14) Christian Leitz, Economic relations between Nazi Germany and Franco's Spain: 1936-1945, S. 98
(15)Nuremberg Trials. War Crimes and International Law, Ergänzte Sonderausgabe, Übersetzung aus dem Englischen von Ruth Kempner, Zürich 1951, S. 92
(16) Zum Folgenden: Núria Puig und Rafael Castro, Changing and Persisting Patterns of International Investment: French and German Capital in Nineteenth- and Twentieth-Century Spain, Business and Economic History online, Volume 4, 2006, S. 18ff
Liebe Leserinnen und Leser,
TRANSPARENCY INTERNATIONAL DEUTSCHLAND unterstützt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN bei ihrer Klage gegen die Universität Köln auf Einsichtnahme in den Vertrag zur Forschungs-Kooperation mit der BAYER HEALTHCARE AG. Seit Jahren weigert sich die Hochschule, dieser Forderung nachzugeben. Die Bildungseinrichtung macht zur Begründung den Ausnahmetatbestand „Forschung“ im Informationsfreiheitsgesetz (IFG NRW) geltend, während BAYER sich auf den Ausnahmetatbestand „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“ beruft, obwohl das vor dem Landesbeauftragten für Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen keinen Bestand hatte.
Die Weigerung, den Vertrag zwischen der Universität zu Köln und der BAYER HEALTHCARE AG offenzulegen, ist für die AG Gesundheit von TRANSPARENCY INTERNATIONAL DEUTSCHLAND ein alarmierendes Zeichen. Die Universität Köln ist eine öffentliche, durch Steuergelder finanzierte Einrichtung, die daher der öffentlichen Kontrolle unterliegt. Potentielle Patientinnen und Patienten, die die Entscheidung zu treffen haben, ob sie sich in der Universitätsklinik oder in ihren Einrichtungen untersuchen und behandeln lassen, haben ein Recht darauf, darüber informiert zu werden, welche Konsequenzen der Kontrakt auf ihre Behandlung bzw. auf Forschungsprojekte hat, an denen sie teilnehmen. Und ihre ÄrztInnen dürfen darüber auch nicht im Ungewissen gelassen werden.
BürgerInnen dieses Landes können vorerst nichts zu den Rahmenbedingungen der Kooperation erfahren und müssen zum Mittel der Klage greifen, um den Informationsanspruch durchzusetzen. Dies ist um so erstaunlicher, als der für das Wahrung des IFG zuständige Datenschutzbeauftragte des Landes NRW, Ulrich Lepper, die Universität zu Köln zur Veröffentlichung des Vertrags aufgefordert hat, da er die Gefährdung der Forschungsfreiheit durch Offenlegung des Vertrages für nicht gegeben hält - ebenso wenig wie die Gefährdung des Betriebsgeheimnisses.
Verträge zwischen Universitäten und mächtigen Firmen sind mittlerweile an der Tagesordnung. So wurde erst im Mai durch die taz bekannt, dass im Jahr 2006 ein Kooperations- und Sponsorenvertrag zwischen DEUTSCHER BANK, der Humboldt-Universität Berlin und der Technischen Universität Berlin geschlossen wurde. Danach wurden dem Geld-Institut umfassende Mitwirkungsrechte bei Forschungsprojekten, Mitspracherechte bei der Ausrichtung und Besetzung von Professuren und das Recht auf PR-Veranstaltungen eingeräumt. Unabhängige Forschungstätigkeit sieht anders aus!
Solche Verträge müssen offengelegt werden, damit der versteckten Einflussnahme von Interessengruppen auf Forschung und Lehre entgegengetreten werden kann. Ohne Zugang zu den Verträgen über das IFG ist eine demokratische Kontrolle öffentlicher Einrichtungen und der Schutz öffentlicher Güter vor Missbrauch kaum möglich. Die Antikorruptionsorganisation TRANSPARENCY INTERNATIONAL DEUTSCHLAND e.V. hat sich deshalb dazu entschlossen, die Klage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auch finanziell zu unterstützen. Die gerichtliche Entscheidung, der wir mit Spannung entgegensehen, hat große Bedeutung für uns alle. Wir wünschen der CBG viel Erfolg!
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Dr. Angela Spelsberg ist Ärztliche Leiterin des Tumorzentrums in Aachen, Mitglied des Vorstandes und stellvertretende Leiterin der AG Gesundheit von TRANSPARENCY INTERNATIONAL DEUTSCHLAND e.V.
Eine Leiharbeiterin berichtet:
Isoliert in BAYER-World
Ungefähr 650 Leiharbeiter/innen beschäftigt der Leverkusener Multi nach eigenen Angaben. Ihr trauriges Los in der Pillen-Produktion beschrieb der Journalist Markus Breitscheitel in seinem Buch „Arm durch Arbeit“ (siehe Stichwort BAYER 4/2008). Geändert hat sich seitdem nichts, wie ein Erfahrungsbericht zeigt, den die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN erhielt.
von Melanie Suchart (Name von der Redaktion geändert)
Mein Name ist Melanie, ich bin 25 Jahre alt und verlor in Deutschland jegliche Hoffnung für Deutschland.
Im August 2010 kam ich zurück nach Berlin, zurück aus Australien. Ich freute mich sehr, meine FreundInnen wiederzusehen, wieder nach Berlin zu ziehen und zu leben.
Ich meldete mich arbeitssuchend, das Jobcenter in Neukölln gab mir eine Adresse nach der anderen, überwiegend Leiharbeitsfirmen, und ich bewarb mich fleißig. Im November wurde ich dann von JOBACTIVE (Anm. der Redaktion: im Februar 2010 von BAYER verkaufte Zeitarbeitsfirma) eingestellt. Mein Einsatzort war BAYER in Berlin, die Arbeit Verpackung der Anti-Baby-Pille.
Schon beim Einstellungsgespräch warnte mich der Personalchef meiner Abteilung vor den etwas ruppigen Arbeitskollegen: Ich bräuchte ein dickes Fell. Na gut, was tut man nicht alles, wenn man keine Wahl hat, dachte ich. Schon nach wenigen Tagen auf Arbeit fühlte ich die Unzufriedenheit und Frustration meiner neuen KollegInnen. Es gab viele LeiharbeiterInnen in meinem Bereich, man erkannte sie gut. Kein BAYER-Logo auf dem mintgrünen Kittel wie es Festangestellte tragen dürfen. Die KollegInnen ärgerten sich über die Lügen der Chef-Etage und waren niedergeschlagen durch das Gefühl, jederzeit ersetzbar zu sein. Die Alteingesessenen hingegen klagten über ständig wechselnde LeiharbeiterInnen, welche immer und immer wieder neu angelernt werden müssen. Sie, die schon einige Jahre auf dem Buckel hatten bei BAYER oder SCHERING hatten genug davon, alles ständig neu erklären zu müssen; es bedeutete Stress für sie, mehr Arbeit und auch mehr Fehlerquellen. Es war nicht ihre Absicht, das die LeiharbeiterInnen spüren zu lassen, doch ich spürte es und alle ZeitarbeiterInnen mit mir.
Teamgefühl kann sich nicht entwickeln unter der Belegschaft, neue Namen, neue Gesichter am laufendem Band. Vielleicht ist dies nicht nur ein Nebeneffekt, vielleicht ist es gewollt, dass KollegInnen nicht zu stark zusammenwachsen. Jeder kämpft für sich, und der Gegner ist riesig und unsichtbar. Aus Gesprächen am Frühstückstisch hörte ich, dass die Krankenzahl enorm zunimmt und die 5 Prozent längst überschritten hat. Dies ist nur ein weiteres Indiz für die Unzufriedenheit der ArbeiterInnen.
Die Firmenleitung leierte mehr und mehr Projekte an. Man wurde gefilmt bei der Arbeit, man hatte dann einen so genannten Schatten hinter sich, der jeden Handgriff dokumentiert. Das alles im Namen der Optimierung. Riesige Tafeln an jedem Arbeitsplatz sollten den MitarbeiterInnen die Schwächen in Arbeitsabläufen nahe bringen und motivieren, noch schneller, noch effizienter zu arbeiten. Was kosten diese Firmen, die ins Haus geholt werden, um nach Optimierungspotential zu suchen? Warum immer mehr Einsparungen und Outsourcing? Die Erklärungen der Chefetage sind schon lange nicht mehr überzeugend, es sind Lügen, und ich frage mich, ob diese Leute sich noch im Spiegel anschauen können.
Ich lavierte mich durch die miese Stimmung, ohne mich anstecken zu lassen. Zweimal jedoch brach auch mein Wille, und Tränen füllten meine Augen. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, doch die Arbeit in diesem Umfeld kratzte an meiner Psyche. Isoliert in BAYER-World, acht Stunden pro Tag. Viel denken braucht man dort nicht, sollte man nicht, um seine Seele zu schonen. Ich arbeitete mich fix ein und kam zurecht, ich tat, was ich zu tun hatte, im Hinterkopf immer die Drohkulisse, dass mein Vertrag nur bis Ende des Jahres geht.
Natürlich wurde ich verlängert. Man eröffnete es mir sage und schreibe eine Woche, bevor der alte Vertrag auslief. Das sei normal, so liefe das hier immer, wurde mir gesagt.
Ich blieb bis Ende Juni 2011. Viele, viele Ungerechtigkeiten konnte ich erleben oder hörte darüber. Es gibt dort LeiharbeiterInnen, die schon seit vier Jahren immer wieder neue Verträge bekommen. BAYER schiebt sie von einem „Projekt“ in das nächste, um rechtlich sauber zu bleiben. Es gab ein Sommerfest, alle waren eingeladen - außer die LeiharbeiterInnen. Individuell angefertigte Ohrstöpsel zum Schutz vor dem Lärm bekamen sie auch nicht, das blieb den Festangestellten vorbehalten.
Über die unterschiedliche Bezahlung von LeiharbeitInnen und Festangestellten will ich nur eins sagen. Ich bin nicht der Meinung dass neuen ArbeiterInnen die gleiche Entlohnung zusteht wie solchen, die schon seit zehn Jahren im Betrieb sind, doch spielen andere Faktoren, wie z.B. das höhere Risiko einer Arbeitslosigkeit eine Rolle, dies sollte in den Tarifen Beachtung finden. Und LeiharbeiterInnen, die nach zwölf Monaten alle Arbeiten so ausführen wie die Festen, sollten das Recht auf eine Lohnerhöhung haben. Auch müssten sie denselben Urlaubsanspruch haben.
Ich hätte einen neuen Vertrag bekommen, doch ich wollte nicht mehr. Ich gehe zurück nach Australien, denn in meinem Land läuft zu viel falsch.
Kampagne gegen Gen-Reis erfolgreich
BAYER zahlt 516 Mio Euro Entschädigung
Seit sieben Jahren führt die Coordination gegen BAYER-Gefahren eine Kampagne zur Verhinderung einer EU-Zulassung von genmanipuliertem Reis. Nun wurde ein wichtiger Erfolg verbucht: wegen der Kontamination herkömmlicher Reis-Sorten muss die Firma BAYER mehr als eine halbe Milliarde Euro Entschädigungen zahlen. Eine Importzulassung in die EU rückt dadurch weiter in die Ferne. Noch in der Hauptversammlung Ende April hatte die Konzernspitze jegliche Risiken bestritten.
Von Philipp Mimkes
Im Jahr 2006 tauchte gentechnisch veränderter Langkorn-Reis von BAYER weltweit in den Supermärkten auf. In keinem Land der Erde lag zu diesem Zeitpunkt eine Zulassung der Sorte mit dem Fachnamen LL 601 vor. Rund ein Drittel der US-amerikanischen Ernte war verunreinigt. Die EU und Japan stoppten unmittelbar alle Importe aus Nordamerika, die betroffenen Landwirten blieben auf ihrer Ernte sitzen.
Über Jahre hinweg weigerte sich das Unternehmen, für den Schaden aufzukommen. Anfang Juli musste BAYER jedoch einer Schadensersatz-Regelung zustimmen, wonach den betroffenen Landwirten eine Kompensation von mehr als einer halben Milliarde Euro zusteht - selbst für einen Weltkonzern keine peanuts. Freiwillig erfolgte die Umkehr natürlich nicht: Dutzende Landwirte hatten Klagen eingereicht, die ersten Urteile wurden bereits gesprochen. Da die Verfahren ausnahmslos zu Gunsten der Bauern entschieden wurden, zog BAYER nun die Notbremse und stimmte einer generellen Entschädigung zu. Damit der Vergleich gültig wird, müssen 85% der Landwirte zustimmen. Die Annahme der Regelung gilt als sicher.
Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG): „Wir gratulieren den amerikanischen Landwirten zu diesem mühsam erstrittenen Erfolg. Die Europäische Union ist nun aufgefordert, den Antrag von BAYER CropScience auf Importzulassung für Gen-Reis endgültig abzulehnen. Der Kontaminations-Skandal zeigt einmal mehr, dass die Risiken gentechnischer Pflanzen schlicht unkalkulierbar sind!“. Die CBG kooperiert seit Jahren mit den Anwälten der Reis-Bauern und sprach das Thema wiederholt in der BAYER-Hauptversammlung an, zuletzt im April. Der BAYER-Vorstand hatte in seinen Entgegnungen die Risiken stets abgestritten und eine Entschädigung abgelehnt.
Die CBG erinnert auch daran, dass BAYER die Betroffenen zunächst verhöhnt hatte, indem die Auskreuzungen als „Act of God“, also als höhere Gewalt bezeichnet wurden. „Die weitreichende Kontamination war keineswegs unausweichlich. Gemeinsam mit anderen Umweltverbänden hatten wir schon Jahre zuvor gewarnt, dass der Einsatz von Gen-Reis zu Auskreuzungen und zur Verdrängung herkömmlicher Sorten führt“, so Köhler-Schnura weiter. BAYER und die Louisiana State University hatten vor rund zehn Jahren Freilandversuche mit LibertyLink-Reis durchgeführt, bei der es wahrscheinlich zu den Auskreuzungen kam. Der genaue Hergang konnte trotz mehrjähriger Untersuchungen nicht geklärt werden.
Der sogenannte LibertyLink-Reis besitzt eine Resistenz gegen das hochgefährliche Herbizid Glufosinat (Handelsname: Liberty), das ebenfalls von BAYER angeboten wird. Die genmanipulierten Pflanzen sind gegen den Wirkstoff unempfindlich; das Pestizid kann daher in großen Mengen verwendet werden, ohne die Nutzpflanze zu schädigen. Die LibertyLink-Technologie, die auch für Mais, Soja, Zuckerrüben und andere Pflanzen eingesetzt wird, dient in erster Linie der Sicherung des Absatzes von Glufosinat. Allein im vergangenen Jahr setzte BAYER 270 Millionen Euro mit dem Wirkstoff um.
Glufosinat gehört zu denjenigen Pestiziden, die wegen erwiesener Gefahren für Anwender und Verbraucher keine erneute EU-Zulassung erhalten werden. Obwohl der Giftstoff hierzulande künftig nicht mehr vertrieben werden darf, erhöhte BAYER erst im vergangenen Jahr die Kapazitäten für den Export – nach Ansicht der Coordination gegen BAYER-Gefahren ein klassisches Beispiel für doppelte Sicherheits-Standards.
Bereits 2003 hatte der BAYER-Konzern eine EU-Importzulassung für eine ähnliche Reis-Sorte, LL Reis 62, beantragt – als Tierfutter sowie für den direkten Verzehr. Der Antrag erhielt bei den Abstimmungen im EU-Ministerrat mehrfach keine Zustimmung, wurde bis heute aber nicht zurückgezogen.
Vor drei Jahren hatte die CBG gemeinsam mit GREENPEACE, dem BUND und den Bauern-Verbänden Demeter, Bioland und Naturland einen Offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel gesandt und davor gewarnt, dass eine Zulassung von LL-Reis die Nahrungsmittel-Sicherheit gefährde. Wörtlich hieß es in dem Schreiben: „Der Anbau von LL Reis führt unweigerlich zur Kontamination und Verdrängung traditioneller Reis-Sorten. Dies hätte ein erhöhtes Schädlingsaufkommen und einen verstärkten Einsatz gefährlicher Pestizide zur Folge“. Und weiter: „Für über 2,5 Milliarden Menschen ist Reis das wichtigste Grundnahrungsmittel. Besonders in Asien droht der Verlust traditioneller, lokal angepasster Sorten, wodurch langfristig die Ernährungssicherheit gefährdet wird. Die Europäische Union darf sich nicht über die ökologischen und sozialen Risiken von LL Reis in den potentiellen Anbau-Ländern hinwegsetzen!“.
Durch die faktisch nun vollzogene Schuldanerkennung – offiziell beharrt BAYER weiter darauf, „verantwortlich gehandelt“ zu haben – sind Importe in die EU nun noch unwahrscheinlicher geworden. Die CBG wird die Kampagne aber bis zur endgültigen Ablehnung des Zulassungsantrags fortführen.
Kampagne erfolgreich:
Keine Kohlekraft für BAYER
BAYERs Chemie-„Park“ in Krefeld muss ohne neues Kohlekraftwerk auskommen. Der Energie-Versorger TRIANEL beugte sich dem Druck der Öffentlichkeit und entschied sich für eine umweltschonendere Variante: ein Gas-und Dampfkraftwerk.
4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr, 4.000 Tonnen Schwefeloxide und Stickoxide, 400 Tonnen Feinstaub, sechs Tonnen Blei, zwei Tonnen Nickel, eine Tonne Arsen, 600 kg Quecksilber, 500 kg Cadmium und Thallium - das alles und noch viel mehr bleibt den KrefelderInnen erspart. Mitte Juli 2011 gab nämlich das Unternehmen TRIANEL bekannt, auf das geplante Kohlekraftwerk im Chemie-„Park“ von BAYER zu verzichten. Damit beugte sich die GmbH, ein Zusammenschluss von Stadtwerken, kommunalen und regionalen Energie-Versorgern, dem Druck der Öffentlichkeit.
Eine breite Allianz hatte sich zusammengefunden, um den Bau der Dreckschleuder zu verhindern. Das Kraftwerk sollte von der BAYER-Tochter CURRENTA betrieben werden und das Werk des Chemie-Multis mit Strom und Dampf versorgen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gehörte dem Bündnis ebenso an wie lokale Bürgerinitiativen, der BUND, der Niederrheinische Umweltschutz-Verein (NUV) und eine ÄrztInnen-Vereinigung. Sogar der Stadtrat sprach sich gegen das Vorhaben aus.
Immer wieder rief das Bündnis zu Demonstrationen in Krefeld auf. Zudem beteiligten sich die CBG, andere Initiativen und Privatleute an dem Genehmigungsverfahren und legten der Bezirksregierung mehr als zwanzigtausend Einwendungen vor. Auch auf die Tagesordnung der BAYER-Hauptversammlungen kam das Thema immer wieder. Aber wenn der Leverkusener Multi sich nicht gleich von aller Verantwortung lossagte und auf TRIANEL als Ansprechpartner verwies, pries er das „hochmoderne Kraftwerk“ in den ökologischsten Tönen und drohte mit Arbeitsplatz-Verlusten, falls es nicht ans Netz gehe. Ein Bündnispartner für diese Betonkopf-Politik fand der Konzern in der Gewerkschaft IG BERGBAU, CHEMIE UND ENERGIE (IG BCE), die auf das Drohszenario ansprang und bei Regionalratssitzungen und anderen Gelegenheiten Stimmung für die Steinzeit-Technologie „Steinkohle“ machte.
Bei TRIANEL jedoch zeigte die Kritik Wirkung. Die Stadtwerke von Dachau verließen den Verbund sogar wegen des in Krefeld geplanten Kohlekraftwerkes. Und als die Bundesregierung ihr neues Energiekonzept veröffentlichte, das stärker auf regenerative Energien setzte, kippte die Stimmung endgültig. „Gesellschafter votieren für Wechsel von Kohle auf Gas“, gab der Versorger am 7. Juli 2011 bekannt. Zeitdruck führte er als offizielle Begründung an. Das Unternehmen glaubte nicht mehr daran, den Bau rechtzeitig bis zur 2017 vorgesehenen Stilllegung der beiden alten Kohlekessel im Chemie-„Park“ abschließen zu können. Offenbar rechnete es mit vielen Verzögerungen im Planungsprozess durch die zahlreichen Einwendungen und den politischen Druck der KraftwerksgegnerInnen.
Für das anstelle des Klimakillers projektierte Gas- und Dampfkraftwerk reichte TRIANEL bereits Ende August 2011 erste Unterlagen für ein Genehmigungsverfahren ein. Allerdings ließ der Konzern sich ein Hintertürchen offen. „Trotz optimaler Ausrichtung des Konzeptes auf die Anforderungen der Energiewende sind aufgrund der hohen wirtschaftlichen Unsicherheiten bis zur erfolgreichen Realisierung des GuD-Kraftwerks noch etliche Steine aus dem Weg zu räumen“, erklärte der Manager Martin Hector. Zur Beseitigung der Hindernisse spekuliert er wie andere aus der Branche auf finanzielle Hilfe aus Berlin, und um die Bedürftigkeit zu unterstreichen, will TRIANEL den Antrag zum Bau des Kohlekraftwerkes vorerst nicht zurückziehen.
CURRENTA-Chef Stefan Dresely kündigte ebenfalls einen Plan B, ein BAYER-eigenes Kraftwerk, für den Fall an, dass der Stadtwerke-Verbund das GuD-Kraftwerk nicht realisiert. Nur zähneknirschend akzeptierte er die Krefelder Energie-Wende. „Da sich die wirtschaftlichen und energie-politischen Rahmenbedingungen in den vergangenen Monaten sehr stark verändert haben, verstehen wir die Entscheidung von TRIANEL“, gab Dresely zu Protokoll. Kein Verständnis hätte der Leiter des Chemie-„Parks“ allerdings für höhere Preise: Er erhebt auch für die Zukunft Anspruch auf eine Strom- und Dampfversorgung zu wettbewerbsfähigen Bedingungen.
Trotz aller noch vorhandenen Unwägbarkeiten dürfte das Gas- und Dampfkraftwerk jedoch kommen. Dennoch liegt damit noch längst nicht alles im grünen Bereich. Die Anlage ist nämlich deutlich überdimensioniert. Sie kann bis zu 1200 Megawatt Strom erzeugen - 450 Megawatt mehr als das ursprünglich avisierte Kohlekraftwerk und deutlich mehr, als der Chemie-„Park“ braucht. TRIANEL betont zwar, noch keine endgültige Entscheidung über die Kapazität getroffen zu haben und eine Leistung zwischen 800 und 1.200 Megawatt anzustreben, aber mehr als genug wird es auf jeden Fall sein. Der Konzern verfolgt offenkundig die Strategie, über die Massenproduktion den Wettbewerbsnachteil von GuD-Kraftwerken gegenüber Kohlekraftwerken wettzumachen.
So verlässt dann wohl ein Gutteil des Stroms den Chemie-„Park“, aber wie Klaus Lippert vom Bürgerverein Mündelheim feststellt: „Der Dreck bleibt doch bei uns“. Besonders in der Kritik steht der hohe CO2-Ausstoß. 2,8 Millionen Tonnen des Klimakillers – rund 60 Prozent des Kohlekraftwerk-Wertes - muss der Himmel über Krefeld verkraften, sollte TRIANEL die Anlage auf 1.200 Megawatt fahren. Und noch ein anderer ökologischer Vorteil des GuD-Kraftwerks schwände dahin: der technisch mögliche Wirkungsgrad von 90 Prozent. Dieser ergibt sich nämlich nur dann, wenn die Fertigungsstätten von BAYER & Co. den bei der Stromerzeugung anfallenden Dampf energetisch nutzen können, und das können sie bei einem 1.200-Megawatt-Kraftwerk nicht. Die überschüssige Prozesswärme ginge dann in den Rhein und würde dort für eine dem Ökosystem „Fluss“ abträgliche Aufheizung sorgen.
Darum begrüßt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zwar das GuD-Kraftwerk als Brückentechnologie hin zu einer wirklich umweltschonenden Stromerzeugung, kritisiert aber die Dimensionen. Zudem verlangt die CBG von BAYER selber eine Kehrtwende in der Energie-Politik. Sie fordert den Multi auf, den Anteil der regenerativen Energien drastisch zu erhöhen und auf energie-intensive Produktionen zu verzichten. Von Jan Pehrke
BAYERs Müllmitverbrennung
Abfallprodukt Strom
BAYER nennt es die thermische Verwertung von Abfällen - andere die schmutzigste Art der Energie-Erzeugung: die Müllmitverbrennung.
Strom muss für den Leverkusener Multi vor allem billig sein - die Risiken und Nebenwirkungen seiner Erzeugung sind ihm egal. Angesichts der Energiewende drohte der Konzern sogar schon, „seine Produktion in Länder mit niedrigeren Energiekosten zu verlagern“. Einstweilen schaut er sich allerdings noch vor der eigenen Haustüre nach preiswerteren Quellen um. Dabei ist er vor geraumer Zeit auf den Müll gestoßen. Momentan plant die 60-prozentige BAYER-Tochter CURRENTA, welche die Chemie-„parks“ betreibt, im Krefelder Industrie-Kraftwerk vermehrt Abfälle an Stelle von Steinkohle zu verfeuern. Das Unternehmen will den Anteil in den Kesseln aus Kostengründen auf 25 Prozent steigern und 16.000 Tonnen Müll als „Ersatzbrennstoff“ verwenden.
Im Jahr 2009 nutzte das Unternehmen bloß rund 10.000 Tonnen flüssige Kohlenwasserstoffe energetisch und 2003 noch nicht einmal 100 Tonnen. Im Pharma-Werk Bergkamen verbrannte der Konzern 2009 1760 Tonnen Lösemittel und andere Flüssigkeiten. Die gleichen Reste fanden auch den Weg in die Wuppertaler Abgas-Reinigungsanlage. An Standorten außerhalb Nordrhein-Westfalens dürfte BAYER ebenfalls auf den Energie-Träger „Müll“ setzen; Daten darüber veröffentlichen die zuständigen Umweltämter allerdings nicht. Dem neuesten Nachhaltigkeitsbericht zufolge bereitet der Multi 31 Prozent seiner 809.000 Tonnen Abfälle wieder auf, und der thermischen Verwertung kommt dabei neben der stofflichen eine immer größere Rolle zu. 0,8 Prozent des Gesamtbedarfs erzeugt der Global Player auf diese Weise.
Damit steht der Pharma-Riese nicht allein. Allein in Nordrhein-Westfalen verheizen derzeit rund 200 Zementwerke, Fertigungsstätten, Feuerungsanlagen, Biomasse-Betriebe und Kohlekraftwerke Reststoffe. Kapazitäten für 5,1 Millionen Tonnen stellen sie dafür insgesamt bereit und reichen damit fast schon an die 6,8 Millionen der Müllverbrennungsanlagen heran. Der große Aufschwung begann 2005; in diesem Jahr trat das Deponierungsverbot für unbehandelte Abfälle in Kraft. Das führte zu einem „Entsorgungsnotstand“, der einen Bauboom von Müllverbrennungsanlagen und Müllkraftwerken nach sich zog und die Mitverbrennung von Resten in Industrie-Anlagen förderte. Auf allen drei Feldern mischt der Global Player kräftig mit. Er plant derzeit in Brunsbüttel und Dormagen Müllkraftwerke (SWB 1/08) und will in Leverkusen zudem das Fassungsvermögen der dortigen Sondermüllverbrennungsanlage von 80.000 Tonnen auf 120.000 Tonnen erhöhen.
Wirtschaftsgut Müll
Mit dem Deponierungsverbot verlängerte sich die Wertschöpfungskette des Mülls. Er mutierte zur Ware einer vermeintlich nachhaltigen Ökonomie, die gute Geschäfte verspricht. Wahlweise hieß er jetzt „Ersatzbrennstoff“, „Sekundär-Rohstoff“ oder schlicht „Nebenprodukt“ und ging in die „thermische oder stoffliche Verwertung“. Die Industrie machte sich daran, die Entsorgung zu entsorgen - „Kreislaufwirtschaft“ lautete das Gebot der Stunde. Aber eine runde Sache wurde das Ganze nicht. So überfällig der Verzicht auf die Deponierung von unbehandelten Abfällen war, so fragwürdig erscheinen die entwickelten Alternativen. Die unzähligen neuen Müllschlucker ließen die Rückstände zur Mangelware werden, die einer besonderen Pflege bedurfte. Darum drang der mit einem BAYER-Vertreter bestückte „Dialog Wirtschaft und Umwelt NRW“, der zu Zeiten von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers über einigen Einfluss verfügte, vehement darauf, auf Müllvermeidungskonzepte zu verzichten. Und auf europäischer Ebene erreichte der Lobby-Einsatz der Konzerne die Promovierung des Mülls zu einem ganz normalen Wirtschaftsobjekt, das keiner Handelsbeschränkung unterliegt. Somit konnten die Unternehmen ihn auch in fernen Ländern akquirieren, um die heimischen Öfen auszulasten.
Darüber hinaus entsprechen die neuen „Verwertungsstellen“ nicht dem Stand der Technik. Die Mitverbrennung von Klärschlamm, Holz, Papier, Altöl und anderen Resten in Industrie-Betrieben erfolgt zu deutlich schlechteren Standards als in Müllverbrennungsanlagen (MVA). Die Öfen kommen nicht auf genügend hohe Temperaturen zur Neutralisierung der Gifte und verfügen über eine oberflächlichere Rauchgas-Reinigung. Darum stoßen Industrie-Kraftwerke wie das von BAYER in Krefeld mehr Dioxine, Furane, Schwermetalle und andere Schadstoffe aus. Das bestätigt eine vom Chemie-Multi selbst um 2005 herum in Auftrag gegebene Studie. „Eine Untersuchung des unabhängigen Instituts für Energie- und Umweltforschung hat gezeigt, dass die technisch aufwendigen Reinigungssysteme in SAVs (Sonderabfall-Verbrennungsanlagen, Anm. SWB) bis zu 500-mal mehr Quecksilber und bis zu 100-mal mehr Chlorkohlenwasserstoff aus dem Rauchgas filtern als industrielle Feuerungsanlagen“, heißt es in einer CURRENTA-Broschüre. Von einem Gramm Quecksilber lässt die hauseigene SAV ganze 0,001 Gramm übrig, vermeldet die BAYER-Tochter stolz, während bei normalen MUVs durchschnittlich 0,015 Gramm zurückbleiben, bei Kraftwerken 0,3 Gramm und bei Zementwerken sogar 0,4 Gramm.
Offensichtlich verfolgte das Unternehmen damals noch die Strategie, auf die Müllwende mit einer Qualitätsoffensive zu reagieren. Heute hingegen baut es die Müllmitverbrennung zur Energie-Erzeugung aus, die eine möglichst effiziente Abfall-Behandlung gar nicht mehr zum Ziel hat. Dreck schlägt nämlich mehr Funken: Je stärker Filter dem Rauchgas zu Leibe rücken, desto mehr schwindet sein energetischer Wirkungsgrad. Abfall-Verwertung und schonender Umgang mit der Natur sind sich also nicht unbedingt grün.
Widerstand wächst
„Die von CURRENTA großmundig propagierte Linie, mit der Erhöhung der Müllverbrennung werde die Energie-Erzeugung im Unternehmen umweltfreundlicher, entbehrt bei genauem Hinsehen jeder Grundlage“, kritisieren die Krefelder Grünen das Vorhaben des Multis am Standort, künftig noch mehr Abfälle in die Öfen zu werfen. Die nordrhein-westfälische Minderheitsregierung reagiert ebenfalls. Sie strebt eine Bundesratsinitiative an, um die Vorschriften für die Abfallmitverbrennung in der 17. Bundesimmissionsschutz-Verordnung zu verändern. Die letzte Novelle vom August 2003 hat zwar die Regelungen für Müll- und Müllmitverbrennungsanlagen angeglichen, aber zahlreiche Ausnahme-Tatbestände geschaffen und die Grenzwert-Einhaltung erst ab einem Abfall-Anteil von 25, 40 oder 60 Prozent (abhängig vom Anlagen-Typ) zur Pflicht gemacht. Darum hatte der „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ die Überarbeitung in seinem „Umweltgutachten 2004“ auch kritisiert. „Faktisch bleibt damit die novellierte 17. BImSchV in den Anforderungen an die Mitverbrennung partiell weit hinter den Vorgaben für die reine Müllverbrennung zurück. Der Umweltrat empfiehlt daher, die vollständige Harmonisierung der Anforderungsniveaus von Industrie-Anlagen und Müllverbrennungsanlagen herbeizuführen“, heißt es in dem Dokument. Genau dieser Empfehlung wollen die NRW-KoalitionärInnen jetzt folgen. Ihr Vorstoß dürfte es allerdings schwer haben, denn CDU und FDP lehnen eine Änderung ab. „Die Bundesregierung sieht diesen Regelungsansatz als ausreichend an, um eine umweltverträgliche Mitverbrennung von Abfällen zu gewährleisten“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Und BAYER wird diese Meinung sicherlich teilen. Von Jan Pehrke
Neues Lifestyle-Präparat
BAYERs Fett-weg-Spritze
Auf der Suche nach neuen Pharma-Märkten ist der Leverkusener Multi nun auf die „ästhetische Medizin“ gestoßen und entwickelt eine Spritze zur Auflösung von Fettzellen. Damit will er einer großen Pein der Menschheit, dem Doppelkinn, zu Leibe rücken und nimmt dafür auch Risiken und Nebenwirkungen in Kauf.
Von Gerd Glaeske (Professor am „Zentrum für Sozialpolitik“ der Universität Bremen)
Die Forschungspipelines müssen schon sehr leer sein, wenn sich ein Weltunternehmen wie der Pharmahersteller BAYER auf unnötige Produkte konzentriert. Seit einigen Monaten laufen Forschungsanstrengungen von INTENDIS, einer Tochter von BAYER HEALTHCARE, in Zusammenarbeit mit der kalifornischen Firma KYTHERA BIOPHARMACEUTICALS auf Hochtouren, um eine Spritze zur regionalen Fettauflösung auf den Markt zu bringen. Dabei geht es vor allem um das Fett unterhalb des Kinns – Doppelkinn wird es typischerweise genannt. Die Substanz ATX-101 soll die kosmetische Chirurgie an dieser Körperstelle überflüssig machen und das am Doppelkinn vorhandene Fett auflösen.
INTENDIS lässt verlauten, dass es sich bei ATX-101 um ein vielversprechendes Produkt handele, mit dem man in dem stärker wachsenden Markt der ästhetischen Medizin Fuß fassen wolle. Man erinnere sich: Das ist die Medizin, die – abgesehen von einer in vielen Fällen sinnvollen wiederaufbauenden Chirurgie nach Unfällen oder Operationen – vor allem Fettabsaugung, das Aufspritzen von Lippen oder Busen- und Penisvergrößerung anbietet. Es ist ein Feld, das von vielen Problemen, Zwischenfällen und sogar Todesfällen begleitet wird. Der „Fall Cora“ – die Pornodarstellerin Carolin Wosnitza starb mit 23 Jahren nach Komplikationen bei ihrer sechsten Brust-OP – hat erst kürzlich tagelang für Schlagzeilen gesorgt.
ATX-101 hat medikamentöse Vorläufer mit den Wirkstoffen Phosphatidylcholin (PC) und Deoxycholat (DC). PC ist bei uns als – nur zweifelhaft wirksames – Mittel zur Senkung zu hoher Fettspiegel im Blut bekannt, LIPOSTABIL heißt das Arzneimittel. Injiziert soll es Fett-Embolien verhindern, kommt aber auch als „Fett-weg-Spritze“ zum Einsatz.
Noch im Frühjahr 2010 hatte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA vor der „Lunch- time Lipo“, der Fettbehandlung zwischendurch in der Mittagspause, gewarnt. Das Mittel war nämlich nie zu diesem Zweck zugelassen worden. Dennoch wurde es ohne Vorbehalte bis 2009 verwendet, als MedizinerInnen in Frankreich erstmals unerwünschte Wirkungen beobachteten: Das Fettgewebe hatte sich infiziert. Die Anwendung des Mittels in dieser Indikation wurde daher allgemein verboten, erfolgt in Deutschland aber immer noch im Off-Label-Use, also ohne Zulassung für diese Anwendung.
In dem Mittel ATX-101 ist an die Stelle von PC nun DC getreten. Es soll die Fettzellen in kleinen Fettpolstern wie beim Doppelkinn zerstören. Da der Organismus nach der Pubertät (mit sehr seltenen Ausnahmen) keine neuen Fettzellen mehr bildet, können in den behandelten Zonen keine neuen Fettpolster mehr entstehen. Wo aber bleibt das aufgelöste Fett? Kommt es zu Verhärtungen durch das Zusammenklumpen von Fettzellen? Wer will sicher ausschließen, dass ein solches Mittel nicht auch in großen Fett-Arealen genutzt wird, wie zum Beispiel am Bauch? „Umherwanderndes“ Fett könnte Gefäßverschlüsse und Schlaganfälle provozieren. Es könnte auch zu langfristigen Schäden an den behandelten Haut-Arealen kommen. Nichtsdestotrotz beeilen sich die beteiligten ForscherInnen, ATX-101 als Fortschritt in der ästhetischen Medizin und als erste Injektion für die minimal-invasive Entfernung von Fettablagerungen zu loben.
Die Pharmaforschung scheint in der Krise zu sein, wenn sich eine Firma wie BAYER auf das Feld der ästhetischen Medizin begibt. Mit der „Fett-weg-Spritze“ ist sie auf jeden Fall im Kramladen der ästhetischen Bedürfnisse unserer Zeit angekommen!
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. Mabuse – Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe
AKTION & KRITIK
Einwendung gegen TDI-Anlage
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat bei der Bezirksregierung Köln eine Einwendung gegen das Vorhaben von BAYER, in Dormagen eine neue Anlage zur Herstellung des Kunststoffes TDI zu bauen, eingereicht. Die CBG hält die Produktion, bei der 60 Tonnen des Giftgases Phosgen, 25 Tonnen Ammoniak, 2.900 Tonnen TDI und mehr als 1.000 Tonnen Dichlorbenzol zum Einsatz kommen, für zu risikoreich. Sie schätzt zudem die mit dem Betrieb verbundenen Umweltbelastungen als zu hoch ein und kritisiert den zu geringen Abstand der Fertigungsstätte zu Wohnsiedlungen. Darüber hinaus moniert die Coordination das Fehlen eines „Worst-Case-Szenarios“ und den Verzicht auf Schutzmaßnahmen wie dem Vorhalten einer Ammoniak-Dampfwand zur Neutralisierung austretenden Phosgens.
CBG verklagt Uni Köln
Vor drei Jahren vereinbarte BAYER mit der Kölner Hochschule eine Kooperation auf dem Gebiet der Pharma-Forschung. „Sie ist die weitreichendste, die eine nordrhein-westfälische Universitätsklinik bislang eingegangen ist“, jubilierte der damalige Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP). Der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und anderen Initiativen machte das eher Angst. Die Gruppen befürchteten eine Ausrichtung der Arznei-Forschung auf Profit, eine Entwicklung von Präparaten ohne therapeutischen Mehrwert, eine Verheimlichung negativer Studienergebnisse und einen Zugriff des Konzerns auf geistiges Eigentum der Hochschul-WissenschaftlerInnen. Deshalb forderten sie eine Offenlegung des Vertrages und bekamen dafür auch die Unterstützung des nordrhein-westfälischen Datenschutzbeauftragten. Die Universität blieb jedoch bei ihrer Verweigerungshaltung. Aus diesem Grund hat die CBG die Hochschule im Mai 2011 verklagt. Die RichterInnen erweiterten das Verfahren noch auf den Leverkusener Multi, der mit FRESHFIELDS und REDEKER gleich zwei der teuersten Kanzleien mit seiner Verteidigung beauftragte. REDEKER verfügt dabei schon über Erfahrungen auf dem Gebiet: Das Büro verteidigte Angela Merkel bei ihrem Ansinnen, keine näheren Informationen zu dem von ihr ausgerichteten Geburtstagsdinner für den Banker Josef Ackermann geben zu wollen. Die beiden Forschungspartner betreiben derweil selbst in den Mühlen der Justiz ihr Versteckspiel weiter. So weigerten sie sich sogar, dem Verwaltungsgericht das Corpus delicti, den Vertrag, zukommen zu lassen. Sie erwägen überdies, ein „in camera Verfahren“ zu beantragen, das eigentlich nur eröffnet wird, wenn eine Veröffentlichung „dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde“ - also den Rang eines Staatsgeheimnisses besitzt.
UNEP antwortet der CBG
Seit Jahren kritisiert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) dafür, mit dem Umweltsünder BAYER zu kooperieren. Jetzt reagierte die Organisation auf die Vorwürfe. Chemikalien tragen zur Anhebung des Lebensstandards bei, können aber auch negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit von Menschen haben, heißt es in dem Brief an die CBG. Deshalb bemühe sich die UNEP sehr, die chemische Industrie auf diese Gefahren aufmerksam zu machen und eine Balance zwischen Kosten und Nutzen zu finden. „Unsere Partnerschaft stellt BAYERs Umweltverhalten in den Mittelpunkt und gemahnt BAYER an seine Verantwortung für die Umwelt. Es gehört zu unserer Philosophie, mit Privatunternehmen zusammenzuarbeiten und sie zu einer Veränderung ihrer Umweltpolitik zu bewegen“, schreibt UNEP-Direktor Achim Steiner. Ein Einwirken des Leverkusener Multis auf den Kurs der UNEP findet Steiner zufolge nicht statt: „Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, Ihnen zu versichern, dass BAYER weder in die Projekte der UNEP oder ihre Aktivitäten im Kinder- und Jugendbereich eingebunden ist noch die Ergebnisse der UNEP-Arbeit beeinflusst“.
Botschaft antwortet der CBG
Im thailändischen Map Ta Phut liegt eine der größten Industriezonen der Welt. Sie sollte noch größer werden, aber den AnwohnerInnen reichten schon die bisherigen Umweltbelastungen. Sie klagten, und 2009 gab ein Gericht ihnen Recht. Es stoppte 76 Bauvorhaben, darunter zwei des Leverkusener Multis, der seine Bisphenol- und seine Polycarbonat-Produktion erweitern wollte (SWB 1/11). Inzwischen ist das Moratorium wieder aufgehoben und alles läuft seinen gewohnten kapitalistischen Gang. Erst im Frühjahr trat aus einem BAYER-Werk giftiges Phenol aus (SWB 3/11). Wegen der bedenklichen Situation vor Ort hat sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN an die deutsche Botschaft in Thailand gewandt. Aber diese sieht keinen Handlungsbedarf. Sie räumte sogar ein, sich in Abstimmung mit BAYER & Co. und den EU-Staaten für ein Ende des Bau-Verbots eingesetzt zu haben und sieht in Map Ta Phut ansonsten alles im grünen Bereich. Die Regierung des Landes bemüht sich nach der Einschätzung von Botschafter Hanns H. Schumacher, die Umweltstandards zu verbessern, wobei ihr die Entwicklungshilfe-Organisation „Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ mit Rat und Tat beiseite stehe. Schuhmacher fühlt sich deshalb auch nicht bemüßigt, bundesdeutsche Unternehmen zu einer Verringerung ihrer Schadstoff-Emissionen zu veranlassen. „Der deutschen Botschaft liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Bestimmungen der thailändischen Umweltgesetzgebung von den deutschen Firmen nicht eingehalten würden. Persönlich füge ich hinzu: Die Fa. BAYER THAI hat sich in Map Ta Phut äußerst korrekt verhalten“. So bekommen die doppelten Standards dann auch noch den amtlichen Segen.
Protest beim BBS-Sommerfest
Im Rahmen seines Kostensenkungsprogramms gliedert der Leverkusener Multi Teile seiner IT-Sparte BAYER BUSINESS SERVICES (BBS) aus und vernichtet so die Arbeitsplätze von 260 Belegschaftsangehörigen und 290 LeiharbeiterInnen (siehe auch Ticker 3/11). Darum konnte das BBS-Sommerfest auch nicht festlich verlaufen. 350 Beschäftigte nutzten den Anlass, um gegen die Rationalisierungsmaßnahmen zu protestieren.
Kindergarten-Bau scheinheilig
Der Leverkusener Multi feiert den Bau neuer Betriebskindergärten in Monheim und Leverkusen als nachhaltige Maßnahme. Dagegen erhebt sich allerdings Kritik. „BAYER hatte sich vor einigen Jahren seiner Kindergärten/Kindertagesstätten entledigt. Sie gingen weitgehend im Roten Kreuz auf. Vor diesem Hintergrund halte ich es für scheinheilig, sich so öffentlichkeitswirksam als sozialer Konzern darzustellen“, heißt es in einem Leserbrief an die Rheinische Post.
Wasserversorger gegen Biosprit
Seit Jahr und Tag klagen die Wasserversorger über die hohe Verunreinigung des Trinkwassers mit Pestiziden und Nitraten, die aufwendige Reinigungsprozeduren erforderlich macht. Umso skeptischer sehen sie den Trend zum Anbau von Energie-Pflanzen zur Produktion von Biosprit. Durch die Ausweitung von Ackerflächen und die von den Biosprit-Bauern und -Bäuerinnen intensiv eingesetzten Agro-Chemikalien befürchten die Wasserwerke nämlich einen nochmaligen Anstieg der Belastung.
BAYER gehackt
Die politische HackerInnen-Gruppe „Anonymus“ hat das Computer-System BAYERs gestört. Der Konzern musste deshalb zeitweilig Websites vom Netz nehmen. Als Grund für die Tat führte die Organisation unter anderem „die Beschäftigung von Nazi-Verbrechern“ und die Herstellung gesundheitsschädlicher Pharma-Produkte an.
CBG beim Kirchentag
Auch 2011 war die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wieder auf dem evangelischen Kirchentag vertreten, der dieses Mal vom 1. bis zum 5. Juni in Dresden stattfand. Die Coordination teilte sich einen Stand mit der SOLIDARISCHEN KIRCHE und stellte ihre Kampagne gegen die Industrie-Chemikalie Bisphenol A vor, die schon zu einem Teilerfolg führte. Die EU untersagte nämlich Anfang des Jahres die Verwendung der hormon-aktiven Substanz in Babyflaschen, um möglichen Gesundheitsschäden vorzubeugen.
Erinnerung an Zitzelsberger
In einem Zeitungsbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung erinnerte der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann noch einmal an die 1999 vorgenommene Plünderung öffentlicher Kassen durch eine Unternehmenssteuerreform der besonderen Art. „Der ehemalige Steuerabteilungsleiter der BAYER AG Zitzelsberger war der eigentliche Urheber dieser angeblich strategischen Großmutsregelung“, schreibt Naumann und fährt fort: „Nicht nur die Minister, auch die meisten Berliner Wirtschaftskorrespondenten hatten die Pressemitteilung des Finanzministers zur Steuerreform auf Seite zwölf überlesen: Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen, die eine Kapitalgesellschaft an einer anderen Kapitalgesellschaft hält, sind nicht steuerpflichtig. Die Regelung hatte obendrein rückwirkenden Charakter. Die Unternehmen durften bereits mit vierzig Prozent versteuerte, aber einbehaltene Gewinne der Jahre 1999 und 2000 im Nachhinein mit lediglich 25 Prozent versteuern - und Rückforderungen an den Fiskus stellen: rund 400 Millionen Euro zu ihren Gunsten. Eine linke Regierung subventionierte also das deutsche Großkapital.“
BARMER kritisiert YASMIN & Co.
Nach den Zahlen des neuesten Arzneimittelreports der BARMER GEK finden sich unter den 20 am häufigsten verordneten Verhütungsmittel 50 Prozent mit hormonellen Wirkstoffen, die gegenüber älteren Mitteln ein höheres Risiko-Profil aufweisen. Darunter fallen auch BAYERs Drospirenon-haltige Kontrazeptiva aus der YASMIN-Familie, die binnen der letzten zehn Jahre allein in den USA für 190 Todesfälle verantwortlich waren. Die Krankenkasse macht die hohe Werbeetats von BAYER & Co. für die gefährliche Schieflage verantwortlich und empfiehlt: „Ärztinnen und Ärzte sollten nicht den Werbeaktionen und dem Marketinggeklingel pharmazeutischer Unternehmer folgen – allen voran die BAYER AG, sondern der Frau gut verträgliche und bewährte Mittel ohne neue Risiken anbieten“.
Kritik an „personalisierter Medizin“
BAYER & Co. haben eine neue Marktlücke entdeckt: die personalisierte Medizin. Worunter Laien eine passgenaue, auf die jeweiligen Bedürfnisse der PatientInnen ausgerichtete Therapie-Form verstehen, versteckt sich oft nur die schlechte alte Gentechnik mit ihrer Suche nach krankheitsrelevanten Molekülen. Die Version 2.0 ist bloß den aktuellen Herausforderungen angepasst. Die Bundesrepublik und viele andere Länder haben seit einiger Zeit nämlich Kosten/Nutzen-Beurteilungen für neue Arzneien vorgeschrieben und nur für solche, die bei Menschen mit seltenen Erkrankungen zur Anwendung kommen, Ausnahmen gemacht. Darüber hinaus gelten für diese Medikamente vereinfachte Zulassungsbedingungen. Und wie das Pillenbranchen-Leben so spielt: Plötzlich entdecken Kongresse rund um den Globus rare Gebrechen und noch rarere Arzneien, die so genannten orphan drugs. Die Zahl der Zulassungsanträge für die Spezialpillen stieg in Europa von 72 im Jahr 2000 auf 174 im Jahr 2010. ForscherInnen warnen bereits vor dem Boom. „Wir sollten keine Zeit damit verschwenden, die personalisierte Medizin als wissenschaftliches Etikett zu etablieren“, schreibt eine kanadische MedizinerInnen-Gruppe um George Browman im Canadian Medical Association Journal. Die BUKO PHARMA-KAMPAGNE kritisiert überdies die weit gefasste Definition von orphan drugs, die sogar Krebsmedikamente umfasse, „deren therapeutischer Nutzen gegen Null geht“.
ImkerInnen demonstrieren in Wien
Am 6. Juli 2011 demonstrierten ImkerInnen in Wien vor der Staatsoper gegen das weltweite Bienensterben, für das Pestizide mitverantwortlich sind. Ein UN-Bericht zum Thema erwähnt die betreffenden Wirkstoffe sogar namentlich. „Verschiedene Studien haben die Giftigkeit von Chemikalien wie Imidacloprid (Wirkstoff von BAYERs GAUCHO, Anm. SWB), Clothianidin (Wirkstoff von BAYERs PONCHO, Anm. SWB), Thiamethoxam und verwandten Inhaltsstoffen für Tiere nachgewiesen“, heißt es in dem Report. Auch der Bienensterben-Report des Europäischen Parlamentes gibt Substanzen aus der Gruppe der Neonicotinoide wie Imidacloprid und Clothianidin eine Mitschuld an dem Desaster.
Zwei Imker im Hungerstreik
Zwei italienische Imker haben mit einem Hungerstreik gegen das von BAYER-Pestiziden wie GAUCHO und PONCHO mitverursachte Bienensterben protestiert.
Schwarzbuch „Facebook“
Eine Engländerin hat die Facebook-Seite des Leverkusener Multis dazu genutzt, sich mit der unheilvollen Geschichte des Konzerns zu befassen. Sie erinnerte an die grausamen Menschenversuche, welche die von BAYER mitgegründeten IG FARBEN während des Faschismus mit KZ-Häftlingen durchführten. „Das ist inzwischen breit aufgearbeitet und dokumentiert“, lautete der einzige Kommentar des Unternehmens dazu.
KAPITAL & ARBEIT
Standort-Sicherungsvertrag verlängert
Die BAYER-Geschäftsleitung und der Gesamtbetriebsrat haben sich darauf geeinigt, den Ende 2012 auslaufenden „Standort-Sicherungsvertrag“ vorzeitig zu verlängern. Betriebsbedingte Kündigungen sind jetzt bis Ende 2015 ausgeschlossen. Dafür verlangte der Konzern allerdings auch Gegenleistungen. Die Gewerkschaften mussten sich zu „Kostenstrukturen auf Markt-Niveau“ und zu einer „verstärkte(n) Ausrichtung der Arbeitsbedingungen auf Flexibilität und Mobilität“ bekennen.
BAYERs Verwaltungsreform
Im letzten Jahr kündigte der Leverkusener Chemie-Multi ein 800 Millionen Euro schweres Rationalisierungsprogramm an, das 4.500 Arbeitsplätze vernichtet. Im Rahmen dieser Maßnahme führt der Leverkusener Multi bei seinen ausländischen Gesellschaften jetzt eine Verwaltungsreform durch und legt zentrale Bereiche wie „Personal“, „Finanzen“ und „Einkauf“ zusammen. Zunächst will der Konzern die neue Struktur in Brasilien, Südeuropa und Italien testen.
BAYER VITAL schließt Vertrieb
BAYER VITAL gibt den Vertrieb seiner Medikamente an einen externen Dienstleister ab und stellt damit 100 Arbeitsplätze zur Disposition. Nicht einmal betriebsbedingte Kündigungen wollte die Sparte des Leverkusener Multis für rezeptfreie Medikamente ausschließen. Die Distributionsgeschäfte übernimmt ab Januar 2013 die Firma PHARMLOG, an der BAYER VITAL Anteile hält.
Viele ManagerInnen unzufrieden
In seinem letzten Geschäftsbericht wertete der Leverkusener Multi eine Befragung unter seinen Angestellten aus und konstatierte, „dass sich die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten - deutlich mehr als 80 Prozent - in einem hohen Maße mit BAYER verbunden fühlt und das Unternehmen insgesamt als attraktiven Arbeitgeber schätzt“. Der „Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der Chemischen Industrie“ kam da zu anderen Ergebnissen. Nach seiner Untersuchung sind viele Spitzenkräfte des Konzerns unzufrieden. Diese gaben dem Unternehmen nur die Gesamtnote „Drei minus“. Damit belegte der Global Player unter 25 Chemie-Firmen den wenig schmeichelhaften Rang 16. Das Jobstreichungsprogramm von Marijn Dekkers, seine bloß halbherzigen Bekenntnisse zur Kunststoff-Sparte und seine Einlassungen zu einer möglichen Pharma-Fusion haben offensichtlich auch Top-ManagerInnen verunsichert.
Leiharbeitsurteil ohne Folgen
Im letzten Jahr hat das Bundesarbeitsgericht der „Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen“ (CGZP) ihre Tariffähigkeit abgesprochen. Als Konsequenz aus dem Urteil müssen Verleihfirmen, deren Angestellte für den Gotteslohn malochen, Sozialbeiträge in Millionen-Höhe nachzahlen. Die knapp 200 LeiharbeiterInnen bei CURRENTA, dem mehrheitlich zu BAYER gehörenden Betreiber des Leverkusener Chemie-„Parks“, sind von dem Richterspruch allerdings nicht betroffen. „Wir arbeiten nicht mit Zeitarbeitsfirmen zusammen, die mit der CGZP Tarifverträge abgeschlossen haben“, erklärte Sprecher Jürgen Gemke. Ob das auch für die Muttergesellschaft gilt, sagte er nicht.
Chemie-Sozialpartner für Tarifeinheit
Die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) fordert gemeinsam mit dem „Bundesarbeitgeber-Verband Chemie“ eine gesetzliche Verankerung der Tarifeinheit. „Eine Spaltung der Belegschaften durch das Aufkommen neuer Sparten-Gewerkschaften in der Chemie würde eine Fortsetzung der innovativen Tarifpolitik für die ganze Branche unmöglich machen. Dabei hat die gemeinsame Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise erst kürzlich eindeutig unter Beweis gestellt, wie wichtig ein effektives und verlässliches Tarifsystem für die Sicherung von Standort und Beschäftigung ist“, heißt es in der Erklärung. Die Tarifeinheit ist derzeit von zwei Seiten her gefährdet. Einerseits von konzern-freundlichen Gewerkschaften und aus den Unternehmensverbänden austretenden Firmen und andererseits von „Besserverdiener“-Gewerkschaften“ wie dem „Marburger Bund“. Die einen unterbieten die den DGB-Gewerkschaften ausgehandelten Tarife und die anderen überbieten sie. Eine Aufgabe der Tarifeinheit dürfte Entsolidarisierungstendenzen verstärken, deshalb bleibt sie - trotz aller Kritik am DGB im Allgemeinen und an der IG BCE im Besonderen - eine wichtige Errungenschaft. Die gemeinsame Initiative von Gewerkschaftsbund und „Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände“ für ein entsprechendes Paragrafen-Werk brach allerdings im Juni 2011 auseinander. VER.DI wollte berechtigterweise den Passus nicht mittragen, der Konkurrenz-Gewerkschaften das Streikrecht nimmt.
„Verantwortliches Handeln“ ohne BAYER
Großkonzerne wie BMW, BASF, DEUTSCHE BANK und VOLKSWAGEN haben ein „Leitbild für ein verantwortliches Handeln in der Wirtschaft“ veröffentlicht. BAYER gehörte nicht zu den Unterzeichnern. Zu Prinzipien wie „Wirtschaft muss dem Wohl der Menschen dienen“, „Unzureichende Leistung darf nicht belohnt werden“ und „Verantwortlicher, wirtschaftlicher Wettbewerb muss immer auch die Lebensbedingungen nachfolgender Generationen achten“ mochte sich der Leverkusener Multi offenbar nicht bekennen. Auch das Angebot, sich dem Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen „noch aktiver“ zu stellen, scheint nicht im Sinne des Konzerns gewesen zu sein.
Etwas mehr Lehrlinge
Die Anzahl der Auszubildenden bei BAYER steigt 2011 gegenüber dem Vorjahr leicht von 904 auf 924. Das ist jedoch gar nichts im Vergleich zur Vergangenheit: Im Jahr 1990 fingen beim Leverkusener Multi noch 1.600 Stifte an. Zudem sind heutzutage rund ein Drittel der Neuen bloß Lehrlinge zweiter Klasse. Entweder nehmen sie am Starthilfe-Programm teil, das lediglich auf eine künftige Lehre vorbereitet, oder sie gehören zu denjenigen, die der Konzern im Rahmen der „Ausbildungsinitiative Rheinland“ über Bedarf überbetrieblich und damit ohne Berufsaussichten beim Unternehmen mit ausbildet.
Keine ChemikantInnen übernommen
BAYER hat keine/n der ChemikantIn übernommen, die in Leverkusen eine Lehre begonnen hatten. Vier Wochen vor der Abschluss-Prüfung teilte der Multi den Auszubildenen diesen Beschluss in einem formlosen Schreiben mit und forderte sie auf, sich bei der „Agentur für Arbeit“ zu melden.
ERSTE & DRITTE WELT
Freihandel: Indien wehrt sich
Die Europäische Union schließt fleißig Handelsabkommen ab (SWB 2/11). Deren Agenda - strengere Patent-Regime, freiere Marktzugänge, mehr Investitionsschutz, Gleichbehandlung mit inländischen Unternehmen und verbesserter Zugriff auf Rohstoffe - haben BAYER & Co. entscheidend mitbestimmt. Derzeit finden Verhandlungen mit Indien statt. Aber die Gespräche verlaufen stockend. Die EU verlangt nämlich über die international geltenden TRIPS-Vereinbarungen hinausgehende Patentrichtlinien, was im Fall von Peru und Kolumbien schon erfolgreich war. Das hätte besonders für die Herstellung billiger Medikamente in dem südasiatischen Land verheerende Folgen, denn deren Produktion würde sich durch einen längeren Schutz des geistigen Eigentums und einen verzögerten Zugriff auf Test-Daten erheblich verzögern. Indien droht so seinen Ruf als „Apotheke der Dritten Welt“ zu verlieren - allein ÄRZTE OHNE GRENZEN bezieht 80 Prozent seiner Aids-Medikamente preiswert aus dem südasiatischen Staat und versorgt damit rund 160.000 PatientInnen. Darum erklärte die indische Regierung auch im April 2011: „Der Premierminister bestätigte in aller Klarheit, dass Indien keine Verpflichtung eingehen wird, die TRIPS oder das indische Recht überschreiten“.
POLITIK & EINFLUSS
BDI für Steuer-Erleichterungen
Im Jahr 2008 hatte die Bundesregierung mal wieder die Unternehmenssteuern gesenkt und aus kosmetischen Gründen im Gegenzug ein paar Schlupflöcher gestopft. So nahm sie BAYER & Co. die Möglichkeit zu Verlustverrechnungen bei Firmenaufkäufen. Manche Unternehmen hatten darin nämlich ein veritables Steuerspar-Modell ausgemacht. Sie erwarben gezielt verschuldete Firmen und verrechneten deren Defizit dann mit den eigenen Gewinnen. Nach diesen alten Zeiten sehnt sich der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) wieder zurück. Er appellierte an die Bundesregierung, die „Versagung der Verlustnutzung“ bei Akquisitionen wieder aufzugeben, „um die Konkurrenz-Fähigkeit des deutschen Steuersystems wiederherzustellen“ und „wirtschaftlich sinnvolle Investitionen, Transaktionen und wirtschaftliche Neustrukturierungen ohne besonderen Rechtfertigungsbedarf zuzulassen“. Im Rahmen der Konjunkturpakete II und III hatte die Große Koalition das Steuersparmodell via „Sanierungsklausel“ schon wieder revitalisiert, aber die EU-Wettbewerbsbehörde sah darin eine unerlaubte Subvention und intervenierte. Jetzt will die Bundesregierung im Rahmen einer „Neuordnung der Verlustverrechnung“ eine Lösung suchen, die auch eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Verrechnung von Gewinnen und Verlusten zwischen Mutter-Gesellschaften und ihren ausländischen Töchtern umfasst. „Das Unternehmenssteuerrecht soll weiter modernisiert und international wettbewerbsfähig gestaltet werden“, erklärten Schäuble & Co.
Griechenland-Konferenz des BDI
BAYER hat so einige Außenstände bei griechischen Hospitälern. Andere bundesdeutsche Konzerne warten ebenso noch auf ihr Geld. Darum haben die Unternehmen ein Interesse an der ökonomischen Gesundung des Landes - allerdings mit einer Therapie made in Germany. Um über diese zu beraten, hat der „Bundesverband der bundesdeutschen Industrie“ (BDI) Ende Juli 2011 eine Investoren-Konferenz einberufen. Konkrete Zusagen machte der Verband zwar nicht, er stellte aber 50 Milliarden unter der Bedingung in Aussicht, dass der Staat für mehr Rechtssicherheit sorge. Bei diesem Unterfangen bekommt Athen Amtshilfe aus Berlin. Das Bundeswirtschaftsministerium will der Regierung von Premierminister Papandreou bei der „Reform“ von Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden helfen. Auch zu Privatisierungen darf Griechenland Rat erwarten. Durch die Privatisierungen in der ehemaligen DDR habe Deutschland hier besondere Erfahrung, meint Wirtschaftsminister Philipp Rösler laut Financial Times Deutschland. Darüber hinaus hat sein Ministerium eine Export-Initiative gestartet, welche auch das Gesundheitswesen umfasst. Da das südosteuropäische Land zudem über viele gut ausgebildete junge Menschen verfügt, sieht Volker Treier vom „Deutschen Industrie- und Handelskammertag“ hier eine Chance für Unternehmen wie BAYER.
BAYER & Co. gegen Nano-Gesetze
Die Nanotechnologie lässt Werkstoffe auf winzig kleine Größen schrumpfen. Dabei entwickeln diese oft unbekannte Eigenschaften. So auch das Nano-Produkt BAYERTITAN T, dem es im Gegensatz zu größeren Titandioxid-Partikeln gelingt, die Luft/Blut-Schranke zu überwinden und sich in den Organen anzureichern (siehe auch NANO & CO.) Darum wollen die Regierungen spezielle Sicherheitsvorschriften für die Winzlinge erlassen. BAYER & Co. geben sich gesprächsbereit, betreiben aber de facto Obstruktionspolitik. Sie treten für eine Definition von Nano-Materialien ein, unter die möglichst wenig Substanzen fallen. Zudem wehren sich die Konzerne dagegen, die EU-Chemikalienordnung, die Prüfungen für gefährliche Stoffe vorschreibt, um Vorschriften für Nano-Teilchen zu erweitern. „Die Industrie-Teilnehmer blockieren eine fachliche Diskussion mit dem Verweis auf die bestehende Ordnung“, erbost sich deshalb eine Wissenschaftlerin, die mit UnternehmensvertreterInnen in einem ExpertInnen-Gremium der Europäischen Union zusammensaß.
EU-Unternehmenssteuer
BAYER & Co. fordern seit längerem eine einheitliche Unternehmenssteuer innerhalb der EU. Im März 2011 hat der EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta der Öffentlichkeit einen ersten Entwurf vorgestellt. Durch den Wegfall von Verwaltungskosten und eine bessere Möglichkeit, Gewinne und Verluste von Mutter- und Tochtergesellschaften miteinander zu verrechnen, rechnet er mit Steuer-Ersparnissen von rund zwei Milliarden Euro für die Unternehmen.
EU-Lobbying kostet ca. 2 Millionen
1,85 Millionen Euro lässt der Leverkusener Multi sich seine Lobbying-Aktivitäten in Brüssel kosten. Das geht aus Angaben im Lobby-Register der Europäischen Union hervor. Schwerpunkte der Arbeit bilden dabei laut BAYER Einflussnahmen auf Gesetzes-Initiativen, die Pharma-Produkte, Pestizide, Saatgut und Chemikalien betreffen.
Energiewende à la BAYER
Anders als viele mittelständische Betriebe hat der Leverkusener Multi seine Chlor-Herstellung immer noch nicht komplett auf ein Verfahren umgestellt, bei dem kein giftiges Quecksilber als Produktionsrückstand mehr anfällt. Er betreibt in Krefeld seit 2010 lediglich eine Pilotanlage, die mit der Sauerstoffverzehrkathoden-Technik arbeitet. Trotzdem feiert der Multi sich als Innovator und meldet sogleich Ansprüche an. Statt regenerative Energien zu fördern, sollte die Bundesregierung lieber Projekte wie die neue Chlor-Fertigung unterstützen, meint BAYER-Manager Tony Van Osselaer: „Wenn die Politik einen Förder-Schwerpunkt auf Produktionsverfahren mit deutlich verbesserter Energie-Effizienz setzen würde, sähe ich riesige Einspar-Potenziale“. Die Umrüstung alter Fertigungsstätten kostet nämlich viel Geld und steht der Vermarktung der BAYER-Entwicklung im Wege. Bei Chlorfabrik-Neubauten laufen die Geschäfte dem Konzern zufolge dagegen besser.
BAYER droht mit Abwanderung
Die Energiewende im Allgemeinen und der Atom-Ausstieg im Besonderen behagt dem Leverkusener Multi nicht. BAYER-Chef Marijn Dekkers befürchtet höhere Stromkosten und drohte in einem WirtschaftsWoche-Interview schon mit Abwanderung. „Deutschland wird als Produktionsstandort für die energie-intensive Industrie immer unattraktiver. Die Energie-Preise werden weiter steigen, dabei haben wir bereits heute die höchsten in der EU. Es ist wichtig, dass wir im Vergleich mit anderen Ländern wettbewerbsfähig bleiben. Ansonsten kann sich ein globales Unternehmen wie BAYER überlegen, seine Produktionen in Länder mit niedrigeren Energie-Kosten zu verlagern“, so der Konzern-Boss.
Christian Wulff bei BAYER
Ende Mai 2011 besuchte Bundespräsident Christian Wulff BAYERs Pharma-Werk in Wuppertal. Dabei ließ er sich in die Produkteinführungskampagne für das nicht gerade überragende Test-Ergebnisse aufweisende Medikament XARELTO (siehe auch DRUGS & PILLS) einspannen, das der Pillen-Riese als Schlaganfall-Mittel vermarkten will. Der Konzern bestätige damit seinen Ruf als Apotheke der Welt, so Wulff, der dem Global Player trotz eines umfassenden Arbeitsplatzvernichtungsprogramms auch gleich noch ein Nachhaltigkeitsprädikat ausstellte. „BAYER ist kein Konzern, der auf das schnelle Geld aus ist, BAYER denkt in langen Zeiträumen“, lobte er. Zum Dank dafür musste er sich mal wieder die alte BAYER-Leier anhören, die Forschung brauche mehr Subventionen aus Steuer-Mitteln.
Telefonat mit Röttgen
Vom Leverkusener Anzeiger zu seinen interessantesten beruflichen Erfahrungen als Leiter des Leverkusener Chemie-„Parks“ von BAYER befragt, antwortete der nach China wechselnde Klaus Schäfer: „Neu war die Erfahrung mit Politikern. Wir mussten denen klar machen, dass Chemie-„Parks“ zu unserem Industrie-Standort dazugehören und auch wir eigene Interessen haben“. Die letzte Nachhilfestunde von ihm erhielt Umweltminister Norbert Röttgen zum Thema „Erneuerbare-Energien-Gesetz“.
Klimaschutz-Gesetz aufgeweicht
Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hatte bei ihrem Amtsantritt 2010 ein Klimaschutz-Gesetz angekündigt - angesichts eines NRW-Anteils an den bundesweiten Kohlendioxid-Emissionen von 33 Prozent eine überfällige Maßnahme. Im ersten Entwurf nahm sich Rot-Grün vor, den CO2-Ausstoß im Land bis 2020 um 25 Prozent und bis 2050 um 80 bis 90 Prozent zu senken. Ein Klimaschutzplan sollte regeln, wieviel jede Branche noch emittieren darf und auch als Maßstab für die Bewilligung neuer Anlagen dienen. Sofort nach Bekanntwerden des Vorhabens brach allerdings ein Sturm der Entrüstung los (Ticker 2/11). Er legte sich nicht mehr und führte schließlich zu „Nachbesserungen“. Die überarbeitete Fassung formuliert nur noch ein Reduktionsziel von „mindestens 80 Prozent“. Zudem verspricht sie, die Veränderungen „wettbewerbsneutral zu gestalten“ und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Darüber hinaus musste Umweltminister Johannes Remmel auf die Möglichkeit verzichten, über das Planungsrecht für den Bau besonders klima-schonender Industrie-Anlagen und Kraftwerke sorgen zu können. Trotzdem geben BAYER & Co. sich damit nicht zufrieden und fordern weitere Korrekturen.
IG BCE gegen Emissionshandel
Vor einigen Jahren hat die EU den Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten eingeführt. Er sieht vor, BAYER & Co. CO2-Emissionen nur in bestimmten Mengen zu gestatten. Alles, was über ein festgelegtes Limit hinausgeht, sollte den Konzernen teuer zu stehen kommen, weil sie dafür Verschmutzungsrechte kaufen müssten. Bevor die Unternehmen allerdings wirklich zur Kasse gebeten werden, will die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE die Regelung schon wieder abschaffen. Nach Ansicht des IG-BCE-Chefs Michael Vassiliadis gelang es nicht, den Emissionshandel auf große Länder wie die USA, Japan und Australien auszudehnen, wodurch die europäischen Multis einen Wettbewerbsnachteil erleiden würden. Deshalb plädiert er dafür, die Versteigerung von Verschmutzungszertifikaten im Jahr 2020 auslaufen zu lassen und die energie-intensive Industrie für ihre Mehrausgaben durch die 2005 eingeführte Maßnahme zu entschädigen.
BAYER-Mann VSW-Vorsitzender
Der „Verband für Sicherheit in der Wirtschaft“ (VSW) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Unternehmenssicherheit unter anderem im Computerbereich zu fördern. Den Vorsitz des nordrhein-westfälischen VSW-Ablegers hat im Mai 2011 Michael Sorge übernommen, der beim Leverkusener Multi für die „Corporate Security“ zuständig ist.
Voigtsberger als BAYER-Lobbyist
Über die „Bedeutung und Zukunft der Chemie-Industrie in NRW“ sprach NRW-Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger (SPD) vor einiger Zeit bei der Zusammenkunft des nordrhein-westfälischen Chemie-Verbundes „ChemCologne“ im Leverkusener Baykomm (Ticker 3/11). Und diese liegt ihm wirklich sehr am Herzen. So kritisierte er den von CDU und FDP beschlossenen Atom-Ausstieg: „Bei der Energiewende lässt Berlin die energie-intensiven Unternehmen in Deutschland im Stich“. Zudem warf der SPD-Politiker Schwarz-Gelb vor, Verhandlungen mit der EU über eine Erlaubnis, den Konzernen Strompreis-Beihilfen gewähren zu können, nicht voranzutreiben.
Kerber neuer BDI-Geschäftsführer
Der bisherige Hauptgeschäftsführer des „Bundesverbandes der deutschen Industrie“ (BDI), Werner Schnappauf, musste Ende März 2011 seinen Posten räumen. Er übernahm die politische Verantwortung dafür, dass die Äußerung des damaligen Wirtschaftsministers Rainer Brüderles bei einer BDI-Präsidiumssitzung, das verkündete Atom-Moratorium sei nur aus taktischen Gründen wegen der bevorstehenden Landtagswahlen erfolgt, in die Öffentlichkeit drang. Ihm folgte Markus Kerber nach, der über beste Verbindungen in die Politik verfügt. Bis zu seinem Wechsel zum Lobby-Club leitete er im Bundesfinanzministerium die Abteilung für Grundsatzfragen.
BAYER & Co. gegen Atomausstieg
BAYER & Co. kritisieren den Atomausstieg. „Die deutlich erkennbare politische Absicht, in einem beispiellos beschleunigten Verfahren einen finalen und irreversiblen Schlusspunkt für die Nutzung von Kernenergie in diesem Land zu fixieren, erfüllt mich zunehmend mit Sorge“, bekundete Hans-Peter Keitel vom „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) in einer Presseeerklärung. Der BDI befürchtet nämlich einen Anstieg der Energie-Preise und sieht die Versorgungssicherheit gefährdet. „Wir verlangen Alternativen, die Wirtschaft, Verbraucher und Klima nicht über Gebühr belasten“, heißt es deshalb in dem Papier.
Wirtschaftsrat für AKW-Plebiszit
Der CDU-Wirtschaftsrat, dessen Umweltkommission der BAYER-Manager Wolfgang Große Entrup vorsteht, wollte den Atomausstieg durch eine Volksabstimmung verhindern. Dafür konnte sich allerdings noch nicht einmal die Spitze der eigenen Partei erwärmen. „Auf einem Irrweg“ befand sich der Wirtschaftsrat nach Ansicht des Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder. Der Vorschlag bringe die Diskussion über eine künftige Energie-Politik überhaupt nicht weiter, befand der Christdemokrat und fragte sich: „Ich bin gespannt, ob der Wirtschaftsrat Volksentscheide beispielsweise in der Debatte um Mindestlöhne akzeptieren würde“.
Bleiben die NRW-Hochschulräte?
In den Hochschulräten als neuen Aufsichtsgremien der Universitäten sitzen zu einem Drittel VertreterInnen von Unternehmen. Der Leverkusener Multi darf da natürlich nicht fehlen. So ist BAYER-Vorstand Richard Pott im Hochschulrat der Universität Köln vertreten, mit welcher der Konzern auch eine umfassende Forschungskooperation unterhält (SWB 2/09). Im Wahlkampf hatte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die Hochschulräte noch als Beispiele für eine „Privatisierung der Hochschulen“ kritisiert und eine Reform angekündigt. Geschehen ist bisher jedoch noch nichts. „Wir möchten über die Hochschulräte nicht herausgelöst entscheiden, sie sind Teil des Hochschulgesetzes. Und darüber wollen wir erst einmal einen breiten Dialog anstoßen, um dann eine Entscheidung zu fällen“, verlautet nun aus der Staatskanzlei.
PROPAGANDA & MEDIEN
BAYER pflegt Kontakte
- 1
Mit dem Image des Leverkusener Multis in der Region ist es seit einiger Zeit nicht mehr zum Besten bestellt. Umstrittene Projekte wie die Kohlendioxid-Pipeline und Kohlekraftwerke sorgen neben der kontinuierlichen Arbeitsplatzvernichtung für eine schlechte Presse. Darum geht der Konzern vermehrt in die Offensive. So veranstaltete er im August 2011 eine Sommertour für JournalistInnen, PolitikerInnen, WirtschaftsvertreterInnen und StadtverwaltungsbeamtInnen auf dem Monheimer Gelände von BAYER CROPSCIENCE. Dabei sprach das Unternehmen ganz offen aus, was Sinn der Übung war: Kontaktpflege.
BAYER pflegt Kontakte
- 2
Da BAYERs Chemie-„Parks“ in Leverkusen, Dormagen und Krefeld bei den AnwohnerInnen nicht gerade in hohem Ansehen stehen, setzten sie sich zur Nachbarschaftspflege als Wohltäter in Szene. So lobte die 60-prozentige Konzern-Tochter CURRENTA als Betreiber der Industrie-Areale den Preis „Nachbarschafft Hilfe“ aus. Um der Gute-Onkel-Aktion möglichst viel Resonanz zu verschaffen, ließ die CURRENTA die Menschen an den Standorten online über die Vergabe von 10.000 Euro an Vereine oder soziale Einrichtung entscheiden. 120.000 Personen nutzten diese Gelegenheit, allerdings handelten viele von ihnen unsozial und betrieben Vereinsmeierei in eigener Sache. „Leider gab es ein paar Unterstützer, die sich mit unfairen Mitteln beteiligt haben“, musste BAYER einräumen.
Malwettbewerb mit der UNEP
BAYER sponsert das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), um sich ein Öko-Image zu verschaffen. Im Rahmen dieser Kooperation veranstaltet der Konzern auch einen Malwettbewerb. Im Jahr 2011 nahmen 8.000 Kinder an ihm teil.
1. Klimaschutz-Tag
Am 29. Mai 2011 veranstaltete BAYER in Leverkusen den „1. Klimaschutz-Tag“. „Mit unseren zahlreichen Aktionen für Groß und Klein wollen wir das Umweltbewusstsein der Besucher schärfen und zeigen, wie BAYER sich für den Schutz des Klimas einsetzt“, erklärt der Konzern. Aber weder „Kasper, der Energiesparer“ noch Verweise auf Wärmedämmung made by BAYER vermochten zu verdecken, was die nüchternen Zahlen des jüngsten Nachhaltigkeitsberichtes ausweisen: Der Global Player steigerte im letzten Jahr den Ausstoß des klima-schädigenden Kohlendioxids um 400.000 Tonnen auf 8,5 Millionen Tonnen.
Gentechnik für AnfängerInnen
Spielerisch lernen bei BAYER bereits die Kleinsten den Umgang mit der Gentechnik. Bei einer Wissenschaftsnacht „durften“ 140 sechs- bis 13-jährige Schülerinnen im Leverkusener Kommunikationszentrum des Konzerns auf die Frage: „Warum ist die Tomate rot und rund, die Kiwi grün und borstig?“ die Antwort „Das liegt am Erbgut“ finden, indem sie die Früchte unter fachlicher Anleitung auseinander nahmen.
Ausstellung im NRW-Landtag
Der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI), der Lobbyclub von BAYER & Co., durfte den nordrhein-westfälischen Landtag als Propaganda-Forum nutzen. Der NRW-Ableger des VCI zeigte dort im Juli 2011 die Ausstellung „Innovationen der chemischen Industrie“. Bei der Eröffnung konnte er Gäste wie die Landeswissenschaftsministerin Svenja Schulze begrüßen, deren Wege sich öfters mit denen der BAYER-ManagerInnen kreuzen.
DRUGS & PILLS
USA: XARELTO zugelassen
Während das BAYER-Medikament XARELTO (Wirkstoff: Rivaroxaban) in der EU schon länger zur Thrombose-Vorbeugung bei schweren orthopädischen Operationen zugelassen ist, zögerte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA lange mit der Genehmigung. Zu schwer wogen die Bedenken gegen das Mittel, welches das Blutgerinnungsenzym Thrombin hemmt, wegen des erhöhten Risikos für Gefäß-Verschlüsse, Blutungen, Herz/Kreislaufstörungen und Leberschäden sowie der ungeklärten Langzeitwirkung. Jetzt scheinen die Vorbehalte überwunden: Die FDA gab grünes Licht für XARELTO. Für den Leverkusener Multi stellt das allerdings nur einen ersten Schritt dar. Er setzt alles daran, das Mittel auch zur Schlaganfall-Prophylaxe einsetzen zu können, obwohl es selbst nach eigener Aussage „kein konsistent positives Nutzen-Risiko-Profil“ aufweist (Ticker 3/11).
XARELTO-Hängepartie
Die US-Zulassung von XARELTO als Mittel zur Schlaganfall-Prophylaxe gestaltet sich schwierig. MitarbeiterInnen der Gesundheitsbehörde FDA hatten sich Anfang September 2011 gegen die Genehmigung ausgesprochen. Die von BAYER eingereichten Studien warfen ihrer Meinung nach Fragen zu Herzinfarkt- und Blutungsrisiken auf. Zudem konnten sie im Vergleich zum bislang gebräuchlichen Wirkstoff Warfarin keinen therapeutischen Zusatznutzen entdecken. Trotzdem entschloss sich das BeraterInnen-Gremium der Behörde, eine Zulassungsempfehlung auszusprechen. Neun Mitglieder votierten dafür, zwei dagegen, und eine Person enthielt sich. Die endgültige Entscheidung über XARELTO fällt im November 2011.
BETAFERON-Rückruf
In den USA bestückt BAYER die Packungen seines Multiple-Sklerose-Medikamentes BETAFERON mit alkohol-haltigen Pads zur Haut-Desinfektion. Weil viele dieser Pads mit einem Bazillus verunreinigt waren, der lebensgefährliche Krankheiten übertragen kann, musste der Leverkusener Multi eine Rückruf-Aktion starten.
ADALAT + Antibiokum = gefährlich
BAYERs Bluthochdruck-Mittel ADALAT und BAYMYCARD können in Kombination mit bestimmten Antibiotika gesundheitsgefährdende Wirkungen entfalten. Nehmen PatientInnen die Kalzium-Antagonisten gemeinsam mit den Wirkstoffen Erythromycin oder Clarithromycin ein, so besteht die Gefahr einer zu starken Absenkung des Blutdrucks. Die beiden Antibiotika-Wirkstoffe hemmen nämlich ein Leberenzym, das Arzneien abbaut, was zu einer Überdosis ADALAT im Organismus führt. Das ergab eine Studie von WissenschaftlerInnen der Universität Toronto unter Leitung von David Juurlink.
QLAIRA gegen HMB
Warum eigentlich mühsam Heilmittel für existierende Krankheiten erfinden, wenn man auch Krankheiten für schon existierende Heilmittel erfinden kann, fragt sich der Leverkusener Multi immer öfters. Jetzt hat sein ForscherInnen-Geist wieder etwas Neues entdeckt: schwere Menstruationsblutungen. Eine standesgemäße Abkürzung hat der Konzern für dieses „Leiden“ mit HMB bereits ebenso wie mit dem BAYER-Verhütungsmittel QLAIRA ein adäquates Gegenmittel. Über die Nebenwirkung „Thrombose“, welche bei den Schwesterprodukten aus der YASMIN-Familie schon zu Todesfällen geführt hat, weiß der Pharma-Riese dagegen nichts. Das könnte „nur in großen epidemiologischen Studien geklärt werden“, lässt er verlauten.
Endgültiges Aus für Männer-Pille
Im Jahr 2002 stellte BAYER die Forschung an der Pille für den Mann ein, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO mit über einer Million Dollar gesponsert hatte. Weil der Konzern der Einrichtung etwas schuldig war, überließ er ihr aber das haus-eigene Testosteron-Präparat NEBIDO für Versuchsreihen, nicht ohne sich dafür die Zusicherung auszubedingen, Einblick in die Studien-Unterlagen nehmen zu können. Im Erfolgsfall wäre der Pharma-Riese damit wieder am Drücker. Dieser ist jedoch nicht eingetreten. Die WHO brach die Studie im Sommer 2011 ab, weil bei zehn Prozent der Probanden Nebenwirkungen wie Depressionen, Gewichtszunahme und Akne aufgetraten waren.
BAYER kauft Antibiotikum
Der Leverkusener Multi entwickelt immer weniger Arzneien selbst und kauft stattdessen Forschungserträge von außerhalb zu. So hat er die Rechte für den Antibiotika-Wirkstoff Torezolid erworben, der gerade die zweite Phase der klinischen Tests durchläuft. Die mittels eines biotechnologischen Verfahrens gewonnene Substanz gehört zu der neuen Antibiotika-Klasse der Oxazolidinone, die Bakterien angeblich in einem sehr frühen Stadium zu Leibe rücken kann.
PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE
19 Tote durch Endosulfan
2010 starben in Benin 19 Menschen durch ein Pestizid; 161 Personen vergiftete es insgesamt. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OBEPAB handelte es sich dabei höchstwahrscheinlich um das in dem Staat verbotene Endosulfan. Obwohl die Substanz, die BAYER nach eigenen Angaben seit zwei Jahren nicht mehr vertreibt, inzwischen vor einem weltweiten Bann steht, ist sie immer noch in Umlauf. Über schwarze Kanäle gelangte das Ackergift nach Benin, wo es in Lagerhallen Maniok, Bohnen, Mais und Getreide vor Schadinsekten schützen sollte. Der Verzehr der belasteten Lebensmittel führte dann zu der Katastrophe.
Verzicht auf Klasse-1-Pestizide
Der Leverkusener Multi nimmt bis Ende 2012 seine Pestizide der höchsten Gefahrenklasse vom Markt. Damit kommt der Konzern einer langjährigen Forderung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nach - allerdings mit über zehn Jahren Verspätung. Versprochen hatte das Unternehmen diesen Schritt in seinem Geschäftsbericht von 1995 nämlich schon für das Jahr 2000. Darum begrüßte die CBG die Ankündigung in einer Presseerklärung zwar, kritisierte jedoch, „dass sich der Konzern erst entschloss, diese chemischen Zeitbomben auszumustern, als sie nicht mehr genügend Profit abwarfen“.
BVL geht gegen RODINO vor
Das „Bundesamt für Verbraucherschutz“ (BVL) hat BAYERs Antiunkraut-Mittel RODINO sowie weiteren Pestiziden mit dem Wirkstoff Clomazone vorläufig die Zulassung entzogen. Vorausgegangen waren Beschwerden von AnwohnerInnen landwirtschaftlicher Nutzflächen, die über gesundheitliche Probleme geklagt hatten. Bereits vor drei Jahren hatten die Behörden die Anwendungsbedingungen für Clomazone-haltige Mittel verschärft, denn diese haben „die kritische Eigenschaft, nach der Spritzung auf den Boden noch ungezielt weiter verdriften zu können“, wie die „Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft“ festhält. Allerdings haben BAYER & Co. Widerspruch gegen die Entscheidung des BVL eingelegt, weshalb die Agrochemikalien vorerst weiter im Umlauf bleiben. Darum fordert das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN): „Die deutsche Bundesregierung muss endlich gesetzgeberisch den Zulassungsbehörden den Rücken stärken, damit die Behörden sich gegen die ökonomischen Interessen multinationaler Konzerne durchsetzen können!“
Parkinson durch Pestizide
Es wird immer amtlicher: Pestizide können Parkinson verursachen. Was viele Studien belegen, dringt mittlerweile auch bis zu den Berufsgenossenschaften durch. Sie haben nun bereits zum vierten Mal Parkinson bei LandwirtInnen, die viel mit Ackergiften umgehen, als Berufskrankheit anerkannt.
Alzheimer durch Pestizide
Pestizide können die Alzheimer-Erkrankung befördern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der französischen Wissenschaftlerin Isabelle Baldi. Die Forscherin machte mit LandarbeiterInnen, die in unterschiedlich starker Weise Ackergiften ausgesetzt sind, über einen Zeitraum von über vier Jahren hinweg Alzheimer-Früherkennungstests. Dabei stellte Baldi fest, dass bei Personen, die viel in Kontakt mit den Agro-Chemikalien kamen, die kognitiven Leistungen doppelt so stark nachließen wie in den Vergleichsgruppen.
PFLANZEN & SAATEN
Weizen-Kooperation mit RAGT
Der Leverkusener Multi hat mit dem französischen Unternehmen RAGT eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet „Weizen-Saatgut“ vereinbart. Die beiden Konzerne wollen gemeinsam neue Arten entwickeln und ihr Wissen teilen. Der Agro-Riese erhält Zugriff auf das Winterweizen-Zuchtmaterial der Firma und gewährt ihr im Gegenzug das Recht auf Nutzung von bestimmten Pflanzen-Eigenschaften made by BAYER. Das gewachsene Interesse des Global Players an der weltweit am häufigsten angebauten Kulturpflanze belegen auch Kooperationen mit der australischen Forschungseinrichtung „Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation“ (CSIRO), mit dem israelischen Biotech-Betrieb EVOGENE und der Universität von Nebraska sowie der Erwerb zweier Zuchtprogramme von ukrainischen Gesellschaften.
BAYER für Patente auf Pflanzen
Nicht nur auf gen-manipulierte Ackerfrüchte, sondern auch auf mittels konventioneller Verfahren gezüchtete erheben die Konzerne Patentansprüche. So bekam der Leverkusener Multi unter anderem ein Schutzrecht auf eine herbizid-resistente Mais-Art zugesprochen und will gerade Methoden zur Züchtung von Pflanzen, die zur Agrodiesel-Produktion dienen, als geistiges Eigentum schützen lassen. Der traditionelle Sortenschutz, der ebenfalls die Verfolgung kommerzieller Interessen gewährleistet, reicht dem Agro-Multi nicht aus. Er reklamiert umfassendere Rechte für sich. „Der Sortenschutz hat Grenzen, da Erfindungen meist nicht sorten-spezifisch sind, sondern vielmehr in viele Sorten eingebracht werden können“, erklärte BAYER-CROPSCIENCE-Sprecher Richard Breum.
NUNHEMS wächst und wächst
BAYERs Saatgut-Tochter NUNHEMS expandiert beständig. Nachdem sie im US-amerikanischen Parma und in Monheim die Betriebsstätten ausbaute und im spanischen Cartagena ein Forschungszentrum eröffnete, erweitert das Unternehmen nun auch seine Kapazitäten im niederländischen Leudal. Dort plant NUNHEMS neue Labore für DNA-Analysen, molekulare Züchtungen und Saatgut-Experimente.
GENE & KLONE
Genreis-Rückstände in China
Im Jahr 2006 tauchte gentechnisch veränderter Langkorn-Reis von BAYER weltweit in den Supermärkten auf. In keinem Land der Erde lag zu diesem Zeitpunkt eine Zulassung der Sorte mit der Bezeichnung LL 601 vor. Rund ein Drittel der US-amerikanischen Ernte war verunreinigt. Die EU und Japan stoppten daraufhin alle Importe aus dem Land, die betroffenen LandwirtInnen blieben auf ihrer Ernte sitzen (siehe auch RECHT & UNBILLIG). Und die Laborfrucht treibt immer noch ihr Unwesen. Im Februar diesen Jahres fand sich die Laborfrucht, die gegen das Herbizid LIBERTY resistent ist, weshalb die LandwirtInnen die Pflanze mit großen Mengen des Pestizids behandeln können, in chinesischem Supermarkt-Reis wieder.
T25-Rückstände im Saatgut
Das niedersächsische Umweltministerium hat bei einer Untersuchung Spuren von BAYERs in Europa nicht zugelassenem Genmais der Sorte „T25“ in konventionellem Mais-Saatgut aus Ungarn entdeckt.
Keine Grenzwert-Erhöhung
Immer wieder stoßen die Labore auf Rückstände der Gen-Pflanzen von BAYER & Co. in konventionellem Saatgut (s. o.) Darum setzten die Agro-Multis alles daran, den Grenzwert zu erhöhen. In der Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner fanden sie auch eine Mitstreiterin. Aber ihre Initiative, das strikte Verbot von Verunreinigungen aufzuheben und Gen-Spuren in geringen Mengen zuzulassen, scheiterte im Bundesrat.
Gentech-Paradies Spanien
Spanien ist das Gentech-Paradies der EU. 85 Prozent aller Laborfrüchte Europas erblühen dort. Da darf der Leverkusener Multi mit seinen Produkten natürlich nicht fehlen. Er führte oder führt dort noch 48 Freisetzungsversuche durch, die meisten davon mit Baumwoll-Arten, aber auch solche mit Raps, Mais oder Soja.
EU lässt Gen-Baumwolle nicht zu
Die AgrarministerInnen der Europäischen Union konnten sich nicht darauf verständigen, BAYERs gegen das Anti-Unkrautmittel Glyphosate resistenter Gentech-Baumwolle „GHB 614“ eine Import-Genehmigung zu erteilen. Eine endgültige Entscheidung fällt nun die EU-Kommission.
Argentinien lässt Gen-Soja zu
Argentinien hat BAYERs Gen-Soja der LIBERTYLINK-Baureihe zugelassen. Die Laborfrucht ist gegen das in Europa bald nicht mehr zugelassene Glufosinat resistent, weshalb die LandwirtInnen das Pestizid in großen Mengen verwenden können, ohne die Nutzpflanze zu schädigen - dafür aber Flora und Fauna in ihrer Umgebung umso mehr.
Protest gegen BAYER-Patent
Das Europäische Patentamt hat BAYERs weitreichenden Patent-Antrag auf stress-resistente Pflanzen genehmigt. Das „EP1616013“ umfasst das Verfahren, das entsprechende DNA-Molekül, die Pflanzen-Zelle, die Samen, die Anwendungen bei gentechnischen oder konventionellen Züchtungen sowie die Pflanze selber. Der Leverkusener Multi hat den Schutz auf geistiges Eigentum erhalten, obwohl viele der vom Konzern dargelegten Verfahren seit langem Anwendung in der Praxis finden. Darüber hinaus untersagt das Europäische Patentübereinkommen eigentlich Ansprüche auf Züchtungen, die auf dem Weg der Kreuzung und Selektion zustande kommen. „Die Europäischen Patentgesetze müssen endlich verändert werden, damit solche Patente nicht mehr möglich sind (...) Ansonsten ist der Ausverkauf der natürlichen Lebensgrundlagen an Konzerne wie BAYER und MONSANTO die Folge“, so kritisieren die Initiativen KEIN RECHT AUF LEBEN und KEINE PATENTE AUF SAATGUT die Entscheidung der Behörde in einer Presseerklärung.
Gentech-Steroide von BRAIN
Der Leverkusener Multi benötigt Steroide für seine Hormon-Präparate und als Pharma-Zwischenprodukte. Ihre Herstellung erfolgt mit Hilfe von Mikroorganismen. Diese lässt BAYER jetzt gentechnisch von der BRAIN AG optimieren. „Unter Anwendung moderner, molekularbiologischer Techniken innerhalb der System-Biologie ist es uns möglich, gezielt in das Genom von Produktionsstämmen einzugreifen, um einzelne, die Produktausbeute limitierende Gene auszutauschen oder zu modellieren“, erklärte das Zwingenberger Unternehmen.
Neues Krebsmittel im Test
Der Leverkusener Multi hat mit Tests für eine neue Krebs-Arznei begonnen. Ein Antikörper soll im Gegensatz zu Chemo-Therapien, die nicht nur Tumorzellen, sondern auch gesundes Gewebe zerstören, gezielt vom Krebs befallene Zellen aufspüren und dann das mitgeführte Zellgift Monomethylauristatin E (MMAE) zum Einsatz bringen. Der Leverkusener Multi kooperiert bei den Versuchen mit dem Unternehmen SEATTLE GENETICS, welches das MMAE entwickelt hat. Das Versprechen, Krebs-Präparate mit passgenauen Antikörpern zu entwickeln, hat der Pharma-Riese bisher nicht einlösen können. Sein Medikament NEXAVAR schafft es kaum, die Lebenserwartung der PatientInnen merklich zu erhöhen, kostet aber Unsummen (SWB 4/10)
ALPHARADIN bei Prostata-Krebs?
Krebsmedikamente sind teuer, helfen zumeist wenig und haben allzuoft nur ein eingeschränktes Anwendungsgebiet. So auch das vom Leverkusener Multi gemeinsam mit dem norwegischen Unternehmen ALGETA entwickelte ALPHARADIN, das vermittels Alpha-Strahlen das Wachstum von Prostatatumor-Zellen hemmen soll. Männern, bei denen eine Hormon-Behandlung erfolglos geblieben ist und sich zudem noch Metastasen im Knochen gebildet haben, verhalf es in einem Klinischen Test zu einem noch nicht einmal drei Monate längeren Leben. Ihre durchschnittliche Überlebenszeit betrug 14 Monate, diejenige der Placebo-Gruppe 11,2 Monate. Und sogar noch an dieser Zahl bestehen Zweifel, denn die Pharma-Hersteller gehen bei der Auswahl von ProbandInnen für ihre Arznei-Tests ziemlich selektiv vor. Wie jetzt eine Auswertung von 164 Studien ergab, bevorzugen sie jüngere Personen. Während 74 Prozent der Darmkrebs-Erkrankten über 65 sind, kommen nur 40 Prozent der Studien-TeilnehmerInnen auf dieses Alter - und haben entsprechend bessere Überlebenschancen. Trotzdem kommentierten die Zeitungen das Ergebnis der BAYER-Untersuchungen mit Überschriften wie „Hoffnung für Prostatakrebs-Patienten“.
BAYER erwirbt Lizenz für Hemmstoff
Hemmstoffe oder Antikörper, die gezielt auf Tumor-Zellen einwirken, gelten dem Leverkusener Multi als Wundermittel gegen Krebs, auch wenn die auf dieser Basis entwickelten Medikamente das Leben der Betroffenen bisher kaum länger als zwei Monate verlängern konnten. BAYER setzt jedoch unverdrossen weiter auf diese Therapie-Form und erwarb von der Universität Münster die Lizenz für einen entsprechenden Eiweißstoff.
Keine Suche mehr nach Zielmolekülen
Einkaufstouren wie solche bei der Universität Münster (s. o.) dürfte der Leverkusener Multi künftig öfters unternehmen. Der Konzern löste nämlich seine Forschungsabteilung auf, die nach krankheitsrelevanten Zielmolekülen suchte, um sie dann - so jedenfalls die graue Gentechnik-Theorie - mit passgenau entwickelten Antikörpern oder Hemmstoffen ausschalten zu können.
WASSER, BODEN & LUFT
Aus für Kohlekraftwerk
Die jahrelangen Proteste gegen das auf dem Krefelder Chemie-„Park“ des Leverkusener Multis geplante Kohlekraftwerk, das seine Tochterfirma CURRENTA betreiben sollte, haben sich ausgezahlt. Der Energie-Versorger TRIANEL beugte sich dem Druck der Öffentlichkeit und entschied sich für eine umweltschonendere Variante: ein Gas- und Dampfkraftwerk (siehe auch SWB 4/11). Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) begrüßt diesen Schritt; sie sieht Gas als Brückentechnologie hin zu einer wirklich umweltschonenden Stromerzeugung an. Allerdings kritisiert die CBG die Dimensionen der Anlage. Sie ist für 1.200 Megawatt ausgelegt und übersteigt damit die Kapazität des ursprünglich avisierten Kohlekraftwerks bei weitem. Deshalb produziert sie mehr klima-schädigendes Kohlendioxid als nötig und erreicht einen geringeren Wirkungsgrad als kleinere Kraftwerke.
Umweltgefährdende Müllmitverbrennung
Aus Kostengründen verfeuern BAYER & Co. in ihren Brennöfen zur Energie-Gewinnung nicht nur Steinkohle, sondern auch Müll. Auf 5,1 Millionen Tonnen kommen die Betriebe allein in Nordrhein-Westfalen pro Jahr. Am Standort Krefeld plant der Leverkusener Multi sogar, den Anteil auf 25 Prozent zu erhöhen (Ticker 3/11). Da diese Art des „Recyclings“ nicht den modernen Standards beispielsweise der Rauchgas-Behandlung entspricht, gelangen große Konzentrationen von Dioxinen, Furanen und Schwermetallen in die Umwelt, was nur eine Ausnahme-Regelung in der Bundesimmissionsschutz-Verordnung gestattet. Dagegen wollen die Grünen in NRW nun vorgehen. Sie planen eine Verschärfung der Grenzwerte und streben über eine Bundesratsinitiative auch eine bundesweite Lösung an.
Mehr Sondermüll-Verbrennung
Der Leverkusener Multi will die Kapazität seiner Sondermüll-Verbrennungsanlage in Leverkusen um 40.000 Tonnen auf 120.000 Tonnen steigern. Damit nimmt auch die ohnehin schon hohe Belastung der Umwelt mit Stoffen wie Kohlendioxid, Stickoxiden, Quecksilber, Arsen und Cadmium zu. Der BUND kritisiert vor allem das Fehlen von Vorrichtungen zur Reduktion der Stickoxid-Emissionen sowie die zu niedrig angesetzte und deshalb zu mehr Schadstoff-Ausstoß als nötig führende Temperatur zur Klärschlamm-Verbrennung. Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lehnt die Pläne ab. „In NRW gibt es keinen Bedarf für weitere Verbrennungskapazitäten - schon jetzt werden zur Auslastung der bestehenden Anlagen große Mengen Müll aus dem Ausland akquiriert. Immer neue Verbrennungsanlagen verhindern zudem den Einstieg in eine ökologisch sinnvolle Kreislaufwirtschaft“, so CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes in einer gemeinsam mit dem BUND, dem NABU und der LANDESGEMEINSCHAFT NATURSCHUTZ und UMWELT veröffentlichten Presseerklärung.
BAYERs CO2--Recycling
Im Februar 2011 nahm BAYER eine Pilotanlage in Betrieb, die den Einsatz von Kohlendioxid als Rohstoff zur Kunststoff-Herstellung erprobt. Der Pharma-Riese feiert dieses gemeinsam mit RWE und der „Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen“ betriebene Projekt „Dream Production“ als eine Großtat zur Rettung des Klimas. ExpertInnen beurteilen solche Versuche skeptischer. „Die stoffliche Nutzung kann keine riesigen Mengen binden, weil wir einfach viel, viel mehr Kohlendioxid freisetzen“, sagt etwa der Chemie-Ingenieur Arno Behr von der „Technischen Universität Dortmund“ (Ticker 1/10). Und selbst bei der günstigsten Hochrechnung fallen die Ergebnisse bescheiden aus. Sollten wirklich einmal weltweit alle Kunststoffe nach dem neuen Verfahren hergestellt werden, so wären gerade einmal 178 Millionen Tonnen Kohlendioxid gebunden - 0,6 Prozent der jährlichen Emissionen. Darüber hinaus fällt bei der „Dream Production“ selber nicht wenig CO2 ab, da energie-aufwendige Abtrennungs-, Reinigungs- und Verflüssigungsprozesse nötig sind, ehe aus den Rauchgasen der Kohlenkraftwerke ein Rohstoff für die Chemie-Industrie entsteht.
Neue Grundwasser-Verordnung
Im Herbst 2010 trat eine neue Grundwasser-Verordnung in Kraft. Sie vermag es allerdings nicht, die Belastungen der aquatischen Ökosysteme durch die Ackergifte von BAYER & Co. zu senken. „Es gibt keine bundesweit einheitlichen Mindeststandards zur Dokumentation, Reduzierung oder Behebung bedeutender Verunreinigungsquellen, dadurch können die nun für Grundwasser geltenden Pestizid- und Biozid-Grenzwerte nicht wirken“, kritisiert das PESTIZIDS-AKTIONS-NETZWERK (PAN).
Baugenehmigung in Cambridge
Bis zum Jahr 2003 betrieb BAYER im englischen Hauxton nahe Cambridge ein Werk. Bei der Schließung hinterließ der Konzern in Boden und Grundwasser jede Menge Altlasten. Trotzdem sollen auf dem Gelände Wohnhäuser entstehen. Eigentlich hätte der Leverkusener Multi die Sanierung übernehmen müssen, ihm gelang es jedoch, diese Aufgabe auf den Investor HARROW ESTATES abzuwälzen. Entsprechend demotiviert und erst auf politischen Druck hin machte dieser sich ans Werk. Er entschloss sich, das Erdreich abzutragen, zu säubern und wieder in die Grube zurückzuverfrachten. Dabei erwachten zwischenzeitlich auch die Schadstoffe zu neuem Leben und verursachten bei mehr als der Hälfte der 402 AnwohnerInnen Atemprobleme, Kopf- und Halsschmerzen sowie andere Gesundheitsstörungen. Darüber hinaus kam erst im Zuge der Arbeiten das ganze Ausmaß der Verschmutzung ans Tageslicht. Deshalb bat HARROW den Gemeinderat, einer Sanierung light zuzustimmen, was dieser auch tat. Nun befinden sich Boden um bis 500 Mal höhere Rückstände von Dicambe, Ethofumesate und anderen Chemikalien als ursprünglich vorgesehen - eine große Bedrohung nicht nur für das Grundwasser. Entsprechend empört reagierten die AnwohnerInnen. Das hielt die Kommune jedoch nicht davon ab, HARROW ESTATES eine Baugenehmigung für das Areal zu erteilen.
NANO & CO.
Gefährliches BAYERTITAN T
Die Nanotechnologie lässt Werkstoffe auf winzig kleine Größen schrumpfen. Dabei entwickeln diese oft unbekannte Eigenschaften. So auch das Nano-Produkt BAYERTITAN T, das als Aufheller in Wandfarben, Zahnpasta und Tabletten oder als UV-Filter in Sonnencremes Verwendung finden kann. Im Gegensatz zu größeren Titandioxid-Partikeln gelingt es dem Stoff nämlich, die Luft/Blut-Schranke zu überwinden und sich in den Organen anzureichern. Es „muss von einer möglichen, wenn auch minimalen, systemischen Verteilung der Partikel über den Blutkreislauf ausgegangen werden“, resümiert Maja Eydner ihren Tierversuch, ohne darin einen besonders beunruhigenden Befund zu sehen. Wolfgang Kreyling vom Helmholtz-Zentrum München, der im Auftrag des Bundesumweltamtes eine Nano-Studie mit Titan-Partikeln von DEGUSSA/EVONIK durchführte und eine weite Streuung der Teilchen in Lunge, Leber, Niere, Herz und Gehirn beobachtete, kommt da zu anderen Schlussfolgerungen. Angesichts von 4,5 Milligramm Titandioxid, das der Mensch täglich aufnimmt, warnt er: „Wenn auch davon nur ein Prozent im Körper verbleibt, so kommt damit im Laufe der Zeit und damit im Laufe des Lebens eine beträchtliche Summe zusammen, die durchaus bedenkenswert ist“. Eine frühere Untersuchung (Ticker 3/11) hatte bereits die tödliche Wirkung von Nano-Teilchen aus Titandioxid auf Mikro-Organismen wie Wasserflöhe nachgewiesen.
Risiko-Analysen „zwingend nötig“
Bundesumweltminister Norbert Röttgen erachtet Risiko-Analysen für Nano-Produkte als „zwingend nötig“, wie er bei der Vorstellung des Abschlussberichtes der 2006 vom damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel einberufenen „NanoKommission“ deutlich machte. BAYER und die anderen Hersteller sind da anderer Meinung.
Sie wehren sich gegen ein zentrales Register, wie es für Chemikalien bereits existiert (siehe auch POLITIK & EINFLUSS). „Vertreter der Industrie halten die vorhandenen Produktlisten und -register (...) für ausreichend“, heißt es in der Publikation mit dem Titel „Verantwortlicher Umgang mit Nano-Technologien“. Auch einer Kennzeichnungspflicht mochten die Unternehmen nicht zustimmen. Überraschenderweise sprachen sie sich aber nicht gegen politische Rahmensetzungen aus: „Die NanoKommission ist sich bewusst, dass in nächster Zeit Regulierungsfragen Vorrang vor Konzepten haben werden, die auf freiwilligen Maßnahmen der Industrie aufbauen“.
400 Millionen für Nano-Forschung
Die Bundesregierung will die Nano-Forschung von BAYER & Co. jährlich mit 400 Millionen Euro fördern. Das beschlossen CDU und FDP im Rahmen ihres „Aktionsplans Nanotechnologie 2015“. Der „Verband der Chemischen Industrie zeigte sich hellauf begeistert: „Mit ihrem Aktionsplan Nanotechnologie 2015 kann die Bundesregierung die europäische Spitzenposition Deutschlands in dieser zukunftsweisenden Technik ausbauen“.
Nano-Pestizid RAXIL
Der Leverkusener Multi verwendet die Nano-Technologie auch in der Pestizid-Produktion. So enthält das Saatgutbehandlungsmittel RAXIL MD Substanzen in Nano-Größe. Das macht das Mittel BAYER zufolge feiner, dünner, stabiler in der Wirkung - und giftiger, denn der Stoff kann direkt in die Zellen der Pflanzen eindringen wie auch in diejenigen von Insekten oder - über die Nahrungskette - von Menschen. Trotz dieser Risiken gibt es kein spezielles Zulassungsverfahren für Ackergifte auf Nano-Basis. Einen entsprechenden Antrag der Grünen hatte das Europäische Parlament in der letzten Legislatur-Periode abgelehnt.
CO & CO.
Berufungen im Pipeline-Verfahren
Am 25. Mai 2011 hatte das Düsseldorfer Verwaltungsgericht die Inbetriebnahme von BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline untersagt, weil die Rohrleitung nicht ausreichend vor Erdbeben gesichert ist. Allerdings bestätigten die JuristInnen die Rechtmäßigkeit der Enteignungen entlang des Streckenverlaufes. Deshalb kündigten die Anwohner, die dagegen geklagt hatten, gleich nach der Urteilsverkündigung an, in Berufung zu gehen. Gleiches tat Ende August 2011 auch die Düsseldorfer Bezirksregierung. Ihre Begründung lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor.
Mangelnder Rostschutz
An fünf Stellen der zwischen Krefeld und Dormagen verlaufenden Kohlenmonoxid-Pipeline muss BAYER schon Reparatur-Arbeiten vornehmen, obwohl die Bauarbeiten kaum abgeschlossen sind. Eine Überprüfung hatte nämlich Mängel an den Isolierungen festgestellt, die den Rostschutz gefährden.
STANDORTE & PRODUKTION
„Pharma-Campus“ verschoben
BAYER hatte in Berlin viel vor. Im letzten Jahr kündigte der Leverkusener Multi an, das Gelände der 2006 erworbenen SCHERING AG für 500 Millionen Euro zu einem „Pharma-Campus“ umbauen zu wollen. Doch unter dem neuen Chef Marijn Dekkers ging der Konzern immer mehr auf Distanz zu dem Projekt. Mitte Juli 2011 gab er schließlich bekannt, die Pläne zunächst für zwei Jahre ruhen zu lassen. Ob sie überhaupt noch realisiert werden, st