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Veröffentliche Beiträge in “SWB 03/2022”

Ticker 03/2022

Marius Stelzmann

STANDORTE & PRODUKTION

Neues Umstrukturierungsprogramm

Der BAYER-Konzern hat ein großes Umstrukturierungsprogramm angekündigt. Im Pharma-Bereich will er rund zwei Milliarden Euro in die Modernisierung alter Werke, den Aufbau neuer Produktionen und die Digitalisierung stecken, rund eine Milliarde davon in Deutschland. Im Zuge der Pläne nimmt der Pillen-Riese auch De-Investitionen vor. So verkauft er eine Fabrik im pakistanischen Karachi, die den Behörden immer wieder durch inkorrekte Wirkstoff-Konzentrationen, nicht korrekt arbeitende Produktionsanlagen und Lagerhaltungsmängel negativ aufgefallen war. Von einer Fertigungsstätte im brasilianischen Cancioneiro hatte der Global Player sich bereits im Juni 2021 getrennt. Der Leverkusener Multi beabsichtigt im Zuge der Veränderungen überdies, „Teile der Infrastruktur sowie der Dienstleistungsbereiche an den deutschen Standorten in Bergkamen, Wuppertal und Berlin an externe Partner zu übertragen“. Diese Überführung in Chem„park“-Strukturen ähnlich denen in Dormagen und Leverkusen markiert eine Zäsur. Die Aktien-Gesellschaft könnte damit die Verantwortung für eine klimaschonendere Energie-Versorgung in fremde Hände legen. Die entsprechende Frage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf der Hauptversammlung beantwortete BAYER-Vorstand Stefan Oelrich so: „Wir befinden uns hier auch in einem laufenden Prozess. Eine finale Entscheidung steht noch aus.“ Und zur Größenordnung der mit der Umstrukturierung verbundenen Arbeitsplatz-Vernichtung innerhalb des Konzerns sagte er: „Bitte haben Sie auch in diesem Fall dafür Verständnis, dass wir diesbezüglich zunächst die Ergebnisse der Gespräche mit potenziellen Interessenten abwarten müssen.“

Das Berliner Abriss-Programm

In Berlin-Wedding besitzt BAYER Häuser mit rund 140 Wohnungen. Der Konzern hat bereits viele Schritte unternommen, um diese Gebäude abzureißen und so dringend benötigten Wohnraum zu vernichten. Dabei setzt er die MieterInnen massiv unter Druck, um sie zum Ausziehen zu bewegen. Selbst ein Räumungstermin wurde schon angesetzt, den die BewohnerInnen erst im letzten Moment noch abwenden konnten. Dazu meldete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf der letzten Hauptversammlung Informationsbedarf an. „Ist der Eindruck der Öffentlichkeit richtig, dass Sie keine konkreten Pläne haben, was nach dem beabsichtigten Abriss mit den Grundstücken geschehen soll? Falls Sie nicht vorhaben, das Gelände erst einmal brachliegen zu lassen und auf höhere Bodenpreise zu spekulieren: Warum ist es so schwer, Konkreteres anzukündigen?“, wollte sie wissen. Die zweite Frage lautete: „Warum haben Sie den Termin mit dem Runden Tisch aus MieterInnen und VertreterInnen der Stadt platzen lassen? War es unmöglich, bei Krankheit eine Vertretung zu entsenden?“ und die dritte: „Haben Sie eigentlich keine Angst vor dem enormen Imageschaden, der durch ihr kompromissloses Vorgehen gegen die MieterInnen entsteht, gerade in der sehr aufgeheizten Situation in Berlin?“ Der Leverkusener Multi machte daraus: „Uns erreichte eine Frage im Zusammenhang mit einem Grundstück unseres Unternehmens in Berlin-Wedding.“ Dementsprechend nichtssagend fiel die Antwort aus: „Bei dem betreffenden Grundstück handelt es sich um eine bereits seit Jahrzehnten ausgewiesene Gewerbefläche (...) Damit verbunden ist eine Investition in dreistelliger Millionen-Höhe, wodurch die Zukunftssicherheit von mehr als 1.000 Arbeitsplätzen in Berlin langfristig (...) gesichert werden soll. Die zuständigen behördlichen Stellen sind hierbei wie üblich involviert. Planungsrechtlich ist eine Nutzung zu Wohnzwecken ausgeschlossen. Der Großteil der auf dem Grundstück befindlichen Gebäude steht bereits seit längerer Zeit leer.“

Neues Zell- und Gentherapie-Zentrum

Der Leverkusener Multi pflegt seit Langem gute Beziehungen zur Berliner Charité. So sitzt etwa Pharma-Vorstand Stefan Oelrich im Aufsichtsrat der Klinik. Jetzt intensiviert sich das Verhältnis noch einmal. Ende April gaben Charité und BAYER bekannt, gemeinsam ein Zell- und Gentherapie-Zentrum aufbauen zu wollen, das auch Start-Ups und anderen Firmen offensteht. Mit bis zu 300 WissenschaftlerInnen am Platz rechnen die Kooperationspartner. Das Ziel der Gründung ist es, den Weg von der Forschung zur Produkt-Entwicklung zu beschleunigen. „Am Nordhafen finden Forscher und Verwerter zusammen“, so formuliert es die Berliner Morgenpost. Allerdings beabsichtigt der Global Player der Zeitung zufolge, eine gewisse Distanz zu wahren: „BAYER-Experten sollen nicht direkt in den Forschungsgruppen arbeiten, aber bei Bedarf hinzugezogen werden.“ Diese Aufgabe dürften dann Beschäftigte von BLUEROCK – der Zell- und Gentherapie-Tochter des Konzerns – übernehmen, die im Zuge der Pläne mit einem Ableger in die Hauptstadt kommt. Sogar einer Art Technikfolgen-Abschätzung hat das Zentrum sich verschrieben. So beabsichtigt es, sich auch den ethischen und gesellschaftlichen Fragen zu widmen, welche die Risiken und Nebenwirkungen sowie die hohen Kosten der Verfahren aufwerfen. Das Geld für das alles kommt nicht von BAYER und Charité allein. An den Investitionskosten, die sich auf einen dreistelligen Millionen-Betrag belaufen, beteiligt sich auch das Land Berlin. Bürgermeisterin Franziska Giffey kündigte überdies an, sich zusätzlich um Finanzspritzen des Bundes zu bemühen. Das Vorhaben ist Teil einer Entwicklung, die sich bereits seit einiger Zeit abzeichnet. Die Pillen-Riesen stellen ihre teure Grundlagen-Forschung ein, überlassen sie staatlichen Stellen und stehen erst wieder auf der Matte, wenn Aussicht auf einen profitträchtigen Arznei-Kandidaten besteht.

BAYERs Biotech-Präsenz

Seit dem Kauf von BLUEROCK baut BAYER den Bereich „Zell- und Gentherapie“ kontinuierlich aus. Mittlerweile ist der Konzern in allen großen Biotech-Zentren der USA vertreten. Sowohl in Boston und San Francisco als auch in San Diego und im Research Triangle Park von North Carolina unterhält er Niederlassungen. 

ÖKONOMIE & PROFIT

BAYER rechnet sich arm #1

„Globale Unternehmen wie BAYER haben ein vitales Interesse daran, dass sie in Staaten, in denen sie tätig sind, angemessene Steuern zahlen. Nur so kann die öffentliche Hand notwendige Investitionen in Bildung, Infrastruktur und soziale Standards, aber auch die Förderung von Innovationen finanzieren“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht des Leverkusener Multis. Im Geschäftsjahr 2021 war es mit diesem Interesse aber nicht weit her. So hat der Konzern seine Steuerlast in Deutschland trotz eines gestiegenen Umsatzes – eine Zunahme von rund 14,5 Milliarden Euro auf rund 15,5 Milliarden verbuchte er hierzulande – stark minimieren können. Mit 270 Millionen Euro zahlte der Agrar-Riese 307 Millionen weniger als 2020. Ein Grund dafür liegt in dem, was er die „Änderung der Beteiligungsstruktur“ nennt. Dafür hatte die Stadt Leverkusen den Anstoß gegeben. Die Kommune kapitulierte im Steuer-Wettbewerb und ließ sich mit dem Global Player auf einen Deal ein: Absenkung der Gewerbesteuer gegen eine Rückverlagerung von BAYER-Töchtern an den Stammsitz des Konzerns. Und so sprossen dort dann plötzlich die Beteiligungsgesellschaften aus dem Boden, die mit den Niederlassungen in aller Welt Gewinnabführungsverträge unterhalten. Rund 3,5 Milliarden gelangten 2021 zusätzlich ins neue Steuer-Paradies. Auch das Eigenkapital der Briefkasten-Firmen wuchs. Das der NEUNTE BAYER VV GmbH etwa stieg von 0,491 Milliarden Euro auf 9,122 Milliarden und das der Zweiten K-W-A Beteiligungsgesellschaft mbH von 4,59 Milliarden Euro auf 6,257 Milliarden.

BAYER rechnet sich arm #2

Der BAYER-Konzern hat viele seiner Gesellschaften in Steuer-Paradiesen angesiedelt und gut mit Eigenkapital bestückt. So stattete er die im niederländischen Mijdrecht gelegenen Töchter BAYER WORLD INVESTMENTS B. V. und BAYER GLOBAL INVESTMENTS B. V. mit 38 Milliarden Euro bzw. 19 Milliarden aus. Die Niederlassung im zypriotischen Limasol kommt auf zwölf Milliarden Euro.

BAYER rechnet sich arm #3

Der BAYER-Konzern verpachtet an sich selbst, leiht sich selbst Geld und treibt auch mit sich selbst Handel, um Abgaben zu sparen. Die unternehmensinternen Geschäfte haben zumeist die Nutzung von Lizenzen für Namens- und Patentrechte zum Gegenstand. Da kam 2021 ganz schön was zusammen, wie eine Frage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) auf der letzten Hauptversammlung ergab. „Vom konzern-internen Lizenz-Volumen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro werden die Lizenz-Einnahmen in Deutschland in Höhe von vier Milliarden Euro und in den USA von 2,4 Milliarden Euro realisiert und versteuert. Korrespondierend sind die Lizenz-Aufwendungen in der Regel steuerlich abziehbar“, so BAYERs Finanz-Vorstand Wolfgang Nickl.

1,47 Milliarden Euro an Steuern

Im Geschäftsjahr 2021 machte der BAYER-Konzern einen Umsatz von 44,1 Milliarden Euro. Insgesamt zahlte er dafür 1,47 Milliarden Euro Steuern. 270 Millionen Euro in Deutschland, 1,2 Milliarden Euro im Rest der Welt.

Zielvereinbarung „Aktionärsbetreuung“

Die „Betreuung“ der Großaktionäre zählt nach Ansicht des Konzerns zu den Hauptaufgaben des Vorstandsvorsitzenden. Deshalb gehört der Austausch mit BLACKROCK & Co. zu den Ziel-Vereinbarungen, die der Aufsichtsrat und der Personalausschuss mit Werner Baumann schlossen. Bei den anderen drei Schwerpunkten handelt es sich um Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie und des Ende 2018 verkündeten Rationalisierungsprogramms sowie die „Verteidigung im Glyphosat-Rechtsstreit“.

BAYER-Aktionär Nr. 1: BLACKROCK

BAYERs größter Anteilseigner ist mit 7,17 Prozent der US-amerikanische Finanzinvestor BLACKROCK. Danach folgen mit 3,97 Prozent Singapurs Staatsfonds TEMASEK und die US-Investmentgesellschaft HARRIS ASSOCIATES mit rund drei Prozent. Die zehn größten Aktien-Halter des Konzerns besitzen rund 25 Prozent des Kapitals.

RECHT & UNBILLIG

Los Angeles vs. BAYER

Die Stadt Los Angeles hat gegen den Leverkusener Multi juristische Schritte eingeleitet, da die von dessen Tochter-Gesellschaft MONSANTO stammenden Polychlorierten Biphenyle (PCB) Wasserreinigungskosten in Millionen-Höhe verursachen. Die US-amerikanischen Behörden verboten die auch von BAYER selbst hergestellte Chemikalie zwar schon 1979, der Stoff zählt jedoch zu den schwer abbaubaren Substanzen, weshalb er sich immer noch in der Umwelt anreichert und in die Gewässer einträgt. „Seit Jahrzehnten wusste MONSANTO, dass seine in den Handel gebrachten PCB-Formulierungen hochgiftig waren und unweigerlich zu genau den Verunreinigungen und Gesundheitsrisiken führen würden, die dann auch aufgetreten sind. Dennoch hat MONSANTO die Öffentlichkeit, die Aufsichtsbehörden und seine eigenen Kunden über diese wichtigen Fakten getäuscht und behauptet, die PCB-Formulierungen seien sicher, nicht umweltgefährdend und erforderten keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen bei der Verwendung oder Entsorgung“, heißt es in der Klage-Schrift. Tatsächlich kannte das Unternehmen die Gefahren genau. Firmen-eigene Dokumente sprechen von „systemischen toxischen Effekten“. Ein Produktionsstopp kam für die Firma trotzdem nicht in Frage. Es stand „zu viel MONSANTO-Gewinn“ auf dem Spiel. In ähnlichen Verfahren zahlte BAYER bereits 355 Millionen Dollar. Dutzende weitere sind anhängig. Zudem verhandelt der Global Player mit rund 2.500 Städten über einen Sammelvergleich; zurzeit prüfen die Gerichte sein Schadensbegleichungsangebot in Höhe von 648 Millionen Dollar. Damit nicht genug, sieht sich die Aktien-Gesellschaft in den USA mit Schadensersatz-Ansprüchen von Personen konfrontiert, die ihre Gesundheitsprobleme auf ein PCB-kontaminiertes Schulgebäude zurückführen (Ticker 1/22). In bisher zwei Prozessen erhielten die Geschädigten erstinstanzlich 247 Millionen Dollar zugesprochen. Mit 200 weiteren Klagen allein von Betroffenen aus dem Umfeld dieser Schule rechnet der Agro-Riese. In seinem neuesten Geschäftsbericht erklärt er diese allesamt für unberechtigt: „Die unstreitige Beweislage in diesen Fällen gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die Kläger PCB in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß ausgesetzt gewesen sind oder dass ein Kontakt mit PCB überhaupt die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen hätte verursachen können.“

Zwei Weinbauern wollen klagen

BAYERs Antipilz-Mittel MOON PRIVILEGE (Wirkstoff: Fluopyram) hat im Jahr 2015 verheerende Schäden im Weinbau verursacht. Die Reben vertrockneten und trugen kaum Beeren; die Blätter zeigten Deformationserscheinungen. Durch den Ernte-Ausfall entstand allein schweizer Weinbauern und -bäuerinnen ein Einkommensverlust von rund 135 Millionen Franken. Ihre KollegInnen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien erlitten ebenfalls Einbußen durch das Pestizid, das der Leverkusener Multi auch unter dem Namen „LUNA PRIVILEGE“ vertreibt. Deshalb sah sich der Agro-Riese bald mit den ersten Schadensersatz-Forderungen konfrontiert. Und er zahlte sogar. Einige WinzerInnen nahmen das Angebot aber nicht an. Peter Wehrli etwa reichten die rund 360.000 Franken nicht. Er macht ein Defizit von einer Million Franken geltend und droht nun – wie auch sein Kollege Laurent de Coulon – mit juristischen Schritten. Eine Staatshaftungsklage gegen das für die Zulassung von MOON PRIVILEGE zuständige Bundesamt für Landwirtschaft hatte Wehrli bereits im Jahr 2016 eingereicht.

EPA verlängert XARELTO-Patent

Der Gerinnungshemmer XARELTO sorgt trotz seiner vielen Risiken und Nebenwirkungen (siehe DRUGS & PILLS) für mehr als zehn Prozent des Jahres-Umsatzes von BAYER. Der Patentschutz macht’s möglich. Eigentlich müsste dieser zwar schon ausgelaufen sein, aber die Konzerne können dankenswerterweise „ergänzende Schutz-Zertifikate“ beantragen und so in die Verlängerung gehen. Genau das hat der Leverkusener Multi dann auch getan und für den alten XARELTO-Wein in neuen Schläuchen – die Dosierung änderte sich von 2x pro Tag auf nur noch 1x – erneut Exklusiv-Rechte zugesprochen bekommen. Das hatte jedoch nicht lange Bestand, da Hersteller von Nachahmer-Präparaten die Entscheidung des Europäischen Patentamts anfochten. Dagegen wiederum ging der Pharma-Riese erfolgreich vor. Allerdings können die Kläger noch versuchen, den im Oktober 2021 gewährten verlängerten Patentschutz auf Länderebene zu kippen.

In Treue fest zur Scheibenpacht

Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) des Jahres 2000 wollte der Bund den Ausbau von Windkraft, Solarenergie & Co. fördern. Dazu sah er eine Abgabe über die Stromrechnung vor. Firmen, die eigene Kraftwerke besitzen, hat der Gesetzgeber jedoch von der Zahlung befreit. Das regte BAYER und andere Konzerne dazu an, sich lediglich auf dem Papier zu Kraftwerksbesitzern zu machen. „Scheibenpacht“ hieß das Mittel der Wahl. Dem Spiegel zufolge entgingen dem Staat durch diesen windigen Coup Milliarden Euro. Vor Gericht hatten die Modelle bisher keinen Bestand. „Unter Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe liegt eine Eigenerzeugung (...) nicht vor“, lautete etwa ein Urteil Wuppertaler RichterInnen. Der Leverkusener Multi zeigt aber keine Reue und steht weiterhin in Treue fest zu dieser Praxis. „Dabei handelt es sich nicht um eine Umgehung des EEG, sondern um die Umsetzung der EEG-Regelungen“, gab BAYER-Vorstand Stefan Oelrich der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf der Hauptversammlung des Konzerns am 29. April zur Antwort.

Neue ESSURE-Klage

ESSURE, BAYERs ohne Hormone auskommendes Sterilisationsmittel, beschäftigt in den USA immer noch die Gerichte. Die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich die Eileiter verschließen, hat nämlich zahlreiche Nebenwirkungen. Allzu oft bleibt das Medizin-Produkt nicht an dem vorgesehenen Ort, sondern wandert im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden innerer Organe, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. Auch Hautausschläge, Kopfschmerzen, Übelkeit und Allergien zählen zu den Gesundheitsschädigungen, über die Frauen berichten. Mit einem Großteil der Geschädigten hat der Leverkusener Multi im Jahr 2021 einen 1,6 Milliarden Dollar schweren Vergleich geschlossen. Erledigt ist der Fall „Essure“ für den Konzern damit jedoch nicht. So muss sich seit März 2022 der „US District Court for the Northern District of New York“ mit einer neuen Klage einer Betroffenen befassen.

Klage gegen Dicamba-Zulassung

Das Pestizid Dicamba, das BAYER & Co. hauptsächlich in Kombination mit ihren gen-manipulierten Pflanzen vermarkten, hinterlässt in den USA eine Spur der Verwüstung. Zahlreiche LandwirtInnen machen das Herbizid für Ernte-Schäden verantwortlich. Es bleibt nämlich nach dem Ausbringen nicht einfach an Ort und Stelle, sondern verflüchtigt sich und treibt zu Ackerfrüchten hin, die nicht gentechnisch gegen den Stoff gewappnet sind und deshalb eingehen. Das CENTER FOR FOOD SAFETY und andere Organisationen wollten das nicht länger dulden. Sie reichten Klage ein, um ein Verbot des Mittels zu erwirken.

BAYER gewinnt Glyphosat-Prozess

Im Juni 2022 verloren zwei Glyphosat-Geschädigte ihre Prozesse gegen BAYERs Tochtergesellschaft MONSANTO. Das Gericht sah das Pestizid jeweils nicht als Ursache seiner Krebs-Erkrankung an. Damit hat der Global Player die letzten vier Verfahren in der Sache für sich entschieden. Die ersten drei gewannen die KlägerInnen. Die Journalistin Carey Gillam macht als entscheidendes Kriterium für den Ausgang der Rechtsstreits die jeweiligen Qualitäten der AnwältInnen aus. Ihren Beobachtungen nach leisteten die VertreterInnen der Betroffenen in den ersten drei  gerichtlichen Auseinandersetzungen eine sehr gute Arbeit. Sie kannten viele interne Firmen-Dokumente auswendig und konnten die Geschworenen mit ihren langen Ausführungen darüber, wie MONSANTO Forschungsergebnisse manipuliert hat, überzeugen. Die JuristInnen der BAYER-Gesellschaft vermochten dem nichts entgegenzusetzen. Dann aber wendete sich das Blatt. Der Leverkusener Multi suchte sich neue Verteidiger und fand solche wie Hildy Sastre, die über viel Erfahrung mit Schadensersatz-Prozessen für Mandanten aus der Tabak- und Pharma-Branche verfügt und sich 2019 mit dem zweifelhaften Titel „effektivste Anwältin“ schmücken durfte. Leuten ihres Schlages zeigten sich die Rechtsbeistände der Krebs-Kranken in den letzten vier Fällen nicht mehr gewachsen.

Gericht kassiert Glyphosat-Zulassung

Im Juni 2022 erklärte ein US-Gericht die verläufige Glyphosat-Zulassung der „Environment Protection Agency“ (EPA) aus dem Jahr 2020 teilweise für ungültig. „Die Fehler der EPA bei der Bewertung des Risikos für die menschliche Gesundheit sind schwerwiegend“, heißt es in dem Urteil. Das „9th U.S. Circuit Court of Appeals“ gab damit der Klage des „Natural Resources Defense Councils“ und des „Pesticide Action Network North America“ statt. Den RichterInnen zufolge hatte die Behörde bei dem Genehmigungsverfahren gegen ihre eigenen Richtlinien zum Umgang mit Studien und zur Einschätzung von Krebsgefahren verstoßen und sich zudem über Bedenken des eigenen wissenschaftlichen Beirats hinweggesetzt.

Kein „War on Drugs“ mit Glyphosat

Unter dem Druck der USA hatte die kolumbianische Regierung unter Präsident Ivan Duque Vorkehrungen getroffen, die Sprüh-Einsätze mit Glyphosat zur Zerstörung von Koka-Pflanzungen trotz der großen Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt wieder aufzunehmen (siehe auch SWB 3/21). Entsprechende Pläne der Nationalpolizei genehmigte die nationale Umweltbehörde ANLA im April 2021. Dagegen erhob eine FarmerInnen-Initiave der Koka-, Amapola- und Marihuana-PflanzerInnen jedoch Einspruch und bekam im Januar 2022 vom Verfassungsgericht des Landes Recht zugesprochen. „Die ANLA konnte keine Entscheidung über eine Änderung treffen, ohne vorher alle ethnischen Gemeinschaften zu konsultieren, die möglicherweise von dem Sprühen betroffen wären“, so das Urteil. Rein virtuelle Anhörungen reichten nicht, befanden die RichterInnen. Nun muss die ANLA zunächst physische Anhörungen mit den BewohnerInnen von 104 Dörfern durchführen. Und ob danach noch etwas kommt, ist die Frage. Kolumbiens neu gewählter Präsident Gustavo Pedro hat sich im Wahlkampf nämlich gegen den „War on Drugs“ mit Glyphosat ausgesprochen.

March-AktivistInnen vor Gericht

Seit langer Zeit schon organisieren AktivistInnen am schweizer SYNGENTA-Stammsitz Basel „Marches against BAYER & SYNGENTA“. Im Jahr 2020 verlegten sie den Protest corona-bedingt weitgehend ins Internet. Lediglich vier Personen begaben sich auf die alte Demo-Route und meldeten sich von dort mit kurzen Live-Statements für die „Social Media“-Kanäle zu Wort. Aber selbst das versetzte die Polizei in Alarmbereitschaft. Gleich zweimal nahm sie Personen-Kontrollen vor, davon einmal auf Geheiß des SYNGENTA-Sicherheitsdienstes, der auch gleich angebliche Foto-Beweise zur Verletzung der Abstandsregeln beibrachte. In der Folge kam es nicht nur deshalb, sondern auch wegen Dienst-erschwerung und wegen Behinderungen von Amtshandlungen zu Anklagen. Das Gericht sah dann eine Diensterschwerung und vier Verstöße gegen die Corona-Verordungen als erwiesen an und verhängte entsprechende Strafen.

Klage wg. Impfpflicht

In den USA hat BAYER einem Beschäftigten gekündigt, weil dieser sich weigerte, Auskunft über seinen Impfstatus zu geben. Der Angestellte, der nur im Homeoffice arbeitete, zog deshalb vor das Arbeitsgericht.

FORSCHUNG & LEHRE

Druck auf WissenschaftlerInnen #1

BAYER & Co. haben massiv versucht, Einfluss auf eine Studie zur Bienengefährlichkeit bestimmter Saatgutbehandlungsmittel zu nehmen. Das deckte die Organisation U.S. RIGHT TO KNOW (US RTK) auf, die mit Verweis auf das US-amerikanische Informationsfreiheitsgesetz Einsicht in die Dokumente erhalten hatte. Die Konzerne beauftragten im Jahr 2014 über das „Crop Dust Research Consortium“ (CDRC) WissenschaftlerInnen der „Ohio State University“, nach Möglichkeiten zu suchen, Bienen besser vor giftigen Stäuben zu schützen. Die ForscherInnen um Dr. Reed Johnson und Harold Watters fanden auch gleich einen Ansatzpunkr. Sie stießen bei den Produkten,  die das Saatgut mit einer pestizid-haltigen Beize umschließen, auf eine oftmals fehlerhafte Verarbeitung, so dass sich Teile des Mantels mit den Agrochemikalien aus der Gruppe der Neonikotinoide lösten, in die Umwelt gelangten und Bienen gefährdeten. Das dokumentierten sie auch in ihrer Untersuchung, was dem Leverkusener Multi allerdings gar nicht gefiel. „BAYER hat erhebliche Bedenken gegen die Aufnahme der Fotos von Saatgut mit stark erodierter Saatgutbeschichtung“, schrieb der damalige Konzern-Manager David Fischer an Johnson und Watters. Auch drang er auf Ergänzungen, welche die Risiken und Nebenwirkungen der Neonikotinoide relativierten. „Die gemessenen Rückstandsmengen deuten NICHT auf ein nennenswertes Risiko für Honigbienen hin und erklären NICHT die in der Studie beobachtete akute Mortalität. Die obige Analyse sollte in den Bericht aufgenommen werden“, dekretierte Fischer. Tatsächlich tauchte ein entsprechender Satz schließlich im Abschlussbericht auf. Die Fotos allerdings blieben. Auch anderen Forderungen widersetzte sich das Team von der „Ohio State University“ erfolgreich.

Druck auf WissenschaftlerInnen #2

BAYER kann es nicht lassen. U.S. RIGHT TO KNOW (US RTK) zufolge (s. o.) versuchte der Leverkusener Multi in Tateinheit mit SYNGENTA noch auf eine weitere Untersuchung zur Bienengefährlichkeit von mit Pestiziden gebeiztem Saatgut Einfluss zu nehmen. Schon der Vertrag, den das Unternehmen mit der „Iowa State University“ schloss, ließ in dieser Hinsicht keine Fragen offen. Dieser ermächtigte den Konzern-Wissenschaftler Dan Schmehl nämlich, seinen KollegInnen von der Hochschule, beim „Design, der Durchführung und der Interpretation der Studie“ zur Hand zu gehen. Überdies machte der Kontrakt ganz konkrete Vorgaben. „Spezifische Methoden von BAYER werden eingesetzt, um Proben von Pollen, Nektar, Blättern, Wasser und Boden von den Feldern zu nehmen“, hieß es darin etwa. Und im Weiteren hatten die „Best-Practice-Methoden von BAYER CROPSCIENCE“ zur Anwendung zu kommen. Zur Rede gestellt, wiegelte der Leverkusener Multi ab. Er sprach lediglich von „Unterstützung (z. B. durch unverbindliche Vorschläge für Studien-Design, Datenerfassung, Daten-Analyse)“ und bekannte sich ansonsten mit großen Worten zur Freiheit der Wissenschaft.\BAYER gliedert Biologika aus

Der Leverkusener Multi gliedert seine Forschung an Agrar-Produkten auf biologischer Basis aus. Der Konzern überlässt diese vollständig dem US-Unternehmen GINKGO BIOWORKS, mit dem er bereits seit Langem kooperiert und z. B. das Joint Venture JOYN BIO betreibt. Auf eine Entwicklung von JOYN BIO setzt BAYER dann auch die größten kommerziellen Hoffnungen: ein Biologikum auf Mikroben-Basis, das eine Alternative zu traditionellem Stickstoff-Dünger bieten soll.

Fragen über Fragen

Marius Stelzmann

Tagesordnungspunkt „Konzern-Kritik“

257 Fragen hatte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zur diesjährigen BAYER-Hauptversammlung eingereicht – mehr als doppelt so viele wie beim letzten Mal. Und der Leverkusener Multi tat mal wieder alles, um sich ihnen nicht zu stellen. Vorstand und Aufsichtsrat befassten sich erst am Schluss mit dem CBG-Paket, ließen dann wegen der fortgeschrittenen Zeit keine Nachfragen mehr zu und verlasen die Antworten in einem solchen Tempo von den Monitoren, als würde es sich um einen Schnelllese-Wettbewerb handeln. Was hängenbleiben sollte: Glyphosat & Co. sind bei sachgerechter Anwendung sicher, einen kausalen Zusammenhang zwischen irgendeinem Produkt des Konzerns und einer Gesundheitsschädigung gibt es nie und auch sonst läuft alles rund beim Global Player. Noch Fragen? Ja, so einige.

Von Jan Pehrke

„2021 war ein richtig gutes Jahr für BAYER“, verkündete der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann auf der Hauptversammlung des Konzerns in seiner Eröffnungsrede. „Seit Jahresbeginn hat unsere Aktie um 40 Prozent zugelegt“, jubilierte er. Um fast neun Prozent auf 44,1 Milliarden Euro stieg der Umsatz. Im Agrar-Bereich florierte vor allem der Absatz von gentechnisch verändertem Soja- und Maissaatgut. Aber nicht nur das. „Auch unser Geschäft mit Herbiziden hat deutlich zugelegt“, freute sich der Ober-BAYER über die – vor allem höheren Glyphosat-Preisen zu verdankenden – guten Erträge dieses Segments. Die Pharma-Sparte machte derweil mit dem Augen-Präparat Eylea und dem Gerinnungshemmer Xarelto mehr Gewinn. Zudem konnte der Global Player einen Corona-Effekt verbuchen. Da sich „die Verbraucherinnen und Verbraucher in Folge der Pandemie stärker auf ihre tägliche Gesundheit konzentrieren“, verkaufte das Unternehmen mehr Nahrungsergänzungsmittel und andere bunte Pillen.

Im Angesicht von COVID-19 und Krieg betrachtet Baumann die Produkte des Leverkusener Multis als „systemrelevant“, decken diese nach seinem Dafürhalten doch die „Grundbedürfnisse Gesundheit und Ernährung“ ab. Dabei landen die Erzeugnisse der Landwirtschaftsabteilung vornehmlich in den Tanks oder den Trögen der Massentierhalter statt auf den Tellern. Und an wirklich essenziellen Arzneimitteln herrscht im Hause BAYER ebenfalls Mangel. Die Aktien-Gesellschaft aber reklamiert den Status der Unabdingbarkeit für sich, um sich schon mal in eine gute Position zu bringen, falls es in Folge der Kämpfe in der Ukraine zu einer Rationierung von Energie kommen sollte. Der Konzern will ganz vorne mit dabei sein, „wenn es darum geht, sehr kritische Produktion im Verhältnis zu weniger kritischen Produktionen zu privilegieren“, wie Baumann in einem Interview mit dem Podcast The Pioneer Briefing betonte.

Dem BAYER-Chef folgte der Aufsichtsratsvorsitzende Norbert Winkeljohann mit einem Tätigkeitsbericht. An erster Stelle der Arbeit des Gremiums stand im Geschäftsjahr 2021 die Kontakt-Pflege mit den Aktien-HalterInnen des Unternehmens. Mit nicht weniger als 40 Prozent des Aktionariats fanden Gespräche statt – des Aktionariats wohlbemerkt, nicht der Aktionär-Innen. Die Unterredungen beschränkten sich auf Big Player wie BLACKROCK, die große Anteile an dem Global Player besitzen. Dabei ging es unter anderem um die von nicht wenigen Finanzmarkt-Akteuren geforderte Aufspaltung des Konzerns. So hatte die Investmentbank GOLDMAN SACHS jüngst den Mehrwert einer Zerschlagung auf 26 Milliarden Dollar beziffert. Um diesem Druck zu begegnen, gab der Agro-Riese laut Winkeljohann „eine unabhängige Studie zu verschiedenen Werthebeln zur Steigerung des Unternehmenswerts“ in Auftrag, die erwartungsgemäß feststellte, „dass der Wertabschlag der Aktie gegenüber dem inneren Wert nicht durch die Struktur des Portfolios von BAYER bedingt ist“. Die Diskussion dürfte dennoch weitergehen.

Sogar eine spezielle „Investorenstudie“ brachte der Multi auf den Weg, die laut Winkeljohann dazu diente, „das Meinungsbild aus meinen Gesprächen mit den Aktionärinnen und Aktionären“ zu ergänzen. Daneben musste der Aufsichtsrat sich im Geschäftsjahr 2021 noch schwerpunktmäßig mit Glyphosat und anderen Rechtskomplexen beschäftigen und die exorbitante Vergütung der Vorstände eintüten. Damit hatte der Oberaufseher angesichts der guten Zahlen aber kein Problem. Er lobte am Schluss seiner Ausführungen „die volle Fokussierung unseres Vorstands und der rund 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit auf die operative Outperformance und die strategischen Prioritäten des Unternehmens“.

257 Fragen

Bei dieser Fokussierung geriet so manch anderes aus dem Blick. Das setzten dann die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) und ihre Bündnispartner auf die Tagesordnung der Hauptversammlung. Schon im Vorfeld hatte die Coordination Gegenanträge zu Themen wie Glyphosat, Doppelte Standards, Gewinn-Verteilung, Entlohnung der Vorstände und Steuerspar-Modelle sowie zwei Stellungnahmen zu den Risiken und Nebenwirkungen einer rein auf Rendite orientierten Geschäftspolitik eingereicht. Zudem stellte die CBG BAYER nicht weniger als 257 Fragen zu, die Gruppen wie die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL), der BUND oder das GEN-ETHISCHE NETZWERK sowie sie selbst formuliert hatten. Insgesamt gingen beim Konzern 665 Fragen von 36 AktionärInnen oder Organisationen wie der „Schutzgemeinschaft der deutschen Wertpapieranleger“ ein, der Löwenanteil kam also über die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN.

Auf die Antworten musste sie allerdings lange warten. Der Leverkusener Multi fand erst am Schluss Zeit, sich ihnen zu widmen und beschnitt der Coordination überdies das Recht, Nachfragen zu stellen. Kaum dass Versammlungsleiter Norbert Winkeljohann die ersten Fragen abgearbeitet hatte, da erklärte er bereits: „Die Hauptversammlung dauert nun bereits mehr als viereinhalb Stunden, und es liegen noch mehr als 300 Fragen vor (...) Ich möchte deshalb bereits jetzt ankündigen, dass wir die Nachfrage-Möglichkeit in zehn Minuten schließen werden.“ Damit nicht genug, machten die BAYER-ManagerInnen mit dem von der CBG eingereichten Konvolut kurzen Prozess und hetzten in einem Affenzahn durch das, was ihnen das Backoffice zu Glyphosat & Co. so aufgeschrieben hatte. Der Verzicht auf die Nennung der Namen und der jeweiligen Organisation taten dann ein Übriges, um zum Unverständnis der Kritik beizutragen

Die virtuelle Hauptversammlung erweitert das Spektrum für solche Operationen ungemein, deshalb hat BAYER – anders als etwa die TELEKOM – dieses Format auch heuer wieder gewählt. Natürlich lautet die offizielle Begründung anders. Bei der Planung wäre mit Blick auf die Pandemie noch nicht absehbar gewesen, ob eine Präsenz-Veranstaltung wieder möglich sein würde, so Werner Baumann. Für das nächste Jahr wollte er sich ebenfalls noch nicht festlegen. Der BAYER-Chef begrüßte aber das Vorhaben der Bundesregierung, die Online-HVs mittels einer Änderung des Aktien-Gesetzes zu einer Dauer-Option für die Konzerne zu machen und entdeckte dabei sogar plötzlich den Naturfreund in sich. „So würde weiterhin möglichst vielen Aktionären ohne Reiseaufwand die Teilnahme an der Hauptversammlung ermöglicht, Kosten auf Seiten der Aktionäre und der Gesellschaft gespart und auch die Umwelt geschont“, meinte er. Allerdings zeigte Baumann sich mit dem gegenüber dem ReferentInnen-Entwurf noch einmal geänderten Regierungsentwurf nicht zufrieden, erweitert dieser doch die Beteiligungsrechte der AktionärInnen nicht unwesentlich. Dementsprechend lehnte das Unternehmen dann auch die Forderung ab, im Anschluss an das AktionärInnen-Treffen alle Fragen und Antworten ins Internet zu stellen, wäre dadurch doch eindrucksvoll dokumentiert, wie wenig der Konzern sich gewillt zeigt, auf die KritikerInnen einzugehen.

Der Glyphosat-Komplex

Die meisten Fragen erreichten den Global Player zum Thema „Glyphosat“, und wie einen Sermon betete er kaum variierte Phrasen herunter: „Glyphosat ist bei sachgerechter Anwendung sicher und nicht krebserregend für den Menschen“, „Glyphosat stellt kein Risiko für menschliche Gesundheit dar“, „Seit mehr als 40 Jahren stufen Behörden und wissenschaftliche Institute Glyphosat als sicher und damit nicht krebserregend ein“, „Wir stehen zur Sicherheit von Glyphosat“, „Jahrzehntelang haben sich die Landwirte auf Glyphosat verlassen als ein sicheres und effizientes Produktionsmittel“ usw.

Die Glyphosat-Untersuchung der „Internationalen Agentur für Krebsforschung“ (IARC), einer Unterorganisation der Weltgesundheitsorganisation, die das Resultat „wahrscheinlich krebserregend“ erbrachte, tat BAYER leichthin ab. „Die Einschätzung der IARC beruht nicht auf realen Bedingungen, sondern auf einer kleinen und selektiven Auswahl von Studien. In dieselbe Kategorie wie Glyphosat stuft die IARC auch heiße Getränke über 65 Grad Celsius, rotes Fleisch, Schichtarbeit und den Frisör-Beruf ein“, hielt Finanzvorstand Wolfgang Nickl fest. Auch andere wissenschaftliche Arbeiten, die zum selben Ergebnis wie die IARC kamen, erkannte er nicht an. Schwieriger wurde es für ihn mit Befunden aus den eigenen Reihen. Der Biologie-Professor Gilles-Eric Seralini konfrontierte Nickl mit Aussagen der Konzern-Toxikologin Donna Farmer, die in einem Glyphosat-Schadensersatzprozess von krebserregenden Erdöl-Rückständen in dem Herbizid und fehlenden Langzeitstudien zu seinen gesundheitsschädlichen Wirkungen gesprochen hatte. Da verweigerte der BAYER-Manager lieber die Antwort: „Ohne einen Verweis auf das konkrete Gerichtsverfahren und die konkreten Äußerungen, die Dr. Farmer in diesem Gerichtsverfahren getätigt haben soll, können wir zu Ihrer ersten Frage nicht konkret Stellung nehmen.“

Zu dem ganzen Rechtskomplex „Glyphosat“ verlangten unter anderem die AbL, der BUND, AURELIA und JUSTICE PESTICIDES Auskunft. 138.000 Geschädigte haben den Leverkusener Multi bis jetzt verklagt. Mit 31.000 von ihnen steht – vier Jahre seit dem ersten Prozess – eine Einigung immer noch aus, und der Konzern beeilt sich weiterhin nicht sonderlich. Ende Mai 2021 ließ er die Vermittlungsgespräche platzen. Stattdessen setzte das Unternehmen darauf,  dass sich der Oberste Gerichtshof der USA der Glyphosat-Sache annimmt und ein Grundsatz-Urteil in seinem Sinne fällt. Das lehnte dieser sechs Wochen nach der Hauptversammlung allerdings ab. Er nahm den Fall „Hardeman v. MONSANTO“ nicht zur Entscheidung an (s S. 10 ff.).

Zu allem Übel kann Glyphosat nicht nur Krebs und andere Krankheiten auslösen, es schädigt auch die Umwelt. So ist das Ackergift etwa ein veritabler Klima-Killer. Um sein Vorprodukt Phosphor aus dem Sediment-Gestein Phosphorit zu gewinnen, muss der Ofen am Standort Soda Springs nämlich auf eine Betriebstemperatur von 1500 °C kommen, was enorm viel Energie verschlingt. Und heuer durfte es noch ein bisschen mehr sein. Das ergab die Antwort auf eine Frage nach den Gründen für den gewachsenen Kohle-Anteil am Energie-Mix des Agro-Riesen, die CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann gestellt hatte. „Der Anstieg an der Nutzung von Kohle als Primärenergie geht auf den Standort Soda Springs in den USA zurück. Der Standort betreibt einen Brennofen zur Phosphat-Gewinnung, bei dem 2021 mehr Kohle als im Vorjahr eingesetzt wurde“, erläuterte Pharma-Vorstand Stefan Oelrich. Anstalten, die Dreckschleuder vom Netz zu nehmen oder zumindest zu sanieren, macht BAYER vorerst nicht, um dieses Thema wand Oelrich sich herum.

Auch die Gewässer belastet das Herbizid. In Spanien etwa fanden sich Rückstände in 31 Prozent der Flüsse und Seen, wie eine von den ECOLOGISTAS EN ACCIÓN initiierte Studie nachwies. Aber Wolfgang Nickl wiegelte ab und beschied den ECOLOGISTAS: „Die in Oberflächen-Gewässern und Grundwasser typischerweise anzutreffenden Umwelt-Konzentrationen stellen kein Risiko für Öko-Systeme oder die menschliche Gesundheit dar.

Der Konzern steht weiterhin in Treue fest zu dem Pestizid, weil es nach den beiden Arzneien XARELTO und EYLEA sein umsatzträchtigstes Produkt ist. Und auch den ganzen MONSANTO-Deal bereut der Global Player nicht. „Die strategische Rationale war und ist richtig und die aktuelle Performance des kombinierten Geschäfts unterstreicht dieses sehr deutlich“, bekundete Nobert Winkeljohann. Sollte die EU sich gegen eine Zulassungsverlängerung für Glyphosat entscheiden, litte die zukünftige Performance des Agro-Riesen immens. Darum bemüht er sich nach Kräften, das Mittel am Markt zu halten. So entfaltet die Aktien-Gesellschaft in Brüssel umfangreiche Lobby-Aktivitäten, wie sie der CBG auf der Hauptversammlung eröffnete. Unter anderem engagierte BAYER zu diesem Behufe die Agentur RUD PEDERSEN GROUP und stattete sie mit einem Etat von 1,3 Millionen Euro aus.

Aber nicht nur Glyphosat, auch andere Agrochemikalien bereiten massive Probleme, zu denen das Management an diesem Tag Stellung nehmen musste. Das Herbizid Dicamba etwa, das der Leverkusener Multi hauptsächlich in Kombination mit gentechnisch gegen die Substanz immunisierten Gewächsen anbietet, hat enorme Ernte-Schäden verursacht. Der Wind treibt das Produkt nämlich zu Ackerfrüchten hin, die dem Stoff nichts entgegenzusetzen haben und deshalb eingehen. In der Folge sieht sich der Konzern mit zahlreichen Schadensersatz-Ansprüchen konfrontiert. Und die lateinamerikanischen Pestizid-KritikerInnen von RAPAM und RAP-AL setzten die bienenschädigende Wirkung von BAYERs Mitteln aus der Gruppe der Neonikotinoide auf die Tagesordnung der Hauptversammlung. Zu hören bekamen sie wieder das Übliche. „Viele Aufsichtsbehörden haben weltweit nach sorgfältiger Prüfung bestätigt, dass Neonikotinoide für Mensch und Umwelt sicher angewendet werden können“, so Werner Baumann. Dass die Aufsichtsbehörden der Europäischen Union nicht dazu zählen, verschwieg er wohlweislich. Die EU hat die Wirkstoffe Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam bereits 2018 aus dem Verkehr gezogen. Im Rest der Welt vertreibt der Global Player seine Neonikotinoide trotzdem weiter.

Doppelte Standards

Zu dieser Politik der doppelten Standards, die sich bei Weitem nicht auf die Bienenkiller beschränkt, mussten sich Baumann & Co. viele Fragen gefallen lassen, etwa die von der brasilianischen Chemikerin Sonia Corina Hess: „Warum stellen Sie nicht die Produktion und den Verkauf von Produkten ein, die in der EU verboten sind? Wir sind auch Menschen! Auch unsere Kinder werden durch die verbotenen Gifte krank!“ Die brasilianische Geografin Larissa Mies Bombardi, die der Druck der Agro-Industrie aus dem Land trieb, zählte nicht weniger als 15 innerhalb der Europäischen Union nicht mehr zugelassene, in dem lateinamerikanischen Staat aber weiter erhältliche Agrochemikalien auf und wollte wissen: „Wann und in welcher Form hat der BAYER-Vorstand die Aktionäre darüber informiert, dass in Brasilien alle zwei Tage ein Mensch an einer Pestizid-Vergiftung stirbt?“ Und auch Eliane Fernandes Ferreira von der GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER, Lena Luig von INKOTA, Karen Friedrich vom brasilianischen Verband für kollektive Gesundheit ABRASCO sowie VertreterInnen von RAPAM, RAP-AL und der CBG stellten das Unternehmen zum Thema „doppelte Standards“ zur Rede. Werner Baumann aber leugnete deren Existenz schlicht: „Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus. Auch viele andere Zulassungsbehörden aus der ganzen Welt verfügen über eine sehr robuste und hochentwickelte Regulierungssystematik zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Ihre Bewertungen spiegeln die jeweiligen spezifischen agronomischen Bedingungen der jeweiligen Länder wider und stellen mitnichten einen sogenannten Doppelstandard dar.“ Als Beispiele für diese spezifischen agronomischen Bedingungen führte er die klimatischen Verhältnisse und den „Schädlingsdruck“ an, was Ultragifte erfordere.

Zum Fall „Bombardi“ mochte der Große Vorsitzende sich nicht weiter äußern. Der CBG-Frage: „Pestizid-KritikerInnen sind in Brasilien vielen Bedrohungen ausgesetzt. Die Wissenschaftlerin Larrissa Bombardi hat sich deshalb entschließen müssen, das Land zu verlassen. Wie beurteilt BAYER den Umgang der brasilianischen Agrar-Lobby mit UmweltschützerInnen? Setzt sich der Konzern innerhalb der Industrie-Verbände für ein zivilisiertes Vorgehen ein?“ wich der Vorstandsvorsitzende aus. Seine Nicht-Antwort lautete: „BAYER bekennt sich uneingeschränkt zur Wahrung der Menschenrechte und steht für Vielfalt, Toleranz, Respekt und Dialog (...) Wir verpflichten uns, die Menschenrechte zu achten, zu fördern und transparent darüber zu berichten, und das gilt für jedes Land auf dieser Erde, in dem BAYER aktiv ist.“ Der Umgang mit Gilles-Eric Seralini zeigt etwas anderes. Der Wissenschaftler hielt der BAYER-Tochter MONSANTO auf der Hauptversammlung vor, eine Schmutzkampagne gegen ihn initiiert und ihn auf der schwarzen Liste mit missliebigen Personen geführt zu haben, deren Veröffentlichung im Jahr 2019 einen großen Skandal auslöste (SWB 3/19). Das alles stritt Wolfgang Nickl jedoch ab: „Beide Vorwürfe weisen wir entschieden zurück.“

Risiko-Technologien

Die Kritik von AbL, BUND, TESTBIOTECH, AURELIA-Stiftung und GEN-ETHISCHEM NETZWERK an den alten und neuen Gentechniken, mit denen der Leverkusener Multi mittlerweile drei Viertel seines Umsatzes im Bereich Saatgut macht, wies Nickls Kollege Werner Baumann ebenso entschieden zurück.  Was die unkontrollierte Ausbreitung von BAYERs Gentech-Baumwolle in Mexiko anging, so versicherte er Christoph Then von TESTBIOTECH: „Hinweisen auf Kontaminationen bzw. Auskreuzungen gehen wir selbstverständlich umgehend und konsequent nach.“

Bei den neuen Gentechniken setzt der Konzern vor allem auf die Ribonukleinsäure-Interferenz (RNAi), die unter anderem bei dem Mais der SMARTSTAX-PRO-Produktreihe zum Einsatz kommt. Das Verfahren basiert auf der Ribonukleinsäure des für den Maiswurzelbohrer überlebenswichtigen Gens SNF7. Das Schadinsekt nimmt es beim Knabbern an der Pflanze auf und setzt damit einen Selbstzerstörungsprozess in Gang, denn sein Organismus hält die RNA wegen ihrer doppelsträngigen Struktur für einen Virus und bekämpft mit ihr auch sein SNF7-Gen. Allerdings beschränken sich die Effekte nicht darauf. Es gibt eine Reihe weiterer Auswirkungen. Zudem haben dem GEN-ETHISCHEM NETZWERK zufolge BAYER-ForscherInnen selbst im Labor bereits Maiswurzelbohrer beobachtet, denen das Prozedere nichts anhaben konnte. Darauf ging Baumann jedoch nicht ein. Er blieb allgemein: „Bei CROPSCIENCE überprüfen wir während der Entwicklungsphase alle unsere Produkte in behördlich vorgeschriebenen und international vorgeschriebenen Tests auf ihre Sicherheit für den Anwender, die Umwelt und die Konsumenten.“ Und zu den Sprays, die das Unternehmen als Pestizid-Ersatz auf der Basis von Ribonukleinsäure entwickelt, fiel seine Antwort fast gleichlautend aus. „Während der Entwicklungsphase untersuchen wir unsere Pflanzenschutzmittel in behördlich vorgeschriebenen und international standardisierten Tests nicht nur auf ihre Wirksamkeit und Umweltverträglichkeit, sondern auch den Umfang und die Verteilung von möglichen Rückständen in und auf den Pflanzen. Daneben haben wir interne Verfahren festgelegt, die für einen verantwortungsvollen Einsatz unserer Produkte über deren gesamten Produktlebenszyklus sorgen“, so der Vorstandsvorsitzende.

Den Schutz geistigen Eigentums reklamiert der Konzern dabei nicht nur für SMARTSTAX & Co. und Gentech-Saatgut älterer Bauart, sondern zugleich für nicht wenige konventionelle Saaten. Die ins Kraut schießenden Patente erschweren dabei immer mehr ZüchterInnen ihre Arbeit, da diese Klagen von BAYER & Co. fürchten müssen. Trotzdem kennt der Leverkusener Multi kein Pardon. „Gewerbliche Schutzrechte, einschließlich Patenten, Geschäftsgeheimnissen, Marken-, Muster und Sortenschutzrechten sind ein wichtiger Bestandteil eines Innovationsprozesses, vor allem wenn er mit hohen Investitionen, spezialisierter Forschung und auch einem hohen Misserfolgsrisiko einhergeht (...) Ohne einen effektiven Patentschutz sind Produktentwicklungen und Forschungsinvestitionen im streng regulierten Lifescience-Sektor einfach nicht umsetzbar“, erklärte Baumann. Von der Kritik an dieser Praxis herausgefordert, sah sich der Global Player nach der Hauptversammlung sogar bemüßigt, an die Öffentlichkeit zu gehen und in der Agrar-Fachpresse für seinen Standpunkt zu werben. „Rechte an geistigem Eigentum spielen eine wichtige Rolle bei Innovationen, einschließlich den Entwicklungen in der Pflanzen-Züchtung. Mit diesen Worten hat die BAYER AG die Kritik gentechnik-ablehnender Organisationen, darunter die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) an ihrem Kurs zurückgewiesen“, vermeldete top agrar online.

Die Schadensbilanz der CROPSCIENCE-Sparte, welche die KritikerInnen am 29. April – gezwungenermaßen im Gewand von Fragen – vorlegten, war beeindruckend. Dennoch beharrte der Vorstand auf der Systemrelevanz dieser Geschäfte. Angesichts der Knappheiten auf den Nahrungsmittel-Märkten infolge des Ukraine-Krieges sah er das agro-industrielle Modell im Aufwind und redete einer Intensivierung der Landwirtschaft das Wort.  „Mittel- und langfristig müssen wir es schaffen, auf weniger Ackerland und mit weniger Einsatz von Ressourcen mehr zu produzieren“, meinte Werner Baumann.

Große Beeinträchtigungen für die BAYER-Aktivitäten durch die Kämpfe machte er nicht aus, weil sich das Engagement des Konzerns in Russland und in der Ukraine in Grenzen hält. Aber ganz spurlos geht die Zeitenwende auch an dem Leverkusener Multi nicht vorbei. „In der Tat hat die aktuelle geopolitische Lage eine Prüfung einzelner Aspekte unserer Strategie im Hinblick auf unsere geografische Präsenz ausgelöst. Wir müssen leider davon ausgehen, dass die implizite Grundannahme eines freien Welthandels, der eine Optimierung nach rein ökonomischen Effizienz-Gesichtspunkten erlaubt, nicht uneingeschränkt gilt“, bedauerte der Unternehmenschef.

Weitere Nicht-Antworten

In unmittelbarer Nähe der Hauptversammlungs-Sendezentrale hatte sich im Sommer letzten Jahres die größte Chemie-Katastrophe in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalens ereignet. Bei der Explosion im Tanklager des Entsorgungszentrums des Chemie„park“-Betreibers CURRENTA starben sieben Menschen. 31 trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Der Leverkusener Multi trennte sich zwar bereits 2019 von seinen CURRENTA-Anteilen, ist jedoch alles andere als unschuldig am Störfall. Der Chemie„park“, wie er jetzt dasteht, ist nämlich zu großen Teilen BAYERs Werk. Sowohl die überirdische Stromversorgungsleitung, welche die Arbeit der Feuerwehr behinderte, als auch die Tanks, die so dicht nebeneinander standen, dass es zu einem Domino-Effekt kam, legte einst der Global Player an. Aber mit den Worten: „Die Anlagen-Teile, die in Mitverantwortung von BAYER bis 2019 errichtet wurden, waren behördlich geprüft und genehmigt“ zog Werner Baumann sich aus der Affäre. Ähnlich einsilbig fiel seine Antwort auf die Frage aus, warum die CURRENTA schon in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Leverkusener Multi mehr per- und polyfluorierte Alkyl-Substanzen (PFAS) als erlaubt in den Rhein eingeleitet hat: „Für den betroffenen Stoff gibt es Orientierungswerte, und laut CURRENTA ist dies innerhalb der mit den Behörden abgestimmten Regeln erfolgt.“ Orientierungswerte für PFAS gibt es in der Tat, nur hat sich die CURRENTA daran leider nicht orientiert, sie überschritt die Zahlen mit ihren Gift-Frachten deutlich. Damit nicht genug, landete im Zuge der Explosion mit dem Löschwasser auch ein orginaler BAYER-Stoff im Rhein: das bienengefährliche, in der EU seit 2018 verbotene Pestizid Clothianidin. Der Agro-Riese stellt die Substanz in Dormagen her, wo es eine eigene Sondermüll-Verbrennungsanlage gibt. Trotzdem landete das Neonikotinoid in Leverkusen. Für CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann warf dieser Müll-Tourismus einige Fragen auf – für Baumann jedoch nicht: „Bei der Entsorgung von Rückständen entscheiden wir nach den besten Lösungen unter diversen Gesichtspunkten sowie der verfügbaren Kapazitäten der in Frage kommenden Anlagen.“

Nach den besten Lösungen unter diversen Gesichtspunkten entscheidet der Konzern auch in Sachen „Steuern“. Für die zuständigen Finanzbehörden kommen dabei zumeist die unter allen Gesichtspunkten schlechtesten Lösungen heraus. 2016 etwa verschmolz das Unternehmen nach der Aufgabe des Holdings-Modells die Sparten „BAYER PHARMA AG“ und „BAYER CROPSCIENCE“ nicht zu einer Einheit, sondern band die Sektionen mittels Betriebspacht-Verträgen an die BAYER AG. „[E]in System, das sich unter anderem aufgrund der steuerlichen Rahmenbedingungen als beste Lösung herausstellte“, lobte das Wirtschaftsanwaltsportal JUVE sogleich. Die CBG erkundigte sich nun nach dem konkreten Ertrag des Coups: „Wie viele Steuern sparte BAYER im Geschäftsjahr 2021 durch das Betriebspacht-Modell?“ Finanz-Vorstand Wolfgang Nickl aber will das Instrument nur genutzt haben, um „unverhältnismäßig hohe steuerliche Mehrbelastungen“ zu vermeiden. Doch der Leverkusener Multi verpachtet nicht nur an sich selbst, er hat sich noch andere Mittel zur Produktion künstlicher Kosten erschlossen, welche die Abgaben-Last senken. So leiht er sich selbst Geld und treibt Handel mit sich, beispielsweise mit Namensrechten und Lizenzen. Nickl nennt das jedoch anders: „Wir betreiben keinen internen Handel, sondern stellen dem operativen Geschäftsbetrieb von BAYER die notwendigen Namensrechte und Lizenzen zur Verfügung.“ Auf jeden Fall kommt bei diesem kapitalistischen Surrealismus auf der Einnahme- und Ausgabenseite ziemlich viel heraus, was sich positiv auf die Konzern-Bilanz auswirkt. „Vom konzern-internen Lizenz-Volumen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro werden die Lizenz-Einnahmen in Deutschland in Höhe von vier Milliarden Euro und in den USA von 2,4 Milliarden Euro realisiert und versteuert. Korrespondierend sind die Lizenz-Aufwendungen in der Regel steuerlich abziehbar“, so der Manager. Einer der Marktplätze für diese Geschäfte liegt sinnfälligerweise in der Steuer-Oase Zypern. Die CBG erbat nun Informationen darüber, was die betreffende, über ein Eigenkapital von nicht weniger als zwölf Milliarden Euro verfügende Gesellschaft dort im Einzelnen so treibt. Und der Finanzchef kam dem in Teilen auch nach: „Auf Zypern unterhält BAYER Marketing-Dienstleistungen und Finanzierungsfunktionen. Im Jahr 2021 waren in Zypern acht Mitarbeiter bei BAYER beschäftigt.“

Zum Schluss eine Klatsche

Der Aufsichtsrat zeigte sich mit der Arbeit Wolfgang Nickls und seiner VorstandskollegInnen hochzufrieden und entsprechend erkenntlich. Allein dem Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann bewilligte er ein Salär von 8,2 Millionen Euro inklusive Pensionszusagen. Da bestand für die Coordination Klärungsbedarf. „Es wurde danach gefragt, ob es angemessen ist, dass das Gehalt des Vorstandsvorsitzenden das 95-Fache des durchschnittlichen Jahres-Lohns eines Tarif-Beschäftigten bei BAYER beträgt und wir dies als sozialverträglich erachten“, hob der Aufsichtsratsvorsitzende Norbert Winkeljohann an und verlor sich dann in längeren Ausführungen, an deren Ende er den Vorschlag des Personalausschusses als „absolut angemessen“ bezeichnete. Auch darüber, die enorme Einkommensspreizung in einem ersten Schritt auf den Faktor 20 zurückzuführen, ließ er nicht mit sich reden: „Darin sehen wir aus verschiedenen Gründen keinen Mehrwert.“

Dafür erteilten die AktionärInnen BAYER die Quittung. Mit einer deutlichen Mehrheit von fast 76 Prozent lehnten sie die Gehaltsvorstellungen ab. Sie hatten dafür allerdings andere Gründe als die CBG. Ihnen war es vor allem darum zu tun, Baumann & Co. den infolge des MONSANTO-Deals und der Glyphosat-Prozesse gefallenen Aktienkurs in Rechnung zu stellen. Aber auch zu den anderen Tagesordnungspunkten fuhr der Leverkusener Multi nicht mehr die Traumergebnisse der Prä-MONSANTO-Zeiten ein. So votierten etwa rund 18 Prozent des Aktionariats gegen die Entlastung der Vorstandsriege. 

„Klatsche für den BAYER-Vorstand“, resümierte das Manager Magazin. Und die Börsen-Zeitung befand: „Es war die Rache des Kleinaktionärs, die BAYER am Freitag in der dritten virtuellen Hauptversammlung zu spüren bekam. 665 Fragen hatten die Aktionäre schriftlich eingereicht, davon 400 wenige Minuten vor Ablauf der Frist. Zum Vergleich: In der ersten virtuellen Veranstaltung 2020 waren es 245 Fragen. Mehr als acht Stunden nahm sich die Verwaltung für die Beantwortung Zeit, spielte Videobotschaften ein und ließ überdies Nachfragen zu. Und dennoch ist es BAYER auch vier Jahre nach der folgenschweren Übernahme von MONSANTO nicht gelungen, das Vertrauen der Anteilseigner zurückzugewinnen.“

Das war es dann aber auch mit der schlechten Presse. Ansonsten hielt sich die Aufregung über die Ablehnung der ManagerInnen-Entlohnung skandalöserweise in Grenzen. Und der Konzern sah sich weder in diesem Punkt  veranlasst, Buße zu tun, noch bei den anderen 256 von Coordination gegen BAYER-Gefahren in Frage-Form gekleideten Anklage-Punkten. Es bleibt also noch viel zu tun. ⎜

Abstimmungsergebnisse (je Aktie eine Stimme)

Der BAYER-Konzern hat ca. 627 Tsd. AktionärInnen. Sie halten etwa 983 Mio. Aktien mit einem Kapitalwert von 2,6 Mrd. Euro (2,56 Euro je Aktie).

Die 10 größten institutionellen Anleger, darunter BLACKROCK, halten zusammen 25 Prozent aller Aktien.

Auf der HV waren etwa 2.000 Aktionär-Innen vertreten.

Abstimmungen auf Hauptversammlungen der Konzerne werden bestimmt von dem Block der ca. 1 Prozent GroßaktionärInnen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.). Sie besitzen bis zu 90 und mehr Prozent aller anwesenden Aktien.

Die vielen hunderttausend KleinaktionärInnen bei BAYER besitzen zusammen lediglich fünf bis zehn Prozent aller Aktien. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse und NEIN-Stimmen.

Die Kritischen AktionärInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) stimmen bei allen Tagesordnungspunkten mit NEIN und fordern die anderen AktionärInnen auf, dies ebenfalls zu tun. Der Erfolg dieser Anträge wird deutlich an den Gegenstimmen zu den Anträgen des Vorstands. Die Nein-Stimmen und Enthaltungen bei ca. 600 Mio. anwesenden Aktien wie folgt:

Gewinnverwendung

Die CBG hat vorgeschlagen, die Gewinnausschüttung auf NULL Euro zu senken. Da das gesetzlich nicht möglich ist, hat sie empfohlen, nur zehn Cent auszuschütten und die Gewinne stattdessen für BAYER-Geschädigte, Wiederherstellung von Umweltschäden, Wiedergutmachung für Verbrechen und Mord in der Nazi-Zeit und sozial gerechte Löhne zu verwenden. Da zunächst der Gewinnvorschlag des Vorstands beraten wurde, forderte die CBG alle AktionärInnen auf, mit NEIN zu stimmen.

Nein-Stimmen 4,6 Mio.     0,8 %

Enthaltungen 11,2 Mio.     1,9 %

Summe       15,8 Mio.      2,7 %

Entlastung Vorstand

Die CBG hat vorgeschlagen, die Mitglieder des Vorstands nicht zu entlasten, weil sie verantwortlich sind für Verbrechen an Mensch und Umwelt, für Profitgier und Ausbeutung. Da zunächst der Vorschlag des Vorstands auf Entlastung beraten wurde, forderte die CBG alle AktionärInnen auf, mit NEIN zu stimmen.

Nein-Stimmen 102,4 Mio. 17,9 %

Enthaltungen 21,1 Mio.     3,7 %

Summe     123,5 Mio.    21,6 %

Entlastung Aufsichtsrat

Die CBG hat vorgeschlagen, die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht zu entlasten, weil sie verantwortlich sind für Verbrechen an Mensch und Umwelt, Profitgier und Ausbeutung. Da zunächst der Vorschlag des Vorstands auf Entlastung beraten wurde, forderte die CBG alle AktionärInnen auf, mit NEIN zu stimmen.

Nein-Stimmen 95,8 Mio. 16,8 %

Enthaltungen 21,2 Mio.     3,7 %

Summe      116,8 Mio.    20,5 %

Bei den Einzelabstimmungen für die KandidatInnen zum Aufsichtsrat gab es bis zu 26 % NEIN-Stimmen.

Die meisten Gegenstimmen kassierte BAYER bei seinem Vorschlag zur maßlosen Vergütung der Vorstände mit ca. 450 Mio. bzw. 75,9 % NEIN-Stimmen., Die sechs Vorstandsmitglieder kassierten knapp 30 Mio. Euro, wovon der Vorsitzende alleine 8,2 Mio. Euro erhielt.

Frisierte Ergebnisse bei den Abstimmungen

Wenn bei BAYER abgestimmt wird, dann nach BAYER-eigenen Regeln. Ergeben in üblichen demokratischen Abstimmungen die Nein-Stimmen, die Ja-Stimmen und die Enthaltungen eine Summe von 100 Prozent aller abgegebenen und gültigen Stimmen, so werden bei BAYER nur die Ja- und die Nein-Stimmen gezählt, die Enthaltungen und andere ungültige Stimmen fallen komplett unter den Tisch.

Bis zum Jahr 2020 wurden von BAYER trotz aller Proteste sogar die Enthaltungen der Öffentlichkeit komplett vorenthalten. Erst zur Hauptversammlung 2020 konnte durch den Druck der KritikerInnen durchgesetzt werden, dass Enthaltungen in den Abstimmungsergebnissen offengelegt werden. Die BAYER-spezielle 100-Prozent-Rechnung wurde aber dennoch nicht geändert. Die Enthaltungen werden zwar in absoluten Zahlen ausgewiesen, fallen bei den Prozentuierungen aber weiterhin unter den Tisch. In altgewohnter Manier werden nur die Ja- und die Nein-Stimmen in die Prozent-Rechnung einbezogen.

So frisierte der Konzern die Abstimmungsergebnisse auch 2022 wieder zu seinen Gunsten. Wobei dann noch zu berücksichtigen ist, dass immerhin fast 40 Prozent der Aktien bei den Abstimmungen gefehlt haben. Tatsächlich entlastet haben also immer nur ca. 55 Prozent aller Aktien.

HV-Echo

BAYER-Hauptversammlungen sind häufig ein Spektakel, weil sich dort alle möglichen Interessensgruppen einfinden, auch in der digital abgehaltenen Variante werden Videos eingespielt von Aktivisten jeglicher Couleur, die Vorwürfe wie Umweltgefahren, Bienenschutz oder Pflanzenschutzmittel-Exporte vortragen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die AbL, das GEN-ETHISCHE NETZWERK (GeN) und die INTERESSENGEMEINSCHAFT SAATGUT (IG)  hatten im Vorfeld der Hauptversammlung Kritik an dem Konzern geübt und diesen aufgefordert, sich für eine strenge Regulierung der neuen Gentechnik-Verfahren und eine umfassende Risikoprüfung einzusetzen. Beklagt wird, dass eine freie Nutzung der neuen Gentechniken schon heute – zehn Jahre nach Entdeckung beispielsweise von CRISPR/Cas – kaum noch möglich sei. Zudem erschwerten oder verhinderten die vielen Patent-Anmeldungen auf neue Gentechnik-Pflanzen, auch von BAYER, die Nutzung genetischer Ressourcen für andere Züchter. Der Konzern sieht sich indes auf Kurs. „Wir haben viel erreicht, und es gibt viele gute Nachrichten unserer operativen Entwicklung, unserer Innovationskraft, unserer Nachhaltigkeit. BAYER ist auf dem richtigen Weg.“

top agrar online

Klimaaktivisten haben anlässlich der Jahreshauptversammlung vor der BAYER-Zentrale demonstriert und ein Verbot von Glyphosat gefordert, das noch bis Jahresende in der EU zugelassen ist (...) Kritisiert wurde u. a. auch, das die Hauptversammlung virtuell stattfand.

Aktuelle Stunde, WDR

Mensch und Umwelt vor Profit: BAYER-Vorstand abgestraft.

DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE

Vergütungsbericht fällt durch: Klatsche für den BAYER-Vorstand

Manager Magazin

Die Umwelt- und Gesundheitsschäden, die die BAYER AG mit ihren Produkten verursacht, waren auch Thema zahlreicher Proteste zivilgesellschaftlicher Gruppen. Sie wurden sowohl vor der Konzern-Zentrale als auch online vorgetragen und in mehreren Stellungnahmen in die Hauptversammlung eingebracht (...) Die Redner*innen „werfen dem Konzern vor, eine Rendite-Jagd zu Lasten von Mensch, Tier und Umwelt zu betreiben und fordern deshalb gemeinsam die Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat“, bilanzierte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN.

Infodienst Gentechnik

Niederlage für BAYER: Aktionäre stimmen gegen Vorstands-Bezahlung.\pardWirtschaftswoche

Ein Bild, das Eindruck macht: Klimaaktivistinnen und -aktivisten von EXTINCTION REBELLION protestieren am Morgen lautlos und pantomimisch vor der BAYER-Zentrale in Leverkusen.

WDR

Beim Leverkusener Konzern BAYER steht am Freitag um 10 Uhr die Hauptversammlung an – und die wird auch in der Stadt zu sehen sein, und zwar in Form von Protesten.

Radio Leverkusen

„Es war die Rache des Kleinaktionärs, die BAYER am Freitag in der dritten virtuellen Hauptversammlung zu spüren bekam. 665 Fragen hatten die Aktionäre schriftlich eingereicht, davon 400 wenige Minuten vor Ablauf der Frist.

Börsen-Zeitung