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Veröffentliche Beiträge in “SWB 04/2023”

Ticker Beilage zu Stichwort Bayer 4/23

Marius Stelzmann

AKTION & KRITIK

Die CBG vor dem Landtag in Kiel

Seit Ende 2018 steht die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) mit ehemaligen Heimkindern in Kontakt, die von den 1950er bis in die 1970er Jahre hinein als Versuchskaninchen für BAYER-Arzneien dienten und heute noch unter den Folgen leiden. 2019 verlangte der VEREIN EHEMALIGER HEIMKINDER IN SCHLESWIG-HOLSTEIN vom Vorstand auf der BAYER-Hauptversammlung eine Entschuldigung sowie Entschädigungszahlungen. Auch fordert die Selbsthilfegruppe die PolitikerInnen immer wieder zum Handeln auf. Am 20. September 2023 fand im schleswig-holsteinischen Landtag eine Anhörung zu dem Thema statt. Vor der Tür errichtete der Verein zusammen mit der Coordination eine symbolische Mauer aus Medikamentenpackungen. Auf den großen Kartons prangten die Logos von BAYER, MERCK und anderen Konzernen, die mit den an den Heimkindern getesteten Medikamenten Millionengewinne erwirtschafteten. AktivistInnen hielten Schilder mit Forderungen hoch, die sich an die Kirchen als Träger vieler der Einrichtungen, die Pharma-Riesen und die Politik richteten. Unter anderem protestierten die Geschädigten dagegen, dass Anträge auf Opferentschädigungsrenten immer wieder abgelehnt werden. Auch die angekündigte Prüfung der Einrichtung einer Landesstiftung, an der sich auch die Pillen-Riesen beteiligen, stehe noch aus, kritisierten sie. Die Abgeordneten kamen nicht umhin, der mahnenden Präsenz Rechnung zu tragen. Mehrere MandatsträgerInnen verschiedener Parteien stießen zur Kundgebung, um mit den Heimkindern über Ihre Lage zu sprechen und Möglichkeiten der Aufarbeitung und Unterstützung zu erörtern. Ein ebenfalls anwesender Richter bot an, Fälle, in denen den Heimkindern Zahlungen verweigert wurden, nochmals zu prüfen. Die Aktion hatte ihr Ziel also erreicht: Druck auf die Politik zu machen, damit diese die Verbrechen von Kirche, Pharmakonzernen und Staat endlich aufklärt und für eine angemessene Entschädigung der Betroffenen sorgt.

CBG beim Klimastreik

Auch im 15. September 2023 beteiligte sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) wieder an den Klimastreiks. Sie ging aus gegebenen Anlass am Stammsitz BAYERs in Leverkusen mit auf die Straße, denn der Konzern stößt klima-schädigende Treibhaus-Gase en masse aus, wie CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann in seiner Kundgebungsrede darlegte.

CBG beteiligt sich an EU-Konsultation

Die EU-Kommission plant eine Verordnung zum „Verbot der Herstellung und Ausfuhr von Chemikalien, die in der Europäischen Union verboten sind“ und hat Initiativen und BürgerInnen vorab um ihre Meinung zum Vorhaben gebeten. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) beteiligte sich an diesem Prozess und brachte ihre Zustimmung zu dem Ansinnen zum Ausdruck. „Besonderen Handlungsbedarf sieht die CBG in diesem Zusammenhang bei den Pestiziden. BAYER und andere Konzerne beliefern von ihren Standorten in den Mitgliedsländern aus viele Nationen mit Agro-Chemikalien, welche die EU wegen ihrer Gefahren für Mensch, Tier und/oder Umwelt aus dem Verkehr gezogen hat“, schrieb die Coordination in ihrem Statement. Eindringlich appellierte sie an die Verantwortlichen in Brüssel: „Es ist höchste Zeit, die Praxis der doppelten Standards zu beenden“. In der Empfangsbestätigung der EU hieß es dann: „Ihre Rückmeldung zum Legislativvorschlag ist eingegangen und kann ggf. in dessen Überarbeitung einfließen.“ Insgesamt gab es 2.668 Stellungnahmen zu dem Thema.

Offener Brief in Sachen „Ultragifte“

Vom 25. bis zum 29. September findet in Bonn die Welt-Chemikalienkonferenz statt (siehe POLITIK & EINFLUSS). Aus diesem Anlass fordert ein Bündnis von Initiativen aus aller Welt, zu dem auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gehört, die Konferenz-TeilnehmerInnen in einem Offenen Brief auf, Maßnahmen zum Verkaufsstopp von besonders gefährlichen Pestiziden – Highly Hazardous Pesticides (HHPs) – zu ergreifen. „HHPs werden von der Weltgesundheitsorganisation WHO als ein ‚gravierendes Gesundheitsproblem’ eingestuft. HHPs ausgesetzt zu sein, inklusive ihrer Aufnahme über Rückstände in der Nahrung oder im Wasser, steht mit langwierigen und irreversiblen Gesundheitsstörungen wie Krebs, Fruchtbarkeitsbeeinträchtigungen, Fruchtschäden und Störungen des Hormonsystems in Verbindung“, heißt es in dem Schreiben zur Begründung.

BAYER Public Enemy No. 29

Die beiden finnischen Journalisten Juha-Pekka Raeste und Hannu Sokala haben ein Buch über „Die 50 gefährlichsten Unternehmen der Welt“ geschrieben. BAYER kommt auf Rang 29. Der MONSANTO-Komplex mit PCB, Agent Orange und Glyphosat sowie die Kollaboration mit dem Nazi-Regime und die Vermarktung von Heroin als Hustensaft qualifizieren den Leverkusener Multi nach Ansicht der Autoren für diese Position.

Proteste gegen doppelte Standards

In Südafrika gingen auf Initiative des WOMEN ON FARMS PROJECT LandarbeiterInnen auf die Straße, um gegen den BAYER-Konzern zu demonstrieren. Der Grund: Der Agro-Riese führt in das Land Pestizide ein, die innerhalb der EU wegen ihres Gefährdungspotenzials keine Zulassung (mehr) haben. Unter anderem befinden sich darunter ANTRACOL 70 WP (Wirkstoff: Propineb),  BISCAYA 240 OD (Thiacloprid) und CONFIDOR (Imidacloprid). Die Frauen zogen vor die Konzern-Zentrale in Paarl.  Dort verlasen sie eine Stellungnahme mit Forderungen nach einem Import-Stopp für die Giftfracht aus Europa und nach einem Nutzungsverbot. Ein weiteres Anliegen der Aktivistinnen war es, die Taktiken aufzuzeigen, mit denen Agro-Multis wie BAYER im globalen Süden Produkte vermarkten, die anerkanntermaßen gesundheitsschädlich sind. „Wir sterben an Asthma, wir sterben an Krebs, wir sterben an Herzanfällen!“, skandierten die Protestlerinnen unter anderem. Unterstützung erhielt ihr Anliegen von Marcos Orellana, dem UN-Sonderberichterstatter für Giftstoffe und Menschenrechte. Er spricht im Zusammenhang mit den doppelten Standards von Umwelt-Rassismus und verweist zudem darauf, dass viele der Gesetze, die den Verkauf und Import derartiger Stoffe legalisieren, noch aus der Zeit der Apartheid stammen. Überdies bieten die Agro-Chemikalien geltenden Bestimmungen in Staaten wie Südafrika oftmals weniger Schutz als ihre Entsprechungen in Deutschland und anderen Industrie-Nationen. So sind beispielsweise in Brasilien 5000 Mal höhere Glyphosat-Rückstände im Trinkwasser als in Europa erlaubt.

KONZERN & VERGANGENHEIT

160 Jahre BAYER

Am 1. August 2023 beging der Leverkusener Multi einen runden Geburtstag: Er wurde 160. Für die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) war das kein Grund zum Feiern. „Von Beginn an war BAYER nur auf eins aus: Profit. Und das geht bis heute zu Lasten von Mensch, Tier und Umwelt“, konstatierte sie in einer Presseerklärung. Bereits ein Jahr nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit musste die Firma wegen giftiger Rückstände aus der Farbstoff-Fertigung Entschädigungszahlungen an die AnwohnerInnen des Wuppertaler Werks zahlen. Aber nicht nur die Produktion, auch die Produkte selbst wie etwa PCBs, Pestizide oder die zahlreichen mit Risiken und Nebenwirkungen behafteten Medikamente sorgten immer wieder für Gesundheitsschädigungen. Besonders schlimmer Vergehen machte sich der Konzern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schuldig. Im Ersten Weltkrieg entwickelte er chemische Kampfstoffe, nahm Einfluss auf die Bestimmung der Kriegsziele und fischte im „Menschenbassin Belgien“ nach ZwangsarbeiterInnen. Auch dem Faschismus stand die Aktien-Gesellschaft treu zu Diensten. Die von BAYER mitgegründete IG FARBEN bildete die ökonomische Basis des Hitler-Regimes. Sie entwarf den Vierjahresplan zur Umstellung der Produktion auf eine Kriegswirtschaft und lieferte den Nazis nicht nur Brandbomben, Handgranaten und Maschinengewehre, sondern mit Zyklon B auch die Mordwaffe für die Tötung von Millionen von Juden und anderen KZ-Gefangenen. Sogar ein eigenes Konzentrationslager betrieb die IG auf dem Gelände von Auschwitz. „Der Blick in die Geschichte zeigt: 160 Jahre BAYER sind 160 Jahre schrecklicher Verbrechen zu Lasten der Allgemeinheit. Es ist allerhöchste Zeit, dass BAYER gestoppt und unter demokratische Kontrolle gestellt wird“, resümierte die Coordination daher.

KAPITAL & ARBEIT

Arbeitsplatzvernichtung bei BLUEROCK

BAYERs Umsatz-Rückgang im ersten Halbjahr 2023 (siehe ÖKONOMIE & PROFIT) zieht erste Folgen nach sich: Die Rationalisierungsmaßnahmen starten. Im Pharma-Bereich macht die Zell- und Gentherapie-Tochter BLUEROCK den Anfang, denn dem Konzern zufolge drückte der hohe Investitionsbedarf in diesem Sektor allzu sehr auf die Marge. Deshalb stoppt BLUEROCK nun fünf von neun Arznei-Entwicklungen und vernichtet im Zuge dessen 50 Arbeitsplätze. Der Global Player betont zwar stets die Eigenständigkeit seiner „innovativen“ Ableger und weist auch jetzt jede Verantwortung für die Entscheidung zurück, das scheint jedoch wenig glaubwürdig. „[D]ie jüngsten Stellenstreichungen zeigen, dass sich die Rolle der Töchter innerhalb des Unternehmens gewandelt hat. Bislang konnte BLUEROCK arbeiten wie ein junges Biotech-Start-up, in dem Wissenschaftlerinnen und Forscher ihre Ideen frei austauschen und an Medikamenten-Kandidaten feilen, bevor sie damit in die klinischen Studien eintreten. Doch BAYER erwartet nun Ergebnisse“, konstatiert das Handelsblatt.

POLITIK & EINFLUSS

Wüst bei BAYER

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nahm an der Grundsteinlegung für ein neues Forschungsgebäude am BAYER-Standort Monheim teil und lobte den Konzern dabei in den höchsten Tönen. „Die Standort-Entscheidung von BAYER bestätigt die Attraktivität Nordrhein-Westfalens für Investitionen und Innovationen“, erklärte er und brachte seine Freude zum Ausdruck: „Danke für das starke Signal. Davon hätten wir gerne mehr.“ Aber der Politiker kam auch nicht mit leeren Händen. Er bezeichnete die Chemie-Branche als systemrelevant für die gesamte Wirtschaft und bot seinen Beistand in Sachen „Industrie-Strompreis“ an. „Die Industrie benötigt Planungssicherheit. Eine Senkung der Stromsteuer reicht nicht für die Großindustrie“, hielt Wüst fest. BAYER-Chef Bill Anderson hörte solche Worte gern. Der Agro-Riese selbst habe zwar keinen allzu hohen Energie-Bedarf mehr, so der US-Amerikaner, aber die Unternehmen bräuchten Klarheit.

Welt-Chemikalienkonferenz in Bonn

Im Januar 2022 schlugen WissenschaftlerInnen des „Stockholm Resilence Centers“ Alarm. „Das Tempo, in dem die Gesellschaften neue Chemikalien produzieren und in die Umwelt freisetzen, ist für Menschheit kein sicherer Operationsmodus“, konstatierte Sarah Cornell. Durch die Zunahme der Herstellung von Pestiziden, Kunststoffen und anderen Substanzen um den Faktor 50 seit 1950 sehen die ForscherInnen sogar die „planetare Tragfähigkeit“ gefährdet. Darum forderten sie eine strengere Regulierung der Erzeugnisse von BAYER & Co. Auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) erkannten Handlungsbedarf: Es erklärte das zerstörerische Wirken von Chemikalien zur dritten großen Umweltkrise nach der Klima- und Biodiversitätskrise. Eigentlich hatte schon der UN-Nachhaltigkeitsgipfel von 2002, der in Johannesburg stattfand, Abhilfe in Aussicht gestellt. Er beschloss, bis zum Jahr 2020 Maßnahmen gegen die Überdosis Chemie zu ergreifen. 2006 folgte dann der „Strategische Ansatz zum internationalen Chemikalien-Management“ (SAICM) der Vereinten Nationen, aber Ergebnisse gab es nicht, was nicht weiter verwundert. BAYER & Co. sitzen bei den Verhandlungen über ihren Weltverband ICCA nämlich nicht nur mit am Tisch, sie beteiligen sich auch an der SAICM-Finanzierung – und bewegen sich ansonsten nicht. Lediglich die PR-Initiative „Global Product Strategy“ brachten die Chemie-Multis auf den Weg, während ihr Ausstoß munter weiterwächst. Nach Schätzungen der Energieagentur IEA wird sich die Produktion der acht wichtigsten Grundstoff-Chemikalien bis 2050 bezogen auf das Jahr 2020 um das 1,5-Fache auf 972 Millionen Tonnen erhöhen. Und schon jetzt stirbt nach UN-Angaben alle 30 Sekunden ein Mensch, der in seinem Beruf mit Chemikalien umgehen muss. Die Welt-Chemikalienkonferenz, die vom 25. bis zum 29. September in Bonn stattfindet (nach Ticker-Redaktionsschluss), beschäftigt sich nun wieder mit den Risiken und Nebenwirkungen der Stoffe. Auf der Tagesordnung steht unter anderem die Verhandlung über ein Abkommen zur Eindämmung der von Chemikalien ausgehenden Gefahren, eine Verabschiedung erscheint jedoch unwahrscheinlich.

PROPAGANDA & MEDIEN

Manipulation bei Wikipedia

Zu den Stichworten „MONSANTO“, „Glyphosat“, „Gentechnik“ finden sich bei Wikipedia Einträge, allerdings in einer merkwürdig beschränkten Form. So wurden beispielsweise beim Artikel zu Glyphosat mehrmals Passagen zu der wahrscheinlich karzinogenen Wirkung des Pestizids von einem Wikipedia-Administrator namens „Leyo“ entfernt. Mindestens 140 Mal legte er Hand an. Auch gelang es nicht, einen Verweis auf eine Studie der Universität Ulm, die starke Indizien für einen Zusammenhang zwischen massiven Fehlbildungen bei Kaulquappen und Glyphosat lieferte, in den Text einzufügen. Deshalb fragte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Juli letzten Jahres, ob der BAYER-Konzern wohl sogenanntes „paid editing“ betreibe. Überraschen würde das nicht, ist doch das Bezahlen von Wikipedia-AutorInnen ein Geschäftsmodell geworden, ein äußerst intransparentes noch dazu. Der Leverkusener Multi aber weist  den Vorwurf zurück. Er habe lediglich „wissenschaftlich falsche Aussagen zu insektiziden Wirkstoffen des Unternehmens durch die Redaktionen prüfen und ggfs. korrigieren (...) lassen.“ Nach den FAZ-Recherchen stand der Account „Leyo“ lange still, an seine Stelle trat ein „Julius Senegal“, der beispielsweise die oben bereits erwähnte Ulmer Untersuchung zu Fehlbildungen wieder herauseditierte. An Artikeln zu weiteren BAYER-relevanten Themen wird ebenfalls fleißig herumgewerkelt. So etwa zu „MONSANTO“, wo ein Autor namens „Fafner“ fast 17 Prozent der gesamten Überarbeitungen vornahm mit dem offensichtlichen Ziel, Konzernkritisches zu tilgen. Konkret ging es dabei etwa um die Rolle von MONSANTO als Saatgut-Monopolist, die Kinderarbeit in Indien und ,Agent Orange“. Weitere Schreiber wie „Blech“ oder „Katach“ sind ebenso wie „Leyo“  bemüht, den Ruf von BAYER zu retten. Der FAZ gegenüber stritt der Global Player jedoch auch hier jegliches Mitwissen ab.

DRUGS & PILLS

Rote-Hand-Brief zu CIPROBAY

Antibiotika mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Fluorchinolone wie BAYERs CIPROBAY können zahlreiche Gesundheitsschädigungen verursachen (siehe auch SWB 3/18). Besonders häufig kommen Lädierungen von Muskeln und Sehnen vor. Darüber hinaus zählen Herzinfarkte, Unterzuckerung, Hepatitis, Autoimmun-Krankheiten, Leber- oder Nierenversagen und Erbgut-Schädigungen zu den Risiken und Nebenwirkungen. Auch Störungen des Zentralen Nervensystems, die sich in Psychosen, Angst-Attacken, Verwirrtheitszuständen, Schlaflosigkeit oder anderen psychiatrischen Krankheitsbildern manifestieren, beobachteten die MedizinerInnen schon. Darum haben die Aufsichtsbehörden immer wieder Anwendungsbeschränkungen angeordnet. Eine Studie, die der Ausschuss für Risikobewertung der Europäischen Arzneimittel-Behörde in Auftrag gab, untersuchte nun die Effektivität dieser Anordnungen. Das Ergebnis fiel dem „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) zufolge niederschmetternd aus. Die WissenschaftlerInnen machten „nur eine relativ begrenzte Wirkung auf das Verschreibungsverhalten der Ärzte in den untersuchten Mitgliedsstaaten“ aus. Der Ausschuss empfahl deshalb, „einen erneuten Rote-Hand-Brief an die Angehörigen der Gesundheitsberufe zu versenden, um nochmals darauf hinzuweisen, die Anwendungsbeschränkungen zu beachten und diese Arzneimittel nur nach einer sorgfältigen individuellen Abwägung von Nutzen und Risiken anzuwenden“, so das BfArM.

ALKA-SELTZER-Rückruf

Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA veranlasste den BAYER-Konzern zu einem Rückruf seines Erkältungspräparats ALKA-SELTZER PLUS, da die auf der Verpackung angegebenen Inhaltsstoffe nicht den tatsächlich im Mittel enthaltenen entsprechen. „Das kann dazu führen, dass der Verbraucher ein Produkt zu sich nimmt, auf das er möglicherweise allergisch oder mit einem anaphylaktischen Schock reagiert oder das er aufgrund einer Krankheit meiden sollte“, erklärte die FDA zur Begründung.

BAYER stellt drei Arznei-Projekte ein

In seinem Halbjahres-Finanzbericht gab der BAYER-Konzern die Einstellung von drei Arznei-Entwicklungen bekannt. Er verfolgt Projekte für die Indikationen „neuropathischer Schmerz“, „akutes Atemnot-Syndrom“ und „chronische Nierenerkrankung“ nicht weiter.

BAYER erwirbt CEDILLA-Lizenz

Der BAYER-Konzern konzentriert sich im Pharma-Bereich auf immer weniger Indikationsgebiete. Einen Schwerpunkt bilden dabei Krebs-Therapeutika, weil diese besonders viel Rendite abwerfen. Hier will der Pharma-Riese in die Top Ten vorstoßen und entfaltet entsprechend viele Aktivitäten. So hat er im Juni eine „exklusive Lizenz“ vom US-amerikanischen Biotech-Giganten CEDILLA THERAPEUTICS erworben. Diese bezieht sich auf die Nutzung bestimmter Moleküle zur Hemmung von Enzymen, welche bei der Tumor-Bildung eine Rolle spielen. „Wir freuen uns, mit diesen hochinnovativen präklinischen Programmen unser frühes Entwicklungsportfolio in der Präzisionsonkologie ausbauen zu können“, erklärte der Pillen-Riese. Andere Unternehmen scheiterten jedoch bereits bei dem Versuch, sogenannte CDK2-Inhibitoren zu entwickeln. Entweder zeigten die Präparate keine Wirkung oder aber sie riefen zu viele unerwünschte Arznei-Effekte hervor.

AGRO & CHEMIE

Doppelte Standards in Kenia

Nach einer neuen Studie von INKOTA verkaufen die Agro-Riesen in Kenia zahlreiche hochgefährliche Pestizide. 84 Prozent der dort vermarkteten Ackergifte gehören zu den sogenannten Highly Hazardous Pesticides (HHPs). Und 44 Prozent der Mittel haben innerhalb der EU wegen ihres Gefährdungspotenzials überhaupt keine Zulassung (mehr). Dazu zählen zum Beispiel die in BAYER-Produkten enthaltenen Wirkstoffe Mancozeb, Propineb, Imidacloprid, Beta-Cyfluthrin und Triadimenol. „Das ist eine zynische Doppelmoral: Für Europäer erkennt man eine Gesundheitsgefahr, in Afrika allerdings sieht man kein Problem“, kritisiert der kenianische Agrar-Experte Timothy Njagi. Die Politikerin Gladys Shollei pflichtet ihm bei: „Die schicken uns ihre Mittel, die sie selbst nie nehmen würden. Wenn sie aber auf den Lebensmittelimporten aus Kenia Rückstände davon finden, werden die sofort abgelehnt. Diese Scheinheiligkeit ist unerträglich.“ Zudem prangert sie die Kapitulation der zuständigen Stellen vor der Macht der Konzerne an. „Die Regulierungsbehörde liegt mit der Industrie im Bett“, so Njagi. Vom Spiegel um eine Stellungnahme zu der Problematik gebeten, belässt es der Leverkusener Multi wieder bei seinem Standard-Spruch: „Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus.“

Agrar-Subventionen für BAYER

Entgegen der Ankündigungen der Europäischen Union gingen große Teile der insgesamt rund 55 Milliarden Euro umfassenden Agrarsubventionen auch im Jahr 2022 wieder direkt an Großkonzerne – so auch an BAYER. 113.755,73 Euro steckte das Unternehmen für seine Versuchsfelder ein, rund 25.000 Euro weniger als 2021.

Krank durch Glyphosat?

In der kanadischen Provinz New Brunswick kommt Glyphosat massiv zum Einsatz, vor allem bringen es Flugzeuge über den riesigen Wäldern aus. Gleichzeitig breitet sich dort eine mysteriöse Nervenkrankheit aus. Nach Ansicht des Neurologen Dr. Alier Marrero kommt das BAYER-Herbizid als mögliche Ursache in Frage, zumal er im Körper vieler PatientInnen Glyphosat-Werte „um ein Vielfaches über der Nachweis-Grenze“ gemessen hat. Deshalb forderte der Mediziner die Regierung auf, zu untersuchen, ob und in welcher Stärke eine Kontamination mit Glyphosat vorliegt. Eine anderer Auslöser der neurologischen Erkrankungen könnten giftige Algen in den Seen der Region sein, die sich stark ausgebreitet haben. Auch hier allerdings spielt das Pestizid eine Rolle. Wenn Rückstände in die Gewässer geraten, sorgt das in dem Herbizid enthaltene Phosphat nämlich für ein vermehrtes Algen-Wachstum, weil es sich dabei um einen Nährstoff handelt.

GENE & KLONE

Brasilien: INTACTA ist überall

Der BAYER-Konzern hat in Brasilien große Anstrengungen unternommen, um sein Gentech-Soja der „Intacta2-Xtend“-Produktreihe zu promoten. Er rief sogar einen „Soja-Innovationsclub“ ins Leben, bei dessen Inauguration er den derzeitigen Landwirtschaftsminister Carlos Fávaro, drei seiner VorgängerInnen sowie weitere VertreterInnen des Landwirtschaftsministeriums als Gäste begrüßen konnte. Und die Mühen zahlen sich aus. Für die Pflanz-Saison 2023/24 rechnet der Leverkusener Multi für die Laborfrucht, die gentechnisch auf den Gebrauch der Herbizide Glyphosat und Dicamba abgestimmt ist, mit einem Marktanteil von 10 bis 15 Prozent. Absatzfördernd wirkt sich dabei auch die abermalige Erweiterung der Anbau-Zone für Soja aus. Sie wächst von 44 Millionen Hektar auf bis zu 45,5 Millionen.

Zwischenfälle bei Parkinson-Tests

Der Organismus von Parkinson-PatientInnen produziert zu wenig Dopamin. Das Fehlen dieses Neurotransmitters führt dann zu Symtomen wie Zittern, Krämpfen und Glieder-Steifheit. Die BAYER-Tochter BLUEROCK hat nun eine neue Therapie entwickelt. Sie gewann aus Stammzellen Nervenzellen, die Dopamin herstellen. Ins Gehirn der Erkrankten transplantiert, sollen diese dort den Mangel beheben und so helfen, den Parkinson-Verlauf positiv zu beeinflussen. Bei klinischen Tests der Phase 1 kam es bei zwei der zwölf TeilnehmerInnen allerdings zu ernsthaften Komplikationen. Ein Proband erlitt nach dem chirurgischen Eingriff einen Krampfanfall, ein anderer steckte sich mit dem Corona-Virus an. Auch das dürfte in diesem Fall eine Nebenwirkung des Versuchs gewesen sein. Die ForscherInnen haben nämlich die Übertragung der Nervenzellen mit der Gabe von Medikamenten flankiert, die das Immunsystem schwächen, um auf diese Weise Abstoßungsreaktionen zu verhindern. Unter anderem wegen solcher Risiken und Nebenwirkungen erlauben die europäischen Aufsichtsbehörden klinische Erprobungen dieser Art nicht. BLUEROCK aber bereitet nun Phase-II-Erprobungen mit einem größeren Kreis von Personen vor. Bei einem erfolgreichen Abschluss der Prüfungen winken dem Leverkusener Multi Milliarden-Umsätze.

WASSER, BODEN & LUFT

Ein bisschen Emissionshandel

„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – so beschrieb die FAZ einmal den 2005 EU-weit eingeführten Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einer bestimmten Obergrenze Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Das sollte sie dazu animieren, sauberere Modelle der Energie-Versorgung zu etablieren. Die Lenkungswirkung hält sich dank des Extrem-Lobbyismus von BAYER & Co. aber arg in Grenzen. So erhielten die Konzerne jahrelang viel zu viele Zertifikate umsonst zugeteilt oder zu einem Preis, der unter den Kosten für grüne Investitionen lag. Überdies fallen nur Kraft- und Heizwerke unter die Regelung, Fertigungsstätten bleiben indessen verschont. Darum brauchte der Leverkusener Agro-Riese im Geschäftsjahr 2022 nur mit fünf seiner Anlagen, deren Kohlendioxid-Ausstoß sich auf rund 290.000 Tonnen belief, Emissionshandel zu betreiben. In Deutschland waren der Supply Center in Bergkamen mit rund 30.000 Tonnen, die Energie-Zentale Berlin mit rund 42.000 Tonnen und das Wuppertaler Heizhaus mit rund 16.000 Tonnen dabei. Insgesamt kam der Global Player jedoch auf 3,03 Millionen Tonnen CO2.

Glyphosat in Oberflächen-Gewässern

In elf von zwölf Ländern Europas fanden sich in Flüssen und Seen Spuren des Herbizids Glyphosat sowie seines Abbau-Produkts AMPA. Das geht aus einem Bericht hervor, den PAN EUROPE gemeinsam mit der Fraktion der Grünen im Europa-Parlament veröffentlicht hat. Besonders alarmierend: 22 Prozent der in Österreich, Spanien, Polen und Portugal entnommenen Proben enthielten Glyphosat in Konzentrationen, die den Trinkwasser-Grenzwert der Europäischen Union um ein Vielfaches überschritten. In Portugal lagen die Rückstände sogar um den Faktor 30 über diesem Limit. Als Konsequenz aus den Ergebnissen fordern die AutorInnen die EU auf, Glyphosat aus dem Verkehr zu ziehen. Zudem mahnen sie die Verabschiedung der „Verordnung über den nachhaltigen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“ (SUR) an, die eine Halbierung des Pestizid-Gebrauchs bis zum Jahr 2030 vorsieht.

BAYER kooperiert mit E.ON

Der BAYER-Konzern will sich im nordrhein-westfälischen Bergkamen zukünftig von E.ON mit Energie aus einem Biomassekraftwerk beliefern lassen. Er schloss mit dem Strom-Multi einen vorerst auf zehn Jahre befristeten Kooperationsvertrag.  3,9 Millionen Euro nimmt der Leverkusener Multi dafür in die Hand, was auf Dauer aber Kosten spare, so das Unternehmen. Vor allem aber reduziert sich der Ausstoß von Treibhaus-Gasen an dem Standort, der bisher bei rund 83.000 Tonnen lag, um 15 Prozent. Das Gros der Energie beabsichtigt der Pillen-Riese als Prozesswärme für die Produktion von Arznei-Wirkstoffen zu nutzen. KritikerInnen merken allerdings an, dass auch Biomassekraftwerke nicht hundertprozentig grün produzieren. So werde etwa auch bei der Verbrennung von Holz CO2 freigesetzt. Bei Möbelstücken oder anderen Arten von verarbeitetem Holz geraten zudem immer wieder Lacke, Klebemittel oder Kunststoffe mit in den Ofen – und Spuren davon in die Luft. Darüber hinaus geht längst nicht alles in Flammen auf, und die Rückstände haben es häufig in sich. Zum Beispiel weisen sie oft Schwermetall-Belastungen auf.

ÖKONOMIE & PROFIT

Wieder Zerschlagungsgerüchte

Im Juli 2023 berichtete der Platow Brief von Plänen des BAYER-Chefs Bill Anderson, den Konzern aufzuspalten und die Agro-Sparte an die Börse zu bringen. Entsprechende Forderungen stellen aktivistische AktionärInnen immer wieder. Zuletzt mahnte David Samra vom Hedgefonds ARTISAN einen entsprechenden Schritt an. Er plädierte allerdings dafür, das Landwirtschaftssegment zu behalten und stattdessen die Bereiche „Pharma“ und „Consumer Health“ abzustoßen. Diese wären seiner Meinung nach „bei jemand anderem besser aufgehoben“. Nach Information der FAZ haben große Anteileigner wie der Singapurer Staatsfonds TEMASEK dem Leverkusener Multi für eine Entscheidung über die zukünftige Unternehmensstruktur Zeit bis Anfang 2024 gelassen. Einstweilen äußert sich Anderson nicht konkret zu dem Thema. „Nichts ist vom Tisch. Wir sind offen für alles und lassen nichts unversucht“, sagt er. Dabei würden ihm zufolge Fragen erörtert wie „ob wir mit unserem Aufbau mit den drei Abteilungen und der Art von Konzern-Zentrale über die Struktur verfügen, die es uns ermöglicht, für jedes dieser Unternehmen das beste Zuhause zu sein“. Das hört sich nicht gut an.

BAYER-Umsatz sinkt

Im ersten Halbjahr 2023 sanken die Umsätze von BAYER gegenüber 2022 um 8,2 Prozent auf rund elf Milliarden Euro, „vor allem bedingt durch stark verringerte Mengen und Preise bei Glyphosat“, wie der Konzern erklärte. Das Herbizid zählt zu den Verkaufsschlagern des Leverkusener Multis, nur zwei Medikamente spülen noch mehr Geld in die Kassen. Im letzten Jahr waren die Zahlen, bedingt durch Lieferengpässe, noch einmal nach oben gegangen, aber bereits auf der Hauptversammlung im April hatte der Vorstand die AktionärInnen auf ein Ende des Booms vorbereitet. Im Pharma-Bereich blieb der Umsatz stabil, im Segment „Consumer Care“ erhöhte er sich etwas. Das reichte jedoch nicht, um Einbrüche bei der Liquidität und ein Anwachsen des Schuldenbergs zu verhindern. Dementsprechend musste der Global Player seinen Ausblick senken und eine Gewinn-Warnung aussprechen. Er erwartet jetzt „nur“ noch ein Ergebnis pro Aktie von 6,20 bis 6,40 Euro und nicht mehr von 7,20 bis 7,40 Euro. Darum ist beim Agro-Riesen jetzt „Kosten-Management“ angesagt, sprich: Rationalisierungsmaßnahmen respektive Arbeitsplatzvernichtung. Zudem steigt der eh schon hohe Druck, sich von Unternehmensteilen zu trennen.

BAYER in den Top 20

Bayer steht im Jahr 2022 auf Platz 18 der größten deutschen Unternehmen. Damit rutscht der Konzern im Vergleich zu 2021 um zwei Plätze nach unten. Dabei konnte er seinen Umsatz um mehr als sechs Milliarden Euro steigern, den reinen Gewinn nach öffentlichen Zahlen um drei Milliarden. Was die Anzahl der Arbeitsplätze betrifft, liegt der Leverkusener Multi trotzdem nur auf Rang 22, hier ist ein leichtes Plus von 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu vermerken. Beim Anteil ausländischer Investoren am Aktienbestand kommt der Agro-Riese mit 67 Prozent auf Position 10. Den größten Batzen hält der US-Investmentriese BLACKROCK mit gut 7,2 Prozent, Temasek – der Staatsfonds Singapurs – rund vier Prozent, die norwegische Zentralbank und die MFS INVESTMENT MANAGEMENT jeweils ca. drei Prozent und GOLDMAN SACHS 0,4 Prozent.

Geschäftsrisiko NGOs

Zu jedem Geschäftsbericht des BAYER-Konzerns gehört ein Abschnitt über die „Chancen- und Risikolage“. Im Passus über „Regulatorische Änderungen“ fasst der Leverkusener Multi auch die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als Risiken auf. Konkret heißt es dort: „So können beispielsweise weitere Restriktionen für den Verkauf und die Anwendung verschiedener Pflanzenschutzmittel erlassen werden, oder bereits erteilte Zulassungen werden bereits und werden wahrscheinlich auch in Zukunft insbesondere von NGOs gerichtlich angefochten, was potenziell zu einem vorübergehenden oder dauerhaften Widerruf von Produkt-Registrierungen oder Genehmigungen und finanziellen Verlusten durch geringere Verkäufe von Pflanzenschutzmitteln und damit verbundenen Saatgut-Angeboten führen kann.“ Aber BAYER baut vor, und zwar nicht nur durch „Überwachung von Veränderungen in den regulatorischen Anforderungen“. „Ein Behörden-Dialog mit dem Ziel von Entscheidungen auf der Grundlage von wissenschaftlich fundierten Kriterien und eine angemessene Beteiligung an der Verteidigung gegen Angriffe auf unsere Produktzulassungen sind ebenfalls Maßnahmen zur Adressierung dieser Risiken“, hält der Global Player fest und findet dabei mit „Behörden-Dialog“ eine nette Umschreibung für Lobbyismus.

FITCH senkt Bewertung

Nach der Veröffentlichung der letzten Geschäftszahlen (s. o.) senkte die Rating-Agentur FITCH die Bewertung von BAYER. Für die Kreditwürdigkeit blieb es zwar bei der Note BBB+, aber den Ausblick stufte die Agentur von „stabil“ auf „negativ“ ab. Sie begründete dies mit schlechten Gewinn-Aussichten durch die fallenden Glyphosat-Preise, wachsendem Konkurrenz-Kampf im Arznei-Bereich und Druck auf die Medikamenten-Preise vor allem in China. Zudem führte Fitch die fortwährenden finanziellen Risiken durch die Klagen von Glyphosat-Geschädigten an. Anders als andere Finanzmarkt-Akteure plädierte das Unternehmen nicht ausdrücklich für eine Zerschlagung des Konzerns, sondern nannte auch einige Vorteile des integrierten Geschäftsmodells. Gleichwohl verwies sie jedoch deutlich auf die höheren Umsatz-Renditen von reinen Pharma-Firmen.

RECHT & UNBILLIG

BAYER verliert erneut PCB-Prozess

Polychlorierte Biphenyle (PCB) gehören zu den giftigsten Hervorbringungen der Chlorchemie. Die vor allem von BAYER und MONSANTO in Umlauf gebrachten gefährlichen „Alleskönner“ kamen bis zu ihrem vollständigen Verbot 1989 in Elektrogeräten, Fugendichtungsmassen, Farben, Ölen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz – und stellen immer noch ein beträchtliches Gesundheits- und Umweltrisiko dar. In den USA ist der Konzern wegen dieser Problem-Lage mit einer Vielzahl von Schadensersatz-Ansprüchen konfrontiert, die mittlerweile eine fast ebenso große finanzielle Belastung darstellen wie die Klagen in Sachen „Glyphosat“. So verlor der Leverkusener Multi im September 2023 erneut einen PCB-Prozess und muss 100 Millionen Dollar an den Staat Pennsylvania zahlen. Das Gericht machte die Konzern-Gesellschaft MONSANTO und zwei andere Unternehmen für die Verunreinigung von Fluss-Läufen in einer Gesamtlänge von 2.000 Kilometern und Seen in einer Größenordnung von 1.457 Hektar verantwortlich. Und das nach Ansicht der RichterInnen wider besseres Wissen. Ihnen zufolge wusste MONSANTO „bereits 1937, dass PCBs bei längerer Exposition systemische toxische Wirkungen haben“ und sich in der natürlichen Umwelt erst nach sehr langer Zeit abbauen. „Jahrzehntelang hat die PCB-Verschmutzung die Fische in unseren Gewässern verunreinigt, die Freizeitmöglichkeiten gestört und eine wertvolle Nahrungsquelle für Millionen von Pennsylvaniern beeinträchtigt“, erklärte Tim Schaeffer von der Wasser-Behörde zu dem Urteil und fuhr fort: „Im Namen der Angler in Pennsylvania sind wir stolz darauf, gemeinsam mit unseren Partnerbehörden diesen Vergleich abzuschließen, um unsere geschätzten Wasserressourcen zu schützen.“ Die BAYER-Tochter zeigte hingegen keinerlei Schuldbewusstsein: „MONSANTO ist weiterhin entschlossen, bestehende und künftige Fälle vor Gericht zu verteidigen und wird Vergleiche nur dann in Betracht ziehen, wenn dies im Interesse des Unternehmens liegt.“

2022: Über eine Milliarde an Strafen

Die Risiken und Nebenwirkungen der beiden Pestizide Glyphosat und Dicamba, der Industrie-Chemikalie PCB und des Langzeit-Verhütungsmittels ESSURE führen immer wieder zu Produkthaftungsklagen, die allzuoft mit hohen Strafen enden. Im Geschäftsjahr 2022 summierten sich diese auf 1,16 Milliarden Euro (2021: 4,23 Milliarden).

Strafe wg. Glyphosat-Werbung

In den USA fiel die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO schon wiederholt wegen irreführender Werbung für das Glyphosat-Pestizid „ROUNDUP“ auf. 1996 kam es deshalb zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, in deren Rahmen MONSANTO sich verpflichtete, von solchen falschen Versprechungen künftig abzusehen. Daran hielt sich die Firma aber nicht, wie eine 2020 eingeleitete Untersuchung ergab. Das nun zum Leverkusener Multi gehörende Unternehmen behauptete, dass ROUNDUP-Produkte „keine Bedrohung für die Gesundheit von Wildtieren darstellen“ und lediglich Unkraut etwas anhaben könne. Nach Einschätzung der Generalstaatsanwältin Letitia James entsprachen diese Aussagen nicht der Wahrheit. „Pestizide können die Gesundheit unserer Umwelt ernsthaft schädigen. Sie stellen eine tödliche Bedrohung für die Tierwelt dar“, konstatierte sie und stellte klar: „Es ist wichtig, dass die Pestizid-Unternehmen die Verbraucher ehrlich über die Gefahren ihrer Produkte aufklären. Nur so können sie verantwortungsvoll eingesetzt werden.“ 6,9 Millionen Dollar musste der Global Player am Ende zahlen, auf diese Summe hatte er sich mit der Generalstaatsanwaltschaft geeinigt. Zudem darf der Agro-Riese ROUNDUP nicht länger die Eigenschaften „sicher“ und „ungiftig“ andichten.

Klage gegen Glyphosat-Zulassung

Die DEUTSCHE UMWELTHILFE und FOODWATCH haben eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland in Sachen „Glyphosat“ eingereicht. Sie fordern die Aberkennung der Zulassung für das Produkt ROUNDUP POWERFLEX und zogen damit vor das Verwaltungsgericht Braunschweig, weil das für Genehmigungen zuständige Julius-Kühn-Institut in der Stadt ihren Sitz hat. Zur Begründung führen die beiden Initiativen die Gefährdung der Artenvielfalt durch das Mittel an, was gegen die EU-Pflanzenschutzmittel-Verordnung verstoße. „Glyphosat ist wie kaum ein anderes Pestizid dafür verantwortlich, dass Wildbienen, Schmetterlinge und andere Großinsekten sowie Feldvögel aus der Kulturlandschaft mehr und mehr verschwinden“, hält DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch fest.

Erneute ESSURE-Sammelklagen

In den Niederlanden haben 700 und in England 200 Frauen eine Sammelklage gegen den BAYER-Konzern wegen der Risiken und Nebenwirkungen des Langzeit-Verhütungspräparats ESSURE eingereicht. Sie machen die kleine Spirale, deren Kunststoff-Fasern für ein so großes Wachstum des Bindegewebes sorgen sollen, dass sich der Eileiter verschließt, für zahlreiche Gesundheitsschädigungen verantwortlich. So bleibt das Medizin-Produkt allzu oft nicht an seinem Bestimmungsort; stattdessen wandert es im Körper umher und verursacht Risse an den Wänden von Organen, was zu lebensgefährlichen inneren Blutungen führen kann. 94 Todesfälle registrierte allein die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA. Auch äußere Blutungen, Unterleibs-, Becken- oder Kopfschmerzen, Depressionen, Angstzustände, Krämpfe, Übelkeit, Allergien, Hautausschläge und Haarausfall zählen zu den unerwünschten Arznei-Effekten des Implantats. Gemeinsam mit den Betroffenen zogen 16 Krankenkassen vor Gericht. Sie verlangen vom Leverkusener Multi eine Erstattung der Kosten, die den Gesundheitssystemen entstanden sind, weil tausende Frauen sich das Medizin-Produkt ihrer Beschwerden wegen durch einen chirurgischen Eingriff wieder entfernen ließen. Erst Mitte April 2023 hatten mehr als tausend australische ESSURE-Geschädigte Klage gegen BAYER erhoben. In Irland und Brasilien sieht sich der Pharma-Riese ebenfalls mit Schadensersatz-Ansprüchen konfrontiert. Ein entsprechendes Verfahren in den USA, das 39.000 Betroffene angestrengt hatten, kam bereits 2020 zu einem Abschluss. Es endete mit einem Vergleich, der den Leverkusener Multi 1,6 Milliarden Dollar kostete.

ONE-A-DAY wieder vor Gericht

BAYERs Vitamin-Präparate aus der „One-A-Day“-Produktreihe, denen viele Fachleute jeglichen Nutzen absprechen, beschäftigen in den USA immer wieder die Gerichte. Wegen unwahrer Behauptungen über die bunten Pillen musste der Leverkusener Multi schon Strafen in 2-stelliger Millionen-Höhe zahlen. Der neueste Fall betrifft unlautere Werbung für „One a Day Natural Fruit Bites“. Ende Mai 2023 ging eine Sammelklage beim New Yorker Bundesgericht ein, weil der Konzern die Präparate als „natürlich“ anpreist, obwohl sie Stoffe synthetischen Ursprungs wie Niacinamide, Pyridoxine und Potassium-Iodide enthalten. Erst im März hatte das Bundesgericht in San Diego wegen dieser VerbraucherInnen-Täuschung eine Sammelklage zugelassen und den Einspruch des Global Players dagegen abgewiesen. Hier hatte er sich mit dem Argument zu rechtfertigen versucht, ohne die Extra-Dosis Chemie würden die Erzeugnisse die Größe von Golfbällen annehmen müssen.

Neues WhistleblowerInnen-Gesetz

WhistleblowerInnen kommt eine wichtige Rolle dabei zu, kriminelle Machenschaften von Unternehmen aufzudecken. So machte die US-amerikanische BAYER-Beschäftigte Laurie Simpson einst öffentlich, dass der Leverkusener Multi die gravierenden Nebenwirkungen von Präparaten wie TRASYLOL und LIPOBAY verschwiegen und sich bei der Vermarktung seiner Pharmazeutika unlauterer Mittel bedient hatte. In den Vereinigten Staaten genießen HinweisgeberInnen wie Simpson bereits seit Langem einen besonderen Schutz. Im Jahr 2019 zog die EU mit einer Richtlinie nach. Allerdings setzte Deutschland diese nicht fristgerecht bis zum Dezember 2021 in nationales Recht um, sodass die EU-Kommission eine Klage einreichte. Und noch 2023 blockierten die CDU-regierten Länder das „Gesetz zum Schutz von Hinweis-Gebern bei der Aufdeckung von Unternehmensskandalen“ im Bundesrat und verlangten Änderungen – schlussendlich erfolgreich. Aber nicht nur deshalb weist das im Juli 2023 verabschiedete Paragrafen-Werk viele Schwächen auf. So können sich die WhistlerblowerInnen nicht gleich an eine externe Meldestelle wenden, sondern sind verpflichtet, erst einmal die internen Wege zu nutzen. Zudem müssen sie ihre Identität preisgeben, was viele daran hindern dürfte, die Initiative zu ergreifen. Auch besteht keine Verpflichtung, allen Hinweisen auf Ungereimheiten nachzugehen. Damit nicht genug, hat das Gesetz eine ziemlich enge Auffassung von Unternehmensskandalen, weshalb seine Schutzwirkung begrenzt bleibt, wie der Jurist Gerhard Baisch monierte.

EU macht Gen-Scherereien

Marius Stelzmann

Brüssel will weniger Regeln für BAYERs neue Gentechniken

Mitte Juli 2023 hat die EU einen Vorstoß unternommen, um den neuen Gentechniken den Weg auf die Äcker zu erleichtern. Sie will einem Großteil der mit CRISPR/Cas und anderen Genscheren produzierten Pflanzen künftig die Risiko-Prüfungen ersparen, obwohl von diesen Gewächsen durchaus Gefahren ausgehen können. Während BAYER & Co. sich über den Erfolg ihrer Lobby-Arbeit freuen, reagieren Umweltverbände, VerbraucherInnenschutz-Organisationen und Öko-LandwirtInnen alarmiert.

Von Jan Pehrke

Bei der Gentechnik 2.0 kommen Gen-Scheren wie CRISPR/Cas zum Einsatz. Dieses Verfahren bedient sich eines Abwehr-Mechanismus’ von Bakterien zum Aufspüren schädlicher Viren. Es steuert bestimmte Gen-Abschnitte an und nutzt dann das Cas-Enzym zur Auftrennung der Genom-Sequenz. Anschließend setzt CRISPR/Cas entweder mitgeführte neue Erbgut-Stränge ein oder bringt die Zellen dazu, per Mutagenese selbst Veränderungsprozesse einzuleiten. Der BAYER-Konzern will auf diese Weise etwa in Kooperation mit der Firma PAIRWISE Kurzhalm-Mais entwickeln und zusammen mit COVERCRESS Ackerheller-Kraut. Weitere Entwicklungspartnerschaften bestehen mit ERS GENOMICS, TARGETGENE BIOTECHNOLOGIES, dem BROAD INSTITUTE, MEIOGENIX und mit NOMAD BIOSCIENCE.

Bisher hat die Europäische Union die neuen Methoden naturgemäß als Gentechnik aufgefasst und entsprechend reguliert. BAYER & Co. passte das gar nicht. Nach Ansicht der Agro-Riesen handelt es sich nur um niederschwellige Eingriffe, die keinerlei Auflagen bedürfen. Anfang Juli 2023 hörte die EU-Kommission die Signale. Sie präsentierte einen Verordnungsvorschlag zur Lockerung der Vorschriften für die „Neuen Gentechniken“ (NGTs). Wenn die Konzerne den Pflanzen mit Genscheren wie CRISPR/Cas oder TALEN keine Gene artfremder Organismen verpassen, will die EU die Gewächse künftig wie in der Natur vorkommende oder mit Hilfe konventioneller Verfahren gezüchtete Exemplare behandeln und von Risiko-Prüfungen ausnehmen. Nur bei Laborfrüchten, an denen die Unternehmen mehr als 20 Mal herumgeschnibbelt haben, möchte die Kommission noch die alten Gentechnik-Bestimmungen angewendet wissen. Zum Vergleich: Die USA lassen nur einen Eingriff pro Pflanze zu, bei mehreren gelten die ganz normalen Gentech-Regelungen.

„NGTs können den Übergang zu einem nachhaltigeren Agrar- und Lebensmittelsektor flankieren und so die Import-abhängigkeit der EU in der Agrar- und Lebensmittelerzeugung verringern“, hält Brüssel fest. Als weltweit größter Exporteur von Saatgut sei der Zugriff auf innovative Technologien essenziell für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt, heißt es in dem Vorschlag, der laut EU-Kommission „auch Auswirkungen auf die strategische Autonomie und die Resilienz des Lebensmittel-Systems der Union haben wird“. Und natürlich alles ganz nachhaltig. „Landwirte bekommen durch die neuen Züchtungstechniken Zugang zu resilienteren Nutzpflanzen, für die weniger Pestizide eingesetzt werden müssen und die besser an den Klimawandel angepasst sind“, versicherte der damalige Kommissionsvize Frans Timmermans.

Leere Versprechungen

Solche Versprechen klingen vertraut. Die Konzerne machten sie im Zuge ihrer Produkteinführungskampagne für die Gentechnik 1.0. Keines davon hat sich erfüllt. In Sachen „Ackergift-Reduktion“ räumte das BAYERs oberster Öffentlichkeitsarbeiter, der ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger, in einem Interview des Deutschlandfunks selbst ein. Als die Moderatorin ihm vorhielt: „Der Glyphosat-Einsatz, gerade bezogen auf gentechnisch verändertes Soja, hat sich ja verneunfacht, allein in den USA“, musste er zugeben: „Der Glyphosat-Einsatz hat sich in der Tat erhöht.“ Der „Head of Public Affairs“ wusste dafür allerdings andere Gründe zu nennen als die Defizite der Gentechnik. Es käme zu einem Mehrverbrauch, weil die LandwirtInnen das Herbizid nutzten, um sich das Pflügen zu ersparen, behauptete Berninger.

Joachim Eder von der „Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft“ hat den Verheißungen damals Glauben geschenkt. „Also da wurden von denen, die das entwickelt haben, ganz tolle Dinge in den Raum gestellt, Qualitätsverbesserungen unserer landwirtschaftlichen Kulturpflanzen, praktisch kein Pflanzenschutz mehr, weil die Pflanzen sind resistent, also ich kann auf Chemie auf dem Acker verzichten. Am Anfang war man überzeugt, dass das einen Riesenschritt nach vorne bedeutet und für diesen Schritt auch den Nachteil – aus meiner Sicht Nachteil – in Kauf nehmen muss, dass sich das Ganze in den Händen dieser weltweit agierenden Saatgut-Konzerne befindet. Das war es einfach wert, wenn es denn so gekommen wäre, war damals meine Meinung“, erinnert er sich. „Aber es kam dann eigentlich nicht viel“, zieht Eder Bilanz. Schlussendlich ging es nur darum, Herbizide besser verkaufen zu können, so der Beamte. „Man konnte nicht ausräumen, dass es gesundheitsschädlich ist, man konnte nicht ausräumen, dass es Umweltschäden gibt, und man konnte eben nicht ausräumen, dass diejenigen, die es in der Hand haben, dass irgendwie missbräuchlich einsetzen“, sagte er in einem Fernseh-Beitrag des Bayerischen Rundfunks. Nicht eben besser fällt das Resümee von Svenja Schulze, der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, aus. „Die Gentechnik hat in ihrer Geschichte noch keinen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssicherheit geleistet. Ihr gesellschaftlicher Nutzen wird in der Theorie oft behauptet, aber in der Praxis zielt die Gentechnik auf Patente und Profite“, twitterte sie.

Nichtsdestotrotz recycelt der Leverkusener Multi die alten Textbausteine aus den 1990er Jahren. Es gehe darum, „die Nahrungsmittelversorgung zu sichern sowie Forschung und Entwicklung in Deutschland zu halten“, erklärt Frank Terhorst von BAYER CROPSCIENCE. Und Matthias Berninger schlägt Alarm: „Wer übernimmt die Verantwortung für die Krisen der Ernährungssicherheit, wenn wir das Potenzial dieser neuen Technologien ungenutzt lassen?“ Damit nicht genug, preist er CRISPR & Co. auch noch als probates Mittel an, um dem Klimawandel zu trotzen. „Wir müssen den Turbo anschalten, wenn wir mit dem galoppierenden Klimawandel mithalten wollen“, so der „Head of Public Affairs“.

Viele Risiken

Dabei haben es die neuen Methoden in sich. Mitnichten können die von den Genscheren eingeleiteten Veränderungen so „präzise kontrolliert werden“, wie BAYER behauptet. Allzuoft kommt es nämlich zu unbeabsichtigten Mutationen an den beabsichtigten Stellen (On-Target-Effekte) und vice versa beabsichtigten Mutationen an unbeabsichtigten Stellen (Off-Target-Effekte). Nicht zuletzt deshalb hält das „Bundesamt für Naturschutz“ (BfN) die mittels der Neuen Gentechniken hervorgebrachten Konstrukte nicht für harmloser als die durch Gen-Übertragungen geschaffenen. „Nach Ansicht des BfN trifft die Aussage, dass NGT-basierte Pflanzen generell weniger Risiken bergen, nicht zu“, bekundet die Behörde. Zudem hält sie fest: „Auch die Art und der Umfang der Veränderung sind nicht geeignete Kategorien, um per se von einem geringen Risiko auszugehen.“ Als Beispiel führt das Bundesamt die Prozeduren an, mit denen BAYER & Co. die Ackerfrüchte besser gegen Dürre-Perioden schützen wollen. „Da die vielen komplexen Antworten der Pflanze auf Trockenstress bis heute im Detail unbekannt sind (...), werden häufig Gene für sogenannte Transkriptionsfaktoren oder Hormon-Rezeptoren verändert. Es handelt sich dabei um übergeordnete Knotenpunkte von Stoffwechsel-Wegen. Werden diese Stellschrauben geringfügig modifiziert, können damit viele nachfolgende Prozesse verändert werden“, warnt das BfN.

Überdies sind die Eingriffe oftmals gar nicht so klein. So vermögen die neuen Techniken in Gen-Bereiche vorzudringen, die den alten verschlossen bleiben. Auch sind CRISPR & Co. in der Lage, mehrere Veränderungsprozesse gleichzeitig in die Wege zu leiten. Darüber hinaus rufen sie im Gegensatz zu konventionellen Züchtungspraktiken zumeist keine Punkt-Mutationen an der DNA hervor, sondern Doppelstrangbrüche, um Veränderungen zu bewirken und anschließend auf die natürlichen Selbstheilungskräfte der Zelle zu bauen. Allzu oft aber funktioniert dieser Reparatur-Mechanismus nicht richtig. Die losen Enden des Gen-Abschnittes finden nicht mehr zusammen und setzen eine Kaskade von Veränderungen in Gang. Als „Chromothripsis“ bezeichnen WissenschaftlerInnen diesen gefährlichen Effekt.

Der Bioland-Präsident Jan Plagge befürchtet darüber hinaus, dass Gewächse ihre Widerstandsfähigkeit gegen bestimmte Pflanzenkrankheiten verlieren, wenn BAYER & Co. sie massenhaft z. B. gegen Krautfäule wappnen und verweist zum Vergleich auf die vielfach ihre Wirksamkeit verlierenden Antibiotika. „Da der Erreger sehr anpassungsfähig ist, werden Sorten-Resistenzen relativ schnell gebrochen“, sagt er. Darum dürfen die Bioland-Betriebe nur einen geringen Teil ihrer Anbau-Fläche mit Pflanzen bestücken, die über bestimmte Schutz-Mechanismen verfügen. „Rein auf monogenetische Resistenzen zu setzen, führt nach unseren Erfahrungen in eine Sackgasse. Je schneller man an der Resistenz-Schraube dreht, desto schneller habe ich resistente Pathogene. Was ich sagen will, die Herangehensweise: ‚Ich habe ein Problem, ein Pathogen, ich kenne das Gen und ich kann das Problem vielleicht mit einem Schnitt lösen’, funktioniert nicht“, sagt der gelernte Agrar-Ingenieur.

Überhaupt wirft er den GentechnikerInnen Reduktionismus vor und stellt dem die Herangehensweise der ökologischen Landwirtschaft gegenüber, die etwa Folgen des Klimawandels mit einem breiten Ansatz mildern will. Dieser umfasst beispielsweise Bemühungen, die Böden durch Fruchtfolgen zu entlasten und überhaupt eine andere Bodenstruktur zu schaffen, welche die Wasserhalte-Fähigkeit verbessert. Auch gibt es Versuche, Pflanzen mit größeren, aufnahmefähigeren Wurzeln zu züchten.

Schon allein wegen der Gefahr von Resistenz-Brüchen tritt Jan Plagge für eine Risiko-Prüfung aller Hervorbringungen der Gentechnik 2.0 und für eine Kennzeichnung inklusive Rückverfolgbarkeit ein. Dies ist für ihn nicht zuletzt deshalb wichtig, um den ökologischen Landbau nicht zu gefährden und eine Wahlfreiheit im Supermarkt zu gewährleisten. „Wenn die neuen Systeme so toll sind, soll der Verbraucher sie auch erkennen können“, meint Plagge.

BAYER zündet in der Causa Nebelkerzen. Der FAZ gegenüber bekennt sich Matthias Berninger noch vollmundig zu einer Transparenz. „Wir werden das veränderte Saatgut schon allein deshalb kennzeichnen, weil es so große Vorteile hat“, kündigt er an. In einem taz-Gespräch schränkt der Öffentlichkeitsarbeiter dann den Kreis der Informierten auf die Bauern und Bäuerinnen ein: „Landwirte werden (...) von uns eine klare Kennzeichnung des Saatguts erhalten, die transparent macht, dass diese neuen Methoden hier angewandt wurden.“ Erst in einer Eingabe an die EU redet der Global Player dann Tacheles und hält fest, „dass die Anwendung der derzeitigen EU-Vorschriften zur GVO-Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit auf NGT-Pflanzen, die mit konventionell gezüchteten Pflanzen vergleichbar sind, unverhältnismäßig und schwer durchzusetzbar ist“.

Wie groß die Ängste der Öko-Land-wirt-Innen vor dem „Tabu-Bruch auf den Tellern“ (taz) sind, umriss Bärbel Endraß in der Unabhängigen Bauernstimme. „Obwohl ich mich nun schon länger mit dem Thema ‚Gentechnik’ und mit den Deregulierungsabsichten der EU-Kommission auseinandersetze, hat’s mich jetzt doch gesetzt, als die jüngsten Vorschläge aus Brüssel ans Licht kamen. Egal, wie ich es hin und her drehe, egal, welche Vorsorge-Maßnahmen wir ergreifen werden, mit diesem Gesetzes-Vorschlag könnten wir Gentechnik-Verunreinigungen auf unseren Äckern und in unseren Ställen nicht mehr verhindern“, so Endraß über die Pläne der Europäischen Union.

Immense Profit-Aussichten

Der BAYER-Konzern aber schert sich nicht um diese Sorgen. Die Regulierung der Neuen Gentechniken zählt zu den Schwerpunkten seiner Lobby-Arbeit auf der europäischen Ebene, weil er sich davon Rendite-Steigerungen verspricht. Der Leverkusener Multi, dessen Brüsseler „Verbindungsbüro“ über einen Etat von rund 6,5 Millionen Euro und 79 Beschäftigte verfügt, reichte Eingaben zu der geplanten Verordnung ein und erörterte das Thema mit hochrangigen EU-VertreterInnen. So weist das Transparenz-Register der EU Zusammenkünfte mit Lukas Visek aus dem Kabinett des – bis Ende August 2023 amtierenden – Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans sowie mit Joanna Stawowy und Jorge Pinto aus dem Kabinett von Agrar-Kommissar Janusz Wojciechowski aus.

Der Online-Ausgabe des Handelsblatts gegenüber bezifferte der Global Player das durch die EU-Deregulierungen erwartete Umsatz-Plus im Landwirtschaftsbereich auf zehn Prozent – später verschwand diese präzise Zahl auf ominöse Weise aus dem Artikel. Auf jeden Fall muss für den Profit-Zuwachs aber eine ganz bestimmte Bedingung erfüllt sein. „Wie bei anderen Technologien ist auch bei den neuen Genom-Techniken der Schutz des geistigen Eigentums von entscheidender Bedeutung“, konstatiert Matthias Berninger. Ohne Patentschutz fließt nämlich kaum Geld. Und so mutieren die Gen-Gewächse, die eben noch nichts von natürlichen Pflanzen unterscheiden sollte, plötzlich zu Kreationen made by BAYER. Den ersten Patent-Antrag für NGT-Konstrukte reichte der Agro-Riese bereits im Jahr 2006 ein. Inzwischen kamen nach Recherchen von GLOBAL 2000 und anderen Initiativen 118 weitere hinzu. Nur CORTEVA übertrifft den Leverkusener Multi dabei noch mit 1.430.

Der „Bundesverband deutscher Pflanzenzüchter“ (BDP) und der „Deutsche Bauernverband“, die dem EU-Vorhaben zur Lockerung der Bestimmungen grundsätzlich positiv gegenüberstehen, fürchten sich vor diesen Schutzrechten, weil diese den uneingeschränkten Zugang zu biologischem Material und damit auch Züchtungsfortschritte massiv gefährden. „Die Schutzsysteme für das geistige Eigentum in der Pflanzenzüchtung müssen in den Blick genommen und eine schnelle, rechtsverbindliche Lösung geschaffen werden, nach der biologisches Material, das auch in der Natur vorkommen oder entstehen könnte, nicht patentiert werden kann“, fordert BDP-Geschäftsführer Dr. Carl-Stephan Schäfer deshalb. Und Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied mahnt ebenfalls: „Es darf nicht zu Patenten auf Pflanzen kommen.“

Der Initiative TESTBIOTECH zufolge erheben die Unternehmen wirklich oft Ansprüche auf zufällige oder bereits in der Natur vorkommende Gen-Variationen und zeigen sich auch sonst erfindungsreich im Erfinden von Erfindungen. „Tatsächlich scheinen die eingereichten Patent-Anmeldungen einer bestimmten Strategie zu folgen, die darauf abzielt, Patente zu schaffen, auch ohne etwas wesentlich Neues zu erfinden“, stellt die Organisation fest. Als „technische Dekoration“ und „,Second Hand’ Gentechnik-Pflanzen“ bezeichnet sie die Hervorbringungen und spricht in diesem Zusammenhang von einem „Minenfeld von Patent-Monopolen“. Besonders kreativ geht dabei die Firma INARI vor, die sich vorgenommen hat, die Großen der Branche herauszufordern. „Das ganze Erbgut ist in Besitz von nur wenigen Multis, und wir wollen ihnen den Rang streitig machen“, bekunden die ManagerInnen. Zu diesem Zweck streben sie beispielsweise Schutzrechte auf mit alter Gentechnik erzeugte Pflanzen an, welche ihre BiotechnologInnen durch das Herausoperieren fremder Gene wieder in den Naturzustand zurückversetzt haben. Die Gewächse wie etwa die Soja der BAYER-Tochter MONSANTO mit der Produktbezeichnung MON89788 zählen nämlich zu den Elite-Varietäten, die sich nach Einschätzung von INARI gut für andere Genbasteleien vermarkten lassen. Als „Erfinder“ solcher und anderer Produkte firmiert in den Anträgen sinnigerweise oft nicht etwa ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin, sondern gleich der INARI-Patentanwalt.

Die Europäische Kommission bezieht zum Problem des geistigen Eigentums in Zusammenhang mit der Gentechnik 2.0 keine Position. „Die Frage der Patente auf NGTs wurde von vielen Interessengruppen aufgeworfen. Bedenken wurden von Züchtern und Bauernverbänden geäußert“, heißt es an einer Stelle des 70-seitigen Verordnungsvorschlags lediglich. Dieser muss jetzt erst einmal durch das EU-Parlament und anschließend durch den MinisterInnen-Rat gehen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um daran mitzuwirken, die Deregulierungen der Neuen Gentechniken zu verhindern. ⎜

Die Katastrophen-Bilanz

Marius Stelzmann

Zwei Jahre nach der Chem„park“-Explosion

Am 27. Juli 2021 flog im Entsorgungszentrum des Leverkusener Chem„parks“ das Tanklager in die Luft. Sieben Menschen starben, 31 Personen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Einhelliger Tenor damals: Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit so etwas nie wieder geschehen kann. Und wie steht es heute um diesen Vorsatz? Die Bilanz fällt verheerend aus.

Von Jan Pehrke

Es war das größte Chemie-Unglück in der Geschichte Nordrhein-Westfalens: Die Explosion im Leverkusener Chem„park“ der CURRENTA kostete sieben Menschen das Leben und fügte 31 Personen zum Teil schwere Verletzungen zu. Im Tanklager des Entsorgungszentrums hatte sich die Katastrophe ereignet. Ihren Ausgangspunkt nahm alles in einem der Tanks. Dort heizte sich eine über der Selbsterwärmungstemperatur gelagerte Agro-Chemikalie der dänischen Firma AGRICULTURAL SOLUTIONS A/S auf, was zu einer immensen Hitze-Entwicklung und einem entsprechenden Druck-Anstieg führte. Irgendwann überstieg das den Auslegungsdruck des Behältnisses – es ging hoch. Nachfolgend vermischten sich dann die austretenden Stoffe mit der Luft und lösten einen Brand aus, der auch auf die Nachbar-Tanks übergriff.

Noch in 40 Kilometer Entfernung von der Unglücksstelle schlugen die Messgeräte des nordrhein-westfälischen Geologischen Dienstes aus, eine solche Kraft hatten die Druckwellen. Die Rauchwolke zog über das ganze Bergische Land bis nach Dortmund hin. „Ich dachte, ein Flugzeug wäre auf unserem Hausdach gelandet“, so beschrieb eine Anwohnerin ihre erste Reaktion.

Die Schlussfolgerungen erschienen klar. „Als Betriebsräte erwarten wir, dass die Ursachen detailliert aufgeklärt werden. Wir müssen verstehen, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Denn eines ist klar: So etwas darf nie wieder passieren“, hielt Detlef Rennings, der CURRENTA-Betriebsratsvorsitzende unmissverständlich fest. „Natürlich werden wir uns dafür einsetzen, dass aus den Erkenntnissen konkrete Maßnahmen abgeleitet werden und dass wir als Unternehmen und Belegschaft daraus lernen“, kündigte er an.  Und Norwich Rüße, der damalige umweltpolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, mahnte Handlungsbedarf an: „Klar ist bereits jetzt: Dieser erneute Störfall in einem Chemie-Betrieb muss Anlass sein, störfallanfällige Chemie-Anlagen weiter in puncto ‚Sicherheit’ zu optimieren.“

DIE COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAH-REN (CBG) erhob ähnliche Forderungen. Der BAYER-Konzern hatte zwar im Jahr 2019 seine 60-prozentige Beteiligung an der CURRENTA verkauft, stand aber nach Ansicht der Coordination immer noch in der Verantwortung. Der Leverkusener Multi war es nämlich, der einst nicht nur das gesamte Entsorgungszentrum mit dem Tanklager und den Verbrennungsöfen errichtet hatte, sondern auch die ganze Chem„park“-Struktur inklusive seiner (Un-)Sicherheitsarchitektur schuf, die sich am 27. Juli 2021 nicht zum ersten Mal als sehr störanfällig erwies. Überdies ist der Global Player Großkunde bei der CURRENTA. Nur LANXESS liefert noch mehr Produktionsrückstände ein.

Die CBG verfolgte deshalb alles, was sich seit diesem fatalen Datum auf dem Gelände tat, sehr genau und musste mitansehen, wie alles sehr schnell wieder seinen kapitalistischen Gang nahm. Die CURRENTA versucht alles, um sich auf leisen Sohlen dem Business as usual zu nähern. Flankenschutz erhält sie dabei von dem Gutachter Dr. Christian Jochum, den die Bezirksregierung ihr an die Seite gestellt hat. Der Chemiker lässt sich bei seiner Arbeit nämlich von den ökonomischen Argumenten der CURRENTA sowie deren Geschäftspartnern wie BAYER leiten, die ihre Abfälle loswerden müssen und in Nordrhein-Westfalen schon einen „Entsorgungsnotstand“ ausriefen. Folgerichtig treibt ihn vornehmlich die Frage um, „unter welchen Bedingungen es verantwortet werden kann, die Anlage schrittweise wieder in Betrieb zu nehmen“.

Und mit Antworten war er schnell bei der Hand. Jochum segnete das Anlaufen von immer mehr Verbrennungslinien ab. Die Zustimmung der Bezirksregierung dazu blieb stets reine Formsache. Im Moment liegt dieser der Antrag über die letzte der vier noch nicht wieder laufenden Verbrennungslinie zur Prüfung vor. Auch gab der Gutachter die Verbrennung von immer mehr Stoffen frei. Von 31 auf 46 und schließlich auf 80 stieg die Zahl. Zur letztmaligen Erhöhung schrieb er zur Begründung, diese sei nötig, um die Drehrohröfen besser auszulasten „und dem Entsorgungsauftrag nachzukommen“. Dabei nutzt das Unternehmen die Chemikalien nur zur Feuerung und könnte dafür einfach Heizöl verwenden, aber das ist eben teurer. So greift die CURRENTA dann zur billigeren Variante und nimmt dabei sogar ein höheres Risiko in Kauf. Einige der Erzeugnisse haben es nämlich durchaus in sich. So ist eine Substanz darunter, welche die gleiche chemische Eigenschaft hat wie diejenige, die am 27. Juli 2021 die Kettenreaktion ausgelöst hat: Ab einem bestimmten Grad der Erhitzung ist Gefahr in Verzug. Bei 107 Grad liegt Jochum zufolge die „Grenztemperatur der sicheren Handhabung“, weshalb die „Überwachungsstufe 1“ gilt.

Ob es dieser Stoff ist, für den die CURRENTA eine Ausnahme von der nach der Explosion eingeführten Regel erreichen will, alle eingehenden Lieferungen vor der Verbrennung selbst noch einmal genau in Augenschein zu nehmen, war nicht zu klären. Ungeachtet dessen reagierten die AnwohnerInnen alarmiert auf die Absicht, die Prüfung in diesem Fall dem Erzeuger des Sondermülls zu überlassen.

Gelernt haben die ManagerInnen anscheinend nichts aus der Katastrophe. Sie verfolgen nur das Ziel, möglichst schnell wieder eine 100-prozentige Auslastung der Öfen zu erreichen. Störfälle können dabei schwerlich ausbleiben. So kam es am 5. Januar im Materialbunker des Entsorgungszentrums zu einem „unkritischen“ (O-Ton Bezirksregierung) Brandereignis. Am 20. Juni meldete die CURRENTA einen „Kleinbrand“ auf einer Böschung vor den Brennöfen, und in der Nacht zum 2. Juli schreckte ein Knall die AnwohnerInnen auf.

Überdies zwang eine anonyme Anzeige wegen Mängeln bei den Schutzmaßnahmen die Bezirksregierung zum Handeln. Sie führte eine unangemeldete Inspektion durch und machte „Abweichungen bei der Gefahrenabwehr-Organisation“ aus. „Diese Abweichungen betreffen die ständige Besetzung der Sicherheitszentralen an den einzelnen Standorten“, so die Behörde. Doch damit nicht genug:  Am 14. Juli trat auf dem Chem„park“-Gelände auch noch eine Chemikalie aus, weil sich an einer Rohrbrücke eine Leckage gebildet hatte.

Informationen über diese Vorfälle flossen nur spärlich. Und über die Art der Stoffe, für welche die CURRENTA jetzt wieder eine Lizenz zur Verbrennung hat, schweigt die Firmen-Leitung sich ganz aus – Betriebsgeheimnis.  Mit der vielbeschworenen Transparenz-Initiative des Unternehmens ist es ganz offensichtlich nicht weit her. Es hat „auf ausdrücklichen Wunsch der Bezirksregierung Köln und des Umweltministeriums NRW“ zur Verbesserung der Kommunikation lediglich einen „Begleitkreis“ für interessierte BürgerInnen und Verbände ins Leben gerufen. Entscheidungsgewalt hat das Gremium freilich keine, es darf die Prozesse – wie der Name schon sagt – lediglich begleiten.

Die Bilanz der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fiel deshalb eindeutig aus: „Die Zeichen stehen auf ‚Business as usual’. Die CURRENTA tut alles dafür, um aus der Entsorgung wieder ein lukratives Geschäftsfeld machen zu können, und die Bezirksregierung unterstützt dieses Anliegen tatkräftig, obwohl das Profit-Streben die eigentliche Ursache für die Explosion vom 27. Juli 2021 darstellt. Bei einem geringeren Sondermüll-Aufkommen hätte es der Tanks, die an dem Tag hochgingen, gar nicht bedurft. Sie dienen nämlich nur als Zwischenlager für die Produktionsrückstände, welche die CURRENTA aus aller Herren Länder akquiriert hat.“

Am 2. Jahrestag der Katastrophe trug die CBG diese Kritik auch nach Leverkusen. Sie baute vor dem Rathaus der Stadt eine mobile Ausstellung zu der Explosion vom 27. Juli 2021 auf, die Studierende der Universität Wuppertal konzipiert hatten und hielt eine Kundgebung ab. Auf dieser sprachen außer dem CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann und dem CBG-Aktivisten Gottfried Arnold noch VertreterInnen der Partei „Die Linke“, der „Klimaliste Leverkusen“ und von PARENTS FOR FUTURE. Benedikt Rees von der Klimaliste rief dabei noch einmal in Erinnerung, dass im Entsorgungszentrum wieder alle Zeichen auf Normalbetrieb stehen, obwohl die Ursache der Explosion noch immer nicht eindeutig feststeht. „Das zeigt uns, wer wirklich hier in der Stadt den Ton angibt“, resümierte er. Dem konnten sich an diesem Tag alle anschließen. ⎜ 

Pakt für BAYER & Co.

Marius Stelzmann

Die Ampel verteilt Geschenke

Die Normalbevölkerung muss wegen der durch den Ukraine-Krieg gestiegenen Inflation Reallohn-Verluste hinnehmen. Das schert die Ampel-Koalition jedoch wenig. Stattdessen schnürt sie Hilfspakete für die Konzerne.

Von Jan Pehrke

„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, mit diesem Satz warb Kaiser Wilhelm II. in seiner Reichstagsansprache kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges um Geschlossenheit. Im zweiten Jahr des Ukraine-Krieges stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz in diese Tradition und bot dem Bundestag einen Deutschland-Pakt an. „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung. Also lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln“, forderte er die Abgeordneten am 6. September 2023 auf. „Nur gemeinsam werden wir den Mehltau aus Bürokratismus, Risiko-Scheu und Verzagtheit abschütteln, der sich über Jahre, Jahrzehnte hinweg über unsere Land gelegt hat“, erklärte Scholz.

Die konkreten Maßnahmen der Ampel-Regierung, für die er um allgemeine Zu-stimmung warb wie etwa das Wachstumschancen-Gesetz und die Initiative für Planungsbeschleunigung, lassen das Projekt allerdings eher als Pakt für die Konzerne erscheinen. So stellt das Wachstumschancen-Gesetz – Christian Lindners Unternehmenssteuer„reform“ – BAYER & Co. Steuer-Geschenke in einer Gesamthöhe von rund sieben Milliarden Euro in Aussicht. Über 50 Maßnahmen umfasst das Paragrafen-Werk „zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovationen sowie Steuer-Vereinfachung und Steuer-Fairness“.

Unter anderem weitet es die Möglichkeiten zum Verlustrücktrag und zu Abschreibungen  aus, welche die Große Koalition schon 2020 mit ihrem Corona-Hilfspaket großzügiger gestaltet hatte. Nun erlaubt der Gesetzgeber statt der linearen auch die degressive Abschreibung von Ausrüstungsgütern, was den Unternehmen bis zu zwei Milliarden Euro bringt. Auch die damals bereits ausgebaute fiskalische Forschungsförderung stärkt Lindner noch einmal. Er gestattet den Firmen, bis zu zwölf Millionen Euro an Aufwendungen abzusetzen. Sogar Lohnkosten und Pilotanlagen fallen darunter. Zudem honoriert der Staat künftig Investitionen im Bereich „Klimaschutz“ mit einer Prämie von bis zu 30 Millionen Euro. „Wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland und leisten einen wichtigen Beitrag, unseren Wohlstand zu sichern und zu steigern“, erklärte der Finanzminister bei der Vorstellung des Entwurfs. Auf das, was der Lindner-Berater Lars P. Feld von der Universität Freiburg „angebotsorientierte Finanzpolitik“ nennt, reagierte der Deutsche Städtetag panisch. Er warnte vor „massiven Steuerausfällen“ und hielt fest: „Es darf keine Einschnitte bei der Gewerbesteuer geben, denn die Städte brauchen sie, um gute Dienstleistungen und eine gute Infrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft vor Ort finanzieren zu können.“ Nicht zuletzt deshalb haben die Bundesländer bereits mit einer Blockade im Bundesrat gedroht.

Lindners Kabinett-Kollege Karl Lauterbach (SPD) plant derweil, den Pharma-Standort Deutschland zu stärken. „Mit BAYER hat er deshalb eine Gesetzesinitiative abgesprochen“, meldete der Kölner Stadtanzeiger. Der Gesundheitsminister erklärte gegenüber der Zeitung freimütig, bei der Arbeit an dem Projekt im engen Austausch mit Stefan Oelrich, dem Pharma-Vorstand des Leverkusener Multis, gestanden zu haben. Oelrich hatte Anfang des Jahres deutliche Kritik an den hiesigen Rahmenbedingungen für Pillen-Riesen geübt und in einem Handelsblatt-Interview bekundet: „Wir verlagern unseren kommerziellen Fußabdruck und die Ressourcen für unseren kommerziellen Fußabdruck deutlich weg von Europa.“ Jetzt will der Sozialdemokrat den Manager mit vereinfachten Genehmigungsverfahren für Arznei-Fertigungsstätten, Erleichterungen bei der Gewinnung von ProbandInnen für Klinische Studien sowie mit einem besseren Zugang zu PatientInnen-Daten für Forschungsvorhaben besänftigen.

In Sachen „Industrie-Strompreis“ hat die Ampel-Koalition hingegen noch keine Entscheidung getroffen. Vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz sperrt sich gegen eine solche Subvention. Die großen Unternehmen fordern diese von der Politik jedoch vehement ein und warnen bei Zuwiderhandlungen vor einer Deindu-strialisierung Deutschlands. Dabei ist das Lamento über angeblich zu hohe Energie-Kosten uralt und hält zudem einer genaueren Überprüfung nicht stand. Nach Angaben der Statistik-Behörde Eurostat und der „Internationalen Energie-Agentur“ liegen die deutschen Konzerne mit ihren finanziellen Belastungen nämlich  im europäischen Mittelfeld. Zudem profitieren die energie-intensiven Betriebe schon von zahlreichen Vergünstigungen wie Befreiungen von der Strom-Steuer, einer „Strompreis-Kompensation“ und kostenlosen CO2-Verschmutzungszertifikaten.

Der Leverkusener Multi selbst hat seinen Energie-Bedarf seit der Trennung von der Kunststoff-Sparte reduzieren können. Als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) der Branche bei einem Besuch des BAYER-Standorts Monheim seinen Beistand anbot und konstatierte „Die Industrie benötigt Planungssicherheit. Eine Senkung der Stromsteuer reicht nicht für die Großindustrie“, hörte der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson das trotzdem gern. Die Unternehmen bräuchten Klarheit, so der US-Amerikaner.

Diese Klarheit hätte ihren Preis: Der vom grünen Wirtschaftsministerium erdachte Industrie-Strompreis kostet rund 30 Milliarden Euro. Eine Entscheidung über die Art der Unterstützung stand bis zum SWB-Redaktionsschluss noch aus. Aber mit irgendetwas auf dem Gebiet dürfen die Unternehmen auf jeden Fall rechnen. „Die Bundesregierung arbeitet an einer konsistenten und belastbaren Strategie für die zukünftige Energieversorgung in Deutschland, auch für bezahlbare Strompreise, gerade auch für Wirtschaft und Industrie“, heißt es in der Ampel-Initiative „10 Punkte für den Wirtschaftsstandort Deutschland – Zukunftsinitiativen fördern, Finanzierung erleichtern, Verfahren beschleunigen“.

Die Ampel-Regierung gewährt all diese Vergünstigungen trotz eines Sparhaushaltes, der gegenüber dem Vorjahr Minderausgaben von rund 30 Milliarden Euro vorsieht. Aber trotzdem ist das Ganze solide gegenfinanziert: durch Sozialkürzungen. So gibt es statt der von Bundesfamilienministerin Lisa Paus geforderten zwölf Milliarden Euro nur zwei Milliarden für die Kindergrundsicherung. Ihr Veto gegen das Wachstumschancen-Gesetz scheiterte. Der Paritätische Wohlfahrtsverband beziffert die Gewerbesteuer-Mindereinnahmen der Kommunen durch Lindners Paragrafen-Werk auf rund 1,9 Milliarden Euro in den kommenden Jahren und nennt das eine „massive Gefährdung der sozialen Infrastruktur vor Ort“. Zudem kritisiert die Organisation die Einsparungen zulasten der Freiwilligendienste, der psychosozialen Versorgung Geflüchteter und der Programme zur Unterstützung Arbeitssuchender. Auch die Zuschüsse für die Renten- und Pflegekasse sinken, und diejenigen für AOK, DAK & Co. friert die Bundesregierung auf dem jetzigen Niveau ein. Ein Übriges tut dann die Europäische Zentralbank mit ihrer Zins-Politik. So versicherte EZB-Sprecher Pierre Wunsch im April in der Financial Times, dass die Zentralbank „die Zinssätze weiter anheben würde, bis das Lohnwachstum sich verlangsamt“. Schöne Aussichten also. ⎜