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Veröffentliche Beiträge in “SWB 02/2022”

Ticker 02/2022

Marius Stelzmann

AKTION & KRITIK

CBG bei Corona-Demo

In Sachen „Corona“ sind bislang zumeist nur rechtsoffene WutbürgerInnen, QuerdenkerInnen und RechtsextremistInnen auf die Straße gegangen. Dabei wollte es das antifaschistische Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer“ nicht bewenden lassen. Es rief unter dem Motto „Gemeinsam durch die Pandemie – solidarische Lösungen statt autoritäre Maßnahmen und Verschwörungswahn“ zu einer Demonstration in der Stadt auf. Rund 1.600 Menschen folgten am 5. Februar dem Appell, darunter auch Mitglieder der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Die Redner-Innen übten Kritik an den QuerdenkerInnen und prangerten die unhaltbare Situation in den gnadenlos auf Effizienz und Profit getrimmten Krankenhäusern an. Andere forderten eine Freigabe der Impfstoff-Patente, attackierten die Profit-Gier von Big Pharma oder mahnten, die Schwächsten der Gesellschaft in der Pandemie nicht allein zu lassen. Jan Pehrke von der CBG nahm in seiner Rede viele dieser Aspekte auf und schloss mit den Worten: „Die Auseinandersetzung sollte nicht zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften verlaufen, sondern zwischen den Konzernen, die nur auf ihren Profit aus sind, und den Menschen, die unter diesem Kapital-Regime leiden. Und in Zeiten der Pandemie mehr denn je darunter leiden, denn diese treibt die Schere zwischen arm und reich noch weiter auseinander.“

Proteste in Lyon

Am 5. März 2022 fand in Lyon, wo sich die französische BAYER-Zentrale befindet, eine große Demonstration gegen den Agro-Riesen statt. Zu den Organisatoren zählten Gruppen wie LES SOULÈVEMENTS DE LA TERRE, LE CONFÉDÉRATION PAYSANNE, EXTINCTION REBELLION, ALER-TE PESTICIDES HAUTE GIRONDE und YOUTH FOR CLIMATE LYON. „Die Folgen der Geschäftstätigkeit des von BAYER aufgekauften Unternehmens MONSANTO sind katastrophal: Wasser- und Bodenverschmutzung, Krebs, Geburtsfehler oder Zerstörung der Artenvielfalt, Verschwinden, Prekarisierung und zunehmende Abhängigkeit von Bauern und Bäuerinnen auf der ganzen Welt“, stand in dem Aufruf, dem rund 2.000 Menschen folgten. Auch an anderen Standorten des Leverkusener Multis wie in Villefranche-sur-Saône, wo der Konzern vorsorglich die Produktion stoppte, und bei BASF in Genay kam es zu Protest-Aktionen.

CBG bei Industrieclub-Kundgebung

Am 26. Januar vor 90 Jahren besiegelte Adolf Hitler im Düsseldorfer Industrieclub seinen Pakt mit den Konzernen. Um an diesen fatalen Schulterschluss zu erinnern, hielt die VEREINIGUNG DER VERFOLGTEN DES NAZIREGIMES – BUND DER ANTIFASCHISTINNEN (VVN-BdA) vor dem geschichtsträchtigen Gebäude an der Elberfelder Straße eine Kundgebung ab. Zudem brachte die Organisation an dem Gebäude eine provisorische Mahntafel an, auf der zu lesen war: „26. Januar 1932. Hier bekam Adolf Hitler Beifall und Geld. Hier wurden die Weichen zum Krieg gestellt.“ Eine solche – allerdings offizielle und dauerhafte – hatte sich die Widerstandskämpferin Maria Wachter an diesem historischen Ort immer gewünscht. Aus gegebenem Anlass nahm auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) an der Aktion teil. Zwar waren am 26. Januar 1932 keine VertreterInnen der von BAYER mitgegründeten IG FARBEN unter den 650 Industriellen, die dem NSDAP-Vorsitzenden lauschten, aber der Konzern knüpfte ebenfalls schon früh Verbindungen zu den Nazis. Bereits 1931 dekretierte der damalige IG-Aufsichtsratschef Carl Duisberg in seiner Funktion als Vorsitzender des „Reichsverbands der deutschen Industrie“: „Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, dass er keine Hemmungen hat und der gesonnen ist, den Geist der Frontgeneration in friedlicher Befreiungsarbeit einzusetzen und zu verwirklichen, so muss diesem Mann unbedingt Folge geleistet werden.“ Und nach der Machtergreifung der FaschistInnen kam Duisberg noch einmal auf seine Worte von damals zurück. „Meine auf der ersten großen Tagung des Reichsverbandes unter meinem Vorsitz dargelegte Meinung hat sich heute noch nicht geändert: Das Wichtigste für die Industrie ist ein starker Staat, eine machtvolle und energische Regierung“, so der IG-Manager im September 1933.

ESSURE-Geschädigte protestieren

Bei ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Sterilisationsmittel, handelt es sich um eine kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen. Allzu oft jedoch bleibt das Medizin-Produkt nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Schmerzen im Unterleib oder anderen Körper-Regionen, Depressionen oder Angstzustände, Kopfschmerzen, Übelkeit, Allergien, Hautausschläge und Haarausfall zählen zu den Nebenwirkungen. In den USA führte das zu 39.000 Klagen, in deren Folge der Leverkusener Multi 1,6 Milliarden Dollar Schadensersatz zahlen musste. Daraufhin entschloss er sich zu einem weltweiten Verkaufssstopp. Drei französische Geschädigten-Verbände nahmen den Tag des Auslaufens der Vermarktung zum Anlass, um vor dem BAYER-Standort Lyon zu protestieren. Unter anderem forderten die Organisationen die Einrichtung eines Fonds für die betroffenden Frauen.

Agrar-Plattformen: zuwenig Kontrolle

Die Digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. Der Leverkusener Multi gehört mit der Plattform „FieldView“ zu den größten Anbietern in diesem Bereich. Auf rund 72 Millionen Hektar kommt dieses Erzeugnis der Digital-Tochter CLIMATE LLC bereits zum Einsatz. Und im Zuge der Kooperation mit MICROSOFT (Ticker 1/22) will der Agro-Riese seine Position noch ausbauen. Wegen der dominierenden Stellung einiger weniger Player wie BAYER in diesem Bereich fordert eine Reihe von Initiativen wie die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT, der BUND, FIAN und INKOTA Regulierungsmaßnahmen. „Zur Begrenzung der Macht von Agrar- und Digitalkonzernen braucht es dringend eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts in Deutschland sowie in der Europäischen Union“, heißt es in dem „Positionspapier Landwirtschaft 4.0.“ Ohne solche politischen Maßnahmen droht den Organisationen zufolge nämlich in Zukunft ein Big Brother über die Äcker zu wachen: „Wenn die landwirtschaftlichen Daten über wenige, übergreifende Plattformen verwaltet werden, muss zudem sichergestellt werden, dass die Daten sowie die Plattformen nicht von einigen wenigen Großkonzernen wie BAYER oder JOHN DEERE kontrolliert werden.“

Digital ist schlechter

Eine ForscherInnen-Gruppe um Sarah Rotz von der kanadischen „University of Guelph“ hat die wissenschaftliche Literatur zu Wohl und Wehe der digitalen Landwirtschaft gesichtet und viele Problem-Felder ausgemacht. „Viele der so genannten technologischen Lösungen werden in einer Weise entwickelt, welche die Konzerne stärkt, statt die unabhängigen Landwirte dabei zu unterstützen, fundierte Entscheidungen über das von ihnen bewirtschaftete agrarökologische System zu treffen“, schreiben Rotz & Co. in „The Politics of Digital Agricultural Technologies“. Und da die Algorithmen der Tools auf die Bedürfnisse der industriellen Landwirtschaft zugeschnitten sind, haben Kleinbauern und -bäuerinnen das Nachsehen, halten sie fest. Aus demselben Grund geben BAYERs FieldView und andere Plattformen den AutorInnen zufolge auch gar keine digitalen Anreize zu einer ökologischen Nahrungsmittel-Produktion. Die Daten-Sicherheit sehen sie bei Big Agro ebenfalls nicht in guten Händen.

Initiative will Pestizid-Petition

Die französische Initiative SECRETS TOXIQUES, mit der die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kooperiert, kritisiert seit Langem die unzureichenden Vorschriften für Pestizid-Zulassungen. So müssen BAYER & Co. keine Studien über Langzeit-Wirkungen der Ackergifte vorlegen. Auch fordert die EU keine Untersuchungen über etwaige Risiken der gesamten Formulierung des Produkts ein. Ihr genügen Daten zu den jeweiligen Hauptwirkstoffen. Das führt zu einer Unterschätzung der Gefahren, z. B. bei Glyphosat. Das weiß auch BAYERs Tochter-Gesellschaft MONSANTO. So hielt ein Firmen-Toxikologe einst fest: „Glyphosat ist OK, aber das formulierte Produkt verursacht den Schaden.“ SECRETS TOXIQUES will nun gemeinsam mit anderen Organisationen über eine europäische Petition eine Reform der Genehmigungsverfahren erreichen.

Umweltbundesamt schlägt Alarm

Das Umweltbundesamt (UBA) zeigt sich angesichts der hierzulande auf den Feldern ausgebrachten Pestizid-Mengen alarmiert. „Seit über 40 Jahren ist der Absatz von Pflanzenschutzmitteln in der deutschen Landwirtschaft mehr oder weniger unverändert. Sorge bereitet uns jetzt, dass der Verkauf problematischer Wirkstoffe steigt“, erklärte UBA-Präsident Dirk Messner. Im Einzelnen nannte das Umweltbundesamt neben bestimmten Insektiziden, welche die wegen ihrer Bienengefährlichkeit seit einigen Jahren verbotenen Neonicotinoide ersetzt haben, die Herbizide Terbuthylazin, S-Metolachlor sowie Flufenacet. Allein der Umsatz mit dieser Substanz, die unter anderem in dem BAYER-Ackergift LIBERATOR PRO enthalten ist, legte 2020 um 32 Prozent zu, was die Umwelt massiv gefährdet. „Flufenacet bildet das persistente Abbauprodukt Trifluoracetat (TFA), das weiträumig in Gewässern und im Trinkwasser gefunden wird und kaum aus dem Wasser entfernt werden kann“, warnt die Behörde. Die Substanz steht schon seit 2004 auf der EU-Liste mit denjenigen Stoffen, die wegen ihrer Risiken und Nebenwirkungen eigentlich ersetzt gehören. Aber „eine Reduzierung des Einsatzes gelingt in Deutschland bislang nicht“, konstatiert das UBA. Messner sieht angesichts der Entwicklung dringenden Handlungsbedarf: „Für eine zukunftsfähige Landwirtschaft muss der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln insgesamt deutlich reduziert werden.“

Überdosis Chemie #1

Im Januar 2022 schlugen WissenschaftlerInnen des „Stockholm Resilence Centers“ Alarm. „Das Tempo, in dem die Gesellschaften neue Chemikalien produzieren und in die Umwelt freisetzen, ist für Menschheit kein sicherer Operationsmodus“, konstatiert Sarah Cornell. Durch die Zunahme der Herstellung von Pestiziden, Kunststoffen und anderen Substanzen um den Faktor 50 seit 1950 sehen die ForscherInnen sogar die „planetare Tragfähigkeit“ gefährdet. Darum fordern sie eine strengere Regulierung der Erzeugnisse von BAYER & Co.

Überdosis Chemie #2

Nach einer Studie des UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und Umwelt, David Boyd, sterben durch die Freisetzung gefährlicher Stoffe in Wasser, Boden & Luft pro Jahr neun Millionen Menschen einen vorzeitigen Tod. „Die derzeitigen Ansätze zur Bewältigung der von Umweltverschmutzung und toxischen Substanzen ausgehenden Risiken versagen eindeutig, was zu weitverbreiteten Verstößen gegen das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt führt“, konstatiert Boyd deshalb.

KAPITAL & ARBEIT

Keine Corona-Prämie

Etliche Unternehmen zahlen ihren Angestellten Corona-Prämien. Bis zu 1.500 Euro reichen die Summen. Bei BAYER & Co. gehen die Belegschaftsangehörigen dagegen leer aus. „[D]ie Chemie-Branche will keine internen und externen Debatten, welcher steuerfreie Bonus nun angemessen ist“, zitiert die Rheinische Post einen Insider. Der Leverkusener Multi erklärte sich lediglich bei Beschäftigten bestimmter Geschäftsbereiche zu Ausgleichszahlungen bereit.

ERSTE & DRITTE WELT

Doppelte Pestizid-Standards

Das Pestizid-Angebot BAYERs besteht zu 36,7 Prozent aus Mitteln, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Welternährungsorganisation FAO als hochgefährlich einstufen. Allerdings macht der Konzern ebenso wie seine Mitbewerber feine Unterschiede bei der Vermarktung dieser „highly hazardous pesticides“ (HHPs). Während der Anteil der HHPs am Umsatz der Branche in Deutschland „nur“ zwölf Prozent beträgt, liegt er in Brasilien bei 49 und in Indien bei 59 Prozent. So vertreibt der Leverkusener Multi in Brasilien mehr als ein dutzend Agro-Chemikalien, die in der EU wegen ihrer Risiken und Nebenwirkungen keine Zulassung (mehr) haben (siehe auch SWB 1/22).

Immer mehr Pestizide

Der globale Pestizid-Absatz nimmt jährlich um rund vier Prozent zu. Aber trotz der vier Millionen Tonnen, die per anno auf den Feldern landen, ist offenbar noch Luft nach oben: Markt-Be-obachterInnen prognostizieren eine Zuwachs-Rate von 11,5 Prozent bis 2023. Dazu trägt nicht zuletzt der Klimawandel bei, denn die Erderwärmung begünstigt die Vermehrung von Schadinsekten und reduziert gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen. Zu allem Übel verteilt sich der Anstieg nicht gleichmäßig über die Welt. Während die Ausbringung der Ackergifte in Europa von 1999 bis 2019 nur um drei Prozent und in den USA um 3,6 Prozent zulegte, waren es in Asien 28,9 Prozent, in Zentralamerika 38,4 Prozent, in Afrika 71,1 Prozent und in Südamerika 143,5 Prozent.

POLITIK & EINFLUSS

BAYER verhindert „Build Back Better“

Mit einem billionen-schweren Gesetzes-Paket wollte die Biden-Administration Sozialreformen auf den Weg bringen und die Wirtschaft klima-freundlicher gestalten. Nicht weniger als 3,5 Billionen Dollar sah der „Build Back Better“-Act für bessere Krankenversicherungsleistungen, mehr Kinderbetreuungsangebote, bezahlte Elternzeit, Steuerentlastungen für Familien, erleichterte Hochschul-Zugänge und eine Stärkung der Altenpflege vor. Die 2. Säule umfasste Investitionsanreize für die Industrie zur Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen in Höhe von 555 Milliarden Dollar. Zur Gegenfinanzierung planten Biden & Co. unter anderem, die von Donald Trump veranlasste drastische Unternehmenssteuer-Senkung wieder etwas zurückzufahren und die Arzneimittel-Preise zu senken. Das passte BAYER natürlich gar nicht (siehe auch SWB 1/22). Auch die anderen Multis zeigten sich „not amused“. Also starteten die Firmen eine Kampagne. Dabei konzentrierten sie sich darauf, die hauchdünne Mehrheit der Demokraten zu unterminieren und Abgeordnete mittels üppiger „Wahlkampf-Hilfe“ aus der Fraktion herauszulösen. Allein der Leverkusener Multi bedachte im laufenden Jahr Josh Gottheimer, Stephanie Murphy und Kurt Schrader mit je 2.500 Dollar und Jim Costa mit 1.000 Dollar. Die konservativen Demokraten-Zirkel „Moderate Democrats“ und „Blue Dog Coalition“ erhielten noch mal je 5.000 Dollar vom Global Player. Das alles zeitigte Erfolge. Dem innerparteilichen Druck geschuldet, musste Joe Biden den „Build Back Better“-Etat von 3,5 Billionen Dollar auf 1,75 Billionen reduzieren. Ein 150 Milliarden Dollar umfassendes Anreiz-Programm zum Umstieg auf erneuerbare Energien fiel ebenso Streichungen zum Opfer wie eine Methan-Abgabe, bezahlte Elternzeit und ein besserer Krankenversicherungsschutz für Angestellte. Aber trotz alledem gelang es nicht, den innerparteilichen Widerstand zu brechen. So gab Biden Anfang 2022 auf. Er will das Maßnahmen-Bündel jetzt wieder aufschnüren, um wenigstens Teile davon zu retten. „Ich glaube, wir können das Paket aufspalten, so viel wie möglich jetzt verabschieden und später für den Rest kämpfen“, sagte er am 19. Januar bei der Pressekonferenz zu seinem einjährigen Amtsjubiläum.

CEFIC vs. Chemikalien-Strategie

Mit immer mehr Chemikalien suchen BAYER & Co. die Welt heim (siehe AKTION & KRITIK). Aus diesen Gründen entschloss sich die Europäische Union zu handeln und brachte im Oktober 2020 eine Chemikalien-Strategie auf den Weg. Diese versteht sich als Teil des „Green Deals“ und beabsichtigt, „den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu erhöhen“. „Wenn wir nichts unternehmen, wird sich die Gesamtzahl der Krebsfälle in der EU bis 2035 voraussichtlich verdoppeln“, mahnte die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Bei den Konzernen läuteten sogleich die Alarm-Glocken. „Für die Chemie- und Pharmabranche und ihre Kunden in nachgeschalteten industriellen Wertschöpfungsketten wird die EU-Chemikalienstrategie massive Auswirkungen haben, wenn sie unverändert umgesetzt werden sollte“, warnte der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI). Der „Handlungspakt“, den der VCI mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) geschlossen hatte, drang dann darauf, keinesfalls das Vorsorge-Prinzip zur Grundlage der Chemikalien-Strategie zu machen. Zudem müsse alles „primär im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung erreicht werden“, hieß es. In Brüssel steuert der europäische Chemie-Verband CEFIC die Aktivitäten. „In der Darstellung der Vorteile und der negativen Auswirkungen von Chemikalien gibt es immer noch ein erhebliches Missverhältnis“, schrieb er an die Generaldirektion Umwelt der EU. Und im Dezember 2021 forderte die Lobby-Organisation – gestützt auf eine „Studie“ – einen „soliden Übergangsrahmen“ sowie „Anreize“ für die Industrie bei der Suche nach weniger gesundheitsschädlichen Substanzen.

Für immer Online-HVs

Schon lange vor Corona hatten die Konzerne mit Online-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen besser vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit dazu, was BAYER als erstes DAX-Unternehmen nutzte. Im letzten Herbst erteilten CDU und SPD den Multis die Erlaubnis, auch 2022 wieder ins Internet flüchten zu können. Und die Ampel-Koalition beabsichtigt nun, ihnen diese Option dauerhaft einzuräumen und bereitet eine entsprechende Überarbeitung des Aktiengesetzes vor. Laut Justizministerium „besteht eine erhebliche Erwartung der Praxis, auch weiterhin vom Instrument der virtuellen Hauptversammlung Gebrauch machen zu können“. Per Satzungsänderung, der die AktionärInnen zustimmen müssen, will der ReferentInnen-Entwurf BAYER & Co. den Weg zur Abhaltung virtueller HVs erschließen, erst einmal für die Dauer von fünf Jahren. Ein Hybrid-Modell sehen die Pläne nicht vor – die Ampelkoalition hält es für zu kompliziert. Mit diesem Vorstoß geht eine massive Einschränkung von AktionärInnen-Rechten einher. Zwar heißt es in dem Schriftstück: „Den Aktionären ist in der Versammlung eine Rede-Möglichkeit im Wege der Video-Kommunikation zu gewähren“, allerdings gestatten SPD, Grüne und FDP den Aktien-Gesellschaften, nach Lust und Laune bzw. dem „Prioritätsprinzip“ über Anzahl und Länge der Beiträge zu befinden. „[E]in Anspruch auf Zulassung von Rede-Beiträgen über die festgelegte Anzahl hinaus besteht nicht“, hält der Entwurf fest. Also bleiben den Konzern-KritikerInnen nur Fragen, bei den Nachfragen wird es dann schon schwierig: „Nachfragen, die in keinem sachlichen Zusammenhang zu der vorab eingereichten Frage und zu der Antwort des Vorstands stehen, werden nicht beantwortet.“ Sogar über die Gesamtlänge der Veranstaltung darf der Versammlungsleiter eigenständig befinden. Eine Dauer von vier bis sechs Stunden bringt das Paragrafen-Werk dabei ins Spiel. Nach Einschätzung der Bundesregierung trägt das auch der angeblich geringeren Bedeutung der Hauptversammlung Rechnung. „In der Praxis lässt sich eine zunehmende Verlagerung der Informations- und Entscheidungsprozesse der Hauptversammlung in das Versammlungsvorfeld beobachten“, konstatiert sie: „Das Vorfeld wird das Hauptfeld.“ „Aktionäre erhalten Informationen auch dann, wenn diese aufgrund des Kapitalmarkt-Rechts erfolgen oder darüber hinaus unabhängig vom Versammlungstermin zur Verfügung gestellt werden. Hier können auch die sogenannten ‚Investorengespräche’ eine Rolle spielen“, heißt es in dem Dokument aus dem Hause von Justizminister Marco Buschmann (FDP). Der Politik denkt dabei also hauptsächlich an BLACKROCK & Co. und nicht an die KleinanlegerInnen. Und diese Entwicklung weg von der traditionellen HV will das Gesetz noch beschleunigen, indem es ein Recht schafft, „Stellungnahmen in Textform vor der Versammlung an die Gesellschaft zu übermitteln, die dann allen anderen Aktionären zugänglich zu machen sind. Auch diese Vorschrift dient der Entzerrung der Versammlung, da das Rederecht so teilweise in das Vorfeld der Versammlung verlagert wird.“ Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wird alles in ihren Kräften stehende tun, um gegen diese Beschneidung der Rechte von Konzern-KritikerInnen vorzugehen.

DRUGS & PILLS

XARELTO: risikoreicher als ELIQUIS

PatientInnen, die BAYER-Gerinnungshemmer XARELTO einnehmen, setzen sich mehr Gesundheitsgefährdungen aus als solche, die das Vergleichspräparat ELIQUIS nutzen. Das ergab eine Studie der „Vanderbilt University School of Medicine“. Das Blutungsrisiko liegt bei XARELTO um 41 Prozent höher, das Risiko eines von Blutungen ausgelösten Herzschlages um 26 Prozent und das eines Herzschlages, der auf ein Gerinnsel zurückzuführen ist, um zwölf Prozent. 123.142 Meldungen über Nebenwirkungen des Mittels verzeichnet die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ EMA mittlerweile (Stand: 19.3.22).

Mehr Herz-Erkrankungen durch ASPIRIN

Unermüdlich preist der BAYER-Konzern ASPIRIN als Mittel zur Vorbeugung von Herz-Leiden an. Dabei erhöht das Mittel das Gefährdungspotential für solche Gesundheitsstörungen. Menschen, die den Tausendsassa zur Prophylaxe einnehmen, haben gegenüber denjenigen, die das nicht tun, ein um 26 Prozent höheres Risiko für Herz-Erkrankungen. Das ergab eine Studie der Universität Leiden, die Gesundheitsdaten von 30.827 Menschen aus zwölf Ländern analysiert hatte.

BITS & BYTES

Verkaufsförderung durch FIELDVIEW

Die Digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. BAYER gehört mit „FieldView“ zu den größten Anbietern in diesem Bereich. Dem Konzern zufolge hilft das Tool den LandwirtInnen, „Betriebsabläufe und Erträge zu optimieren“. Aber nicht nur das. „Die FIELDVIEWTM -Plattform liefert ihnen wertvolle Erkenntnisse und erhöht zugleich den Absatz von BAYER-Produkten, da die LandwirtInnen die Leistung der Produkte über die digitale Benutzer-Oberfläche erfassen und vergleichen können“, konstatiert der Agro-Riese. Ganz wie KritikerInnen befürchtet haben, tut es die Aktien-Gesellschaft also APPLE & Co. nach und nutzt die „Errungenschaften“ des digitalen Kapitalismus, um bevorzugt die eigenen Erzeugnisse loszuschlagen. Sie liefert sogar gleich die Zahlen dazu: „So hat BAYER in den USA fünf Prozent mehr Maissaatgut an Kunden verkauft, die FIELDVIEWTM Plus nutzen, als an solche, die das System nicht nutzen.“

Vertiefte Kooperation mit HORSCH

BAYERs Digital-Tochter CLIMATE CORPORATION arbeitet bereits seit Längerem mit dem Landwirtschaftstechnik-Hersteller HORSCH zusammen. So ist auf dessen Maschinen der Zugriff auf BAYERs Agrar-Plattform FIELDVIEW vorinstalliert. Diese bietet den Bauern und Bäuerinnen dem Leverkusener Multi zufolge „ein tieferes Verständnis für ihre Felder, damit sie fundiertere Betriebsentscheidungen treffen können, um ihre Erträge zu optimieren, die Effizienz zu optimieren und Risiken zu reduzieren“. Wer dann die Bauernweisheiten 2.0 nutzen will und mit dem Leverkusener Multi ins Geschäft kommt, erhält über eine Apparatur namens FIELDVIEW DRIVE Zugang zu der Plattform. Jetzt vertieften die beiden Partner ihre Zusammenarbeit noch einmal, damit auch Dritte – der Global Player spricht datensicherheitshalber von „einem vertrauenswürdigen agronomischen Partner“ – imstande sind, in den Genuss der Errungenschaften der digitalen Landwirtschaft zu kommen. „Durch diese neue Vereinbarung haben gemeinsame Kunden die Möglichkeit, sich auf neue Weise digital mit ihrem Betrieb zu verbinden. Sie können von ihren HORSCH-Geräten generierte Daten über das Dateneingangstool direkt in ihr FIELDVIEW-Konto hochladen, ohne das FIELDVIEW DRIVE dafür erforderlich ist“, erklärte der Agro-Riese.

Kooperation mit HUTCHINSON

BAYER hat eine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen HUTCHINSON vereinbart. Die beiden Konzerne beschlossen, ihre beiden Plattformen für die digitale Landwirtschaft – FIELDVIEW und OMNIA – kompatibel zu machen, um einen Daten-Austausch zwischen den beiden Systemen zu ermöglichen.

Das digitale Treibhaus

Die digitale Landwirtschaft sucht nicht nur die Äcker heim, sie macht auch vor den Treibhäusern nicht halt. So sicherte sich der BAYER-Konzern die Dienste des Datenanalyse-Unternehmens PROSPERA, um seine Aktivitäten auf diesen Bereich auszudehnen. Die Tools der israelischen Firma vermögen es nach eigenen Angaben, die Befindlichkeiten der innen gezüchteten Pflanzen datentechnisch zu erfassen und etwa beim Paprika-Anbau „präzise Wassermengen an bestimmten Stellen im Gewächshaus auszubringen“. Zunächst wollen die Partner die Kooperation in Mexiko erproben, das PROSPERA als „einen wichtigen Markt für disruptive Innovationen und die globale Gemüse-Produktion“ bezeichnet.

BAYER kauft BOSCH-Sensoren

BAYERs Geschäftsbereich „Digitale Landwirtschaft“ setzt in Sachen „Gewächshäuser“ nicht mehr nur auf Kooperationen (s. o.), sondern baut auch eine eigene Abteilung dafür auf. Dazu erwarb der Leverkusener Multi von dem Unternehmen BOSCH dessen japanisches Geschäft mit Sensoren für den Gemüseanbau in Treibhäusern. Das PLANTECT-System, das der Hersteller auch als „Greenhouse Guardian“ bezeichnet, erfasst unter anderem die Temperatur, Feuchtigkeit und Licht-Verhältnisse und liefert so Daten zur Steuerung der Zucht.

Mit XAG nach Südost-Asien

Seit Ende 2018 kooperiert BAYER in Sachen „Digitaler Landwirtschaft“ mit dem chinesischen Konzern XAG. So entwickeln beide Multis etwa Drohnen zum Ausbringen von Pestiziden. Mit dieser Technologie wollen die Konzerne nun auch Kleinbauern und -bäuerinnen in Südostasien beglücken. Bereits seit Anfang 2020 unternehmen sie entsprechende Anstrengungen.

Drohnen-Versuche in Indien

Der BAYER-Konzern hat in einem indischen Saatgut-Zentrum nahe Hyderabad Versuche mit der Nutzung von Drohnen zum Ausbringen von Pestiziden gestartet. Er kooperiert dabei mit dem Agrar-Ministerium, Universitäten, Forschungseinrichtungen und GENERAL AERONAUTICS, einem einheimischen Start-Up für Drohnen-Technologie.

Digitale Apfelschorf-Vorhersage

In Indien hat BAYER ein digitales Tool zur Apfelschorf-Vorhersage entwickelt. Anhand weniger Parameter wie der geographischen Lage der Felder, der nächsten Wetterstation sowie Art und Alter der Bäume will der Leverkusener Multi das Risiko für den Befall mit dieser Pilz-Krankheit ermitteln und daraus Empfehlungen zu einem angeblich passgenauen Pestizid-Gebrauch ableiten.

Tests mit BIOME MAKERS

Das Unternehmen BIOME MAKERS hat ein digitales Tool entwickelt, das Daten über die Beschaffenheit des Boden-Mikrobioms und andere für das Pflanzen-Wachstum wichtige Parameter erhebt und auf dieser Basis Empfehlungen zur Zucht gibt. Der BAYER-Konzern ging eine Kooperation mit der Firma ein, um die Wirkungsweise der KI-Apparatur in Abstimmung mit seinem Bio-Fungizid MINUET zu untersuchen. Und siehe da: Bei Feld-Versuchen in Idaho hat die Kombination die Kartoffel-Ernte angeblich um 40 Prozent steigern können.

Vereinbarung mit CLAAS

BAYER hat mit dem Landmaschinen-Hersteller CLAAS eine Kooperation im Bereich der digitalen Landwirtschaft vereinbart. Landwirt*innen, die CLAAS TELEMATICS zur Erhebung von Daten nutzen, erhalten nun auch Zugriff auf die BAYER-Plattform FIELDVIEW. Das Tool des Leverkusener Multis stellt unter anderem Informationen über das Wetter, bereits bearbeitete Felder, die durchschnittliche Getreide-Feuchte sowie Ertragsberichte und Karten zur Verfügung.

AGRO & CHEMIE

EPA überprüft Dicamba

Das Pestizid Dicamba, das BAYER & Co. hauptsächlich in Kombination mit ihren gen-manipulierten Pflanzen vermarkten, hinterlässt in den USA eine Spur der Verwüstung. Zahlreiche Landwirt*innen machen das Herbizid für Ernte-Schäden verantwortlich. Es bleibt nämlich nach dem Ausbringen nicht einfach an Ort und Stelle, sondern verflüchtigt sich und treibt zu Ackerfrüchten hin, die gentechnisch gegen den Stoff nicht gewappnet sind und deshalb eingehen. Allein bei Soja war das auf einer Fläche von mehr als zwei Millionen Hektar der Fall. Darum gab ein US-Gericht im Juni 2020 der Klage eines FarmerInnen-Verbandes statt und untersagte den Gebrauch des Mittels. Die von Donald Trump auf Linie gebrachte Umweltbehörde EPA ließ Dicamba im Herbst des Jahres aber unter Auflagen wieder zu. So durften die Farmer*innen die Produkte nun nur noch bis zu einem bestimmten Stichtag verwenden. Zudem mussten sie der Agro-Chemikalie vor dem Ausbringen Substanzen beimengen, die sie auf dem Boden halten sollten, und auf größere Abstände zu anderen Feldern achten. Genutzt hat das alles allerdings nicht viel. Dicamba wurde wieder übergriffig. Eine Ackerfläche von 400.000 Hektar suchte es unerlaubterweise heim. 3.500 Beschwerden von LandwirtInnen gingen deshalb bei der EPA ein. Daraufhin kündigte die Behörde eine erneute Überprüfung an. „Im Moment wissen wir nicht, ob Dicamba so eingesetzt werden kann, dass es keine unangemessene Risiken für Nicht-Zielpflanzen und andere Gewächse birgt“,  so der bei „Environmental Protection Agency“ für die Chemikalien-Sicherheit verantwortliche Michael Freedhoff. BAYER hingegen lässt nichts auf das unter dem Produktnamen XTENDI-MAX vermarktete Herbizid kommen. Der Leverkusener Multi macht die FarmerInnen für die Schäden verantwortlich. Nicht alle von ihnen hätten Schulungen besucht und das Pestizid „zielgenau“ ausgebracht, so das Unternehmen. Nach dem erneuten Eklat fordert das CENTER FOR BIOLOGICAL DIVERSITY ein sofortiges Dicamba-Verbot.

71 Notfall-Zulassungen

„Wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist, kann das ‚Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit’ kurzfristig das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung und für maximal 120 Tage zulassen“, heißt es auf der Webpage der Behörde. 71 dieser Notfall-Zulassungen gewährte das BVL im Jahr 2021. Zumeist handelt es sich dabei um die Erlaubnis, die Pestizide in weiteren Kulturen gegen Schadinsekten oder Wildpflanzen nutzen zu können. So verhielt es sich auch bei dem BAYER-Insektizid MOVENTO SC 100. Gleich vier Mal genehmigte das Bundesamt eine Ausweitung der Anwendungszone. So durften die bundesdeutschen LandwirtInnen das Mittel mit dem Wirkstoff Spirotetramat zusätzlich gegen die Maulbeer-Schildlaus, die Hopfen-Blattlaus, den Birnenblatt-Sauger, die Napfschildlaus und zahlreiche weitere Tiere einsetzen. Des Weiteren erhielt LUNA SENSATION (Wirkstoffe: Trifloxystrobin und Fluopyram) eine Sondergenehmigung zum Einsatz gegen Echten Mehltau in Hopfen und SENIC GOLD (Fluopicolide, Fluoxastrobin) eine gegen Auslauf-Krankheiten im Winterraps.

Kaum Pestizid-Forschung

BAYER & Co. konzentrieren ihre Forschungsausgaben im Landwirtschaftssegment auf Saatgut und Gentech, den Pestizid-Bereich vernachlässigen sie hingegen. Waren im Jahr 2000 noch 70 Prozent der Agro-Chemikalien auf dem Markt jüngeren Datums und darum patentgeschützt, so schrumpfte die Zahl bis heute auf 15 Prozent. Die Konzerne scheuen den Aufwand für die strenger gewordenen Zulassungsauflagen. Sie stützen sich lieber auf ihre Uralt-Gifte, obwohl ein großer Bedarf an ungefährlicheren Mitteln besteht.

Notfall-Zulassungen in der EU

Auch andere europäische Länder erteilen Pestiziden Notfall-Genehmigungen. Dabei schrecken einige nicht einmal davor zurück, bereits auf den Index gesetzte Agro-Chemikalien wie etwa BAYERs Saatgut-Beizmittel GAUCHO aus der Gruppe der Neonicotinoide kurzzeitig wieder zuzulassen. Dänemark und Frankreich haben dem Mittel mit dem Wirkstoff Imidacloprid, das die Europäische Union wegen seiner Bienengefährlichkeit im Jahr 2018 aus dem Verkehr gezogen hatte, bereits 2022 wieder Notfall-Zulassungen erteilt. Weitere „emergency autorisations“ erhielten heuer neben MOVENTO (s. o.) SERENADE und PROPULSE.

Krebs-Gefahr durch Glyphosat

im Jahr 2015 hat die Weltgesundheitsorganisation Glyphosat nach Auswertung der relevanten Studien als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Eigentlich könnten die WissenschaftlerInnen also auf neue Untersuchungen verzichten und den Versuchstieren so viel Leid ersparen. Das aber geschieht nicht. So veröffentlichte das Londoner King’s College eine weitere Expertise, welche abermals die karzinogene Wirkung des Herbizids belegt. So löst das Mittel in den Zellen einen das Tumor-Risiko erhöhenden oxidativen Stress aus. Allein in der Leber beeinflusst Glyphosat 20 Gene, die verkaufsfertige Formulierung ROUNDUP sogar 100. Konkret greifen Wirksubstanz und Endprodukt in die Arbeit der miRNA-Botenstoffe ein, die eine wichtige Steuerungsfunktion erfüllen. „Die miRNAs, deren Spiegel in Leber-Proben durch Glyphosat und ROUNDUP MON52276 verändert wurden, sind nachweislich an der Entstehung von Krebs beteiligt“, konstatieren die ForscherInnen.

Immer mehr Glyphosat-Resistenzen

Immer mehr Wildpflanzen haben sich mit der Zeit auf die Glyphosat-Sprühungen eingestellt und Resistenzen ausgebildet. Mittlerweile beläuft sich die Zahl dieser Gewächse auf 53. Unter anderem trotzen das Kanadische Berufkraut und bestimmte Amaranth-Arten dem Mittel.

Glyphosat-Marktvolumen: 7,8 Mrd.

Nach Angaben des Pestizid-Atlas’ belief sich 2020 der weltweite Umsatz der Konzerne mit Glyphosat auf 7,8 Milliarden Dollar. Einen nicht ganz kleinen Anteil daran dürfte BAYER haben. Die Agro-Chemikalie findet nämlich hauptsächlich in Kombination mit Gentech-Pflanzen, die auf das Produkt abgestimmt sind, Verwendung, und zu deren Hauptlieferanten zählt der Leverkusener Multi. Im Geschäftsjahr 2021 setzte er mit Glyphosat als Top-Seller und anderen Antiunkrautmitteln 5,3 Milliarden Euro um. „Positiv bemerkbar machten sich bei den Herbiziden vor allem Preis-Steigerungen bei den glyphosat-haltigen Produkten“, vermeldete der Agro-Riese bei der Vorstellung der Bilanz-Zahlen.

SNCF verzichtet auf Glyphosat

Die Eisenbahn-Unternehmen zählten lange zu den Hauptabnehmern von Glyphosat. Seit einiger Zeit denken sie jedoch um. Die DEUTSCHE BAHN entwickelte im Jahr 2019 einen Ausstiegsplan und will bis 2023 ganz auf das Mittel verzichten. Und am 30. Dezember 2021 verkündete ihr französisches Pendant, die SNCF, einen sofortigen Glyphosat-Bann. Bisher hatte die Gesellschaft auf ihren Gleisanlagen alljährlich bis zu 38 Tonnen des Herbizids versprüht, so viel wie kein anderer Großkunde in dem Land. Dem Webportal Sustainable Pulse zufolge hat diese Entscheidung bei BAYER & Co. Schockwellen ausgelöst.

Erneuter Glyphosat-Lieferengpass

Im letzten Sommer konnte der BAYER-Konzern die Glyphosat-Nachfrage nicht bedienen, weil der Hurrikan Ida die Produktion am US-amerikanischen Standort Luling lahmlegte. Im Februar 2022 nun gibt es wieder Probleme. „Kürzlich kam es bei einem Lieferanten eines Rohstoffs, der für die Herstellung von Glyphosat benötigt wird, zu einem technischen Problem, der sich kurzfristig auf unsere Produktion des aktiven Wirkstoffs von Glyphosat auswirken könnte“, gab der Agro-Riese bekannt. China stellt ebenfalls weniger von dem Herbizid her. Da die Gewinnung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor die Umwelt extrem belastet, hatte das Land im letzten Jahr eine Drosselung der Fabrikation beschlossen. Auch bei anderen Pestiziden treten Lieferengpässe auf, weshalb die Preise drastisch anziehen.

Seekühe mit Glyphosat belastet

In den Gewässern Floridas finden sich Rückstände von Glyphosat und dessen Abbau-Produkt AMPA, wie eine ForscherInnen-Gruppe um Maite De Maria herausgefunden hat. Unter anderem fanden die WissenschaftlerInnen Spuren des Herbizids im Organismus von Seekühen. Zusammen mit anderen Umwelt-Belastungen könnte dies das Immunsystem der Meeressäuger schädigen, warnen De Maria & Co. Darum fordern sie regelmäßige Glyphosat-Messungen in Seen und Flüssen.

GENE & KLONE

Indien: neue Gentech-Baumwolle

Indien erlaubt es nicht, Saaten, Pflanzen oder Tiere zum geistigen Eigentum von Personen oder Unternehmen zu erklären. Deshalb sah sich die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO dort in Sachen „Genpflanzen“ mit langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen über Patente und Lizenz-Gebühren konfrontiert. Als Konsequenz daraus erklärte das Unternehmen Ende 2016, in dem Land keine neuen Laborfrüchte mehr zu vermarkten. Andere Agro-Riesen schlossen sich dem Boykott an. Im Frühjahr 2021 jedoch endete ein Rechtsstreit des Unternehmens,  das seit 2018 zum Leverkusener Multi gehört, mit einer indischen Firma jedoch in gütlichem Einvernehmen. Und siehe da: Schon im Winter des Jahres stellte der Global Player einen Antrag auf Zulassung einer neuen gen-manipulierten Baumwoll-Sorte.

WASSER, BODEN & LUFT

3,17 Millionen Tonnen CO2

Im Geschäftsjahr 2021 stieß der BAYER-Konzern 3,17 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus. Gegenüber 2020 sank der Wert um 410.000 Tonnen. „Dazu trug bei, dass der Konzern im Jahr 2021 Verträge über rund 600.000 Megawatt-Stunden Strom aus Erneuerbaren Energien abschloss und damit den Anteil im Strom-Mix auf etwa ein Viertel erhöhte“, erklärt der Global Player. Beim selbst erzeugten Strom tat sich hingegen wenig. Die direkten Treibhausgas-Emissionen, für die vor allem die Agrar-Sparte verantwortlich zeichnet, sanken lediglich von 2,01 Millionen Tonnen auf 1,93 Millionen Tonnen. Vor allem der Produktionsprozess von Glyphosat erweist sich als sehr klima-schädlich. Der Leverkusener Multi drückt das etwas verklausuliert so aus: „Besonders energie-intensiv ist unsere Rohstoff-Gewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science.“ Dementsprechend ging auch der Primärenergie-Einsatz nicht zurück. Und zu allem Übel stieg dabei auch noch der Kohle-Anteil um 7,4 Prozent auf 608 Terrajoule.

BAYERs Stromrechnung

In der Investoren-Konferenz zur Veröffentlichung der BAYER-Geschäftszahlen für das Jahr 2021 gab der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann auch an, wie hoch die Energie-Kosten des Leverkusener Multis sind. Sie belaufen sich auf rund 500 Millionen Euro.

Ein bisschen Emissionshandel

„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren. Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So bekamen die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum braucht der Leverkusener Agro-Riese kaum Emssionshandel zu betreiben. Mit lediglich fünf Anlagen, die für noch nicht einmal für zehn Prozent seines jährlichen CO2-Ausstoßes von 3,17 Millionen Tonnen sorgen, war er im Geschäftsjahr 2021 dabei.

CO2-Kompensation statt -Reduktion

Eigentlich gibt es nur einen Weg, den Klimawandel einzudämmen: die Reduktion des Stromverbrauchs und den Umstieg auf erneuerbare Energie-Träger. BAYER & Co. ist aber noch etwas anderes eingefallen. Sie wollen ihre CO2-Emissionen nicht nur reduzieren, sondern auch kompensieren, also das, was ihre Produktionsanlagen so absondern, an anderer Stelle wieder ausgleichen. Der Leverkusener Multi hat sich zwar vorgenommen, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden, die Senkung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase soll dazu aber nur zu 42 Prozent beitragen. Den Rest sollen andere Maßnahmen erbringen wie z. B. Investitionen in Wiederaufforstungsvorhaben. Um 300.000 Tonnen CO2 hat der Global Player seine Klima-Bilanz auf diese Weise im Geschäftsjahr 2021 durch entsprechende Projekte in Brasilien, Nicaragua, Indonesien und Uganda schon aufhübschen können; 2020 kamen 200.000 Tonnen dabei rum. Bis der Effekt sich allerdings auch anderswo als nur auf dem Papier einstellt und die Bäumchen, die BAYER pflanzt, sich wirklich positiv auf das Klima auswirken, dürften jedoch noch so einige Jahrzehnte ins Land ziehen. Und Menschen, die in der Nähe der Dreckschleudern leben müssen und dadurch ihre Gesundheit ruinieren, nützen Wälder in anderen Ländern herzlich wenig.

ODS-Ausstoß sinkt

Im Geschäftsjahr 2021 haben die BAYER-Werke weniger ozon-abbauende Stoffe (ODS) ausgestoßen als 2020. Der Wert für die ODS sank von 4,3 Tonnen auf 3,9 Tonnen. Bisher sorgten immer die Uralt-Dreckschleudern des Konzerns im indischen Vapi für den Großteil des Ausstoßes. Er doktert zwar schon seit über 15 Jahren an den Anlagen herum, aber neuerliche Sanierungsmaßnahmen scheinen jetzt erst zu greifen. „Emissionsreduktionsmaßnahmen am Standort Vapi“ gibt der Leverkusener Multi in seinem Nachhaltigkeitsbericht als Grund für die ODS-Reduktion an.

Enormer Wasserverbrauch

BAYERs Wasser-Verbrauch ging im Geschäftsjahr 2021 kaum zurück. Er belief sich auf 55 Millionen Kubikmeter (2020: 57 Millionen Kubikmeter). Zu allem Übel erstreckt sich der enorme Durst des Agro-Riesen auch noch auf Gebiete, die unter Wasser-Mangel leiden. „Etwa 5,8 % unseres Gesamtwasser-Einsatzes entstammt wasserarmen bzw. von Wasser-Knappheit bedrohten Regionen“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht. Und Verbesserungen gibt es da nicht. Wie 2020 nutzte das Unternehmen in diesen Territorien drei Millionen Kubikmeter.

Zahlenspiele bei der Luftverschmutzung

Die Beurteilung von BAYERs Angaben zur Verschmutzung der Luft fällt schwer, da sich die Methoden zur Bestimmung des Ausmaßes geändert haben. Die Berechnung „mit aktualisierten Faktoren“ führte zumeist zu besseren Werten. So sank der Ausstoß von Stickoxiden von 4.160 Tonnen auf 3.570 Tonnen, der von Schwefeloxiden von 1.320 Tonnen auf 1.280 Tonnen, der von Staub von 2.290 Tonnen auf 2.050 Tonnen und der von flüchtigen organischen Substanzen (VOC) von 690 Tonnen auf 430 Tonnen. Aber wenn die staatlichen Behörden andere Vorgaben zur Ermittlung der Luft-Verpestungen machen, wie z. B. bei der Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor, ändert sich das Bild. Da steigt dann der Kohlenmonoxid-Ausstoß schnell mal um 1.500 Tonnen auf nunmehr 2.660 Tonnen. „Die Kohlenmonoxid-Emissionen aus einem Brennofen in Soda Springs, USA mussten aufgrund lokaler regulatorischer Vorgaben mit einem höheren Emissionsfaktor berechnet werden“, heißt es dazu im Nachhaltigkeitsbericht lapidar.

25 Millionen Liter Abwasser

Trotz des etwas gesunkenen Wasser-Bedarfs des Leverkusener Multis im Jahr 2021 kam am Ende genauso viel aus den Abfluss-Rohren heraus wie 2020. Die Einleitungen in die Gewässer summierten sich auf 25 Millionen Kubikmeter.

Höhere Phosphor-Einleitungen

Im Jahr 2021 leitete BAYER mehr Phosphor in die Gewässer ein als 2020. Von 380 auf 510 Tonnen stieg der Wert. „[E]ine höhere Produktionsauslastung am Standort Carmacari, Brasilien“ gibt der Leverkusener Multi als Grund dafür an.

Mehr Anorganische Salze im Wasser

Im Jahr 2021 trug der BAYER-Konzern mehr Anorganische Salze in die Gewässer ein als 2020. Von 151.000 Tonnen auf 172.000 Tonnen erhöhte sich die Menge.

Mehr Schwermetalle im Wasser

Im Geschäftsjahr 2021 leitete BAYER mehr Schwermetalle in die Gewässer ein als 2020. Von 2,6 Tonnen auf 3,2 Tonnen stieg der Wert.

Weniger Stickstoff im Wasser

2021 sanken BAYERs Stickstoff-Einträge in die Gewässer gegenüber dem Vorjahr um 120 Tonnen auf 360 Tonnen. Der Grund dafür ist allerdings profan. „Der Stillstand einer Anlage am Standort Dormagen, Deutschland, führte zu einer um 24,5 % gesunkenen Einleitung von Stickstoff“, vermeldet der Nachhaltigkeitsbericht.

Weniger TOCs im Wasser

Im Jahr 2021 leitete BAYER weniger gebundene organische Kohlenstoffe (TOCs) in die Gewässer ein als 2020. Von 1.540 auf 1.280 Tonnen reduzierten sich die Abwasser-Frachten. „[E]ine verbesserte Abwasser-Analytik am Standort Camacari, Brasilien“ macht der Konzern in seinem Nachhaltigkeitsbericht dafür verantwortlich.

Glyphosat verunreinigt Gewässer

BAYERs Total-Herbizid Glyphosat kontaminiert spanische Gewässer. Zu diesem Ergebnis kam die Studie „Contamination by glyphosate in the aquatic environment“, welche die ECOLOGISTAS EN ACCIÓN in Auftrag gegeben hatten. Die WissenschaftlerInnen wiesen das Pestizid in 31 Prozent der Flüsse und Seen nach. Auf das Glyphosat-Abbauprodukt AMPA stießen sie sogar in 42 Prozent der Proben. Die Konzentrationen der Substanzen überstiegen die Grenzwerte um 22 bzw. 17 Prozent. Sogar im Grundwasser fanden die ForscherInnen noch Spuren der Agro-Chemikalie. Die Ecologistas forderten die Politik auf, aus den Ergebnissen der Untersuchung Konsequenzen zu ziehen und Glyphosat zu verbieten.

Mehr Abfall

Im Geschäftsjahr 2021 produzierte BAYER mehr Abfall als 2020. Von 940.000 Tonnen auf 998.000 Tonnen stieg die Zahl. „Dies lag insbesondere daran, dass an mehreren Standorten in Lateinamerika die Saatgut-Produktion erhöht wurde und so größere Mengen an pflanzlichen Nebenprodukten entsorgt wurden“, gibt der Konzern zur Begründung an. Zu allem Übel fiel beim Leverkusener Multi auch mehr gefährlicher Müll an. Das Aufkommen wuchs „durch Bau- und Sanierungstätigkeiten am Standort Berlin“ von 305.000 Tonnen auf 313.000 Tonnen an.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Tödlicher Arbeitsunfall in Dormagen

Am 09.12.2021 kam es am BAYER-Standort Dormagen zu einem tödlichen Arbeitsunfall. Bei Reinigungsarbeiten an ausgebauten Anlage-Teilen verwechselte ein Angestellter einer Fremdfirma einen Anschluss-Stutzen, so dass er statt Wasser Natronlauge freisetzte und eine tödliche Verätzung erlitt. Zwei seiner Kollegen sowie drei Rettungskräfte kamen ebenfalls mit dem Stoff in Berührung und mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Schwefelsäure tritt aus

Am 03.07.21 kam es am US-amerikanischen BAYER-Standort Luling, wo der Konzern Glyphosat produziert, zu einer Freisetzung von Schwefelsäure. Die Substanz geriet durch eine Leckage am Tank ins Freie.

Freisetzung von Erdgas

Am 15.12.21 geriet am US-amerikanischen BAYER-Standort Muscatine Erdgas in die Umwelt, „als eine Verbrennungsfackel nicht ordnungsgemäß zündete“, wie es im Nachhaltigkeitsbericht heißt.

ÖKONOMIE & PROFIT

44 Milliarden Euro Umsatz

Im Geschäftsjahr 2021 stieg der Umsatz von BAYER um 8,9 Prozent auf 44 Milliarden Euro. Übrig blieb davon allerdings etwas weniger als im letzten Jahr. Der Gewinn sank um 2,5 Prozent auf 11,12 Milliarden Euro. „Höhere Herstellungskosten und erhebliche negative Währungseffekte“ machte das Unternehmen dafür verantwortlich.

Aufspaltungsgerüchte

Die MONSANTO-Übernahme hat sich für BAYER wegen der millionenschweren Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ als ein Desaster erwiesen. Dementsprechend schlecht stehen die Aktien. Deshalb fordern viele InvestorInnen die Aufspaltung des Konzerns, und es scheint sich in der Sache auch etwas zu tun. In der zweiten Februar-Woche vermeldete die Rheinische Post „Unruhe in Leverkusener Konzern“ und schrieb: „Denn in der Gerüchte-Küche der Stadt, speziell in Richtung BAYER-Zentrale im Chem‚park’, brodelt es. Kernsatz: ‚BAYER spaltet sich auf’. Es habe hinter verschlossenen Türen Gespräche diesbezüglich gegeben. Die Stimmung sei schlecht, heißt es aus dem Umfeld.“ Ehe der Leverkusener Multi nicht zu einer Einigung mit den Glyphosat-Geschädigten gekommen ist, dürfte es allerdings ruhig bleiben. Dann aber könnte es losgehen. „Nach Abschluss der gerichtlichen Auseinandersetzungen um Glyphosat gibt es keinen besonderen Grund mehr, das Gesundheits- und Agrargeschäft als ein Gesamt-Unternehmen weiterzuführen. Eine Aufspaltung wäre aus Sicht vieler Aktionäre sinnvoll“, so das Fazit der 70-seitigen Studie des Finanz-Analysten Christian Faitz. Wie sinnvoll, hat die Investmentbank GOLDMAN SACHS ausgerechnet. Auf 26 Milliarden Dollar beziffert sie den Mehrwert einer Zerschlagung. Auch intern gehen nach Informationen des Manager-Magazins nicht wenige von einer Trennung beider Bereiche aus. „Viele hoffen, dass sie sich in die Frühverrentung retten können, bevor der Konzern zerschlagen und sie samt Arbeitsplatz verkauft werden“, zitiert die Zeitschrift einen BAYER-Manager: „Und das Schlimmste ist, dass es für diese No-Future-Stimmung nur allzu gute Gründe gibt.“ Der Global Player allerdings dementiert entsprechende Gerüchte stets. Aktuell verweist er dabei auf das gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat beschlossene Zukunftskonzept. „Das Zukunftskonzept enthält ein klares Bekenntnis zu einem integrierten Unternehmen mit seinen drei Divisionen Cropscience, Pharmaceuticals und Consumer Health“, erklärte der Konzern. Allerdings liegt heutzutage die Zukunft von Firmen nicht in den eigenen Händen, sondern in denen von BLACKROCK & Co.

IMPERIUM & WELTMARKT

Verkauf von „Environmental Science“

Die Risiken und Nebenwirkungen des MONSANTO-Deals mit seiner Klage-Flut in Sachen „Glyhosat“ ließ die BAYER-Aktie 2018 dauerhaft abstürzen, was die Finanzmärkte nervös machte. BLACKROCK & Co. mahnten Handlungsbedarf an – und der Global Player lieferte. Er gab die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen bekannt. Zudem verkaufte das Unternehmen in der Folge die „Animal Health“-Sparte, seine Anteile an dem Chem„park“-Betreiber CURRENTA sowie die Sonnenschutz-Mittel der COPPERTONE-Reihe und die Fußpflege-Präparate der Marke DR. SCHOLL’S. Aber das reichte nicht. Ende September 2020 kündigte der Leverkusener Multi ein weiteres, 1,5 Milliarden Euro schweres Spar-Paket an, das auch zusätzliche Veräußerungen von Unternehmensteilen nicht ausgeschloss. Im Februar 2021 gab BAYER dann bekannt, sich von der Sektion „Environmental Science“ mit den Pestiziden für nicht-landwirtschaftliche Bereiche wie Forstwirtschaft, öffentliche Grünanlagen, Golfplätze und Gleis-Anlagen trennen zu wollen. Und rund ein Jahr später verscherbelte der Agro-Riese die Abteilung für 2,6 Milliarden Dollar an den Finanzinvestor CINVEN, um seine Schuldenlast (Ende 2021: 33 Milliarden Euro) etwas abzutragen. Rund 800 Arbeitsplätze innerhalb des Konzerns vernichtete er damit.

RECHT & UNBILLIG

Supreme Court entscheidet nicht

Ende Mai 2021 ließ der BAYER-Konzern die Glyphosat-Vergleichsverhandlungen platzen (siehe SWB 3/21). Nach der Ablehnung seines Vorschlages zur Beendigung der juristischen Auseinandersetzungen durch den zuständigen Richter Vince Chhabria mochte der Agro-Riese keinen weiteren mit Nachbesserungen – vor allem im Umgang mit Klagen von neuen Geschädigten – mehr vorlegen. Stattdessen setzte der Global Player jetzt vor allem darauf, ein Grundsatz-Urteil des Obersten Gerichtshof der USA zu seinen Gunsten in der Sache zu erzwingen, „wodurch die Rechtsstreitigkeiten zu Glyphosat in den USA weitgehend beendet würden“. Dafür sieht er gute Chancen, denn in dem Gremium sitzen keine Geschworenen, die sich seiner Meinung nach nur von ihren Gefühlen leiten ließen, sondern BerufsrichterInnen, noch dazu mehrheitlich von den Republikanern ernannt. Der Leverkusener Multi hält die juristische Auseinandersetzung für eine Bundesangelegenheit, die in die Zuständigkeit des Supreme Courts fällt, weil die „Environment Protection Agency“ (EPA) als Bundesbehörde die Agro-Chemikalie bundesweit zugelassen und ihr Unbedenklichkeit bescheinigt habe. Darum ersuchte der Agro-Riese das Gericht im August 2021, ein von ihm als mangelhaft empfundenes Urteil zu überprüfen, das eine untere Instanz in dem Verfahren „Hardeman vs. MONSANTO“ gegen die BAYER-Tochter gefällt hatte. „Die Fehler des Ninth Circuit bedeuten, dass ein Unternehmen für die Vermarktung eines Produkts ohne Krebs-Warnung hart bestraft werden kann, obwohl es nahezu universellen wissenschaftlichen und regulatorischen Konsens darüber gibt, dass das Produkt nicht krebserregend ist und die verantwortliche Bundesbehörde eine solche Warnung sogar verboten hat“, heißt es in dem Antrag. Darüber hinaus hat der Ninth Circuit nach Ansicht der Aktien-Gesellschaft ExpertInnen zugelassen, die dieses Etikett nicht verdienen, was „zu unfundierten Aussagen geführt hat“. Doch der Supreme Court mochte in der Sache nicht entscheiden. Er bat stattdessen die US-Regierung um eine Rechtshilfe leistende Stellungnahme.

Noch 31.000 Glyphosat-Klagen

BAYER hat mit 107.000 der 138.000 Glyphosat-Geschädigten, die gerichtliche Schritte gegen das Unternehmen eingereicht hatten, eine Einigung erzielt bzw. deren Ansprüche zurückgewiesen (Stand 1. Februar 2022). 31.000 Verfahren sind noch offen. Derzeit kommen nach Angaben des Konzerns kaum noch neue Klagen hinzu, was er darauf zurückführt, dass die großen Kanzleien nicht mehr mit Werbe-Anzeigen nach Glyphosat-Betroffenen suchen. Eine nicht kleine Rolle bei der Entwicklung dürfte auch das Kleingedruckte der bisherigen Vereinbarungen spielen.  Darin verpflichteten sich die Rechtsanwaltsbüros nämlich, keine neuen Fälle mehr anzunehmen. Neuerkrankte haben es deshalb inzwischen schwer, juristischen Beistand zu finden.

Musterklage von AktionärInnen

In Deutschland müssen sich die Gerichte bald mit einer Musterklage von 320 BAYER-AktionärInnen beschäftigten. Sie legen dem Leverkusener Multi zur Last, beim MONSANTO-Kauf die juristischen Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat nicht ausreichend in Erwägung gezogen und durch diese Verletzung der Sorgfaltspflichten für einen Absturz der Aktie des Unternehmens gesorgt zu haben. Verluste in Höhe von 2,2 Milliarden Euro machen die AnlegerInnen geltend. Mitte Dezember 2021 gab das Landgericht Köln einem Antrag der Kanzlei TILP statt, in dieser Sache ein Kapitalanleger-Musterverfahren einzuleiten. Der Global Player erkennt die Ansprüche selbstredend nicht an. „Wir halten die Klagen wegen angeblich fehlerhafter Kapitalmarkt-Kommunikation im Zusammenhang mit der MONSANTO-Akquisition für unbegründet“, erklärte ein Unternehmenssprecher. Eine zweite Musterklage gegen BAYER bereiten zurzeit die JuristInnen von HAUSFELD vor.

USA: AktionärInnen verlieren

Auch in den USA verklagten AktionärInnen den BAYER-Konzern, weil dieser bei der Prüfung des MONSANTO-Kaufs Prozess-Risiken in Sachen „Glyphosat“ nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hat (s. o.). Sie begründeten die Wahl des Gerichtstandes New York damit, dass der Leverkusener Multi die Durchsicht der MONSANTO-Bücher in dieser Stadt vorgenommen habe und so einige dort angesiedelte Banken und JuristInnen in die Abwicklung der Übernahme involviert waren. Überdies verwiesen die VertreterInnen der Aktien-HalterInnen darauf, dass das deutsche Rechtssystem es sehr schwer mache, juristische Auseinandersetzungen dieser Art zu führen. Der zuständige Richter ließ das jedoch nicht gelten und entschied zu Gunsten des Leverkusener Multis. „[E]in wichtiger Schlag für die Effizienz der Justiz und die internationale Verständigung“, jubilierte die Anwaltskanzlei des Agro-Riesen: „Es könnte die Totenglocke für die Kampagne der Klägeranwälte läuten, New York zum bevorzugten Forum für internationale Aktionärsklagen zu machen“.

Rentenkassen dürfen klagen

In den USA haben zwei Rentenkassen, die BAYER-Aktien halten, gerichtliche Schritte gegen den Leverkusener Multi eingeleitet. Das „City of Grand Rapids Police & Fire Retirement System“ und „City of Grand Rapids General Retirement System“ aus Michigan werfen dem Global Player vor, bei der Prüfung der MONSANTO-Übernahme möglichen Prozess-Risiken durch Glyphosat-Geschädigte nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Dabei beriefen sie sich auf den „Securities and Exchange Act“, ein Börsengesetz aus dem Jahr 1934, das AnlegerInnen vor Betrug schützen soll. Der Global Player stellte den Antrag, die Sammelklagen abzulehnen, kam damit aber nicht durch. Im November 2021 entschied der „U.S. District Court for the Northern District of California“ gegen BAYER und ließ die Klage zu Gericht gehen. Nach Ansicht des Richters Richard Seeborg hatten die beiden Versorgungseinrichtungen den Verdacht auf Verstöße gegen die Abschnitte 10(b) und 20(a) des „Securities and Exchange Acts“ in angemessener Weise begründet.

Einigung mit Glyphosat-Klägerin

Am 5. Oktober 2021 hatte der Leverkusener Multi erstinstanzlich einen Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ gewonnen. Der „Superior Court of the State of California“ in Los Angeles wies die Klage von Destiny Clark ab, die das Herbizid für die Lungenkrebs-Erkrankung ihres 10-jährigen Sohnes Ezra verantwortlich gemacht hatte. Obwohl die Familie die Agro-Chemikalie über Jahre hinweg in ihrem Garten versprüht hatte, konnten die Geschworenen keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Ausbringung und Ezras „Non-Hodgkin-Lymphom“-Diagnose im Alter von vier Jahren erkennen. Deshalb kündigten die AnwältInnen dann auch an, das Urteil anfechten zu wollen. Zu einer Neuauflage des Prozesses kommt es jedoch nicht. BAYER bot eine  außergerichtliche Einigung an, welche die Clarks akzeptierten. Über die genauen Konditionen wurde Stillschweigen vereinbart.

Wiederholungstäter BAYER

Die Inseln des US-Bundesstaates Hawaii haben sich zu einem riesigen Freiluft-Labor für die Agro-Riesen entwickelt. Auch die nunmehrige BAYER-Tochter MONSANTO unterhält dort eine Forschungsanlage. Im Jahr 2014 testete sie dort das wegen seiner extremen Giftigkeit verbotene Pestizid Penncap-M. Dabei setzte das Unternehmen auch die Gesundheit der Beschäftigten aufs Spiel. Sie mussten nämlich schon eine Woche nach dem Sprüh-Einsatz auf den Feldern nachsehen, wie die Agro-Chemikalie gewirkt hat, obwohl die Vorschriften dafür die Frist von einem Monat setzen. Darum verurteilte ein Gericht in Honolulu den Leverkusener Multi im Jahr 2019 zu einer Strafe in Höhe von zehn Millionen Dollar. Abschreckend wirkte dies aber offenbar nicht. In weiteren 30 Fällen ließ der Leverkusener Multi ArbeiterInnen vorzeitig auf die Äcker. Zudem mochte er die Finger immer noch nicht von Penncap-M lassen und verstieß überdies gegen Vorschriften zur Pestizid-Lagerung. Darum verhängte ein Gericht jetzt eine Strafe von zwölf Millionen Dollar und legte eine Bewährungsfrist von drei Jahren fest, in welcher der Konzern sich nichts weiter zu Schulden kommen lassen darf. Zudem muss er das „Umwelt-Compliance-Programm“ weiterführen. „Das Unternehmen hat wiederholt gegen Gesetze im Zusammenhang mit stark regulierten Chemikalien verstoßen und die Menschen Pestiziden ausgesetzt, die schwere Gesundheitsprobleme verursachen können“, hielt Staatsanwältin Tracy L. Wilkison bei der Urteilsverkündung fest.

Entschädigung für Glyphosat-KundInnen

Wenn BAYER uns ordnungsgemäß über die Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat informiert hätte, wären wir nie auf die Idee gekommen, das Mittel zu kaufen – mit dieser Begründung forderten US-amerikanische SammelklägerInnen vom Leverkuser Multi ihr Geld zurück. Der Global Player sah keine Möglichkeit, den Rechtsstreit zu gewinnen und stimmte im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung der Zahlung von 23 bis 45 Millionen Dollar zu.

BAYER muss Steuern nachzahlen

Die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO hatte im Jahr 2004 die schweizer Stadt Morges als Standort für ihre Europa-Zentrale gewählt. Der zuständige Kanton Waadt hatte nämlich mit Steuererleichterungen gelockt, wenn das Unternehmen mindestens 20 Jahre bleibt. So zahlte der Agro-Riese dann bis 2014 weder Kantons- noch Gemeindesteuern und nur die Hälfte der sonst üblichen Bundessteuern. Die Gesellschaft hielt sich allerdings nicht an die Bedingungen. Sie verkleinerte den Standort immer mehr und verließ ihn 2020 – nun schon unter der Ägide von BAYER stehend – schließlich ganz. Deshalb erhob der Kanton Steuer-Nachforderungen. Der Leverkusener Multi klagte dagegen, erlitt jedoch eine Niederlage. Das Bundesgericht in Lausanne verurteilte ihn zu einer Nachzahlung von 34 Millionen Franken.

TESTBIOTECH verklagt die EU

Im Januar 2021 erteilte die EU-Kommission acht Import-Genehmigungen für Genpflanzen. Die Initiative TESTBIOTECH kritisierte das scharf. Nach Ansicht des „Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie“ nahm es die EU nämlich mit der Begutachtung nicht allzu genau. Darum forderte die Organisation unter anderem eine Überprüfung der Entscheidungen für zwei BAYER-Produkte: den Mais MON 87427 x MON 87460 x MON 89034 x MIR 162 x NK 603 und das Soja MON87751 x MON87701 x MON87708 x MON89788. Da die Kommission das ablehnte, reichte TESTBIOTECH eine Klage ein. Die Gentech-KritikerInnen ziehen etwa in Zweifel, ob die gegen Glyphosat resistente Mais-Pflanze wirklich – wie von BAYER behauptet – Trockenheit trotzt. „[W]ie eine detaillierte Prüfung der Antragsunterlagen zeigt, wurde der Mais nie unter den entsprechenden Bedingungen getestet. In den Freisetzungsversuchen wurden die Felder stattdessen bei Bedarf bewässert. Zudem wurden beim Anbau der Pflanzen nur rund 900 Gramm Glyphosat pro Hektar eingesetzt und nicht über drei Kilogramm, wie es in der Praxis die Regel ist“, konstatierte die Organisation. Die Risiken und Nebenwirkungen des mit den Bt-Giften Cry1A105 und Cry2Ab2 bestückten Sojas, das zudem gegen eine Berieselung mit den Pestiziden Dicamba und Glyphosat immun ist, entgingen TESTBIOTEST zufolge ebenfalls einer genaueren Analyse. Dabei können die beiden Toxine den Blutkreislauf stören und und bestimmte Hautzellen binden, was deren Schutzfunktion beeinträchtigt. Auch an den Fütterungsstudien übte die Initiative Kritik. So bekamen die Tiere immer die gleiche Menge Soja verabreicht, und das auch nicht in der Form, in welcher Menschen die Bohne am häufigsten zu sich nehmen: als Soja-Milch. Überdies verliefen die Untersuchungen nicht über einen längeren Zeitraum hinweg und nahmen mögliche Kombinationswirkungen nicht in den Blick. „Mit den Klagen will TESTBIOTECH jetzt nicht nur die einzelnen Zulassungen überprüfen lassen, sondern darüber hinaus verhindern, dass die Standards der EU-Risikoprüfung weiter ausgehöhlt werden“, erklärten die AktivistInnen.

Neue ESSURE-Klagen

In den USA musste BAYER wegen der Risiken und Nebenwirkungen seines Sterilisationsmittels ESSURE insgesamt 1,6 Milliarden Dollar an Schadensersatz zahlen. Aber auch außerhalb der Vereinigten Staaten beschäftigen sich die Gerichte zunehmend mit dem Medizin-Produkt. Nach Betroffenen aus Brasilien, England und Holland haben nun vier Frauen aus Frankreich Klage in der Sache gegen den Leverkusener Multi eingereicht.AKTION & KRITIK

CBG bei Corona-Demo

In Sachen „Corona“ sind bislang zumeist nur rechtsoffene WutbürgerInnen, QuerdenkerInnen und RechtsextremistInnen auf die Straße gegangen. Dabei wollte es das antifaschistische Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer“ nicht bewenden lassen. Es rief unter dem Motto „Gemeinsam durch die Pandemie – solidarische Lösungen statt autoritäre Maßnahmen und Verschwörungswahn“ zu einer Demonstration in der Stadt auf. Rund 1.600 Menschen folgten am 5. Februar dem Appell, darunter auch Mitglieder der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Die Redner-Innen übten Kritik an den QuerdenkerInnen und prangerten die unhaltbare Situation in den gnadenlos auf Effizienz und Profit getrimmten Krankenhäusern an. Andere forderten eine Freigabe der Impfstoff-Patente, attackierten die Profit-Gier von Big Pharma oder mahnten, die Schwächsten der Gesellschaft in der Pandemie nicht allein zu lassen. Jan Pehrke von der CBG nahm in seiner Rede viele dieser Aspekte auf und schloss mit den Worten: „Die Auseinandersetzung sollte nicht zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften verlaufen, sondern zwischen den Konzernen, die nur auf ihren Profit aus sind, und den Menschen, die unter diesem Kapital-Regime leiden. Und in Zeiten der Pandemie mehr denn je darunter leiden, denn diese treibt die Schere zwischen arm und reich noch weiter auseinander.“

Proteste in Lyon

Am 5. März 2022 fand in Lyon, wo sich die französische BAYER-Zentrale befindet, eine große Demonstration gegen den Agro-Riesen statt. Zu den Organisatoren zählten Gruppen wie LES SOULÈVEMENTS DE LA TERRE, LE CONFÉDÉRATION PAYSANNE, EXTINCTION REBELLION, ALER-TE PESTICIDES HAUTE GIRONDE und YOUTH FOR CLIMATE LYON. „Die Folgen der Geschäftstätigkeit des von BAYER aufgekauften Unternehmens MONSANTO sind katastrophal: Wasser- und Bodenverschmutzung, Krebs, Geburtsfehler oder Zerstörung der Artenvielfalt, Verschwinden, Prekarisierung und zunehmende Abhängigkeit von Bauern und Bäuerinnen auf der ganzen Welt“, stand in dem Aufruf, dem rund 2.000 Menschen folgten. Auch an anderen Standorten des Leverkusener Multis wie in Villefranche-sur-Saône, wo der Konzern vorsorglich die Produktion stoppte, und bei BASF in Genay kam es zu Protest-Aktionen.

CBG bei Industrieclub-Kundgebung

Am 26. Januar vor 90 Jahren besiegelte Adolf Hitler im Düsseldorfer Industrieclub seinen Pakt mit den Konzernen. Um an diesen fatalen Schulterschluss zu erinnern, hielt die VEREINIGUNG DER VERFOLGTEN DES NAZIREGIMES – BUND DER ANTIFASCHISTINNEN (VVN-BdA) vor dem geschichtsträchtigen Gebäude an der Elberfelder Straße eine Kundgebung ab. Zudem brachte die Organisation an dem Gebäude eine provisorische Mahntafel an, auf der zu lesen war: „26. Januar 1932. Hier bekam Adolf Hitler Beifall und Geld. Hier wurden die Weichen zum Krieg gestellt.“ Eine solche – allerdings offizielle und dauerhafte – hatte sich die Widerstandskämpferin Maria Wachter an diesem historischen Ort immer gewünscht. Aus gegebenem Anlass nahm auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) an der Aktion teil. Zwar waren am 26. Januar 1932 keine VertreterInnen der von BAYER mitgegründeten IG FARBEN unter den 650 Industriellen, die dem NSDAP-Vorsitzenden lauschten, aber der Konzern knüpfte ebenfalls schon früh Verbindungen zu den Nazis. Bereits 1931 dekretierte der damalige IG-Aufsichtsratschef Carl Duisberg in seiner Funktion als Vorsitzender des „Reichsverbands der deutschen Industrie“: „Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, dass er keine Hemmungen hat und der gesonnen ist, den Geist der Frontgeneration in friedlicher Befreiungsarbeit einzusetzen und zu verwirklichen, so muss diesem Mann unbedingt Folge geleistet werden.“ Und nach der Machtergreifung der FaschistInnen kam Duisberg noch einmal auf seine Worte von damals zurück. „Meine auf der ersten großen Tagung des Reichsverbandes unter meinem Vorsitz dargelegte Meinung hat sich heute noch nicht geändert: Das Wichtigste für die Industrie ist ein starker Staat, eine machtvolle und energische Regierung“, so der IG-Manager im September 1933.

ESSURE-Geschädigte protestieren

Bei ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Sterilisationsmittel, handelt es sich um eine kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen. Allzu oft jedoch bleibt das Medizin-Produkt nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Schmerzen im Unterleib oder anderen Körper-Regionen, Depressionen oder Angstzustände, Kopfschmerzen, Übelkeit, Allergien, Hautausschläge und Haarausfall zählen zu den Nebenwirkungen. In den USA führte das zu 39.000 Klagen, in deren Folge der Leverkusener Multi 1,6 Milliarden Dollar Schadensersatz zahlen musste. Daraufhin entschloss er sich zu einem weltweiten Verkaufssstopp. Drei französische Geschädigten-Verbände nahmen den Tag des Auslaufens der Vermarktung zum Anlass, um vor dem BAYER-Standort Lyon zu protestieren. Unter anderem forderten die Organisationen die Einrichtung eines Fonds für die betroffenden Frauen.

Agrar-Plattformen: zuwenig Kontrolle

Die Digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. Der Leverkusener Multi gehört mit der Plattform „FieldView“ zu den größten Anbietern in diesem Bereich. Auf rund 72 Millionen Hektar kommt dieses Erzeugnis der Digital-Tochter CLIMATE LLC bereits zum Einsatz. Und im Zuge der Kooperation mit MICROSOFT (Ticker 1/22) will der Agro-Riese seine Position noch ausbauen. Wegen der dominierenden Stellung einiger weniger Player wie BAYER in diesem Bereich fordert eine Reihe von Initiativen wie die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT, der BUND, FIAN und INKOTA Regulierungsmaßnahmen. „Zur Begrenzung der Macht von Agrar- und Digitalkonzernen braucht es dringend eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts in Deutschland sowie in der Europäischen Union“, heißt es in dem „Positionspapier Landwirtschaft 4.0.“ Ohne solche politischen Maßnahmen droht den Organisationen zufolge nämlich in Zukunft ein Big Brother über die Äcker zu wachen: „Wenn die landwirtschaftlichen Daten über wenige, übergreifende Plattformen verwaltet werden, muss zudem sichergestellt werden, dass die Daten sowie die Plattformen nicht von einigen wenigen Großkonzernen wie BAYER oder JOHN DEERE kontrolliert werden.“

Digital ist schlechter

Eine ForscherInnen-Gruppe um Sarah Rotz von der kanadischen „University of Guelph“ hat die wissenschaftliche Literatur zu Wohl und Wehe der digitalen Landwirtschaft gesichtet und viele Problem-Felder ausgemacht. „Viele der so genannten technologischen Lösungen werden in einer Weise entwickelt, welche die Konzerne stärkt, statt die unabhängigen Landwirte dabei zu unterstützen, fundierte Entscheidungen über das von ihnen bewirtschaftete agrarökologische System zu treffen“, schreiben Rotz & Co. in „The Politics of Digital Agricultural Technologies“. Und da die Algorithmen der Tools auf die Bedürfnisse der industriellen Landwirtschaft zugeschnitten sind, haben Kleinbauern und -bäuerinnen das Nachsehen, halten sie fest. Aus demselben Grund geben BAYERs FieldView und andere Plattformen den AutorInnen zufolge auch gar keine digitalen Anreize zu einer ökologischen Nahrungsmittel-Produktion. Die Daten-Sicherheit sehen sie bei Big Agro ebenfalls nicht in guten Händen.

Initiative will Pestizid-Petition

Die französische Initiative SECRETS TOXIQUES, mit der die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN kooperiert, kritisiert seit Langem die unzureichenden Vorschriften für Pestizid-Zulassungen. So müssen BAYER & Co. keine Studien über Langzeit-Wirkungen der Ackergifte vorlegen. Auch fordert die EU keine Untersuchungen über etwaige Risiken der gesamten Formulierung des Produkts ein. Ihr genügen Daten zu den jeweiligen Hauptwirkstoffen. Das führt zu einer Unterschätzung der Gefahren, z. B. bei Glyphosat. Das weiß auch BAYERs Tochter-Gesellschaft MONSANTO. So hielt ein Firmen-Toxikologe einst fest: „Glyphosat ist OK, aber das formulierte Produkt verursacht den Schaden.“ SECRETS TOXIQUES will nun gemeinsam mit anderen Organisationen über eine europäische Petition eine Reform der Genehmigungsverfahren erreichen.

Umweltbundesamt schlägt Alarm

Das Umweltbundesamt (UBA) zeigt sich angesichts der hierzulande auf den Feldern ausgebrachten Pestizid-Mengen alarmiert. „Seit über 40 Jahren ist der Absatz von Pflanzenschutzmitteln in der deutschen Landwirtschaft mehr oder weniger unverändert. Sorge bereitet uns jetzt, dass der Verkauf problematischer Wirkstoffe steigt“, erklärte UBA-Präsident Dirk Messner. Im Einzelnen nannte das Umweltbundesamt neben bestimmten Insektiziden, welche die wegen ihrer Bienengefährlichkeit seit einigen Jahren verbotenen Neonicotinoide ersetzt haben, die Herbizide Terbuthylazin, S-Metolachlor sowie Flufenacet. Allein der Umsatz mit dieser Substanz, die unter anderem in dem BAYER-Ackergift LIBERATOR PRO enthalten ist, legte 2020 um 32 Prozent zu, was die Umwelt massiv gefährdet. „Flufenacet bildet das persistente Abbauprodukt Trifluoracetat (TFA), das weiträumig in Gewässern und im Trinkwasser gefunden wird und kaum aus dem Wasser entfernt werden kann“, warnt die Behörde. Die Substanz steht schon seit 2004 auf der EU-Liste mit denjenigen Stoffen, die wegen ihrer Risiken und Nebenwirkungen eigentlich ersetzt gehören. Aber „eine Reduzierung des Einsatzes gelingt in Deutschland bislang nicht“, konstatiert das UBA. Messner sieht angesichts der Entwicklung dringenden Handlungsbedarf: „Für eine zukunftsfähige Landwirtschaft muss der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln insgesamt deutlich reduziert werden.“

Überdosis Chemie #1

Im Januar 2022 schlugen WissenschaftlerInnen des „Stockholm Resilence Centers“ Alarm. „Das Tempo, in dem die Gesellschaften neue Chemikalien produzieren und in die Umwelt freisetzen, ist für Menschheit kein sicherer Operationsmodus“, konstatiert Sarah Cornell. Durch die Zunahme der Herstellung von Pestiziden, Kunststoffen und anderen Substanzen um den Faktor 50 seit 1950 sehen die ForscherInnen sogar die „planetare Tragfähigkeit“ gefährdet. Darum fordern sie eine strengere Regulierung der Erzeugnisse von BAYER & Co.

Überdosis Chemie #2

Nach einer Studie des UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und Umwelt, David Boyd, sterben durch die Freisetzung gefährlicher Stoffe in Wasser, Boden & Luft pro Jahr neun Millionen Menschen einen vorzeitigen Tod. „Die derzeitigen Ansätze zur Bewältigung der von Umweltverschmutzung und toxischen Substanzen ausgehenden Risiken versagen eindeutig, was zu weitverbreiteten Verstößen gegen das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt führt“, konstatiert Boyd deshalb.

KAPITAL & ARBEIT

Keine Corona-Prämie

Etliche Unternehmen zahlen ihren Angestellten Corona-Prämien. Bis zu 1.500 Euro reichen die Summen. Bei BAYER & Co. gehen die Belegschaftsangehörigen dagegen leer aus. „[D]ie Chemie-Branche will keine internen und externen Debatten, welcher steuerfreie Bonus nun angemessen ist“, zitiert die Rheinische Post einen Insider. Der Leverkusener Multi erklärte sich lediglich bei Beschäftigten bestimmter Geschäftsbereiche zu Ausgleichszahlungen bereit.

ERSTE & DRITTE WELT

Doppelte Pestizid-Standards

Das Pestizid-Angebot BAYERs besteht zu 36,7 Prozent aus Mitteln, welche die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Welternährungsorganisation FAO als hochgefährlich einstufen. Allerdings macht der Konzern ebenso wie seine Mitbewerber feine Unterschiede bei der Vermarktung dieser „highly hazardous pesticides“ (HHPs). Während der Anteil der HHPs am Umsatz der Branche in Deutschland „nur“ zwölf Prozent beträgt, liegt er in Brasilien bei 49 und in Indien bei 59 Prozent. So vertreibt der Leverkusener Multi in Brasilien mehr als ein dutzend Agro-Chemikalien, die in der EU wegen ihrer Risiken und Nebenwirkungen keine Zulassung (mehr) haben (siehe auch SWB 1/22).

Immer mehr Pestizide

Der globale Pestizid-Absatz nimmt jährlich um rund vier Prozent zu. Aber trotz der vier Millionen Tonnen, die per anno auf den Feldern landen, ist offenbar noch Luft nach oben: Markt-Be-obachterInnen prognostizieren eine Zuwachs-Rate von 11,5 Prozent bis 2023. Dazu trägt nicht zuletzt der Klimawandel bei, denn die Erderwärmung begünstigt die Vermehrung von Schadinsekten und reduziert gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen. Zu allem Übel verteilt sich der Anstieg nicht gleichmäßig über die Welt. Während die Ausbringung der Ackergifte in Europa von 1999 bis 2019 nur um drei Prozent und in den USA um 3,6 Prozent zulegte, waren es in Asien 28,9 Prozent, in Zentralamerika 38,4 Prozent, in Afrika 71,1 Prozent und in Südamerika 143,5 Prozent.

POLITIK & EINFLUSS

BAYER verhindert „Build Back Better“

Mit einem billionen-schweren Gesetzes-Paket wollte die Biden-Administration Sozialreformen auf den Weg bringen und die Wirtschaft klima-freundlicher gestalten. Nicht weniger als 3,5 Billionen Dollar sah der „Build Back Better“-Act für bessere Krankenversicherungsleistungen, mehr Kinderbetreuungsangebote, bezahlte Elternzeit, Steuerentlastungen für Familien, erleichterte Hochschul-Zugänge und eine Stärkung der Altenpflege vor. Die 2. Säule umfasste Investitionsanreize für die Industrie zur Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen in Höhe von 555 Milliarden Dollar. Zur Gegenfinanzierung planten Biden & Co. unter anderem, die von Donald Trump veranlasste drastische Unternehmenssteuer-Senkung wieder etwas zurückzufahren und die Arzneimittel-Preise zu senken. Das passte BAYER natürlich gar nicht (siehe auch SWB 1/22). Auch die anderen Multis zeigten sich „not amused“. Also starteten die Firmen eine Kampagne. Dabei konzentrierten sie sich darauf, die hauchdünne Mehrheit der Demokraten zu unterminieren und Abgeordnete mittels üppiger „Wahlkampf-Hilfe“ aus der Fraktion herauszulösen. Allein der Leverkusener Multi bedachte im laufenden Jahr Josh Gottheimer, Stephanie Murphy und Kurt Schrader mit je 2.500 Dollar und Jim Costa mit 1.000 Dollar. Die konservativen Demokraten-Zirkel „Moderate Democrats“ und „Blue Dog Coalition“ erhielten noch mal je 5.000 Dollar vom Global Player. Das alles zeitigte Erfolge. Dem innerparteilichen Druck geschuldet, musste Joe Biden den „Build Back Better“-Etat von 3,5 Billionen Dollar auf 1,75 Billionen reduzieren. Ein 150 Milliarden Dollar umfassendes Anreiz-Programm zum Umstieg auf erneuerbare Energien fiel ebenso Streichungen zum Opfer wie eine Methan-Abgabe, bezahlte Elternzeit und ein besserer Krankenversicherungsschutz für Angestellte. Aber trotz alledem gelang es nicht, den innerparteilichen Widerstand zu brechen. So gab Biden Anfang 2022 auf. Er will das Maßnahmen-Bündel jetzt wieder aufschnüren, um wenigstens Teile davon zu retten. „Ich glaube, wir können das Paket aufspalten, so viel wie möglich jetzt verabschieden und später für den Rest kämpfen“, sagte er am 19. Januar bei der Pressekonferenz zu seinem einjährigen Amtsjubiläum.

CEFIC vs. Chemikalien-Strategie

Mit immer mehr Chemikalien suchen BAYER & Co. die Welt heim (siehe AKTION & KRITIK). Aus diesen Gründen entschloss sich die Europäische Union zu handeln und brachte im Oktober 2020 eine Chemikalien-Strategie auf den Weg. Diese versteht sich als Teil des „Green Deals“ und beabsichtigt, „den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu erhöhen“. „Wenn wir nichts unternehmen, wird sich die Gesamtzahl der Krebsfälle in der EU bis 2035 voraussichtlich verdoppeln“, mahnte die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Bei den Konzernen läuteten sogleich die Alarm-Glocken. „Für die Chemie- und Pharmabranche und ihre Kunden in nachgeschalteten industriellen Wertschöpfungsketten wird die EU-Chemikalienstrategie massive Auswirkungen haben, wenn sie unverändert umgesetzt werden sollte“, warnte der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI). Der „Handlungspakt“, den der VCI mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) geschlossen hatte, drang dann darauf, keinesfalls das Vorsorge-Prinzip zur Grundlage der Chemikalien-Strategie zu machen. Zudem müsse alles „primär im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung erreicht werden“, hieß es. In Brüssel steuert der europäische Chemie-Verband CEFIC die Aktivitäten. „In der Darstellung der Vorteile und der negativen Auswirkungen von Chemikalien gibt es immer noch ein erhebliches Missverhältnis“, schrieb er an die Generaldirektion Umwelt der EU. Und im Dezember 2021 forderte die Lobby-Organisation – gestützt auf eine „Studie“ – einen „soliden Übergangsrahmen“ sowie „Anreize“ für die Industrie bei der Suche nach weniger gesundheitsschädlichen Substanzen.

Für immer Online-HVs

Schon lange vor Corona hatten die Konzerne mit Online-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische AktionärInnen besser vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit dazu, was BAYER als erstes DAX-Unternehmen nutzte. Im letzten Herbst erteilten CDU und SPD den Multis die Erlaubnis, auch 2022 wieder ins Internet flüchten zu können. Und die Ampel-Koalition beabsichtigt nun, ihnen diese Option dauerhaft einzuräumen und bereitet eine entsprechende Überarbeitung des Aktiengesetzes vor. Laut Justizministerium „besteht eine erhebliche Erwartung der Praxis, auch weiterhin vom Instrument der virtuellen Hauptversammlung Gebrauch machen zu können“. Per Satzungsänderung, der die AktionärInnen zustimmen müssen, will der ReferentInnen-Entwurf BAYER & Co. den Weg zur Abhaltung virtueller HVs erschließen, erst einmal für die Dauer von fünf Jahren. Ein Hybrid-Modell sehen die Pläne nicht vor – die Ampelkoalition hält es für zu kompliziert. Mit diesem Vorstoß geht eine massive Einschränkung von AktionärInnen-Rechten einher. Zwar heißt es in dem Schriftstück: „Den Aktionären ist in der Versammlung eine Rede-Möglichkeit im Wege der Video-Kommunikation zu gewähren“, allerdings gestatten SPD, Grüne und FDP den Aktien-Gesellschaften, nach Lust und Laune bzw. dem „Prioritätsprinzip“ über Anzahl und Länge der Beiträge zu befinden. „[E]in Anspruch auf Zulassung von Rede-Beiträgen über die festgelegte Anzahl hinaus besteht nicht“, hält der Entwurf fest. Also bleiben den Konzern-KritikerInnen nur Fragen, bei den Nachfragen wird es dann schon schwierig: „Nachfragen, die in keinem sachlichen Zusammenhang zu der vorab eingereichten Frage und zu der Antwort des Vorstands stehen, werden nicht beantwortet.“ Sogar über die Gesamtlänge der Veranstaltung darf der Versammlungsleiter eigenständig befinden. Eine Dauer von vier bis sechs Stunden bringt das Paragrafen-Werk dabei ins Spiel. Nach Einschätzung der Bundesregierung trägt das auch der angeblich geringeren Bedeutung der Hauptversammlung Rechnung. „In der Praxis lässt sich eine zunehmende Verlagerung der Informations- und Entscheidungsprozesse der Hauptversammlung in das Versammlungsvorfeld beobachten“, konstatiert sie: „Das Vorfeld wird das Hauptfeld.“ „Aktionäre erhalten Informationen auch dann, wenn diese aufgrund des Kapitalmarkt-Rechts erfolgen oder darüber hinaus unabhängig vom Versammlungstermin zur Verfügung gestellt werden. Hier können auch die sogenannten ‚Investorengespräche’ eine Rolle spielen“, heißt es in dem Dokument aus dem Hause von Justizminister Marco Buschmann (FDP). Der Politik denkt dabei also hauptsächlich an BLACKROCK & Co. und nicht an die KleinanlegerInnen. Und diese Entwicklung weg von der traditionellen HV will das Gesetz noch beschleunigen, indem es ein Recht schafft, „Stellungnahmen in Textform vor der Versammlung an die Gesellschaft zu übermitteln, die dann allen anderen Aktionären zugänglich zu machen sind. Auch diese Vorschrift dient der Entzerrung der Versammlung, da das Rederecht so teilweise in das Vorfeld der Versammlung verlagert wird.“ Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wird alles in ihren Kräften stehende tun, um gegen diese Beschneidung der Rechte von Konzern-KritikerInnen vorzugehen.

DRUGS & PILLS

XARELTO: risikoreicher als ELIQUIS

PatientInnen, die BAYER-Gerinnungshemmer XARELTO einnehmen, setzen sich mehr Gesundheitsgefährdungen aus als solche, die das Vergleichspräparat ELIQUIS nutzen. Das ergab eine Studie der „Vanderbilt University School of Medicine“. Das Blutungsrisiko liegt bei XARELTO um 41 Prozent höher, das Risiko eines von Blutungen ausgelösten Herzschlages um 26 Prozent und das eines Herzschlages, der auf ein Gerinnsel zurückzuführen ist, um zwölf Prozent. 123.142 Meldungen über Nebenwirkungen des Mittels verzeichnet die „Europäische Arzneimittel-Agentur“ EMA mittlerweile (Stand: 19.3.22).

Mehr Herz-Erkrankungen durch ASPIRIN

Unermüdlich preist der BAYER-Konzern ASPIRIN als Mittel zur Vorbeugung von Herz-Leiden an. Dabei erhöht das Mittel das Gefährdungspotential für solche Gesundheitsstörungen. Menschen, die den Tausendsassa zur Prophylaxe einnehmen, haben gegenüber denjenigen, die das nicht tun, ein um 26 Prozent höheres Risiko für Herz-Erkrankungen. Das ergab eine Studie der Universität Leiden, die Gesundheitsdaten von 30.827 Menschen aus zwölf Ländern analysiert hatte.

BITS & BYTES

Verkaufsförderung durch FIELDVIEW

Die Digitale Landwirtschaft sammelt mit Hilfe von Drohnen, Sensoren und Satelliten-Bildern Informationen über das Wetter, die Bodenbeschaffenheit, Pflanzenkrankheiten und Schadinsekten. BAYER gehört mit „FieldView“ zu den größten Anbietern in diesem Bereich. Dem Konzern zufolge hilft das Tool den LandwirtInnen, „Betriebsabläufe und Erträge zu optimieren“. Aber nicht nur das. „Die FIELDVIEWTM -Plattform liefert ihnen wertvolle Erkenntnisse und erhöht zugleich den Absatz von BAYER-Produkten, da die LandwirtInnen die Leistung der Produkte über die digitale Benutzer-Oberfläche erfassen und vergleichen können“, konstatiert der Agro-Riese. Ganz wie KritikerInnen befürchtet haben, tut es die Aktien-Gesellschaft also APPLE & Co. nach und nutzt die „Errungenschaften“ des digitalen Kapitalismus, um bevorzugt die eigenen Erzeugnisse loszuschlagen. Sie liefert sogar gleich die Zahlen dazu: „So hat BAYER in den USA fünf Prozent mehr Maissaatgut an Kunden verkauft, die FIELDVIEWTM Plus nutzen, als an solche, die das System nicht nutzen.“

Vertiefte Kooperation mit HORSCH

BAYERs Digital-Tochter CLIMATE CORPORATION arbeitet bereits seit Längerem mit dem Landwirtschaftstechnik-Hersteller HORSCH zusammen. So ist auf dessen Maschinen der Zugriff auf BAYERs Agrar-Plattform FIELDVIEW vorinstalliert. Diese bietet den Bauern und Bäuerinnen dem Leverkusener Multi zufolge „ein tieferes Verständnis für ihre Felder, damit sie fundiertere Betriebsentscheidungen treffen können, um ihre Erträge zu optimieren, die Effizienz zu optimieren und Risiken zu reduzieren“. Wer dann die Bauernweisheiten 2.0 nutzen will und mit dem Leverkusener Multi ins Geschäft kommt, erhält über eine Apparatur namens FIELDVIEW DRIVE Zugang zu der Plattform. Jetzt vertieften die beiden Partner ihre Zusammenarbeit noch einmal, damit auch Dritte – der Global Player spricht datensicherheitshalber von „einem vertrauenswürdigen agronomischen Partner“ – imstande sind, in den Genuss der Errungenschaften der digitalen Landwirtschaft zu kommen. „Durch diese neue Vereinbarung haben gemeinsame Kunden die Möglichkeit, sich auf neue Weise digital mit ihrem Betrieb zu verbinden. Sie können von ihren HORSCH-Geräten generierte Daten über das Dateneingangstool direkt in ihr FIELDVIEW-Konto hochladen, ohne das FIELDVIEW DRIVE dafür erforderlich ist“, erklärte der Agro-Riese.

Kooperation mit HUTCHINSON

BAYER hat eine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen HUTCHINSON vereinbart. Die beiden Konzerne beschlossen, ihre beiden Plattformen für die digitale Landwirtschaft – FIELDVIEW und OMNIA – kompatibel zu machen, um einen Daten-Austausch zwischen den beiden Systemen zu ermöglichen.

Das digitale Treibhaus

Die digitale Landwirtschaft sucht nicht nur die Äcker heim, sie macht auch vor den Treibhäusern nicht halt. So sicherte sich der BAYER-Konzern die Dienste des Datenanalyse-Unternehmens PROSPERA, um seine Aktivitäten auf diesen Bereich auszudehnen. Die Tools der israelischen Firma vermögen es nach eigenen Angaben, die Befindlichkeiten der innen gezüchteten Pflanzen datentechnisch zu erfassen und etwa beim Paprika-Anbau „präzise Wassermengen an bestimmten Stellen im Gewächshaus auszubringen“. Zunächst wollen die Partner die Kooperation in Mexiko erproben, das PROSPERA als „einen wichtigen Markt für disruptive Innovationen und die globale Gemüse-Produktion“ bezeichnet.

BAYER kauft BOSCH-Sensoren

BAYERs Geschäftsbereich „Digitale Landwirtschaft“ setzt in Sachen „Gewächshäuser“ nicht mehr nur auf Kooperationen (s. o.), sondern baut auch eine eigene Abteilung dafür auf. Dazu erwarb der Leverkusener Multi von dem Unternehmen BOSCH dessen japanisches Geschäft mit Sensoren für den Gemüseanbau in Treibhäusern. Das PLANTECT-System, das der Hersteller auch als „Greenhouse Guardian“ bezeichnet, erfasst unter anderem die Temperatur, Feuchtigkeit und Licht-Verhältnisse und liefert so Daten zur Steuerung der Zucht.

Mit XAG nach Südost-Asien

Seit Ende 2018 kooperiert BAYER in Sachen „Digitaler Landwirtschaft“ mit dem chinesischen Konzern XAG. So entwickeln beide Multis etwa Drohnen zum Ausbringen von Pestiziden. Mit dieser Technologie wollen die Konzerne nun auch Kleinbauern und -bäuerinnen in Südostasien beglücken. Bereits seit Anfang 2020 unternehmen sie entsprechende Anstrengungen.

Drohnen-Versuche in Indien

Der BAYER-Konzern hat in einem indischen Saatgut-Zentrum nahe Hyderabad Versuche mit der Nutzung von Drohnen zum Ausbringen von Pestiziden gestartet. Er kooperiert dabei mit dem Agrar-Ministerium, Universitäten, Forschungseinrichtungen und GENERAL AERONAUTICS, einem einheimischen Start-Up für Drohnen-Technologie.

Digitale Apfelschorf-Vorhersage

In Indien hat BAYER ein digitales Tool zur Apfelschorf-Vorhersage entwickelt. Anhand weniger Parameter wie der geographischen Lage der Felder, der nächsten Wetterstation sowie Art und Alter der Bäume will der Leverkusener Multi das Risiko für den Befall mit dieser Pilz-Krankheit ermitteln und daraus Empfehlungen zu einem angeblich passgenauen Pestizid-Gebrauch ableiten.

Tests mit BIOME MAKERS

Das Unternehmen BIOME MAKERS hat ein digitales Tool entwickelt, das Daten über die Beschaffenheit des Boden-Mikrobioms und andere für das Pflanzen-Wachstum wichtige Parameter erhebt und auf dieser Basis Empfehlungen zur Zucht gibt. Der BAYER-Konzern ging eine Kooperation mit der Firma ein, um die Wirkungsweise der KI-Apparatur in Abstimmung mit seinem Bio-Fungizid MINUET zu untersuchen. Und siehe da: Bei Feld-Versuchen in Idaho hat die Kombination die Kartoffel-Ernte angeblich um 40 Prozent steigern können.

Vereinbarung mit CLAAS

BAYER hat mit dem Landmaschinen-Hersteller CLAAS eine Kooperation im Bereich der digitalen Landwirtschaft vereinbart. Landwirt*innen, die CLAAS TELEMATICS zur Erhebung von Daten nutzen, erhalten nun auch Zugriff auf die BAYER-Plattform FIELDVIEW. Das Tool des Leverkusener Multis stellt unter anderem Informationen über das Wetter, bereits bearbeitete Felder, die durchschnittliche Getreide-Feuchte sowie Ertragsberichte und Karten zur Verfügung.

AGRO & CHEMIE

EPA überprüft Dicamba

Das Pestizid Dicamba, das BAYER & Co. hauptsächlich in Kombination mit ihren gen-manipulierten Pflanzen vermarkten, hinterlässt in den USA eine Spur der Verwüstung. Zahlreiche Landwirt*innen machen das Herbizid für Ernte-Schäden verantwortlich. Es bleibt nämlich nach dem Ausbringen nicht einfach an Ort und Stelle, sondern verflüchtigt sich und treibt zu Ackerfrüchten hin, die gentechnisch gegen den Stoff nicht gewappnet sind und deshalb eingehen. Allein bei Soja war das auf einer Fläche von mehr als zwei Millionen Hektar der Fall. Darum gab ein US-Gericht im Juni 2020 der Klage eines FarmerInnen-Verbandes statt und untersagte den Gebrauch des Mittels. Die von Donald Trump auf Linie gebrachte Umweltbehörde EPA ließ Dicamba im Herbst des Jahres aber unter Auflagen wieder zu. So durften die Farmer*innen die Produkte nun nur noch bis zu einem bestimmten Stichtag verwenden. Zudem mussten sie der Agro-Chemikalie vor dem Ausbringen Substanzen beimengen, die sie auf dem Boden halten sollten, und auf größere Abstände zu anderen Feldern achten. Genutzt hat das alles allerdings nicht viel. Dicamba wurde wieder übergriffig. Eine Ackerfläche von 400.000 Hektar suchte es unerlaubterweise heim. 3.500 Beschwerden von LandwirtInnen gingen deshalb bei der EPA ein. Daraufhin kündigte die Behörde eine erneute Überprüfung an. „Im Moment wissen wir nicht, ob Dicamba so eingesetzt werden kann, dass es keine unangemessene Risiken für Nicht-Zielpflanzen und andere Gewächse birgt“,  so der bei „Environmental Protection Agency“ für die Chemikalien-Sicherheit verantwortliche Michael Freedhoff. BAYER hingegen lässt nichts auf das unter dem Produktnamen XTENDI-MAX vermarktete Herbizid kommen. Der Leverkusener Multi macht die FarmerInnen für die Schäden verantwortlich. Nicht alle von ihnen hätten Schulungen besucht und das Pestizid „zielgenau“ ausgebracht, so das Unternehmen. Nach dem erneuten Eklat fordert das CENTER FOR BIOLOGICAL DIVERSITY ein sofortiges Dicamba-Verbot.

71 Notfall-Zulassungen

„Wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist, kann das ‚Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel-Sicherheit’ kurzfristig das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung und für maximal 120 Tage zulassen“, heißt es auf der Webpage der Behörde. 71 dieser Notfall-Zulassungen gewährte das BVL im Jahr 2021. Zumeist handelt es sich dabei um die Erlaubnis, die Pestizide in weiteren Kulturen gegen Schadinsekten oder Wildpflanzen nutzen zu können. So verhielt es sich auch bei dem BAYER-Insektizid MOVENTO SC 100. Gleich vier Mal genehmigte das Bundesamt eine Ausweitung der Anwendungszone. So durften die bundesdeutschen LandwirtInnen das Mittel mit dem Wirkstoff Spirotetramat zusätzlich gegen die Maulbeer-Schildlaus, die Hopfen-Blattlaus, den Birnenblatt-Sauger, die Napfschildlaus und zahlreiche weitere Tiere einsetzen. Des Weiteren erhielt LUNA SENSATION (Wirkstoffe: Trifloxystrobin und Fluopyram) eine Sondergenehmigung zum Einsatz gegen Echten Mehltau in Hopfen und SENIC GOLD (Fluopicolide, Fluoxastrobin) eine gegen Auslauf-Krankheiten im Winterraps.

Kaum Pestizid-Forschung

BAYER & Co. konzentrieren ihre Forschungsausgaben im Landwirtschaftssegment auf Saatgut und Gentech, den Pestizid-Bereich vernachlässigen sie hingegen. Waren im Jahr 2000 noch 70 Prozent der Agro-Chemikalien auf dem Markt jüngeren Datums und darum patentgeschützt, so schrumpfte die Zahl bis heute auf 15 Prozent. Die Konzerne scheuen den Aufwand für die strenger gewordenen Zulassungsauflagen. Sie stützen sich lieber auf ihre Uralt-Gifte, obwohl ein großer Bedarf an ungefährlicheren Mitteln besteht.

Notfall-Zulassungen in der EU

Auch andere europäische Länder erteilen Pestiziden Notfall-Genehmigungen. Dabei schrecken einige nicht einmal davor zurück, bereits auf den Index gesetzte Agro-Chemikalien wie etwa BAYERs Saatgut-Beizmittel GAUCHO aus der Gruppe der Neonicotinoide kurzzeitig wieder zuzulassen. Dänemark und Frankreich haben dem Mittel mit dem Wirkstoff Imidacloprid, das die Europäische Union wegen seiner Bienengefährlichkeit im Jahr 2018 aus dem Verkehr gezogen hatte, bereits 2022 wieder Notfall-Zulassungen erteilt. Weitere „emergency autorisations“ erhielten heuer neben MOVENTO (s. o.) SERENADE und PROPULSE.

Krebs-Gefahr durch Glyphosat

im Jahr 2015 hat die Weltgesundheitsorganisation Glyphosat nach Auswertung der relevanten Studien als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Eigentlich könnten die WissenschaftlerInnen also auf neue Untersuchungen verzichten und den Versuchstieren so viel Leid ersparen. Das aber geschieht nicht. So veröffentlichte das Londoner King’s College eine weitere Expertise, welche abermals die karzinogene Wirkung des Herbizids belegt. So löst das Mittel in den Zellen einen das Tumor-Risiko erhöhenden oxidativen Stress aus. Allein in der Leber beeinflusst Glyphosat 20 Gene, die verkaufsfertige Formulierung ROUNDUP sogar 100. Konkret greifen Wirksubstanz und Endprodukt in die Arbeit der miRNA-Botenstoffe ein, die eine wichtige Steuerungsfunktion erfüllen. „Die miRNAs, deren Spiegel in Leber-Proben durch Glyphosat und ROUNDUP MON52276 verändert wurden, sind nachweislich an der Entstehung von Krebs beteiligt“, konstatieren die ForscherInnen.

Immer mehr Glyphosat-Resistenzen

Immer mehr Wildpflanzen haben sich mit der Zeit auf die Glyphosat-Sprühungen eingestellt und Resistenzen ausgebildet. Mittlerweile beläuft sich die Zahl dieser Gewächse auf 53. Unter anderem trotzen das Kanadische Berufkraut und bestimmte Amaranth-Arten dem Mittel.

Glyphosat-Marktvolumen: 7,8 Mrd.

Nach Angaben des Pestizid-Atlas’ belief sich 2020 der weltweite Umsatz der Konzerne mit Glyphosat auf 7,8 Milliarden Dollar. Einen nicht ganz kleinen Anteil daran dürfte BAYER haben. Die Agro-Chemikalie findet nämlich hauptsächlich in Kombination mit Gentech-Pflanzen, die auf das Produkt abgestimmt sind, Verwendung, und zu deren Hauptlieferanten zählt der Leverkusener Multi. Im Geschäftsjahr 2021 setzte er mit Glyphosat als Top-Seller und anderen Antiunkrautmitteln 5,3 Milliarden Euro um. „Positiv bemerkbar machten sich bei den Herbiziden vor allem Preis-Steigerungen bei den glyphosat-haltigen Produkten“, vermeldete der Agro-Riese bei der Vorstellung der Bilanz-Zahlen.

SNCF verzichtet auf Glyphosat

Die Eisenbahn-Unternehmen zählten lange zu den Hauptabnehmern von Glyphosat. Seit einiger Zeit denken sie jedoch um. Die DEUTSCHE BAHN entwickelte im Jahr 2019 einen Ausstiegsplan und will bis 2023 ganz auf das Mittel verzichten. Und am 30. Dezember 2021 verkündete ihr französisches Pendant, die SNCF, einen sofortigen Glyphosat-Bann. Bisher hatte die Gesellschaft auf ihren Gleisanlagen alljährlich bis zu 38 Tonnen des Herbizids versprüht, so viel wie kein anderer Großkunde in dem Land. Dem Webportal Sustainable Pulse zufolge hat diese Entscheidung bei BAYER & Co. Schockwellen ausgelöst.

Erneuter Glyphosat-Lieferengpass

Im letzten Sommer konnte der BAYER-Konzern die Glyphosat-Nachfrage nicht bedienen, weil der Hurrikan Ida die Produktion am US-amerikanischen Standort Luling lahmlegte. Im Februar 2022 nun gibt es wieder Probleme. „Kürzlich kam es bei einem Lieferanten eines Rohstoffs, der für die Herstellung von Glyphosat benötigt wird, zu einem technischen Problem, der sich kurzfristig auf unsere Produktion des aktiven Wirkstoffs von Glyphosat auswirken könnte“, gab der Agro-Riese bekannt. China stellt ebenfalls weniger von dem Herbizid her. Da die Gewinnung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor die Umwelt extrem belastet, hatte das Land im letzten Jahr eine Drosselung der Fabrikation beschlossen. Auch bei anderen Pestiziden treten Lieferengpässe auf, weshalb die Preise drastisch anziehen.

Seekühe mit Glyphosat belastet

In den Gewässern Floridas finden sich Rückstände von Glyphosat und dessen Abbau-Produkt AMPA, wie eine ForscherInnen-Gruppe um Maite De Maria herausgefunden hat. Unter anderem fanden die WissenschaftlerInnen Spuren des Herbizids im Organismus von Seekühen. Zusammen mit anderen Umwelt-Belastungen könnte dies das Immunsystem der Meeressäuger schädigen, warnen De Maria & Co. Darum fordern sie regelmäßige Glyphosat-Messungen in Seen und Flüssen.

GENE & KLONE

Indien: neue Gentech-Baumwolle

Indien erlaubt es nicht, Saaten, Pflanzen oder Tiere zum geistigen Eigentum von Personen oder Unternehmen zu erklären. Deshalb sah sich die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO dort in Sachen „Genpflanzen“ mit langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen über Patente und Lizenz-Gebühren konfrontiert. Als Konsequenz daraus erklärte das Unternehmen Ende 2016, in dem Land keine neuen Laborfrüchte mehr zu vermarkten. Andere Agro-Riesen schlossen sich dem Boykott an. Im Frühjahr 2021 jedoch endete ein Rechtsstreit des Unternehmens,  das seit 2018 zum Leverkusener Multi gehört, mit einer indischen Firma jedoch in gütlichem Einvernehmen. Und siehe da: Schon im Winter des Jahres stellte der Global Player einen Antrag auf Zulassung einer neuen gen-manipulierten Baumwoll-Sorte.

WASSER, BODEN & LUFT

3,17 Millionen Tonnen CO2

Im Geschäftsjahr 2021 stieß der BAYER-Konzern 3,17 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus. Gegenüber 2020 sank der Wert um 410.000 Tonnen. „Dazu trug bei, dass der Konzern im Jahr 2021 Verträge über rund 600.000 Megawatt-Stunden Strom aus Erneuerbaren Energien abschloss und damit den Anteil im Strom-Mix auf etwa ein Viertel erhöhte“, erklärt der Global Player. Beim selbst erzeugten Strom tat sich hingegen wenig. Die direkten Treibhausgas-Emissionen, für die vor allem die Agrar-Sparte verantwortlich zeichnet, sanken lediglich von 2,01 Millionen Tonnen auf 1,93 Millionen Tonnen. Vor allem der Produktionsprozess von Glyphosat erweist sich als sehr klima-schädlich. Der Leverkusener Multi drückt das etwas verklausuliert so aus: „Besonders energie-intensiv ist unsere Rohstoff-Gewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science.“ Dementsprechend ging auch der Primärenergie-Einsatz nicht zurück. Und zu allem Übel stieg dabei auch noch der Kohle-Anteil um 7,4 Prozent auf 608 Terrajoule.

BAYERs Stromrechnung

In der Investoren-Konferenz zur Veröffentlichung der BAYER-Geschäftszahlen für das Jahr 2021 gab der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann auch an, wie hoch die Energie-Kosten des Leverkusener Multis sind. Sie belaufen sich auf rund 500 Millionen Euro.

Ein bisschen Emissionshandel

„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren. Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So bekamen die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum braucht der Leverkusener Agro-Riese kaum Emssionshandel zu betreiben. Mit lediglich fünf Anlagen, die für noch nicht einmal für zehn Prozent seines jährlichen CO2-Ausstoßes von 3,17 Millionen Tonnen sorgen, war er im Geschäftsjahr 2021 dabei.

CO2-Kompensation statt -Reduktion

Eigentlich gibt es nur einen Weg, den Klimawandel einzudämmen: die Reduktion des Stromverbrauchs und den Umstieg auf erneuerbare Energie-Träger. BAYER & Co. ist aber noch etwas anderes eingefallen. Sie wollen ihre CO2-Emissionen nicht nur reduzieren, sondern auch kompensieren, also das, was ihre Produktionsanlagen so absondern, an anderer Stelle wieder ausgleichen. Der Leverkusener Multi hat sich zwar vorgenommen, bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu werden, die Senkung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase soll dazu aber nur zu 42 Prozent beitragen. Den Rest sollen andere Maßnahmen erbringen wie z. B. Investitionen in Wiederaufforstungsvorhaben. Um 300.000 Tonnen CO2 hat der Global Player seine Klima-Bilanz auf diese Weise im Geschäftsjahr 2021 durch entsprechende Projekte in Brasilien, Nicaragua, Indonesien und Uganda schon aufhübschen können; 2020 kamen 200.000 Tonnen dabei rum. Bis der Effekt sich allerdings auch anderswo als nur auf dem Papier einstellt und die Bäumchen, die BAYER pflanzt, sich wirklich positiv auf das Klima auswirken, dürften jedoch noch so einige Jahrzehnte ins Land ziehen. Und Menschen, die in der Nähe der Dreckschleudern leben müssen und dadurch ihre Gesundheit ruinieren, nützen Wälder in anderen Ländern herzlich wenig.

ODS-Ausstoß sinkt

Im Geschäftsjahr 2021 haben die BAYER-Werke weniger ozon-abbauende Stoffe (ODS) ausgestoßen als 2020. Der Wert für die ODS sank von 4,3 Tonnen auf 3,9 Tonnen. Bisher sorgten immer die Uralt-Dreckschleudern des Konzerns im indischen Vapi für den Großteil des Ausstoßes. Er doktert zwar schon seit über 15 Jahren an den Anlagen herum, aber neuerliche Sanierungsmaßnahmen scheinen jetzt erst zu greifen. „Emissionsreduktionsmaßnahmen am Standort Vapi“ gibt der Leverkusener Multi in seinem Nachhaltigkeitsbericht als Grund für die ODS-Reduktion an.

Enormer Wasserverbrauch

BAYERs Wasser-Verbrauch ging im Geschäftsjahr 2021 kaum zurück. Er belief sich auf 55 Millionen Kubikmeter (2020: 57 Millionen Kubikmeter). Zu allem Übel erstreckt sich der enorme Durst des Agro-Riesen auch noch auf Gebiete, die unter Wasser-Mangel leiden. „Etwa 5,8 % unseres Gesamtwasser-Einsatzes entstammt wasserarmen bzw. von Wasser-Knappheit bedrohten Regionen“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht. Und Verbesserungen gibt es da nicht. Wie 2020 nutzte das Unternehmen in diesen Territorien drei Millionen Kubikmeter.

Zahlenspiele bei der Luftverschmutzung

Die Beurteilung von BAYERs Angaben zur Verschmutzung der Luft fällt schwer, da sich die Methoden zur Bestimmung des Ausmaßes geändert haben. Die Berechnung „mit aktualisierten Faktoren“ führte zumeist zu besseren Werten. So sank der Ausstoß von Stickoxiden von 4.160 Tonnen auf 3.570 Tonnen, der von Schwefeloxiden von 1.320 Tonnen auf 1.280 Tonnen, der von Staub von 2.290 Tonnen auf 2.050 Tonnen und der von flüchtigen organischen Substanzen (VOC) von 690 Tonnen auf 430 Tonnen. Aber wenn die staatlichen Behörden andere Vorgaben zur Ermittlung der Luft-Verpestungen machen, wie z. B. bei der Herstellung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor, ändert sich das Bild. Da steigt dann der Kohlenmonoxid-Ausstoß schnell mal um 1.500 Tonnen auf nunmehr 2.660 Tonnen. „Die Kohlenmonoxid-Emissionen aus einem Brennofen in Soda Springs, USA mussten aufgrund lokaler regulatorischer Vorgaben mit einem höheren Emissionsfaktor berechnet werden“, heißt es dazu im Nachhaltigkeitsbericht lapidar.

25 Millionen Liter Abwasser

Trotz des etwas gesunkenen Wasser-Bedarfs des Leverkusener Multis im Jahr 2021 kam am Ende genauso viel aus den Abfluss-Rohren heraus wie 2020. Die Einleitungen in die Gewässer summierten sich auf 25 Millionen Kubikmeter.

Höhere Phosphor-Einleitungen

Im Jahr 2021 leitete BAYER mehr Phosphor in die Gewässer ein als 2020. Von 380 auf 510 Tonnen stieg der Wert. „[E]ine höhere Produktionsauslastung am Standort Carmacari, Brasilien“ gibt der Leverkusener Multi als Grund dafür an.

Mehr Anorganische Salze im Wasser

Im Jahr 2021 trug der BAYER-Konzern mehr Anorganische Salze in die Gewässer ein als 2020. Von 151.000 Tonnen auf 172.000 Tonnen erhöhte sich die Menge.

Mehr Schwermetalle im Wasser

Im Geschäftsjahr 2021 leitete BAYER mehr Schwermetalle in die Gewässer ein als 2020. Von 2,6 Tonnen auf 3,2 Tonnen stieg der Wert.

Weniger Stickstoff im Wasser

2021 sanken BAYERs Stickstoff-Einträge in die Gewässer gegenüber dem Vorjahr um 120 Tonnen auf 360 Tonnen. Der Grund dafür ist allerdings profan. „Der Stillstand einer Anlage am Standort Dormagen, Deutschland, führte zu einer um 24,5 % gesunkenen Einleitung von Stickstoff“, vermeldet der Nachhaltigkeitsbericht.

Weniger TOCs im Wasser

Im Jahr 2021 leitete BAYER weniger gebundene organische Kohlenstoffe (TOCs) in die Gewässer ein als 2020. Von 1.540 auf 1.280 Tonnen reduzierten sich die Abwasser-Frachten. „[E]ine verbesserte Abwasser-Analytik am Standort Camacari, Brasilien“ macht der Konzern in seinem Nachhaltigkeitsbericht dafür verantwortlich.

Glyphosat verunreinigt Gewässer

BAYERs Total-Herbizid Glyphosat kontaminiert spanische Gewässer. Zu diesem Ergebnis kam die Studie „Contamination by glyphosate in the aquatic environment“, welche die ECOLOGISTAS EN ACCIÓN in Auftrag gegeben hatten. Die WissenschaftlerInnen wiesen das Pestizid in 31 Prozent der Flüsse und Seen nach. Auf das Glyphosat-Abbauprodukt AMPA stießen sie sogar in 42 Prozent der Proben. Die Konzentrationen der Substanzen überstiegen die Grenzwerte um 22 bzw. 17 Prozent. Sogar im Grundwasser fanden die ForscherInnen noch Spuren der Agro-Chemikalie. Die Ecologistas forderten die Politik auf, aus den Ergebnissen der Untersuchung Konsequenzen zu ziehen und Glyphosat zu verbieten.

Mehr Abfall

Im Geschäftsjahr 2021 produzierte BAYER mehr Abfall als 2020. Von 940.000 Tonnen auf 998.000 Tonnen stieg die Zahl. „Dies lag insbesondere daran, dass an mehreren Standorten in Lateinamerika die Saatgut-Produktion erhöht wurde und so größere Mengen an pflanzlichen Nebenprodukten entsorgt wurden“, gibt der Konzern zur Begründung an. Zu allem Übel fiel beim Leverkusener Multi auch mehr gefährlicher Müll an. Das Aufkommen wuchs „durch Bau- und Sanierungstätigkeiten am Standort Berlin“ von 305.000 Tonnen auf 313.000 Tonnen an.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Tödlicher Arbeitsunfall in Dormagen

Am 09.12.2021 kam es am BAYER-Standort Dormagen zu einem tödlichen Arbeitsunfall. Bei Reinigungsarbeiten an ausgebauten Anlage-Teilen verwechselte ein Angestellter einer Fremdfirma einen Anschluss-Stutzen, so dass er statt Wasser Natronlauge freisetzte und eine tödliche Verätzung erlitt. Zwei seiner Kollegen sowie drei Rettungskräfte kamen ebenfalls mit dem Stoff in Berührung und mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Schwefelsäure tritt aus

Am 03.07.21 kam es am US-amerikanischen BAYER-Standort Luling, wo der Konzern Glyphosat produziert, zu einer Freisetzung von Schwefelsäure. Die Substanz geriet durch eine Leckage am Tank ins Freie.

Freisetzung von Erdgas

Am 15.12.21 geriet am US-amerikanischen BAYER-Standort Muscatine Erdgas in die Umwelt, „als eine Verbrennungsfackel nicht ordnungsgemäß zündete“, wie es im Nachhaltigkeitsbericht heißt.

ÖKONOMIE & PROFIT

44 Milliarden Euro Umsatz

Im Geschäftsjahr 2021 stieg der Umsatz von BAYER um 8,9 Prozent auf 44 Milliarden Euro. Übrig blieb davon allerdings etwas weniger als im letzten Jahr. Der Gewinn sank um 2,5 Prozent auf 11,12 Milliarden Euro. „Höhere Herstellungskosten und erhebliche negative Währungseffekte“ machte das Unternehmen dafür verantwortlich.

Aufspaltungsgerüchte

Die MONSANTO-Übernahme hat sich für BAYER wegen der millionenschweren Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ als ein Desaster erwiesen. Dementsprechend schlecht stehen die Aktien. Deshalb fordern viele InvestorInnen die Aufspaltung des Konzerns, und es scheint sich in der Sache auch etwas zu tun. In der zweiten Februar-Woche vermeldete die Rheinische Post „Unruhe in Leverkusener Konzern“ und schrieb: „Denn in der Gerüchte-Küche der Stadt, speziell in Richtung BAYER-Zentrale im Chem‚park’, brodelt es. Kernsatz: ‚BAYER spaltet sich auf’. Es habe hinter verschlossenen Türen Gespräche diesbezüglich gegeben. Die Stimmung sei schlecht, heißt es aus dem Umfeld.“ Ehe der Leverkusener Multi nicht zu einer Einigung mit den Glyphosat-Geschädigten gekommen ist, dürfte es allerdings ruhig bleiben. Dann aber könnte es losgehen. „Nach Abschluss der gerichtlichen Auseinandersetzungen um Glyphosat gibt es keinen besonderen Grund mehr, das Gesundheits- und Agrargeschäft als ein Gesamt-Unternehmen weiterzuführen. Eine Aufspaltung wäre aus Sicht vieler Aktionäre sinnvoll“, so das Fazit der 70-seitigen Studie des Finanz-Analysten Christian Faitz. Wie sinnvoll, hat die Investmentbank GOLDMAN SACHS ausgerechnet. Auf 26 Milliarden Dollar beziffert sie den Mehrwert einer Zerschlagung. Auch intern gehen nach Informationen des Manager-Magazins nicht wenige von einer Trennung beider Bereiche aus. „Viele hoffen, dass sie sich in die Frühverrentung retten können, bevor der Konzern zerschlagen und sie samt Arbeitsplatz verkauft werden“, zitiert die Zeitschrift einen BAYER-Manager: „Und das Schlimmste ist, dass es für diese No-Future-Stimmung nur allzu gute Gründe gibt.“ Der Global Player allerdings dementiert entsprechende Gerüchte stets. Aktuell verweist er dabei auf das gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat beschlossene Zukunftskonzept. „Das Zukunftskonzept enthält ein klares Bekenntnis zu einem integrierten Unternehmen mit seinen drei Divisionen Cropscience, Pharmaceuticals und Consumer Health“, erklärte der Konzern. Allerdings liegt heutzutage die Zukunft von Firmen nicht in den eigenen Händen, sondern in denen von BLACKROCK & Co.

IMPERIUM & WELTMARKT

Verkauf von „Environmental Science“

Die Risiken und Nebenwirkungen des MONSANTO-Deals mit seiner Klage-Flut in Sachen „Glyhosat“ ließ die BAYER-Aktie 2018 dauerhaft abstürzen, was die Finanzmärkte nervös machte. BLACKROCK & Co. mahnten Handlungsbedarf an – und der Global Player lieferte. Er gab die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen bekannt. Zudem verkaufte das Unternehmen in der Folge die „Animal Health“-Sparte, seine Anteile an dem Chem„park“-Betreiber CURRENTA sowie die Sonnenschutz-Mittel der COPPERTONE-Reihe und die Fußpflege-Präparate der Marke DR. SCHOLL’S. Aber das reichte nicht. Ende September 2020 kündigte der Leverkusener Multi ein weiteres, 1,5 Milliarden Euro schweres Spar-Paket an, das auch zusätzliche Veräußerungen von Unternehmensteilen nicht ausgeschloss. Im Februar 2021 gab BAYER dann bekannt, sich von der Sektion „Environmental Science“ mit den Pestiziden für nicht-landwirtschaftliche Bereiche wie Forstwirtschaft, öffentliche Grünanlagen, Golfplätze und Gleis-Anlagen trennen zu wollen. Und rund ein Jahr später verscherbelte der Agro-Riese die Abteilung für 2,6 Milliarden Dollar an den Finanzinvestor CINVEN, um seine Schuldenlast (Ende 2021: 33 Milliarden Euro) etwas abzutragen. Rund 800 Arbeitsplätze innerhalb des Konzerns vernichtete er damit.

RECHT & UNBILLIG

Supreme Court entscheidet nicht

Ende Mai 2021 ließ der BAYER-Konzern die Glyphosat-Vergleichsverhandlungen platzen (siehe SWB 3/21). Nach der Ablehnung seines Vorschlages zur Beendigung der juristischen Auseinandersetzungen durch den zuständigen Richter Vince Chhabria mochte der Agro-Riese keinen weiteren mit Nachbesserungen – vor allem im Umgang mit Klagen von neuen Geschädigten – mehr vorlegen. Stattdessen setzte der Global Player jetzt vor allem darauf, ein Grundsatz-Urteil des Obersten Gerichtshof der USA zu seinen Gunsten in der Sache zu erzwingen, „wodurch die Rechtsstreitigkeiten zu Glyphosat in den USA weitgehend beendet würden“. Dafür sieht er gute Chancen, denn in dem Gremium sitzen keine Geschworenen, die sich seiner Meinung nach nur von ihren Gefühlen leiten ließen, sondern BerufsrichterInnen, noch dazu mehrheitlich von den Republikanern ernannt. Der Leverkusener Multi hält die juristische Auseinandersetzung für eine Bundesangelegenheit, die in die Zuständigkeit des Supreme Courts fällt, weil die „Environment Protection Agency“ (EPA) als Bundesbehörde die Agro-Chemikalie bundesweit zugelassen und ihr Unbedenklichkeit bescheinigt habe. Darum ersuchte der Agro-Riese das Gericht im August 2021, ein von ihm als mangelhaft empfundenes Urteil zu überprüfen, das eine untere Instanz in dem Verfahren „Hardeman vs. MONSANTO“ gegen die BAYER-Tochter gefällt hatte. „Die Fehler des Ninth Circuit bedeuten, dass ein Unternehmen für die Vermarktung eines Produkts ohne Krebs-Warnung hart bestraft werden kann, obwohl es nahezu universellen wissenschaftlichen und regulatorischen Konsens darüber gibt, dass das Produkt nicht krebserregend ist und die verantwortliche Bundesbehörde eine solche Warnung sogar verboten hat“, heißt es in dem Antrag. Darüber hinaus hat der Ninth Circuit nach Ansicht der Aktien-Gesellschaft ExpertInnen zugelassen, die dieses Etikett nicht verdienen, was „zu unfundierten Aussagen geführt hat“. Doch der Supreme Court mochte in der Sache nicht entscheiden. Er bat stattdessen die US-Regierung um eine Rechtshilfe leistende Stellungnahme.

Noch 31.000 Glyphosat-Klagen

BAYER hat mit 107.000 der 138.000 Glyphosat-Geschädigten, die gerichtliche Schritte gegen das Unternehmen eingereicht hatten, eine Einigung erzielt bzw. deren Ansprüche zurückgewiesen (Stand 1. Februar 2022). 31.000 Verfahren sind noch offen. Derzeit kommen nach Angaben des Konzerns kaum noch neue Klagen hinzu, was er darauf zurückführt, dass die großen Kanzleien nicht mehr mit Werbe-Anzeigen nach Glyphosat-Betroffenen suchen. Eine nicht kleine Rolle bei der Entwicklung dürfte auch das Kleingedruckte der bisherigen Vereinbarungen spielen.  Darin verpflichteten sich die Rechtsanwaltsbüros nämlich, keine neuen Fälle mehr anzunehmen. Neuerkrankte haben es deshalb inzwischen schwer, juristischen Beistand zu finden.

Musterklage von AktionärInnen

In Deutschland müssen sich die Gerichte bald mit einer Musterklage von 320 BAYER-AktionärInnen beschäftigten. Sie legen dem Leverkusener Multi zur Last, beim MONSANTO-Kauf die juristischen Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat nicht ausreichend in Erwägung gezogen und durch diese Verletzung der Sorgfaltspflichten für einen Absturz der Aktie des Unternehmens gesorgt zu haben. Verluste in Höhe von 2,2 Milliarden Euro machen die AnlegerInnen geltend. Mitte Dezember 2021 gab das Landgericht Köln einem Antrag der Kanzlei TILP statt, in dieser Sache ein Kapitalanleger-Musterverfahren einzuleiten. Der Global Player erkennt die Ansprüche selbstredend nicht an. „Wir halten die Klagen wegen angeblich fehlerhafter Kapitalmarkt-Kommunikation im Zusammenhang mit der MONSANTO-Akquisition für unbegründet“, erklärte ein Unternehmenssprecher. Eine zweite Musterklage gegen BAYER bereiten zurzeit die JuristInnen von HAUSFELD vor.

USA: AktionärInnen verlieren

Auch in den USA verklagten AktionärInnen den BAYER-Konzern, weil dieser bei der Prüfung des MONSANTO-Kaufs Prozess-Risiken in Sachen „Glyphosat“ nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hat (s. o.). Sie begründeten die Wahl des Gerichtstandes New York damit, dass der Leverkusener Multi die Durchsicht der MONSANTO-Bücher in dieser Stadt vorgenommen habe und so einige dort angesiedelte Banken und JuristInnen in die Abwicklung der Übernahme involviert waren. Überdies verwiesen die VertreterInnen der Aktien-HalterInnen darauf, dass das deutsche Rechtssystem es sehr schwer mache, juristische Auseinandersetzungen dieser Art zu führen. Der zuständige Richter ließ das jedoch nicht gelten und entschied zu Gunsten des Leverkusener Multis. „[E]in wichtiger Schlag für die Effizienz der Justiz und die internationale Verständigung“, jubilierte die Anwaltskanzlei des Agro-Riesen: „Es könnte die Totenglocke für die Kampagne der Klägeranwälte läuten, New York zum bevorzugten Forum für internationale Aktionärsklagen zu machen“.

Rentenkassen dürfen klagen

In den USA haben zwei Rentenkassen, die BAYER-Aktien halten, gerichtliche Schritte gegen den Leverkusener Multi eingeleitet. Das „City of Grand Rapids Police & Fire Retirement System“ und „City of Grand Rapids General Retirement System“ aus Michigan werfen dem Global Player vor, bei der Prüfung der MONSANTO-Übernahme möglichen Prozess-Risiken durch Glyphosat-Geschädigte nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Dabei beriefen sie sich auf den „Securities and Exchange Act“, ein Börsengesetz aus dem Jahr 1934, das AnlegerInnen vor Betrug schützen soll. Der Global Player stellte den Antrag, die Sammelklagen abzulehnen, kam damit aber nicht durch. Im November 2021 entschied der „U.S. District Court for the Northern District of California“ gegen BAYER und ließ die Klage zu Gericht gehen. Nach Ansicht des Richters Richard Seeborg hatten die beiden Versorgungseinrichtungen den Verdacht auf Verstöße gegen die Abschnitte 10(b) und 20(a) des „Securities and Exchange Acts“ in angemessener Weise begründet.

Einigung mit Glyphosat-Klägerin

Am 5. Oktober 2021 hatte der Leverkusener Multi erstinstanzlich einen Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ gewonnen. Der „Superior Court of the State of California“ in Los Angeles wies die Klage von Destiny Clark ab, die das Herbizid für die Lungenkrebs-Erkrankung ihres 10-jährigen Sohnes Ezra verantwortlich gemacht hatte. Obwohl die Familie die Agro-Chemikalie über Jahre hinweg in ihrem Garten versprüht hatte, konnten die Geschworenen keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Ausbringung und Ezras „Non-Hodgkin-Lymphom“-Diagnose im Alter von vier Jahren erkennen. Deshalb kündigten die AnwältInnen dann auch an, das Urteil anfechten zu wollen. Zu einer Neuauflage des Prozesses kommt es jedoch nicht. BAYER bot eine  außergerichtliche Einigung an, welche die Clarks akzeptierten. Über die genauen Konditionen wurde Stillschweigen vereinbart.

Wiederholungstäter BAYER

Die Inseln des US-Bundesstaates Hawaii haben sich zu einem riesigen Freiluft-Labor für die Agro-Riesen entwickelt. Auch die nunmehrige BAYER-Tochter MONSANTO unterhält dort eine Forschungsanlage. Im Jahr 2014 testete sie dort das wegen seiner extremen Giftigkeit verbotene Pestizid Penncap-M. Dabei setzte das Unternehmen auch die Gesundheit der Beschäftigten aufs Spiel. Sie mussten nämlich schon eine Woche nach dem Sprüh-Einsatz auf den Feldern nachsehen, wie die Agro-Chemikalie gewirkt hat, obwohl die Vorschriften dafür die Frist von einem Monat setzen. Darum verurteilte ein Gericht in Honolulu den Leverkusener Multi im Jahr 2019 zu einer Strafe in Höhe von zehn Millionen Dollar. Abschreckend wirkte dies aber offenbar nicht. In weiteren 30 Fällen ließ der Leverkusener Multi ArbeiterInnen vorzeitig auf die Äcker. Zudem mochte er die Finger immer noch nicht von Penncap-M lassen und verstieß überdies gegen Vorschriften zur Pestizid-Lagerung. Darum verhängte ein Gericht jetzt eine Strafe von zwölf Millionen Dollar und legte eine Bewährungsfrist von drei Jahren fest, in welcher der Konzern sich nichts weiter zu Schulden kommen lassen darf. Zudem muss er das „Umwelt-Compliance-Programm“ weiterführen. „Das Unternehmen hat wiederholt gegen Gesetze im Zusammenhang mit stark regulierten Chemikalien verstoßen und die Menschen Pestiziden ausgesetzt, die schwere Gesundheitsprobleme verursachen können“, hielt Staatsanwältin Tracy L. Wilkison bei der Urteilsverkündung fest.

Entschädigung für Glyphosat-KundInnen

Wenn BAYER uns ordnungsgemäß über die Risiken und Nebenwirkungen von Glyphosat informiert hätte, wären wir nie auf die Idee gekommen, das Mittel zu kaufen – mit dieser Begründung forderten US-amerikanische SammelklägerInnen vom Leverkuser Multi ihr Geld zurück. Der Global Player sah keine Möglichkeit, den Rechtsstreit zu gewinnen und stimmte im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung der Zahlung von 23 bis 45 Millionen Dollar zu.

BAYER muss Steuern nachzahlen

Die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO hatte im Jahr 2004 die schweizer Stadt Morges als Standort für ihre Europa-Zentrale gewählt. Der zuständige Kanton Waadt hatte nämlich mit Steuererleichterungen gelockt, wenn das Unternehmen mindestens 20 Jahre bleibt. So zahlte der Agro-Riese dann bis 2014 weder Kantons- noch Gemeindesteuern und nur die Hälfte der sonst üblichen Bundessteuern. Die Gesellschaft hielt sich allerdings nicht an die Bedingungen. Sie verkleinerte den Standort immer mehr und verließ ihn 2020 – nun schon unter der Ägide von BAYER stehend – schließlich ganz. Deshalb erhob der Kanton Steuer-Nachforderungen. Der Leverkusener Multi klagte dagegen, erlitt jedoch eine Niederlage. Das Bundesgericht in Lausanne verurteilte ihn zu einer Nachzahlung von 34 Millionen Franken.

TESTBIOTECH verklagt die EU

Im Januar 2021 erteilte die EU-Kommission acht Import-Genehmigungen für Genpflanzen. Die Initiative TESTBIOTECH kritisierte das scharf. Nach Ansicht des „Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie“ nahm es die EU nämlich mit der Begutachtung nicht allzu genau. Darum forderte die Organisation unter anderem eine Überprüfung der Entscheidungen für zwei BAYER-Produkte: den Mais MON 87427 x MON 87460 x MON 89034 x MIR 162 x NK 603 und das Soja MON87751 x MON87701 x MON87708 x MON89788. Da die Kommission das ablehnte, reichte TESTBIOTECH eine Klage ein. Die Gentech-KritikerInnen ziehen etwa in Zweifel, ob die gegen Glyphosat resistente Mais-Pflanze wirklich – wie von BAYER behauptet – Trockenheit trotzt. „[W]ie eine detaillierte Prüfung der Antragsunterlagen zeigt, wurde der Mais nie unter den entsprechenden Bedingungen getestet. In den Freisetzungsversuchen wurden die Felder stattdessen bei Bedarf bewässert. Zudem wurden beim Anbau der Pflanzen nur rund 900 Gramm Glyphosat pro Hektar eingesetzt und nicht über drei Kilogramm, wie es in der Praxis die Regel ist“, konstatierte die Organisation. Die Risiken und Nebenwirkungen des mit den Bt-Giften Cry1A105 und Cry2Ab2 bestückten Sojas, das zudem gegen eine Berieselung mit den Pestiziden Dicamba und Glyphosat immun ist, entgingen TESTBIOTEST zufolge ebenfalls einer genaueren Analyse. Dabei können die beiden Toxine den Blutkreislauf stören und und bestimmte Hautzellen binden, was deren Schutzfunktion beeinträchtigt. Auch an den Fütterungsstudien übte die Initiative Kritik. So bekamen die Tiere immer die gleiche Menge Soja verabreicht, und das auch nicht in der Form, in welcher Menschen die Bohne am häufigsten zu sich nehmen: als Soja-Milch. Überdies verliefen die Untersuchungen nicht über einen längeren Zeitraum hinweg und nahmen mögliche Kombinationswirkungen nicht in den Blick. „Mit den Klagen will TESTBIOTECH jetzt nicht nur die einzelnen Zulassungen überprüfen lassen, sondern darüber hinaus verhindern, dass die Standards der EU-Risikoprüfung weiter ausgehöhlt werden“, erklärten die AktivistInnen.

Neue ESSURE-Klagen

In den USA musste BAYER wegen der Risiken und Nebenwirkungen seines Sterilisationsmittels ESSURE insgesamt 1,6 Milliarden Dollar an Schadensersatz zahlen. Aber auch außerhalb der Vereinigten Staaten beschäftigen sich die Gerichte zunehmend mit dem Medizin-Produkt. Nach Betroffenen aus Brasilien, England und Holland haben nun vier Frauen aus Frankreich Klage in der Sache gegen den Leverkusener Multi eingereicht.

Glyphosat – die Zeit läuft

Marius Stelzmann

2022 endet die EU-Zulassung für das BAYER-Mittel

Im Dezember läuft die EU-Genehmigung für BAYERs Totalherbizid Glyphosat aus. Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK nimmt dies zum Anlass, einen kritischen Blick auf das laufende Wiedergenehmigungsverfahren im Hinblick auf die Prüfung der Karzinogenität des umstrittenen Herbizid-Wirkstoffs zu werfen.

Von Dr. Peter Clausing (PESTIZID AKTIONS-NETZWERK)

Behörden der Niederlande, Frankreichs, Ungarns und Schwedens haben als „Assessment Group on Glyphosate“ (AGG) im laufenden Verfahren die von der Industrie eingereichten Unterlagen geprüft und im Juni 2021 ihren vorläufigen Bewertungsbericht an die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) weitergeleitet. Die Behörden gaben in dem Bericht bekannt, dass eine Einstufung von Glyphosat im Hinblick auf Karzinogenität nicht gerechtfertigt sei. (1) Für PAN Germany ist diese Einschätzung nicht nachvollziehbar.

Am 22. November 2021 endete die achtwöchige öffentliche Konsultation zum gemeinsamen Berichtsentwurf (2) der Europäischen Chemikalien-Agentur ECHA (für die Gefahreneinstufung zuständig) und der Europäischen Behörde für Lebensmittel-Sicherheit EFSA (für die Risikobewertung verantwortlich), an der sich auch PAN Germany und Partnerorganisationen aus ganz Europa beteiligt hatten. Bei der Durchsicht der Krebsbewertung wurde deutlich, dass sich fast alle Punkte wiederfanden, die bereits am letzten Bewertungsbericht kritisiert wurden. (3)

Für PAN Germany steht fest: Durch die Wiederholung fehlerhafter Argumente und die verzerrte Anwendung geltender Leitlinien wird weder eine korrekte Bewertung erzielt, noch trägt diese Herangehensweise dazu bei, Vertrauen in die Behörden aufzubauen.

Zu den wichtigsten Mängeln der behördlichen Bewertung gehören:

•  Die Bezugnahme auf eine angebliche „Grenzdosis“ von 1.000 mg/kg Körpergewicht, um den beobachteten Anstieg der Tumorinzidenz bei höheren Dosen zu entkräften. Wie in den geltenden Richtlinien eindeutig festgelegt, existiert für Krebsstudien eine solche Grenzdosis überhaupt nicht;

•  Zwar wird von den Behörden eingestanden, dass bei der letzten Bewertung fehlerhafte „historische  Kontrolldaten“ verwendet wurden (um Tumorbefunde zu verwerfen). Gleichzeitig wird jedoch in der aktuellen Bewertung verschwiegen, dass die verfügbaren korrekten historischen Kontrolldaten für die Echtheit der Tumorbefunde sprechen;

•  Die verfügbaren Daten belegen für mehrere Studien und Tumortypen das Bestehen einer Dosis-Wirkungs-Beziehung für einen Anstieg der Tumorinzidenzen. Doch statt dies anzuerkennen, vermischen die Behörden die Daten von nicht vergleichbaren Versuchen, um dann zu behaupten, dass solche Dosis-Wirkungs-Beziehungen (d. h. steigende Tumorinzidenzen mit steigenden Dosen) nicht existieren würden;

•  Die Behörden bestehen auf der Verwendung so genannter zweiseitiger statistischer Tests, wodurch die Stärke der statistischen Signifikanz halbiert wird, weil sie immer dann zur Anwendung kommen, wenn man nicht genau weiß, wonach man sucht.  Zweiseitige Tests wären etwa angemessen, wollte man herausfinden, ob ein Arzneimittel Krebs verursacht oder verhindert. Bei der Bewertung der Krebsgefahr von Pestiziden ist die Frage jedoch nur, ob der Wirkstoff das Potenzial besitzt, Krebs zu verursachen, weshalb ein einseitiger statistischer Test gefragt ist. Die Anwendung zweiseitiger Tests ist hier wissenschaftlich nicht korrekt und schwächt die Aussagekraft.

•  Behörden sind gehalten, eine „weight of evidence“-Analyse (Beweiskraftanalyse) durchzuführen. Doch stattdessen betreiben Sie eine „Beweis-Demontage“. Sie vermeiden eine integrierte Bewertung der Ergebnisse der Langzeitstudien an Ratten und Mäusen* mit epidemiologischen Studien und Studien über einen möglichen Mechanismus der Krebsentstehung: Die epidemiologischen Studien werden im Bewertungsbericht separat zusammengefasst. Zum Beispiel wird nicht „biologische Relevanz“ der erhöhten Inzidenz von Lymphdrüsenkrebs in den Mäusestudien im Zusammenhang mit den Non-Hodgkin-Lymphome beim Menschen diskutiert, obwohl ein signifikant erhöhtes Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome in mehreren Studien belegt wurde. Das Thema ist auch Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren in den USA.

•  „Mechanistische Beweise“, also wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, durch welchen Wirkungsmechanismus Krebs hervorgerufen werden kann, sind eine wichtige Komponente bei der Bewertung von Glyphosat und waren Teil der Arbeit der Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC). Im vorliegenden Bewertungsbericht werden die existierenden Beweise jedoch ignoriert.

Einer der Mechanismen, wie eine Chemikalie Krebs verursachen kann, ist die Entstehung von „oxidativem Stress“, d. h. die Erzeugung von hochreaktiven (sauerstoffhaltigen) Molekülen durch diese Chemikalie. Eine sehr aussagekräftige Studie, die von Gao und MitarbeiterInnen 2019 veröffentlicht wurde, zeigt, dass Glyphosat oxidativen Stress in den Nieren von Mäusen verursacht, und liefert damit eine schlüssige Erklärung für die Nierentumore, die in mehreren Krebsstudien an Mäusen beobachtet wurden. (4) Diese Veröffentlichung wird zwar in einem anderen Abschnitt des Entwurfs des Bewertungsberichts erwähnt, findet aber im Kapitel zur Karzinogenität keinerlei Berücksichtigung. Stattdessen behaupten die Behörden ausdrücklich, dass Glyphosat keine Nierentumore verursachen kann, weil Glyphosat ihrer Meinung nach eine „mehr oder weniger reaktionsträge Substanz“ sei.PAN Germany und andere Organisationen haben in der öffentlichen Konsultation auf diese Mängel hingewiesen. Es bleibt abzuwarten, ob die Behörden ehrlich genug sind, um diese Fehler und Verzerrungen im Rahmen der Überarbeitung des Berichtsentwurfs zu korrigieren. ⎜

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem PAN Germany Pestizid-Brief 4 – 2021

 Anmerkungen

(1) https://ec.europa.eu/food/system/files/2021-06/pesticides_aas_agg_report_202106.pdf 
https://ec.europa.eu/food/system/files/2021-06/pesticides_aas_agg_report_202106.pdf

(2) https://www.efsa.europa.eu/en/news/glyphosate-efsa-and-echa-launch-consultations
https://www.efsa.europa.eu/en/news/glyphosate-efsa-and-echa-launch-consultations

(3) https://jech.bmj.com/content/72/8/668
https://jech.bmj.com/content/72/8/668

(4) https://doi.org/10.1002/jat.3795
https://doi.org/10.1002/jat.3795

*    Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lehnt Tierversuche ab. Ihrer Ansicht nach braucht es sie nicht, um die Gefährlichkeit eines Stoffes zu prüfen. Darum setzt sich die Coordination bereits seit Langem dafür ein, dass bei BAYER und anderswo mehr Alternativ-Verfahren zum Einsatz kommen

Die Zeitenwende

Marius Stelzmann

BAYER & der Ukraine-Krieg

Egal, wie lange er noch dauern wird, eines steht jetzt schon fest: Der Ukraine-Krieg markiert eine Zäsur. Er führt zu großen Aufrüstungsprogrammen, Nahrungsmittel-Engpässen, einer klima-katastrophalen Energie-Versorgung und zu einer weiteren Fragmentierung der Weltwirtschaft. Der BAYER-Konzern erkennt zwar den „Primat der Politik“ an, versucht aber mit Verweis auf seine angeblich lebenswichtigen Produkte „Business as usual“ zu betreiben. Und für einige Erzeugnisse wie etwa seine Gen-Pflanzen will er sogar noch etwas mehr rausholen.

Von Jan Pehrke

Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Schockwellen ausgelöst. Von einer „Zeitenwende“ spricht Bundeskanzler Olaf Scholz.  Aber diese Zeitenwende hat weniger Russlands völkerrechtswidriger Einmarsch in das Nachbarland eingeläutet als vielmehr die Reaktion darauf. Ein 100 Milliarden schweres Aufrüstungspaket hat die Bundesregierung beschlossen. Vorsichtshalber werden die Maßnamen mit den Umschichtungseffekten, die sie zwangsläufig nach sich ziehen, erst 2027 haushaltswirksam. Überdies entsorgte die Ampelkoalition die Leitschnur, keine Rüstungsgüter in Kriegsgebiete zu liefern, auf dem Müllhaufen der Geschichte. So fanden unter anderem 1.000 bundesdeutsche Panzerabwehr-Waffen und über 1.000 Raketen den Weg in die Ukraine. Daneben beteiligen sich SPD, Grüne und FDP an einem unerklärten Handelskrieg mit Sanktionen, über die Außenministerin Annalena Baerbock sagt: „Das wird Russland ruinieren.“ Sie sind also kein Einsatz, um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Eher scheint ein regime change beabsichtigt, was die Kämpfe und damit auch das Leid verlängert. Das „Ende der Illusionen“ (FAZ) zeichnet für diesen Umschwung verantwortlich, ganz so, als sei die NATO immer die Avantgarde der Friedensbewegung gewesen, die jetzt zähneknirschend ihre Pflugscharen zu Schwertern umschmieden müsse, als wäre „Wandel durch Handel“ je mehr gewesen als ein Instrument zur Gewinnung neuer Absatzmärkte und als wäre Krieg nicht immer eines: das Ergebnis eines Versagens der Politik.

An diesem Versagen hatte der Westen so einigen Anteil. Er hatte in der Region über Jahrzehnte hinweg seinen Einfluss vergrößert und mit den NATO-Osterweiterungen die Sicherheitsinteressen Russlands missachtet. Um die Ukraine gab es zwischen der EU und Russland ein ewiges Gezerre, das die Spaltung im Land vertiefte. Lange war dabei „Soft Power“ das probate Mittel, bis Russland die Krim annektierte. Nicht zu Unrecht verwies der Staat dabei auf den „Vorbild-Charakter“ des Agierens der USA und ihrer Verbündeten in Sachen „Kosovo“. Seit dieser Landnahme gärte es in der Ukraine. Aber Raum für Verhandlungslösungen tat sich trotzdem noch auf, nur wurden die Möglichkeiten, welche beispielsweise die Minsker Abkommen boten, nicht genutzt.

Den Einmarsch rechtfertigt das alles nicht. Für eine militärische Aggression auf so breiter Front, die der Ukraine chauvinistisch das Existenz-Recht abspricht und überdies massenhaft zivile Opfer in Kauf nimmt, gibt es keine Entschuldigung. Neben Tausenden von Toten und Millionen von Flüchtlingen als augenfälligsten Folgen richtet der Krieg auch einen immensen wirtschaftlichen Schaden an. Vor allem in Deutschland und anderen EU-Staaten sowie in Ländern des Globalen Südens zeigen sich die Auswirkungen. Bis zu Hunger- und Energie-Krisen reichen die Effekte. Als peripherer Staat in die kapitalistische Welt-Ökonomie angegliedert, kommt Russland nämlich die Rolle zu, die Industrie-Staaten mit Rohstoffen für die Energie- und Nahrungsmittel-Produktion zu versorgen. Was die landwirtschaftlichen Erzeugnisse angeht, hat auch die Ukraine eine bedeutende, aber nicht sehr einträgliche Funktion zu erfüllen, denn das Land gilt mit seinen fruchtbaren Böden als Kornkammer Europas und exportiert viel Weizen, Mais, Sonnenblumen- und Rapsöl. Jetzt steht es allerdings schlecht um diese Lieferketten für Gas, Getreide & Co., und dementsprechend steigen die Preise.

Und BAYER?

Mit all dem hat auch der BAYER-Konzern umzugehen. In der Ukraine ist vor allem seine Landwirtschaftssparte CROP-SCIENCE aktiv. So hat der Global Player 2018 im westukrainischen Pochuiky für 200 Millionen Dollar eine neue Aufbereitungsanlage für Mais-Saatgut fertig-gestellt. Rund 2.500 Bauern und Bäuer*innen beliefert er seither von dort aus. „Diese Investition zeigt BAYERs starkes Engagement in der Ukraine. Mit einer über 25-jährigen Erfolgsgeschichte in der Ukraine spielen wir eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Agrar-Sektors im Land“, sagte der Cropscience-Manager Dr. Dirk Backhaus bei der Inbetriebnahme. Der Umfang der Geschäfte in dem osteuropäischen Staat hält sich allerdings in Grenzen, zum Gesamt-Umsatz des Unternehmens tragen die Niederlassungen mit ihren 700 Beschäftigten weniger als ein Prozent bei.

Da ist der Anteil, den die 1.800 Belegschaftsangehörigen in Russland erwirtschaften, schon höher. Er beläuft sich auf rund zwei Prozent. Und noch im Juni 2021 schwärmte BAYERs Russland-Chef Niels Hessmann von den guten Bedingungen, welche die Aktien-Gesellschaft vor Ort zur Generierung ihrer Profite vorfindet. „Die Ausweitung der staatlichen Programme, um eine bessere medizinische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, zeigt deutlich Wirkung“, so Hessmann. Bei den aus dem Ausland importierten Arzneimitteln nimmt „Made in Germany“ die Spitzenstellung ein. Der Leverkusener Multi freute sich besonders über den Absatz seines Gerinnungshemmers XARELTO. „In der Region Europa/Nahost/Afrika ist der Umsatz der Division Pharmaceuticals vor allem aufgrund einer erhöhten Nachfrage nach XARELTO in Russland auf 4.500 Mio. € gestiegen“, heißt es im aktuellen Geschäftsbericht. Im Agrar-Bereich lief es ebenfalls rund. „Aber auch in der Landwirtschaft, in der Russland durch seine Importsubstitutionspolitik und durch Effizienz-Steigerungen immer produktiver wird, entwickelt sich das Land zu einem richtigen Export-Champion, der viele Länder aus der ganzen Welt beliefert“, sagte Hessmann in der Geschäftsklima-Umfrage der „Deutsch-Russischen Außenhandelskammer“. Im Jahr 2020 gab der Leverkusener Multi Pläne bekannt, in dem Land ein eigenes Pestizid-Werk zu errichten, für das der Spatenstich allerdings noch nicht erfolgt ist. Bisher kooperiert er bei der Fertigung mit dem einheimischen Anbieter AGROCHEMIKAT und stellt mit ihm zusammen 15 agro-chemikalische Produkte her. Zudem muss der Konzern ein Forschungszentrum aufbauen und ganz allgemein einen Wissenstransfer leisten – das waren die Auflagen der Behörden bei der Genehmigung der MONSANTO-Übernahme. Auch damit wollte der Staat die Eigenversorgung im Rahmen seiner Importsubstitutionspolitik stärken, zu denen ihn die internationalen Sanktionen nach der Annexion der Krim zwangen.

Wegen der guten Gewinn-Aussichten wollte BAYER dann in Russland auch „Business as usual“ betreiben. Andere Erwägungen, wie etwa die Ablehnung des Wirtschaftskriegzieles, das Land zu ruinieren, spielten dabei keine Rolle. Der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann hatte sich auf der Bilanzpressekonferenz am 1. März zwar prinzipiell zum „Primat der Politik“ bekannt, aber zugleich erklärt: „Sofern es keine weiteren Einschränkungen gibt, werden wir an dem Geschäft festhalten.“

Keine zwei Wochen später sah das schon ganz anders aus. „BAYER stoppt nicht-essenzielle Geschäfte in Russland und Belarus“ meldete das Handelsblatt. Der Konzern gab dem öffentlichen Druck nach und erklärte, alle Werbe-Maßnahmen einzustellen und Investitionsprojekte vorerst nicht weiter zu verfolgen. Es bleibt jedoch noch genug übrig. „Der Zivilbevölkerung wesentliche Gesundheits- und Landwirtschaftsprodukte vorzuenthalten – wie zur Behandlung von Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gesundheitsprodukte für Schwangere und Kinder sowie Saatgut für den Anbau von Nahrungsmitteln – würde die Zahl an Menschenleben, die dieser Krieg fordert, nur vervielfachen“, verlautete aus der Unternehmenszentrale.

In diesem Jahr hat der Leverkusener Multi den Bauern und Bäuerinnen schon die Betriebsmittel geliefert. Für die Anbau-Saison 2023 stellte er einen Verkauf allerdings in Frage. Der Konzern macht ihn davon abhängig, „ob Russland seine durch nichts zu rechtfertigenden Angriffe auf die Ukraine beendet und zu einem Weg der internationalen Diplomatie und des Friedens zurückkehrt“. Diese Einschränkungen brachten den Konzern allerdings nicht von den Schwarzen Listen mit denjenigen Firmen herunter, die weiterhin Handelsbeziehungen mit Russland unterhalten. Und auch der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj stellte BAYER in seiner Rede vor dem US-amerikanischen Kongress dafür zusammen mit der BASF, NESTLÉ, SANOFI und weiteren Global Playern an den Pranger.

Systemrelevanz

Der Leverkusener Multi aber beansprucht für sich und seine Erzeugnisse System-Relevanz, obwohl gerade seine Pharma-Produktpalette nun wirklich keine unbedingt benötigten Medikamente bereithält. Er möchte nämlich Ausnahmeregeln für sich in Anspruch nehmen und seine Transaktionen weiter über das internationale Zahlungssystem SWIFT abwickeln können, aus dem die Europäische Union etliche russische Banken ausgeschlossen hat.

Sich derart zu positionieren, ist auch in Bezug auf das wichtig, was Werner Baumann in einem Interview als die „Sekundär- und Tertiär-Effekte“ des Ukraine-Krieges bezeichnet hat: dessen Auswirkungen auf die Stromversorgung der energie-intensiven Chemie-Industrie. Die Kampf-Handlungen sorgten für ein massives Anziehen der Preise, da Russland für Deutschland der wichtigste Lieferant ist. 55 Prozent des Gases, 50 Prozent der Steinkohle und 35 Prozent des Öls kommen von dort – bzw. kamen vor dem Krieg. Nun droht eine Verknappung. Am 24. März forderte der „Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft“ (BDEW) die Bundesregierung auf, eine Frühwarnstufe auszurufen. Gespräche über eine Notfall-Planung führte der BDEW mit dem „Bundesverband der Industrie“ und der Bundesnetzagentur bereits. Und hier forderte Baumann in einem Interview mit dem Podcast The Pioneer Briefing eine besondere Berücksichtigung BAYERs ein. Der Konzern will mit von der Partie sein, „wenn es darum geht, sehr kritische Produktion im Verhältnis zu weniger kritischen Produktionen zu privilegieren“. N-TV gegenüber verwies der Unternehmenschef zur Begründung dieses Anspruchs nicht nur auf seine Arznei-Fertigung, sondern betonte darüber hinaus die Schlüsselstellung der ganzen Branche. Aus der Chemie heraus würden alle anderen Industrien bedient, so Baumann: „Wenn vorne an der Kette etwas herausfällt, können gesamte Folge-Industrien nicht mehr produzieren.“ Auf die Frage „In welchen Ländern wäre die Energie-Versorgung sicherer?“ antwortete er: „Ich würde mal sagen: in fast allen.“

Darum entfaltet der Leverkusener Multi auch eigene Aktivitäten. Laut Baumann „sind unsere Einkäufer dabei, Energie-Quellen für unsere Energie-Bezüge zu sichern“. Auch bei der Mission von Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar war BAYER dabei. Ein Kappen der Energie-Zufuhr aus Russland lehnte der Ober-BAYER der Neuen Zürcher Zeitung gegenüber ebenso vehement ab wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm, der bekundet hatte: „Es ergibt wenig Sinn, sich selbst mehr zu bestrafen als den Aggressor.“ Baumann ließ sich dazu in dem schweizer Blatt mit den Worten vernehmen:  „Ich habe große Sympathie für Leute mit dieser Maximal-Position, weil sie aus tiefster Überzeugung sagen, hier passiere ein himmelschreiendes Unrecht (...) Die Lage ist aber viel komplexer. Wenn es Energie-Engpässe in Deutschland gäbe, würde wie beschrieben ein großer Teil der Wirtschaft stillstehen. Die Größenordnung der sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Verwerfungen ist vielen Menschen nicht bewusst.“ Dementsprechend zufrieden zeigte er sich mit der Politik der Bundesregierung, die sich strikt gegen einen Boykott wendet und deshalb auf europäischer und internationaler Ebene viel einstecken muss. Sie mache „einen hervorragenden Job“, lobte Baumann. Darum gehörte er mit zu den Unterzeichnern eines Briefes von Chemie-Manager*innen, die sich bei Habeck für die „differenzierte Argumentation“ in der Sache bedankten.

Selbstverständlich befürwortete der Konzern, dessen jährliche Stromrechnung sich auf ca. 500 Millionen Euro beläuft, auch das russisch-deutsche Pipeline-Projekt „Nord Stream 2“. Im Dezember 2019 hatte sich der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ bei einem Meeting mit Wladimir Putin, an dem Baumann teilnahm, nochmals für das Vorhaben ausgesprochen. Und gegen die 2014 nach der Krim-Annexion verhängten Sanktionen sprachen sich die Bosse bei der Zusammenkunft, welche die Bild-Zeitung „ein Treffen der Schande“ nannte, ebenfalls aus, „denn die Milliarden, die dadurch verloren gehen, könnten in die Wiederherstellung der Wirtschaft und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents investiert werden“.

Ein massiver Rollback

Der Preisanstieg im Energie-Bereich durch den Krieg verhilft der Kohle zu einem unverhofften Comeback, und die Strom-Riesen gerieren sich dabei auch noch als Helfer in der Not. Bei RWE hört sich das dann so an: „Um die Versorgung zu sichern, bietet der Konzern der Bundesregierung an, seine Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen.“ Die von der Ampelkoalition „idealerweise“ geplante Vorverlegung des Kohleausstiegs auf 2030 dürfte damit passé sein – „Kollateralschaden Klimapolitik“ resümierte die Rheinische Post treffend. Die Auswirkungen der militärischen Auseinandersetzung auf die Nahrungsmittel-Produktion ziehen ebenfalls einen Politik-Wechsel nach sich. Die EU gab aus Gründen des Artenschutzes stillgelegte Flächen wieder für die landwirtschaftliche Nutzung frei. Zudem hat sie wichtige Vorhaben zur Agrar-Wende wie etwa die Reduzierung des Pestizid-Verbrauchs um 50 Prozent bis 2030 vorerst aufs Eis gelegt.

Und BAYER ergreift die passende Gelegenheit, um die Gentechnik als Problemlöser ins Spiel zu bringen. Werner Baumann nennt das Kind in seinem „Gemeinsam gegen den Hunger“ überschriebenen FAZ-Beitrag jedoch nicht beim Namen – „eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft“ heißt es dort stattdessen, die es „frei von Ideologien und Emotionen, fakten-basiert und entschlossen“ anzugehen gelte. Andernorts spricht er von einer „modernen Landwirtschaft“ und tritt für „innovative Lösungen“ ein.

Der „Verband der Chemischen Industrie“ kennt derweil gar keinen Halt mehr und will im Zuge der Ausnahmesituation gleich alles abräumen, was ihn schon immer störte: die EEG-Umlage, die angeblich zu hohen Energiesteuern, den Kohleausstieg, die Brüsseler Chemikalien-Strategie und das Lieferketten-Gesetz. Es droht also momentan ein gigantischer Rollback auf diversen Politikfeldern, und zwar unabhängig von der Länge und dem Ausgang des Krieges. Besonders dramatisch stellt sich das im Hinblick auf den Klimaschutz dar. Da hier die Frist für eine Lösung abläuft, besteht die Gefahr, die letzte Chance zu vergeben, die noch existiert. ⎜

Sicherheitsrisiko Chem„park“

Marius Stelzmann

Peu à peu kommen immer mehr Details zur Explosion vom 27. Juli 2021 im Leverkusener Chem„park“ ans Tageslicht. Sie dokumentieren das ganze Ausmaß des Versagens der Betreiber-Gesellschaft CURRENTA, der – wie ihrer einstigen Mutter-Gesellschaft BAYER – Profit immer wichtiger als Anlagen-Sicherheit war.

Von Jan Pehrke

Als einfache „Opferstrecke“ für Produktionsrückstände betrachtete BAYER den Rhein zu Anfang des letzten Jahrhunderts. Seine ehemalige Tochter-Gesellschaft CURRENTA, die den Leverkusener Chem„park“ betreibt, geht davon bis heute nicht ab. Nach der Explosion am 27. Juli 2021 im Entsorgungszentrum des Areals, die sieben Menschen das Leben kostete, leitete das Unternehmen Unmengen kontaminiertes Löschwasser ohne behördliche Genehmigung in den Fluss ein. 9,5 Millionen Liter des zuvor mit anderen flüssigen Rückständen des Chemie-Areals vermengten „Ereignis-Wassers“ pumpte der Konzern über die Kläranlage und unter Zusatz von Aktivkohle in das Gewässer. Ihm zufolge reichten die Rückhalte-Kapazitäten der Tanks auf dem Gelände nicht aus, im Zuge der Gefahrenabwehr musste er deshalb zu dieser Maßnahme greifen. „Es war leider nicht zu vermeiden, dass dabei auch Stoffe in die Kläranlage gelangten, die dort nicht vollständig abgebaut werden konnten“, erklärte die CURRENTA. Auf diese Weise strömten perfluorierte Verbindungen, Pestizide und andere Chemikalien in den Rhein. Allein 60 bis 70 Kilogramm des – innerhalb der EU wegen seiner Bienengefährlichkeit verbotenen – Pestizids Clothianidins waren darunter.

Clothianidin im Rhein

Die Öffentlichkeit erfuhr davon lange nichts. In dem Bericht, den NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) dem Umweltausschuss des Landtages im August 2021 vorlegte, hieß es noch: „Das Löschwasser sowie kontaminiertes Kühlwasser konnte nach Angabe des Anlagen-Betreibers komplett in Stapeltanks innerhalb des Entsorgungszentrums aufgefangen werden. Zu einer Einleitung über die Gemeinschaftskläranlage in den Rhein kam es danach nicht.“ Erst Recherchen des BUND brachten den Skandal ans Tageslicht.

Mit einem „kommunikativen Missverständnis“ zwischen ihrem Haus und dem „Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz (LANUV) erklärte Heinen-Esser die Fehlinformation dann im Umweltausschuss des NRW-Landtages. „Der Begriff ‚einbinden’ wurde (...) nicht als ‚einleiten’ verstanden“, so die Ministerin. Nichtsdestotrotz hielt sie die Entscheidung der Currenta für „nachvollziehbar“. Und überhaupt – alles halb so schlimm: „Bei der Beprobung wurde eine Überschreitung der (...) geltenden Überwachungswerte nicht festgestellt.“

Der BUND hält das für „eine unverantwortliche Verharmlosung“. Nach Angaben des Umweltverbands überschritten die Mess-Daten für perfluorierte Verbindungen mit 10 Mikrogramm pro Liter den Orientierungswert von einem Mikrogramm pro Liter an vier Tagen deutlich. Und dem Gewässer Clothianidin über eine Kläranlage, die den Stoff gar nicht behandeln kann, tagelang in einer Konzentration von über 100 Mikrogramm pro Liter im Abwasser-Strom zuzuführen, beurteilt der BUND ähnlich kritisch. „Dies ist trotz Verdünnung im Rhein nicht akzeptabel“, konstatierte die Initiative.

Bis nach Holland runter kontaminierte der Stoff den Fluss. Darum zeigten sich die niederländischen Behörden konsterniert über das Verhalten ihrer deutschen KollegInnen. Gerard Stroomberg von der „Vereinigung der niederländischen Wasserwerke“ zufolge hätten sie Rheinalarm auslösen müssen. Er verweist dabei auf die Richtlinien der „Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins“, nach denen sogar besondere Ereignisse ohne Auswirkungen auf das Gewässer der Meldepflicht unterliegen. „Wir hätten die Aufnahme von Rheinwasser stoppen können, um unsere Verbraucher zu schützen“, so Stroomberg.

Das Clothianidien warf jedoch noch weitere Fragen auf. Das „Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen“ (LANUV) schreibt zwar in seinem Bericht zu den Vorfällen mit Bezug auf die von der CURRENTA erhaltenen Informationen: „Aus diesen Angaben und unter Berücksichtigung der zwischen dem 28.07.21 und 30.07.21 erfolgten Einleitung der aufgefangenen Ereignis-Wässer in die Kläranlage sind die ab dem 29. Juli 2021 aufgetretenen Clothianidin-Belastungen im Ablauf der Kläranlage Leverkusen-Bürrig erklärbar“, dann aber kommt’s. „Für die bereits zuvor eingetretene Erhöhung der Clothianidin-Konzentration am 28. Juli 2021 auf 2,3 Mikrogramm pro Liter gilt das jedoch nicht“, bemerkt die Behörde. Darum prüfte sie, ob das Pestizid vielleicht über die kommunalen Abwässer in die Kläranlage gelangt war, darauf fanden sich jedoch keine Hinweise. „Es ist zu vermuten, dass die festgestellte Grundbelastung im Ablauf der Kläranlage Leverkusen-Bürrig  aus dem Chemie‚park’ Leverkusen stammt“, hält das LANUV fest. Dabei will es das Landesamt jedoch nicht belassen. „Dem wird noch weiter nachgegangen“, kündigt es an.

Der BAYER-Konzern zählt mit seiner Anlage in Dormagen zu den Hauptproduzenten des Mittels. Darum vermutete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihn auch sogleich als Quelle. Aber die CURRENTA hielt sich bedeckt. „Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir grundsätzlich keine Angaben darüber machen, welcher Abfall von welchem Kunden stammt“, antwortete CURRENTA-Geschäftsführer Hans Gennen bei einer Anhörung des Leverkusener Stadtrats Keneth Dietrich von der Partei „Die Linke“. Diese Angaben machte später die NRW-Landesregierung und bestätigte damit den Verdacht der Coordination. Warum aber landete das Mittel dann in Leverkusen an, wo es doch direkt vor Ort am Standort Dormagen auch eine Sondermüll-Verbrennungsanlage gibt? „Aus Gründen der Entsorgungssicherheit existieren redundante Entsorgungswege in beide Sondermüll-Verbrennungsanlagen“, heißt es dazu im LANUV-Bericht, während Gennen diesen Abfall-Absurdismus einen „wechselseitigen Entsorgungsverbund“ nennt.

Schleich-Leckage

Nachrichtentechnisch geschickt wartete die CURRENTA dann am 24. Dezember 2021 mit der nächsten Hiobsbotschaft auf. Über einen Zeitraum von fünf Monaten hinweg floss aus einem undichten Tank 1.300 Kubikmeter chemikalien-haltiges Löschwasser aus der Kläranlage Leverkusen-Bürrig ab, ohne das zweistufige Aktivkohle-Reinigungssystem durchlaufen zu haben. Obwohl der Behälter über eine Füllstandsmesseinrichtung und eine Radarsonde verfügte, bemerkte der Chem„park“-Betreiber die durch eine defekte Klappe ausgelöste „Schleich-Leckage“ nicht.

Und auch im Jahr 2022 kam die CURRENTA nicht aus den Schlagzeilen. Mitte Januar führte die Bezirksregierung eine unangekündigte Inspektion auf dem Chem„park“ durch, um Hinweisen von Firmen-Beschäftigten auf Defizite nachzugehen. Sie wurde nicht zu knapp fündig. So funktionierte am Tag der Explosion der Hausalarm nicht, und überdies stürzte in der Sicherheitszentrale, über die auch die Steuerung der Anlagen läuft, mal wieder der Computer ab. Das hätte aber keine Probleme bereitet, da es ein Backup gab, wiegelte die Service-Gesellschaft ab, gestand jedoch „gelegentliche Teil-Störungen“ ein. Damit nicht genug, stellte sich heraus, dass der Konzern schon im Frühjahr 2021 in der Sicherheitszentrale eine System-Umstellung der Leitstellen-Technik und andere Umstrukturierungsmaßnahmen vorgenommen hat, ohne dafür beim Land eine Genehmigung einzuholen.

Von „erheblichen technischen und organisatorischen Problemen“ spricht der Bericht der Bezirksregierung. Belegschaftsangehörige hätten das Management immer wieder auf die Schwachstellen hingewiesen, aber dieses sah keine Veranlassung, dem nachzugehen, geschweige denn den Störfall-Beauftragten und die Behörden zu informieren, schrieben die BeamtInnen der Behörde. Zudem beklagten sie sich über die mangelnde Kooperationsbereitschaft der CURRENTA: „Einige Vertreter des Unternehmens behinderten die Sachstandsermittlung, sei es durch fehlende oder bewusst falsche Angaben.“

PFAS im Rhein

Ende Februar 2022 dann erweiterte sich die Schadensbilanz noch einmal. „CURRENTA pumpt seit Jahren zu viel giftige Stoffe in Rhein“, meldete der WDR. So fanden sich im Abwasser der Kläranlage Konzentrationen von per- und polyfluorierten Alkyl-Substanzen (PFAS), die deutlich über dem Orientierungswert von 35 Gramm pro Tag lagen. „Nahezu an jedem Tag wird der Wert um den Faktor Hundert oder mehr überschritten“, konstatiert Paul Kröfges vom BUND. Eigentlich hätte die Bezirksregierung hier sofort einschreiten und auf die CURRENTA-Besitzer – bis 2019 noch BAYER und LANXESS – einwirken müssen, diese Wasserverschmutzung zu beenden. Sie gab sich jedoch mit einer Verringerung der Giftfracht zufrieden. Jetzt sieht sie auf einmal wieder Handlungsbedarf, vorgeblich weil die EU schärfere Auflagen für PFAS plant. „Mit Blick auf die abzeichnende Entwicklung wird die Bezirksregierung das Gespräch mit dem Chemie„park“ suchen, um nach weiteren Reduzierungsmöglichkeiten zu suchen“, so die Behörde.

Zu allem Übel ereigneten nach der Explosion vom 27. Juli in den Leverkusener und Dormagener Chem„parks“ weitere Störfälle und Unfälle. So kam es am 9. Dezember 2021 bei BAYER in Dormagen zu einem tödlichen Arbeitsunfall. Bei Reinigungsarbeiten an ausgebauten Anlage-Teilen verwechselte ein Angestellter einer Fremdfirma einen Anschluss-Stutzen, so dass er statt Wasser Natronlauge freien Lauf ließ und einer Verätzung erlag. Zwei seiner Kollegen sowie drei Rettungskräfte gerieten ebenfalls mit dem Stoff in Kontakt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Am 16. Dezember trat in Leverkusen bei einer Firma ein Stoff aus. Am 31. Januar gelangten Nitrose-Gase in die Umwelt, und am 9. Februar barst eine Rohrleitung und setzte eine Substanz frei.

Die CURRENTA möchte diese Informationen seit Neuestem nicht mehr mit ihrem Namen verbunden wissen, deshalb finden sich die Angaben nun nicht mehr auf der Webs ite des Unternehmens selbst, sondern unter chempark.de. Aber über die andauernde Unsicherheitslage kann dieses Versteckspiel nicht hinwegtäuschen. „Wir betrachten diese wiederholten Schadensereignisse aufmerksam, denn wir sind im Industrieland NRW auf das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger angewiesen“, erklärte der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart dann auch. Das hindert die Landesregierung allerdings nicht daran, den Wunsch von BAYER & Co. nach schnelleren Genehmigungsverfahren für Industrie-Anlagen zu unterstützen. „Wir müssen uns jetzt die Zukunft genehmigen. Was für Windräder, Stromtrassen und Solarparks gilt, muss für alle nachgelagerten Wertschöpfungsketten und daher auch für alle Industrie-Anlagen gelten. Hierzu brauchen wir noch in diesem Jahr dringend ein Beschleunigungsgesetz für Planungs- und Genehmigungsverfahren“, drängt der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI).

Nicht zuletzt durch das Schleifen der BürgerInnen-Beteiligung will der VCI das Prozedere straffen. Bei einem Pressetermin konfrontierte die CBG Andreas Pinkwart mit der Frage, ob es im Angesicht der Chemie-Katastrophe vom Juli 2021 nicht fahrlässig sei, gefährlichen Produktionsstätten schneller grünes Licht zu geben. Doch der Politiker wich aus: „Derzeit wird auch gutachterlich ermittelt, welche Gründe für die Explosion im Chem„park“ und die weiteren Ereignisse ursächlich waren. Wenn die Ergebnisse vorliegen, wird die Öffentlichkeit informiert. Die von Land und Bund geforderte Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren soll – unter Einhaltung der bestehenden Sicherheits- und Umweltstandards – Prozesse optimieren, Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft von Bürokratie entlasten und Unternehmen in ihrer Innovations- und Investitionstätigkeit stärken.“

Trotz allem bemüht sich der Chem„park“-Betreiber händeringend um die Möglichkeit, das Entsorgungszentrum mit der Sondermüll-Verbrennungsanlage so schnell wie möglich wieder zu nutzen. Er strebt eine Inbetriebnahme auf Raten an und heuerte dafür als willige ExpertInnen Professor Dr. Christian Jochum und sein Team an. Mitte Februar legte dieser auf einer Sitzung des Leverkusener Stadtrats dann dar, wie sich die CURRENTA die Reaktivierung im Einzelnen so vorstellt. Da eine über der zulässigen Temperatur gelagerte Chemikalie die Katastrophe ausgelöst hat, will sie vorerst keine Substanzen mehr in die Verbrennung gehen lassen, die aufgeheizt gefährliche Wirkungen entfalten können. Auch beabsichtigt das Unternehmen, zunächst nur solche Abfälle anzunehmen, die vom Chem„park“ selbst oder aus der näheren Umgebung stammen. Überdies will es just in time arbeiten und die Gift-Frachten erst einmal weder lagern noch miteinander vermischen.

Zudem kündigte Christian Jochum weitere Vorsichtsmaßnahmen an. Ihm zufolge gilt es, die Erzeuger des Giftmülls stärker in die Pflicht zu nehmen und zu veranlassen, ihre Produktionsrückstände intensiver zu prüfen. Überdies sei es erforderlich, alle Wege vom Kunden über das Werkstor bis hin zum Verbrennungsofen genauestens mit Vorschriften zu unterlegen und das 4-Augen-Prinzip einzuführen. „Das alles gab es also vorher nicht! Dieser Tatbestand lässt abermals daran zweifeln, ob die Sicherheit bei einem Chem„park“-Betreiber, der dem Infrastruktur-Fonds einer australischen Investmentbank gehört und zur Erwirtschaftung von Profiten gezwungen ist, wirklich in guten Händen ist“, schrieb die Coordination als Reaktion auf die Pläne in einer Presseerklärung. „Statt jetzt an eine Wiederinbetriebnahme des Entsorgungszentrums auf Raten zu denken, muss (...) der gesamte Chem„park“ auf den Prüfstand gestellt werden“, forderte die Coordination gegen BAYER-Gefahren. ⎜

EU unter Einfluss

Marius Stelzmann

BAYERs Brüsseler Lobby-Aktivitäten

In Deutschland gilt seit dem 1. Januar 2022 nicht nur das Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters. Seit August letzten Jahres ist hierzulande auch die Registrierung in das EU-weite „verbindliche Transparenzregister“ mehr oder weniger verpflichtend geworden – soweit es sich um Interessenverbände und ihre „VermittlerInnen“ handelt. Der Eintrag der BAYER AG birgt zwar interessante Hinweise, lässt jedoch vieles im Dunkeln.

Von Uwe Friedrich

Einflussreiche Interessensverbände dirigieren in Brüssel die Politik der Europäischen Union. Ob es um Umweltprogramme wie den Green Deal, Freihandelszonen, Sozialgesetze oder Privatisierungen geht, überall tragen die entsprechenden Verordnungen aus Brüssel die Handschrift der industriellen Lobbygruppen. Das zentralisierte politische System der EU ist ein idealer Platz für Lobbyorganisationen: Weitreichende Beschlüsse werden in Geheimverhandlungen von kaum bekannten Gremien gefällt, EntscheidungsträgerInnen wie die EU-KommissarInnen müssen sich keinen Wahlen stellen, die öffentliche Aufmerksamkeit ist relativ gering und persönliche Kontakte zu PolitikerInnen zahlen sich in der Regel rasch aus. Kein Wunder, dass allein in Brüssel im Jahr 2021 geschätzt 35.0000 LobbyistInnen aktiv waren – 25.000 mehr als noch in 1998. Damals hatte Stichwort BAYER bereits umfassend über das „Europa der Konzerne“ berichtet.

Konzernlobby in Brüssel

In Vereinigungen wie dem European Roundtable of Industrialists (ERT) oder dem exklusiven „Trans-Atlantic Business Dialogue“ (TABD) wurde zu dieser Zeit hinter verschlossenen Türen unter anderem das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) verhandelt. Dem 1983 gegründeten ERT gehören rund 50 Vorstandsvorsitzende von europäischen Multis an. Bei regelmäßigen Treffen mit EntscheidungsträgerInnen werden politische Rahmenbedingungen und Strategiepapiere diskutiert, insbesondere mit den amtierenden Präsident*innen der Europäischen Kommission. Für die Ausarbeitung von Detailfragen gibt es ein ganzes Bündel von weiteren Lobbygruppen, die dem ERT nahestehen und die von fertig formulierten Vorschlägen für Gesetzestexte bis zu Einzelgesprächen mit Abgeordneten alle Möglichkeiten der Beeinflussung ausnutzen. Die wichtigste dieser befreundeten Gruppen ist die europäische Arbeitgeberorganisation „Union of Industrial and Employers´ Confederation of Europe“ (UNICE), ihre VertreterInnen sind bei praktisch jeder Diskussion zu europa-relevanten Themen vertreten, legen detaillierte Gesetzesentwürfe vor und bombardieren Abgeordnete und PressevertreterInnen mit Stellungnahmen. Ein weiterer direkter Ableger des ERT ist das „World Business Council for Sustainable Development“ (WBCSD), das sich selbst als das „grüne Gewissen“ der Industrie bezeichnet. Dort sind 125 Multis vertreten, die offiziell das Ziel verfolgen, nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz voranzutreiben. In der Realität werden jedoch unverbindliche Selbstverpflichtungserklärungen der Industrie, stärkeres Wachstum und Deregulierungen propagiert. Eine enge Zusammenarbeit gibt es mit der Weltbank und der Welthandelsorganisation WTO.

Das Lobbyregister

Bemühungen, dies zu ändern und den Einfluss von LobbyistInnen offenzulegen, waren bislang maximal halbherzig. So enthielt das 2008 erstmalig geschaffene freiwillige Lobbyregister der EU-Kommission lange Zeit geschätzt nicht einmal die Hälfte der in Brüssel aktiven AntichambriererInnen. Deshalb haben EU-Kommission und EU-Parlament im Juni 2011 nach zweijähriger Verhandlungsdauer ein neues, gemeinsames Lobbyregister unter dem offiziellen Titel „Transparenzregister“ eingeführt. Der Eintrag darin war jedoch nach wie vor freiwillig, die Einflussnahme auf EU-BeamtInnen blieb also weiterhin überwiegend verborgen.

Was hat sich seitdem geändert? In Deutschland wurde lange um ein Lobbyregister gerungen. Seit dem 1. Januar 2022 ist das im März 2021 beschlossene Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung nun in Kraft getreten. In das Lobbyregister müssen sich alle natürlichen Personen und Organisationen eintragen, die Kontakt zu Mitgliedern des Bundestages oder der Bundesregierung aufnehmen, um Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen, oder die solche Tätigkeiten in Auftrag geben.

Auf europäischer Ebene hat das EU-Parlament am 27. April 2021 einer inter-institutionellen Vereinbarung mit dem Rat und der EU-Kommission über ein verbindliches Transparenzregister zugestimmt. Immerhin ist dadurch mit einigen Neuerungen zu rechnen: Zum einen sind viele (nicht alle) im Transparenz-Register hinterlegten Angaben öffentlich zugänglich, sodass sich jede/r über die sogenannten „Registrierten“ und deren Ziele und finanziellen Hintergründe informieren kann. Die Eintragung in das Transparenz-Register ist die Voraussetzung dafür, dass Lobbygruppen bestimmte „abgedeckte“ Tätigkeiten“ ausüben können. Und schließlich unterwerfen sich die Registrierten einem Verhaltenskodex, „dessen Regeln und Grundsätze zu einer transparenten und ethischen Interessenvertretung beitragen sollen“.

Das Transparenzregister unterscheidet zwischen „Interessenvertretern“, die ihre eigenen Interessen oder die gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder vertreten, und sogenannten „Mandant-Vermittler-Beziehungen“. VermittlerInnen (oder „Mittler“) sind InteressensvertreterInnen, welche die Interessen der MandantInnen durch die Ausübung der abgedeckten Tätigkeiten fördern – zum Beispiel, indem sie den MandantInnen exklusiven Zugang zu PolitikerInnen oder Daten verschaffen oder indem sie Studien erstellen oder Kommunikationsleistungen anbieten. Diese Unterscheidung spielt vor allem bei den im Register anzugebenden Finanzinformationen eine Rolle.

Registrierungspflichtig sind Tätigkeiten, „die mit dem Ziel durchgeführt werden, auf die Formulierung oder Umsetzung von Politik oder Rechtsvorschriften oder auf die Entscheidungsprozesse von Parlament, Rat oder Kommission oder anderen Organen (...) der EU Einfluss zu nehmen.“ Dazu zählen u. a. informelle Treffen und Konsultationen sowie öffentliche Veranstaltungen, aber auch die Organisation von Kommunikationskampagnen, Plattformen und Netzwerken. Zudem sind die Erstellung oder Beauftragung von Strategie- und Positionspapieren, Abänderungen, Meinungsumfragen, offenen Briefen und anderem Kommunikations- oder Informationsmaterial registrierungspflichtig.

Interessant sind wie immer die Ausnahmen: Denn von der Registrierungspflicht ausgenommen sind etwa Rechts- und sonstige professionelle Beratungen der Registrierten durch Dritte. Das Heer der industrienahen Kanzleien und Unternehmensberatungen kann sich deshalb sicher sein, durch diese Ausnahmeregelung weiterhin diskrete Aufträge bearbeiten zu können. Zu den Ausnahmen zählen auch spontane Treffen oder „Treffen mit rein privatem oder gesellschaftlichem Charakter“.

Und BAYER?

Die BAYER AG ist seit 2014 im EU-Transparenzregister unter der ID Nummer „3523776801-85“ aufgeführt. Die Regis-trierung ist einigen Politikbereichen zugeordnet, die das BAYER-Kerngeschäft und dessen politische Rahmenbedingungen betreffen; z. B. pharmazeutische, Pflanzenschutz-, Saatgut- und Unternehmensgesetze und -vorschriften sowie die Politik in den Bereichen Handel, Industrie, geistiges Eigentum, Umweltschutz, Chemikalienpolitik, Agrarpolitik, Digitalpolitik, Steuern, Innovation und Forschung, Entwicklungspolitik und Pestizidvorschriften. 38 entsprechende EU-Gesetzesvorhaben bzw. Abänderungen und Programme werden dazu aufgelistet. Sie reichen von der „Nachhaltigen Produkt-Initiative“ bis zur Verordnung Nr. 396/2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs – natürlich ohne Informationen über konkrete Ziele und Zielpersonen der Lobbyarbeit. Sehr interessant, und an Position Nr. 8: BAYER bemüht(e) sich im genannten Rahmen natürlich auch um eine Überprüfung der Glyphosat-Rückstandshöchstgehalte.

Die offiziellen Treffen von BAYER mit Kommissionsmitgliedern werden als Liste seit 2015 aktualisiert, enthalten jedoch jährlich nur zwischen fünf und zehn Termine – die notwendigen „Vorarbeiten“ und eigentlichen Verhandlungen dürften hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Offizielle Gespräche führte BAYER beispielsweise im 4. Quartal 2021 mit Frans Timmermans, dem  Vizepräsidenten der Kommission, zum European Green Deal oder mit Roberto Viola, Generaldirektor Kommunikationsnetze, über Inhalte und Technologien zu Gesundheitsdaten. Schwerpunkte der bisherigen Treffen waren neben den genannten Themen – wie zu erwarten – „Gesundheits- und Ernährungssicherheit“ sowie „Landwirtschaft“.

BAYER gibt an, dass unter Leitung von Max Müller insgesamt 74 Personen die Konzerninteressen in Brüssel vertreten oder in ihrem Auftrag handeln würden (aufgeschlüsselt in Prozent der Arbeitszeit). Aufgezählt werden auch die direkten Mitgliedschaften des Konzerns in europäischen Vereinigungen wie Business Europe, dem „European Chemical Industry Council“ (CEFIC), CropLife Europe (CLE), Euroseeds, Cosmetics Europe, DIGITALEUROPE, dem „European Justice“ Forum und „Food Supplements Europe“.

Spannender wird es dann im finanziellen Teil des Registers: So werden für das abgeschlossene Geschäftsjahr die Repräsentationskosten für die sogenannten „Mittler“ – Einzelpersonen wie Vereinigungen – angegeben. Die Kostenangaben umfassen allerdings grobe Summen oder Summen-Kategorien; auch die Begünstigten werden nicht detailliert aufgeführt.

Hauptzuwendungsempfänger in dieser Liste ist die RUD PEDERSEN GROUP mit Sitz in Berlin, ein führendes europäisches Beratungsunternehmen mit Spezialisierung auf Public Affairs. Sein Credo: „Wir stellen sicher, dass unsere Kunden die Auswirkungen von Regulierung und politischen Entscheidungen auf ihre Organisationen verstehen und arbeiten mit ihnen darauf hin, sich innerhalb des politischen und gesellschaftlichen Systems optimal aufzustellen. Wir vermitteln unseren Kunden ein tiefgründiges Verständnis der politischen Debatte, der Prozesse und den Entscheidungsträgern, die diese vorantreiben.“ Und: Sie werden „in der Lage zu sein, neue regulierungsanfällige Bereiche vorherzusagen, zu antizipieren, was Regierungen und politische Entscheidungsträger tun werden, und (...) dieses Verständnis zu nutzen (...)“.

BAYER lässt sich solche Erkenntnisgewinne jährlich bis zu 1.000.000 Euro kosten. Ein weiteres Beispiel ist die BRUNSWICK GROUP, ebenfalls in Berlin ansässig, jedoch global tätig (u. a. mit Partnern in Dubai). Deren Statement geht in dieselbs Richtung: „Wir helfen unseren Kunden, sich in der vernetzten finanziellen, politischen und sozialen Welt zurechtzufinden, um vertrauensvolle Beziehungen zu all ihren Stakeholdern aufzubauen.“ Auch die weiteren Nennungen in der „Mittler“-Liste des Transparenzregisters lesen sich wie ein Who-is-who von Top-Kanzleien, Kommunikations- sowie Lobbyagenturen und internationalen Beratungsunternehmen: Edelman, Politico, Fipra, Hume Brophy, Forum Europe, Eutop ...

Beeindruckend ist auch die Schätzung der jährlichen Kosten der in den Anwendungsbereich des Registers fallenden Tätigkeiten von oder im Auftrag von BAYER: immerhin 6,5 bis 7 Millionen Euro - offiziell. Und natürlich erhielt der Konzern auch öffentliche Finanzhilfen der Europäischen Union: Im Rahmen des „Horizon2020 framework“ gingen im Jahr 2020 insgesamt 320.000 Euro Fördermittel aus zwei Programmen (EITHealth, MarieCurie, HZ2020) an den Leverkusener Multi.

Soweit die offiziellen Angaben für ein vermutlich selbst mit ausgehandeltes Register. Eintragungen dürften aus Sicht der Konzerne unter der Prämisse erfolgen, möglichst keine Wettbewerbsnachteile im Markt oder Vertrauensverluste bei den Investoren zu erleiden. Die Sicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ist da eine andere. Und ihre mehr als vierzigjährige Erfahrung sagt, dass die im deutschen Lobbyregister und im EU-Transparenzregister enthaltenen Informationen nur einen kleinen Teil der weltumspannenden Lobby-Tätigkeit von BAYER widerspiegeln. ⎜

Mettmannkiez vs. BAYER

Marius Stelzmann

Häuserkampf in Berlin

Der BAYER-Konzern möchte in Berlin die Abriss-Birne schwingen und zahlreiche Häuser zerstören. Doch die Mieter-Innen wehren sich und konnten auch schon Erfolge erzielen.

Von Jan Pehrke

Der BAYER-Konzern plant im Berliner Stadtteil Wedding eine großflächige Vernichtung von Wohnraum. Nicht weniger als 18 Häuser in unmittelbarer Nähe seines Werksgeländes will er abreißen und damit nicht nur 140 Wohnungen, sondern auch noch eine Kindertagesstätte, KünstlerInnen-Ateliers, Gewerbebetriebe und Büroräume dem Erdboden gleichmachen (siehe auch SWB 4/21).

Wegen „nichtwirtschaftlicher Verwertbarkeit“ der Immobilien stellte der Leverkusener Multi den MieterInnen die Kündigung aus. Konkrete Vorstellungen von wirtschaftlicheren Verwertbarkeiten hat der Konzern jedoch nicht. Da gelte es das laufende Bebauungsplan-Verfahren abzuwarten, lässt er verlauten. Der Global Player spricht nur nebulös von einer „Erweiterung der Aktivitäten unseres Unternehmens in Berlin“ und Investitionen in dreistelliger Millionen-Höhe. Natürlich darf da das Arbeitsplätze-Argument nicht fehlen. Um neue Jobs geht es allerdings nicht, BAYER zufolge solle lediglich „die Zukunftssicherheit“ der alten „langfristig und nachhaltig gewährleistet werden“. Wahlweise ist auch von einer Produktionshallen-Modernisierung und dem „Bau von Büro-Gebäuden und deren Vermietung“ die Rede. Und vor zwölf Jahren sollte es noch ein ganzer „Pharma-Campus“ sein. Der sah zwar nie das Licht der Welt, aber das Wohngebäude an der Fennstraße 35-37 musste trotzdem dran glauben. „Das Haus steht im Baufeld – früher oder später wird es abgerissen“, so der Konzern damals.

Bei dem Unternehmen „Kahlschlag“ sieht der Pharma-Riese das Recht auf seiner Seite. „Die betroffenen Gebäude sind planungsrechtlich nicht mehr für Wohnzwecke ausgewiesen“, erklärt er. 1950 hat der Bezirk diesen Teil des Mettmann-Kiezes als Gewerbe-Gebiet deklariert, und acht Jahre später stellte er ihn der – im Jahr 2006 von BAYER übernommenen – Schering AG als Expansionsfläche anheim. Der Stadtentwicklungsstadtrat von Berlin-Mitte, Ephraim Gothe (SPD), verweist zudem noch auf einen Baunutzungsplan von 1960. Und wegen dieser alten Regelungen muss die Aktiengesellschaft jetzt noch nicht einmal einen Sozialplan erstellen und ihre MieterInnen bei der Suche nach neuen Wohnungen unterstützen. Damals gab es solche Vorschriften nämlich noch nicht. „Die Politik hat sich immer schon größte Mühe gegeben, den Global Player zu fördern“, bekennt Gothe resigniert.

Dementsprechend hat sich Protest formiert. „BAYER nimmt billigend in Kauf, die BewohnerInnen in Not und Verzweiflung zu treiben und auf die Straße zu setzen“, empören sich die MieterInnen. Sie „wollen die Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum und die Verdrängung seiner BewohnerInnen nicht so einfach hinnehmen“ und haben sich zur INTERESSENSGEMEINSCHAFT DER BEWOHNERINNEN DES METTMANN-KIEZES zusammenge-schlos-sen, „um gemeinsam Druck auf BAYER und den Bezirk auszuüben“. Es gab schon mehrere Kundgebungen im Viertel, und auch sonst ist da im Moment so einiges los. So prangte eine Zeit lang ein Transparent mit der Aufschrift „Hier werden bezahlbare Wohnungen abgerissen“ an einer Gebäude-Fassade. Die Hausverwaltung verbat sich das jedoch, und BAYER schickte umgehend seinen Werksschutz auf Patrouille durch das Viertel, um „Wiederholungstaten“ zu vermeiden.

Die AktivistInnen verweisen auf die vielen Freiflächen innerhalb des Werksareals, die für eine „Erweiterung der Aktivitäten“ in Frage kämen, und machen – bestärkt noch von dem Unwillens des Konzerns, sein Vorhaben zu konkretisieren – „belastbare Indizien für pure Immobilien-Spekulation“ aus. Auf Alternativen verweist auch der Mieterverein. „Für ein so großes Unternehmen wie BAYER muss es doch möglich sein, die benötigten Flächen in anderer Form als durch Abriss von Wohnhäusern zu generieren“, sagt Geschäftsführer Reiner Wild. Die MieterInnen-Gewerkschaft Berlin unterstützt die Proteste ebenfalls.

Auch viele LokalpolitikerInnen stellen sich hinter die MettmannkiezlerInnen. Katrin Schmidtberger, die für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, wirft der Stadt Versagen vor. „Senat und Bezirk haben trotz steigenden Defizits an bezahlbarem Wohnraum nichts für den Erhalt der 140 preiswerten Wohnungen unternommen“, konstatiert sie. Ihr Parteikollege Frank Bertermann, Referent für Stadtentwicklung und Wohnen im Berliner Abgeordnetenhaus, drückt es noch drastischer aus: „Menschen sollen aus ihrem Lebensmittelpunkt gerissen werden, und der Senat kümmert sich einen Scheißdreck drum.“ Gothe lässt das nicht gelten und verweist auf die Gesetzes-Lage, die eine nachträgliche Änderung des Planungsrechts ausschließe.

Für den 26. Januar hatte der Bauausschuss des Bezirks BAYERs Werkleiter Stefan Klatt eingeladen. Die BezirksvertreterInnen erhofften, von ihm Näheres über die Zukunftsvorstellungen des Unternehmens zu erfahren. Aber Klatt blieb einsilbig. Der Konzern wollte lieber Taten sprechen zu lassen. Zwei Tage vor der Sitzung sollte ursprünglich ein Abriss-Kommando anrücken und schon mal zwei Häuser plattmachen: Der Multi hatte den Platz als idealen Ort für Bau-Container ausgemacht. „Ein wohnungspolitischer Skandal“, befand Schmidberger. Einstweilen scheiterte das Vorhaben an den BewohnerInnen – tierischen allerdings. „Es gab Hinweise, dass dort Fledermaus-Arten heimisch sind“, erläuterte Christian Zielke vom Bezirk Mitte. Nun muss erst einmal ein Gutachten her.

Ein Teilerfolg, welcher der Initiative noch einmal Auftrieb gab. Anfang März forderte sie in einem offenen Brief an BAYER, den Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel und Ephraim Gothe die Einrichtung eines Runden Tisches in der „Sache“ und ging noch einmal vehement mit dem Unternehmen ins Gericht. „BAYER hat keine vergleichbaren Ersatz-Wohnungen angeboten, sondern insbesondere in den letzten zwei Wochen bei uns Druck und Angst erzeugt durch Drohschreiben und eine unbegründete Strafanzeige. BAYERs Werkschutz überwacht uns täglich von der Tegeler Straße aus. Diese Einschüchterungsversuche hat BAYER mittels Intransparenz und Vortäuschung u. a. von substanziellen Hilfe-Bemühungen (zugunsten von uns MieterInnen) gegenüber Politik und Öffentlichkeit zu verdecken versucht“, heißt es in dem Schreiben. Einmal tagte der Runde Tisch auch schon, allerdings ohne  BAYER-Beteiligung. Der Konzern-Vertreter hatte wegen Krankheit abgesagt.

Der Bezirk will unterdessen die Zulässigkeit eines Abrisses mittels eines Gutachtens prüfen lassen. Die SPD brachte in die Bezirksverordneten-Versammlung (BVV) zudem einen Antrag ein, der den Bezirk auffordert, „sich dafür einzusetzen, dass (...) die Häuser 2-5 erst dann abgerissen werden, wenn ein neues Projekt für BAYER greifbar wird.“ Damit sehen sich die MieterInnen allerdings nicht vor den Baggern geschützt. Für den Leverkusener Multi sei es ein Leichtes, „eine fiktive Planung per Powerpoint-Skript vorzulegen“, meinen sie und konstatieren: „Die BVV hat mit diesem Beschluss politisch grünes Licht für den Abriss gegeben.“ ⎜

BAYER startet durch

Marius Stelzmann

Der BAYER-Konzern nutzt die Ungunst der Stunde und bedient sich der mRNA-Impfstoffe als Türöffner für gentechnische Behandlungsmethoden, die wegen ihres Gefährdungspotenzials bisher unter Akzeptanz-Problemen litten.

Von Jan Pehrke

„Hätten wir vor zwei Jahren eine öffentliche Umfrage gemacht und gefragt, wer bereit dazu ist, eine Gen- oder Zelltherapie in Anspruch zu nehmen und sich in den Körper injizieren zu lassen, hätten das wahrscheinlich 95 Prozent der Menschen abgelehnt. Diese Pandemie hat vielen Menschen die Augen für Innovationen in einer Weise geöffnet, die vorher nicht möglich war“, hielt BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich Ende Oktober 2021 in Berlin auf dem „World Health Summit“ fest. Und der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann sprach auf der Bilanzpressekonferenz am 1. März 2022 gar von einer Bio-Revolution.

Ähnlich enthusiastisch hatte sich das angehört, als der Leverkusener Multi vor Jahrzehnten seinen Einstieg in die Genmedizin bekannt gab. Aber nach so einigen Rückschlägen blieb davon außer dem Blut-Präparat KOGENATE und dem Augenmittel EYLEA nichts übrig.

Einen zweiten Anlauf nahm der Konzern dann im Jahr 2016. Er wollte die Gentechnik 2.0 für sich erschließen, die sich mit Genscheren wie CRISPR-Cas angeblich präziser am Erbgut zu schaffen macht als frühere Methoden. Die Verfahren bedienen sich dabei eines Abwehr-Mechanismus’ von Bakterien zum Aufspüren von Fremd-DNA, um bestimmte Gen-Abschnitte anzusteuern, und nutzen dann das Cas-Enzym zur Auftrennung der Genom-Sequenz. Anschließend setzt CRISPR-Cas entweder mitgeführte neue Erbgut-Stränge ein oder bringt die Zellen dazu, per Mutagenese selbst Veränderungsprozesse einzuleiten.

Das erschien der Aktien-Gesellschaft aussichtsreich, weshalb sie eine Kooperation mit CRISPR THERAPEUTICS einging. „Es wird sehr spannend, unsere Stärken bei Technologie-Führerschaft, wissenschaftlicher Exzellenz und Patenten zu kombinieren. Wir haben hier die Chance, einen echten Fortschritt für Patienten mit schweren genetischen Krankheiten und für unser Geschäft zu erzielen“, erklärte ein BAYER-Manager damals. Drei Jahre später erfolgte jedoch schon der Abschied auf Raten von der Firma, welche die lange als CRISPR-Cas-Mitentdeckerin geltende und spätere Nobelpreis-Trägerin Emmanuelle Charpentier mitgegründet hatte (1).

BAYER kauft ein

Stattdessen übernahm der Konzern das Unternehmen BLUEROCK THERAPEUTICS ganz, das er gemeinsam mit der Investment-Gesellschaft VERSANT VENTURES ins Leben gerufen hatte. Mit einer „zell-basierten“ Parkinson-Behandlungsart auf der Grundlage von „induzierten Pluripotenten Stammzellen“ (iPSC), welche die Wissenschaftler*innen durch eine „Rückprogrammierung“ normaler Körperzellen gewinnen, stand das Unternehmen zu dem Zeitpunkt bereits kurz vor der klinischen Erprobung. Inzwischen laufen die Tests, bei denen Mediziner*innen den Kranken Neuronen implantieren, die aus pluripotenten Stammzellen gewonnenes Dopamin enthalten.

Im Oktober 2020 schließlich erwarb der Global Player die US-Firma ASKLEPIOS BIOPHARMACEUTICAL (ASKBIO). Zwei Milliarden Euro zahlte der Konzern sofort, weitere zwei Milliarden stellte er bei erfolgreichen Arznei-Kreationen in Aussicht. Als potenzielle Kandidaten dafür gelten bei dem Biotech-Betrieb Pharmazeutika gegen Parkinson, Herz-Insuffizienz und die Stoffwechsel-Erkrankung Morbus Pompe, welche zurzeit die klinische Entwicklung durchlaufen. An anderen Medikamenten arbeitet ASKBIO nicht selbst weiter. Aber die Verträge, die es mit anderen Firmen abgeschlossen hat, garantieren Lizenz-Einnahmen, sollten die Mittel Marktreife erlangen. Überdies gehen durch den Deal 500 Patente in den Besitz des Leverkusener Multis über. Auch eine Tochtergesellschaft, die für externe Auftraggeber Viren zu Gen-Fähren präpariert, gehört zum Paket. „Als einem aufstrebenden Unternehmen auf dem Gebiet der Gentherapien werden uns die Expertise und das Portfolio von ASKBIO bei der Etablierung hochinnovativer Behandlungsoptionen für Patienten unterstützen und unser Portfolio stärken“, frohlockte BAYERs Pharma-Chef Stefan Oelrich.

Bereits zwei Monate später gab der Pillen-Riese dann die Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen ATARA BIOTHERAPEUTICS bekannt, das Krebstherapien auf der Basis von CAR-T-Zellen entwickelt. Dabei werden körpereigene oder fremde Immunzellen im Genlabor mit sogenannten Chimären Antigen-Rezeptoren (CAR) ausgestattet, die Tumor-Zellen anhand bestimmter Eiweiße auf deren Oberfläche orten und  zerstören sollen.

Im Jahr 2021 ging die Einkaufstour weiter. Anfang August akquirierte BAYER die US-Firma VIVIDION für 1,5 Milliarden Dollar. Zusätzlich stellte der Global Player noch Erfolgsprämien bis zu einer Höhe von 500 Millionen Dollar in Aussicht. Vor allem hatte er es dabei auf eine von VIVIDION entwickelte Technologie zum Aufspüren krankheitserregender Proteine, an die bisher nicht heranzukommen war, abgesehen. Der Leverkusener Multi erhofft sich davon Durchbrüche bei der Entwicklung von Pharmazeutika gegen Krebs, immunologische Erkrankungen und Reizdarm.

Anfang 2022 schließlich vereinbarte er eine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen MAMMOTH, dessen Geschichte der von CRISPR THERAPEUTICS gleicht, denn hinter jenem steht mit Jennifer Doudna die andere vermeintliche CRISPR-Cas-Entdeckerin und Nobelpreis-Trägerin (2). Und um die Genscheren geht es dem Konzern dann auch. „Die Partnerschaft, die zusätzlich mit einer weiterführenden Option für BAYER kombiniert ist, zielt auf den Einsatz von MAMMOTH BIOSCIENCES CRISPR-Systemen zur Entwicklung von In-vivo-Geneditierungstherapien ab“, ließ er verlauten. Bei diesen In-vivo-Verfahren, die der Pharma-Riese zunächst bei Lebererkrankungen zur Anwendung bringen will, handelt es sich um solche, bei denen die MedizinerInnen die zu behandelnden Zellen nicht außerhalb des Körpers (ex-vivo) genmanipulieren, sondern direkt vor Ort.

„Mehr als zwei Dutzend Allianzen und Akquisitionen“ vermeldete der Leverkusener Multi auf seiner Bilanz-Pressekonferenz Anfang März und eine Beteiligung an „mehr als 50 innovativen Biotech-Startups“. „Wir treiben seit drei Jahren eine grundlegende Transformation unseres Innovationsmodells konsequent und sehr erfolgreich voran“, lautete das Resümee.

Diesen Strategie-Wechsel leitete das Unternehmen Ende 2018 ein – und nicht ganz freiwillig. In dem Jahr musste es nämlich die ersten millionen-schweren Schadensersatz-Urteile in Sachen „Glyphosat“ hinnehmen und sah sich mit zehntausenden weiterer Klagen konfrontiert. Infolgedessen setzte die Aktie zum Dauertiefflug an, was den Finanzmarkt nervös machte. BLACKROCK & Co. mahnten Handlungsbedarf an – und der Global Player lieferte. Er gab die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen bekannt. Im Zuge dessen strich die Aktien-Gesellschaft nicht weniger als 900 Jobs in der Pharma-Forschung und erklärte, in Zukunft „eine verstärkte Ausrichtung auch auf externe Innovationen“ vornehmen zu wollen. Auch die jüngste Ankündigung, wieder mehr in hiesige Labore zu investieren, dürfte daran nichts ändern.

Die anderen Pillen-Produzenten schlugen einen ähnlichen Weg ein. Statt Mega-Deals einzufädeln und Konkurrenten zu schlucken, was (siehe MONSANTO) immer auch das Risiko birgt, sich daran zu verschlucken, konzentrieren sie sich lieber auf Kooperationen ohne längerfristige Verpflichtungen. „Solche Pakte bieten großen Unternehmen die Möglichkeit, sich in aufregenden, aber unerprobten Technologien auszuprobieren, ohne einen großen Einsatz zu leisten“, konstatiert die Nachrichten-Agentur Bloomberg. Aus dem Mund von PFIZER-Boss Albert Bourla hört sich das die Zusammenarbeit des Global Players mit BIONTECH betreffend dann so an: „Partnerschaften geben uns genau das, was wir wollen, ohne so viel Kapital aufwenden zu müssen, wie es nötig wäre, wenn wir die Unternehmen erwerben wollten.“

Und wenn die Konzerne sich doch zu Akquisitionen entschließen, pflegen sie einen anderen Umgang mit ihren Neuerwerbungen als früher. Sie integrieren sie nicht mehr länger in ihre Strukturen, sondern lassen sie an der langen Leine selbstständiger operieren. Das „arm’s length“-Prinzip nennt der Leverkusener Multi das in Bezug auf ASKBIO und VIVIDION. „Um den Unternehmer-Geist als wesentliche Grundlage für erfolgreiche Innovation beizubehalten, wird VIVIDION als Tochter-Gesellschaft von BAYER weitgehend unabhängig agieren. VIVIDION wird weiterhin für die Weiterentwicklung seiner Technologie und seines Portfolios verantwortlich sein, profitiert dabei aber von der Erfahrung, Infrastruktur und Reichweite von BAYER als globales Pharma-Unternehmen“, hieß es in der Pressemeldung zu der Transaktion.

Gentherapie-Tote

„Wir erfinden uns neu “, sagt BAYERs Forschungschef Christian Rommel angesichts der Projekte mit CRISPR-Cas, den Gentherapien sowie den CAR-T- und pluripotenten Stammzellen: „Wir sehen heute ganz anders aus als noch vor einem Jahr.“ Nur das mRNA-Verfahren, das in einigen Corona-Impfstoffen zur Anwendung kommt, fehlt da noch im Gentech-Sortiment – vorerst. „Wir werden unseren bisherigen Kurs, was Zukäufe und Allianzen angeht, fortsetzen. Dabei werden wir unter anderem auch neue Technologien wie mRNA im Auge behalten“, bekundete Stefan Oelrich im Handelsblatt.

Der Euphorie des Leverkusener Multis zum Trotz hat sich am Risiko-Potenzial der Genmedizin jedoch nichts geändert. Von Gentherapien, wie ASKBIO sie in Sachen „Parkinson“ erprobt – die ForscherInnen führen mittels Erkältungsviren ein Gen in das Gehirn der PatientInnen ein, das eine „Regeneration von Mittelhirn-Neuronen“ anstoßen soll – hatte die Industrie nach einer Reihe von Zwischenfällen lange die Finger gelassen. Der spektakulärste ereignete sich im Jahr 1999 bei einer Studie. Der 18-Jährige Jesse Gelsinger litt an einer seltenen Stoffwechsel-Krankheit, und die Mediziner wollten in seine Leber ein Enzym einschleusen, das diese Gesundheitsstörung behob. Aber die Milliarden als Gen-Fähren benutzten Adeno-Erkältungsviren infizierten nicht nur wie vorgesehen die Leber-Zellen, sondern griffen auch Abwehr-Zellen an. Diesem Ansturm zeigte sich das Immunsystem des Jungen nicht gewachsen;  es kam zu einem multiplen Organ-Versagen.

Im Jahr 2002 dann diagnostizieren die MedizinerInnen bei einem der zehn Kinder, die in Frankreich an einem Gentherapie-Test zur Behandlung ihrer Immunschwäche-Krankheit X-SCID teilgenommen haben, Leukämie. Später erkranken zwei weitere VersuchsteilnehmerInnen. Das eingeschmuggelte Gen hatte den Krebs ausgelöst.

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA reagierte schließlich und empfahl, Gentherapie-Versuche auf bislang unheilbare Krankheiten zu beschränken. Das alles bremste die Euphorie merklich. Aber die Forscher*innen gaben nicht auf. So setzen sie jetzt statt auf Adeno-Viren vermehrt auf bloß noch adeno-assoziierte Viren (AAV), wie sie nun auch ASKBIO nutzt.

Trotzdem sterben immer wieder PatientInnen. AUDENTES informierte im August 2020 über den dritten Todesfall bei einer Versuchsreihe mit Kindern, die aufgrund eines defekten MTM1-Gens an der neuromuskulären Erkrankung „Myotubuläre Myopathie“ leiden. Erste Tests mit adeno-assoziierten Viren, die eine korrekte Version des Gens in die Muskelzellen einbrachten, verliefen vielversprechend. Daraufhin hob AUDENTES die Dosis an und schraubte sie auf eine bisher bei solchen Erprobungen nur selten erreichte Höhe. Drei der 17 Probanden vertrugen die Injektion nicht und entwickelten eine Sepsis. Ihr Immunsystem identifizierte die AAV als fremde Eindringlinge und mobilisierte alle Abwehrkräfte. Dabei konnte es nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden und zerstörte so den ganzen Organismus.

Zwei Monate danach meldete LYSOGENE den Tod einer Fünfjährigen, die gemeinsam mit 19 weiteren ProbandInnen an einer Arznei-Prüfung mit dem Gentherapie-Präparat LYS-SAF302 teilgenommen hatte. Das Mädchen litt an der Erbkrankheit Mucopolysaccharidose.

Aufgrund eines defekten SGSH-Gens produzierte ihr Körper ein Enzym, das in den Zellen bestimmte Stoffe abbaut, nicht in ausreichendem Maße, so dass es zu Ablagerungen kam, die den zellulären Stoffwechsel störten. Die Prozedur aber, dieses Gen mittels adeno-assoziierten Viren durch ein funktionstüchtiges zu ersetzen, vertrug die Patientin nicht. Sie verstarb einige Monate nach der Gabe des Pharmazeutikums.

Tote bei CAR-T-Therapien

Auch die immunologischen Krebstherapien auf der Basis von CAR-T-Zellen sind nicht ohne. Bei den Verfahren, die vorerst nur bei solchen PatientInnen zur Anwendung kommen, denen kein anderes Mittel geholfen hat, ereignen sich immer wieder schwere Zwischenfälle. So starb im Februar 2022 ein Proband, der an einer Brustfellkrebs-Studie von BAYERs Neuerwerb ATARA teilgenommen hatte. Er war der erste von sechs PatientInnen, der nach einem reibungslosen Durchlauf mit 1x106 Zellen/kg bzw. 3x106 Zellen/kg eine höhere Dosis erhalten hatte. Das mit der Durchführung der Tests beauftragte „Memorial Sloan Kettering Cancer Center“ stoppte die klinische Prüfung daraufhin. Eine CAR-T-Versuchsreihe im selben Monat, die CELYAD verantwortete, forderte sogar zwei Todesopfer. Und bei Erprobungen von JUNO und CELLECTIS ließen ebenfalls ProbandInnen ihr Leben. Die Steuerung von CAR-T-Zellen fällt nämlich schwer. Sie greifen mitunter auch intaktes Gewebe an, da sich die Eiweiße, die ihnen als Andock-Stelle dienen, nicht nur auf den Tumor-Zellen finden. Zudem ist die Reaktion des Körpers auf die Zellen schwer vorhersehbar. Nicht selten lösen sie einen lebensgefährlichen Zytokin-Sturm im Immunsystem aus, das sogenannte cytokine release syndrome (CRS).

Dieses CRS ist dann auch die häufigste tödliche Nebenwirkung der schon zugelassenen CAR-T-Therapien von NOVARTIS und GILEAD. Zu diesem Ergebnis kam ein chinesisches ForscherInnen-Team um Changjing Cai von der „Central South University“ in Hunan, das sich dabei auf die Datenbanken der Weltgesundheitsorganisation und die Zahlen aus den Zulassungsstudien stützte. Am zweithäufigsten sterben die PatientInnen an Störungen des Nervensystems, konstatieren die WissenschaftlerInnen in ihrem Aufsatz „A comprehensive analysis of the fatal toxic effects associated with CD19 CAR-T cell therapy“. „Wir beobachteten eine hohe Sterblichkeitsrate bei einigen toxischen Wirkungen und frühe Todesfälle aus unterschiedlichen Gründen, was es erforderlich erscheinen lässt, dass das an der Umsetzung der CD19-CAR-T-Zelltherapie beteiligte Klinik-Personal der Beobachtung und Behandlung dieser tödlichen Effekte mehr Aufmerksamkeit schenkt“, lautet ihr Resümee.

Bei neueren Forschungsprojekten zur Krebsbehandlung mit gen-veränderten Immunzellen setzen die Unternehmen jetzt auf Genscheren wie CRISPR-Cas oder Talen, weil sie präziser arbeiten. Ob das jedoch die Risiken der CAR-T-Therapien senkt, steht noch dahin.

Genscherereien

Der BAYER-Konzern will diese Technologie über die Kooperation mit MAMMOTH „mit einem ersten Schwerpunkt bei Zielstrukturen in der Leber“ anwenden. Dabei baut er vor allem auf die ultrakleinen CRISPR-Cas-Scheren, die das US-Unternehmen entwickelt hat, da diese angeblich „hoch spezifische“ Schnippeleien „in Kombination mit gezielter systemischer Anwendung“ erlauben. Allerdings tun sich auch bei CRISPR-Cas so einige Risiken und Nebenwirkungen auf. So führte der Versuch, mittels dieser Methode defekte Embryo-Zellen zu reparieren, zu einem Verschwinden ebendieser, wie eine im Dezember 2020 in der Zeitschrift Cell veröffentlichte Studie dokumentierte. Zudem schnitt die Genschere nicht nur an dem eigentlich vorgesehenen Ort, sondern tat sich auch in der Umgebung um. „Off Target“ lautet die Bezeichnung für diese unbeabsichtigte Ausweitung der Schnippelzone. Die ForscherInnen rieten deshalb dringend davon ab, diese Technologie weiter an Embryonen zum Einsatz kommen zu lassen.

Aber es gibt nicht nur richtige Schnitte an falschen Orten, sondern auch falsche Schnitte an richtigen Orten. Solche „On Target“-Effekte können das ganze Innenleben der Zelle durcheinanderwirbeln. Und just eine solche drastische Veränderung – eine Chromothripsis – haben WissenschaftlerInnen jüngst an Embryonen beobachtet und in der Zeitschrift Nature Biotechnology beschrieben. Sie machten „eine extrem schädliche Form der genomischen Umstrukturierung, die aus der Zertrümmerung einzelner Chromosomen und dem anschließenden Wiederzusammenfügen der Teile in einer zufälligen Reihenfolge resultiert“ aus und warnten vor einer Krebs-Gefahr.

Eine andere Studie nennt dieses Phänomen einen „katastrophalen Mutationsprozess“, der nie ganz vermeidbar und umso problematischer ist, da er an der eigentlich beabsichtigten Stelle auftritt, weshalb in diesen Fällen auch kein Nachschärfen der Genschere hilft. In der endgültigen Fassung der Untersuchung fehlt diese Formulierung allerdings. Dort heißt es lediglich: „Da Genome Editing in der Klinik eingesetzt wird, sollte das Potenzial für umfangreiche chromosomale Veränderungen berücksichtigt und überwacht werden.“

Die ForscherInnen lassen wohl nicht zuletzt deshalb Vorsicht walten, weil es sich schon längst nicht mehr um einen Fachdisput handelt. Wissenschaftliche Arbeiten zu CRISPR-Cas & Co. haben mittlerweile wirtschaftliche Auswirkungen, da diese „Zukunftstechnologie“ an den Börsen hoch gehandelt wird. So warnt dann der Investment-Informationsdienst SEEKING ALPHA auch davor, dass die neuen Daten zur Chromothripsis die langfristigen Aussichten von Unternehmen mit Aktivitäten auf dem Genscheren-Gebiet beeinträchtigen könnten, wie GMWATCH berichtete. „Angesichts der unsicheren Aussichten sollten Anleger ihre Positionen in Unternehmen, die DNA-Doppelstrangbrüche zur Bearbeitung des Genoms einsetzen, neu bewerten“, rät die Firma.

Hohe Umsätze

Die in letzter Zeit entwickelten Gentech-Pharmazeutika kosten Unsummen. So verlangt der NOVARTIS-Konzern für seine CAR-T-Therapie 320.000 Euro pro PatientIn und für sein Medikament zur Behandlung einer seltenen Muskel-Erbkrankheit sogar noch mehr. Mit 2,1 Millionen Dollar schlägt ZOLGENSMA zu Buche. Solche Beträge möchten auch alle anderen Pillen-Riesen einfahren. Darum verstärkt die ganze Branche seit einiger Zeit ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet massiv. Und BAYER durfte da natürlich nicht fehlen. „Wir werden keine laufenden klinischen Studien abbrechen und mit dem Faktor-IX-Programm auch noch eine weitere große Studie mit sehr hohen Patienten-Zahlen starten. Aber tendenziell werden sich die Prioritäten in Richtung hochspezialisierter Therapien verschieben“, sagte Stefan Oelrich dem Handelblatt.

Noch dazu locken bei den sogenannten Orphan Drugs nicht nur geldwerte Vorteile. Die klinischen Prüfungen erfordern keinen so großen Aufwand. Sie können – unter Inkaufnahme vieler Risiken (s. o.) – mit einer kleineren ProbandInnen-Zahl erfolgen und wegen der kürzeren Behandlungszeiten schneller abgewickelt werden, wie BAYERs Pharma-Chef der Zeitung erläuterte. Damit nicht genug, räumen die Zulassungsbehörden diesen Mitteln dann auch noch einen Sonderstatus ein und ermöglichen beschleunigte Genehmigungsverfahren.

Aber vielleicht kommen „dank Corona“ bald schon viel mehr Präparate in diesen Genuss. Mit Verweis  auf den angeblich großen Erfolg der in Windeseile entwickelten und auf den Markt gebrachten Covid-Impfstoffe dringt Big Pharma nämlich darauf, eine solche Verfahrensweise auf Dauer zu stellen und auszuweiten. „Für klinische Studien ist es wichtig, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, dass es von der Planung bis zur Studie schneller losgehen kann“, sagt etwa BAYER-Managerin Heike Prinz. Und der vom Leverkusener Multi gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ sekundiert: „Die Vielzahl der nötigen Genehmigungen und Zustimmungen, insbesondere bei Datenschutz und Ethik, macht alles sehr bürokratisch, aufwendig und manchmal auch langsam.“

Die Ungunst der Stunde bzw. „die riesigen Chancen der Biorevolution“ (O-Ton BAYER) bescheren dem Leverkusener Multi also viele Gelegenheiten, sich neue lukrative Geschäftsfelder zu erschließen, Akzeptanz-Probleme zu lösen und Deregulierungen zu erreichen. Und die Aussichten für weitere Corona-Gewinnmitnahmen stehen gut. „2022 wird mutmaßlich wieder ein aufregendes Pharma-Jahr“, konstatierte die FAZ im Januar.  ⎜

Anmerkungen

(1)           Ende Februar 2022 sprach das US-amerikanische Patentgericht dem Broad Institute, einer Gemeinschaftseinrichtung der Harvard-Universität und des Massachusettes Institute of Technology (MIT) das CRISPR-Patent zu. Im selben Monat gelang es der Initiative TESTBIOTECH durch eine Klage, den Geltungsanspruch des Patents zu beschränken und Ansprüche auf Zellen von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie Eingriffe in die menschliche Keimbahn auszuschließen.

 (2)          siehe Anmerkung 1

BAYER & Co. machen mobil

Marius Stelzmann

Regierungsentwurf zu Online-Hauptversammlungen

Die Bundesregierung will die Online-Hauptversammlungen auf Dauer stellen und bereitet ein entsprechendes Gesetz vor. BAYER und die anderen DAX-Unternehmen erhalten damit die Gelegenheit, auch weiterhin vor den Konzern-KritikerInnen ins Virtuelle fliehen zu können. Aber den Firmen gehen die Pläne nicht weit genug. Nach ihrem Dafürhalten hat der Regierungsentwurf in Sachen „AktionärInnen-Rechte“ noch viel zu viel Ähnlichkeit mit den realen AktionärInnen-Treffen. Darum setzen sie die Politik massiv unter Druck.

Von Jan Pehrke

Schon lange vor Corona hatten die Konzerne mit Online-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische Aktionär-Innen besser vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit dazu, was BAYER als erstes DAX-Unternehmen nutzte. Im letzten Herbst erteilten CDU und SPD den Multis die Erlaubnis, auch im Jahr 2022 wieder ins Internet flüchten zu dürfen. Und die Ampel-Koalition beabsichtigt nun, ihnen diese Option dauerhaft einzuräumen und bereitet eine entsprechende Überarbeitung des Aktiengesetzes vor. Im Februar 2022 stellte sie den Referent-Innen-Entwurf vor; zwei Monate später folgte der Regierungsentwurf. „In dem nun überarbeiteten Entwurf haben wir die Aktionärsrechte noch einmal deutlich gestärkt“, hob Justizminister Marco Buschmann (FDP) hervor und zeigte sich erfreut, „einen weiteren Schritt zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts beschlossen zu haben“. Demokratie-Defizite sollte die Digitalisierung nicht produzieren, das wäre dem ErfinderInnen-Stolz abträglich. Dementsprechend verschreibt sich das Gesetz dem „Grundsatz, dass sämtliche Rechte, die in der Präsenzversammlung nach § 118 Absatz 1 Satz 1 AktG wahrgenommen werden können, auch jeweils eine äquivalente elektronische Variante besitzen müssen.“

Virtuellreel

An die Konzern-Kritik haben Buschmann & Co. dabei allerdings nicht gedacht. Diese leidet beim Umstieg vom Realen ins Virtuelle nach wie vor immens. Sie ist auf Präsenz angewiesen, auf Proteste vor Ort und darauf, das Management direkt mit ihren Anliegen zu konfrontieren. Es macht eben einen fundamentalen Unterschied, ob etwa eine Medikamenten-Geschädigte vor das Mikrofon tritt, ihre Leidensgeschichte erzählt und am Schluss fragt, wann BAYER die betreffene Arznei endlich vom Markt zu nehmen gedenkt, oder ob der Versammlungsleiter dies – wie 2020 geschehen – auf ein läppisches Informationsbedürfnis herunterbricht und erklärt: „Eine Aktionärin fragte nach dem Produkt DUOGYNON.“ Auch geht die Wirkung auf die AktionärInnen im Saal verloren, die sich in der Vergangenheit immer wieder von den Reden beeindruckt gezeigt und dies nicht zuletzt dadurch dokumentiert hatten, der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) am Ende des Tages ihre Stimmrechte zu übertragen.

Dafür kann es keine äquivalente elektronische Variante geben. Einige Verbesserungen weist der jetzt vorliegende Regierungsentwurf jedoch auf. So bietet er die Möglichkeit, in die Hauptversammlung Live-Reden (inklusive Fragen) zuzuschalten. Überdies lässt das Paragrafen-Werk nicht nur Nachfragen, sondern auch Fragen zu neuen Sachverhalten zu. Sogar „‚Über-Kreuz-Fragen’ zu den Fragen anderer Aktionäre und den dazu gegebenen Antworten“ sieht es vor.

Im Kleingedruckten folgen allerdings viele Einschränkungen. So haben die VersammlungsleiterInnen das Recht, die Anzahl der Fragen oder Nachfragen zu limitieren. BAYERs Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann hat davon in diesem Jahr schon Gebrauch gemacht. Just als es an die Beantwortung der CBG-Fragen ging, schloss er mit Verweis auf die fortgeschrittene Zeit Nachfragen aus. Und bei einem Rahmen von vier bis sechs Stunden, den das Gesetz unter Berufung auf eine Empfehlung des „Corporate Governance Kodex“ für eine Hauptversammlung veranschlagt – die Treffen des Leverkusener Multis zogen sich in der Vergangenheit dank der vielen von der Coordination aufgebotenen RednerInnen stets deutlich länger hin – können Winkeljohann & Co. hier nach Belieben zuschlagen. Auch bei den Fragen, die sich erst im Verlauf der Versammlung ergeben, obliegt ihnen die Entscheidungsgewalt über deren Zulässigkeit. Das Kriterium dafür bleibt reichlich vage. Der Entwurf verlangt lediglich, „einen objektiven Maßstab zugrunde zu legen“.

Zudem befördert das Gesetzesvorhaben die sich bereits seit Längerem abzeichnende Tendenz, immer mehr Bestandteile der Hauptversammlung ins Vorfeld zu verlagern. Dies nimmt ihr viel von ihrer Bedeutung und erschwert es der Konzern-Kritik, zu einem konkreten Datum hin Aufmerksamkeit für ihre Inhalte zu generieren. „Die Versammlung ist oft nicht mehr der zentrale Termin, an dem den Aktionären Informationen übermittelt werden. Aktionäre erhalten Informationen auch dann, wenn diese aufgrund des Kapitalmarktrechts erfolgen oder darüber hinaus unabhängig vom Versammlungstermin zur Verfügung gestellt werden. Hier können auch die sogenannten ‚Investorengespräche’ eine Rolle spielen“, heißt es dazu im allgemeinen Teil des Gesetzes. Die Politik denkt hierbei also hauptsächlich an BLACKROCK & Co. und nicht an das Auskunftsrecht von KleinaktionärInnen und Konzern-KritikerInnen. Sie betont zwar immer noch die Funktion der Hauptversammlung als „wichtigstes Beschlussorgan der Gesellschaft“, will jetzt aber sogar die Fragen und Antworten ausgliedern: „Die Gesellschaft hat ordnungsgemäß eingereichte Fragen vor der Versammlung allen AktionärInnen zugänglich zu machen und bis spätestens einen Tag vor der Versammlung zu beantworten.“

Kritik von BAYER & Co.

Dass die Ampel-Koalition die ReferentInnen-Version überarbeitet und die Aktionärsrechte noch einmal deutlich gestärkt“ hat, wie Justizminister Marco Buschmann betonte, passt den Unternehmen gar nicht. So sagte BAYER-Chef Werner Baumann auf der letzten Hauptversammlung auf eine entsprechende Frage hin: „Mit dem Referenten-Entwurf haben wir uns beschäftigt und diesen grundsätzlich positiv gesehen. Der erst vor zwei Tagen beschlossene Regierungsentwurf ändert den Referenten-Entwurf allerdings grundlegend und erfordert eine Neubewertung, die kritisch ausfällt.“

Darum bauen die Konzerne einen massiven politischen Druck auf und verlangen Veränderungen. „Uneingeschränkte Wahrung der Aktionärsrechte in der virtuellen Hauptversammlung (...) darf nicht die unbesehene Übernahme und identische Ausgestaltung der Rechte, sondern muss Gleichwertigkeit (Hervorhebung im Original) der Art und Weise der Ausübung der Aktionsrechte bedeuten“, heißt es etwa in einer gemeinsamen Stellungnahme vom „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI), dem „Verband der chemischen Industrie“ (VCI), dem Deutschen Aktieninstitut und anderer Verbände. „Wichtige Filter-Funktionen aus dem Referenten-Entwurf zur angemessenen Kanalisierung von Fragen und Wort-Beiträgen“ würden jetzt fehlen, bemängeln die Unternehmen.

Ihrer Meinung nach bedarf es jedoch „klarer gesetzlicher Ermessensspielräume“, um aussieben zu können. Ein Schelm, der Böses dabei denkt und als Motiv den Bedarf nach einer Handhabe zum Schutz vor peinigenden kritischen Fragen vermutet. Dabei geht es BAYER & Co. nach eigener Auskunft doch nur um die Vermeidung von Anfechtungsklagen, wenn zufällig mal das eine oder andere Auskunftsbegehr unter den Tisch fallen sollte. Und selbstverständlich auch nur aus juristischen Gründen wenden sich die Konzerne dagegen, dass ihre Antworten auf die Fragen der AktionärInnen schwarz auf weiß zu lesen sind. „Das geschriebene Wort ist leichter zitierbar und hat größere Verbindlichkeit, was zu erhöhten Haftungsrisiken führen könnte“, so der BDI.

Wahre Horror-Szenarien malen die Firmen zur Unterstützung ihrer Forderungen aus. „Nach dem Regierungsentwurf konzipierte Hauptversammlungen können via Fragebots, Algorithmen oder Hilfspersonen mit Fragen überflutet werden. Vor allem börsennotierte Unternehmen mit zahlreichen Aktionären stehen damit vor nicht zu bewältigenden technischen und rechtlichen Herausforderungen“, warnen sie. Die nun erlaubten Fragen zu neuen Sachverhalten bereiten ihnen ebenfalls – selbstverständlich nur juristische – Pro-bleme. Den Verbänden zufolge „wird es für den Fragesteller ein Leichtes sein, in der Hauptversammlung oder auch später im Beschlussmängel-Streit beispielsweise zu behaupten, ein entscheidender Zusammenhang oder eine wichtige Information sei erstmals kurz vor der Hauptversammlung in der Presse zu lesen gewesen“. Auch die Möglichkeit, in den Versammlungen selbst noch Anträge zu stellen, weist in ihren Augen „erhebliches Missbrauchspotenzial“ auf. Weil die großen Investmentgesellschaften ihre Stimme zumeist schon vorher abgeben und die StimmrechtsvertreterInnen nur auf Weisung handeln, führt eine solche Regelung laut BAYER & Co. dazu, „dass über unangekündigte Anträge auf Basis von nur wenigen Stimmen entschieden wird und Zufallsmehrheiten entstehen“.

Schon jetzt fände eine echte Debatte sämtlicher AktionärInnen mit der Geschäftsleitung nicht statt, geben sie zu bedenken, da nur ein Bruchteil der -Akti-en-HalterInnen von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch machen würde. „Stattdessen stellten Aktionäre meist mehrere hundert Fragen, welche den Ablauf, die Dauer und den Inhalt der virtuellen Versammlungen maßgeblich prägten. Durch die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Regelung ist künftig mit einer weiteren Zunahme des Frage-Aufkommens zu rechnen“, prognostizieren die Multis.

„An der Praxis vorbei – Überarbeitung dringend erforderlich“ – so das abschließende Urteil der Unternehmen zu dem Gesetzesvorhaben. Und sie tun alles in ihrer Macht Stehende, um die PolitikerInnen nachsitzen zu lassen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird allerdings versuchen, BAYER & Co. mit Kräften daran zu hindern. ⎜

Kritik auf allen Kanälen

Marius Stelzmann

Die BAYER-Hauptversammlung 2022

Auch in diesem Jahr gelang es der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wieder durch vielfältige Aktionsformen, dem BAYER-Konzern auf seiner Hauptversammlung sowohl virtuell als auch real Paroli zu bieten.

Von Marius Stelzmann

Die Proteste zur diesjährigen Hauptversammlung des BAYER-Konzerns standen ganz im Zeichen der möglichen Verlängerung der EU-weiten Zulassung von Glyphosat. Dementsprechend konzentrierten wir uns mit unseren Protesten dieses Jahr besonders auf Glyphosat.

Der Leverkusener Multi legte PR-technisch bereits schonungslos vor, um die Zulassungsverlängerung durchzudrücken. Dabei nutzte er zur Begründung unter anderem den furchtbaren Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden fehlenden Getreidelieferungen, die wegen des Krieges eben nicht mehr produziert und ausgeliefert werden können.  Die dadurch drohende Versorgungskrise wird mit großer Wahrscheinlichkeit im globalen Süden zu Hungersnöten führen. Sie könne nur mittels einer „nachhaltigen Intensivierung“ der Landwirtschaft bewältigt werden, so BAYER-Chef Werner Baumann im Interview mit der Neuen Züricher Zeitung. Was dies bedeutet, ist klar: Beibehaltung der jetzigen BAYER-MONSANTO-Landwirtschaft, die mit genmanipulierten Pflanzen und Ackergiften wie Glyphosat die Böden maximal auslaugt und zerstört und so die Ernährungssicherheit für zukünftige Generationen gefährdet. Teil dieses Planes ist natürlich Glyphosat. Dementsprechend bereiteten wir uns intensiv auf die Hauptversammlung vor, um im Sinne unserer Kampagne „Krebsgefahr. Klimarisiko. Umweltgift. Glyphosat-Stopp jetzt!“ alle gesundheitsschädlichen und umweltzerstörenden Aspekte des Agrargiftes klar in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn die Hauptversammlung ist für den PR-Marathon des Unternehmens eine wichtige Wegmarke: Hier muss er seine AktionärInnenschaft weiter auf den für Mensch und Umwelt katastrophalen Kurs einschwören und dies auch der breiten Öffentlichkeit vermitteln.

Die Hauptversammlung ist der Ort, an dem kritische AktionärInnen die andere Seite der BAYER-Konzernpolitik aufzeigen, die Folgen des Produktionsmodells von BAYER ans Licht zerren. BAYER will sich davor wappnen. Der Leverkusener Riese flüchtete sich 2022 bereits zum dritten Mal in Folge in die virtuelle Hauptversammlung. Doch wir wussten schon früh, wie wir diesem Versuch zuvorkommen würden: Mit Aktionen in der virtuellen Welt wie auf der Straße, mit Sichtbarkeit auf der Hauptversammlung selbst und vor den Toren des Konzerns. Dieses Versprechen gaben wir den Betroffenen, unseren BündnispartnerInnenund AktivistInnenund uns selbst. So weit so gut.

Das HV-Bündnis                                

Wieder einmal ging es an das Schmieden eines gemeinsamen Bündnisses zum Protest auf der BAYER-Hauptversammlung. Denn erfolgreichen Widerstand leistet mensch nicht allein. Deshalb heißen wir ja „Coordination“: Wir führen den weltweiten Widerstand gegen BAYER/MONSANTO zusammen und spitzen ihn auf die Ursache des Unglücks zu: Die Profitverpflichtung, die die einzige Grundlage der Produktion im kapitalistischen Wirtschaftssystem ist.

Im vergangenen Jahr hatte die Coordination den „March against MONSANTO“ in Paris besucht. Viele der KämpferInnen und AktivistInnen, die wir dort kennenlernten, konnten wir dieses Jahr als wertvolle Mitglieder unseres Protestbündnisses gewinnen. So freuten wir uns etwa, in unserem internationalen Online-Liveprotest die Kampagne SECRETS TOXIQUES begrüßen zu dürfen, die sich der Untersuchung der nicht gekennzeichneten Wirkstoffe von Glyphosat und anderen Agrarchemikalien widmet.

Eine weitere wichtige Stimme, die es gelang, dem Chor des Protestes auf den Hauptversammlungen hinzuzufügen, war das COLLECTIF ZÉRO CHLORDECONE ZÉRO POISON, welches 2012 von den BewohnerInnen von Guadeloupe und Martinique gegründet wurde, um eine gemeinsame Front gegen die Vergiftung des martinikanischen Volkes durch Pestizide zu bilden. Dessen Mitgründerin, Gesundheitsfachfrau Sophia Sabine, sprach in unserem internationalen Online-Protest. Ebenfalls aus den Vorbereitungen für den „March against MONSANTO“ im vergangenen Jahr kannten wir das COLLECTIF VIETNAM DIOXINE, welches die Zerstörung Vietnams mit der nicht zuletzt von MONSANTO hergestellten Chemiewaffe Agent Orange thematisiert.

Zudem fiel die Hauptversammlung zeitlich mit der Deutschlandreise der brasilianischen Pestizidkritikerin Professor Larissa Bombardi zusammen, die deutsche PolitikerInnen verschiedener Parteien traf, um auf die Pestizid-Problematik in Brasilien aufmerksam zu machen. Wir organisierten als Bündnis für sie eine Vorabend-Veranstaltung sowie die Möglichkeit, den Konzern direkt in der HV sowie vor seiner Zentrale in Leverkusen mit den Missständen zu konfrontieren.

Dennoch vernachlässigten wir die vielfältigen anderen Probleme, die BAYERs gnadenlose Profitjagd aufwirft, nicht. So konnten wir in unserem Bündnis die folgenden Gruppen und Einzelpersonen versammeln: FORSCHUNGS- UND DOKUMENTATIONSZENTRUM CHILE/LATEINAMERIKA (FDCL), BUND FÜR UMWELT- UND NATURSCHUTZ DEUTSCHLAND E. V. (BUND), GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER (GFBV), FRIDAYS FOR FUTURE, GEN-ETHISCHES NETZWERK, ALLERWELTSHAUS KÖLN, SECRETS TOXIQUES, COLLECTIF ZÉRO CHLORDECONE ZÉRO POISON, COLLECTIF VIETNAM DIOXINE, INITIATIVE RISIKO-PILLE, PHYSICIANS AGAINST PESTICIDES, BUND DER DYOGYNONGESCHÄDIGTEN E. V. (BDD), VEREIN DER EHEMALIGEN HEIMKINDER IN SCHLESWIG-HOLSTEIN, DIE PARTEI, INKOTA-NETZWERK, ATTAC, Professor Larissa Bombardi, Geographin/Universität Sao Paulo, Professor Gilles-Eric Seralini, Biologe/Universität von Caen, Professor Marcos Pedlowski, Anthropologe/Universität Fluminense.

Wie bereits beschrieben, lieferte uns die Reise von Professor Larissa Bombardi die Möglichkeit, die von Glyphosat und anderen Agrargiften in Lateinamerika ausgehenden Risiken und Nebenwirkungen in besonderem Ausmaß zu fokussieren. Ein Bündnis deutscher NGOs, Initiativen und AktivistInnen unterstützte Larissa bei ihrem Anliegen, Öffentlichkeit für die Pestizidvergiftungen in Brasilien zu schaffen. Larissa bezahlte für ihre mutigen Studien, die die Pestizidlobby auch ökonomisch unter Druck setzten, einen hohen Preis. Nach einer ihrer Studien nahm eine namhafte skandinavische Supermarktkette brasilianische Produkte aus dem Sortiment. Danach begann die Pestizidlobby, Larissas wissenschaftliche Arbeiten zu diskreditieren und sie öffentlich anzugreifen. Kurz danach kam es zu anonymen Drohungen und Andeutungen, dass ihr Leben in Gefahr sei. Der Rektor der Universität, die Larissa beschäftigte, bot ihr an, sie auf dem Campus von Securities schützen zu lassen. Aber nach einem Einbruch in ihr Haus traf sie schließlich die Entscheidung, ins Exil zu gehen, da sie Brasilien als zu gefährlich für sich und ihre Kinder erachtete. 

Prof. Larissa Bombardi steht wie kaum eine andere Person in Brasilien für das Anprangern der Doppelstandards der kapitalistischen Pestizidproduktion. Diese sichert ihre Profite mit dem Vertrieb von Pestiziden, die zwar in der EU und anderen Ländern des globalen Nordens verboten sind, allerdings in Brasilien und anderen Ländern des globalen Südens verkauft werden können, weil die Regierungen gegen das Lobbydiktat der Konzerne eine geringere ökonomische Handhabe besitzen.

Die Coordination organisierte mit anderen Gruppen zwei Veranstaltungen, bei denen Larissa Bombardi auftrat und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Pestizideinsatz in Brasilien und die Folgen präsentierte. In Berlin schalteten wir uns virtuell zu und ergänzten die von Larissa präsentierten dramatischen und eindrücklichen Fakten durch einen Appell zum Handeln, wofür wir auch auch die entsprechenden Interventionsmöglichkeiten aufzeigten.

In Köln saßen wir schließlich im Allerweltshaus bei einer weiteren Veranstaltung zusammen und diskutierten die Doppelstandards bei der Pestizidproduktion am Beispiel BAYER. Unser Geschäftsführer Marius Stelzmann rief dazu das größere, auch historische Bild auf und warf einen Blick auf bisher bekannte Fälle von Doppelstandards, die auch auf Hauptversammlungen von BAYER immer wieder angeprangert worden waren. So hatte das Stichwort BAYER (SWB) bereits 1992 in einem Sonderheft über den Fall „Peru“ berichtet. Das SWB stellte damals fest: „Nahezu alle Produkte, die in anderen Staaten verboten, anwendungsbeschränkt oder nicht zugelassen sind oder von internationalen Organisationen als besonders gefährlich eingestuft werden, lassen sich auf der Liste registrierter Wirkstoffe des Landwirtschaftsministeriums finden.“

2006 konfrontierten AktivistInnen, denen die CBG das Sprechen auf der HV ermöglicht hatte, den Konzern mit seinen nicht eingehaltenen Versprechen bezüglich des Verkaufsstopps des giftigen Monocrotophos in Indien.

Auch das Wirken des Unternehmens in Brasilien war auf den Hauptversammlungen schon thematisiert worden. So veranlasste BAYERs Treiben dort Alan Tygel 2017 zu der sarkastischen Frage an den Vorstand, ob dieser brasilianische Körper für widerstandsfähiger gegen Pestizide halte als europäische. Nach diesem Vortrag Stelzmanns, der sich BAYERs langer Geschichte mit den Doppelstandards und der fast ebenso langen Geschichte des Widerstandes gegen diese Praxis widmete, lieferte Larissa Bombardi einen genaueren Einblick in die Schäden, die BAYER-Pestizide in Brasilien anrichten. Insbesondere ging sie auf die Rolle ein, die der rechtsradikale Machthaber Jair Bolsonaro bei der Unterstützung der Pestizid-Lobby spielt. Larissa konstatierte unter anderem, dass seit der Machtübernahme Bolsonaros die Gewalt gegen Anti-PestizidaktivistInnen sprunghaft zugenommen und sich dann verstetigt habe. Sie machte klar, dass in Brasilien Dosierungstoleranzen für manche Pestizide 2000 mal höher waren als in der europäischen Union. Larissa zeigte zudem auf, dass obwohl in Brasilien eine Anbaufläche von der Größe Deutschlands allein für Soja existiert, die Äcker für Nahrungsmittel wie zum Beispiel Bohnen, die tatsächlich auf den Tellern der BrasilianerInnen landen, immer geringer werden.

Ebenso widersprach sie der Darstellung, dass die klassische Landwirtschaft, welche mit genmanipulierten Pflanzen und Pestiziden arbeitet, notwendig sei, um die Länder des globalen Südens zu ernähren: Tatsächlich seien all diese Produkte hauptsächlich für die Futtertröge der Fleischproduktion des globalen Nordens bestimmt. Darüber hinaus sinke die Fruchtbarkeit der Anbauflächen, welche nach diesem Modell bewirtschaftet werden, immer mehr. Sie zeigte überdies Zusammenhänge von Pestizid-Ausbringungen mit Krankheiten und Tod von Kindern und Erwachsenen auf, insbesondere in von Indigenen bewohnten Gebieten.

Larissa nannte das Produktionsmodell BAYERs und vergleichbarer Konzerne einen „molekularen Kolonialismus“, der einen Kreislauf der Vergiftung in Gang -setze. Unter „molekularem Kolonialismus“ verstand sie hierbei die Tatsache, dass toxische Substanzen, welche in der EU und anderen Ländern des globalen Nordens verboten sind, nach Brasilien exportiert werden. Zudem beschreibe der Begriff, dass die Substanzen in den Körpern der Brasilianer*innen, die ihnen ausgesetzt sind, schädliche Veränderungen auslösten. Es gebe insgesamt 15 von BAYER nach Brasilien exportierte Wirkstoffe, die in der EU verboten seien, weil  sie krebserregend oder neurotoxisch sind oder aber Missbildungen hervorriefen. Dies bezeichnete sie als „eine Form chemischer Gewalt, die von diesen Firmen ausgeht“.

Nach dem Vortrag kamen wir mit den anwesenden Gästen in eine engagierte Debatte, in der CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann unter anderem gefragt wurde, wie er Verhandlungen mit PolitikerInnen und staatlichen Stellen mit dem Protest gegen BAYER und Co. verbinden würde. Marius antwortete, dass es bei Gesprächen um die Schaffung gesetzlicher Grundlagen mit dem Ziel gehe, das willkürliche Handeln der nur der Profit-Logik folgenden Konzerne zu begrenzen. Die Durchsetzung und die Kontrolle durch die Öffentlichkeit obliege allerdings der Zivilgesellschaft und der Bewegung auf der Straße. Auf diese Bewegung ziele die Coordination ab.   

Die Kundgebung

Gesagt, getan: An diese Ankündigung des Geschäftsführers hielt sich die Coordination und stellte dieses Jahr anlässlich der Hauptversammlung eine besonders bunte und vielseitige Kundgebung auf die Beine. Gemeinsam mit der Leverkusener Gruppe der FRIDAYS FOR FUTURE mobilisierten wir für einen Protestzug, der im Herzen Leverkusens am Rathaus beginnen sollte und zur Konzern-Zentrale führte.  Mit den Leverkusener FRIDAYS FOR FUTURE befindet sich die Coordination schon seit Jahren im engen Austausch und ist auf jeder von deren Aktionen präsent. Der offensichtliche Grund: BAYER ist – neben seinen vielfältigen anderen Konzernverbrechen – auch einer der größten Klimakiller in der Region – trotz des bemüht grünen Images, welches sich der Konzern zu geben versucht.

Deswegen war bereits beim letzten Klimastreik klar, dass zur nächsten Hauptversammlung eine gemeinsame Aktion stattfinden sollte. Auch 2019 (damals noch in Bonn) hatte die Coordination zusammen mit den Fridays bereits eine Demonstration organisiert. Schon im Vorfeld hatten die FRIDAYS FOR FUTURE fleißig mobilisiert und insgesamt mehr als 200 der gemeinsamen Werbeplakate verklebt, nicht nur am Stammsitz des Multis selbst, sondern auch in Köln. Am 29.4.2022 ging es dann um 9.30 Uhr morgens pünktlich los. Mit einer Rede vor dem Rathaus wurden die anwesenden AktivistInnen begrüßt, dann setzte sich der Protestzug auch schon in Bewegung Richtung Konzern-Zentrale, um zur gemeinsamen Kundgebung zu stoßen.  Coordination versucht stets, Ihre Kundgebungen abwechslungsreich zu gestalten und der Öffentlichkeit nicht nur harte politische Fakten, sondern auch ein bildreiches, eindrucksstarkes Programm zu zeigen. Dies ist uns zur diesjährigen BAYER-HV-Kundgebung besonders gut gelungen.

Der gesamte Vorplatz der gläsernen BAYER-Zentrale war mit verschiedenen Transparenten der Coordination gepflastert, welche die vielen verschiedenen BAYER-Verbrechen thematisierten. Die Transparente hingen sogar zwischen den Bäumen, welche BAYER auf dem Gelände gepflanzt hatte, und markierten so einen symbolischen Ort der Konzernkritik mitten im Herzen der Bestie. Wie immer war die Kundgebung reich an Protestreden, die dem Vorstand direkt in Richtung Konzern-Zentrale sozusagen per Express zugestellt wurden. Dieses Jahr hatten wir Beiträge vom BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ DEUTSCHLAND E. V. (BUND), der GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER (GfbV), der FRIDAYS FOR FUTURE, von Professor Larissa Bombardi und natürlich eigene. Das Publikum applaudierte, als Gründungsvorstand Axel Köhler-Schnura den Schluss aus allen angeklagten BAYER-Verbrechen zog: Die Enteignung und Vergesellschaftung des Chemie-Riesen und die demokratische Kontrolle der Produktion.

Zudem waren wir dieses Jahr gleich mit mehreren Aktionen vertreten. So hatten Larissa Bombardi und ihre MitstreiterInnen von uns auf ihren Wunsch hin einheitliche AktivistInnen-Shirts bekommen, die die Zusammenarbeit von BAYER mit der rechtsradikalen Regierung von Jair Bolsonaro sowie die Vergiftung des brasilianischen Volkes thematisierten. Einen Höhepunkt der Kundgebung bildete die Performance der Gruppe RED REBELS der EXTINCTION-REBELLION-Bewegung. In einer beklemmenden Darstellung betrauerten die RED REBELS den vom Klimawandel verursachten Tod der Erde. Begleitet von langsamer, intensiver Trommelmusik schritt das Ensemble gemessen aus dem angrenzenden Park vor die Konzern-Zentrale. Die PerformerInnen trugen Pflanzensetzlinge vor sich her, die sie symbolträchtig auf dem Platz niederstellten, bevor sie vor den Motiven der aufgehängten Plakate einen Ausdruckstanz aufführten. Die künstlerische Botschaft an BAYER war klar: Stoppt die Zerstörung des Klimas durch Eure lebensfeindliche Produktionsweise!

Die Unterschriften

Ein besonderer Coup gelang der Gruppe um die GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER (GfbV). Die AktivistInnen waren mit einem Team aus Göttingen angereist, um an der Kundgebung teilzunehmen. Ausgerüstet waren sie mit Schutzanzügen, Gasmasken und Sprühpistolen, um auf die Vergiftung indigener Völker durch BAYER-Pestizide hinzuweisen. Auf ihren Schutzanzügen prangte das BAYER-Logo als gefräßiger Pac Man, der sich immer weiter vorarbeitet – eine passende Allegorie auf den niemals endenden Profithunger BAYERs. Die Botschaft, die ihr in Warnfarben gehaltenes Transparent klar verkündete: BAYER: Eure Pestizide vergiften indigene Völker!

Der Leverkusener Riese fürchtet die Öffentlichkeit und hat daher – wie immer, wenn Aktionen anstehen – für die Dauer der Kundgebung alle sichtbaren BAYER-Logos und Schriftzüge von seiner Konzernzentrale entfernt. Ein Logo kann der Konzern jedoch nicht loswerden: Unweit der Unternehmenszentrale steht ein historisch bedeutender Schornstein, den BAYER als Wahrzeichen hat stehen lassen. Auf diesem prangt der Konzernname in riesigen Lettern. Dieser Schornstein diente der Aktion der GfbV als hervorragende Kulisse für ihre Botschaft. Schließlich schritten die AktivistInnen zur Tat: Die Organisation hatte mehr als 3.000 Protestbriefe eingesammelt, welche die Vergiftung indigener Völker durch BAYER-Pestizide anklagen. Diese hatten sie in einer großen Kiste gesammelt, die sie nun dem Vorstand in der Zentrale übergeben wollten. Zwar ließen die Securities die AktivistInnen natürlich nicht in die Zentrale hinein. Jedoch traten zwei Mitglieder der PR-Abteilung vor das Tor und diskutierten mit der versammelten Kundgebung. Zu einem konnten sich die BAYER-Gesandten jedoch nicht durchringen: Die Annahme der Protestbriefe. Diese wurde beharrlich verweigert. Die Kiste mit den Briefen wurde daraufhin einfach vor der Tür abgestellt und dort belassen. Auch, als die AktivistInnen den Ort der Kundgebung schließlich verließen und noch einen Blick zurück warfen, stand sie noch da – still und anklagend. 

Der CBG-Stream                                                                         

Wie auch in den vergangenen Jahren ließen wir BAYER also die Flucht in die virtuelle Realität nicht durchgehen. Wir waren nicht nur vor den Toren der Konzernzentrale präsent, wir setzten dem BAYER-Stream der „virtuellen Hauptversammlung“ wie in den vergangenen Jahren auch ein gleichwertiges Pendant entgegen, einen internationalen Protest-Live-Stream im Internet, einen virtuellen Widerstand, der alle Lügen des Vorstandes und gefährlichen Konsequenzen der Konzernpolitik aufgriff, kommentierte und internationale Stimmen des Widerstandes zu Wort kommen ließ. Zudem bewerteten wir mit SWB-Redakteur Jan Pehrke und mit Gründungsvorstand Axel Köhler-Schnura den Verlauf der BAYER-HV live und zogen eine Tagesbilanz – eine wichtige Erweiterung der sonst nur schriftlichen Pressebilanz.

Im vergangenen Jahr war es uns, wie bereits berichtet, gelungen, im Zuge des „March against MONSANTO“ in Paris aktivistische Gruppen für den internationalen Protest zu gewinnen. Das COLLECTIF ZÉRO CHLORDECONE ZÉRO POISON war eine von ihnen. Das Collectif war im Jahre 2012 gegründet worden, um eine gemeinsame Front gegen die Vergiftung der Menschen in Guadeloupe und Martinique zu bilden.

In unserem Stream sprach Sophia Sabine, eine Gesundheitsfachfrau, die zu den GründerInnendes Kollektives gehörte. Sie berichtete von der Situation der Menschen in Guadeloupe und Martinique, die insbesondere 2012 unter einer massiven Ausbringung von Pestiziden aus der Luft auf die Bananenstauden auf den Inseln litten. Die großen Pflanzer, welche von Kolonisatoren abstammen, tränken regelmäßig den Boden, welcher aus früheren Zeiten bereits stark mit Chlordecone verunreinigt ist, mit anderen Ackergiften. Das stellt eine zusätzliche Belastung für die Böden, Wasserwege und Grundwasserspiegel der Inseln dar, nicht zuletzt weil es zahlreiche schädliche Kombinationseffekte nach sich zieht. Sophia Sabine sagte in ihrem Beitrag: „Die Cocktaileffekte dieser Pestizide wirken wie wahre Zeitbomben. 2014 haben wir ein Verbot für Pestizidausbringungen aus der Luft mit Flugzeugen erreicht. Aber diese wurden fortgesetzt, worunter das Volk litt.“ Sophia Sabine sprach den BAYER-Vorstand direkt an: „Die Frage, die wir BAYER stellen, ist die folgende: Ein Artikel, veröffentlicht am 10. März 2022 auf der Website des nationalen Forschungsinstituts für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt weist daraufhin, das Glyphosat die Fortpflanzung von Menschen und Tieren stört. Beabsichtigen Sie, den Verkauf von Glyphosat einzustellen, insbesondere in unseren Territorien Martinique und Guadeloupe? Wir sind bereits stark durch Chlordecone belastet, dessen Moleküle durch die Wirkung von Glyphosat im Boden wieder freigesetzt werden.“

Eine weitere starke, antikoloniale Stimme des Widerstandes, die wir für den diesjährigen Stream gewinnen konnten, war Professor Marcos Pedlowski von der staatlichen Universität Nord Fluminense. Der Anthropologe beschäftigt sich seit 2001 mit den Auswirkungen von Pestiziden auf Mensch, Tier und Umwelt. Brasilien ist mittlerweile der größte Markt der Welt für Pestizide und mittlerweile zweitgrößter Markt für hochgiftige Pestizide, die in der EU und in anderen Teilen der Welt weitgehend verboten sind, berichtete Professor Pedlowski im Stream.

Selbst das Leitungswasser in Brasilien sei mit Pestiziden verseucht, viele Städte würden mit hochgradig pestizidbelastetem Wasser versorgt. „In vielen Teilen Brasiliens gibt es auch viele Fälle von Krebs und anderen Krankheiten, die in direkter Verbindung mit (...) der Verwendung und dem Einsatz von Pestiziden stehen. Ich möchte als Beispiel anführen, dass Dickdarmkrebs unter Tabakarbeitern im Süden weit verbreitet ist“, so Pedlowski im BAYER-Stream.

Brasilien debattiere gerade ein Gesetzesvorhaben, welches Pedlowski als „Giftpaket“ bezeichnet, da es die ohnehin niedrigen Standards der Vermarktung und Produktion in Brasilien weiter absenke. Die Produktion und der Betrieb einiger bekanntermaßen krebserregender Produkte würden durch das „Giftpaket“ erlaubt.

Dieses Paket wird laut Pedlowski durch den Druck von BAYER, BASF, SYNGENTA und anderen forciert. Der Professor fragte daher den Vorstand des Verursachers der Pestizidmisere in Brasilien, was er von der Doppelmoral halte, Pestizide in Brasilien zu verkaufen, die in Europa und den Herstellerländern verboten seien. Zudem wies Pedlowski darauf hin, dass Mais, Papaya und andere Agrarprodukte, die in Brasilien produziert würden, den europäischen Markt mit Rückständen giftiger Pestizide erreichen würden.

Séralini klagt an

Ein dritter internationaler Bündnispartner, den wir für unseren Online-Protest gewinnen konnten, war Professor Gilles Eric Séralini. Als Professor am Fachbereich Biologie der Universität Caen und Co-Direktor des Netzwerks für Risiken, Qualität und nachhaltige Umwelt berichtete er, dass er seit 2005 von MONSANTO heftig angegriffen würde. Dies kann er durch 56.000 Erwähnungen seines Namens in den berühmt-berüchtigten MONSANTO-Papers belegen. Der Grund dafür: Séralini veröffentlichte wissenschaftliche Untersuchungen, die beweisen und erklären, warum verschiedene Glyphosat- und Nicht-Glyphosat-basierte ROUNDUP-Formulierungen, die BAYER momentan vermarktet, stark toxisch sind. Er erklärte im Stream, dass dies auf Metalle wie Arsen und ätzende Erdöl-Rückstände zurückzuführen ist, die in den Endprodukten nicht deklariert sind. Séralini wurde aufgrund dieser Arbeiten von BAYER auf eine illegale „schwarze Liste“ gesetzt. Der Forscher wollte nun vom Vorstand wissen, ob er sich dieser Praxis bewusst und ob es üblich sei, ForscherInnen zu diskreditieren und anzugreifen, anstatt ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zu respektieren und zu berücksichtigen.

Zudem befragte er den Vorstand zum Fall „Donna Farmer“, die Chef-Toxikologin bei MONSANTO war und nun für BAYER/MONSANTO arbeitet.  Diese hatte in firmen-internen Mails, die bei den Glyphosat-Entschädigungsprozessen als Beweis-Material dienten, zugegeben, dass keine Studien zu den Langzeit-Wirkungen des Mittels vorlägen. Auch die Europäische Lebensmitelbehörde EFSA hatte dies jüngst vor 119 europäischen Abgeordneten einräumen müssen. Donna Farmer hielt den MONSANTO-Papers zufolge ebenfalls fest, dass ROUNDUP-Formulierungen giftige Verbindungen wie krebserregende Erdöl-Rückstände enthalten. Am 1. Oktober 2019 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die gesamten Pestizid-Formulierungen in Langzeitversuchen geprüft werden müssen. Dies hat BAYER bisher nicht getan.  Séralini konfrontierte den Vorstand infolgedessen damit, gegen ein Urteil des Gerichtshofes verstoßen zu haben. Neben diesen besonderen Highlights kamen noch viele weitere SprecherInnen zu Wort, deren Statements alle noch nach wie vor auf unserer Homepage unter cbgnetwork.org/HV eingesehen werden können.

Das Fazit: Mit vielfältigen Aktionen gelang es der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wieder einmal eindrucksvoll, die BAYER-Hauptversammlung zu einem Tribunal gegen eine Geschäftspolitik zu machen, die mit ihrer Profit-Gier Mensch, Tier und Umwelt gefährdet. ⎜