Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Veröffentliche Beiträge in “SWB 01/2022”

[SWB 01/2022] BAYER & Co. umgehen EEG-Umlage

CBG Redaktion

Der Milliarden-Betrug

Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) des Jahres 2000 wollte der Bund den Ausbau von Windkraft, Solarenergie & Co. fördern. Dazu sah er eine Abgabe über die Stromrechnung vor. Während aber die Privat-Haushalte ihre EEG-Umlage ordnungsgemäß zahlen, fanden BAYER & Co. mit der Scheibenpacht einen Dreh, um ihren Beitrag massiv zu reduzieren. Acht bis zehn Milliarden Euro sparten sie laut Spiegel auf diese Weise.

Von Jan Pehrke

Es vergeht kaum ein Tag, an dem BAYER & Co. kein vollmundiges Bekenntnis zu Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Klimaschutz im Besonderen abgeben. Wenn es aber an die praktische Umsetzung geht und dabei Kosten anzufallen drohen, dann suchen die Konzerne schnell nach Alternativen. So auch bei der Abgabe, die der Bund im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführt hat, um den Ausbau von Wind- und Wasserkraft, Photovoltaik, Geothermie und Biomasse zu fördern. Während die Privathaushalte und die mittelständische Wirtschaft diese EEG-Umlage mit ihrer Stromrechnung zahlen, fanden die großen Konzerne eine Möglichkeit, ihre Beiträge drastisch zu senken. Und das, obwohl sie als energie-intensive Betriebe oft eh schon Rabatte eingeräumt bekommen.

Als Hebel diente ihnen das Eigenstrom-Privileg. Nach dieser Bestimmung müssen die Multis auf Strom, den sie auf ihren Werksarealen selbst erzeugen, keine EEG-Umlage zahlen. Zwar besitzen viele Unternehmen solche Kraftwerke, aber das reichte den meisten von ihnen nicht. Darum suchten sie nach juristischen Mitteln und Wegen, ihren Bestand zwecks Umlage-Umgehung zumindest pro forma zu vergrößern, mit freundlicher Unterstützung von Beratungsfirmen wie PRICEWATERHOUSECOOPERS (PWC) oder Anwaltskanzleien wie BECKER BÜTTNER HELD (BBH) und FRESHFIELDS BRUCKHAUS DERINGER.

„Scheibenpacht“ hieß das Mittel der Wahl. BAYER & Co. machten sich auf dem Papier zu Pächtern von Kraftwerksanteilen, reklamierten so das Eigenstrom-Privileg für sich und sparten so Unsummen. Auf acht bis zehn Milliarden Euro schätzt der Spiegel die einbehaltenen Beiträge und zieht Parallelen zum Cum-ex-Skandal. Und die Zeche zahlen die Privathaushalte und MittelständlerInnen. „Weil manche Unternehmen wissentlich seit Jahrzehnten ihre Rechnung nicht vollständig zahlen, wird die EEG-Umlage für alle anderen dadurch höher“, kritisiert Ingrid Nestle von Bündnis 90/Die Grünen. Nach „Die Grünen“: Nicht umsonst stieg der Beitrag seit der Einführung im Jahr 2000 kräftig an, von 0,19 auf zuletzt 6,5 Cent pro Kilowattstunde Strom. Nur Zuflüsse aus der CO2-Abgabe für die Sektoren „Verkehr“ und „Gebäude“ in den EEG-Topf vermochten ihn jüngst auf 3,7 Cent zu drücken.

Diese Vermeidungsstrategie, die sich zum Kassenschlager entwickelte und am Ende sogar Krankenhäuser und Kommunen wie Wuppertal in Anschlag brachten, rief schließlich die Bundesnetzagentur auf den Plan. Daraufhin setzte der Gesetzgeber diesem Treiben 2017 mit der Novelle des EEG-Gesetzes ein Ende. Allerdings verpflichtete er die Konzerne nicht zu Nachzahlungen. Zudem ließ er ihnen mit dem § 104 Absatz 4 die Möglichkeit, an ihren Verträgen festzuhalten, wenn sie ihr „Eigenerzeugungskonzept“ als rechtssicher erachteten. Daraufhin dezimierte sich der Kreis der Scheibenpächter beträchtlich, BAYER, DAIMLER, EVONIK und weitere Global Player aber machten einfach weiter wie bisher.

AMPRION vs. BAYER
Dagegen gingen mehrere Übertragungsnetzbetreiber, die sich als „Treuhändler des EEG-Kontos“ verstehen, gerichtlich vor. AMPRION etwa focht das von der damaligen 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA und den HÜTTENWERKEN KRUPP MANNESMANN (HKM) entwickelte Konstrukt an. Nach diesem wurde die Service-Gesellschaft laut Vertrag zu einer „Eigenerzeugerin von Strom“, indem sie zwei „Kraftwerksscheiben“ mit einer Leistung von 150 Megawatt von HKM pachtete. 20 Prozent der Leistung brauchte das Unternehmen für sich selbst, den Rest „verpachtete“ sie an BAYER und andere Firmen weiter.

Auf dem Wege eines zweistufigen Verfahrens wollte AMPRION per Auskunftsklage zunächst in Erfahrung bringen, wie viel Strom CURRENTA von 2014 bis 2018 im fernen Duisburg „eigenerzeugte“, um so die Nachforderungen genau beziffern zu können. Im Zuge dessen prüften die RichterInnen jedoch auch schon die Legitimität des Spar-Modells an sich. Es erwies sich allerdings als ziemlich schwierig, in dem komplizierten Vertragswerk den wahren Strom-Eigentümer aufzuspüren, denn PWC, BBH & Co. hatten ganze Arbeit geleistet. Die JuristInnen beurteilten die Sachlage am Ende danach, wer von den Vertragspartnern letztendlich das unternehmerische Risiko trägt. Als Kriterien dienten dabei unter anderem die Zuordnung der wirtschaftlichen Verantwortung für die Brennstoff-Beschaffung, die Qualitätsprüfung, die Preis-Bildung sowie für etwaige Umweltschäden und Anlage-Ausfallzeiten. Auf dieser Basis fällte das Landgericht Duisburg im Januar 2021 sein Teilurteil, das eindeutig ausfiel: „Unter Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe liegt eine Eigenerzeugung (...) nicht vor.“ Die Klägerin als Übertragungsnetz-Betreiberin sei berechtigt, die anteilige EEG-Umlage zu verlangen, hieß es im RichterInnen-Spruch weiter. Die somit fällige Abgabe hatte AMPRION auf Basis der Liefermengen auch gleich schon errechnet: 41 Millionen Euro. Das erschien dem Gericht allerdings etwas zu hoch, es kam „lediglich“ auf rund 20 Millionen.

In Köln saß BAYER gleich mit auf der Anklagebank und musste eine Niederlage einstecken. Das Landgericht entschied die Auskunftsklage wiederum zugunsten AMPRIONs. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, gab sich der Leverkusener Multi daraufhin zerknirscht, während sich die CURRENTA trotz allem bemühte, Zuversicht auszustrahlen. Man sei überzeugt, dass die Voraussetzungen für eine umlagefreie Eigenstrom-Erzeugung erfüllt seien, betonte das Unternehmen dem Spiegel gegenüber.

Altmaier amnestiert
Aber nicht erst solche Entscheidungen schürten bei den Scheibenpächtern die Angst vor Rückforderungen. Darum wandten sie sich an die Politik und übten Druck auf den damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) aus. Allein der Leverkusener Multi, der 2020 auf seiner Hauptversammlung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gegenüber Betrugsvorwürfe „entschieden“ zurückgewiesen hatte, setzte drei Schreiben in der Sache auf. Die Konzerne beschwörten „nachteilige Folgen für Standorte“ herauf und mahnten Rechtsschutz an. Der „Verband der Chemischen Industrie“ trat dabei gleich in Vorleistung. Er erstellte laut Spiegel „druckreife Entwürfe für Gesetzes-Änderungen und Amnestie-Regelungen“. Auch die Unternehmensberatungen und Anwaltskanzleien mischten sich ein. Unter anderem trafen sie sich mit Bundestagsabgeordneten und VertreterInnen des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) und konnten gar nichts daran finden. Es sei doch ganz normal, sich als langjährige Kenner der Materie mit der Politik auszutauschen, bekundeten die AntichambriererInnen von BBH & Co. scheinheilig.

All diese Lobby-Anstrengungen führten schließlich zum gewünschten Erfolg. Peter Altmaier setzte sich über MitarbeiterInnen im eigenen Haus, die „verfassungs- und beihilferechtliche Risiken“ geltend machten, hinweg und lieferte. Die EEG-Novelle vom Dezember 2020 hielt die bestellte Amnestie-Regelung bereit, „um Rechtsfrieden zu schaffen“, wie es aus dem BMWi heißt. Stattdessen bleibt den Übertragungsnetzbetreibern jetzt nur, sich auf Vergleichslösungen einzulassen. Eine „Kapitulation der Politik“, konstatierte der Spiegel trocken.

Und die Ampel?
„Diesen Paragrafen muss die neue Regierung wieder kippen. Sie darf nicht einfach freiwillig auf viele Milliarden Euro verzichten, um die BAYER & Co. die Klima-Politik trickreich erleichtert haben“, forderte die CBG die Ampel-Koalition auf. Bei den Koalitionsverhandlungen spielte das Thema jedoch keine Rolle. Dementsprechend taucht es auch im fertigen Koalitionsvertrag nicht auf. Dafür strich die neue Regierungskoalition die EEG-Umlage gleich ganz, womit sie eine langjährige Forderung der Multis erfüllte. Ab 2023 läuft die Bezuschussung der Erneuerbaren Energien nicht mehr über den Strom-Preis, sondern über den Bundeshaushalt. Lediglich über die Einnahmen aus dem Handel mit den Verschmutzungsrechten, welche die Konzerne ab einem bestimmten Punkt für den Ausstoß von Kohlendioxid kaufen müssen, findet indirekt noch eine Beteiligung der Industrie statt. Und viel kommt da nicht zusammen, weil nur Heiz- und Kraftwerke, nicht aber Produktionsstätten erfasst sind – BAYER z. B. ist gerade einmal mit fünf Anlagen dabei. Also dürften die SteuerzahlerInnen nun abermals den Großteil der Kosten tragen, lediglich die Zahlstelle ändert sich.
Aber vielleicht bewegt sich in Sachen „Umlage-Nachzahlungen“ ja doch noch was, obwohl die FDP sich schon dagegen ausgesprochen hat. Die Grünen gaben nämlich nicht nur ein Rechtsgutachten über die Möglichkeit, den Amnestie-Passus zu kippen, in Auftrag, sie fühlen sich auch durch neue Scheibenpacht-Entscheidungen der Gerichte in dem Ansinnen bestärkt, die Unternehmen doch noch zur Kasse zu bitten. Der neue Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Krischer, erklärte dem Spiegel gegenüber, die „bisherigen Urteile, insbesondere des OLG Düsseldorf, sind ermutigend, dass die Energiewende doch noch gerecht finanziert werden kann.“

[SWB 01/2022] Ticker Beilage zu Stichwort Bayer 1/22

CBG Redaktion

Kurzmeldungen zu einem multinationalen Chemiekonzern

AKTION & KRITIK

CBG-Jahrestagung 2021
„Profit für wenige oder Gesundheit für alle? – Corona & Big Pharma“ – so lautete 2021 das Thema der Jahrestagung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Max Klein von der BUKO PHARMA-KAMPAGNE widmete sich in seinem Eingangsvortrag der Schlüsselfunktion, die bei dieser Frage den Patenten zukommt. Sie sichern den Pillen-Riesen exorbitante Gewinne, während sie gleichzeitig den Bedürftigen den Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln verwehren. Der BUKO-Aktivist machte dies am Beispiel der Kontroverse um BAYERs Krebs-Präparat NEXAVAR in Indien deutlich. Da die meisten PatientInnen dort nicht genug Geld für das Medikament haben, erhielt NATCO PHARMA per Zwangslizenz die Erlaubnis, eine preisgünstige Version des Präparats herzustellen, wogegen der Leverkusener Multi sofort – und vergeblich – klagte. Klein zitierte zur Veranschaulichung des Zynismus, mit dem die Pillen-Produzenten agieren, den damaligen BAYER-Chef Marijn Dekkers. „Wir haben diese Arznei nicht für Inder entwickelt (...) Wir haben sie für westliche Patienten entwickelt, die sie sich auch leisten können“, hatte er freimütig erklärt. An dieser Politik hielten BAYER & Co. auch in Zeiten von COVID-19 fest und fanden in der Bundesregierung einen mächtigen Verbündeten zum Schutz des geistigen Eigentums. Vehement stemmt sich diese zurzeit bei der Welthandelsorganisation dagegen, die Patente für Impfstoffe und andere Medizin-Produkte zur Bekämpfung der Pandemie aufzuheben. Standort-Politik für die mRNA-Impfstoffe made in Germany heißt stattdessen das Gebot der Stunde. „Wir wollen gerne mRNA-Hub werden auch für die Welt und für Europa“, zitierte Max Klein den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn. Diese mRNA-Impfstoffe schaute sich dann Isabelle Bartram vom GEN-ETHISCHEN NETZWERK ein wenig genauer an. Sie schilderte die Geschichte ihrer Entwicklung, ihre Wirkungsweise, bewertete ihre Risiken und Nebenwirkungen und plädierte schließlich für Impfungen – „bei allen großen Fragezeichen“. Anschließend gab es einen Einblick in die praktischen Bemühungen, die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Matthias Grzegorczyk berichtete von der Arbeit der VOLKSINITIATIVE KRANKENHAUS NRW, die in Kooperation mit ver.di dafür streitet, die Arbeitsbedingungen für die KrankenpflegerInnen zu verbessern und sich gegen die immer stärkere Durchökonomisierung dieses Bereichs zu wehren. Dafür unterstützt sie beispielsweise die Arbeitskämpfe in den Kliniken. Zudem sammeln Grzegorczyk und seine MitstreiterInnen Unterschriften, um die katastrophale Situation in den Hospitälern auf die Tagesordnung des nordrhein-westfälischen Landtags zu setzen. Und tatsächlich führten die gemeinsamen Anstrengungen zu einigen Erfolgen. So gelang es bereits, 17 „Tarifverträge Entlastung“ durchzusetzen und damit die Krankenhaus-Träger in ihre Schranken zu verweisen, welche die Arbeitsorganisation stets als ihr alleiniges Recht betrachteten. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann beleuchtete schließlich die Rolle, die BAYER in der Corona-Pandemie spielt bzw. nicht spielt. Wie viele andere Pharma-Riesen zeigte der Konzern sich nämlich laut Stelzmann gar nicht mehr in der Lage, schnell auf den Virus zu reagieren, denn er hatte die für die Entwicklung von Pharmazeutika gegen COVID-19 relevanten Gebiete „Infektionskrankheiten und „Atemwegserkrankungen“ längst aufgegeben. Stattdessen konzentrierte sich das Unternehmen im Zuge eines Strategiewechsels auf nur noch wenige besonders lukrative Felder wie Krebs-Therapeutika. So blieb in Sachen „SARS-CoV-2“ nur die Kooperation mit anderen Herstellern. Der Leverkusener Multi stellte sich CURE-VAC als verlängerte Werkbank zur Produktion des Impfstoffes CVnCoV zur Verfügung. Aber selbst das zerschlug sich nach den enttäuschenden Test-Ergebnissen des Vakzins. Zu sämtlichen Vorträgen entwickelten sich lebendige und teils auch kontroversen Diskussionen über die Pandemie, den politischen und medizinischen Umgang damit und über die sozialen und kulturellen Nebenwirkungen. Aber laut wurde es nicht, denn es gab einen Grund-Konsens: Bei BAYER & Co. ist die gegenwärtige gesundheitliche Krise nicht in guten Händen.

CBG-Statement zur Gentech-Regulierung
Die Europäische Union will die neuen Verfahren zur Manipulation des Erbguts nicht mehr nach Maßgabe der Richtlinie für gentechnisch veränderte Organismen regulieren. Stattdessen kündigte sie an, bis 2023 für Genscheren wie CRISPR/Cas und vergleichbare Methoden einen Rechtsrahmen mit lascheren Schutzbestimmungen zu schaffen. Im Zuge dieses Prozesses rief die EU BürgerInnen und Organisationen dazu auf, Stellungnahmen zu dem Vorhaben abzugeben. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nahm das wahr und kritisierte die Pläne in einer Eingabe. Insgesamt gingen in Brüssel 70.894 Statements zu den „Rechtsvorschriften für Pflanzen, die mithilfe bestimmter neuer genomischer Verfahren gewonnen werden“, ein.

Patente: CBG unterschreibt Petition
BAYER & Co. melden immer mehr Patente auch auf solche Pflanzen an, die nicht mit Hilfe der Gentechnik, sondern mittels konventioneller Verfahren entstanden sind, obwohl die Gesetze das eigentlich verbieten. So macht der Leverkusener Multi unter anderem geistiges Eigentum auf eine herbizid-resistente Mais-Art, auf Pflanzen mit einer erhöhten Stress-Resistenz und auf eine Methode zur Erhöhung des Zucker-Gehaltes von Zuckerrohr geltend. Zudem reichte er beim Europäischen Patentamt (EPA) Anträge auf Gewährung von Schutzrechten für Tomaten, Gurken, Melonen, Salat und Kohlgewächse ein. Dadurch droht die Kon-trolle über die gesamte Lebensmittel-Produktion in die Hände der Agro-Riesen zu fallen. Das Netzwerk KEINE PATENTE AUF SAATGUT fordert die Politik deshalb zum Handeln auf. „Die Minister-Innen der Vertragsstaaten des EPA sollen sich binnen eines Jahres treffen und wirksame Maßnahmen gegen Patente aus konventioneller Zucht von Pflanzen und Tieren ergreifen“, heißt es in dem Aufruf, den die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN mitunterzeichnete.

Petition an FAO-Direktor übergeben
Die Vereinten Nationen und ihre Unter-Organisationen geraten immer mehr unter den Einfluss der Konzerne. So vereinbarte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO eine Partnerschaft mit „Croplife International“, dem weltweit agierenden Lobby-Verband von BAYER & Co. Aus Protest dagegen hatte das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) im Februar 2021 einen Offenen Brief initiiert, den mehr als 350 Organisationen, darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN CBG), unterschrieben haben. Aus diesem sowie aus einem weiteren Schreiben ging dann eine Petition hervor, die mehrere Initiativen am 3. Dezember dem FAO-Generaldirektor Qu Dongyu übergaben. Dabei wählten sie das Datum bewusst. Es handelte sich nämlich um den International Day of No Pesticide Use“ – den alljährlichen Gedenktag an die Bhopal-Katastrophe vom 3.12.1984.

Explosion: Kritik eines BAYER-Werkers
Im September 2021 war der Rundfunk-Sender WDR 5 vor Ort in Leverkusen und widmete sein „Stadtgespräch“ der Explosion vom 27. Juli. Und da bekamen CURRENTAs Chem„park“-Leiter Lars Friedrich und die NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ganz schön was zu hören. Eine katastrophale Informationspolitik, eine unzureichende Anlagen-Kontrolle, Mängel bei den Schadstoff-Messungen nach der Explosion – so nur einige der Vorwürfe. Auch ein Vertreter der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) meldete sich zu Wort und fragte Friedrich, ob die CURRENTA trotz der verheerenden Auswirkungen der Detonation weiterhin aus Profit-Gründen Müll aus aller Herren Länder zur Entsorgung annehmen wolle. Antwort: Der Anteil des Abfalls, der nicht vom Gelände selbst stammt, betrage doch „nur“ 30 Prozent. Besonders schwer wog an dem Abend die Kritik eines ehemaligen BAYER-Werkers. Peter Odenthal hatte in der Abteilung für Umweltanalytik gearbeitet und pflichtete dem CBGler bei. Für solche grenzüberschreitenden Abfall-Geschäfte wären die Vorrichtungen des Entsorgungszentrums gar nicht ausgelegt gewesen, so Odenthal. Vor allem aber warf er dem obersten Chemparker Verharmlosung vor. „Die Straße war mit Tropfen übersät, und meine Haut hat gebrannt“ berichtete er. „Bei uns in der Nachbarschaft sind die Dächer kaputt, die Regenrinnen sind kaputt, die Autos sind beschädigt (...), die Pflanzen sind beschädigt, und dann reden Sie mir nicht davon, dass keine Gefahr besteht. In diesem Bereich war unmittelbar eine enorme Belastung“, führte der Ex-BAYER weiter aus. Er hatte sogar seine Hilfe angeboten und selbst Proben gesammelt. Vergeblich aber wartete der Pensionär auf einen Rückruf aus der Analytik-Abteilung von CURRENTA. „Zynisch bis zum letzten Tag“ nannte Odenthal den Umgang des Managers mit der Explosion und schloss: „Wir glauben Ihnen in Summe kein Wort mehr.“

KAPITAL & ARBEIT

BAYER schließt Arznei-Anlage
Der Pharma-Multi fertigt in Leverkusen keine Flüssig-Arzneien mehr; er stellt die sogenannten Parenteralia bloß noch am Standort Berlin her. Anfang August 2021 gab der Konzern die Schließung der Anlage an seinem Stammsitz bekannt. Viele ZeitarbeiterInnen, die dort langjährig tätig waren, ohne vom Pillen-Riesen übernommen zu werden, verloren dadurch ihre Jobs.

WUXI kauft BAYER-Anlagen
Die Risiken und Nebenwirkungen des MONSANTO-Deals wie z. B. die Schadensersatz-Ansprüche von Glyphosat-Geschädigten zwangen BAYER Ende 2018 zu einem Spar-Programm, das 12.000 Arbeitsplätze vernichtete. Im Zuge dessen stellte er in Wuppertal auch die in einer neu errichteten Anlage gerade erst angelaufene Fertigung des Bluter-Präparats KOVALTRY ein. Der Pharma-Riese verkaufte die Produktionsstätte Ende 2020 an das chinesische Unternehmen WUXI BIOLOGICS. Dieses hatte zuvor schon den für KOVALTRY in Leverkusen vorgesehenen Weiterverarbeitungsbetrieb übernommen.

NORD & SÜD

Mehr MIRENA für den globalen Süden
„Fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als hundert für das Wirtschaftswachstum investierte Dollar“, sagte einst der ehemalige US-Präsident Lyndon B. Johnson über seine Vorstellung von „Entwicklungshilfe“. Zur großen Befriedigung BAYERs erfreut sich diese Art von Bevölkerungspolitik auch heute noch großer Beliebtheit. Die „gigantischen Fruchtbarkeitsmärkte“ in den armen Ländern versprechen nämlich gute Absatz-Chancen für die Verhütungsmittel des Konzerns. Bevorzugt arbeitet er bei der Vermarktung mit staatlichen oder privaten Entwicklungshilfe-Organisationen zusammen, die – gegen Preis-Nachlass – langfristige Lieferverträge garantieren. Im Juli 2021 konnte der Pharma-Riese zwei Geschäfte dieser Art abschließen. Die US-amerikanische Entwicklungsagentur „United States Agency for International Development“ (USAID) und der „United Nations Population Fund“ nahmen das Langzeit-Verhütungsmittel MIRENA in ihren Produkt-Katalog auf. Der von dem Millionär John Rockefeller III 1952 ins Leben gerufene „Population Council“ (PC) hatte diese Hormon-Spirale kreiert und ihre Entwicklung gemeinsam mit der jetzigen BAYER-Tochter SCHERING vorangetrieben. Das sogenannte hormonelle Intrauterin-System hat erhebliche Nebenwirkungen wie Brustkrebs, nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen und Unruhe. Auch Schlaflosigkeit, Bauchkrämpfe, Oberbauchschmerzen und Gebärmutter-Verletzungen zählen dazu. Fast 3.000 Klagen von Geschädigten erhielt der Leverkusener Multi deshalb bereits. Das allerdings ficht BAYERs obersten Öffentlichkeitsarbeiter Matthias Berninger nicht an. „‚Der United Nations Population Fund’ und die ‚United States Agency for International Development’ haben vor kurzem ein hormonelles Intrauterin-System von BAYER in ihre jeweiligen Produkt-Kataloge aufgenommen. Dies ist ein großer Fortschritt bei der Bereitstellung von zusätzlichen Verhütungsoptionen für Frauen und Familien in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommensniveau“. Nicht die bettelarmen Staaten will der Leverkusener Multi also beglücken, sondern „Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommensniveau“. Die ManagerInnen reden da auch gerne von den „Low-Income Markets“. Und die versprechen durchaus einträgliche Geschäfte. Die vom Pillen-Riesen SANOFI gesponserte und vom „Bundeswirtschaftsministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“herausgegebene Expertise „Bringing Medicines to Low-income Markets“, an der Annette Wiedenbach von BAYER als eine der ExpertInnen mitwirkte, frohlockte bereits im Jahr 2012: „Diesen Markt haben sich die Pharma-Firmen noch kaum erschlossen.“ Daran macht sich der Global Player nun. Um die gesteigerte Nachfrage zu bewältigen, investiert er rund 400 Millionen Euro in die Errichtung einer neuen Fabrik in Costa Rica und den Ausbau der Produktionskapazitäten am finnischen Standort Turku.

POLITIK & EINFLUSS

Glyphosat-Studie im EPA-Giftschrank
Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA hat vor einigen Jahren eine Expertise, die den Zusammenhang zwischen Glyphosat und bestimmten Arten von Lymphdrüsen-Krebs untersuchte, im Giftschrank verschwinden lassen. Das deckte die Journalistin Sharon Lerner auf, die das Ergebnis ihrer Recherchen in dem Internet-Magazin The Intercept veröffentlichte. „Die verfügbaren epidemiologischen Studien liefern überzeugende Belege für einen Zusammenhang zwischen einer Glyphosat-Exposition und einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome“, heißt es in dem Behörden-Dokument. In die abschließende Beurteilung des Herbizids floss diese Auswertung von 14 Studien jedoch nicht ein. Die „Environment Protection Agency“ behandelte die Arbeit damals als geheime Verschlusssache. Lerner zufolge vermochte es die Umweltschutz-Agentur nicht, „sich gegen den Druck der mächtigen agro-chemischen Unternehmen, die jährlich Dutzende von Millionen von Dollar für Lobbyarbeit ausgeben und viele ehemalige EPA-Wissenschaftler beschäftigen“ zu stellen. Die jetzige US-Regierung hat nun mit Michael S. Regan jedoch einen neuen Direktor eingesetzt, der Besserung gelobt. Tatsächlich begannen auch interne Revisionen. So räumte die Agency bereits gravierende Mängel bei der Zulassung des Pestizids Dicamba ein, das unter anderem von BAYER und der BASF vertrieben wird. Auch kündigte sie an, mögliche schädliche Auswirkungen von Glyphosat auf bestimmte Schmetterlingspopulationen neu zu prüfen und die Gefahr detaillierter zu analysieren, die bei der Ausbringung des Herbizids durch Verwehungen auf teilweise weit entfernte Ackerflächen droht. Zugleich hält die EPA jedoch an ihrer Einstufung des Mittels als gesundheitlich unbedenklich fest.

EU will Gentech 2.0 deregulieren
Im Juli 2018 hatte der Europäische Gerichtshof die neue Gentechnik den alten gentechnisch veränderten Organismen (GVO) gleichgestellt. Die RichterInnen kamen in einem Grundsatz-Urteil zu dem Schluss, „dass sich die mit dem Einsatz dieser neuen Mutagenese-Verfahren verbundenen Risiken als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO im Wege der Transgenese auftretenden Risiken erweisen könnten“. Deshalb lehnten sie es ab, Genscheren wie CRISPR/Cas und anderen Verfahren Sonderregelungen einzuräumen. „Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen“, lautete ihr Votum. Dagegen liefen BAYER und die anderen Agro-Riesen Sturm, was bei der Europäischen Union nicht ohne Folgen blieb. Sie gab eine Studie zu dem Thema in Auftrag, um wieder Handlungsspielraum zu bekommen. Und wie erwartet machte die im April 2021 vorgelegte Untersuchung dann Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen durch eine allzu strenge Regulierung aus und plädierte für einen lockereren Umgang mit den neuen Technologien. „Jede weitere politische Maßnahme sollte darauf abzielen, die Vorteile der Innovation zu nutzen und gleichzeitig auf Bedenken einzugehen. Eine rein sicherheitsbasierte Risiko-Bewertung reicht möglicherweise nicht aus (...)“, heißt es in der Zusammenfassung. Das lieferte der Europäischen Union die erwünschte Vorlage dafür, bis zum Jahr 2023 einen neuen Rechtsrahmen für die Gentechnik 2.0 zu schaffen. Im Zuge dieses Prozesses rief sie BürgerInnen und Organisationen dazu auf, ihre Meinung zu dem Vorhaben kundzutun, was die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auch nutzte (siehe AKTION & KRITIK).

Kein Geld mehr für die RAGA
Der BAYER-Konzern hatte den Sturm auf das Washingtoner Kapitol vom 6. Januar 2021 nach Recherchen der taz durch Spenden an den „Verband der republikanischen Generalstaatsanwälte“ (RAGA) mitfinanziert (Ticker 2/21). 50.000 Dollar zahlte seine Tochter-Gesellschaft MONSANTO 2020 der RAGA, dessen Unterorganisation „Rule of Law Defense Fund“ massiv zu Aktionen an dem Tag mobilisierte. Nach dieser Enthüllung stoppte der Leverkusener Multi die Überweisungen nicht etwa sofort, er erklärte stattdessen, eine weitere Förderung von einer internen Untersuchung der RAGA zu den Vorgängen abhängig zu machen. Im Mai gab der Agro-Riese dann per Twitter seine Entscheidung bekannt: „Bei der RAGA fehlt eine kritische Aufarbeitung der Rolle des mit ihr verbundenen „Rule of Law Defense Fund“ beim Sturm auf das Kapitol. Daraus ziehen wir die Konsequenz.“

Online-HV: BAYER noch unentschieden
Schon lange vor Corona hatten BAYER & Co. mit der Abkehr von Präsenz-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen besser vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit dazu, was BAYER als erster DAX-Konzern nutzte. Im September 2021 erteilte der Gesetzgeber den Unternehmen nun das Recht, auch im nächsten Jahr wieder ins Virtuelle zu flüchten. Es blieb bei einer Mahnung, dabei besonnen vorzugehen: „Auch wenn die Erleichterungen somit noch bis einschließlich 31. August zur Verfügung stehen, sollte von diesem Instrument im Einzelfall nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemie-Geschehens und im Hinblick auf die Teilnehmer-Zahl der jeweiligen Versammlung erforderlich erscheint.“ Unmittelbar nach dem Beschluss erklärte der Global Player auf Anfrage des Leverkusener Anzeigers, es stehe noch nicht fest, ob er sich für eine Online-HV entscheiden werde.

CORONA & CO.

Aus für CUREVAC-Impfstoff
Der Corona-Impfstoff des BAYER-Partners CUREVAC erreichte bei den Tests nur eine Wirksamkeit von 48 Prozent. Offensichtlich reichte bei CVnCoV die Dosierung nicht aus. Eine stärkere Konzentration konnte das Tübinger Unternehmen jedoch nicht vornehmen, ohne heftige Nebenwirkungen zu provozieren. Anders als MODERNA und BIONTECH hatte CUREVAC den Wirkstoff nämlich nicht chemisch verändert, um ihn ungefährlicher zu machen. Besonders bei Älteren schlug das Vakzin nicht in gewünschter Form an. Zunächst wollte die Tübinger Firma nach der Devise „Was nicht passt, wird passend gemacht“ vorgehen und Studien – etwa durch die Einbeziehung besonders junger Proband-Innen – neu konzipieren, Mitte Oktober entschied das Management sich jedoch um. Es verkündete das Aus für das Pharmazeutikum und gab bekannt, zukünftig allein auf seinen Impfstoff der zweiten Generation zu setzen, für den die Firma sich GLAXOSMITHKLINE als Partner auserkoren hat. Die Lieferverträge mit der Europäischen Union fallen jetzt flach. Die Vorabzahlungen der EU in Höhe von 450 Millionen Euro muss CUREVAC aber ebenso wenig zurückzahlen wie die 196 Millionen Euro aus dem Fördertopf des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Kooperation mit BAYER liegt jetzt ebenfalls auf Eis. Ursprünglich hatte die Aktien-Gesellschaft vor, 160 Millionen Dosen CVnCoV herzustellen. 30 Beschäftigte stellte sie dafür ein. Aber nun heißt es aus der Unternehmenszentrale: „Es gibt keinen Gegenstand mehr, auf den sich die Partnerschaft beziehen könnte.“ Die Anlage für die Corona-Arznei hatte der Konzern noch gar nicht gebaut, weshalb sich die Unkosten in Grenzen halten und eine Fertigung für andere Vakzin-Anbieter nicht in Frage kommt. Entsprechende Hoffnungen der nordrhein-westfälischen Landesregierung enttäuschte der Pharma-Riese. Ursprünglich hatte Ex-Ministerpräsident Armin Laschet noch ganz andere Pläne und bei der Bekanntgabe der Zusammenarbeit frohlockt: „Der Einstieg der BAYER AG in die Impfstoff-Produktion ist ein weiterer wichtiger Schritt im Kampf gegen das Virus. NRW will zu einem Zentrum der mRNA-Technologie werden.“ Beim Leverkusener Multi heißt es jetzt lediglich unverbindlich: „Wir schauen uns die mRNA-Technologie grundsätzlich weiter an, setzen aber vor allem auf die Gen- und Zelltherapie.“ Und für die 30 Neueingestellten hat er bereits andere Aufgaben gefunden.

CUREVAC forcierte Staatsbeteiligung
Im Juni 2020 erwarb der Bund 23 Prozent der Anteile an BAYERs zeitweiligem Impfstoff-Partner CUREVAC (s. o.). Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) begründete diesen Schritt mit der Notwendigkeit, „elementare Schlüsselindustrien am Standort zu erhalten und zu stärken“ und die industrielle Souveränität Deutschlands zu wahren. „Deutschland steht nicht zum Verkauf“, so Altmaier. Vorher hatte es Gerüchte um einen Börsengang von CUREVAC in den USA sowie um das Bemühen Donald Trumps gegeben, die Firma ganz in die USA zu locken. Diese Gerüchte hat CUREVAC bewusst geschürt, um staatliche Gelder zu erhalten. Das hat die Initiative FRAG DEN STAAT enthüllt, die eine Anfrage auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes stellte und so Einsicht in den Briefverkehr des Unternehmens mit der Bundesregierung erhielt. „Ich möchte gerne den Technologie-Transfer unserer proprietären Produktion in die USA und den Abzug der Impfdosen aus Tübingen verhindern, deswegen wende ich mich nochmals an Sie“, so unterlegte das Management die Bitten um Geld. Auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) lobbyierte für die finanzielle Unterstützung CUREVACs. Er wandte sich in einer E-Mail persönlich an den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und warnte ebenfalls vor einer Abwanderung der Firma in die USA, falls die Euros ausblieben.

BAYER prüft Impfpflicht in US-Werken
Der BAYER-Konzern prüft, in seinen US-amerikanischen Niederlassungen eine Impfpflicht zu erlassen. „Es wird auch bei uns in den USA darüber diskutiert, es gibt aber derzeit keine Entscheidung in dieser Richtung“, bekundete ein Sprecher des Unternehmens.

Geimpfte und Nicht-Geimpfte getrennt
Der BAYER-Konzern trennt in seinen Kantinen Geimpfte und Nicht-Geimpfte voneinander und betritt damit eine rechtliche Grauzone. Unternehmen ist es nämlich nicht gestattet, sich nach dem Impf-Status der Beschäftigten zu erkundigen, denn Gesundheitsdaten unterliegen einem besonderen Schutz. Nur für Krankenhäuser, Pflege-Einrichtungen, Schulen und Kita gelten laut Infektionsschutz-Gesetz Ausnahme-Bestimmungen. Der Leverkusener Multi betont allerdings, die Regelung „in enger Absprache mit den Betriebsräten“ getroffen zu haben. Und der Agro-Riese hat noch einen Dreh gefunden, die Vorschriften zu unterlaufen: Er überlässt die Angelegenheit einfach den Belegschaftsangehörigen. „Selbstorganisierte Gruppen, zum Beispiel in Mehrpersonen- oder Großraumbüros, in Laboren oder Teilbereichen der Produktion, können unter freiwilliger Anwendung der 2G-Regel ohne Abstand und Maske zusammenarbeiten oder Arbeitsmeetings in Präsenz durchführen“, erklärt der Global Player.

BAFIN prüft InsiderInnen -Geschäfte
Mitte Juni gab die Biotech-Schmiede CUREVAC, mit der BAYER in Sachen „Corona-Impfstoff“ einen Kooperationsvertrag abgeschlossen hatte, enttäuschende Test-Ergebnisse für seinen Vakzin-Kandidaten bekannt. Unmittelbar danach stürzten die Aktien des Unternehmens ab. Das rief die Finanzaufsicht BAFIN auf den Plan. Die Behörde leitete ein Prüfverfahren ein, um zu eruieren, ob ManagerInnen der beiden Konzerne ihr InsiderInnen-Wissen nutzten und kurz vor Schluss noch einmal Kasse machten. Die Tübinger Firma stritt das jedoch vehement ab und verwies auf einen schon weit vorher festgelegten Verkaufstermin: „Es besteht daher keine logische Kausalität zwischen den beschriebenen Transaktionen und aktuellen Firmen-Entwicklungen bei CUREVAC.“

BAYERs Patent-Lobbyismus
Nur 0,5 Prozent der verfügbaren Impfstoffe gegen COVID-19 landeten in den ärmeren Ländern, wie Max Klein von der BUKO PHARMA-KAMPAGNE auf der letzten CBG-Jahrestagung Anfang Oktober darlegte. Um eine gerechtere Verteilung der Vakzine zu gewährleisten, fordern diese Staaten deshalb eine Aufhebung der Patente. Dagegen sträuben sich die Pharma-Unternehmen – unterstützt von der Bundesregierung – jedoch vehement. So bekundete BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich auf der letzten Hauptversammlung des Leverkusener Multis: „Bei der Bekämpfung einer solchen Pandemie geht es in erster Linie darum, den Menschen so schnell wie möglich und auch unbürokratisch zu helfen. Dabei stehen Fragen des Patentschutzes zunächst nicht im Vordergrund. Davon unabhängig gilt, dass der Schutz des geistigen Eigentums als Anreiz für die Entwicklung neuer Arzneimittel unverzichtbar ist. Dies ist die Basis dafür, dass es heute mit Hilfe neuer Technologien in Rekordzeit entwickelte Impfstoffe überhaupt gibt. Ohne Rechte an geistigem Eigentum würden die Impfstoffe gegen Covid-19 nämlich nicht existieren.“ Und solchen Worten folgen auch Taten, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ hervorgeht. So nahm Oelrich in Sachen „Patente“ an einer Videokonferenz des Bundeskanzleramts teil, und auch in einer zweiten zum Thema war ein Emissär des Konzerns vertreten. Bei einem „Zukunftsdialog“ zu der Frage, den das Bundeswirtschaftsministerium initiierte, durfte der Pharma-Riese selbstverständlich ebenfalls nicht fehlen. Überdies gab es telefonische Kontakte mit dem Staatssekretär Andreas Feicht. Und am 23. Juni kam es sogar zu einem persönlichen Treffen von BAYER-ManagerInnen mit Kanzleramtschef Helge Braun.

BAYER & Co. wollen „Studienreform“
Für die klinische Erprobung der verschiedenen Impfstoffe und Medikamente gegen Corona gab es beschleunigte Verfahren. Beispielsweise wurden die verschiedenen Phasen der Prüfungen zusammengelegt. Infolgedessen kamen in der praktischen Anwendung viele Nebenwirkungen zum Vorschein, die in den Tests unbemerkt blieben. So ging die Europäische Arzneimittel-Agentur unter anderen Hinweisen auf vermehrt auftretene Fälle von Herzmuskel-Entzündungen, Herzbeutel-Entzündungen, Embolien, Thrombosen, Blutungsstörungen, Nierenstörungen und Augenleiden nach. BAYER & Co. aber wollen trotzdem die Ungunst der Stunde nutzen, um generell weniger Auflagen für Pharma-Tests durchzusetzen. „Für klinische Studien ist es wichtig, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, dass es von der Planung bis zur Studie schneller losgehen kann“, sagt etwa BAYER-Managerin Heike Prinz. Und der vom Leverkusener Multi gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ sekundiert: „Die Vielzahl der nötigen Genehmigungen und Zustimmungen, insbesondere bei Datenschutz und Ethik, macht alles sehr bürokratisch, aufwendig und manchmal auch langsam.“

Kein Antikörper-Impfstoff mit BAYER
Der BAYER-Konzern hatte sich an einer Kooperation zur Entwicklung eines Antikörper-Vakzins gegen Corona beteiligt. Gemeinsam mit CORAT THERAPEUTICS und dem „Fraunhofer-Institut für Toxikologie und experimentelle Medizin“ wollte er ein Vakzin auf Antikörper-Basis entwickeln, das als sogenannter Passiv-Impfstoff die Ausbreitung der Krankheit bei schon Infizierten eindämmt. Der Beitrag des Leverkusener Multis zum Verbund bestand darin, CORAT Zugriff auf seine Prozessentwicklungsplattform zu gewähren. Im März 2021 aber kündigte das Unternehmen seine Zusammenarbeit mit den beiden Partnern auf. Offenbar hatte es sich damals entschieden, ganz auf die Impfstoff-Liason mit CUREVAC zu setzen.

Zweite Karriere für BAYER-Mittel?
Zu schweren Verläufen von Corona kommt es zumeist durch eine Überreaktion des Immunsystems, die auch zu einer Schädigung gesunder Zellen führt. Bei Versuchen, dies zu verhindern, stießen WissenschaftlerInnen des „Berlin Institute of Health“ auf eine alte BAYER-Substanz. Als Mittel gegen chronische Entzündungskrankheiten scheiterte das Präparat, das Chemokine – Botenstoffe des Immunsystems – blockiert, einst. Nun hoffen die ForscherInnen auf bessere Resultate bei COVID-19. Die vom Bundesforschungsministerium mit 3,5 Millionen Euro geförderte klinische Studie beginnt direkt mit der zweiten Phase; die Herstellung der Prüfsubstanz hat der Leverkusener Multi übernommen.

DRUGS & PILLS

BAYER setzt auf Krebsmittel
Therapeutika gegen Krebs werfen im Arznei-Bereich mit am meisten Geld ab, obwohl diese Pharmazeutika die Überlebenszeit der PatientInnen zumeist nur um wenige Monate verlängern. So kostet etwa eine Behandlung mit BAYERs Tumor-Präparat VITRAKVI schlappe 32.800 Dollar pro Monat. Solche Profit-Aussichten veranlassen den Konzern nun, die Sparte auszubauen. „Es ist unser Ziel und unser Anspruch, dass wir in diesem Feld bis 2030 zu den „Top-Ton“-Pharmaunternehmen gehören“, verkündete BAYERs Forschungsleiter Christian Rommel. Momentan nimmt der Global Player Rang 14 ein. Aus eigener Kraft will er den Aufstieg allerdings nicht bewerkstelligen. Der Leverkusener Multi setzt dabei auf externe Kooperationen.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat-Absatz wächst
In Deutschland legt der Glyphosat-Absatz wieder zu. Während die Zahlen zwischen 2015 und 2019 von 4.315 Tonnen auf 3.059 Tonnen sanken, stiegen sie im Jahr 2020 auf 3.773 Tonnen an – eine Steigerung um fast 25 Prozent.

Glyphosat verseucht Nudeln
In vielen Teigwaren finden sich Glyphosat-Spuren. Das Magazin Ökotest untersuchte 19 Spaghetti-Marken und spürte in elf von ihnen Reste des Pestizids auf. Während keines der fünf untersuchten Bio-Fabrikate mit dem umstrittenen Herbizid verunreinigt war, galt das nur für drei der konventionell hergestellten Produkte.

Glyphosat verseucht Wälder
Der Einsatz von BAYERs Glyphosat in der Forstwirtschaft Kanadas verursacht weitreichende Schäden. Hatte ein ForscherInnen-Team um Nicole Botten von der „University of Northern British Columbia“ noch ein Jahr nach der Ausbringung Rückstände des Herbizids in Himbeeren und Heidelbeeren nachgewiesen (Ticker 4/21), so machten ihre KollegInnen Alexandra R. Golt und Lisa J. Wood nun negative Effekte auf Unterholz-Sträucher wie Stachel-Rosen aus. Laut der Studie hemmte das Pestizid die Verbreitung der Pflanze, sorgte für eine verminderte Größe der Pollen und schränkte deren Überlebensfähigkeit ein. Das gefährdet nach Ansicht der beiden WissenschaftlerInnen die gesamte Artenvielfalt des Waldes. Der BAYER-Konzern hingegen will von all dem nichts wissen. „Unsere glyphosat-basierten Produkte wurden von den Zulassungsbehörden in Kanada und weltweit gründlich geprüft, um sicherzustellen, dass alle zugelassenen Anwendungen der Produkte die Umwelt schützen, einschließlich der Nicht-Zielpflanzen“, bekundete Konzern-Sprecher Utz Klages. Dabei verwies er auch auf eine Untersuchung der Forstbehörde, die ihm zufolge zu dem Schluss kam, „dass Glyphosat, wie es in der kanadischen Forstwirtschaft verwendet wird, kein inakzeptables Risiko für natürliche Lebensräume, Wildtiere oder die Umwelt darstellt“.

Glyphosat-Regelungen in Kraft
Im September 2021 trat ein Gesetzes-Paket zum Insektenschutz in Kraft, das auch Maßnahmen zur Einschränkung des Pestizid-Gebrauchs umfasst. Für Glyphosat sehen die Bestimmungen ein Verbot nur für die Anwendung im Privatbereich und auf öffentlichen Grünflächen vor, die mengenmäßig kaum ins Gewicht fällt. Für das Ausbringen auf Äckern lassen Merkel & Co. hingegen zahlreiche Ausnahmen zu. So darf das Mittel gegen nicht wenige Wildkräuter nach wie vor zum Einsatz kommen. Auch wenn das Pflügen, die Wahl einer geeigneten Fruchtfolge oder eines geeigneten Aussaat-Zeitpunkts nicht möglich ist, bleibt das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Herbizid bis 2023 erlaubt. Erst dann erfolgt das Aus – und das auch nur unter Vorbehalt. Wenn die EU Glyphosat bis dahin nämlich nicht aus dem Verkehr zieht, wackelt auch der Beschluss der Bundesregierung. „Sollten sich in diesem Zusammenhang Änderungen der Dauer der Wirkstoff-Genehmigung ergeben, ist das Datum des vollständigen Anwendungsverbots gegebenenfalls anzupassen“, hält die „Pflanzenschutzanwendungsverordnung“ fest. Die anderen Vorgaben zur Handhabung der Ackergifte erweisen sich ebenfalls als unzureichend. Sie beschränken sich auf Maßnahmen zur Eindämmung des Insektensterbens in bestimmten Schutzgebieten. Überdies gibt es viele Ausnahme-Tatbestände.

Merkel & Co. antworten Bundesrat
Der Bundesrat hatte dem Gesetzes-Paket zum Insektenschutz (s. o.) zwar zugestimmt, aber noch Änderungen erwirkt. Einerseits beschloss er einen Bestandsschutz für Länder-Regelungen zur Einschränkung des Pestizid-Gebrauchs, die über das Bundesrecht hinausgehen, andererseits schuf das Länder-Gremium einen weiteren Ausnahme-Passus. So wollte es den Einsatz von Glyphosat & Co. zur „Gewährleistung der Verkehrssicherheit von Schienen-Wegen“ weiterhin erlaubt sehen. Insgesamt erachtete der Bundesrat das Paragrafen-Werk jedoch als nicht ausreichend. Deshalb bat er die Bundesregierung in einer Entschließung, „weitere Vorschläge zum Schutz und zur Stärkung der Artenvielfalt zu erarbeiten“. Drei Monate später kam die Antwort. Handlungsbedarf konnte die Große Koalition allerdings nicht erkennen. Sie verwies auf die zusätzlich zu den neuen Paragrafen-Werken noch durch das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ sowie die EU-Landwirtschaftspolitik initiierten Maßnahmen und führte einige vom Bund unterstützte Forschungsprojekte zu weniger schädlichen Pestiziden oder nicht chemischen Verfahren auf.

PFLANZEN & SAATEN

Saatgut: Biden will regulieren
Auf den meisten Agrar-Märkten haben sich oligopolhafte Strukturen gebildet. Die Biden-Administration sieht deshalb den Wettbewerb gefährdet und die LandwirtInnen einem immer höheren Preisdruck ausgesetzt. Darum will sie die einzelnen Sektoren prüfen. Als erste Sparte hat sich Landwirtschaftsminister Tom Vilsack den Saatgut-Bereich vorgenommen, in dem BAYER, CORTEVA, LIMAGRAIN und CHEMCHINA/SYNGENTA 52 Prozent aller Geschäfte abwickeln. Und einen Ansatzpunkt hat der Politiker schon identifiziert: „Man fragt sich, ob diese langen Patente Sinn machen.“

BITS & BYTES

Immer mehr digitale Landwirtschaft
Die Digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. BAYER hat dazu die Plattform „FieldView“ im Angebot und preist es den FarmerInnen mit einigem Erfolg als probates Mittel an, um „Risiken aktiv zu managen, die Produktivität zu steigern und Betriebsabläufe zu vereinfachen“. Kam das Erzeugnis der Digital-Tochter CLIMATE CORPORATION im Jahr 2018 auf einer Fläche von 24 Millionen Hektar zum Einsatz, so sind es nunmehr bereits 73 Millionen Hektar. Und allen Beteuerungen des Leverkusener Multis zum Trotz, das Tool offen für andere Anbieter von Pestiziden, Saatgut und anderen Input-Gütern zu halten, steigert es ganz im Sinne des Erfinders doch den Absatz der eigenen Hervorbringungen. „Zudem ist der Umsatz mit Produkten des Unternehmens bei den Nutzern von ‚FieldView’ gestiegen“, hält der Global Player zufrieden fest.

WASSER, BODEN & LUFT

BAYERs Treibhaus-Gase
Als klima-schädlicher Stoff steht zumeist das Kohlendioxid im Mittelpunkt der Diskussion, weil BAYER & Co. es in Massen emittieren. Die anderen Treibhaus-Gase sind jedoch auch nicht ohne. In der Summe richten fluorierte Kohlenwasserstoffe, Lachgas, Methan, Kohlenmonoxid und Ruß fast einen genauso großen Schaden an wie CO2, denn die Stoffe haben es in sich. So ist Methan 25-mal so wirksam wie CO2 und Lachgas sogar 125-mal. Und der Leverkusener Multi mischt auch auf diesem Feld kräftig mit. Er stieß im Geschäftsjahr 2020 22.000 Tonnen fluorierte Kohlenwasserstoffe, 8.000 Tonnen Lachgas, 3.000 Tonnen Methan und 1.160 Tonnen Kohlenmonoxid aus.

Methan im Fokus
Die Klima-Politik nimmt neben Kohlendioxid endlich auch andere Treibhaus-Gase (s. o.) in den Fokus. So hat die EU eine Methan-Strategie verabschiedet und gemeinsam mit den USA eine Reduktionsinitiative an den Start gebracht. Die 30 Länder, die sich ihr angeschlossen haben, verpflichten sich, den Ausstoß dieses Gases bis 2030 um 30 Prozent gegenüber dem Jahr 2020 zu senken.

Schmutzige Glyphosat-Produktion
Im US-Bundesstaat Louisiana stößt kaum eine Produktionsstätte mehr chemische Stoffe aus als BAYERs Glyphosat-Fabrik in Luling. 2020 setzte sie nach Angaben der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA rund 7.700 Tonnen an Cobalt, Kupfer, Nickel, Ammonium, Methanol, Formaldehyd, Phosphor und anderen Substanzen frei. Aber auch die Anlage in Soda Springs, wo der Leverkusener Multi das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor herstellt, ist eine veritable Dreckschleuder. Auf ca. 2.270 Tonnen Cobalt & Co. kommt der Standort.

Keine Grundwasser-Schäden in der Ville?
Die NRW-Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erkundigten sich nach etwaigen Grundwasser-Verunreinigungen durch Sonderabfall-Deponien (SAD). „Bei Gruben-Deponien kann es zu einem marginalen Eintrag von Grundwasser durch das Dichtungssystem in den Ablagerungsbereich kommen“, räumte die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage ein. Im Falle von Hilgenberg und Ochtrup sei das auch wirklich geschehen, räumt die schwarze-gelbe Koalition ein. Die Sonderabfall-Deponie des Chemie„parks“ Hürth-Knapsack, in dem BAYER ein Pestizid-Werk betreibt, hält ihr zufolge aber dicht: „Grundwasser-Schäden durch die SAD Knapsack sind hier nicht bekannt.“

Altlasten-Standort Leverkusen
Unter dem Pflaster Leverkusens liegt alles andere als der Strand. Der Boden des Stadtgebiets ist großflächig mit industriellen Altlasten kontaminiert. Ein nicht geringer Teil davon dürfte made by BAYER sein. Insgesamt 39 Abfall-Konglomerationen befinden sich unter der Grasnarbe. Bei dreizehn davon haben die Aufsichtsbehörden die Gefährdungsabschätzung abgeschlossen; dreizehn weitere überwachen sie dauerhaft. Bei neun der Hinterlassenschaften haben die ExpertInnen noch keine Maßnahmen festgelegt. Einer Sanierung unterzogen oder bereits saniert sind vier Altlasten. Das ergab eine Kleine Anfrage der NRW-Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Mehr Giftmüll in die Ville
Die Sonderabfall-Deponie des Chemie„parks“ Hürth-Knapsack, in dem BAYER ein Pestizid-Werk unterhält, liegt im ehemaligen Braunkohle-Tagebaugebiet „Vereinigte Ville“. Die giftigen Hinterlassenschaften der Konzerne landen in den verwaisten Braunkohle-Gruben. „Deponien sind schon seit Langem ein fester Bestandteil einer funktionierenden Kreislauf-Wirtschaft. Trotz aller Bemühungen zur Vermeidung, zur Wiederverwendung oder anderweitigen Nutzung von Abfällen bleiben auch zukünftig nennenswerte Anteile an Abfällen übrig, die aufgrund ihres Gehaltes an Schadstoffen gesichert deponiert werden müssen“, so die Betreiber ABFALLENTSORGUNGS- UND VERWERTUNGSGESELLSCHAFT KÖLN, RWE und REMONDIS. Und zwar so nennenswerte Anteile, dass die Deponie an ihre Grenzen stößt. Darum möchten die Eigentümer die Kapazität um 35 Millionen Kubikmeter erweitern und haben ein entsprechendes Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Dabei liegt die „Vereinigte Ville“ in unmittelbarer Nähe eines tektonischen Risses, des „Kierberger Sprungs“. Die NRW-Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wollte deshalb von der Landesregierung wissen, ob die Erdbeben-Gefahr beim Genehmigungsprozess Berücksichtigung findet. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition bejahte das mit dem Verweis auf ein in Auftrag gegebenes hydro-geologisches Standort-Gutachten. „Es ist Grundlage für den Abwägungsprozess im Planfeststellungsverfahren und für Vorgaben im Bescheid“, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Ida legt Glyphosat-Produktion lahm
Der BAYER-Konzern ist nicht nur Klimawandel-Täter mit einem CO2-Ausstoß von 3,58 Millionen Tonnen im letzten Jahr, sondern auch Klimawandel-Opfer. Er leidet selbst unter den zunehmenden Extremwetter-Ereignissen, die der Treibhausgas-Ausstoß verursacht. So legte der Hurrikan Ida Ende August 2021 seine Glyphosat-Produktion am US-amerikanischen Standort Luling lahm. Mehr als sechs Wochen dauerte es, bis der Agro-Riese die Strom-Versorgung wieder sicherstellen und neues Glyphosat herstellen konnte. Da es bereits im Frühjahr Lieferengpässe gab und auch China wegen Energie-Mangels weniger von dem Herbizid fertigte als üblich, zogen die Preise für das umstrittene Mittel kräftig an.

Die Zukunft des Entsorgungszentrums
Am 27. Juli 2021 ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chem„parks“ eine Explosion. Der Störfall im Tanklager des Entsorgungszentrums forderte sieben Todesopfer. 31 Menschen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Anfang November wollten die nordrhein-westfälischen Grünen von der Landesregierung wissen, wie diese sich die Zukunft der Sondermüll-Verbrennungsanlage und der anderen Vorrichtungen auf dem Areal vorstellt, die sich laut CURRENTA momentan im „Winterschlaf“ befinden. „Eine Wiederinbetriebnahme bzw. ein Wiederaufbau der Anlage ist erst nach eindeutiger Klärung des Ereignis-Hergangs und vorbehaltlich eventuell erforderlicher organisatorischer und/oder technischer Änderungen möglich“, erklärten CDU und FDP in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage. Auch „Änderungsbedarfe an dem bestehenden Regelwerk“ schlossen die Parteien nicht aus. Bei einer Anhörung im Leverkusener Stadtrat nannte Dr. Horst Büther von der Bezirksregierung einige konkrete Punkte. Je nach Ergebnis des Sachverständigen-Gutachtens könnten beispielsweise bestimmte Abfall-Gruppen aus der Genehmigung genommen sowie die Überwachung verschärft werden, so Büther. Gleichzeitig drängt die Landesregierung jedoch auf Eile, denn seit der Detonation im Tanklager besteht in Nordrhein-Westfalen ein Entsorgungsnotstand. Einzelne Firmen wie etwa die ehemalige BAYER-Tochter LANXESS waren schon gezwungen, ihre Produktion zu drosseln. „Die aufgrund des Explosions- und Brandereignisses im Chem‚park’ Leverkusen am 22(sic!).07.2021 beschädigte Rückstands- und Abfallverbrennungsanlage der CURRENTA GmbH & Co. OHL muss zeitnah wieder in Stand gesetzt werden“, erklärt Schwarz-Gelb deshalb. Welche Hürden zur Wiederaufnahme des Betriebs zu nehmen sind, hängt von den Plänen des Unternehmens ab, wie Horst Büther im NRW-Umweltausschuss erläuterte. „Soll dieses Tankfeld wieder genauso aufgebaut werden, wie es war, oder sollen Änderungen vorgenommen werden? Und je nachdem, welche Änderungen vorgenommen werden sollen, muss eine entsprechende Änderungsgenehmigung beantragt werden bei uns, bei der Bezirksregierung. Und im Rahmen dieser Änderungsgenehmigung werden wir gucken: Was müssen wir für Anforderungen stellen an die Wiederinbetriebnahme des Betriebes? Wenn tatsächlich 1:1 aufgebaut werden sollte, wären die Anforderungen gering, andererseits sind sie höher“, so Büther. Nach Ansicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) muss es ein komplett neues Tanklager geben, weil das alte den Sicherheitsanforderungen nicht entsprach, und ergo auch ein komplett neues Genehmigungsverfahren mit BürgerInnen-Beteiligung.

Kläranlagen bald wetterfester?
Der Starkregen, der Mitte Juli 2021 Deutschland, Holland, Belgien und die Schweiz heimsuchte, hatte katastrophale Folgen. Auch der Chemie„park“ Knapsack, in dem BAYER ein Pestizid-Werk betreibt, spürte die Auswirkungen. Die Abwasser-Behandlungsanlage lief über, was zum „Abfluss erheblicher Mengen Niederschlagswassers sowie Abwassers“ führte. Die Stadt Hürth setzte daraufhin eine Warnmeldung ab, die das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ aufgriff und weiterverbreitete. „Innerhalb des Stadtgebietes Hürth ist es im Bereich Alt-Hürth und Teilen von Hermülheim zu einem größeren Schadensereignis gekommen. Dabei werden Schadstoffe freigesetzt, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Hautreizungen führen können“, so der Wortlaut. Die „Entfesselungspolitik“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung, im Zuge derer sie auch das Landeswasserrecht reformierte, hatte sich als fatal erwiesen. Schwarz-Gelb veränderte bei der Neufassung des Landeswasser-Gesetzes nämlich den Paragrafen, der vorschrieb, neue Abwasser-Anlagen hochwassersicher zu bauen und ältere bis Ende 2021 umzurüsten. Bis 2027 gaben die Parteien den Betreibern nun Zeit – zu lange, wie sich im Juli zeigte. Jetzt aber erkennt die Landesregierung Handelsbedarf. Sie plant, „weitergehende Regelungen – zum Hochwasserschutz bei Abwasser-Anlagen auf der Basis von einzuführenden, allgemein anerkannten Regeln der Technik – zu erlassen“, wie es in ihrer Antwort auf eine entsprechende Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen hieß. Zudem gelte es, „einzelfall-bezogen zu prüfen, inwieweit weitergehende Rückhalte-Maßnahmen für künftige Starkregen-Ereignisse erforderlich und umzusetzen sind“, so CDU und FDP.

STANDORTE & PRODUKTION

Der Berkeley-Deal
Anfang der 1990er Jahre plante BAYER eine große Erweiterung seines Pharma-Werks in Berkeley. Dagegen erhob sich allerdings ein breiter Protest. Die CITIZENS OPPOSING POLLUTED ENVIRONMENT fürchteten sich vor allem vor den Risiken und Nebenwirkungen der Gentechnik. Aber auch die Produktion von Impfstoffen gegen die Pest und andere Erreger für das Pentagon stieß auf Kritik, weil es dabei zu einer Infektion von mehreren Beschäftigten kam. Der Leverkusener Multi startete eine große Öffentlichkeitskampagne, die vor allem auf die vielen in Aussicht stehenden neuen Arbeitsplätze verwies, und hatte damit schließlich Erfolg. Allerdings musste er sich auf ein Development Agreement mit der Stadt einlassen und Geld für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen. Nun will der Konzern, der sich mittlerweile zum größten Unternehmen Berkeleys entwickelt hat, weiter wachsen und Produktionsstätten bis zu einer Höhe von 24 Metern errichten. Und abermals macht sich unter den Anwohner-Innen Skepsis breit. Deshalb steht auch ein neues Development Agreement an. In den nächsten 30 Jahren beabsichtigt der Global Player dafür 30 Millionen Dollar bereitzustellen. 60 Prozent des Etats sieht er dabei für Bildungsprogramme vor, bei denen – als ein nicht ganz unbeabsichtigter Nebeneffekt – auch wissenschaftlicher Nachwuchs für seine Labore abfällt. 20 Prozent des Geldes sollen der lokalen Wirtschaft zugutekommen, und weitere 20 Prozent fließen in ein kommunales Wohnungsprogramm. Auch für Sozialarbeit bleibt ein bisschen was übrig. Das alles reicht dem Bürgermeister Jesse Arreguin allerdings nicht. „Ich glaube, sie können mehr tun“, sagt er. Konzern-Sprecherin Cathy Keck schaltete jedoch auf stur und brachte flugs andere Standorte ins Spiel, die ihr als Interessenten für „BAYERs globale Infrastruktur-Dollars“ einfielen. Aber nach zähen Verhandlungen einigten sich beide Parteien schließlich doch. Der Agro-Riese stimmte zu, bis zum Jahr 2052 33 Millionen Dollar zu zahlen.

IMPERIUM & WELTMARKT

Deal mit MICROSOFT
Die digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. BAYER hat dazu die Plattform „FieldView“ im Angebot und preist sie den FarmerInnen mit einigem Erfolg als probates Mittel an. Auf 73 Millionen Hektar kommt dieses Erzeugnis der Digital-Tochter CLIMATE CORPORATION bereits zum Einsatz. Dem Konzern reicht das jedoch noch nicht. Ihm zufolge „besteht weiterhin großer Bedarf an Lösungen, um die gesamte Wertschöpfungskette für Nahrungs- und Futtermittel sowie Kraftstoffe und Textilfasern zu optimieren“. Deshalb hat das Unternehmen im November 2021 eine umfassende Kooperation mit MICROSOFT vereinbart. „BAYER und MICROSOFT schließen strategische Partnerschaft, um die Digitalisierung der Wertschöpfungskette für Lebensmittel voranzubringen“ ist die entsprechende Pressemitteilung überschrieben. „Die Partnerschaft basiert auf einer langjährigen Geschäftsbeziehung zwischen BAYER und MICROSOFT und dem gemeinsamen Engagement für Datenschutz, Cybersicherheit und Kundenvertrauen“, heißt es weiter. Der Global Player will jetzt sein „FieldView“-Tool in die neue Infrastruktur überführen und gemeinsam mit der US-Firma „die erforderlichen Data-Science-Kapazitäten“ entwickeln. Die fertige Plattform soll dann auch anderen – „von Start-ups bis zu globalen Konzernen“ – zur Verfügung stehen. Wie die bisherigen Erfahrungen mit AMAZON, APPLE, FACEBOOK & Co. zeigen, präferieren diese digitalen Instrumente aber stets die Gründer und monopolisieren die Märkte. Auch der BAYER-Konzern nutzt diese in seinem Sinne (s. Bits & Bytes). Zudem ist eine neue Daten-Krake das letzte, was die Welternährung braucht. Darum fordert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die EU auf, im Rahmen des geplanten Gesetzes für digitale Märkte auch dem Landwirtschaftsbereich strenge Auflagen zu machen und ein umfassendes Kontrollsystem zu etablieren.

In Treue fest zu MONSANTO
Mehrere Finanz-AnalystInnen und InvestorInnen forderten BAYER zur Rückabwicklung des MONSANTO-Kaufs auf. Aber Konzern-Chef Werner Baumann antwortete auf die Frage des Wirtschaftsmagazins Capital, ob das für ihn eine Option sei: „Natürlich nicht“. Der Große Vorsitzende steht nach wie vor in Treue fest zu dem von ihm eingefädelten Deal. „Kein Unternehmen kann einen so großen Beitrag zur Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft leisten“, fabulierte Baumann.

Verkauf von SCHERING DO BRASIL
Während der BAYER-Konzern seine Anstrengungen verstärkt, die Armutsregionen mit seinem Langzeit-Verhütungsmittel MIRENA zu beglücken (siehe NORD & SÜD), stößt er seine Tochter-Gesellschaft SCHERING DO BRASIL ab, die Kontrazeptiva und Hormon-Präparate wie MICROVLAR, MIRANOVA, NEOVLAR, FEMIANE, CLIMENE, PRIMOLUT NOR vor allem für den lateinamerikanischen Markt hergestellt. Der Leverkusener Multi verkaufte die Niederlassung für 112 Millionen Dollar an die GRUPO UNIÃO QUÍMICA. Einzelne Produkte verbleiben jedoch noch bis zu fünf Jahren im Sortiment des Global Players.

ÖKONOMIE & PROFIT

Der „CURRENTA-Moment“
Im Jahr 2019 haben BAYER und LANXESS ihre Beteiligungen an dem Chemie„park“-Betreiber CURRENTA an die australische Investmentbank MACQUARIE veräußert, genauer: an MIRA, den Infrastruktur-Fonds des Geldhauses. Der Leverkusener Multi drängte zum Verkauf. Er brauchte wegen der Millionen-Klagen in Sachen „Glyphosat“ Geld. LANXESS hingegen zögerte. Das Unternehmen hatte mehr Werke auf dem CURRENTA-Areal als der Agro-Riese und traute MACQUARIE das Management inklusive der sachkundigen Weiterentwicklung der Infrastruktur der „Parks“ nicht so recht zu. Aber schließlich stimmten beide Partner dem Deal zu, denn das Geld lockte. 3,5 Milliarden Euro zahlten die Australier – das Zwölffache des CURRENTA-Jahresgewinns. Dies ließ die Branche aufhorchen. Von einem „CURRENTA-Moment“ sprechen BeobachterInnen. Und den erhofft sich nun auch das Unternehmen INTRASERV HÖCHST, das einen – unter anderem mit einem Pestizid-Werk von BAYER bestückten – Chemie-Komplex in Frankfurt unterhält. Nachdem Gespräche über einen Verkauf vor rund 20 Jahren an Zweifeln ob der Kompetenz möglicher Investoren scheiterten, unternimmt INTRASERV nun einen neuen Anlauf. Zu den Interessenten soll der FAZ zufolge auch MACQUARIE gehört haben. „Ein Kenner der Materie wies allerdings darauf hin, dass die Gesellschaft noch mit dem schweren Unfall in Leverkusen zu kämpfen hat“, so die Zeitung (siehe auch UNFÄLLE & KATASTROPHEN). Solche Unwägbarkeiten waren es auch, welche die Verhandlungen von DOW mit MACQUARIE und zwei anderen Bietern platzen ließen. „Unklarheit über Haftungsfragen bei Umweltschäden“ nennt das Blatt als Grund.

RECHT & UNBILLIG

Explosion: drei Tatverdächtige
Am 27. Juli 2021 ereignete sich auf dem Gelände des Leverkusener Chem„parks“ eine Explosion (siehe SWB 4/21). Der Störfall im Tanklager des Entsorgungszentrums forderte sieben Todesopfer. 31 Menschen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Abermals zeigte die Katastrophe die lebensgefährlichen Risiken einer dem Profit-Prinzip folgenden Wirtschaftsweise auf. Die bürgerliche Justiz aber muss Schuld individualisieren. Bereits am ersten Tag nach der Detonation leitete die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen gegen unbekannt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion ein. Im Oktober 2021 gab sie dann bekannt, sich dabei konkret auf drei Personen zu fokussieren. Verletzung der Sorgfaltspflichten lautet der Vorwurf. Die Staatsanwaltschaft legt den Beschäftigten zur Last, eine Chemikalie über der zulässigen Temperatur gelagert zu haben, was zu einem Druckanstieg und schließlich zur Explosion führte. Zur Beweissicherung nahmen die Behörden bei den Beschuldigten sowie bei der CURRENTA Hausdurchsuchungen vor und stellten Datenträger, Handys und Dokumente sicher. Mit diesem Vorgehen bricht die Staatsanwaltschaft Organisationsversagen auf menschliches Versagen herunter. Es war aber eine komplexe Gemengelage, die den großen Knall und ein solches Ausmaß an Folgen überhaupt erst möglich gemacht hat. Zum einen handelt sich um ein uraltes, noch von BAYER errichtetes Entsorgungszentrum mit Tanks, die so dicht nebeneinander standen, dass am 27. Juli ein Domino-Effekt eintrat. Zudem verlief über das Gelände eine Starkstrom-Leitung, die zerbarst und erst umständlich vom Netz genommen und geerdet werden musste, was die Lösch-Arbeiten verzögerte. Überdies hat die CURRENTA die Müll-Entsorgung als rendite-orientierten Geschäftszweig betrieben und Abfall aus aller Herren Länder akquiriert – aus Dänemark stammte derjenige, der bei der Detonation hochgegangen ist. Darüber hinaus müssten die Betriebsabläufe mit einer systematischen Risiko- und Gefahrenanalyse eigentlich so durchformalisiert sein, dass ein persönliches Fehlverhalten ohne gravierende Folgen bleibt. Auch haben die Behörden die Anlagen-Überwachung nicht ernst genommen. So schauten KontrolleurInnen der Bezirksregierung zuletzt im Jahr 2018 mal im Chem„park“ vorbei. Und die Politik beugte sich immer wieder dem Druck der Konzerne und unterließ es, strengere Sicherheitsregelungen einzuführen. Über all dies müsste zu Gericht gesessen werden, dafür fehlen aber die Instrumente. Darum fordert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN bereits seit Jahren die Einführung eines Unternehmensstrafrechts.

BAYER gewinnt Glyphosat-Prozess

  • 1


Der Leverkusener Multi hat vor einem US-amerikanischen Gericht einen Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ gewonnen. Der „Superior Court of the State of California“ in Los Angeles wies am 5. Oktober 2021 die Klage von Destiny Clark ab, die das Herbizid der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO für die Lungenkrebs-Erkrankung ihres 10-jährigen Sohnes Ezra verantwortlich gemacht hatte. Obwohl die Clarks die Agro-Chemikalie über Jahre hinweg in ihrem Garten versprüht hatten, konnten die Geschworenen keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Ausbringung und Ezras „Non-Hodgkin-Lymphom“-Diagnose im Alter von vier Jahren erkennen. Zuvor musste der Konzern in drei Verfahren Niederlagen einstecken. Ein viertes verlor er freiwillig, um die Möglichkeit zu haben, in einer höheren Instanz ein Grundsatz-Urteil zu erwirken. Mit ausschlaggebend für das Votum des Superior Courts dürfte gewesen sein, dass interne Firmen-Unterlagen über manipulierte Studien, die Beeinflussung von Zulassungsbehörden und MONSANTO-eigene Erkenntnisse zu den Gesundheitsgefahren des Mittels nicht zur Beweisfindung zugelassen waren. Ob die Familie den Richter-Spruch anfechten will, steht zurzeit noch nicht fest. Sofort nach Bekanntgabe der Entscheidung stieg der Aktien-Kurs des Global Players kurzzeitig um bis zu 2,7 Prozent. Der Finanzmarkt erachtete den Freispruch offensichtlich als gutes Omen für die künftigen juristischen Auseinandersetzungen und sah die Position des Unternehmens in den noch ausstehenden Vergleichsverhandlungen gestärkt. BAYER zeigte sich ebenfalls hocherfreut. „Das Urteil der Geschworenen zur Frage der Kausalität zu unseren Gunsten beendet das Gerichtsverfahren und entspricht sowohl der Einschätzung der zuständigen Regulierungsbehörden weltweit als auch den umfangreichen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus vier Jahrzehnten“, ließ die Aktien-Gesellschaft wider besseren Wissens verlauten. Einige Staaten haben Glyphosat nämlich bereits verboten, und selbst die vom Agro-Riesen immer wieder als Kronzeugin für die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Mittels angeführte US-Umweltbehörde EPA beurteilte das Pestizid in internen Expertisen als krebserregend (siehe POLITIK & EINFLUSS).

BAYER gewinnt Glyphosat-Prozess

  • 2


Der BAYER-Konzern hat im Dezember 2021 einen weiteren Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ gewonnen. Ein Gericht im US-amerikanischen San Bernadino wies die Klage der 71-jährigen Donnetta Stephens ab, die das Mittel über 30 Jahre lang verwendete und für ihr Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) – eine spezielle Art des Lymphdrüsen-Krebses – verantwortlich machte. Damit verlor der Rechtsanwalt Fletch Trammel, der rund 4.000 Glyphosat-Geschädigte vertritt, nach dem Fall „Clark“ (s. o.) schon seinen zweiten Prozess gegen den Leverkusener Multi. Er kündigte jedoch an, in Berufung zu gehen.

BAYER verliert Glyphosat-Prozess
Die Glyphosat-Geschädigten Alberta und Alva Pilliod haben den Prozess gegen die BAYER-Tochter MONSANTO endgültig gewonnen. Am 17. November 2021 wies der „California Supreme Court“ den Einspruch des Leverkusener Multis gegen das Urteil des Berufungsgerichts ab. Der „Court of Appeal“ hatte den Anspruch der beiden RentnerInnen auf Schadensersatz am 9. August für berechtigt erklärt und dem Unternehmen „eine rücksichtslose Missachtung der Gesundheit und Sicherheit der vielen ahnungslosen Verbraucher“ attestiert (Ticker 4/21). Auch der neuen Strategie des Konzerns, die Justiz der Einzelstaaten in Sachen „Glyphosat“ für unzuständig zu erklären, weil es sich um eine vor den Obersten Gerichtshof gehörende Bundesangelegenheit handele, erteilte der Court damals eine Abfuhr. Der Global Player muss den Pilliods nun 86,7 Millionen Dollar an Strafe und Schmerzensgeld zahlen. Sie hatten auf ihren Grundstücken über 30 Jahre lang das unter dem Produktnamen ROUNDUP vermarktete Glyphosat genutzt. 2011 erkrankte Alva am Non-Hodgkin-Lymphom (NHL), einer speziellen Art des Lymphdrüsen-Krebses, 2015 seine Frau. Zwei Jahre später reichte das Ehepaar Klage ein. Erstinstanzlich bekam es 2019 zwei Milliarden Dollar zugesprochen. Später reduzierte der „Alameda County Superior Court“ die Summe auf die jetzt letztinstanzlich bestätigten 86,7 Millionen Dollar. Aber trotz der juristischen Schlappe lässt der Agro-Riese immer noch nichts auf das Pestizid kommen. „Wir stehen weiterhin fest hinter der Sicherheit von ROUNDUP, eine Position, die sowohl von den Regulierungsexperten weltweit als auch von dem überwältigenden Gewicht von vier Dekaden umfangreicher Forschung gestützt wird“, erklärte die Aktien-Gesellschaft nach der Entscheidung.

Glyphosat: Vergleich und Verzicht
125.000 KlägerInnen haben die Risiken und Nebenwirkungen des Pestizids Glyphosat, das die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO unter dem Namen ROUNDUP vermarktet, in den USA auf den Plan gerufen. Diese machen das Ackergift für ihr Non-Hodgkin-Lymphom, eine spezielle Art des Lymphdrüsen-Krebses, verantwortlich. Mit Kanzleien, die 98.000 der Betroffenen vertreten und zu den größten der Branche zählen, hat der Leverkusener Multi sich mittlerweile auf Entschädigungen verständigt (Stand 22. Oktober 2021). Im Rahmen dieser Vereinbarungen verpflichteten die Rechtsanwaltsbüros sich auch, keine neuen Fälle mehr anzunehmen. Die Rechtsfirma, welche die Interessen von Alberta und Alva Pilliod wahrnahm (s. o.), zählt ebenfalls dazu. In der Presseveröffentlichung, die den Sieg des Ehepaars in Sachen „Glyphosat“ verkündete, hieß es deshalb: „BAUM HEDLUND ARISTEI & GOLDMAN nimmt keine ROUNDUP-Fälle mehr an. Nichts in dieser Mitteilung zielt darauf ab, weitere Rechtsstreitigkeiten gegen MONSANTO zu fördern oder zu unterstützen im Zusammenhang mit ROUNDUP und dem Non-Hodgkin-Lymphom.“ Neuerkrankte haben es deshalb inzwischen schwer, juristischen Beistand zu finden.

Mexiko: Glyphosat-Bann bleibt
Im Jahr 2020 hatte die mexikanische Regierung Glyphosat verboten, was auf massiven Druck von Landwirtschaftsorganisationen, Umwelt- und VerbraucherschützerInnen zurückging. Der BAYER-Konzern leitete gemeinsam mit anderen Unternehmen gerichtliche Schritte ein, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Im Oktober 2021 lehnte der Supreme Court des Landes die Klagen der Konzerne endgültig ab.

BAYER verliert zweiten PCB-Prozess
Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie. Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheits- und Umweltrisiko dar. Darum ist der Konzern mit einer Vielzahl von Schadensersatz-Ansprüchen konfrontiert. Im Juli 2021 gab ein Gericht in Seattle drei LehrerInnen des Sky Valley Education Centers in Monroe recht, die ihre Leiden auf das PCB-kontaminierte Schulgebäude zurückführten. „So viele Schüler und Lehrer mussten Sky Valley verlassen, weil sie einfach zu krank wurden“, sagte etwa Michelle Leahy, eine der PädagogInnen. Strafe und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 185 Millionen Dollar kostete das den Leverkusener Multi. Im November 2021 verlor er auch den zweiten Prozess in dieser Sache. Dieses Mal sprachen die RichterInnen den Betroffenen 62 Millionen Dollar zu. Der Agro-Riese legte – wie schon nach dem ersten Urteil – Berufung ein. Er hält das von seiner jetzigen Tochter-Firma MONSANTO stammende PCB nicht für den Auslöser von Krebs, Hormonstörungen oder neurologischen Erkrankungen. Nach der Entscheidung vom Juli hatte BAYER erklärt: „Die Beweislage in diesem Fall stützt nicht die Schlussfolgerung, dass die Kläger im Sky Valley Education Center gefährlichen PCB-Werten ausgesetzt waren oder dass eine Exposition ihre Gesundheitsstörungen hervorgerufen haben könnte“. Nur „extrem niedrige PCB-Werte“ seien in der Schule gemessen worden, so der Global Player. Ob er damit die Gerichte in den weiteren Verfahren – allein von Betroffenen aus dem Sky Valley Education Center liegen noch rund 200 Klagen vor – überzeugen kann, ist zu bezweifeln.

BAYER verklagt DR. REDDY’S
Routinemäßig geht der Leverkusener Multi rechtlich gegen Unternehmen vor, die sich anschicken, nach Ablauf der Patentlaufzeit seiner Medikamente Nachahmer-Versionen von diesen herauszubringen. Damit verfolgt der der Pharma-Riese die Absicht, das Inverkehrbringen der Generika zu verzögern, damit er noch möglichst lange Monopol-Profite einstreichen kann. In Sachen „NEXAVAR“ – ein zusammen mit ONYX PHARMACEUTICALS entwickeltes Krebsmittel, das pro Tablette rund 180 Dollar kostet – führte BAYER schon unzählige Prozesse. Die jüngste Klage reichte der Global Player gegen die indische Gesellschaft DR. REDDY’S ein, die in den USA eine Zulassung für das Präparat beantragte. Zuvor hatte es MYLAN und NATCO PHARMA getroffen.

BAYER verklagt APOTEX
Das Unternehmen MEDA erhielt 2009 von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA die Zulassung für das Allergie-Spray ASTEPRO ALLERGY. Der BAYER-Konzern erwarb später die Lizenz zum Vertrieb des Präparats, dessen Patent im Jahr 2028 ausläuft. Ab Juni 2021 konnte er dann die Ausweitung der Vermarktungszone betreiben: Die FDA hob die Rezeptpflicht auf. Nun aber droht Konkurrenz. APOTEX stellte den Antrag auf Genehmigung einer Nachahmer-Version des ohne Steroide auskommenden Mittels und begründete das mit zu Unrecht erteilten Schutzrechten. Dagegen schreiten BAYER und MEDA jedoch ein. Sie verklagten APOTEX umgehend.

[SWB 01/2022] Ampelkoalition

CBG Redaktion

Eine gute Wahl für BAYER

Mit der Losung „Mehr Fortschritt wagen“ treten SPD, Grüne und FDP an. Für mehr Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit steht die Ampel jedoch auf Rot. Eine grüne Welle gibt es nur für die Wunsch-Vorhaben der Industrie. Dementsprechend zufrieden zeigen sich BAYER & Co.

Von Jan Pehrke

„Das richtige Signal für die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft“ geht für BAYER-Chef Werner Baumann von dem Ampel-Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ aus. Jetzt komme es auf die konkrete Ausgestaltung an, erklärte er gegenüber dem Handelsblatt. Aber auch da kann der Große Vorsitzende nicht meckern. So erweist das Klimaschutz-Kapitel des Koalitionsvertrags zunächst einmal den Konzernen seine Reverenz. „Unsere Wirtschaft legt mit ihren Unternehmen, den Beschäftigten sowie Verbraucher-innen und Verbrauchern die Grundlage für unseren Wohlstand“, lautet der erste Satz. Blöd nur, dass „unsere Wirtschaft“ mit ihrem Treibhausgas-Ausstoß auch die Grundlage für eine Gefährdung des Ökosystems „Erde“ legt. Also muss nach dem Willen der AmpelkoalitionärInnen eine Art von Abhilfe her, welche BAYER & Co. schont. Deshalb federn sie die geplanten Maßnahmen entsprechend ab. „Um unsere heimische Industrie, insbesondere die Grundstoff-Industrie, zu unterstützen, werden wir in dem für die Erreichung der Klimaziele ausreichendem Maße geeignete Instrumente schaffen“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Klimaschutz
Im Einzelnen planen die drei Parteien, den Ausstieg aus der Kohle vorzuziehen. „Idealerweise gelingt das schon bis 2030“, formulieren sie vorsichtig und bauen sicherheitshalber mit der „Errichtung moderner Gaskraftwerke“ vor. Zudem beabsichtigen Scholz & Co., bis zum Jahr 2030 80 Prozent des Strombedarfs mit Erneuerbarer Energie zu decken – trotz eines prognostizierten Mehrbedarfs von 20 bis 30 Prozent. Dazu möchten sie den Ausbau von Windkraft & Co. beschleunigen und die entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren einfacher gestalten. Das bleibt jedoch nicht auf Rotoren und Sonnenkollektoren beschränkt und trägt damit einer langjährigen Forderung der Industrie nach einer „Entbürokratisierung“ der verwaltungstechnischen Prozesse Rechnung. Entsprechend angetan zeigten sich BAYER & Co. von dem, was die FAZ einen „Turbo für Großprojekte“ nennt.

Dabei kommt allerdings so einiges unter die Räder. So scheut die neue Regierung nicht vor „Legalplanungen“ zurück, also davor, Vorhaben einfach per Gesetz zu genehmigen, statt sie den langen Marsch durch die Institutionen gehen zu lassen. Überdies hat sie vor, sich ins Reich der juristischen Spekulation zu begeben. Sie will „für solche Projekte unter gewissen Voraussetzungen eine Regelvermutung für das Vorliegen der Ausnahme-Voraussetzungen des Bundesnaturschutz-Gesetzes schaffen“. „Klimaschutz vs. Artenschutz“ – so lautet die neue Frontstellung. Auch die BürgerInnen-Beteiligung muss zurückstehen. Das Recht auf Einwendungen schleift die Regierung Scholz gehörig. Projekte wie die Kohlenmonoxid-Pipeline und der Autobahn-Ausbau in Leverkusen inklusive neuer Rheinbrücke und Öffnung der ehemaligen BAYER-Deponie „Dhünnaue“ dürfte jetzt erheblich leichter grünes Licht bekommen.

Über eine im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführte Abgabe hat sich neben den Privathaushalten auch die Industrie an den Kosten für Windparks, Sonnenenergie- und Photovoltaik-Infrastruktur beteiligt, in geringerem und in BAYERs Fall noch einmal reduzierten Maße zwar (siehe S. 10 ff.), aber immerhin. Selbst das erspart ihr Rot-Grün-Gelb nun. „Um (...) für sozial gerechte und für die Wirtschaft wettbewerbsfähige Energie-Preise zu sorgen, werden wir die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strom-Preis beenden. Wir werden sie daher zum 1. Januar 2023 in den Haushalt übernehmen. Die Finanzierung übernimmt der EKF (Energie- und Klimafonds, Anm. SWB), der aus den Einnahmen der Emissionshandelssysteme (BEHG und ETS) und einem Zuschuss aus dem Bundeshaushalt gespeist wird“, kündigt der Koalitionsvertrag an.
Dem Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten waren ursprünglich noch ganz andere Aufgaben zugedacht. Er sollte den Ausstoß von CO2 so teuer machen, dass es den Multis Anreize für das Errichten saubererer Anlagen bietet. Doch dafür kosten die Zertifikate zu wenig. So kommt es die Konzerne billiger, die CO2-Lizenzen zu erwerben, als in klima-freundlichere Fabriken zu investieren. „Die Industrien schieben Neuinvestitionen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf“, konstatiert die im Auftrag der NRW-Grünen erstellte Studie „Wie kann Nordrhein-Westfalen auf den 1,5-Grad-Pfad kommen“. Die Untersuchung, die Agora Energiewende und die Unternehmensberatung ROLAND BERGER in Tateinheit mit BAYER, BASF, BP, SIEMENS und anderen Firmen erstellt haben, drückt es ein wenig vornehmer aus und spricht von „Investitionsattentismus“. Darum hilft die Ampel den Unternehmen nun freundlicherweise mit Klima-Verträgen („Carbon Contracts for Difference“) aus, „um so insbesondere auch die Wirtschaftlichkeitslücke zu schließen“. Das Geld dazu stellt wieder der Energie und Klimafonds bereit. 60 Milliarden Euro fließen per Nachtragshaushalt in diesen Topf. „Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 erhöht die verfügbaren Mittel für die aus dem Sondervermögen ‚Energie- und Klimafonds’ finanzierten Maßnahmen, von denen viele den Wirtschaftsunternehmen zugutekommen“, heißt es in dem Paragrafen-Werk. Zudem garantiert die Bundesregierung „sichere Absatzmärkte für klima-freundliche Produkte durch Mindestquoten in der öffentlichen Beschaffung“.

Die Vorgänger-Regierung hatte 2019 mit ihrem Klimaschutz-Gesetz nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Felder „Verkehr“, „Gebäude“, „Energie“, „Landwirtschaft“ und „Abfall“ verbindliche Reduktionsvorgaben gemacht – inklusive einer jährlichen Überprüfung. Den Grünen reichte das ursprünglich jedoch nicht. In ihrem Wahlprogramm formulierten sie die Erfordernis, die Regularien „nachzuschärfen“. Davon lassen sie jetzt jedoch ab. Und Die Zeit weiß auch den Grund: „Da die Klimaschutz-Maßnahmen der neuen Koalition nicht unmittelbar zu einer Senkung der Emissionen führen, werden in den kommenden Jahren wohl viele Sektoren ihre Ziele verfehlen. Nun allerdings wären es grüne Minister, die die Misserfolge erklären müssten, was die Partei-Führung offenbar vermeiden wollte. Annalena Baerbock soll diese Überlegung in mehreren internen Gesprächen zum Ausdruck gebracht haben.“ Von einem Klimaministerium mit Vetorecht ist auch nichts geblieben. Olaf Scholz sprach in seiner Regierungserklärung zwar noch von einer „zentralen Querschnittsaufgabe“, an der sich die Ampelkoalition messen lassen will, aber die Evaluation erfolgt dezentral ohne grüne Oberaufsicht. Den Klima-Check für alle Gesetze führen jetzt die jeweis verantwortlichen Ministerien durch.

Dementsprechend enttäuscht zeigte sich die grüne Basis von den Vereinbarungen. „Die versprochenen Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens sind unmöglich zu erreichen“, resümiert der Aufruf „Mehr grün wagen“. Und die Grüne Jugend konstatiert bei aller Notwendigkeit, auf die Koalitionspartner zuzugehen: „Aber klar muss sein, mit dem Klima kann man nicht einfach so Kompromisse machen“. Auch in Zahlen fiel die Reaktion der Partei auf das Verhandlungsergebnis verhalten aus. Nur 57 Prozent der Mitglieder beteiligten sich überhaupt an der Urabstimmung über den Koalitionsvertrag, und 86 Prozent von ihnen votierten dann für „Ja“. Fridays For Future war ebenfalls nicht gerade begeistert. „Während die Welt auf knapp drei Grad Erhitzung hinsteuert, verfehlt der Vertrag von SPD, Grünen und FDP noch vor Amtsantritt die eigenen Versprechen zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Trotzdem feiern wir nach 154 Wochen Klimastreiks auch Erfolge der Klima-Bewegung wie den Kohle-Ausstieg 2030“, heißt es in einer Erklärung der Organisation.

Viel mehr zu feiern hatten allerdings BAYER & Co. So begrüßte der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) in seiner Stellungnahme zum Koalitionsvertrag den Entschluss der Bundesregierung, den Unternehmen bei der CO2-Reduktion nicht mehr so genau auf die Finger zu schauen. In der „Abkehr vom ineffizienten Mikro-Management einer Nachjustierung jährlicher Sektor-Ziele“ sah der Verband „das richtige Signal“. Auch freute ihn, „dass das Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 „weich“ ausgestaltet ist (‚idealerweise’)“ und der Ampelkoalition „Erdgas als Brücken-Technologie“ gilt. Dem Verband kommt es in Sachen „Energie“ nämlich zuvörderst auf die Versorgungssicherheit an – und auf die Strom-Kosten. In diesem Zusammenhang lobt er SPD, Grüne und FDP sehr dafür, die „Wettbewerbsfähigkeit“ ernst genommen zu haben und nennt als Beispiele die Streichung der EEG-Umlage und die Reform der Netz-Entgelte. Die Klimaschutz-Verträge gefallen dem BDI natürlich ebenfalls, allerdings haben die Kontrakte für ihn zu viel mit dem Klimaschutz zu tun. Die „Knüpfung von Industrie-Entlastungen an die Umsetzung wirtschaftlicher Energieeffizienz-Maßnahmen“ schätzt er deshalb entsprechend kritisch ein.

Beim „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) fällt die Bewertung der entsprechenden Passagen des Koalitionsvertrags ähnlich aus. „Wir sehen noch keinen Booster, aber viele gute Ansätze, die Transformation der Industrie aktiv zu flankieren“, so der VCI-Hauptgeschäftsführer und ehemalige BAYER-Manager Wolfgang Große Entrup. Namentlich erwähnt der Verband dabei den Energie- und Klimafonds, die Klima-Verträge, den Wegfall der EEG-Umlage und das „Vorhaben, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu halbieren“.

Nur Risiken, keine Gefahr
So wenig, wie der Koalitionsvertrag für eine Klima-Wende steht, so wenig steht er für eine Agrar-Wende. Die Vereinbarung bekennt sich zwar zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, bleibt aber, was die Umsetzung angeht, vage. So wollen die drei Parteien „den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern und die Entwicklung von natur- und umweltverträglichen Alternativen fördern“, kündigen aber keine konkrete Maßnahmen dazu an. Eine Pestizid-Steuer etwa, wie sie viele Umweltverbände als Instrument für einen Kurswechsel fordern, findet sich in dem Dokument nicht. In Sachen „doppelte Standards“ erwägen die AmpelkoalitionärInnen zumindest eine Regelung. „Wir werden von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, den Export von bestimmten Pestiziden zu untersagen, die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind“, kündigen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP an. Aber nicht nur, weil es diese Möglichkeit mit dem Paragraf 25 des Pflanzenschutzgesetzes eigentlich schon gibt (siehe S. 24 ff.), bleibt dieser Vorstoß mit Fragezeichen behaftet. Klartext spricht der Koalitionsvertrag im Pestizid-Kapitel nur einmal. „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt“, heißt es auf Seite 46.
Die Agro-Gentechnik erwähnt die neue Bundesregierung in dem Schriftstück mit keinem Wort. Stattdessen spricht sie nur nebulös von der Züchtung klima-robuster Pflanzensorten, die sie zu unterstützen gedenkt, von der zu gewährenden Transparenz über Züchtungsmethoden und der zu stärkenden Risiko- und Nachweis-Forschung.

In anderen Bereichen fühlen sich Scholz & Co. durch die aktuellen Entwicklungen beflügelt, offener zu reden. „Deutschland hat die Chance, zum international führenden Biotechnologie-Standort zu werden. Durch den ersten mRNA-Impfstoff aus Mainz hat unser Land weltweite Sichtbarkeit erlangt. Damit ist eine Leitfunktion für die wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Biotechnologie verbunden“, verkünden sie. Die Ampel stand hier offensichtlich auf Gelb und gibt schon einmal einen Vorgeschmack auf die künftig unter FDP-Ägide stehende Forschungspolitik.

Ganz ähnlich hatte sich zu dem Thema jüngst BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich vernommen. „Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt. Diese Pandemie hat vielen Menschen die Augen für Innovationen in einer Weise geöffnet, die vorher nicht möglich war“, sagte er bei einer Veranstaltung in Berlin.

Selbstredend freuen sich „Bundesverband der Deutschen Industrie“ und der „Verband der Chemischen Industrie“ in ihren Stellungnahmen zum Ampelvertrag wie Bolle über den Auftrieb, den die Gentechnik in Zeiten von Corona bekommen hat. Und dass die Koalition sich generell so zukunftszugewandt wie wagemutig gibt und „künftig neben dem Vorsorge-Prinzip auch Innovationspotenziale konsequent miterfassen will“, trifft beim BDI natürlich auch auf breite Zustimmung. Ebenso angetan zeigt er sich von der Absicht der Dreier-Koalition, das Gefährdungspotenzial von Substanzen auf Basis des Risikos zu beurteilen. „Eine Bewertung allein auf Basis von Gefahren-Eigenschaften wäre nicht zielführend und innovationsfeindlich“, hält der Verband fest.

Eine Prüfung der Stoffe auf Grundlage der „Gefahr“ unterscheidet sich nämlich maßgeblich von einer solchen auf der Grundlage des „Risikos“. Eine Bewertung anhand der Gefahr nimmt allein die Eigenschaften des Produkts in den Blick, eine anhand des Risikos berücksichtigt indes das Ausmaß, in dem Mensch, Tier und Umwelt der Chemikalie ausgesetzt sind. Während die Gefahr einer Substanz also immer absolut gilt und keine Grenzen kennt, ist das Risiko immer relativ. Es ist unter anderem von der Wirkstärke abhängig. Und als Maß der Dinge kommt so der Grenzwert ins Spiel, der das Höchstmaß der Belastbarkeit anzeigt. Solche Limits treffen auf die – zähneknirschende – Zustimmung von BAYER & Co., erlauben diese ihnen doch, ihre Waren auf den Markt zu bringen und zu halten. Und genau darum ist es dem BDI zu tun: „Um innovative Lösungen und gesellschaftlich relevante Technologien entwickeln und einsetzen zu können, muss es auch künftig möglich sein, gefährliche Chemikalien herzustellen und zu verwenden.“
Der VCI begrüßt derweil das „klare Bekenntnis für eine innovative Gesundheitswirtschaft als Garant für medizinischen Fortschritt, Beschäftigung und Wohlstand“. Für den Verband hat gerade die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig ein starker Pharma-Standort Deutschland ist. Deshalb behagt ihm die versprochene Stärkung im Prinzip auch. „Diese sollte aber nicht durch Subventionen, sondern durch wettbewerbsfähige Produktions- und Erstattungsbedingungen erreicht werden. Vor diesem Hintergrund sind die Fortschreibung des Preis-Moratoriums und die Verkürzung der freien Preissetzung für innovative Arzneimittel ein falscher Weg“, kritisiert der „Verband der Chemischen Industrie“. Dabei kann er sich über den Erfolg seiner Lobby-Arbeit eigentlich gar nicht beklagen. Im ursprünglichen Entwurf des Koalitionsvertrages hätten BAYER & Co. den Krankenkassen noch einen Rabatt von 16 Prozent auf patent-geschützte Arzneimittel einräumen müssen. „Doch diese Passagen aus dem ersten Entwurfspapier haben die Parteien auf den letzten Metern noch gestrichen“, wie die Pharmazeutische Zeitung berichtete. Jetzt heißt es nur noch: „Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittel-Preise.

Der Mann, der die Gesundheitspolitik in Zukunft verantwortet, ist ein alter Bekannter von BAYER. Karl Lauterbachs Wahlkreis liegt nämlich in Leverkusen. Der Sozialdemokrat stand sogar schon einmal in Diensten des Konzerns. In einer Studie stellte er dem Cholesterinsenker LIPOBAY, den das Unternehmen später wegen seiner Risiken und Nebenwirkungen vom Markt nehmen musste, ein gutes Zeugnis aus. „Die frühen Hinweise darauf, dass LIPOBAY möglicherweise gefährlich war, nahm Lauterbach damals ebenso wenig wahr, wie es seine Auftraggeber taten“, befand der Spiegel. Andere Medikamente des Global Players kamen bei ihm allerdings nicht so gut weg. So monierte er in einer für die Barmer Ersatzkasse durchgeführten Untersuchung die Praxis der MedizinerInnen, bei Bluthochdruck Kalzium-Antagonisten wie ADALAT zu verschreiben statt der preiswerteren und mindestens ebenbürtigen Entwässerungstabletten. Den Krebs-Arzneien von BAYER & Co., die irre viel Geld verschlingen und das Leben der PatientInnen doch oft nur wenige Monate verlängern, widmete der Mediziner ein ganzes Buch. Aber auch zur allgemeinen Geschäftspolitik des Leverkusener Multis äußerte er sich. Im Jahr 2006 kritisierte er das Rationalisierungsprogramm beim CURRENTA-Vorgänger BAYER INDUSTRY SERVICES. „Politisch doppelzüngig, entlarvend und moralisch ein Armutszeugnis“ nannte der SPDler es und wusste auch um die Motive des Unternehmens: „Der kurzfristige Gewinn ist das Ziel, das ist die ganze Geschichte.“ Lauterbach wähnte sich wegen solcher und ähnlicher Einlassungen sogar auf der berühmt-berüchtigten Schwarzen Liste der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO. „Ich habe vor einigen Tagen Hinweise erhalten, dass MONSANTO auch über mich Dossiers in Auftrag gegeben hat.“ sagte er 2019.

Als fortschrittlichen Gesundheitspolitiker weist ihn seine Vergangenheit allerdings nicht aus. So befürwortete er die Schließung unrentabler Krankenhäuser, saß im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Kliniken und trat für Fallpauschalen ein. Eine dringend erforderliche Neuerung wird es in seiner Amtszeit schon einmal nicht geben: Die Bürgerversicherung. Dementsprechend erleichtert zeigt sich die FAZ. „Die Private Krankenversicherung kann dankbar sein, dass es die Linkspartei nicht in die Koalition geschafft hat. Denn sowohl die Linke als auch SPD und Grüne hatten die Einführung einer Bürgerversicherung angekündigt – mit der es der PVK an den Kragen gegangen wäre. Jetzt aber sichert die FDP den Fortbestand des dualen Systems.“

Die FDP sichert den Konzernen neben einer „Superabschreibung“ auch den Fortbestand der erweiterten Verlust-Verrechnung und zusätzliche Steuer-Einsparungen wie den Ausbau des Verlust-Vortrags. Aber nach Ansicht der Firmen hätte es noch ein bisschen mehr sein dürfen. „Im Koalitionsvertrag fehlt es an einem klaren Bekenntnis der Koalition zu einer wettbewerbsfähigen Besteuerung (fett im Original, Anm. SWB) der Unternehmen von maximal 25 Prozent“, moniert der BDI. Und dem „Verband der Chemischen Industrie“ schwant deshalb Schlimmes: Steuerpolitisch wird der Standort Deutschland aus Sicht des VCI mit dem Konzept des Koalitionsvertrages in den kommenden Jahren noch weiter im Standort-Wettbewerb zurückfallen.“

Bei den handelspolitischen Beschlüssen der Ampel liegt für die Verbände auch so einiges im Argen. Sie bekennen sich zwar grundsätzlich zur Verankerung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards in Handelsverträgen, aber die in der Vereinbarung diesbezüglich formulierten Kriterien für den Kontrakt der EU mit den Mercosur-Staaten sind nach dem Dafürhalten des BDI „so kategorisch formuliert, dass damit faktisch das Abkommen auf Eis gelegt wird“. Nach Meinung des Verbandes gelte es, wie auch in Sachen „Lieferketten“, vielmehr „die richtige Balance zwischen Prinzipien und Pragmatismus zu finden.
Durch andere Vorhaben sehen die Konzerne sich in ihrem Wachstum gestört. So stehen sie einer Erweiterung der Fusionskontrolle ebenso skeptisch gegenüber wie einer Entflechtung, der statt eines Machtmissbrauchs als ultima ratio schon die bloße Macht zum Eingreifen reicht. Dazu dürfte es freilich mit der FDP im Boot schwerlich kommen. Und all die anderen Pläne der Ampel sind auch nicht dazu angetan, den Kapital-Verkehr großartig zu behindern. Dafür nehmen SPD, Grüne und FDP der Konzern-Kritik eine wichtige Plattform. Die Parteien ermöglichen es den Unternehmen, ihre Hauptversammlungen auch ganz ohne Pandemie dauerhaft online abzuhalten und so vor UmweltschützerInnen, Klima-AktivistInnen, Gentech-GegnerInnen und anderen ins Virtuelle zu flüchten.

[SWB 01/2022] Kampagne gegen Klima- und Sozialgesetze

CBG Redaktion

BAYER vs. Biden

Mit einem billionen-schweren Gesetzes-Paket will die Biden-Administration Sozialreformen auf den Weg bringen und die Wirtschaft klima-freundlicher gestalten. Aber höhere Unternehmenssteuern und andere Maßnahmen zur Gegenfinanzierung passten BAYER & Co. nicht. Also organisierten die Konzerne eine große Kampagne gegen den „Build Back Better“-Act.

Von Jan Pehrke

BAYER & Co. gehen bei der Verteilung ihrer Spenden-Gelder an PolitikerInnen äußerst umsichtig vor. Die Unternehmen setzen nicht einfach alles auf die Karte, denn im Falle eines Falles müssen sie sich ja auch mit dem von ihnen nicht favorisierten Lager arrangieren. Darum streut der Leverkusener Multi die finanziellen Zuwendungen. Bei der letzten Wahl in den USA flossen aus seinem 327.500 Dollar schweren Etat zur Pflege der politischen Landschaft 56,49 Prozent an Republikaner-Innen und 43,51 Prozent an DemokratInnen. Und sogar bei der einzelnen Parteien selbst gehen die Konzerne nicht einfach nach dem Gießkannen-Prinzip vor, sondern wählen sich ihre Leute ganz genau aus.
Zuletzt kam das bei der Kampagne gegen den „Build Back Better“-Act der Biden-Administration zum Tragen. Mit diesem Gesetzes-Paket will die US-Regierung die sozialen und ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie mindern und gleichzeitig die Weichen für eine klima-schonendere Wirtschaft stellen. Nicht weniger als 3,5 Billionen Dollar sah das Paragrafen-Werk für bessere Krankenversicherungsleistungen, Steuerentlastungen für Familien, mehr Kinderbetreuungsangebote, bezahlte Elternzeit, erleichterte Hochschul-Zugänge und eine Stärkung der Altenpflege vor. Die 2. Säule umfasst Investitionsanreize für die Industrie zur Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen in Höhe von 555 Milliarden Dollar.

Zur Gegenfinanzierung planten Biden & Co. unter anderem, die von Donald Trump veranlasste drastische Unternehmenssteuer-Senkung wieder etwas zurückzufahren und die Arzneimittel-Preise zu senken. Zu diesem Behufe beabsichtigten sie, der staatlichen Gesundheitsagentur Medicare das Mandat zu erteilen, mit den Herstellern Preis-Rabatte auszuhandeln. Das „Congressional Budget Office – die Finanzabteilung des Kongresses – ermittelte hier über die nächsten zehn Jahre ein Einspar-Potenzial von 456 Milliarden Dollar.

Das passte BAYER natürlich gar nicht. Auch die anderen Multis zeigten sich „not amused“. Also starteten die Firmen eine Kampagne. Dabei konzentrierten sie sich darauf, die hauchdünne Mehrheit der Demokraten zu unterminieren und Abgeordnete mittels üppiger „Wahlkampf-Hilfe“ aus der Fraktion herauszulösen. So erhielten Carolyn Bourdeaux, Ed Case, Jim Costa Henry Cuellar, Jared Golden, Vincente Gonzales, Josh Gottheimer, Joe Manchin, Stephanie Murphy Kurt Schrader, Kyrsten Sinema und Filemon Vela in jüngster Zeit hunderttausende Dollar. Allein der Leverkusener Multi bedachte im laufenden Jahr Gottheimer, Murphy und Schrader mit je 2.500 Dollar und Jim Costa mit 1.000 Dollar. Die konservativen Demokraten-Zirkel „Moderate Democrats“ und „Blue Dog Coalition“ erhielten noch mal je 5.000 Dollar vom Global Player. Auch andere DAX-Konzerne wie Airbus, BASF, Siemens, Deutsche Telekom und das Familien-Unternehmen Boehringer zeigten sich erkenntlich.

Die HauptprotagonistInnen der partei-internen Opposition sind die beiden SenatorInnen Kyrsten Sinema und Joe Manchin. Sinema, die im Vorfeld der letzten US-Wahl allein 121.000 Dollar von der Pillen-Industrie – darunter 1.000 Dollar vom Leverkusener Multi – erhalten hatte, wandelte sich so von einer engagierten Kämpferin für erschwingliche Medikamenten-Preise zu einer entschiedenen Streiterin für Big Pharma. Auch gegen Bidens Absicht, die Unternehmenssteuern wieder etwas anzuheben, wendet sie sich. Manchin, dessen frühere Wahlkämpfe der Leverkusener Multi mit rund 50.000 Dollar gefördert hatte, strich aktuell vor allem Geld von der Öl-, Papier- und Versicherungsindustrie ein. Als Abgeordneter aus der Kohle-Region West Virginia stört er sich vor allem an den Klimaschutz-Vorhaben des „Build better back acts“.

Das meiste Geld zur Pflege der politischen Landschaft stammt allerdings nicht von den einzelnen Unternehmen selbst, sondern von ihren Interessensverbänden wie dem „Business Roundtable“, dem „US Chamber of Commerce“ und den „Pharmaceutical Research & Manufacturers of America“ (PhRMA). Der „Business Roundtable“ machte gegen Bidens Plan, den Unternehmenssteuersatz von 21 auf 28 Prozent zu erhöhen, mobil. Das „US Chamber of Commerce“ ließ verlautbaren, „alles in unserer Macht stehende“ zu tun, um das Wiederaufbau-Programm in seiner ursprünglichen Form zu verhindern und bewarb dafür unter anderem die abtrünnigen Demokraten auf Facebook massiv. Die PhRMA warnte derweil, eine Kappung der Arznei-Preise würde „das gleiche innovative Ökosystem zerstören, aus dem lebensrettende Impfstoffe und Therapien zur Bekämpfung von COVID-19 erwuchsen“ und schaltete entsprechende Anzeigen. Das „American Action Network“ bezeichnete das Vorhaben gleich als eine „sozialistische Übernahme des Medikamenten-Marktes“, und sogar eine eigene „Coalition Against Socialized Medicine“ brachten BAYER & Co. an den Start.
Das alles zeitigte Erfolge. Dem innerparteilichen Druck geschuldet, musste Joe Biden den „Build Back Better“-Etat von 3,5 Billionen Dollar auf 1,75 Billionen reduzieren. Ein 150 Milliarden Dollar umfassendes Anreiz-Programm zum Umstieg auf erneuerbare Energien fiel ebenso Streichungen zum Opfer wie eine Methan-Abgabe, bezahlte Elternzeit und ein besserer Krankenversicherungsschutz für Angestellte. Die Pläne zur Reduzierung der Arznei-Preise und zur Stärkung der staatlichen Krankenkassen dürften – wenn überhaupt – allenfalls in Schrumpf-Form überleben.

Damit begnügten sich die Partei-Rechten jedoch nicht. Sie gaben ihre Blockade-Haltung nicht auf. So blieb Joe Biden nichts anderes übrig, als ohne ein fertiges Maßnahme-Paket zur Treibhausgas-Reduktion zum Klima-Gipfel nach Glasgow reisen. Auch zur verlorenen GouverneurInnen-Wahl in Virginia trug der interne Streit bei. Das bewog die Partei-Linke, die als Reaktion auf den Widerstand von Sinema & Co. die Zustimmung zu Bidens Infrastruktur-Gesetz verweigerte hatte, einzulenken.

Aber ihre Hoffnung, auf diese Weise am 5. November mit der endgültigen Verabschiedung der „infrastructure bill“ den „Build Back Better Act“ seine erste parlamentarische Hürden nehmen zu lassen, trog. Die Rechtsabweichler meldeten noch Klärungsbedarf an und wollten alles noch einmal vom Congressional Budget Office durchrechnen lassen, das schon bei der „infrastructure bill“ eine Deckungslücke von rund 250 Milliarden ausgemacht hatte. Erst am 19. November votierte das „House of Representatives“ für das Gesetz, nur Jared Golden blieb standhaft.

Bei der entscheidenen Abstimmung im Senat können die Demokraten sich Abtrünnige wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse dort nicht mehr erlauben. Trotzdem haben weder Kyrsten Sinema noch Joe Manchin bisher nachgegeben. Die Partei-Spitze hat deshalb noch viel Arbeit vor sich, um die beiden zu einer Meinungsänderung zu bewegen und das „Build Back Better“-Paket durchzubringen. Ohne weitere Zugeständnisse an Sinema und Manchin dürfte das zur Freude der Industrie kaum gelingen. Dementsprechend viel Kritik forderte die Einflussnahme der Multis heraus. „Es darf nicht sein, dass Unternehmensgeld diesen Prozess kontaminiert“, mahnte Kyle Herrig von der Antikorruptionsinitiative ACCOUNTABLE.US. Der linke Demokrat Bernie Sanders sprach derweil von Gier, welche die Firmen durchdringe und haderte mit den Abgeordneten aus den eigenen Reihen. „Mir ist klar, dass die Pharma-Industrie die Republikaner-Partei besitzt und dass kein Republikaner für ein solches Gesetz stimmt, aber es gibt keine Entschuldigung für einen Demokraten, es nicht zu unterstützen“, so Sanders. Und auch die Coordination gegen BAYER-Gefahren protestierte. „BAYER und die anderen Konzerne kaufen sich ihre Politik nach Belieben. Diese Praxis muss ein Ende haben. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert ein Verbot aller Spenden an PolitikerInnen in den USA und anderswo“, hieß es in ihrer Presseerklärung zum Thema.

[SWB 01/2022] CURRENTA bereitet einen Neustart vor

CBG Redaktion

Alles auf Anfang?

Trotz der verheerenden Auswirkungen der Explosion vom 27. Juli im Tanklager des Sondermüll-Entsorgungszentrums mit sieben Toten und 31 Verletzten strebt die CURRENTA eine schnelle Wiederinbetriebnahme dieses Komplexes des Leverkusener Chem„parks“ an.

Von Jan Pehrke

„Winterschlaf“ – diese Statusmeldung gab Chem„park“-Leiter Lars Friedrich im WDR-„Stadtgespräch“ zu dem aktuellen Zustand des Sondermüll-Entsorgungszentrums nach der Explosion vom 27. Juli ab. Er ließ in der Diskussionssendung aber keinen Zweifel daran, dass er auf ein Frühlingserwachen setzt. Benedikt Rees von der Leverkusener Klimaliste reagierte alarmiert auf das Ansinnen, nach einer solchen Katastrophe mit sieben Toten und 31 Verletzten im Tanklager nahe der Verbrennungsöfen einfach wieder zur Tagesordnung übergehen zu wollen. Der Lokalpolitiker forderte stattdessen ein neues Genehmigungsverfahren ein. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser zeigte Verständnis dafür. „Das kann ich absolut nachvollziehen“, so die CDU-Politikerin. Ein amtliches „Ja“ zu einem solchen Prozedere war das jedoch nicht, noch nicht einmal ein neuerliches „Business as usual“ schloss sie aus. „Wir müssen uns anschauen, ob Veränderungen nötig sind“, blieb Heinen-Esser vage.

Als Entscheidungsgrundlage dafür möchte die Landesregierung das Sachverständigen-Gutachten zur Ursache der Detonation heranziehen. „Eine Wiederinbetriebnahme bzw. ein Wiederaufbau der Anlage ist erst nach eindeutiger Klärung des Ereignis-Hergangs und vorbehaltlich eventuell erforderlicher organisatorischer und/oder technischer Änderungen möglich“, erklärten CDU und FDP in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Auch „Änderungsbedarfe an dem bestehenden Regelwerk“ schlossen die Parteien nicht aus. Bei einer Anhörung im Leverkusener Stadtrat nannte Dr. Horst Büther von der Bezirksregierung einige konkrete Punkte. Je nach Ergebnis der Expertise könnten beispielsweise bestimmte Abfall-Gruppen aus der Genehmigung genommen sowie die Überwachung verschärft werden, so Büther.

Entsorgungsnotstand
Gleichzeitig drängt die Landesregierung jedoch zur Eile, denn seit der Detonation im Tanklager besteht in Nordrhein-Westfalen ein Entsorgungsnotstand. Einzelne Firmen wie etwa die ehemalige BAYER-Tochter LANXESS waren schon gezwungen, ihre Produktion zu drosseln. „Die aufgrund des Explosions- und Brandereignisses im Chem‚park’ Leverkusen am 22.(sic!)07.2021 beschädigte Rückstands- und Abfallverbrennungsanlage der CURRENTA GmbH & Co. OHL muss zeitnah wieder in Stand gesetzt werden“, erklärt Schwarz-Gelb deshalb. Welche Hürden zur Wiederaufnahme des Betriebs zu nehmen sind, hängt von den Plänen des Unternehmens ab, wie Horst Büther im NRW-Umweltausschuss erläuterte. „Soll dieses Tankfeld wieder genauso aufgebaut werden, wie es war, oder sollen Änderungen vorgenommen werden? Und je nachdem, welche Änderungen vorgenommen werden sollen, muss eine entsprechende Änderungsgenehmigung beantragt werden bei uns, bei der Bezirksregierung. Und im Rahmen dieser Änderungsgenehmigung werden wir gucken: Was müssen wir für Anforderungen stellen an die Wiederinbetriebnahme des Betriebes? Wenn tatsächlich 1:1 aufgebaut werden sollte, wären die Anforderungen gering, andererseits sind sie höher“, so Büther.

Bis zum 10. Dezember lag der Bezirksregierung Köln aus Leverkusen diesbezüglich noch nichts vor. Ihrer Einschätzung nach beabsichtigt der Chem„park“-Betreiber jedoch, wieder aufs Ganze zu gehen. „Aufgrund der hohen Bedeutung der SMVA (Sondermüll-Verbrennungsanlage, Anm. SWB) für die Entsorgungssicherheit des gesamten Standortes ist davon auszugehen, dass die Fa. CURRENTA die Betriebsgenehmigungen für die derzeit stillstehenden vier Verbrennungslinien künftig weiter in Anspruch nehmen wird“, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Regionalrat des Regierungsbezirks Köln.

Eine neue Genehmigung braucht das Unternehmen der Bezirksregierung zufolge dafür nicht. Es hat nur etwaige Verbesserungsvorschläge der GutachterInnen umzusetzen. Aber diese leisten der Behörde zufolge auch schon Hilfestellung für einen Neustart: „Bestandteil der sicherheitstechnischen Prüfung durch die Sachverständigen ist auch die Möglichkeit der kurzfristigen Wiederinbetriebnahme von Anlagen-Teilen.“

Das reicht der CURRENTA aber offensichtlich nicht. Daher hat sie noch weitere ExpertInnen engagiert. „Die Unterstützung durch Professor Jochum und sein Team ist wichtig, um sicherzustellen, dass aus der Aufarbeitung des Ereignisses die richtigen Schlüsse gezogen werden und Eingang in die Prozesse und Abläufe der CURRENTA finden. Überprüft werden daher auch die Maßnahmen zur Wiederinbetriebnahme der Anlage“, erklärte Geschäftsführer Hans Gennen. Aber auch „Fragen und Sorgen der Öffentlichkeit“ fänden Berücksichtigung, beschwichtigt der Manager. Der Herr Professor wiederum zeigte sich überzeugt, „dass wir die Aufarbeitung des Ereignisses und den Weg zur Wiederinbetriebnahme erfolgreich mitgestalten können.“

Dabei stellen die knappen Abstände des Entsorgungszentrums zu Wohnsiedlungen nach Ansicht der Bezirksregierung keinen Hinderungsgrund dar. „Viele Standorte der chemischen Industrie sind zu Zeiten entstanden, in denen es keine störfallrechtlichen Abstandsregelungen gab. In diesen Fällen genießen Anlagen und Schutzobjekte Bestandsschutz“, konstatiert sie. Die derzeitige Chem„park“-Regelung entspricht ihr zufolge dem Leitfaden der „Kommission für Anlagensicherheit“ (KAS): „Demnach sind die Abstände der SMVA zur benchbarten Wohnbebauung ausreichend.“ Sogar die Hochspannungsleitung, die quer über das ganze Areal verläuft und am Tag der Explosion erst umständlich vom Netz genommen werden musste, ehe die Feuerwehr mit vollem Einsatz löschen konnte, darf bleiben. Lediglich ein „schnelleres Freischalten“ muss die CURRENTA künftig garantieren.

Das Geschäftsmodell, aus der Entsorgung Kapital zu schlagen und dafür Müll aus aller Herren Länder zu akquirieren, sieht die Bezirksregierung Köln ebenfalls nicht gefährdet. Dabei ist dieses mit für das Unglück in Haftung zu nehmen, nicht nur weil die Substanz, die den Tank zum Platzen brachte, von weit her stammte. Ohne den grenzüberschreitenden Müll-Tourismus hätte es solch großer Tanklager als Zwischenlager-Stätten für die giftigen Produktionsreste gar nicht nicht bedurft. Aber die Bezirksregierung beantwortete die Frage abschlägig, ob es behördlicherseits möglich wäre, der CURRENTA eine Auflage zu erteilen, nur noch solche Stoffe zu verbrennen, die vor Ort anfallen. „Die Anlage besitzt eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Verbrennung von 264.000 Tonnen/a und ist aufgrund ihrer Kapazität dafür ausgelegt, Abfälle aus Deutschland und anderen EU- bzw. EFTA-Staaten zu verbrennen. Einschränkungen zum Entstehungsort der Abfälle sind rechtlich nicht begründbar und könnten allenfalls als freiwillige Selbstbeschränkung der Betreiberin umgesetzt werden“, so die Behörde. Noch nicht einmal bei den Kontrollen will sie Defizite einräumen. Sie hält das Prozedere bestehend aus Eigenüberwachung im Zusammenspiel mit Prüfstellen wie dem TÜV und gelegentlichen Inspektionen ihrerseits für nicht reformbedürftig: „Aus Sicht der Bezirksregierung ist dieses Überwachungssystem ausreichend.“ Und beim Thema „Arbeitsschutz“ mag sie offenbar auch keinen Handlungsbedarf erkennen.

Die Ermittlungen
Die Kölner Staatsanwaltschaft, die gleich am Tag nach dem Ereignis Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion eingeleitet hatte, bietet ebenfalls kaum Anlass zur Hoffnung, denn die bürgerliche Justiz muss Schuld individualisieren. Und so präsentierte die Anklage-Behörde dann im Oktober 2021 drei Beschäftigte als Tatverdächtige. Verletzung der Sorgfaltspflichten legt sie ihnen zur Last. Konkret lautet der Vorwurf, die Männer hätten eine Chemikalie über der zulässigen Temperatur gelagert, was zu einem Druckanstieg und schließlich zur Explosion führte. Zur Beweissicherung nahmen die Beamt-Innen bei den Beschuldigten sowie bei der CURRENTA Hausdurchsuchungen vor und stellten Datenträger, Handys und Dokumente sicher.

Mit diesem Vorgehen bricht die Staatsanwaltschaft Organisationsversagen auf menschliches Fehlverhalten herunter. Es war aber eine komplexe Gemengelage, die den großen Knall mit einem solchen Ausmaß an Folgen überhaupt erst möglich gemacht hat. Und ihre Geschichte reicht weit zurück. Deshalb trägt auch der BAYER-Konzern Mitverantwortung, obwohl er seine CURRENTA-Anteile im Jahr 2019 verkauft hat. Der Leverkusener Multi war es nämlich, der einst das Entsorgungszentrum errichtete mitsamt der Tanks, die so dicht nebeneinander standen, dass am 27. Juli ein Domino-Effekt eintrat. Auch trieb er seine ehemalige Service-Gesellschaft dazu, Profit aus der Entsorgung zu schlagen und nutzte all seinen politischen Einfluss, um strengere Sicherheitsauflagen zu verhindern.

Die Betriebsabläufe
Aber noch aus einem anderem Grund schlägt die Arbeit der Kölner Staatsanwaltschaft die falsche Richtung ein. In jedem Industrie-Komplex, welcher der Störfall-Ordnung unterliegt, sollten die Betriebsabläufe eigentlich so durchformalisiert sein, dass individuelle Versehen ohne gravierende Auswirkungen bleiben. Zu diesen Anforderungen zählen unter anderem verbindliche Verantwortlichkeiten für Kontrollen und eine systematische Risiko- und Gefahrenanalyse. Auch eine ständige Qualifizierung des Personals sowie eine detaillierte Unterweisung von Leih- und FremdarbeiterInnen, die nur zeitweise auf dem Gelände tätig sind, gehört zu dem Katalog. Über diesen ganzen Komplex müsste eigentlich zu Gericht gesessen werden, dafür aber fehlen die Instrumente. Darum tritt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bereits seit Jahren für Einführung eines Unternehmensstrafrechts ein. Zudem fordert die Coordination eine grundlegende bauliche, organisatorische und sicherheitstechnische Veränderung des Entsorgungszentrums und dementsprechend ein neues Genehmigungsverfahren mit Bürgerbeteiligung. Grünes Licht für ein einfaches „Weiter so“ auf dem kleinen Dienstweg mit lediglich ein paar kosmetischen Eingriffen darf es nach der verheerenden Explosion vom 27. Juli nicht geben.

[SWB 01/2022] Doppelte Pestizid-Standards

CBG Redaktion

BAYERs giftige Geschäfte

Der BAYER-Konzern vermarktet in den Ländern des globalen Südens viele Pestizide, die innerhalb der EU wegen ihrer Risiken und Nebenwirkungen verboten sind. „Legal, illegal, scheißegal!“ lautet die rendite-trächtige Maxime. Aber diese Politik der doppelten Standards gerät zunehmend in die Kritik.

Von Jan Pehrke

In den Ländern des globalen Südens geht der BAYER-Konzern seinen Geschäften noch mal in anderer Weise nach als in denen der „Ersten Welt“. Diese doppelten Standards – sei es bei der Produktion, bei den Produkten oder beim Faktor „Arbeit“ – kritisiert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bereits seit Jahrzehnten. 1992 widmete das Stichwort BAYER dieser Praxis am Beispiel Peru sogar ein Sonderheft. „Die Hauptproblembereiche, die sich herauskristallieren, lassen sich unter dem Begriff „doppelte Standards“ subsumieren“, hieß es in der Einleitung. Und diese galten in diesem Land nicht zuletzt für den Pestizid-Verkauf. So konsta-tierte das SWB damals: „Nahezu alle Produkte, die in anderen Staaten verboten, anwendungsbeschränkt oder nicht zugelassen sind oder von internationalen Organisationen als besonders gefährlich eingestuft werden, lassen sich auf der Liste registrierter Wirkstoffe des Landwirtschaftsministeriums finden“.

Auch setzte die Coordination das Thema immer wieder auf die Tagesordnung der BAYER-Hauptversammlungen. Im Jahr 2006 etwa berichtete Jens Elmer vom EINE-WELT-NETZ-NRW über die Situation in Indien, wo der Leverkusener Multi Besserung in Sachen „doppelte Standards“ gelobt hatte. Bis Ende 2004 wollte der Konzern dort den Vertrieb des Ackergifts Monocrotophos einstellen, das die Weltgesundheitsorganisation WHO in der obersten Gefahrenklasse listet. Aber es blieb bei Absichtsbekundungen.

Der Aktivist fand den Stoff bei seinem Besuch in Andrah Pradesh in den Regalen eines Händlers vor und präsentierte den AktionärInnen den Beweis für den Wortbruch: „Die Quittung habe ich ihnen hier mitgebracht.“ Der zuständige indische BAYER-Manager gab sich später hilflos: „Der Markt zwingt uns dazu, weiter Monocrotophos, Finalfos und so weiter zu liefern. Die Nachfrage kommt von unseren Großhändlern.“ Eigentlich hatte das Unternehmen 1995 sogar noch ein viel weitgehenderes Versprechen gemacht. Es hatte angekündigt, bis zum Jahr 2000 keine Pestizide mehr zu vermarkten, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO in die Gefahren-Klasse 1 einordnet. Von Elmer daran erinnert, wurde der damalige BAYER-Chef Werner Wenning kleinlaut: „Die Ziele haben nach wie vor Gültigkeit.“
2018 präsentierte Alan Tygel von der PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGRARGIFTE UND FÜR DAS LEBEN auf dem AktionärInnen-Treffen den Länderreport für Brasilien. „Das in Brasilien registrierte Portfolio an Agrargiften von BAYER umfasst 109 Produkte (...). Ihre Verkaufsschlager sind auf der Basis von Carbendazim und Imidacloprid hergestellte Produkte (...) Ist es nun purer Zufall, dass der eine der beiden Stoffe in der EU verboten ist, der andere gerade verboten wird?“, führte er aus und nannte dann weitere Agro-Chemikalien, die der Leverkusener Multi in der Europäischen Union nicht vermarkten darf. Anschließend fragte Tygel die ManagerInnen-Riege: „Halten Sie Ihre Politik, in Deutschland längst verbotene Agrargifte in Entwicklungsländer zu schicken, für ethisch vertretbar?“ Im nächsten Jahr legte der Aktivist den Komplex „doppelte Standards“ auf Wiedervorlage, weil sich nichts tat, und verschärfte den Ton entsprechend: „Sind unsere brasilianischen Körper etwa widerstandsfähiger gegen Agrargifte als die Körper der Europäerinnen und Europäer?“

Viele neue Studien
Genaueren Aufschluss über die Lage nicht nur in Brasilien, sondern auch in Südafrika gibt die Studie „Gefährliche Pestizide von BAYER und BASF – ein globales Geschäft mit Doppelstandards“, die INKOTA und MISEREOR im Jahr 2020 herausgegeben haben. Demnach vermarktet der Leverkusener Multi in Brasilien mit Carbofuran, Cyclanilid, Ethiprole, Ethoxysulfuron, Fenamidon, Indaziflam, Ioxynil, Oxadiazon, Probineb, Thidiazuron, Thiodicarb und Thiram dreizehn Ackergifte ohne EU-Zulassung. In Südafrika ist der Konzern mit acht Stoffen dabei: Carbofuran, Oxadiazon, Probineb, Pyrosysulfone, Thiadiazuron, Thiodicarb und Triadimenol. Und auf dem mexikanischen Markt finden sich zwei BAYER-Substanzen, welche die EU mit einem Bann belegt hat: (Beta-)Cyfluthrin und das im Rest der Welt von BASF vertriebene Glufosinat. Auch die von Brüssel erst nach Erscheinen der Untersuchung aus dem Verkehr gezogenen Mittel Spirodiclofen, Imidacloprid und Clothianidin behielt der Konzern in Brasilien im Angebot. In Südafrika beschränkte er sich auf Imidacloprid und Clothianidin und in Mexiko auf Imidacloprid.

Zudem liefert der Leverkusener Multi anderen Unternehmen EU-weit inkriminierte Wirkstoffe. So ist der Inhaltsstoff Fenamiphos, den die AMERICAN VANGUARD CORPORATION (AMVAC) in Brasilien unter den Produkt-Namen NEMACUR und NEMACUR EC verkauft, made by BAYER. Der Konzern stellt das Fenamiphos in Japan her und verarbeitet es in dem lateinamerikanischen Land dann an seinem Standort Belford Roxo weiter.

Eigentlich müssten die doppelten Standards im umgekehrten Sinne gelten. In den Staaten des globalen Südens sind die Menschen, welche die Pestizide ausbringen, nämlich viel weniger vor deren gesundheitsschädlichen Effekten gefeit. INKOTA und MISEREOR gegenüber gaben beispielsweise über 66 Prozent der südafrikanischen LandarbeiterInnen an, von den Plantagen-BesitzerInnen keine Schutzkleidung ausgehändigt zu bekommen, und 73 Prozent erhielten keinerlei Information über die Risiken und Nebenwirkungen der Mittel. Über 50 Prozent von ihnen lassen die Vorgesetzen überdies keine andere Wahl, als schon eine Stunde nach den Sprüh-Einsätzen wieder auf die Felder zurückzukehren. In Mexiko verdingen sich derweil bereits Kleinkinder auf den Pflanzungen, um das Einkommen ihrer Eltern zu steigern. Oftmals zählen diese zu dem Heer der rund drei Millionen WanderarbeiterInnen, die in die großen Anbau-Gebiete ziehen und als TagelöhnerInnen nur einen spärlichen Lohn erhalten.

Überdies gibt es in diesen Staaten längst nicht so strenge Auflagen wie in der Europäischen Union. „Bei Soja sind in der EU Glyphosat-Rückstände von 0,05 Milligramm pro Kilo erlaubt. In Brasilien 10 Milligramm pro Kilo, also 200 mal mehr. Im Trinkwasser erlaubt Brasilien einen 5.000 mal höheren Glyphosat-Rückstand als Europa“, konstatiert die brasilianische Geografin Larrissa Mies Bombardi. „Molekularen Kolonialismus“ nennt sie das Treiben von BAYER & Co., das diese Defizite aus Profit-Gründen gnadenlos ausnutzt. Mit „Geografie des Pestizid-Einsatzes in Brasilien und seine Verbindungen zur Europäischen Union“ hat die Wissenschaftlerin eine umfassende Studie zum dem Thema vorgelegt und damit das in ihrem Land so mächtige Agro-Business alarmiert. Nach dem Erscheinen der englischen Übersetzung der Studie erhielt Bombardi so massive Drohungen, dass sie sich entschloss, in Europa Zuflucht zu suchen. „Zurück nach Brasilien gehe ich auf keinen Fall, solange Jair Bolsonaro Präsident ist. Es herrscht heute ein Klima der Angst unter kritischen Wissenschaftlern“, sagt die Frau.

Gravierende Folgen
Welche Folgen die Überdosis Agrochemie für den lateinamerikanischen Staat hat, legte Alan Tygel im Jahr 2019 auf der BAYER-Hauptversammlung dar: Die Zahl der Pestizid-Vergiftungen nimmt drastisch zu. „2007 lag sie bei 2.726 Fällen, 2017 schon bei 7.200 – ein Anstieg um 164 Prozent“, so der Kritiker.
Diese Entwicklung verläuft parallel zum steigenden Absatz der Mittel. Auf 894.000 Tonnen belief er sich im Jahr 2019 – eine Erhöhung von 32 Prozent gegenüber 2014. Besonders im Bundesstaat Mato Grosso, wo sich die Soja- und Mais-Monokulturen scheinbar endlos ausdehnen, leiden die Menschen unter dem Dauereinsatz der Chemie-Cocktails. „Du hast einen bitteren Geschmack in deinem Mund. Du möchtest kein Gift mehr einatmen. Du möchtest eine andere Art von Luft einatmen – aber es gibt keine. Dann fühlst Du dich schwach, Du kannst nicht aufstehen (...)“, mit diesen Worten beschrieb der Indigene Jakaira der Initiative HUMAN RIGHTS WATCH den Verlauf seiner Intoxikation. Die Spätfolgen der Pestizid-Ausbringungen zeigten sich 2016 dann den WissenschaftlerInnen von der Bundesuniversität in Cuiabá. 1.442 von Magen-, Speiseröhren- oder Bauchspeicheldrüsen-Krebs Betroffene machten die ForscherInnen in Mato Grosso aus, während es in Bundesstaaten ohne Landwirtschaft im Großmaßstab bloß 53 waren.

Die absoluten Zahlen ermittelte 2020 die Studie „The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning“. Sie machte rund um den Globus 385 Millionen Pestizid-Vergiftungen per anno aus. Ein Großteil davon ereignet sich in Entwicklungs- und Schwellenländern. Prozentual die meisten Fälle unter LandwirtInnen und LandarbeiterInnen gibt es in Süd- und Südost-Asien sowie in Ostafrika. Auch südamerikanische Staaten kommen auf beunruhigend hohe Raten. In besonderer Weise trifft es dabei die prekär Beschäftigten. „Saisonarbeiterinnen, die in der Ernte für das Agro-Business arbeiten, werden wie Wegwerfprodukte behandelt. Unsere Körper werden durch den Pestizid-Einsatz vergiftet“, so Alicia Muñoz von der VEREINIGUNG VON KLEINBÄUERINNEN, SAISONARBEITERINNEN UND INDIGENEN FRAUEN IN CHILE. Von einem „Problem, das nach einem sofortigen Handeln verlangt“, sprechen die AutorInnen der Untersuchung angesichts der alarmierenden Zahlen.

BAYER wiegelt ab
Der Leverkusener Multi hat als zweitgrößter Agrochemie-Anbieter der Welt einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung. Nach einer Studie von PUBLIC EYE und UNEARTHED exportierte er allein im Jahr 2018 2.500 Tonnen Pestizide aus der EU, die in den Mitgliedsländern selbst nicht auf die Äcker dürfen. 36,7 Prozent der vom Konzern verkauften Produkte zählen zu denjenigen, die das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) als hochgefährlich einstuft. Nur SYNGENTA konnte das noch toppen.
Trotzdem weist BAYER alle Kritik zurück. Auf der letzten Hauptversammlung von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN mit dem skandalösen Geschäftsgebaren konfrontiert, wiegelte CROPSCIENCE-Chef Liam Condon nach der Maxime „andere Länder, andere Sitten“ ab. „Richtig ist, dass wir in einigen Ländern Pflanzenschutzmittel vertreiben, die in der EU nicht zugelassen sind. Dies ist aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen der landwirtschaftlichen Praxis auch nicht überraschend und sagt nichts über die Sicherheit der jeweiligen Pflanzenschutzmittel aus“, so Condon. An anderer Stelle holte der Konzern zur Zurückweisung der Vorwürfe noch ein wenig weiter aus. „Aufgrund der unterschiedlichen Klimazonen, Vegetation und Bodenverhältnisse wird für Produkte, die beispielsweise speziell für den Einsatz im asiatischen Raum entwickelt wurden, nicht die Zulassung in Europa beantragt. Außerdem gibt es in tropischen Ländern eine Vielzahl von Krankheiten und Schädlingen, die nur dort vorkommen“, ließ der Global Player verlauten. Darüber hinaus besäßen auch solche Staaten wirksame Verfahren zur Kontrolle der Pestizide: „Viele andere Aufsichtsbehörden auf der ganzen Welt verfügen ebenfalls über sehr zuverlässige, sorgfältig funktionierende und ausgefeilte Regulierungssysteme zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt.“ Brasilien beispielsweise hätte „eines der strengsten Regulierungssysteme der Welt“, erklärt der Agro-Riese.
Damit nicht genug, wartet der Leverkusener Multi mit immer neuen Erklärungen dafür auf, warum er trotz aller Versprechungen immer noch Pestizide der Gefahren-Klasse 1 vertreibt. Mal betont er, das sei „ein langfristiger Prozess“, weil es keine „keine Schwarz/Weiß-Lösungen“ gebe, dann wiederum zweifelt das Unternehmen – auf schwächere Dosierungen etwa bei Cyfluthrin/Beta-Cyfluthrin verweisend – die Klasse-1-Einordnung an. „Die Toxizität dieser Wirkstoffe ist sehr stark vom Lösemittel abhängig. Alle unsere Fertigprodukte mit diesen Wirkstoffen sind WHO-Klasse II“, erklärte er. Und bei anderen Agrochemikalien schließlich will er längst geliefert haben. „Methiocarb von BAYER noch im Handel? Nein, Methiocarb-haltige Produkte werden seit Ende 2019 nicht mehr von BAYER produziert und vertrieben!“, hieß es in einer Stellungnahme zu der Studie über doppelte Standards von INKOTA und PAN. Die beiden Organisationen antworteten lapidar mit einem Screenshot von der Au-stralien/Neuseeland-Website der Aktien-Gesellschaft, die das Produkt im Januar 2021 noch listete. Auch Carbendazim fand sich allen Versicherungen zum Trotz noch im Sortiment. Die Behauptung BAYERs, Fenamiphos lediglich bis 2013 noch an AMVAC geliefert zu haben, konnten die NGOs ebenfalls widerlegen.

Soviel zu Carbendazim und Methiocarb. Zu den anderen in Brasilien und anderswo trotz EU-Bann vertriebenen Ackergiften schweigt der Konzern wohlweislich – er will sie nämlich im Angebot halten. Daran ließ Liam Condon, von der CBG auf der Hauptversammlung im Frühjahr 2021 nach den anderen inkriminierten Substanzen gefragt, keinen Zweifel. „Wir treffen kontinuierlich Entscheidungen über unsere Produkte auf der Basis von Sicherheitsaspekten, aber auch von anderen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Erwägungen für Landwirte. In diesem Kontext bestehen derzeit keine Absichten, die genannten Wirkstoffe aus den Märkten zu nehmen“, führte der Ire aus.

Darüber hinaus lässt der Global Player sich lediglich auf vage Zugeständnisse ein. 2016 verkündete er, in Armutsregionen nur noch solche Ackergifte zu verkaufen, die „den Sicherheitsstandards einer Mehrheit der führenden Zulassungsbehörden entsprechen“. 2019 hörte sich das gegenüber FOODWATCH schon wieder ganz anders an. Da genügte bereits die Genehmigung in einem einzigen, der Industrieländer-Vereinigung OECD angehörenden Staat als Berechtigung dafür, das betreffende Mittel weltweit losschlagen zu können.

Der Druck wächst
Aber der Widerstand gegen die Praxis der doppelten Standards wächst – nicht nur auf den AktionärInnen-Versammlungen von BAYER, BASF & Co. So haben INKOTA und PAN in der Sache einen Offenen Brief an den damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sowie die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöc-kner aufgesetzt, den 60 Organisationen, darunter auch die CBG, unterschrieben haben. Das Schreiben fordert die beiden PolitikerInnen dazu auf, ein Export-Verbot für solche Pestizide auf den Weg zu bringen, die keine Zulassung in der Europäischen Union besitzen.

Im April 2021 schließlich wandte sich der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Giftstoffe und Menschenrechte, Marcos A. Orellana, an Außenminister Heiko Maas und drängte ihn, in Deutschland und in Brüssel auf einen Stopp der Gift-Ausfuhren hinzuwirken. „Die Praxis, gefährliche Pestizide, die wegen der von ihnen ausgehenden Gesundheits- oder Umweltgefährdung verboten sind, in ärmere Länder zu exportieren, schafft doppelte Standards, die den Handel mit und die Verwendung von verbotenen Stoffen in Teilen der Welt mit weniger strengen Vorschriften ermöglichen, wodurch die Gesundheits- und Umweltauswirkungen auf die Schwächsten verlagert werden“, schrieb Orellana.

Zudem haben PAN und INKOTA eine Unterschriften-Sammlung initiiert und dem Bundeslandwirtschaftsministerium im Juni 2021 eine Petition überreicht, die 177.000 Menschen unterzeichnet hatten. „Deutsche Export-Interessen dürfen nicht auf Kosten der Gesundheit von LandarbeiterInnen und Umwelt in anderen Ländern durchgesetzt werden“, sagte Wiebke Beushausen von INKOTA bei der Übergabe in Berlin. Auch der Bundestag befasste sich bereits mit der Angelegenheit. Am 11. Februar debattierten die Abgeordneten über den von Bündnis 90/Die Grünen und „Die Linke“ gemeinsam gestellten Antrag: „Gefährliche Pestizid-Exporte stoppen – Internationale Abkommen zum Schutz vor Pestizid-Folgen stärken“.
Eine Aktion zivilen Ungehorsams führte hingegen BLOCK BAYER durch. Die Gruppe besetzte im April 2021 zwei Verladestationen des Dormagener Chemie-„Parks“, von wo aus mit einem EU-Bann belegte BAYER-Pestizide wie etwa Probineb ihren Weg durch die große weite Welt antreten. „Es ist ein Skandal, dass ein deutscher Konzern im globalen Süden hochgefährliche Pestizide verkauft, die hier verboten sind. Das wollen wir hier deutlich machen und fordern, dass BAYER die Produktion hochtoxischer Pestizide stoppt“, erklärte eine Sprecherin von BLOCK BAYER damals.

An die EU richteten sich ebenfalls Forderungen. So bekamen die zuständigen EU-KommissarInnen einen Offenen Brief von 70 Organisationen – unter anderem unterzeichneten PAN, INKOTA, BUND, FOODWATCH und natürlich die Coordination – zu den doppelten Standards. Auch eine Gruppe von EU-ParlamentarierInnen schrieb der Kommission, um ein Ausfuhrstopp zu erwirken. Sogar der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen appellierte im Juli 2020 an die Europäische Union, die Praxis nicht länger zu dulden. „Wenn die EU mit all ihren Ressourcen zum Schluss kommt, dass diese Pestizide zu gefährlich sind, wie können sie dann in ärmeren Ländern sicher eingesetzt werden, wo oft nicht einmal die notwendige Schutzausrüstung vorhanden ist?“, fragte der Orellana-Vorgänger Baskut Tuncak.

Die Reaktionen
Ohne Wirkung blieb das alles nicht. Frankreich und die Schweiz untersagten die Ausfuhr dieser Agro-Chemikalien. Und die EU-Kommission bekundete gegenüber PAN EUROPE ebenfalls die Absicht, den „Export von gefährlichen, in der EU verbotenen Chemikalien, inklusive Pestiziden“ zu unterbinden. „Die Kommission prüft momentan mehrere Optionen zur Umsetzung, inklusive einer Änderung der Vorschriften“, heißt es in dem Brief mit Verweis auf die im Oktober 2020 verkündete Chemikalien-Strategie. Gegenüber dem Internet-Portal Euractiv bestätigte eine anonyme Brüsseler Quelle entsprechende Pläne. „Wie können wir es rechtfertigen, die Gesundheit und die Umwelt anderer außerhalb der EU mit Produkten zu gefährden, die wir in der EU aus Gesundheits- und Umweltschutz-Gründen nicht verwenden wollen. Wir müssen sicherstellen, dass unsere Gesetzgebung gleiche Ansätze auf das anwendet, was wir auf unserem Markt zulassen und auf das, was wir auf andere Märkte exportieren“, so der Insider.
Die Große Koalition signalisierte Zustimmung. „Die Bundesregierung begrüßt, dass die EU-Kommission das Thema der Produktion von in Europa verbotenen Chemikalien für den Export adressieren möchte und sieht den angekündigten Vorschlägen der EU-Kommission hierzu mit Interesse entgegen“, hielten CDU und SPD. in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zum internationalen Chemikalien-Management fest.

Allerdings gibt es nicht wenige Beharrungskräfte, sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Das Bundeslandwirtschaftsministerium etwa wendet sich strikt gegen Beschränkungen. Es hält solche Maßnahmen für sinnlos, da „viele Wirkstoffe auch in Übersee hergestellt werden“ und dann eben von dort aus in die Länder gelangten, wie es hieß. Bei der EU zeigen sich ebenfalls längst nicht alle Gremien bereit, gegen die Gift-Lieferungen vorzugehen. Der Europäische Rat zum Beispiel weigert sich, den Import solcher Lebensmittel zu untersagen, die Rückstände von in der EU nicht erlaubten Pestiziden enthalten – nicht zuletzt ein Erfolg des Extrem-Lobbyings von BAYER & Co. In Sachen „doppelte Standards“ bauen die Agro-Riesen nicht weniger Druck auf. Es wird sich zeigen, ob Brüssel und Berlin dem standhalten können.

Die Ampel-Koalition hat sich erst einmal vorgenommen, das Thema anzugehen. „Wir werden von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen, den Export von bestimmten Pestiziden zu untersagen, die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind“, kündigen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag an. Die Möglichkeit gibt es bereits seit Langem. Nicht umsonst haben Frankreich und die Schweiz schon einen Ausfuhr-Stopp verhängt.

Auf den entsprechenden Hebel in den bundesdeutschen Regularien hat Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) in der jungen Welt hingewiesen (1). Der Paragraf 25 des Pflanzenschutzgesetzes erlaubt es dem Landwirtschaftsministerium nämlich per Verordnung, „zur Abwehr erheblicher, auf andere Weise nicht zu behebender Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Tier (...) die Ausfuhr bestimmter Pflanzenschutzmittel (...) in Staaten außerhalb der Europäischen Union zu verbieten“. Eine Verordnung aber lässt sich leicht wieder zurücknehmen – im Gegensatz zu einem Gesetz. Ein solches aber strebt die Regierung Scholz nicht an. Nicht nur deshalb stehen einige Fragezeichen hinter dem Bekenntnis der Parteien.

Dabei wäre eine entsprechende Regelung nur ein erster Schritt. Am Ende müsste eine supranationale Einigung über den Umgang mit gefährlichen Ackergiften stehen. Eben dieses Ziel verfolgt Larissa Bombardi von ihrem Exil in Brüssel aus. „Als nächstes möchte ich mich der Idee von internationalen Regeln für den Einsatz von Pestiziden widmen. Es kann nicht sein, dass bestimmte Stoffe in der EU verboten sind, aber das BAYER und BASF sie an Entwicklungsländer verkaufen“, sagte sie in einem Interview mit Zeit Online.

(1) Peter Clausing: Giftige Geschäfte, junge Welt vom 9. Dezember 2021