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Veröffentliche Beiträge in “SWB 01/2010”

[Ticker] STICHWORT BAYER 01 2010 Ticker

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Proteste wg. DYSTAR-Insolvenz
Den aus der BAYER-Familie verstoßenen Firmen blüht zumeist ein schweres Schicksal. AGFA, DYNEVO und TANATEX warten immer wieder mit harten Einschnitten für die Beschäftigten auf, und der Farbstoffproduzent DYSTAR musste im letzten Jahr sogar Insolvenz anmelden. Es gibt mit dem chinesischen Unternehmen HUBAI CHUYAN und dem indischen Konzern KIRI DYES zwar zwei Kauf-Interessenten, aber die Verhandlungen gestalten sich unter anderem wegen der hohen Pacht, die DYSTAR für ihre Gebäude an die BAYER-Abspaltung LANXESS zu zahlen hat, schwierig. Auf dem Internetforum des Leverkusener Anzeigers werfen LeserInnen BAYER unterlassene Hilfeleistung vor. „Ja, es ist soweit, die nächste Firma ist durch Inkompetenz und blauäugiges Denken in den Ruin getrieben worden. Und wer rührt sich nicht und bietet Hilfe an? Jawohl, unsere ehemalige Mutter, die BAYER AG“, schreibt ein „John Jay“ und bezeichnet die letzten beiden Vorstandsvorsitzenden, Manfred Schneider und Werner Wenning, als „Totengräber der BAYER-Familie“.

Proteste wg. MIRENA
Zu den unerwünschten Arznei-Effekten von BAYERs Hormonspirale MIRENA zählen unter anderem Brustkrebs, Herz/Kreislauf-Krankheiten, Bauchhöhlen-Schwangerschaften, Zysten, Zyklusstörungen und Zwischenblutungen. In den USA haben MIRENA-Opfer deshalb eine Unterschriften-Kampagne durchgeführt und eine Liste mit 1.500 Unterzeichnerinnen an die US-Gesundheitsbehörde FDA gesandt, um Maßnahmen einzufordern. Auch in der Bundesrepublik steht das Verhütungsmittel zunehmend in der Kritik. So finden sich auf der Webseite www.hormonspirale-forum.de zahlreiche Berichte über Risiken und Nebenwirkungen.

Neonicotinoid-Verbot gefordert
BAYERs zur Gruppe der Neonicotinoide gehörende Saatgutbehandlungsmittel PONCHO und GAUCHO haben bereits Millionen Bienen den Tod gebracht. Deshalb erließen viele Länder Anwendungsbeschränkungen. Dem französischen Imker-Verband „Fédération Française des Apiculteurs Professionels“ gehen diese jedoch nicht weit genug. Er fordert ein Komplett-Verbot aller Neonicotinoide.

PAN fordert Chlorpyrifos-Stopp
Pestizide sind für Neugeborene in besonderem Maße schädlich, weil ihr Abwehrsystem erst noch heranreift. Normalerweise ist dieser Prozess mit zwei Jahren abgeschlossen. Nach einer Studie der Berkeley-Universität gibt es jedoch auch Kinder, die noch im Alter von sieben Jahren nicht über eine ausreichende Menge des Entgiftungsenzyms Paraoxonase 1 verfügen. Kommen diese mit der Agrochemikalie Chlorpyrifos in Kontakt, die unter anderem in den BAYER-Produkten BLATTANEX, PROFICID und RIDDER enthalten ist, so steigt ihr Vergiftungsrisiko gegenüber den Altersgenossen mit voll entwickelter Immunabwehr um das 50-164fache. Das PESTIZID-AKTIONS-NETZWERK (PAN) fordert deshalb ein Verbot von Chlorpyrifos.

CBG: Stopp für Klasse-1-Pestizide!
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat eine neue Kampagne gestartet, um den Leverkusener Multi dazu zu veranlassen, endlich seine Zusage zu erfüllen und alle Pestizide der Gefahrenklasse 1 vom Markt zu nehmen. Bereits im Geschäftsbericht des Jahres 1995 hatte der Agro-Riese nämlich angekündigt: „Mit einem Drei-Punkte-Programm haben wir uns hinsichtlich Forschung, Entwicklung und Vertrieb der Pflanzenschutz-Produkte klare Ziele für die kommenden fünf Jahre gesetzt. So werden wir die eingesetzte Produktmenge je Anwendung noch weiter reduzieren und Produkte der WHO-Toxizitätsklasse 1 schrittweise durch Präparate mit geringerer Giftigkeit ersetzen“. Dieses Versprechen hat der Konzern nicht gehalten. Er stellte zwar die Produktion von Parathion, Monocrotophos, Oxydemeton-methyl und Endosulfan ein, vertreibt aber bis heute Thiodicarb, Disulfoton, Triazophos, Fenamiphos und Methamidophos. „Durch die Einstellung des Verkaufs aller Wirkstoffe der obersten Gefahrenklasse ließe sich die Zahl der Vergiftungen signifikant verringern“, so begründete Philipp Mimkes vom CBG-Vorstand die Forderungen.

Mahnwache gegen Kohlekraftwerk
Gegen den geplanten, aber noch nicht endgültig genehmigten Bau eines Kohlekraftwerkes auf dem Gelände des Krefelder Chemie‚parks‘ von BAYER erhebt sich entschiedener Widerstand. Die GegnerInnen des Projektes weisen nicht nur auf den Kohlendioxid-Ausstoß von jährlich ca. 4,4 Millionen Tonnen hin, sondern auch auf die Belastungen durch Feinstaub, Schwermetalle und Radioaktivität. Um dem Protest zu begegnen, hat TRIANEL als Bauherr des Kraftwerks in der Stadt ein Informationsbüro eingerichtet. Bei der Eröffnung erhielt es gleich unliebsamen Besuch. Die Initiative KEIN STEINKOHLEKRAFTWERK IN KREFELD UERDINGEN! hielt vor den Türen eine Mahnwache ab und bekam dabei prominente Unterstützung durch die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn.

AOK kritisiert Gesundheitspolitik
Die neue Bundesregierung macht Gesundheitspolitik ganz im Sinne von BAYER & Co.. So gestattet sie Big Pharma trotz gegenteiliger Ankündigungen weiterhin, die Preise für neue Pillen selber festzulegen und kündigt eine Deregulierung des Arzneimittelmarktes an (siehe SWB 4/09). Dieses Vorgehen stellt die Krankenkassen vor massive Probleme. Die AOK erwägt bereits Zusatzbeiträge und übt Kritik an CDU und FDP. „Ausgerechnet die Koalition, die mehr Wettbewerb fordert, schont Pharma-Hersteller und betreibt Klientelpolitik“, protestierte Winfried Jacobs, Chef der AOK Rheinland/Hamburg.

Wollheim-Uni macht weiter
Im Jahr 2001 ging das Frankfurter IG-FARBEN-Haus in den Besitz der „Johann Wolfgang von Goethe-Universität“ über. Seit dieser Zeit traten Studierende und Lehrende dafür ein, die mahnende Erinnerung an den von BAYER mitgegründeten Mörderkonzern wachzuhalten, indem die Hochschule den ehemaligen IG-Zwangsarbeiter Norbert Wollheim ehrt. Die Leitung wehrte sich aber erfolgreich dagegen, einen Platz auf dem Gelände nach dem Mann zu benennen, der durch seinen 1951 begonnenen Musterprozess Entschädigungszahlungen für die SklavenarbeiterInnen ermöglichte. Stattdessen errichtete sie mit dem „Norbert Wollheim Memorial“ eine Gedenkstätte für ihn (siehe SWB 1/09). Im Zuge des Bildungsstreiks jedoch knüpften Studierende an die alte Idee an. Sie besetzten das Casino-Gebäude und benannten die Alma Mater symbolisch in „Norbert Wollheim Universität“ um. Die Hochschulleitung ließ das Casino räumen, aber die StudentInnen machen weiter und halten unter dem Namen „Norbert Wollheim Universität“ regelmäßig Workshops ab.

Beschwerde in Endlosschleife
1999 hatten sich BAYER und andere Multis am Rande des Davoser Weltwirtschaftsforums im „Global Compact“ dazu bekannt, soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten. Nach Meinung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) verstieß der Leverkusener Multi mit der Beinah-Katastrophe in Institute und dem nachfolgenden Katastrophen-Management aber gegen die Regularien des an die UN angebundenen Industrie-Zusammenschlusses. Deshalb forderte die Coordination den Ausschluss. Der „Global Compact“ legte dar, dass er über keinerlei Mandat verfügt, die Einhaltung seiner Prinzipien zu kontrollieren und gegebenenfalls Sanktionen auszusprechen. Nur einen Dialog moderieren könne er. Diesen Job sollte die bundesdeutsche Dependance übernehmen. Trotz Einspruches von Seiten der CBG machte die New Yorker Direktion jetzt bereits zum zweiten Mal diesen Vorschlag - vergeblich. Die Coordination besteht weiterhin darauf, den Fall statuten-gemäß im Leitungsgremium zu verhandeln.

KAPITAL & ARBEIT

BAYER ändert Vorstandsvergütung
Im Jahr 2009 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zur ManagerInnen-Vergütung, um die schlimmsten Exzesse einer an kurzfristigen Gewinnen orientierten Wirtschaft zu unterbinden. In der Folge musste auch der Leverkusener Multi ein neues System zur Honorierung seiner Vorstände einführen. Viel ändert sich jedoch nicht.
Immer noch machen die fixen Bezüge nur 30 Prozent des Gehaltes aus, der Rest ist erfolgsabhängig. Die Basis für die Berechnung dieses Erfolges bleibt der Aktien-Kurs, nur der Berechnungszeitraum ändert sich. Er umfasst eine längere Periode der Unternehmensentwicklung, weshalb BAYER sich dafür selbst das Prädikat „Nachhaltigkeit“ verleiht.

108.400 BAYER-Beschäftigte
Im Geschäftsjahr 2009 hatte der Leverkusener Multi 108.400 Belegschaftsangehörige und damit 200 weniger als 2008.

Kaum Frauen in Führungspositionen
Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist bei BAYER gering. Er beläuft sich auf 5,5 Prozent.

BAYER gemeindet JENAPHARM ein
Bisher haben sowohl BAYER VITAL als auch JENAPHARM das Segment „Frauengesundheit“ bei BAYER abgedeckt. Nun plant der Leverkusener Multi eine Umstrukturierung. JENAPHARM soll stärker unter das Dach von BAYER VITAL rücken und nur noch Verhütungsmittel und Präparate für Schwangere selbst vermarkten. Mit dem Umbau gehen Arbeitsplätze in den Bereichen „Marketing“, „klinische Forschung“, „Außendienst“ und „Geschäftsentwicklung“ verloren.

Arbeitsplatzvernichtung in Krefeld
BAYERs 200 Millionen schweres Konzept zur Zukunftssicherung des Standortes Krefeld sichert nicht die Zukunft aller Beschäftigten, denn es ist mit der Vernichtung von 80 Arbeitsplätzen verbunden. Zudem stehen die Investitionen unter dem Vorbehalt von Betriebsgenehmigungen für die Kohlenmonoxid-Pipeline und für das im Chemie-„Park“ geplante Kohlekraftwerk (siehe auch Ticker 4/09).

BMS: Dekkers hält sich bedeckt
Der designierte BAYER-Chef Marijn Dekkers hält sich in Sachen „Zukunft der Kunststoff-Sparte“ bedeckt. „Für Aussagen ist es viel zu früh“, sagte der Holländer der Rheinischen Post. BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) sei „sehr wettbewerbsfähig“, habe aber stärker als der Pharma-Bereich unter konjunkturellen Schwankungen zu leiden, so der Zwischenstand von Dekkers‘ Analyse.

IG BCE will Personenwahlen
Im Vorfeld der im März 2010 stattfindenden Betriebsratswahlen bei BAYER gibt es einen Konflikt zwischen der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) und den oppositionellen Gewerkschaftsgruppen BASIS BETRIEBSRÄTE, BELEGSCHAFTSTEAM und KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN FÜR EINE DURCHSCHAUBARE BETRIEBSRATSARBEIT. Die IG BCE plädiert für eine Personenwahl, bei der die alternativen Gruppen ihre Kenntlichkeit verlieren würden, was auch Sinn der Übung ist. „Wir brauchen in der Opposition keine Opposition“, meint Gesamtbetriebsratsvize Oliver Zühlke. BELEGSCHAFTSTEAM & Co. teilen diese Ansicht jedoch nicht und lehnten den IG-BCE-Vorschlag ab.

Dialogreihe mit der IG BCE
Co-Management, wie es leibt und lebt: BAYER hat gemeinsam mit dem Betriebsrat und der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE eine Dialogreihe zum Thema „Chemie ist Zukunft“ veranstaltet, um etwas für die Zukunft umstrittener Projekte wie der Kohlenmonoxid-Pipeline und dem Kohlekraftwerk in Krefeld zu tun. Und es blieb nicht bei dem einen Schulterschluss. Am Ende herrschte Dreieinigkeit, denn auch eingeladene Vertreter der Landesregierung erteilten die Absolution. „Die erstaunlichen Leistungen der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen sind ein Beispiel dafür, welche Kompetenz sie bei der Lösung von Problemen besitzt“, lobte Dirk Meyer vom „Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie“ in einem Monolog-Beitrag.

LANXESS rationalisiert
Zu den aus der BAYER-Familie verstoßenen Firmen mit einem schweren Schicksal zählt auch LANXESS, ehemals Teil der Chemie-Sparte des Leverkusener Multis. Im Zuge der Wirtschaftskrise verordnet sich das Unternehmen eine Schrumpfkur. Der Konzern hat das 360 Millionen Euro schwere Einspar-Programm „Challenge 09-12“ eingeführt, das viele Arbeitsplätze kosten dürfte.

Neuer Betriebskindergarten
Der Leverkusener Multi baut in Monheim eine neue Betreuungseinrichtung für Kinder, um seine Attraktion für Spitzenkräfte zu erhöhen. „Betriebskindergärten sind ein echter Standortfaktor geworden“, meint BAYER-CROPSCIENCE-Sprecher Utz Klages. Als sie das noch nicht waren, hat der Konzern alles dafür getan, sich die Krippen möglichst wenig kosten zu lassen. So hat er 1999 die vier Leverkusener Betriebskindergärten der Trägerschaft des Roten Kreuzes übergeben (Ticker 2/99) und dadurch jährlich ca. eine halbe Million Euro gespart. Die nicht mehr nach Chemie-Tarif bezahlten PädagogInnen mussten hingegen Einkommensverluste von bis zu 1.250 Euro monatlich hinnehmen.

Schneider mächtigster Aufsichtsrat
Der ehemalige BAYER-Boss Manfred Schneider ist mit Aufsichtsratschefsesseln beim Leverkusener Multi, bei RWE und LINDE sowie mit einfachen Mandaten bei DAIMLER und TUI der mächtigste bundesdeutsche Konzern-Kontrolleur. Sein Salär von 998.910 Euro kommt dem eines vollbeschäftigten Top-Managers dann auch ziemlich nahe, wie die „Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz“ konstatierte.

Wenning muss draußen bleiben
Bisher wechselten nicht nur bei BAYER scheidende Vorstandsvorsitzende routinemäßig in den Chefsessel des Aufsichtsrats. Diesen Altersruhesitz kann Werner Wenning jedoch nicht mehr beziehen - das im letzten Jahr verabschiedete Gesetz zur ManagerInnen-Vergütung macht‘s unmöglich. Wenning ist darüber sehr ungehalten, dass die Große Koalition Insider nicht mehr mit Kontrollaufgaben betrauen mochte und grollte in einem Interview: „Wieso sollte es schaden, wenn man etwas vom Geschäft versteht?“.

Beistandskassen-Versammlung unrechtmäßig
Die BAYER-Beistandskasse hatte 2007 Einschnitte beim Sterbegeld, das durchschnittlich ca. 6.000 Euro beträgt, vorgenommen (Ticker 3/08). Die Abschläge können bis zu 2.000 Euro - also ein Drittel der Summe - betragen. Die Mitgliederversammlung fällte diese Entscheidung faktisch ohne die Mitglieder, denn der Vorstand setzte diese nicht über den brisanten Tagesordnungspunkt in Kenntnis. So nahmen nur 26 Personen an der einstündigen Sitzung teil, die für die rund 90.000 Versicherten den Gewinnzuschlag in Höhe von 25 Prozent strich. Deshalb fochten einige Kassen-Angehörige den Beschluss an. Im Februar 2010 bekamen sie nun endgültig Recht zugesprochen. Weil die Beistandskasse nicht ordnungsgemäß zu der Versammlung eingeladen hatte, erklärte das Landgericht Köln die Beschlüsse von damals für ungültig. Jetzt prüft die Sterbekasse, ob sie die Mitglieder wieder über die Kürzungen abstimmen lassen muss.

Sieg für DYSTAR-Beschäftigten
21 DYSTAR-Beschäftigte hatten im letzten Jahr per Aufhebungsvertrag eingewilligt, gegen Zahlung einer Abfindung in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Dann meldete die ehemalige BAYER-Tochter (siehe auch AKTION & KRITIK) Insolvenz an. Während ihre Ex-KollegInnen wenigstens noch Konkurs-Ausfallgeld erhielten, gingen die 21 komplett leer aus. Einer von ihnen klagte dagegen und bekam vom Opladener Arbeitsgericht auch Recht zugesprochen.

ERSTE & DRITTE WELT

Indien als Arzneitest-Ressource
„Auch als Ressource wird Indien für die Pharma-Sparte interessant: Sie lässt dort bereits sechs neue Medikamente testen“, vermeldete die Financial Times Deutschland einmal über BAYERs Engagement in dem Staat. Ein Entwicklungsland als Ressource, das charakterisiert die gängige Praxis bei den Arznei-Prüfungen ganz gut. BAYER & Co. haben in den westlichen Staaten nämlich zunehmend Schwierigkeiten, noch genügend risiko-bereite ProbandInnen für ihre Neuschöpfungen zu finden und profitieren in vielfacher Hinsicht vom Outsourcing. Sie gelangen leichter und für viel weniger Geld an Versuchspersonen, die dann auch noch weniger Fragen stellen, weil sie oftmals die Verträge gar nicht lesen können und einfach ihren ÄrztInnen vertrauen. Zudem gibt es nicht so strenge Vorschriften für die Durchführung der Erprobungen wie beispielsweise in der Bundesrepublik. „Als Indiens Vorteil“ stellt das die in Mumbai ansässige IGATE CLINICAL RESEARCH INTERNATIONAL heraus, die Tests aller Art anbietet. Also insgesamt glänzende Aussichten für BAYER.

EU betreibt Patent-Politik
Seit die Verhandlungsrunden der Welthandelsorganisation WTO zur weiteren Liberalisierung des Welthandels gescheitert sind, betreibt die EU eine eigene Marktöffnungspolitik im Dienste von BAYER & Co. Beim Thema „Patente“ geht sie dabei sogar noch über das berühmt-berüchtigte TRIPS-Abkommen der WTO hinaus. Wie zuvor schon in den Verhandlungen mit Kolumbien (Ticker 2/09) drängt die Europäische Union auch bei den Gesprächen mit Indien auf eine Verlängerung der Patentlaufzeiten für Medikamente von 20 auf 25 Jahre. Zudem will sie die Daten von Arzneitests unter Verschluss halten. Mit all dem unterstützt die EU das Ansinnen von Big Pharma, Indiens Pillen-Industrie zu schwächen, deren preiswerte Nachahmer-Medikamente dem Land den Ruf einer „Apotheke der Dritten Welt“ eingebracht haben. Der Leverkusener Multi hatte im letzten Jahr sogar einen Prozess gegen den Hersteller CIPLA und die Genehmigungsbehörde geführt, um die Zulassung einer Generika-Version seines Krebsmittels NEXAVAR zu verhindern, was allerdings scheiterte (SWB 3/09).

BAYER spendet LAMPIT
BAYER stellt der Weltgesundheitsorganisation WHO 400.000 LAMPIT-Tabletten zur Verfügung, die in Kombination mit Eflornithin-Präparaten zur Behandlung der Schlafkrankheit zum Einsatz kommen. „Im Rahmen seines sozialen Engagements will BAYER einen weiteren wichtigen Beitrag im Kampf gegen Tropenkrankheiten leisten“, mit diesen Worten begründet der Konzern die Reaktivierung seines Medikamentes, dessen Produktion er 1997 schon eingestellt hatte, weil die besonders in Südamerika verbreitete Infektionskrankheit Chagas als Anwendungsgebiet nicht mehr genug Profit versprach. Das Handelsblatt spricht bei solchen milden Gaben mit Blick auf den Image-Gewinn allerdings von „wohl kalkulierter Großzügigkeit“, und für Hilfsorganisationen wie ÄRZTE OHNE GRENZEN können sie dringend notwendige strukturelle Reformen wie eine Verbilligung der Arzneien für Länder der „Dritten Welt“ nicht ersetzen.

KONZERN & VERGANGENHEIT

BAYER 04 als Wende-Profiteur
BAYERs Werksfußball-Club hatte die DDR bereits in den 80er Jahren als Spieler-Reservoir entdeckt. Wie aus Stasi-Unterlagen hervorgeht, beobachtete er mit Hilfe des in die Bundesrepublik geflohenen Trainers Jörg Berger DDR-Kicker bei Auswärtsspielen und verleitete geeignete Kandidaten wie Falko Götz oder Dirk Schlegel zur Republikflucht (Ticker 3/00). Und im Herbst 1989 angelte sich der Verein postwendend Heiko Scholz, Andreas Thom und Ulf Kirsten. BAYER Leverkusen hätte auch gerne Matthias Sammer verpflichtet, aber da war der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl vor. Er fürchtete, die rücksichtslos betriebene Schnäppchenjagd könnte dem Image des Multis - und der Wende - schaden. Deshalb meldete er Bedenken an, und Manager Reiner Calmund verzichtete auf weitere Zukäufe aus Ost-Beständen.

POLITIK & EINFLUSS

Standort-Verlegung leicht gemacht
Das bundesdeutsche Unternehmenssteuerrecht begünstigte lange die Verlegung von Standorten ins Ausland. So konnten BAYER & Co. die Kosten für so genannte Funktionsverlagerungen hierzulande von der Steuer absetzen und zudem noch von den günstigeren Produktionsbedingungen in den fernen Ländern profitieren. Die Große Koalition hat diese paradiesischen Zustände allerdings etwas unparadiesischer gestaltet und auf die Extra-Profite fiskalisch zugegriffen. „Damit fließen auch ausländische Standortvorteile, etwa geringere Lohnkosten jenseits der Grenzen, in die Bewertung des Gewinnpotenzials ein, die dann letztendlich zu einer Besteuerung dieser ausländischen Standortvorteile hierzulande führen“, echauffierte sich der Steuerexperte Axel Eigelshoven von der Unternehmensberatung DELOITTE, derweil BAYER, DAIMLER, BOSCH und andere Unternehmen einen Protestbrief an den damaligen Finanzminister Peer Steinbrück schrieben. Die neue CDU/FDP-Regierung hat die Signale erhört und bereitet nun ein Gesetz vor, das alles wieder auf Anfang gestellt, wie bereits im Koalitionsvertrag angekündigt.

Strippenzieher BAYER
„Keiner zieht mehr Strippen in der Republik als die alte BAYER-Crew“, stellt die Zeit fest. „Ob Gerhard Schröder zur Rotweinrunde ins Kanzleramt lud oder Nachfolgerin Angela Merkel dort mit Managern diskutiert - der amtierende BAYER-Chef Werner Wenning war und ist immer dabei. Und sein Vorgänger Manfred Schneider wurde in den vergangenen Jahren mehrfach zum mächtigsten deutschen Aufsichtsrat gekürt“ schreibt das Wochenblatt in einem Artikel über den neuen Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers.

Chinas Vize Xi Jinping bei BAYER
Im letzten Jahr war China das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Bevor Chinas stellvertretender Staatspräsident Xi Jinping zu dieser Veranstaltung anreiste, machte er einen Zwischenstopp in Berlin, um das Pharma-Werk des Leverkusener Multis zu besuchen. BAYER-SCHERING-Chef Andreas Fibig gratulierte artig zum 60. Jahrestag der Volksrepublik und schwadronierte über die großen Herausforderungen, vor denen das Land stehe: Klima- und Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung und Gesundheitsversorgung. Für all dies bietet sich der Konzern nämlich als Problemlöser an. Mit dem Slogan „BAYER Solutions for China‘s Needs“ macht das Unternehmen im Reich der Mitte Reklame, und im Bereich „Gesundheit“ hat dies schon gefruchtet. Dort nimmt der Pillen-Riese mit einem Jahres-Umsatz von 1,89 Milliarden Euro die Spitzenposition ein.

Wenning VCI-Vize
Im Herbst 2009 wählte die Mitgliederversammlung des „Verbandes der Chemischen Industrie“ BAYER-Chef Werner Wenning gemeinsam mit Jürgen Hambrecht (BASF) erneut zum Vize-Präsidenten.

Wenning erhält NRW-Innovationspreis
Das Land Nordrhein-Westfalen unterhält beste Beziehungen zum Leverkusener Multi. Es schmiedete mit ihm und anderen Unternehmen einen Pakt, um der angeblich wachstumshemmenden Distanz zwischen Wirtschaft und Politik entgegenzuarbeiten (Ticker 4/09), und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers schaut auch gerne mal persönlich beim Konzern vorbei. Damit nicht genug, ergießt sich über das Unternehmen nun auch noch eine Flut von Ehrungen. So verlieh das Bundesland dem BAYER-Wissenschaftler Friedrich-Karl Bruder für die Entwicklung eines per Holographie beschreibbaren Kunststoff-Films den „Innovationspreis 2009“ und überreichte dem BAYER-Chef Werner Wenning einen ebensolchen für sein Lebenswerk. „Kein anderes Unternehmen in Nordrhein-Westfalen investiert so viel in seine Innovationsfähigkeit“, schwärmte „Innovationsminister“ Andreas Pinkwart (FDP) in seiner Laudatio und wurde dann persönlich: „Werner Wenning ist stets mehr Sein als Schein. Äußerlich bescheiden, im Unternehmen hohe Ansprüche setzend, hat er BAYER nach schwierigen Zeiten in seinem Kernbestand nicht nur gerettet, sondern dem Unternehmen auch neue Perspektiven in einer globalen Ökonomie erschlossen“. Da versteht es sich von selbst, dass Pinkwart dem großen Vorsitzenden seine Mithilfe bei dem Unterfangen zusicherte, einen Teil von BAYERs Forschungsausgaben von der Steuer absetzen zu können.

Wenning gegen Regulierungen
Auch BAYER nutzt die umstrittenen Instrumente, die der Finanzmarkt so bietet. So hat der Konzern Geld in Derivaten angelegt, die eine Art Wette auf Preissteigerungen oder -senkungen von Rohstoffen, Aktien, Währungen, Zinsen oder aber von Derivaten selber sind. Der Leverkusener Multi weist dabei das Motiv „Spekulation“ weit von sich. „Derivate Finanzinstrumente werden dabei fast ausschließlich zur Absicherung von gebuchten und geplanten Transaktion abgeschlossen“, heißt es im Geschäftsbericht. Aber die Interessen der SpekulantInnen sind auch die Interessen BAYERs. So hat sich der Vorstandsvorsitzende Werner Wenning dagegen ausgesprochen, diesen Markt strenger zu regulieren. „Ich hoffe sehr, dass die EU die Lösung nicht allein in standardisierten Produkten sieht“, sagte er in einem Interview mit der Börsen-Zeitung. Auch gegen die Anforderung, bestimmte Derivate künftig mit Eigenkapital zu unterlegen, wendete er sich, weil sich dieses ungünstig auf das Investitionsvolumen der Unternehmen auswirken könnte.

USA: Klima-Politik nach BAYER-Gusto
Barack Obama trat mit einer ehrgeizigen Klima-Politik an. So wollte er die US-amerikanischen Kohlendioxid-Emissionen gegenüber 2005 um 17 Prozent reduzieren und einen den Ausstoß senkenden Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten einführen. Aber BAYER & Co. liefen Sturm gegen die angeblich gerade in Krisenzeiten kontraproduktive „Klima-Steuer“ und setzten sich durch. In einem neuen Senatsentwurf gibt es für Industriebetriebe keine Kohlendioxid-Obergrenzen mehr und auch der Emissionshandel taucht in dem Dokument nicht mehr auf.

Zoll als Patentschützer
BAYER & Co. spannen den Zoll ein, um missliebigen Produzenten von Nachahmer-Präparaten das Leben schwer zu machen. So haben GrenzbeamtInnen wegen angeblicher Patentverletzungen unlängst sogar eine Lieferung indischer Generika beschlagnahmt, die gar nicht für den europäischen, sondern für den südamerikanischen Markt bestimmt war. Die Entwicklungshilfe-Organisation OXFAM kritisierte das Vorgehen, weil es die Versorgung armer Menschen mit lebensnotwendigen Arzneien gefährdet und obendrein gegen WTO-Recht verstößt. Aber die Europäische Union will seine ZöllnerInnen künftig noch stärker in die Konzern-Pflicht nehmen. Ihr Richtlinien-Vorschlag zur Bekämpfung von Medikamentenfälschungen ist so breit angelegt, dass auch ganz legalen Einfuhren von preisgünstigen Pillen Schwierigkeiten drohen.

Uhlenberg lobt BAYERs Gewässerschutz
Im Februar 2010 hat BAYER im Wuppertaler Werk eine Pilotanlage zur Klärung von Abwässern in Betrieb genommen, die nach dem Ozonolyse-Verfahren arbeitet und durch die Einwirkung von Ozon doppelte Kohlenstoff-Verbindungen knacken kann. Diese Investition war bitter nötig, denn der Leverkusener Multi leitete 2008 68,4 Millionen Kubikmeter Abwässer in die Flüsse. Der nordrhein-westfälische Umweltminister Eckhart Uhlenberg verkaufte die Maßnahme allerdings als umweltpolitische Großtat und Bestätigung der Politik der Landesregierung, den Schulterschluss mit den Konzernen im „Dialog Wirtschaft und Umwelt“ zu suchen.

Kirche kooperiert mit Konzernen
Die „Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung“ (GKKE) hat mit dem von BAYER gegründeten „Verband der Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) ein Papier zur „Gesundheit in Entwicklungsländern“ veröffentlicht. Das Dokument segnet dabei devot das ab, was sich die Pharma-Multis so unter Entwicklungspolitik vorstellen. Förderprogramme sollen die armen Staaten in die Lage versetzen, Big Pharma Lizenzen zur Produktion von Nachahmer-Arzneien abzukaufen, wo es eigentlich gälte, die Patentgesetze aufzuheben. Und die von BAYER & Co. sträflich vernachlässigte Tropenmedizin braucht dem Dokument zufolge ebenfalls öffentliche Gelder für ihr Comeback: Die Konzerne hätten gerne im Vorhinein Abnahme-Garantien für ihre Pillen. Bei Marktversagen den Staat fragen - mit dieser „Lehre“ aus der Finanzkrise möchte die K. u. K.-Koalition auch gerne die „Dritte Welt“ kurieren.

Bürokratie-Kosten im Promille-Bereich
BAYER & Co. klagen immer wieder über die hohen Kosten, die ihnen durch Informationspflichten gegenüber Brüssel und Berlin entstehen. Dabei sind diese verschwindend gering. Bei der europäischen Chemie-Industrie liegen die Ausgaben, gemessen an der Brutto-Wertschöpfung von 46,4 Milliarden Euro im Jahr, mit 40 Millionen im Promille-Bereich. In Wirklichkeit geht es den Multis bei der Chemikalien-Verordnung und anderen Richtlinien denn auch gar nicht ums Geld, obwohl sich die Konzerne über die Ankündigung der Bundesrepublik freuen dürften, die Aufwändungen der Unternehmen für Auskünfte um 25 Prozent zu senken. Sie wollen sich bei der Produktion ihrer gefährlichen Güter nur möglichst wenig über die Schulter gucken lassen.

BAYER Gläubiger von Griechenland
Das überschuldete Griechenland kann die Arznei-Rechnungen seiner Krankenhäuser nicht begleichen. Der Europäische Pharma-Verband EFPIA, dessen Vorsitz derzeit BAYERs Pillen-Chef Arthur Higgins inne hat, schaltete deshalb die Europäische Kommission ein und führte Gespräche mit der griechischen Regierung. Diese zeigte sich offenbar reumütig. „BAYER begrüßt die jüngsten Äußerungen der neuen Regierung in Griechenland, eine konstruktive Lösung für die inakzeptablen Außenstände der Krankenhäuser zu finden“, meldete jedenfalls das Handelsblatt.

BAYERs Sozialarbeit
Bei der Auftaktveranstaltung der nordrhein-westfälischen Landesregierung zum „Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ konnte der Leverkusener Multi sich wieder einmal als Sozialarbeiter in Szene setzen. An der abschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Kinderarmut“ nahm nämlich Oliver Aue von BAYERs „BEPANTHEN-Kinderförderung“ teil. Die anderen DiskutantInnen konnten allerdings auch nicht mehr Kompetenzen nachweisen. Neben Aue saßen unter anderem noch Bernd Siggelkow von dem - zufällig von der „BEPANTHEN-Kinderförderung“ gesponsorten - evangelikalen Kinderhilfswerk „Arche“ und Christoph Biermann von der Sendung mit der Maus. Mit Politik hat Armut offenbar nichts mehr zu tun.

PROPAGANDA & MEDIEN

Die etwas andere Klima-Bilanz
Nach den Worten von BAYERs oberstem Öffentlichkeitsarbeiter Michael Schade „wird Nachhaltigkeit zunehmend zu einem Wettbewerbsfaktor“. Wegen der gestiegenen Nachfrage besonders von Seiten der Investmentfonds haben die Konzerne eine neue Methode ausgeheckt, um ihre negative Klimabilanz etwas aufzuhübschen. Sie stellen dem Negativposten „Kohlendioxid-Emissionen“ einfach gegenüber, was die so klimaschädlich hergestellten Produkte angeblich so alles tun, um die Erderwärmung aufzuhalten. Bei der Studie, welche die „Klima-ExpertInnen“ von der Unternehmensberatung MCKINSEY für den internationalen Chemie-Verband ICCA durchgeführt haben, kommt da so einiges zusammen. Den Energie-Verbrauch senkende Dämmstoffe, Niedrigtemperatur-Waschmittel und Leuchtmittel sowie den Flächenverbrauch einschränkende Hochleistungspestizide präsentieren sie in ihrer Gegenrechnung. Und siehe da: Unterm Strich steht die Chemie-Industrie mit 5,2 Milliarden Tonnen CO2 im Plus. Die Ratingagentur OEKOM, welche die Aussagen der Konzerne zu ihren Umweltschutz-Maßnahmen genauer prüft, hält dieses Verfahren nicht für legitim. Besonders die Bilanztricks von BAYER und BASF fielen OEKOM auf. So kritisierte der Analyst Oliver Rüdel, dass die beiden Unternehmen „die Lösungen, die die chemischen Produkte potenziell zum Schutz des Klimas leisten, stärker kommunizieren als den eigenen negativen Beitrag“. Etwas anderes kommunizieren die Global Player ebenfalls recht stark: ihre Rolle als CO2-Verbraucher. BAYER etwa verweist auf Kohlendioxid als ASPIRIN-Rohstoff und schmückt sich mit weiteren CO2-Forschungen etwa im Dämmstoff-Bereich. Seinen Kohlendioxid-Ausstoß, der 2008 7,57 Millionen Tonnen betrug, dürfte der Leverkusener Multi auf diese Weise jedoch nicht so leicht reduzieren. „Die stoffliche Nutzung kann keine riesigen Mengen binden, weil wir einfach viel, viel mehr Kohlendioxid freisetzen“, sagt der Chemie-Ingenieur Arno Behr von der „Technischen Universität Dortmund“.

Auszeichnung für Klima-Bericht
Das von 475 Finanzinvestoren getragene „Carbon Disclosure Project“ (CDP) lässt die nicht gerade als Klima-ExpertInnen geltenden WirtschaftsprüferInnen von PRICEWATERHOUSE COOPERS eine Bewertung der Konzernberichte über Kohlendioxid-Emissionen vornehmen und verlieh BAYER im letzten Jahr eine Auszeichnung als auskunftsfreudigstes Unternehmen. Was der Leverkusener Multi da an Daten übermittelte, war allerdings alles andere als glanzvoll. So stößt er jährlich 7,57 Millionen Tonnen CO2 aus. Deshalb plant die CDP für die Zukunft auch eine Bewertung der Klima-Realpolitik, was die zukünftigen Chancen des Pharma-Riesen schmälern dürfte. Einstweilen geraten diese beiden Dinge bei den Medien aber noch gerne durcheinander. Das Umweltmag@zin beispielsweise schrieb BAYER die Ehre zu, „die Auszeichnung als weltweit bestes Unternehmen im Klimaschutz“ erhalten zu haben.

Plischke verleiht Umweltpreis
Aller Umwelt-Sündenfälle des Leverkusener Multis zum Trotz gehört Forschungsvorstand Wolfgang Plischke der Jury des „Deutschen Umweltpreises“ an.

Manuel Andrack wandert für BAYER
Mit großer Anstrengung arbeitet der Leverkusener Multi daran, die „Männergesundheit“ als Geschäftsfeld zu etablieren und seinen Präparaten neue und nur selten zweckdienliche Anwendungsmöglichkeiten zu erschließen. So hat er die Krankheit „Testosteron-Mangel“ erfunden, um seine Hormon-Pillen an den Mann zu bringen, obwohl Bluthochdruck, Ödeme, Herzkrankheiten, Blutverdickung, Leberschäden und Wachstum der Prostata zu den Nebenwirkungen zählen. Dabei hilft dem Pharma-Riesen jetzt auch der durch die Harald-Schmidt-Show bekannt gewordene nunmehrige Wandervogel Manuel Andrack. Er hält seinen Kopf für BAYERs Werbe-Broschüre „Wandern für die Männergesundheit“ hin und gibt der Zielgruppe zudem Strecken-Tipps.

Zukunftspreis für XARELTO
Bundespräsident Horst Köhler hat BAYER für die Entwicklung des Medikamentes XARELTO den „Deutschen Zukunftspreis“ verliehen. „Sie haben ein neuartiges Medikament entwickelt, das sich durch einen effizienten Wirkmechanismus auszeichnet und das von den Patienten in Tablettenform eingenommen werden kann“, lobte Köhler. Der Rest der Welt ist hingegen von dem bisher nur zur Verhinderung von Blutgerinnseln bei schweren Knie- und Hüft-OPs zugelassenen Gerinnungshemmer nicht überzeugt, für den der Leverkusener Multis auch das - weit größere - Anwendungsgebiet „Thrombosen“ anvisiert. So hat sich die Zulassung in den USA verzögert. Die Gesundheitsbehörde FDA forderte vom Leverkusener Multi wegen des erhöhten Risikos von Gefäß-Verschlüssen, Blutungen, Herz/Kreislaufstörungen und Leberschäden sowie ungeklärter Langzeitwirkung erst noch einmal weitere Unterlagen an (Ticker 3/09).

QLAIRA- die grüne Pille?
Nicht genug damit, dass der Leverkusener Multi auch sein neuestes Verhütungsmittel QLAIRA (Wirkstoffe Estradiol und Dienogest) wieder als Lifestyle-Präparat bewirbt, das angeblich Gewichtszunahmen verhindert. Er setzt zudem auf die ökologische Karte und preist die Pille als Teil eines „grünen Lebenswegs“ an, weil es sich bei einem der Inhaltsstoffe angeblich um ein „natürliches Östrogen“ handelt. Als reinen „Marketing-Gag“ tat das das pharma-kritische arznei-telegramm ab. Über die Risiken und Nebenwirkungen von QLAIRA wie Thrombosen, die bei dem Kontrazeptivum YASMIN bereits zu Todesfällen geführt haben (SWB 3/09), weiß der Pharma-Riese hingegen nichts. Das könnte „nur in großen epidemiologischen Studien geklärt werden“, heißt es in einer Fach-Information.

850 Millionen für Pillen-Werbung
BAYER gibt jährlich 850 Millionen Dollar für Pillen-Werbung aus.

Immer mehr SchülerInnen-Labore
Im Februar 2010 hat der Leverkusener Multi in Anwesenheit des Ministerialdirektors Reinhard Aldejohann vom nordrhein-westfälischen Bildungsministerium sein viertes SchülerInnen-Labor in Betrieb genommen. „Wir wollen jungen Menschen die Faszination Naturwissenschaften frühzeitig näher bringen“, erklärt BAYER-Vorstand Wolfgang Plischke den Sinn der Übung. Weniger Faszinierendes wie etwa die Risiken und Nebenwirkungen der Gentechnologie wird daher kaum auf dem Lehrplan stehen.

500.000 Euro für Schulen
Um die Lust an Naturwissenschaften im Allgemeinen und die von BAYER betriebenen im Besonderen zu wecken, fördert der Leverkusener Multi den Unterricht in diesen Fächern steuersparend über seine Stiftung „BAYER SCIENCE & EDUCATION“. Diese schüttet jährlich ca. 500.000 Euro an Bildungseinrichtungen im Umkreis der Standorte aus. 84 Schulen in 43 Städten bekamen seit 2007 Geld vom Konzern. Im Jahr 2009 gingen Schecks unter anderem an das Otto-Hahn-Gymnasium in Bergisch-Gladbach, die Hauptschule St. Nikolaus in Kalkar, die Tannenberg-Grundschule in Seeheim, die Albert-Schweitzer-Realschule in Krefeld und das Lise-Meitner-Gynasium in Leverkusen.

BAYER im Web 2.0
Seit geraumer Zeit hat der Leverkusener Multi das Web 2.0 entdeckt. Er twittert, ist bei Facebook aktiv und betreibt einen Kanal auf YouTube. Auf allzuviel Resonanz stieß das bisher allerdings nicht. Während ADIDAS, DEUTSCHE TELEKOM und BMW im Web 2.0 ein Millionen-Publikum erreichen, dümpeln die „sozialen Kontakte“ BAYERs einer Untersuchung der Agentur VIEWPARTNER zufolge bei knapp über 8.000 herum.

TIERE & ARZNEIEN

BAYER Nr. 1 bei Tier-Arzneien
Der Leverkusener Multi ist in der Bundesrepublik mit einem Umsatz von 963 Millionen Euro Branchenführer bei Veterinär-Produkten. Und das Geschäft boomt: Da immer mehr Menschen auf den Fleisch-Geschmack kommen, nimmt die Massentierhaltung zu - und damit steigt auch der Arznei-Bedarf. Der Tiergesundheitsmarkt verzeichnete 2008 weltweit ein Wachstum von sieben Prozent, während der Humanmedizin-Markt nur um 1,9 Prozent zulegte.

Nebenwirkungen bei PROFENDER
Seit dem Jahr 2008 bietet BAYER das Entwurmungsmittel PROFENDER nicht mehr nur für Katzen, sondern auch für Hunde an. Die Anwendung erfordert jedoch viel Sorgfalt. So dürfen die HundehalterInnen ihren Tieren das Präparat nicht gemeinsam mit den Mahlzeiten verabreichen, weil sonst die doppelte Menge des Wirkstoffes Emodepsid ins Blut übergeht. Der Leverkusener Multi weist nur im Kleingedruckten des Beipackzettels auf diese Gefahr hin, weshalb es häufig zu Überdosierungen kommt. Die Vierbeiner beginnen zu zittern, leiden unter Krampfanfällen und können ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren.

DRUGS & PILLS

Pharma-Sparte wird wichtiger
BAYERs Pharma-Sparte, die ihr Geschäftsvolumen in den ersten neun Monaten des Jahres 2009 um 4,9 Prozent ausweiten konnte, trägt zum Gesamtumsatz des Konzerns mehr als 50 Prozent bei und zum Gewinn vor Steuern sogar 80 Prozent. Diese Entwicklung lässt für die Zukunft der Kunststoff-Abteilung nichts Gutes erahnen.

MIRENA gegen Blutungen
Der Leverkusener Multi preist seine Kontrazeptiva gerne auch als Mittel zur Behandlung von Gesundheitsstörungen an. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat ihm dazu jetzt noch mehr Möglichkeiten eingeräumt. Sie ließ die Hormonspirale MIRENA (Wirkstoff: Levonorgestrel) 2009 als Präparat zur Eindämmung starker Monatsblutungen zu, obwohl der Katalog der Risiken und Nebenwirkungen es in sich hat. Zu den unerwünschten Arznei-Effekten des Pessars zählen nämlich unter anderem Brustkrebs, Herz/Kreislauf-Krankheiten, Bauchhöhlen-Schwangerschaften, Zysten, Zyklusstörungen und Zwischenblutungen.

ASPIRIN beugt Herzinfarkten nicht vor
Eine neue schottische Studie untersuchte die Herzinfarkt-vorbeugende Wirkung von ASPIRIN. Die Hälfte der 3.350 ProbantInnen mit einem erhöhten Risiko erhielt BAYERs „Tausendsassa“, die andere Hälfte ein Placebo. Nach acht Jahren werteten die WissenschaftlerInnen die Daten aus. Das im Journal of the American Heart Association publizierte Ergebnis war negativ: Aus der ASPIRIN-Gruppe erlitten 181 TeilnehmerInnen einen Herzinfarkt und aus der Placebo-Gruppe 176.

ASPIRIN schwächt die Immun-Abwehr
Nach einer neuen, im Fachblatt Journal of Immunology veröffentlichten Studie blockieren ASPIRIN und andere Schmerzmittel ein für die Immun-Abwehr wichtiges Enzym. Das senkt auch die Erfolgsaussichten von Grippeschutz-Impfungen, weshalb die ForscherInnen dazu raten, die Mittel unmittelbar davor und danach abzusetzen.

ASPIRIN verschlimmert Schweinegrippe
Nach Forschungen der Medizinerin Dr. Karen M. Starko hat ASPIRIN 1918 die katastrophalen Effekte der Spanischen Grippe, der über 50 Millionen Menschen zum Opfer fielen, eher verstärkt als vermindert und bei nicht wenigen PatientInnen zu totalem Organ-Versagen geführt. Auch bei der Schweinegrippe haben fiebersenkende Mittel wie die BAYER-Präparate ALEVE und ASPIRIN eine unheilvolle Rolle gespielt, weil sie die Immunabwehr schwächen (s. o.). Die Wissenschaftlerin R. Hama empfahl deshalb im British Medical Journal: „Nach heutiger Forschungslage sollten Grippe-PatientInnen keine Fiebersenker erhalten“. Die japanische Regierung reagierte bereits im Jahr 2000 und untersagte die Verwendung von ASPIRIN, IBUPROFEN & Co. bei grippe-kranken Kindern. Folge-Leiden wie - nicht selten tödliche - Enzephalopathien (Hirn-Erkrankungen) traten danach deutlich weniger häufig auf.

Rezeptpflicht für ASPIRIN
ASPIRIN und andere Schmerzmittel haben zahlreiche Nebenwirkungen wie vermehrter Kopfschmerz, Schleimhaut-Reizungen, Magengeschwüre und Magenbluten, die nicht selten tödlich verlaufen. Nach einer 1999 veröffentlichten Studie der „Boston University School of Medicine“ sterben nach der Einnahme von ASPIRIN & Co. jährlich 16.500 US-BürgerInnen an Blutungen im Magenbereich. Wegen dieses Risiko-Profils hat das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ jetzt empfohlen, es anderen EU-Ländern gleichzutun und eine Verschreibungspflicht für Großpackungen von Präparaten mit dem Wirkstoft Acetylsalicylsäure einzuführen. Eine entsprechende Regelung für die Substanz Paracetamol ist bereits in Kraft. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN begrüßt diese Entscheidung, fordert in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler jedoch eine Ausweitung der Vorschrift auf alle Darreichungsformen und zudem ein Werbeverbot. Der Leverkusener Multi versucht hingegen, das Schlimmste zu verhindern. „Wir sind nicht grundsätzlich gegen eine Begrenzung, aber wir haben etwas gegen die Stigmatisierung einer ganzen Arzneistoffklasse“, lässt der Konzern wissen und mobilisiert ApothekerInnen und Kundinnen, um künftig auch noch 60er-Packungen ohne Rezept verkaufen zu können.

Zu wenig Antibiotika
Allein in der Europäischen Union sterben jährlich 25.000 Menschen an Krankheiten, weil deren Erreger gegen die herkömmlichen Antibiotika immun geworden sind. Deshalb zählt die Weltgesundheitsorganisation WHO die Antibiotika-Resistenzen zu den größten Gefahren für die öffentliche Gesundheit. Trotzdem entwickeln BAYER & Co. kaum Alternativ-Wirkstoffe. Da MedizinerInnen neue Mittel für besonders schwierige Fälle zurückzuhalten haben und die Präparate ohnehin bloß für ein paar Tage verschreiben, lässt sich nach Meinung der Konzerne zu wenig Geld mit dieser Medikamentengruppe verdienen (siehe auch Ticker 4/09). Um die Misere zu beheben, wollen die USA und die EU Big Pharma nun mit finanziellen Anreizen in die Forschungslabore locken.

Kein neues KOGENATE
Das gentechnisch hergestellte Bluterpräparat KOGENATE ist eines der umsatzstärksten Pharma-Produkte BAYERs. Deshalb wollte der Leverkusener Multi auch schon einmal für die Zeit vorsorgen, da er es nicht mehr so hochpreisig vermarkten kann, weil der Patentschutz abläuft. Also begann der Konzern 2006, eine länger wirksame Version zu testen, die eine Woche vorhält. Diese erwies sich jedoch als nicht so effektiv wie das Original, weshalb das Unternehmen die klinische Erprobung abbrechen musste. Bereits kurz nach Bekanntgabe der Nachricht sank der Aktienkurs um zwei Prozent.

BAYER stockt Werbeetat auf
BAYER VITAL, die für rezeptfreie Arzneien zuständige Abteilung des Leverkusener Multis, hat im letzten Jahr seinen Werbeetat um fast 25 Prozent aufgestockt. 41,8 Millionen Euro gibt die Sparte nun für Reklame in bundesdeutschen Medien aus, mehr investiert nur noch der KLOSTERFRAU-Konzern.

Kein Geld mehr für Blutprodukte-Opfer
Weltweit infizierten sich in den 80er Jahren Tausende Bluter durch HIV-verseuchte Blutprodukte von BAYER & Co. mit dem AIDS-Erreger. Sie wurden Opfer der Profitgier der Konzerne, denn diese hatten sich aus Kostengründen lange Zeit geweigert, eine Hitze-Behandlung der Mittel zur Abtötung der Krankheitskeime vorzunehmen. Während sich die Unternehmen deshalb in vielen Ländern mit Klagen konfrontiert sahen (siehe RECHT & UNBILLIG), hatten sie in der Bundesrepublik keine juristische Konsequenzen zu befürchten. Sie mussten sich lediglich gemeinsam mit Bund, Ländern und dem Roten Kreuz an einer Stiftung zur finanziellen Unterstützung von AIDS-kranken Blutern beteiligen. Das Vermögen der Einrichtung ist jetzt aufgebraucht, und sie benötigt 70 Millionen Euro zur Fortsetzung ihrer Arbeit. Aber während die anderen Träger erneut beträchtliche Summen zugesichert haben, wollen BAYER & Co. lediglich zwei Millionen Euro jährlich bereitstellen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) protestierte gegen dieses Verhalten. „Als Hauptverantwortlicher des Skandals um HIV-verseuchte Blutprodukte darf sich die Firma BAYER nicht aus der Verantwortung stehlen! Den Opfern muss ein würdiges Leben ermöglicht werden. Die Kosten hierfür muss der Verursacher tragen, nicht die Allgemeinheit“, heißt es in der Presseerklärung der CBG.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Clothianidin-Versuch abgebrochen
Im Jahr 2008 hat BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO mit dem Wirkstoff Clothianidin in Süddeutschland ein verheerendes Bienensterben ausgelöst. Deshalb dürfen die LandwirtInnen das Produkt in der Bundesrepublik vorerst auf Maisfeldern nicht mehr ausbringen. Allerdings drängt der Leverkusener Multi auf eine Wiederzulassung und meinte auch, dafür im baden-württembergischen Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) einen Verbündeten gefunden zu haben. Dessen Ministerium kündigte nämlich einen Großversuch mit einem technisch leicht veränderten Clothianidin-Beizmittel an, um dessen nunmehrige Ungefährlichkeit zu demonstrieren. ImkerInnen protestierten allerdings gegen das Vorhaben, über das die Landesregierung sie nicht informiert hatte. „Es macht keinen Sinn, wenn sich nicht alle ergebnis-offen an einen Tisch setzen“, so die BienenzüchterInnen. Hauk bließ das Projekt daraufhin vorerst ab.

Aus für MOVENTO und ULTOR
In den USA ist seit Mitte Januar 2010 der Verkauf des Pestizid-Wirkstoffes Spirotetramat, der in den BAYER-Mitteln MOVENTO und ULTOR enthalten ist, gerichtlich verboten. Die RichterInnen gaben damit dem Umweltverband NATURAL RESOURCES DEFENSE COUNCIL (NRDC) Recht, der eine Klage eingereicht hatte, weil die Risiken für Bienen bei der Genehmigung des in der Bundesrepubik bislang nicht zugelassenen Wirkstoffs nicht berücksichtigt worden waren (siehe auch SWB 1/10).

Pestizide in Lebensmitteln
Im Jahr 2009 oblag es zum ersten Mal der EU-Lebensmittelbehörde EFSA, für 2007 aus allen Mitgliedsländern die Daten über die Belastung von Lebensmitteln mit Agrochemikalien zusammenzutragen. Die EFSA ist dabei ihrem Ruf als industrie-freundliche Institution mal wieder gerecht geworden. Listeten die früheren Berichte neben den Grenzwert-Überschreitungen auch die sich noch im Bereich des Erlaubten befindlichen Konzentrationen auf, so versteckt die Neuausgabe die Zahlen im Anhang. Aber auch so bleiben die Werte beunruhigend genug. So überschritten vier Prozent der Proben die vorgeschriebenen Rückstandshöchstmengen. Und es dürften noch mehr sein: Einige Staaten wie z. B. Bulgarien suchten nämlich nur nach 14 Pestiziden. Unter denjenigen Ackergiften, die zwar nicht in den roten Bereich kamen, dafür aber in den orangenen eindrangen, ab dem für die VerbraucherInnen ein Gesundheitsrisiko besteht, befanden sich mit Methomyl, Thiodicarb und Methamidophos drei auch von BAYER benutzte Wirksubstanzen.

GENE & KLONE

Kooperation mit COMPUGEN
Das israelische Biotech-Unternehmen COMPUGEN entschlüsselt das Erbgut von Tumor-Zellen und verkauft dieses Wissen an Pharma-Firmen, welche die Informationen nutzen, um speziell auf diese Angriffspunkte zugeschnittene Medikamente zu entwickeln. Im Herbst 2009 hat COMPUGEN mit BAYER ein entsprechendes Geschäft vereinbart.

BAYER kauft Antikörper-Lizenz
Anfang 2009 hatte BAYER von dem US-amerikanischen Unternehmen MICROMET für 4,5 Millionen Euro eine Option auf einen Antikörper erworben. Nach Abschluss der präklinischen Entwicklungsphase löste der Leverkusener Multi diese ein und kaufte das Gentech-Protein, das zur Behandlung von Krebs, Entzündungen und Autoimmun-Erkrankungen dienen soll.

BETAFERON-Zulassung in China
Der Leverkusener Multi hat für das gentechnisch hergestellte Multiple-Sklerose-Präparat BETAFERON in China eine Zulassung erhalten.

MONSANTOS Leid, BAYERs Freud?
Nicht nur in den USA haben Gen-Pflanzen aus MONSANTOs ROUND-UP-Produktlinie eine marktbeherrschende Stellung inne. Mittlerweile haben sich die Unkräuter jedoch auf das gemeinsam mit den Ackerfrüchten verkaufte Herbizid Glyphosate eingestellt und vermehren sich auf den Feldern wieder kräftig. Die Folge: Die FarmerInnen müssen zusätzlich noch weitere Pestizide ausbringen. Der Leverkusener Multi hofft jetzt davon zu profitieren, dass im Falle „ROUND UP“ „die Natur zurückschlägt“, wie BAYER-Forscher Hermann Stübler sich ausdrückt. Der Agro-Riese spekuliert auf eine erhöhte Nachfrage nach Produkten aus seiner LIBERTY-LINK-Serie - aber über kurz oder lang dürfte die Natur auch diesen Gentech-Saaten trotzen.

Dürreresistenz-Deal mit FUTURAGENE
BAYER hat von dem britischen Unternehmen FUTURAGENE die Rechte an einem gentechnischen Verfahren erworben, das Baumwoll-Pflanzen angeblich hilft, widrigen Aufzuchtsbedingungen wie Trockenheit zu trotzen. Eine ähnliche Lizenz hatte der Agro-Riese vor Monaten bereits von PERFORMANCE PLANTS erworben.

PFLANZEN & SAATEN

Ausbau des Saatgut-Geschäfts
BAYERs Landwirtschaftssparte will ihr Saatgut-Angebot ausweiten, weil die Geschäftsaussichten in diesem Segment besser sind als im Ackergift-Bereich. Der Leverkusener Multi kündigte an, seine bisher auf Raps, Baumwolle, Reis und Gemüse beschränkte Produktpalette zu erweitern und in Zukunft knapp die Hälfte des Saaten-Marktes abzudecken.

WASSER, BODEN & LUFT

Auen schwermetall-belastet
10,4 Tonnen Schwermetalle leitete BAYER im Jahr 2008 in die Gewässer. Bei Hochwasser lagern sich diese auch in den Auen der Flüsse ab, weshalb die Schadstoffgehalte der Böden rund um Wupper und Rhein nach Auskunft des „Ingenieurbüros Feldwisch“ stark erhöht sind. Besonders die Werte für Chrom und Quecksilber, die der Leverkusener Multi in seinen Nachhaltigkeitsberichten seit einiger Zeit nicht mehr einzeln ausweist, geben Anlass zur Besorgnis. Darum hat die Stadt Leverkusen das Ingenieurbüro jetzt mit einer genaueren Untersuchung beauftragt.

EU fördert CO2-Abscheidung
BAYER & Co. setzen große Hoffnungen auf die neuen Technologien zur Abscheidung und Lagerung des klima-schädlichen Kohlendioxids, kurz CCS genannt. Diese würden es den Konzernen nämlich erlauben, ihren Strom weiterhin von Kohle- und Müllkraftwerken zu beziehen. UmweltschützerInnen befürchten dagegen ebensolche Zwischenfälle mit austretendem Material wie im Atommüll-Endlager Asse. Mit eigenen Investitionen in die Forschung halten sich die meisten Unternehmen jedoch zurück. Das finanzielle Engagement überlassen sie gerne anderen wie zum Beispiel der Europäischen Union, die im Dezember 2009 sechs Projekte mit insgesamt einer Milliarde Euro förderte.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

REACH: 817 Stoffe vorregistriert
BAYER & Co. haben sich lange gegen das REACH genannte Chemikaliengesetz der EU gewehrt, das den Konzernen vorschreibt, Angaben zur Gefährlichkeit ihrer Substanzen zu machen. Verhindern konnten die Unternehmen es schlussendlich nicht, sie erreichten jedoch eine Lockerung der Vorschriften. Seit Juli 2007 ist REACH nun in Kraft, und die Multis beginnen, ihre Bestände durchzugehen. BAYER hat bis zum Jahresende 2009 817 Stoffe bei der Chemikalien-Agentur ECHA vorregistrieren lassen. Mit dieser freiwilligen Leistung kommt der Agro-Riese in den Genuss von Übergangsfristen bis zu acht Jahren, ehe er vollständige Sicherheitsprofile für seinen Chemie-Baukasten abliefern muss.

CO & CO.

Bereits vier Bomben gefunden
Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte der Firma WINGAS als Bauherr von BAYERs umstrittener Kohlenmonoxid-Pipeline vorgeschrieben, den Boden vor Beginn der Verlegungsarbeiten mit Detektoren nach Fliegerbomben und anderen Kampfmitteln zu durchsuchen. Das Unternehmen kam dieser Aufforderung jedoch nur unvollständig nach, obwohl es schon bei der oberflächigen Untersuchung auf zwei Brandbomben gestoßen war. So begann die Überprüfung erst Ende 2009 - und förderte Bedenkliches zu Tage. Nicht weniger als 268 Mal schlugen die Suchgeräte bisher aus. Zumeist handelte es sich dabei um Metallschrott. Aber einige Verdachtsfälle bestätigten sich auch. So stießen die ArbeiterInnen bereits auf zwei Granaten und zwei 10-Zentner-Blindgänger.

Gericht bestellt neue Gutachter
In der Niederrheinische Bucht gibt es nach Aussage des Diplom-Physikers Klaus Lehmann vom „Geologischen Dienst NRW“ eine „moderate Erdbeben-Gefährlichkeit“. Die letzte größere Erderschütterung hatte eine Stärke von 5,9. Sie ging vom niederländischen Roermond aus und war bis Krefeld spürbar. Im Damenbecken des Schwimmbades entstanden Risse, weshalb die Stadt die Badeanstalt schloss. Deshalb muss BAYERs von Dormagen nach Krefeld verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline auch absolut erdbebensicher sein. Das hätte der vom Düsseldorfer Verwaltungsgericht bestellte Gutachter wohl auch bestätigt, denn sein Lehrstuhl war in Sachen „Erdbeben“ bereits für BAYER tätig. Diese „Nebentätigkeit“ brachte den Wissenschaftler allerdings in den Ruch der Befangenheit, weshalb er den Job bei der Justiz verlor.

IG-BCE-Chef für Pipeline
Der neue Vorsitzende der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE), Michael Vassiliadis, hat sich für die umstrittene Kohlenmonoxid-Leitung ausgesprochen und sich dabei BAYERs Horrorszenario „Arbeitsplatzverluste“ zu Eigen gemacht. „Wenn die Pipeline nicht kommt, hat der Standort Krefeld ein großes Problem“, so Vassiliadis. Den Widerstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und zahlreicher anderer Initiativen gegen das Röhren-Werk nannte er „fundamentalistisch und nicht an Lösungen orientiert“ und sah Handlungsbedarf: „Auch die Politik ist gefordert, die Beteiligungsrechte der Polit-Profi-Verbände zu begrenzen“. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Thomas de Win hat ebenfalls kein Verständnis dafür, „wenn durch eine Mischung durch Angstmache und Populismus wichtige industrielle Infrastruktur-Projekte verzögert, gefährdet oder gänzlich in Frage gestellt werden“ und warnt davor, die CO-Pipeline zum Landtagswahl-Thema zu machen.

CO: Es geht auch anders
In China baut der Leverkusener Multi keine Pipelines für seinen Kohlenmonoxid-Bedarf. Er hat vielmehr mit AIR LIQUIDE einen Vertrag abgeschlossen, dem gemäß das Unternehmen das Gas vor Ort auf dem Gelände des Shanghaier Chemie-‚parks‘ produziert.

NANO & CO.

Einfaches Baurecht für Nano-Anlagen
Im Januar 2010 hat BAYER in Leverkusen die weltgrößte Fertigungsstätte zur Produktion von Nano-Kohlenstoffröhrchen, den so genannten BAYTUBES, in Betrieb genommen. Da die Winzlinge ungeahnte Folgen für Mensch, Tier und Umwelt haben können - es gibt beispielsweise Hinweise auf eine asbest-ähnliche Wirkung der Nano-Röhrchen - hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bei der Bezirksregierung eine Anfrage zu den Umständen der Genehmigung gestellt. Die CBG wollte wissen, wieviel die Pilotanlage emitieren darf, wo die Obergrenze für die maximale Schadstoff-Konzentration am Arbeitsplatz liegt und wie es bei einen Störfall mit dem Katastrophenschutz aussieht. Die Antwort überraschte: All diese Fragen haben bei der Entscheidung der Behörden keinerlei Rolle gespielt, weil eine Nano-Produktion weder der Immissionsschutz- noch der Störfall-Verordnung unterliegt und daher das einfache Baurecht gilt. Eine von der Coordination erbetene Stellungnahme des Bundesumweltministerium zu dieser Sachlage steht bisher noch aus. BAYER versichert derweil, alles zur Risiko-Vorsorge getan zu haben. „Das Thema wurde bei uns sehr früh angegangen. Und sehr viel weiter als verlangt“, sagen die Konzern-Manager Péter Krüger und Raul Pires und verweisen beispielhaft auf die komplett abgekapselte Verpackung der lieferfertigen Nano-Teile.

CHEMIE & WAFFEN

Ali Hassan al Madschid hingerichtet
Bei der Entwicklung chemischer Kampfstoffe haben BAYER-Forscher eine bedeutende Rolle gespielt. Fritz Haber entwickelte während des Ersten Weltkrieges das Senfgas, 1936 synthetisierte Gerhard Schrader Sarin und das von US-WissenschaftlerInnen zusammengebraute Giftgas VX basierte auf einem Patent des Leverkusener Multis. Diese tödlichen Stoffe befinden sich immer noch in den Waffenarsenalen vieler Armeen. Zuletzt verwendete sie Saddam Hussein 1987 und 1988 bei seinen Attacken auf kurdische Dörfer. Seinen auch „Chemie-Ali“ genannten willigen Vollstrecker Ali Hassan al Madschid hatte ein irakisches Gericht bereits im Jahr 2007 zum Tode verurteilt, die Hinrichtung fand aber erst im Januar 2010 statt.

PRODUKTION & SICHERHEIT

Institute-Werksleiter muss gehen
Am 28. August 2008 hatte eine Explosion am BAYER-Standort Institute zwei Menschenleben gefordert. Hätte ein durch die Luft gewirbelter, tonnen-schwerer Rückstandsbehälter die Tanks mit der Bhopal-Chemikalie Methyl Isocyanat (MIC) getroffen, hätte sich die größte Chemie-Katastrophe der Geschichte ereignen können. Im Anschluss erklärte sich der Leverkusener Multi nach langem Hin- und Her dann bereit, die auf dem Werksgelände bereitgehaltenen MIC-Kapazitäten um 80 Prozent zu verringern - was der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN nicht weit genug geht - und zog jetzt auch personelle Konsequenzen. Der Konzern entließ den Werksleiter und richtete eine Doppelspitze ein. Dabei ist einer der beiden Manager fortan nur noch für Sicherheit und Planung zuständig, „um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen“, wie das Unternehmen erklärte.

STANDORTE & PRODUKTION

Gewerbesteuer: BAYER & Co. sparen
Die im so genannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz zusammengefassten Maßnahmen ersparen BAYER & Co. Abgaben in Höhe von ca. 2,4 Milliarden Euro. Zu zahlen haben für dieses Steuergeschenk hauptsächlich die Städte und Kommunen. Allein die Ausfälle bei der Gewerbesteuer beziffert der „Deutsche Städtetag“ auf 900 Millionen Euro jährlich.

ÖKONOMIE & PROFIT

Neuer Großaktionär BLACKROCK
Der US-Vermögensverwalter BLACKROCK ist neuer Großaktionär bei BAYER geworden. Er hält 5 Prozent der Anteile. Den größten Batzen am Kapital des Leverkusener Multis besitzt mit 20 Prozent die US-amerikanische CAPITAL GROUP.

Wenning: „US-Konsum muss anspringen“
Der Leverkusener Multi will aus der Wirtschaftskrise nichts lernen und genau da wieder anfangen, wo das Fiasko seinen Ausgang nahm. „So lange das Konsum-Verhalten in den USA nicht wirklich wieder anzieht, ist kein sich selbst tragender Aufschwung in Sicht“, konstatierte BAYER-Chef Werner Wenning in der Börsen-Zeitung. Genau dieses von China mit dem Kauf von US-Staatsanleihen getragene Konsum-Verhalten, das „einen pazifischen Defizit-Kreislauf“ (Robert Kurz) in Gang setzte, hat nämlich die Schulden-Kultur geschaffen, die Immobilienblasen warf und damit den Finanz-Crash heraufbeschwor.

BAYER senkt die Schulden
Der Leverkusener Multi betreibt Schulden-Abbau und hat sein Defizit, das durch die SCHERING-Übernahme auf 17,5 Milliarden Euro angewachsen war, zum neuen Jahr auf zehn Milliarden Euro reduziert. Und prompt ist der Konzern wieder in Kauflaune. „Wenn sich am Markt sinnvolle Ergänzungen ergeben, werden wir uns das anschauen“, kündigte BAYER-Chef Werner Wenning an.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Salzsäure tritt aus
Im Bergkamener BAYER-Werk kam es am 26.2.10 zu einem Zwischenfall. Aus einem Transport-Behälter mit Produktionsrückständen trat Salzsäure aus, und es bildete sich eine Giftwolke. Ein Beschäftigter, der die Dämpfe eingeatmet hatte, musste zur Untersuchung ins Krankenhaus, konnte es jedoch noch am selben Tag wieder verlassen.

Brand bei BAYER
Am 7.1.10 kam es auf dem Gelände des Leverkusener Multis zu einem Brand. In der Nähe der Müllverbrennungsanlage gelagerte Klebstoffreste, Spraydosen und Lösungsmittel hatten Feuer gefangen. Es entstand eine große Rauchwolke. Die Polizei forderte die AnwohnerInnen auf, die Fenster zu schließen und sperrte die A 59. Anschließend legte sich Ruß über Rheindorf, weshalb die Stadt davor warnen musste, mit den schwarzen Partikeln in Kontakt zu kommen.

RECHT & UNBILLIG

Patentstreit: BAYER verliert
Das indische Pharma-Unternehmen CIPLA hat eine Nachahmer-Version von BAYERs Krebsmedikament NEXAVAR produziert. Um es unmittelbar nach dem Ablauf des Leverkusener Patents auf den Markt bringen zu können, stellte es schon einmal einen Antrag auf Zulassung. Diese wollte der bundesdeutsche Pillen-Riese allerdings verhindern, da er auch nach dem Ablauf der Schutzrechte noch Monopol-Gewinne einzustreichen gedachte. Also klagte der Konzern gegen CIPLA und die Genehmigungsbehörde, was ein Novum in der Justiz-Geschichte darstellte (SWB 3/09). Niemals vorher hatte ein Unternehmen mit Verweis auf angeblich verletzte Patentrechte in ein Zulassungsverfahren eingegriffen und so versucht, die Versorgung armer Menschen mit preisgünstigen Arzneien zu verhindern. Darum erkannten die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), das indische PEOPLES HEALTH MOVEMENT, die BUKO-PHARMA-KAMPAGNE und andere Initiativen sofort die gesundheitspolitische Dimension des Vorstoßes und protestierten vehement. Mit Erfolg: Im August 2009 verlor BAYER den Prozess in erster Instanz, und im Februar 2010 auch in zweiter.

Immer mehr MAGNEVIST-Klagen
BAYERs Kontrastmittel MAGNEVIST hat bei vielen Nierenkranken eine Fibrose, ein unkontrolliertes Wachstum des Bindegewebes, ausgelöst, das zu komplettem Organversagen führen kann. Immer mehr Opfer oder deren Angehörige gehen deshalb gegen den Konzern vor. Während die Zahl der Klagen im Februar 2009 bei 241 lag, sieht sich das Unternehmen ein Jahr später bereits mit 310 konfrontiert.

Immer mehr TRASYLOL-Klagen
Im November 2007 musste BAYER das Medikament TRASYLOL, das MedizinerInnen bei OPs zur Blutstillung einsetzten, wegen der Nebenwirkung „Tod“ vom Markt nehmen; nur für einige wenige Anwendungsbereiche gilt das Verbot nicht. Derweil nehmen die Schadensersatz-Ansprüche immer weiter zu. Gab es bis zum Februar 2009 470 Klagen, so stieg ihre Zahl bis zum Februar 2010 auf 1.600. Und dazu kommen noch drei Sammelklagen aus Kanada.

1.100 YASMIN-Klagen
BAYERs Verhütungsmittel aus der YASMIN-Produktfamilie können neben anderen Gesundheitsstörungen auch Lungenembolien verursachen, die manchmal sogar tödlich verlaufen (siehe SWB 4/09). Immer mehr Geschädigte oder deren Angehörige ziehen deshalb vor Gericht. Allein in den USA beläuft sich die Zahl der Schadensersatz-Klagen auf ca. 1.100; in Kanada sieht sich der Leverkusener Multi mit zwei Sammelklagen konfrontiert. Und das dürfte noch nicht alles sein. „Mit zusätzlichen Verfahren ist zu rechnen“, heißt es im neuesten Geschäftsbericht.

Einigung mit Blutprodukte-Opfern?
Weltweit infizierten sich in den 80er Jahren Tausende Bluter durch Blutprodukte von BAYER & Co. mit AIDS oder Hepatitis C. Sie wurden Opfer der Profitgier der Konzerne, denn diese hatten sich aus Kostengründen lange Zeit geweigert, eine Hitze-Behandlung der Mittel zur Abtötung der Krankheitskeime vorzunehmen. Aus diesem Grund sehen sich die Unternehmen in den USA immer noch mit zahllosen Prozessen konfrontiert. Mit einer Gruppe von KlägerInnen steht jetzt laut BAYER-Geschäftsbericht eine Einigung unmittelbar bevor.

BAYER klagt wg. YASMIN
Der Leverkusener Multi verklagt routinemäßig Pharma-Hersteller, die nach Ablauf der Patentfrist Nachahmer-Produkte von BAYER-Pillen auf den Markt bringen wollen, wegen Patentverletzung, um sich die lästige Billig-Konkurrenz möglichst lange vom Leibe zu halten. Jetzt traf es die Unternehmen SANDOZ und WATSON LABORATORIES, die eine Nachahmer-Version des gefährlichen Verhütungsmittels YASMIN (s. o.) vermarkten wollen.

BAYER klagt wg. CIPRO
Besonders indischen Unternehmen, die für Nachahmer-Produkte von BAYER-Medikamenten Zulassungen beantragen, macht der Leverkusener Multi das Leben schwer, um auch nach Ablauf der Patente für die Arzneien noch möglichst lange Monopol-Profite einstreichen zu können. Im letzten Jahr verklagte das Unternehmen den Hersteller CIPLA wegen einer angeblichen Patent-Verletzung (s.o.), und im Februar 2010 leitete der Pharma-Riese in den USA rechtliche Schritte gegen die Firma LUPIN ein, die bei den Behörden einen Genehmigungsantrag für eine Generika-Version des Antibiotikums CIPRO eingereicht hatte.

BAYER verklagt wg. CIPRO
1997 hatte BAYER einen Patentstreit mit dem Pharma-Unternehmen BARR beigelegt. Gegen die Zahlung von 400 Millionen Dollar willigte BARR ein, dem Leverkusener Multi vorerst nicht mit einer CIPROBAY-Nachahmervers

[Editorial] STICHWORT BAYER 01 2010

CBG Redaktion

Editorial zu gentechnischem Saatgut

Liebe Leserinnen und Leser,

größstenteils unbemerkt von der internationalen, europäischen und deutschen Öffentlichkeit mauschelt sich ein deutscher Saatgutkonzern im Ranking der Global Player immer weiter in Richtung Spitze. Die KWS SAAT AG ist mittlerweile zum viertgrößten Saatguthersteller weltweit aufgestiegen und lässt damit sogar Unternehmen wie BAYER CROPSCIENCE hinter sich. Diese Entwicklung verdankt die KWS nicht zuletzt einem Angebot, das die gesamte Palette des Marktes abdeckt. Denn unter dem Deckmantel der Koexistenz produziert das Unternehmen neben konventionellen und ökologischen Sorten auch gentechnisch manipuliertes Saatgut für den US-amerikanischen Markt. Die herbizid-tolerante Zuckerrübe H7-1 des südniedersächsischen Konzerns hat in den Vereinigten Staaten bereits einen Marktanteil von über 90 Prozent der gesamten Zuckerrübenanbaufläche. Die Freisetzungsversuche, in denen die KWS solche Bestseller vor der Markteinführung erprobt, fanden und finden allerdings in Deutschland statt. Dies ist ein Sachverhalt, den die hiesige Öffentlichkeit leider kaum wahrnimmt.

Am Schattendasein dieser Freisetzungsversuche sowie der gesamten Gentechniksparte der KWS wird seit 2008 allerdings heftig gerüttelt. Wir – WITZENHÄUSER AGRAR-STUDIERENDE, LANDWIRTE UND GÄRTNER FÜR EINE GENTECHNIKFREIE LANDWIRTSCHAFT – haben es uns nämlich zum Ziel gesetzt, einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, in welchem Umfang sich die KWS für die Gentechnik engagiert. Wir fordern das deutsche Saatgutunternehmen nachdrücklich dazu auf, ihre Gentechnikversuche einzustellen und grundsätzlich auf die Nutzung dieser Technologie bei der Produktion von Saatgut zu verzichten. Wir sind als angehende AgrarwissenschaftlerInnen der festen Überzeugung, dass die Gentechnologie keinerlei Nutzen für die Gesellschaft hat - nur für profitorientierte Konzerne wie BAYER oder KWS. Im Gegenteil: Wir sehen in dieser Form der Biotechnologie das Sahnehäubchen einer industriellen Landwirtschaft, die mit ihrem enormen Bedarf an Energie und Ressourcen erst zu unseren heutigen Problemen wie Hunger und Klimawandel geführt hat. Zudem treibt das Patentrecht die Bauern und Bauerinnen in die Abhängigkeit von KWS, BAYER & Co. Darüber hinaus fehlt es an Langzeitstudien zur Agro-Gentechnik, was die industrie-freundlichen Zulassungsbehörden aber kaum stört.

Auch vor dem Hintergrund einer nicht handelnden Politik sind dies genügend Gründe für uns, um aktiv zu werden. Dabei sind unsere Aktionsformen so vielfältig, wie die Menschen in unserer Initiative: Unsere Aktionen gehen von der Organisation von Informationsveranstaltungen über das veranstalten von Demonstrationen und Mahnwachen bis hin zu den Feldbesetzungen in den Jahren 2008 und 2009. Unser besonderes Steckenpferd ist die jährliche AktionärInnen-Versammlung der KWS SAAT AG. Ähnlich wie die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) haben auch wir Stimmrechte erworben und bringen unseren Unmut und unsere Argumente vor den versammelten AktionärInnen sowie dem Management des Konzerns zum Ausdruck. Eine Besonderheit bei der Hauptversammlung 2009 war es, dass vor der Konzernzentrale in 12 Meter Hohe ein über 100 Quadratmeter großes Banner mit der Aufschrift „Agro-Gentechnik: Profit für wenige, Risiko für alle“ schwebte. Es wurden Informationsunterlagen verteilt, und während der Abstimmung zur Entlastung des Vorstandes stimmten wir kritische Lieder an, die klarstellten, wo die AktionärInnen Ihr Kreuz zu machen hatten.

Wir sehen uns im Kampf gegen die Gentechniksparte der KWS Saat AG als ein kleines Puzzleteil, das in Verbindung mit anderen Organisationen, Verbänden und Initiativen zu einer schlagkräftigen großen Bewegung wird. Wir sehen uns als Teil einer Protestbewegung, die Jung und Alt gleichermaßen begeistert und dabei stetig wächst – weiter so!

Philip Brändle gehört der Initiative WITZENHÄUSER AGRAR-STUDIERENDE, LANDWIRTE UND GÄRTNER FÜR EINE GENTECHNIKFREIE LANDWIRTSCHAFT an (www.kws-gentechnikfrei.de)

[Väter und Söhne] STICHWORT BAYER 01/2010

CBG Redaktion

Die IG-FARBEN-Saga auf DVD

„Es kann keinen Schlussstrich geben“

Mitte der 80er Jahre hat der Filmemacher Bernhard Sinkel ein düsteres Kapitel deutscher Industrie-Geschichte aufgeschlagen und sich in einem TV-Mehrteiler dem von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzern IG FARBEN gewidmet. Nun ist das Werk auf DVD erschienen.

Von Burkhard Ilschner

Der 65. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz Ende Januar war vielen Medien ein Anlass für Rückschauen auf die brutale Vernichtungsmaschinerie des Hitlerfaschismus. Aber nur selten fand dabei Erwähnung, dass dieses KZ nicht nur ein „Produkt“ des Naziregimes, sondern ganz wesentlich auch der IG FARBEN gewesen ist. Eigens für diesen gigantischen Chemie-Konzern war ab 1940 das Lager Auschwitz III (Monowitz) errichtet worden, hier wurden synthetischer Kautschuk (Buna) und synthetisches Benzin produziert, was Hitler den Krieg verlängern half.

Wenige Tage vor dem Gedenktag zur Auschwitz-Befreiung ist eine DVD-Kollektion erschienen, die in packender und bewegender Form an dieses dunkle Kapitel deutscher Industriegeschichte erinnert: Fast 25 Jahre ist es her, dass sich der soeben 70 Jahre alt gewordene Autor und Regisseur Bernhard Sinkel filmisch mit der Geschichte der IG FARBEN auseinandergesetzt hat. „Väter und Söhne“ hieß der 1986 erstmals ausgestrahlte vierteilige Fernsehfilm, der anlässlich Sinkels Geburtstag jetzt – endlich – auf DVD erschienen ist. „Es kann keinen Schlussstrich geben“, so gibt Sinkel in einem aktuellen Interview seinen Antrieb wieder, Mitte der achtziger Jahre dieses Projekt anzugehen.

Thema der ungewöhnlichen „Familien-Saga“ ist ein Stück deutscher Industrie- und Zeitgeschichte, dargestellt anhand eines fiktiven Chemiefabrikanten-Clans zwischen Beginn und Mitte des 20. Jahrhunderts. Unternehmer Carl Julius Deutz (Burt Lancaster) dirigiert seine Firma und seine Familie patriarchalisch durch Kaiserreich und Ersten Weltkrieg und verdient gut dabei. Zum einen mindert die so genannte Ammoniak-Synthese die Abhängigkeit des Reichs von Salpeter-Importen, die für Sprengstoff- und Munitionsproduktion unerlässlich sind; das offiziell nach seinen Erfindern Fritz Haber und Carl Bosch benannte Verfahren wird im Film von Deutz-Schwiegersohn Heinrich Beck (Bruno Ganz) entwickelt. Zum anderen zeigt Sinkel eindringlich, aber auch mit einer Portion gesunden Zynismus', wie im Deutz-Konzern die Giftgas-Entwicklung vorangetrieben und getestet wird. Sohn Friedrich Deutz (Dieter Laser) überlebt zwar einen heldenhaften Selbstversuch nur knapp, das hindert ihn aber später nicht an den entsprechenden Geschäften. Lange wehrt sich der eigensinnige Patriarch gegen die von Sohn Friedrich und Schwiegersohn Heinrich betriebene vaterländische Kooperation mit der Konkurrenz und die angestrebte Fusion zur IG FARBEN (in der Wirklichkeit ganz wesentlich initiiert durch den damaligen BAYER-Chef Carl Duisberg). Vergeblich: Nach dem Tode des alten Deutz steuern die beiden Erben als IG-Führer den Mammut-Konzern mal gierig-begeistert, mal zaudernd direkt in die Zusammenarbeit mit den Nazis, in weitere Kriegsgeschäfte und vor allem in die Vernichtungsmaschine „IG Auschwitz“.

Der Film endet mit dem Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess gegen die IG-Führung 1947 - und lässt keinen Zweifel daran, dass die verbrecherischen Manager dabei mit (zu) glimpflichen Strafen davon kamen. Sinkel präsentiert diesen brisanten Stoff als eine typische Fernseh-Miniserie – mit Herzschmerz und Eifersucht, Seitensprung und Intrigen, Trauer und überbordender Freude. Es ist diese Dramaturgie, die den Film so beeindruckend macht: Der Zuschauer sieht Männer, die für Profit und Macht buchstäblich über Leichen gehen, als Menschen mit Stärken und Schwächen; er sieht, wie andere in ihrem Umfeld sie kritisieren oder sich abkehren – ohne dass dies an ihrer Gier und ihrer Skrupellosigkeit letztlich etwas änderte. „Väter und Söhne“ war und ist ein in Besetzung wie Kulisse opulentes Werk. Es ist ein aufrüttelndes, aber auch widersprüchliches Manifest. Es ist ein fulminantes Kultur- und Sittengemälde, aber auch eine knapp neun Stunden währende Schmonzette, die sich wechselseitig immer wieder selbst erfindet und ad absurdum führt. Und es ist eine Anklage, die so entschlossen und so Zweifel weckend zugleich daherkommt, dass sie den interessierten ZuschauerInnen eine weitergehende Auseinandersetzung mit der Geschichte der IG FARBEN geradezu aufzwingt: Unterhaltungsfernsehen als Initiator politischen Interesses und Engagements. All dies macht „Väter und Söhne“ zu einem wichtigen und eigentlich heute viel zu wenig beachteten Werk. Zwar liefen die vier Folgen 1986 im ersten ARD-Programm, zwar haben ARD, 3sat und WDR die Serie zwischen 1990 und 2000 je einmal wiederholt – aber das war auch schon alles. Knapp zehn Jahre lang hat es im sonst so wiederholungsträchtigen öffentlich-rechtlichen Fernsehen keine weitere Ausstrahlung gegeben. Das hat prompt zu Spekulationen geführt. Schon 2006 erschien in einem Internet-Forum die Vermutung, die „immer noch existierende Firma IG FARBEN ... (könne) ihren Einfluss geltend gemacht und ... eine Wiederholung verhindert“ haben. Nährboden fanden solche Gerüchte in Veröffentlichungen wie der des ehemaligen Grimme-Direktors Lutz Hachmeister. Der hatte 1993 in einer Bilanz angedeutet, die Aufführung des Sinkel-Vierteilers im Grimme-Institut 1987 habe Sponsoren wie die damaligen CHEMISCHEN WERKE HÜLS AG in Marl, eines der Unternehmen aus der von den Alliierten vorgenommenen Zerschlagung des IG-FARBEN-Konzerns, verärgert. Während Hachmeister auf diesbezügliche Nachfragen des Autors nicht reagierte, hat Sinkel selbst, auf derartige Vermutungen angesprochen, dergleichen als „schwer zu beweisen“ abgewehrt und setzt dem eine profanere These entgegen. Im aktuellen Interview, das als DVD-Bonus mitgeliefert wird, bedankt er sich nachdrücklich beim WDR der achtziger Jahre, der ihm damals alle Freiheiten gelassen habe – und kritisiert, dass heutige Programmgestaltung so sendezeit-aufwändige Filme wie „Väter und Söhne“ jenseits aller Qualitätserwägungen zu blockieren scheine.

Apropos Qualität: „Väter und Söhne“ glänzt dank hervorragender Besetzung durch viele szenische Highlights, die wiederholtes Anschauen unverzichtbar machen. Da gibt es leidenschaftliche Höhen und Tiefen im Familienleben des Deutz-Clans wie etwa die Auseinandersetzung des Patriarchen mit seinem abtrünnigen Enkel Georg (Herbert Grönemeyer) oder die Liebesaffäre von Georgs Mutter Charlotte (Julie Christie) mit dem Freund des Sohnes, Max Bernheim (Hannes Jaenicke). Nicht weniger beeindruckend sind etliche Szenen des politischen Geschehens, beispielsweise die patriotischen Bekenntnisse des jüdischen Konzern-Bankiers Bernheim (Martin Benrath als Vater von Max), der die Verfolgung durch die Nazis erst zu verdrängen sucht („der Pöbel regt sich auf, der Pöbel beruhigt sich wieder“), ihr dann mit Stolz entgegentritt („ich wünsche, über die Vordertreppe hinausgeworfen zu werden“) – und schließlich doch ihr Opfer wird.

Aufrüttelnd wirkt auch die akribische Darstellung der Verflechtung zwischen deutscher IG FARBEN und US-amerikanischer STANDARD OIL, die nach 1945 maßgeblich Nürnberger Prozess und Struktur der Chemieindustrie beeinflusste. Packend zeichnet Sinkel den genialen, aber auch zerrissenen Chemiker Heinrich Beck: Der ergeht sich in kindlicher Freude über wissenschaftliche Erfolge oder den Nobelpreis, ist bezüglich der Kooperation mit den Nazis hin- und hergerissen, demonstriert zynisch entschlossene Mittäterschaft ebenso glaubwürdig wie dumpfe, alkoholisierte Verzweiflung – die Rolle, der 1986 in etlichen Kritiken Charakter-Elemente von Carl Bosch und Fritz Haber nachgesagt wurden, wäre in ihrer Intensität ohne ihren nicht minder genialen Darsteller Bruno Ganz schwer denkbar.

Aus heutiger Sicht gehört es übrigens zu den herausragenden Skurrilitäten dieses Films, Beck in jener historisch verbrieften Auseinandersetzung mit Adolf Hitler zu erleben, in der der IG-FARBEN-Manager um die Sicherheit der jüdischen Wissenschaftler bettelte, worauf der Führer ihn aus der Reichskanzlei werfen ließ. In der Wirklichkeit hat dieser Streit zwischen Hitler und Carl Bosch stattgefunden – im Film trifft Hans Brenner als Hitler auf jenen Bruno Ganz (als Beck), der 18 Jahre später in Bernd Eichingers Film „Der Untergang“ selbst den Führer spielen sollte. Zusammengefasst kann man Sinkels jetzt endlich wieder verfügbares Werk als eine Abrechnung der ungewöhnlichen Art bezeichnen: Die Familien-Saga als Verpackung ist eine geschickte Täuschung, lässt sie doch gelegentlich den Eindruck einer Verharmlosung entstehen – nur um diesen sogleich durch die brutale Offenheit in der Darstellung der Verbrechen der IG FARBEN zu zerstören. Am Ende bleibt die Abrechnung – historisch und politisch bedingt – unsaldiert. Sinkel weist nicht nur auf die Nürnberger Urteile hin, sondern auch auf die Tatsache, dass viele IG-FARBEN-Führer wichtigen Anteil haben durften am wirtschaftlichen Aufbau der BRD. Er betont die aktuelle Macht von Konzernen wie BAYER, BASF oder HOECHST (heute SANOFI-AVENTIS) als ehemalige IG-FARBEN-Teile. Und die Bonus-Dokumentation über die IG FARBEN stellt heraus, dass dieser Konzern als „AG in Abwicklung“ (AG i. A.) bis heute nicht endgültig liquidiert, sondern nach wie börsennotiert ist. Unerwähnt bleibt, dass diese andauernde Existenz der IG FARBEN jahrzehntelang zur Blockade durchgreifender Entschädigungen für die ZwangsarbeiterInnen beigetragen hat. Unerwähnt bleiben auch die aktuellen (auf den alten IG-FARBEN-Profiten aufgebauten) Geschäfte von BAYER und anderen Nachfolgern – beispielsweise in Agrochemie, Gentechnik oder im Pharmasektor – und deren soziale wie ökologische Folgen. Es darf noch keinen Schlussstrich geben.

Sinkel, Bernhard: „Väter und Söhne – eine deutsche Tragödie“; mit Bruno Ganz, Dieter Laser, Martin Benrath, Burt Lancaster, Julie Christie u. v. a.; Copyright 1986 Bavaria Atelier GmbH für den WDR; herausgegeben von der Studio Hamburg GmbH, 2010, in der ARD-Video-Serie „Große Geschichten„ (Teil 27); vier DVDs mit 20-seitigem Booklet und Bonus-Material (Dokumentarfilm über das IG-FARBEN-Haus, Interview mit Bernhard Sinkel).

Der vorstehende Artikel stammt aus der Zeitschrift Waterkant - Umwelt + Mensch + Arbeit in der Nordseeregion (ISSN 1611-1583, www.waterkant.info), Jahrgang 25, Heft 1 (März 2010)

[Rohstoffe] STICHWORT BAYER 01/2010

CBG Redaktion

Rohstoff-Imperialismus:

BAYER & Co. rüsten auf

Den großen Konzernen drohen schon bald die Rohstoffe auszugehen. Darum nehmen sie für die Nachschubsicherung zunehmend auch das Militär in die Pflicht.

Von Jan Pehrke

Erdöl stellt für BAYER & Co. die mit Abstand wichtigste Rohstoff-Quelle dar. Über drei Prozent der Jahresproduktion geht an die Chemie-Branche. Allein die bundesdeutschen Multis brauchen per annum 14 Millionen Tonnen des Stoffes, dessen weltweite Reserven bereits zu ca. 40 Prozent ausgeschöpft sind. Der Leverkusener Multi kann seinen Bedarf noch ca. 20 Jahre decken, prognostizieren die Konzern-Strategen, dann dürfte es knapp werden. Deshalb plädieren sie schon einmal fürs Umverteilen und fordern, „einen größeren Anteil des Rohöls für die chemische Industrie zu verwenden“ statt es - etwa in Heizungen - „einfach zu verfeuern“.

Bereits jetzt führt die Abhängigkeit von dem kostbaren Gut zu Kräfte-Verschiebungen auf dem Weltmarkt. So haben die Förderländer ihre Einnahmen genutzt, um eigene Industrien aufzubauen und so die Wertschöpfungskette zu verlängern. Besonders die in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige INTERNATIONAL PETROLEUM INVESTMENT COMPANY (IPIC) entwickelt sich mehr und mehr zu einem Ernst zu nehmenden Konkurrenten für die westlichen Unternehmen. Sie hält seit längerem eine Beteiligung an der österreichischen Firma BOREALIS und kaufte jüngst den bundesdeutschen Anlagebauer FERROSTAL sowie den kanadischen Konzern NOVO. Auch mit BAYER begann die IPIC Verhandlungen. Sie wollte laut IPIC-Direktor Khadem Al Qubaisi allerdings nicht die wirtschaftskrisen-geschüttelte Kunststoff-Sparte BAYER MATERIAL SCIENCE erstehen, wie Beobachter sofort vermuteten, sondern mit dem Leverkusener Multi über ein Gemeinschaftsprojekt in Abu Dhabi sprechen. Für solche „Kooperationen, die einen Zugang zu Rohstoffen ermöglichen würden“, zeigte sich BAYER-Chef Werner Wenning in einem Interview mit der Börsen-Zeitung mehr als offen. Es bleibt ihm auch nicht viel anderes übrig. Als Investoren fürchtet er die arabischen Konzerne zwar nicht, aber: „Etwas anderes ist es, wenn gerade dort, wo billige Rohstoffe verfügbar sind, neue Produktionsstätten aufgebaut werden. Dann entsteht eine neue Wettbewerbssituation“. Und wenn die westlichen Firmen sich dieser nicht mehr so ganz stellen mögen, müssen sie nach dem Motto „If you can‘t beat them, join them“ eben auf IPIC & Co. zugehen. Das kann für Wenning jedoch nicht alles sein. „Gleichzeitig müssen wir eine dauerhafte Rohstoff-Versorgung zu günstigen Preisen sicherstellen“, dekretiert er.

Diese Ansicht teilt er mit seinen Kollegen vom „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI). Bereits im Jahr 2005 setzte dieser das Thema auf die Agenda und veranstaltete einen Rohstoff-Kongress, auf dem auch der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach - heute hauptberuflich mit der Ressourcen-Sicherung für die Wirtschaft befasst. Seine Nachfolgerin Angela Merkel besuchte 2007 das zweite Gipfel-Treffen und versicherte BAYER & Co. ebenfalls ihren Beistand. Ihrer Ansicht nach wurde „die Betrachtung der Politik, dass sich die Wirtschaft darum schon ganz allein kümmern kann, nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten gerecht“, weshalb sie die Rohstoff-Versorgung nunmehr als „nationales Interesse“ in den Rang eines Staatsziels erhob. Im von der Bundesregierung eingerichteten „Arbeitskreis Rohstoffe“ kann der „Ausschuss Rohstoffpolitik“ des BDI seither seine patriotische Gefühle für Öl, Erdgas, Kupfer, Zink, Nickel und Wolfram ausleben und zudem auf den schwarz-gelben Koalitionsvertrag bauen. „Der Zugang zu Rohstoffen und deren verlässliche Verfügbarkeit sind für die deutsche Industrie mit ihren Produkten der Hoch- und Spitzentechnologie von besonderer Bedeutung und unverzichtbare Ziele der Außenwirtschaftspolitik“, heißt es in dem Dokument.

Rohstoffpolitik heißt dabei für den BDI nicht zuletzt auch Militärpolitik. „Politische Instabilität der Rohstoff-Förderländer, politisch motivierte Lieferausfälle oder Liefer-Unterbrechungen sowie Verstaatlichung von Rohstoff-Betrieben in manchen Förderländern können durch unternehmerische Instrumente (...) allein nicht kompensiert werden (...) Dies ist Grund genug zur Befassung der Außen- und Sicherheitspolitik mit den Problemen der Rohstoff-Versorgung“, befanden BAYER & Co. auf dem Rohstoff-Kongress von 2005.

Auf der Nachfolge-Veranstaltung zwei Jahre später schlugen die Industriellen noch schärfere Töne an. „Herzlich willkommen zu Beginn des ‚Zweiten Kalten Krieges‘, dem ‚Kampf um Rohstoffe‘. Diese und ähnliche Begriffe prägen zunehmend die Diskussion um unsere Rohstoff-Versorgung und unsere Wettbewerbsfähigkeit. Dabei sind es längst nicht mehr nur reißerische Schlagzeilen in den Medien“, mit diesen Worten eröffnete Kurt Grillo, der Leiter des BDI-Ausschusses „Rohstoffpolitik“, die Tagung.
In dem Zukunftsszenario zur „Energiesicherheit 2050“, das der heutige Innenminister Thomas de Maizière 2007 in seiner damaligen Funktion als Kanzleramtsminister bei SicherheitsexpertInnen und Wirtschaftsmanagern bestellte, war dann aus dem Kalten Krieg schon ein heißer geworden. In einem ihrer Planspiele gingen die Autoren - unter anderem Emissäre vom „Führungszentrum Luftwaffe“, vom Bundeswehrverband, vom BKA, von BAYER und von der Deutschen Bahn - von „drohenden Auseinandersetzungen mit China und Russland“ aus.

Solche Waffenbrüderschaften zwischen Generälen und Global Playern haben schon seit einiger Zeit Konjunktur. Beim alljährlich von der COMMERZBANK und der 1. Panzerdivision veranstalteten „Celler Trialog“ können sich die ManagerInnen mit Militärs und zusätzlich mit MandatsträgerInnen austauschen. Zudem kommt mittlerweile kaum noch ein wichtiges Treffen der einen ohne die anderen aus. So reiste Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg Ende Januar 2010 wie selbstverständlich zum Weltwirtschaftsgipfel nach Davos. Er lud die Vorstandsvorsitzenden von BAYER & Co. zu einer Kaffeerunde und versprach ihnen, die Verteidigungspolitik noch mehr auf ihre Beschaffungsbedürfnisse zuzuschneiden. Eine „Neugestaltung der deutschen Sicherheitspolitik“ forderte er nämlich laut Welt, weil die Sicherheit des Landes maßgeblich von einer sicheren Versorgung mit Energie-Rohstoffen abhänge und sich da in letzter Zeit zu viele Unsicherheitsfaktoren aufgetan hätten. Als Beispiele nannte der CSU-Politiker die Instabilität einiger Transferländer, Piraterie und anschlagsgefährdete Pipelines.

Wenig später bei der Münchner Sicherheitskonferenz war wiederum der BDI mit von der Partie und setzte das Thema „Risiko Rohstoff-Versorgung“ auf die Tagesordnung. Große Überzeugungsarbeit brauchte der Verband dabei nicht zu leisten, denn Sicherheitskonferenz-Leiter Wolfgang Ischinger erkannte den Ernst der Lage. „Ich habe an einigen Gesprächen über so genannte seltene Erden teilgenommen - Substanzen, die man in der Vergangenheit kaum brauchte, für moderne Technologien wie den Elektro-Antrieb aber in rauen Mengen benötigt werden. Hier zeichnet sich eine monopolartige Stellung einiger weniger Staaten ab, schlimmer als beim Öl. Die Sicherung der Versorgung ist auch eine strategische staatliche Aufgabe“, konstatierte er in der Wirtschaftswoche.

Die Bundeswehr ist für eine solche gerüstet. Bereits die „verteidigungspolitischen Richtlinien“ von 1992 verpflichteten sich auf die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen auf aller Welt“. Das 2006 erschienene Bundeswehr-Weißbuch macht die Gewährleistung der „Sicherheit der Energie-Infrastruktur“ gleichfalls zur Aufgabe der Truppe. Und auch die 1991 in Rom verabschiedete NATO-Strategie sieht bei einer „Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen“ einen Einsatz vor. Das neue Konzept des Militärbündnisses dürfte der Rohstoff-Frage noch mehr Aufmerksamkeit widmen. Unter den neuen Bedrohungen, denen gegenüber die NATO sich im 21. Jahrhundert gewappnet zeigen müsse, rangierten für die US-Außenministerin Hillary Clinton bei ihrem Auftritt vor der französischen Militärakademie Ende Januar in Paris Engpässe bei Öl & Co. ganz oben. „Energie-Sicherheit hat eine besonders hohe Priorität. Länder, die sich in Bezug auf eine Kappung der Energie-Zufuhr verletzlich zeigen, müssen nicht nur mit ökonomischen Konzequenzen, sondern auch mit strategische Risiken rechnen“, so Clinton warnend.

Auch in der Praxis tut sich schon so einiges. Die EU-Mission EUFOR im Kongo 2006 verfolgte mitnichten das offiziell angegebene Ziel, den regulären Ablauf der Präsidenten-Wahl zu garantieren. Es ging vielmehr darum, China und den USA beim Run auf Coltan, Kupfer und Kobalt zuvorzukommen (siehe auch SWB 2/06). Nur sagen durfte man dies nicht, wie der damalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Walter Stützle in einem Phoenix-Interview bedauerte. „Im Kongo ist das Problem, dass der Öffentlichkeit von der Bundeskanzlerin nicht gesagt worden ist, worum es eigentlich geht. Das konnte man in Paris sehr deutlich hören. In Paris hat man gehört, wir können Afrika nicht China und den Vereinigten Staaten überlassen, Punkt (...) Da man das aber eigentlich nicht sagen wollte, hat man dann die Erfindung mit der Wahl gemacht“, plauderte Stützle aus dem Nähkästchen. Gegenwärtig ist die Bundeswehr im Osten des Kongo, am Horn von Afrika, aktiv. Im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) schützt sie dort unter anderem die vom Persischen Golf durch den Suezkanal nach Europa verlaufende Öl-Route vor Piraten. Und auch am Hindukusch wird die Ressourcen-Sicherheit der Konzerne verteidigt. Das Thema „Afghanistan“ müsse man ebenfalls im energie-politischen Kontext sehen, so Guttenberg in der trauten Davoser Runde mit Wenning und anderen bundesdeutschen Managern.

[IG Farben] STICHWORT BAYER 01 2010

CBG Redaktion

Der Hydrier-Vertrag:

Fernöstliche Nachkriegsplanung?

Am 11. Januar 1945 schlossen die IG FARBEN mit dem japanischen Heeresministerium noch einen Vertrag über das Hydrier-Verfahren ab. Welchen Sinn hat ein solches Paragraphen-Werk kurz vor dem absehbaren Ende des Zweiten Weltkriegs? Wollte der Mörderkonzern mit der Nachkriegsplanung für die fernöstlichen Absatzmärkte beginnen?

Von Dr. Janis Schmelzer

Am 11. Januar 1945 trat der 10-Jahres-Vertrag auf dem Gebiet des Hydrierverfahrens zwischen dem „Heer des Kaiserreichs Groß-Japan“ (Dai-Nippon Teikoku Rikugun) und der IG FARBEN AG in Kraft. Einen Tag später begann der Sturm auf den faschistischen Staat und seine Hauptstadt Berlin, als die Rote Armee von der Grenze Ostpreußens und der Weichsel bis zu den Karpaten zu ihrer Großoffensive antrat. Im Westen scheiterte die Ardennenoffensive. Es war klar, dass der Endkampf nunmehr auf dem Ausgangsboden des deutschen Aggressors unmittelbar bevorstand. Der Abschluss eines Separat- oder Verständigungsfriedens war zu dieser Zeit bereits ausgeschlossen. Die Mächte der Antihitler-Koalition akzeptierten nur noch die bedingungslose Kapitulation. Dennoch liegen von deutscher Seite die Unterschriften von zwei prominenten IG-FARBEN-Vertreten vor, die des Vorstandsmitglieds Heinrich Bütefisch, Direktor der LEUNA-Werke und die des Physikochemikers der BASF, Direktor Matthias Pier. Es ist erstaunlich, dass gerade diese beiden - in der NS-Zeit jeweils hoch dekoriert mit dem Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes - für einen aus heutiger Sicht absurd anmutenden, anachronistischen Mineralöl-Vertrag die Verantwortung übernahmen, denn beide Chemiker mussten sich tagtäglich mit den katastrophalen Auswirkungen der seit Monaten auf die über 12 Benzin- und Mineralöl-Hydrierwerke durchgeführten Luftangriffe befassen.

Welche Absicht verfolgte die Leitung des Konzerns, was war der eigentliche Sinn des Abkommens? Immerhin ging es um einen 10-Jahresvertrag. Für die Nachkriegszeit hatte der Mörder-Konzern bereits konkrete Vorkehrungen vom Spätsommer 1943 bis zum Jahreswechsel 1944/45 in zwei Planungsetappen mit mehr oder weniger Erfolg abgeschlossen. Das System der im Ausland getarnten IG-Werke war erfolgreich getestet, der Geld-, Gold- und Immobilien-Transfer in die neutralen Staaten abgesichert und die Auswahl neuer unbelasteter Kader getroffen worden. Nunmehr galt es, das laufende „Notprogramm“ bis zum endgültigen Zusammenbruch durchzubringen, um sich dann auf die Politik der Siegermächte, vor allem der USA, einzustellen. Was sollte aber in diesem Zusammenhang eine solche Einzel-Aktion im Fernen Osten bewirken? Sie als eine sinnlose, abwegige Idee abzutun, wäre vorschnell. Vielleicht stellt sie eine bislang vernachlässigte Richtung in der Nachkriegsplanung dar, die den Fernen Osten, das Herrschaftsgebiet des in ähnlicher Lage befindlichen Bündnispartners, betraf? Welche wirtschaftlichen Überlebenschancen hatte Japan und in welchem Maße glaubte die IG FARBEN auf diesem Gebiet auch dort, im Fernen Osten, ihre Zukunftspläne zumindest ansteuern zu können? Eine bisher in der „Überlebensstrategie“-Forschung eher wenig beachtete und unterschätzte Betrachtung und Analyse der Zukunftspläne der IG FARBEN auf dem Sektor der neuen Stoffklassen der Kunststofferzeugung, ausgehend vom neuen Fischer-Tropsch-Verfahren, legt Karl Heinz Roth vor. Er weist in seinem Artikel „Die IG FARBEN im Zweiten Weltkrieg“ (1) auf die Bedeutung der von der IG beherrschten deutschen Hydrier-Werke seit 1935/36 hin.

Die Hydrier-Werke der IG FARBEN, die das Mineralöl und seine Derivate nicht durch Hochdruck-Synthese, sondern durch die Umwandlung von Koks in Gasgeneratoren zu Wassergas und die anschließende Hydrierung von Kohlenmonoxid gewannen, versorgten die Luftwaffe mit Isooktan und hochviskösen Schmierölen, das Heer mit Chemiewaffen (Phosgen und Stabilisatoren), die Kriegsmarine mit Heizöl und die Gummi-Industrie mit dem für alle Waffengattungen wichtigen Buna S. Karl Heinz Roth bezeichnet diese Entwicklung als „kriegswichtige Komponente“, die in die privatwirtschaftlichen Nachkriegsprojekte der IG eingewoben war. Es galt, alle neuen Stoffklassen der Kunststofferzeugung zu erschließen, „um den Rückstand aufzuholen, in den sie seit 1938/39 beim internationalen Wettlauf ins neue Kunststoffzeitalter geraten war.“ Diese konkret historische Betrachtungsweise des Historikers Roth kann als Grundlage für die Echtheit des vorliegenden Vertrags herangezogen werden. Da wäre zunächst die politische Komponente: Im Memorandum zum Vertrag heißt es hochtrabend im faschistischen Jargon: „Zur Bewältigung der Japan und Deutschland für den Aufbau der Neuen Ordnung in der Welt gestellten großen Aufgaben und zur Erreichung der gemeinsamen großen Ziele haben, aufbauend auf der politischen Grundidee des Dreimächtepaktes und in Fortsetzung der in seinem Geiste geführten wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der Kaiserlich-Japanische Heeresminister, handelnd für die Kaiserlich Japanische Armee, und die „IG FARBEN Industrie Aktiengesellschaft“ in Erkenntnis der Wichtigkeit der Ölversorgung für die gemeinsame Kriegsführung heute einen umfassenden Vertrag auf dem Gebiet des Hydrierverfahrens geschlossen.“ Die Vertragspartner berufen sich dabei auf den am 27. September 1940 in Berlin zwischen Deutschland, Italien und Japan geschlossenen Pakt zur Neuaufteilung der Welt in „Ordnungssphären“ und zur gegenseitigen Unterstützung ihrer aggressiven Pläne. Deutschland und Italien erkennen darin Japans Vormachtstellung im „großasiatischen Raum“ an. Japan wiederum billigt Deutschland und Italien die Führung „bei der Schaffung einer neuen Ordnung in Europa“.

Diese im Januar 1945 wieder aufgewärmten, aber überholten Phrasen aus der Zeit der deutsch-faschistischen Neuordnungspläne vom Sommer 1940 stehen in keinem Zusammenhang zur im Vertrag bekundeten „Erkenntnis der Wichtigkeit der Ölversorgung für die gemeinsame Kriegsführung heute“. Zu diesem Zeitpunkt hatte die IG und damit Deutschland nämlich mit der „eigenen Ölversorgung“ erhebliche Schwierigkeiten, und von einer „gemeinsamen Kriegsführung“ konnte keine Rede sein. Im Artikel IV wird kleinlaut eingeräumt, dass ein wesentlicher Teil der Maschinen und Apparate für die zu errichtenden Hydrieranlagen aus Deutschland „auf Grund der gegenwärtigen Lage“ nicht geliefert werden können. Deswegen beschränke sich die Hilfe der IG FARBEN im Wesentlichen auf die technische Beratung und Lieferung von Konstruktionsunterlagen. Sobald die Transportmöglichkeiten es gestatteten, werde die Nachlieferung erfolgen.

Wie kam es dennoch zu den obigen Formulierungen im Vertragstext? Zu dieser Zeit mussten nach wie vor die politischen Grundformeln bewahrt bleiben. Einzelheiten betrafen lediglich bereits getroffene Abmachungen bzw. Pläne. Vorlage für den Januar-Vertrag von 1945 war ein am 25. März 1942 verfasster Text der Patentkommission. Dieser Entwurf wurde mehrfach beraten, so auch auf der Sitzung der IG-Patentkommission im April 1943, blieb damals aber auch weiterhin undatiert liegen. Dafür stand das „Großostasiatische Patent“ nach dem Muster des „Europäischen Patents“ im Vordergrund der Beratung. Die Anwesenden hielten den Zeitpunkt jedoch für verfrüht. Japan würde selbst noch nicht klar beurteilen können, wie sich die Verhältnisse in Nord-China gestalten, und Französisch-Indochina würde sich wehren.

Bislang waren bis zu diesem Zeitpunkt nur die im Juni 1940 von der IG FARBEN geplanten Großraum-Projekte „Europa-Patent“ unter deutscher Führung als Blaupause, das „Italienische Großraum-Patent“ für Süd- und Südosteuropa und ein eventuell mögliches „Englisches Patent“ bekannt - abgesehen von dem vor dem 1.Weltkrieg avisierten „Weltpatent“. Der Begriff „Großostasiatisches Patent“ taucht im Vertrag nicht auf. Im Artikel III, Ziffer 3 ist dafür die Rede vom „räumlichen Vertragsgebiet“, welches das Japanische Reich, China und Mandschuko umfasst. Darüber hinaus erklärt sich die IG grundsätzlich bereit, „die Lizenz nach Möglichkeit auch auf sonstige Länder und Gebiete, die in der weiteren Entwicklung zum unmittelbaren wirtschaftlichen Interessengebiet des Japanischen Reiches gehören sollten, auszudehnen“. Die Vertragspartner einigten sich auf die Länder Birma, Thailand, Indo-China, die Philippinen und das frühere Holländisch-Ostiniden. Am 25. März 1942 behandelte die IG-Patentkommission den „Stand der gewerblichen Schutzrechte der IG FARBEN im groß-ostasiatischen Wirtschaftsraum“ und kam zu dem Schluss, dass nunmehr Einzelwünsche des Konzerns erarbeitet werden müssten: „Japan hat in seinem siegreichen Vordringen im ostasiatischen Raum viele Länder besetzt, und es muss die Frage der gewerblichen Schutzrechte in diesen Gebieten geprüft werden. Dabei wird man davon ausgehen müssen, dass Japan für sich die Vormachtstellung im ostasiatischen Raum beansprucht“. Darum wollte die IG eine juristische Absicherung. Im Vertrag sind devisen- und währungspolitische Maßnahmen, steuerpolitische und handelspolitische wie Kontingente und Lizenzen, Fragen des Niederlassungsrechtes, des Patentrechts, der Rohstoff-Beschaffung und der Erweiterung der Betriebsstätten, verankert, die beim „Großostasiatischem Patent“ vorgesehen waren. Die Sicherung dieser einzelnen Maßnahmen sind im Vertrag als „Schutzrechte“ der IG FARBEN deklariert.

Fragen zur Echtheit des Dokuments einmal beiseite gelassen, bleibt dennoch offen, ob die Vertreter der IG FARBEN wirklich daran glaubten, mit solchen Mitteln nach dem Kriegsende ihren Einfluss auf die Gestaltung der Chemie-Wirtschaft im Fernen Osten sichern zu können. Auf jeden Fall waren zumindest langjährige Lizenz-Gebühren und erhebliche Zahlungen für die Anlagenbauten vertraglich abgesichert.

Anmerkung:
(1) Karl Heinz Roth: Die IG FARBEN im Zweiten Weltkrieg, www.wollheim-memorial.de/files/1000/original/pdf_Karl_Heinz_Roth_Die_IG_Farben_Industrie_AG_im_Zweiten_Weltkrieg.pdf

Nachtrag

Dr.Schmelzer überstellte uns zwei weitere, kürzlich aufgefundene Dokumente , die im Zusammenhang mit dem besprochenen Hydrier-Vertrag vom 11.Januar 1945 stehen. Sie sollen der Überprüfung der Echtheit des Vertrages dienen :

1) Verhöre des I.G.Farbenindustrie-Personals in Heidelberg (Interrogation of I.G.Farbenindustrie Personnel, Heidelberg) aus dem Inspektionsbericht der Hydro-und Fischer-Tropsch-Werke in Westdeutschland vom 28.September 1945 des Kommandos 643, Co.E 2. Militär-Regierung-Regiment, Heidelberg, APO. 758. Am Wohnsitz des I.G.-Direktors Dr.Mathias Pier und Direktors der Test-Werke in Ludwigshafen, in Heidelberg wurden er und das technisch-wissenschaftliche Personal der Forschung-und Entwicklungs-Labors, Ludwigshafen, Dr.Maria Höring und Dr.Ernst Donath Verhören unterzogen. Einzelheiten aus diesem Bericht sind im folgenden Dokument übernommen worden.

2) Informations-Zirkular des US-Ministeriums des Innern/Bergwerke-Büro I.C. 7375 vom August 1946 „Ermittlungsbericht über die Kraftstoff-und Öl-Teams der I.G.Farbenindustrie, A.G.-Werke Ludwigshafen und Oppau“ ( „Report on Investigations by Fuels and Lubricants Teams at the I.G.Farbenindustrie AG. Works, Ludwigshafen and Oppau“ ).

In ihrem in zwölf Sektionen unterteilten Bericht läuft unter Sektion X der Abschnitt „I.G. - JAPANESE ARMY NEGOTIATIONS“ (Verhandlungen I.G. - Japanische Armee).

Eingangs sind die einzelnen Schritte bis zum Abschluss des Vertrages vom 11.Januar 1945 aufgeführt. Die Japanische Armee habe sich bereits vor Kriegsbeginn um den Erwerb der Rechte an Internationalen Hydro-Patenten (IHP) für Hydro-Prozesse bemüht, und dazu verschiedene vorbereitende Diskussionen geführt. Ähnliche Verhandlungen hätten wahrscheinlich auch während des Krieges mit der I.G.stattgefunden. Die deutsche Regierung habe endlich 1944 auf den Abschluss eines Vertrages mit der japanischen Armee orientiert. Bei den ernsthaften Diskussionen, die im November 1944 begannen, habe die Errichtung eines Werkes in Mandschukuo für die Produktion von 70-100.000 to/ja Flugbenzin aus Kohle im Mittelpunkt gestanden. Aufgefundene Dokumente in Form von Grob-Übersichten zur Standort-Planung und zum Hafenbau für 10-000 BRT Schiffe auf der Insel Koro (Reproduktion XXVI) seien in dieser Zeit entstanden. Den Japanern wurden von der I.G. ausgearbeitete detaillierte Fliess-Diagramme (Reproduktion XXVII und XXVIII und Tafel V) ausgehändigt.

Die generelle Lizenz-Übereinkunft im Hydrier-Vertrag zwischen der I.G. und der Japanischen Armee wurde am 11.Januar 1945 unterzeichnet, hieß es abschließend im 1.Teil des Berichtes. In diesem, etwa ein Viertel des gesamten Textes behandelten Teil, sind wesentliche Passagen aus dem Original des Hydrier-Vertrages übersetzt, übernommen worden. Damit wären alle Zweifel an der Echtheit des 10-Jahresvertrages ausgeschlossen.

Ein neuer Abschnitt befasst sich mit Erkenntnissen aus IG-Aktionen hinsichtlich der Realisierung des Vertrages nach dem 11.Januar 1945, die sich aus den Verhören und beschlagnahmten Dokumenten ergaben. Aus Schriftstücken der IG, wie aufgefundenen Briefen nach Tokio an den Unterzeichner des Vertrages, den Director of Mining, R.Komatsu, und einem Telegramm, an den IG-V-Mann, Dr. Otto Ruhl 1 , geht hervor, dass mindestens bis Anfang März 1945 die Kontakte der Vertragspartner bestanden. Es seien jedoch extrem wenig Informationen über die drei japanischen Hydro-Fabriken in Kinsei, Mukden und Hokkaido, sowohl aus den Dokumenten als auch aus den Verhören der IG Belegschaft zu entnehmen gewesen. Lediglich in dem erwähnten Telegramm des IG-Agenten, Dr.Ruhl habe sich ein Indiz gefunden, dass die erreichte Jahresproduktion dieser Fabriken etwa 10 000 to/ja Gasolin betragen habe.

Abschließend versuchten die Berichterstatter sich ein genaueres Bild zu verschaffen über den erreichten Stand der Japanischen Armee auf dem Gebiet der Hydrierung, die aus der Zusammenarbeit mit der I.G.Farben erwartet wurde. Aus den seit September 1945 in Heidelberg stattgefundenen Verhören von Dr. Mathias Pier, und Dr.Ernst Donath, Verwalter des Entwicklungs-Werkes des Hydrier-Werkes in Ludwigshafen ließen sich aber keine sicheren Verallgemeinerungen ableiten. Auf vage Informationen und Vermutungen der I.G.-Experten wollten sich die Vertreter der Besatzungsbehörden nicht einlassen. Mit Aussagen zu Ortsangaben, wie „irgendwo“ und Werksplanungen, die mit „wahrscheinlich“ bezeichnet worden waren, wie es im Zirkular diesbezüglich heißt, war wenig anzufangen. Es blieb lediglich der Vorschlag, sich mit Vertretern der Lurgi-Gesellschaft 2 in Deutschland in Verbindung zu setzen, die mehr Informationen über den gegenwärtigen Stand Japans in der Ölindustrie geben könnten.
Dennoch: Die beiden nachgereichten Dokumente bestätigen eindeutig die Echtheit des Hydrier-Vertrages zwischen der I.G.Farben und der Japanischen Armee vom 11.Januar 1945.

[Altlasten] STICHWORT BAYER 01 2010

CBG Redaktion

BAYERs bodenlose Bodenverschmutzung

„Unglaubliche Konzentrationen“

Immer wenn der Leverkusener Multi ein Werk schließt, hinterlässt er verbrannte Erde. Pestizid-Rückstände, Benzol, Lösungsmittel und was über die Jahre sonst noch so alles bei der Chemie-Produktion angefallen ist, sickern aber auch über die Deponien des Konzerns in den Boden und gefährden so das Grundwasser.

Von Jan Pehrke

Wo kommt das denn her? BAYERs Wolfenbütteler Werksleiter Christoph Sender konnte sich überhaupt nicht erklären, was da so alles an Chemikalien zum Vorschein kam, als am aufgegebenen Standort die Abbrucharbeiten begannen. „Fakt ist, dass es entsorgt wird“, versicherte Sender umgehend.

Ein großes Wort, wie sich herausstellen sollte. Mit ein paar LKW-Fahrten zur nächsten Sondermüll-Verbrennungsanlage war es nämlich nicht getan. Auf eine Fläche von 1.000 Quadratmetern erstreckte sich die Kontamination. Unter der Pestizid-Produktionsstätte, die 2004 mit dem Erwerb von AVENTIS CROPSCIENCE in den Besitz des Leverkusener Multis überging, schlummerten nicht nur 325 Kilogramm Pestizide, sondern auch 3.000 Kilogramm Benzol sowie Lösungsmittel, Mineralöle und Schlacken. Für den größten Schadstoff-Eintrag hatte 1978 - damals stellte das heute ebenfalls zu BAYER gehörende Unternehmen SCHERING auf dem Gelände Ackergifte her - eine Explosion gesorgt, denn mit dem Löschwasser versickerte damals ein ganzer Chemie-Cocktail.

Diesen wieder hervorzuholen, stellte allerdings eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. „Wir müssen geschützt werden“, mahnten die AnwohnerInnen deshalb an. Und in der Tat erforderte die Sanierung des Areals umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen, die der damalige Umweltbundesminister Sigmar Gabriel schon im Vorhinein absegnete: „BAYER ist ein hochgradig professionelles Unternehmen“. In abgedichteter Spezialkleidung hoben die ArbeiterInnen das professionell verseuchte Erdreich bis zu einer Tiefe von acht Metern aus. Dabei stießen sie auf weitere Flurschäden, so dass sich ihr Aktionsradius noch um 200 Quadratmeter erweiterte. Über der Grube spannte sich ein Zelt mit einer Filteranlage, um die Luft zu reinigen und Geruchsbelästigungen zu vermeiden. Ein halbes Jahr dauerte die Bergung der giftigen Hinterlassenschaft, und sanft ging es dabei nicht gerade zu. Obwohl das Erschütterungsprotokoll laut BAYER keine Verletzung der Grenzwerte anzeigte, führten die Arbeiten zu Rissen an einigen Häuserwänden im Umkreis.

Noch viel mehr Zeit nimmt die Reinigung des Grundwassers in Anspruch, in dem sich pro Liter bis zu fünf Milligramm Schadstoffe tummeln. 16 Brunnen pumpen die Chemie-Suppe nach oben und führen sie einer Reinigungsanlage zu. Zunächst fängt diese die Schwebstoffe auf, anschließend lotst sie das Wasser durch drei verschiedene Aktivkohlefilter, um es dann in einen Fluss einzuleiten. Nach einer Schätzung des Geologen Jürgen Röhrs, den die Behörden als Sachverständigen bestellten, wird die große Wäsche 50 Jahre dauern, BAYER hingegen will es in einer Dekade schaffen.

Im englischen Hauxton nahe Cambridge hinterließ der Global Player nach der Schließung eines Pestizid-Werkes ebenfalls verbrannte Erde: jede Menge Altlasten im Boden und im Grundwasser. Die Sanierung obliegt nun der Gemeinde. Diese wollte sich der Aufgabe allerdings entledigen. Wenn sich ein Investor für das 15 Hektar große Areal fände, dann könnte man die Großreinigung einpreisen, so das Kalkül der KommunalpolitikerInnen. Es meldete sich mit HARROW ESTATES auch wirklich ein Interessent mit einem Wohnsiedlungsprojekt. Aber der erster Sanierungsplan der Firma sah nicht viel mehr als Schönheitsreparaturen vor, weshalb die Stadt ihn ablehnen musste. Erst der zweite fand in einer knappen Entscheidung ihre Gnade, obwohl eine als ehemalige BAYER-Beschäftigte gut informierte Stadträtin vor der Genehmigung gewarnt hatte. „Auf diesem Gelände sollte niemals gebaut werden, und ich würde dort nie ein Haus kaufen“, sagte Deborah Roberts. Viele EinwohnerInnen teilen ihre Meinung; in der Initiative STOP HAUXTON WASTE SITE haben sie sich zusammengeschlossen.

An die Öffentlichkeit gelangen solche Informationen über Umweltverschmutzungen immer nur, wenn BAYER sich von Liegenschaften trennt. Was der Konzern bei seinen Abbrucharbeiten auf eigenem Firmengelände so im Boden vorfindet, erfährt niemand. So dürfte es auch ein Geheimnis bleiben, wie stark die Produktionsstätte aus den 60er Jahren, die der Agro-Riese in Wuppertal gerade abreißt, die Erde verseucht hat. Und über die Hinterlassenschaften der Krefelder Chlor-Fertigungsstätte, dessen „Rückbau“ das Unternehmen angekündigt hat, bleibt wohl ebenfalls der Mantel des Schweigens gehüllt. Und dann wäre da ja auch noch der Normalbetrieb mit seinen bekannten Risiken und Nebenwirkungen ...

Giftfässer ohne Boden
Aber nicht nur direkt unter den Fertigungsstätten finden sich schädliche Abfälle in der Erde und im Grundwasser. In den USA hat ein nunmehr zum Leverkusener Multi gehörender Ackergift-Hersteller zwischen 1969 bis 1971 Produktionsrückstände einfach in die Wüste geschickt. Mehr als vier Millionen Liter chemischer Substanzen, darunter Vorprodukte des berühmt-berüchtigten Agent Orange, lud er einfach unweit des Alkali Lake im Bundesstaat Oregon ab. Dort rosteten die Fässer vor sich hin, und die Chemikalien traten aus. Schließlich rückten Bulldozer an, um die Tonnen ganz zu zerstören - und die Substanzen endgültig dem Wüstensand zu überantworten. Die Regierungsbehörden verlangtem vom Global Player, der die Rechtsnachfolge des Umweltverschmutzers angetreten ist, sich in angemessener Form an der Altlasten-Sanierung zu beteiligen. Doch die Verhandlungen kamen nur mühsam voran, und da die Umweltbehörde Oregons sich nicht auf einen Rechtsstreit einlassen wollte, konnte der Agro-Riese das einfädeln, was KritikerInnen einen „Sweetheart Deal“ nannten. Er braucht mit 700.000 Dollar weniger als ein Drittel der Gesamtkosten von 2,4 Millionen Dollar zu tragen.

Zudem gelangen viele Gifte über den „Entsorgungsweg Wasser“ wieder in den Boden. Wenn beispielsweise Rhein und Wupper bei Hochwasser die Auen überschwemmen, lassen sie viele Schadstoffe zurück. Nach Auskunft des „Ingenieursbüros Feldwisch“ haben sich besonders Chrom und Quecksilber, von denen BAYER 2008 in Tateinheit mit weiteren Schwermetallen 10,4 Tonnen in die Gewässer geleitet hat, im Erdreich abgelagert.

Auch die eigentlichen Bestimmungsorte für toxische Reste schützen die Umwelt oftmals nur unzureichend vor den BAYER-Gefahren. So präsentierte sich den ArbeiterInnen in Wolfenbüttel mit der Sondermüll-Deponie gleich noch ein weiterer Sanierungsfall. Die letzte Ruhestätte für die Gifte im nahe gelegenen Klein Biewende war nämlich nur unzureichend gesichert, weshalb beispielsweise Sickerwasser eindrang und die Chemikalien ausspülte. Der Leverkusener Multi gab sogleich Entwarnung: „Von der Deponie geht keine Gefahr aus“, leitete jedoch nichtsdestotrotz umfangreiche Maßnahmen ein. „Dabei befinden wir uns auf dem aktuellen Stand der Technik“, versicherte BAYERs Lothar Reinke, was nicht so ganz der Wahrheit entsprach, denn am sachgerechtestes wäre es gewesen, die Altlasten zu bergen. Allerdings auch am teuersten. Aus diesem Grund mumifiziert der Konzern die Abfälle nur für 2,5 Millionen Euro - Sicherung statt Dekontamination lautet die Devise. Er zieht vertikale Sperrwände ein, um das seitlich einfallende Regenwasser abzuhalten. Das restliche leiten Drainage-Systeme ab, während Kunststofffolien das austretende Gas für Saugmaschinen auffangen, die es dann Aktivkohlefiltern zuführen. Nach oben hin dichten Schichten aus Ton, Erde und Kunststoff das Giftgrab ab. Nach unten hin bleibt hingegen alles offen: Die Deponie ist ein Fass ohne Boden.

Zudem sah BAYER sich nicht genötigt, die AnwohnerInnen rechtzeitig über die Arbeiten zu informieren. Das stieß auf einigen Unmut. „Die Politik des Unternehmens ist eine Katastrophe“, zürnte etwa der Bürgermeister des angrenzenden Remlingen, Klaus-Günter Warnecke (SPD). Seine sozialdemokratische Kollegin, die Samtgemeinden-Bürgermeisterin Regina Bollmeier, traute dem Agro-Riesen ebenfalls nicht über den Weg. Sie forderte eine Inventarliste der Deponie an und überprüfte die Unterlagen des Genehmigungsverfahrens.

In Wuppertal war die Lage der Dinge unter der Erde ähnlich. Dort hatten BAYER und die Stadt zwischen 1930 und 1950 einen ehemaligen Steinbruch an der Industriestraße als Müll-Deponie benutzt. 84.000 Kubikmeter Abfall kamen so zusammen, der das Grundwasser bis heute verunreinigt. Daran hat auch die 1990 vorgenommene Abtragung von 1.500 Tonnen Gefahrgut und eine Teil-Abdichtung nichts geändert. Deshalb steht nun eine Komplettsanierung an, zu deren Kosten von 850.000 Euro der Konzern nur ein Drittel besteuert. Den Rest übernehmen die Stadt und das Land Nordrhein-Westfalen. „Sweetheart Deals“ allerorten.

Der Fall „Dhünnaue“
Bundesweite Schlagzeilen machte seit Ende der 80er Jahre der Fall „Dhünnaue“; zu den Akten gelegt werden konnte er erst im Jahr 2005 (SWB 3/04). In der Nähe seines Hauptwerkes hatte BAYER auf dem Dhünnaue-Gelände von 1923 bis 1946 Blei, Quecksilber, Arsen, Chrom und andere Substanzen in rauen Mengen entsorgt und aus dem Areal so Europas größte Gift-Deponie gemacht. Nicht weniger als 126.000 Tonnen Schadstoffe sammelten sich dort. Trotzdem entstanden in den 50er Jahren auf der Konzern-Kloake Wohnsiedlungen und sogar Kindergärten und Schulen. Ruchbar wurde diese erst wieder durch einen Zufall. Die Stadt Leverkusen wollte 1986 neue Wohnhäuser errichten und musste im Rahmen des Bebauungsplans „Dhünnaue-West“ eine Umweltverträglichkeitsprüfung vornehmen. Diese förderte dann Umweltunverträglichstes zutage. Das Gutachten des „Landesamtes für Abfall und Wasser“ stellte fest: „Die untersuchten Boden-Eluate (Proben, Anm. SWB) zeigen eine mehr oder weniger hohe, teilweise extreme Belastung des Bodens mit Schadstoffen. Die Schadstoffe sind bereits so weit in den Untergrund eingedrungen, dass auch das Grundwasser davon betroffen ist. Dieser Umstand ist äußerst bedenklich, vor allem im Hinblick auf eine mögliche Gefahr für das Trinkwasser (...) Eine Kontamination z. B. spielender Kinder oder weidenden Viehs ist nicht auszuschließen“. Das Urteil des Ingenieurbüros Björnsen fiel noch drastischer aus. „Die giftige Schwermetalle Chrom und Blei finden sich in schier unglaublichen Konzentrationen“, konstatierte es unter anderem.

Das blieb nicht ohne Folgen. Der medizinische Gutachter Hans Joachim Einbrodt untersuchte 828 AnwohnerInnen und diagnostizierte bei einem Viertel von ihnen „auffällige Befunde“ im Blutbild. Infolgedessen stieg die Krebsrate überproportial an. 15 Krebserkrankungen in 15 Jahren verzeichnete allein die über der Dhünnaue erbaute Schule, darunter fünf mit tödlichem Ausgang. Aber Ermittlungen gegen BAYER wg. Körperverletzungen stellte die Staatsanwaltschaft ein. Der Chemie-Multi leugnete jeglichen Zusammenhang zwischen den Krankheitsfällen und seiner Müllkippe.

Sollte es bald heißen: „Wohnst Du noch oder stirbst Du schon?“ Dazu wollte es die Kommune nicht kommen lassen. Sie schloss 1990 die städtischen Einrichtungen und startete ein Umsiedlungsprogramm. Unterdessen begann sie auch Verhandlungen mit BAYER über die Sanierung. Die Gespräche gestalteten sich allerdings schwierig. Insgesamt zehn Verträge waren nötig, damit der „partnerschaftliche“ Weg, wie die Stadt ihn nannte, zu Ende gegangen werden konnte. Vor dem Rechtsweg scheuten die LokalpolitikerInnen aber zurück. Der damalige NRW-Umweltminister Klaus Matthiesen hatte ihnen abgeraten, zu Ordnungsverfügungen zu greifen, weil es „wegen der Unklarheit der Rechtslage nicht erfolgversprechend erschien“.

Auch so dauerte es noch Jahre, bis die Arbeiten begannen. Erst 1995 ging es los. Der Leverkusener Multi erprobte zum ersten Mal die Methode der Mumifizierung, aber wegen des großen Schadenaufkommens gestaltete diese sich weit aufwändiger als später in Wolfenbüttel und Wuppertal. Und mit 200 Millionen Euro auch teurer, zumal der Staat „nur“ mit 50 Millionen beisprang. Eine fast vier Kilometer lange Sperrwand hegt Europas größte Sondermüll-Deponie nun seitlich ein, und noch immer muss BAYER stündlich 750 Kubikmeter verseuchtes Wasser abpumpen und im werkseigenen Klärwerk reinigen, was jährlich mehrere Millionen Euro kostet.

Ein riesiger Flurschaden, über den der Konzern jetzt Gras wachsen lässt, ganz so wie in den 50er Jahren die Häuser - und zwar im buchstäblichen Sinn. Zum „krönenden“ Abschluss der Sanierung 2005 fand auf dem Gelände nämlich die Landesgartenschau statt. „Neuland entdecken“ lautete das Motto für die Aktion „Giftmüll verdecken“. Zur feierlichen Eröffnung hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN deshalb mit einer Protest-Aktion auf diese Camouflage aufmerksam gemacht.

Schutzgut Boden
Auf diese Weise haben BAYER & Co. mit der Herstellung ihrer Waren und dem, was davon übrig blieb, nach einer Studie der EU von 2007 europa-weit ca. 3,5 Millionen Grundstücke verunreinigt. Zehn Prozent aller Flächen sind „am Boden zerstört“; die Sanierungskosten beziffert die Untersuchung auf 38 Milliarden Euro.

Mehr als 100 Jahre Produktion ohne Rücksicht auf Verluste haben so ihre Spuren hinterlassen. Bedenkenlos haben die Konzerne lange Zeit ihre Abfälle einfach irgendwo abgeladen. Erst seit den 70er Jahren können die Unternehmen nicht mehr rundum sorglos entsorgen. In dieser Zeit entstand nämlich langsam ein Bewusstsein für den Müllhaufen, den die Industrie-Geschichte aufgetürmt hat, und für die Notwendigkeit einer Umkehr. 1972 verabschiedete der Europäische Rat eine Charta, die den Boden zum Schutzgut erhebt. 1978 schließlich tauchte im Sprachgebrauch der Politik zum ersten Mal der Begriff „Altlast“ auf. Aber es sollte noch lange dauern, bis der Bewusstseinswandel sich auch in einem umfassenden Willen zur Veränderung der Situation widerspiegelte, denn erst 1985 veröffentlichte die damalige Bundesregierung eine Bodenschutz-Konzeption. Und noch viel länger dauerte es, bis dieser Wille Gesetzeskraft erlangte: 1998 verabschiedete der Bundestag das Bundesbodenschutzgesetz.

Erbitterter Widerstand
BAYER & Co. haben damals alles Erdenkliche getan, um das Paragraphen-Werk zu verhindern, und sie handeln heute noch genauso, wenn das „Schutzgut Boden“ wieder auf die politische Agenda zu kommen droht. So mobilisieren die Unternehmen seit geraumer Zeit allen erdenklichen Widerstand gegen die geplante EU-Bodenschutzrichtlinie, die angesichts des von den Multis in Tateinheit mit der Landwirtschaft initiierten Flächenbrandes Schadensbegrenzung betreiben will.

Der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) erkennt „keine Wettbewerbsvorteile“ in der Regelung. Sie konterkariert nach Ansicht des Lobbyclubs zudem das EU-Ziel, Bürokratie-Abbau und Deregulierung zu betreiben. Einen Bodenzustandsbericht mögen sich die Unternehmen vor einem Grundstücksverkauf nicht abverlangen lassen, und schon gar nicht sollen ihn die zuständigen Behörden in die Finger bekommen. „Insbesondere diese Einbeziehung von Umweltbehörden in den privaten Grundstücksverkauf ist nach Auffassung der Industrie abzulehnen“, schreibt der BDI in seiner Stellungnahme. Überhaupt sieht der Verband sich zu Unrecht unter „Generalverdacht“ gestellt. Er begrüßt zwar die - nicht zuletzt wegen der Lobby-Aktivitäten von BAYER & Co. erfolgten - zahlreichen Änderungen gegenüber der ursprünglichen Version, beklagt sich jedoch darüber, weiter Hauptadressat der Richtlinie zu sein.

Der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) möchte ebenfalls kein Schadensregister erstellen und bestreitet generell die Zuständigkeit der EU in dieser Angelegenheit. Die Regelung würde „deutsche Chemie-Unternehmen zusätzlich belasten, ohne für den Bodenschutz etwas zu bewirken“, resümiert der VCI.

Und natürlich spricht sich auch der „Dialog Wirtschaft und Umwelt“, eine mit VertreterInnen von BAYER und anderen Konzernen bestückte Nebenregierung der nordrhein-westfälischen CDU/FDP-Koalition, gegen das Vorhaben aus. Da der Boden - ganz im Gegensatz zu den nur auf kurzfristige Profite geeichten Konzernen - ein Langzeitgedächtnis hat, lassen sich 150 Jahre Industrie-Geschichte sowieso nicht mehr wegsanieren, meinen die DialogistInnen. Sie wollen ebenso wenig wie der BDI und der VCI mit den Kontaminationswerten herausrücken und warnen vor einem „erheblichen Vollzugsaufwand“. Auch „spezifische regionale Finanzierungsmodelle für Altlasten“, wie sie BAYER bereits zugute gekommen sind, möchte der „Dialog Wirtschaft und Umwelt“ nicht gefährden und ansonsten alles auf freiwilliger Basis halten. „Die EU-Bodenschutzrichtlinie sollte sich grundsätzlich auf ein Strategie-Papier mit empfehlendem Charakter begrenzen“, so der Dialog.

Die Große Koalition war dieser Wunsch Befehl. Die Bundesrepublik gehörte zu den fünf Ländern, die sich gegen 21 EU-Mitgliedsstaaten stellte und in Brüssel gegen den Entwurf zur Bodenschutz-Richtlinie stimmte. Die CDU/FDP-Regierung setzt diese Obstruktionspolitik fort. So ist das, was die Bodencharta des Europäischen Rates festhält, immer noch nicht in die Köpfe der PolitikerInnen und Wirtschaftsbosse vorgedrungen: „Der Boden ist eines der kostbarsten Güter der Menschheit. Er ist ein fundamentaler Teil der Biosphäre und, zusammen mit der Vegetation und dem Klima, trägt er zur Regulation der Zirkulation bei und bestimmt die Qualität des Wassers.“