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Beitrag veröffentlicht im “Tag: 1. Juli 2019

[Gegenredner*innen] BAYER in der Defensive

CBG Redaktion

35 Gegenredner*innen

Der Gegenredner*innen-Rekord von 2018 hatte nicht lange Bestand: Die diesjährige Hauptversammlung überbot ihn mit ihren 35 Konzern-Kritiker*innen spielend. Bis 23 Uhr mussten sich Vorstand und Aufsichtsrat anhören, mit welchen Risiken und Nebenwirkungen ihre gnadenlose Profit-Jagd einhergeht.

Von Jan Pehrke

Ganz so als reichte die geballte Konzernkritik in der Hauptversammlung selber nicht, gab es noch ein Vorspiel. Einige Aktivist*innen nutzten am frühen Morgen schon die Kundgebung auf dem Platz der Vereinten Nationen, um dem Leverkusener Multi die Leviten zu lesen. So schrieb Thomas Cierpka von der internationalen Bio-Landwirt*innen-Vereinigung IFOAM das agro-industrielle Modell, das der Global Player mit seiner Übernahme von MONSANTO noch forciert, in seiner Rede als nicht zukunftsfähig ab. „Wir werden die Nachhaltigkeitsziele nicht mit BAYSANTO erreichen“, konstatierte er.
Annemarie Volling von der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL) widmete sich noch einmal dem viel zitierten Satz des Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann: „Mit vollen Hosen gewinnen Sie eben keinen 100-Meter-Lauf“ und listete mit dem MONSANTO-Desaster im Allgemeinen und den Gen-GAUs und den vielen Schadensersatz-Prozessen im Besonderen die Folgen seines Wagemutes auf. Für Volling zeigte dieser Haufen Probleme, den die AbL mitsamt einem ziemlich derangierten Baumann vor dem Bonner „World Conference Center“ auch visuell dargestellt hatte, dass das Gegenteil des von dem Ober-BAYER Behaupteten richtig ist: Wer auf seiner Jagd nach Profit kein Risiko scheut und über Sicherheitsbedenken leichtfertig hinweggeht, der hat am Ende die Hosen voll und gewinnt den Marathon-Lauf für eine gesunde Lebensmittel-Erzeugung auf keinen Fall.

Pestizid-Folgen
Mit Themen wie „MONSANTO“, „unerwünschte Arznei-Effekte“ und „Pestizid-Nebenwirkungen“ hatten Cierpka, Volling und die anderen Redner*innen frühmorgens schon einmal die Agenda für den Tag gesetzt. Welche fatalen Folgen die Ackergifte von BAYER & Co. vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern haben, erfuhren neben den Kundgebungsteilnehmer*innen auch die Aktionär*innen im Saal aus erster Hand. Der Brasilianer Alan Tygel von der PERMANENTEN KAMPAGNE GEGEN AGRARGIFTE UND FÜR DAS LEBEN berichtete darüber. In dem lateinamerikanischen Staat erhöhte sich ihm zufolge die Zahl der von Glyphosat & Co. verursachten Vergiftungen von 2.726 im Jahr 2007 auf 7.200 im Jahr 2017. Über 2.000 Sterbefälle regi-strierten die Behörden in diesem Zeitraum. Mit ein Grund für die immensen Todes-Raten: BAYER vertreibt in Brasilien zwölf Agro-Chemikalien, die in der EU wegen ihres Gefahrenpotenzials keine Zulassung (mehr) haben. Neben Tygel kritisierte auch Christian Russau vom DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE diese Politik der doppelten Standards. Ob das alles auch schon zu Klagen in Brasilien oder anderen Ländern des Kontinents und geführt hat, wollte dann die BUND-Aktivistin Daniela Wannemacher vom Vorstand wissen.
Christophe Mailliet von der AKTIONSGEMEINSCHAFT SOLIDARISCHE WELT (ASW) legte den Fokus auf Indien und führte der Hauptversammlung dabei neben den schädlichen Wirkungen von Glyphosat auf die menschliche Gesundheit auch die anderen negativen Begleiterscheinungen des Mittels vor Augen. Den Verlust der Artenvielfalt, die Auslaugung der Böden und die Resistenz-Bildungen zählte er dazu. Darüber hinaus halten die in Kombination mit diesem Ackergift vermarkteten Gen-Pflanzen Mailliet zufolge nicht das, was die BAYER-Manager*innen an Ertragszuwachs versprechen. „In Indien nehmen sich jedes Jahr über 10.000 Bauern das Leben, weil sie auch dadurch dramatisch überschuldet sind“, so der ASW-Aktivist. Darum setzt er sich zusammen mit indischen Partner-Organisation unter anderem für einen Verkaufsstopp von Glyphosat ein und überreichte dem Vorstand eine entsprechende Petition, die 4.500 Menschen unterzeichnet hatten.
Aber nicht nur Glyphosat hat es in sich. Die fatalen Effekte von LASSO (Wirkstoff: Monochlorbenzol) bekam der französische Landwirt Paul François am eigenen Leib zu spüren (siehe S. 22 f.) Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) lenkte die Aufmerksamkeit auf zwei weitere gefährliche Pestizide: Thiacloprid (enthalten unter anderem in den BAYER-Produkten ALANTO, BARIARD, CALYPSO) und Methiocarb (MESUROL). Thiacloprid zum Beispiel hat die Europäische Union als „wahrscheinlich fortpflanzungsschädigend“ eingestuft und unter Krebs-Verdacht gestellt. Darum fragte Clausing: „Wäre die Unternehmensleitung bereit, Thiacloprid in der Europäischen Union freiwillig vom Markt zu nehmen?“
Für Methiocarb – und andere Agro-Chemikalien der beiden höchsten Giftigkeitsklassen 1a und 1b – hatte BAYER gemeinsam der BASF und SYNGENTA im Jahr 2013 einen solchen Verkaufsstopp angekündigt. Nur als Saatgut-Beize und als Mittel gegen den Fransenflügler wollte der Leverkusener Multi das Mittel noch anbieten. Diese Zusage hat der Konzern jedoch nach Clausings Recherchen nicht eingehalten: Auf seiner Jordanien-Website preist der Global Player das Methiocarb-Produkt MESUROL 50 WP zur Bekämpfung von Zwerg-Zikaden, Blattläusen und anderen Insekten an.
Aber auch als Saatgut-Beize ist der Stoff alles andere als harmlos. So trägt er unter anderem zum Bienensterben bei. Den Beweis erbrachte der Imker Christoph Koch: „Im Pollen-Monitoring der ‚Landesanstalt für Bienenkunde’ der Universität Hohenheim wird immer noch das Mais-Beizmittel MESUROL festgestellt.“ Seine Kollegin Annette Seehaus-Arnold, die Vize-Präsidentin des „Deutschen Berufs- und Erwerbsimker-Bundes“, prangerte vor allem das Festhalten des Konzerns an den besonders bienengefährlichen Ackergiften aus der Gruppe der Neonikotinoide an und forderte den Vorstand zu einschneidenden Maßnahmen auf. „Die Firma BAYER wird nur eine Zukunft haben, wenn Sie, sehr geehrter Herr Baumann, endlich die Weichen für eine bienenfreundliche Landwirtschaft stellen“, prophezeite Seehaus-Arnold dem Unternehmenschef.
Noch zahlreiche weitere Imker*innen und Umweltschützer*innen ergriffen auf dem Aktionär*innen-Treffen zu diesem Thema das Wort, aber den Großen Vorsitzenden ließ das ungerührt. „Experten aus aller Welt gehen davon aus, dass die Gesundheit von Bienen von einer Reihe von Faktoren beeinflusst wird (...) Die Hypothese, dass Pflanzenschutzmittel bei ordnungsgemäßer Verwendung dazugehören, wird durch eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen und Monitorings weitgehend widerlegt“, beschied Baumann den Bienenzüchter*innen. Die Neonicotinoide sind für ihn genau so sicher wie MESUROL, LASSO, Glyphosat und all die anderen chemischen Keulen – „bei sachgemäßer Anwendung“, wie er immer wieder betonte. Und den Vorwurf, bei der Vermarktung des Sortiments „doppelte Standards“ anzulegen, versuchte er mit der Bemerkung zu entkräften, „dass wir nur Produkte anbieten, deren Wirkstoffe mindestens in einem OECD-Land registriert sind“. Lediglich in einer Sache gab der BAYER-Chef klein bei: Er konzedierte Peter Clausing, dass die pro-aktive Bewerbung von MESUROL 50 WP in Jordanien gegen Richtlinien verstoße. Und inzwischen landet die entsprechende Such-Anfrage auch im Nichts: „The requested document was not found.“

Arznei-Folgen
Nach den Folgen von Glyphosat & Co. für Mensch, Tier und Umwelt nahmen die Risiken und Nebenwirkungen der BAYER-Arzneien den größten Teil der Schadensbilanz ein, welche die Gegen-Redner*innen der Manager*innen-Riege an diesem Freitag präsentierten. Krank machten dabei vor allem die Pharmazeutika aus dem Bereich „Frauengesundheit“. Eines davon ist der hormonelle Schwangerschaftstest DUOGYNON. Das von der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING in England auch unter dem Namen PRIMODOS vermarktete Präparat hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Missbildungen zur Welt. Auch Marie Lyons Tochter Sarah zählte dazu. Darüber verlor ihre Mutter auf der Hauptversammlung jedoch kein Wort. Die Britin nahm die weite Reise nach Bonn auf sich, um Baumann & Co. mit einer Reihe von firmen-internen Dokumenten zu konfrontieren. Diese belegen eindeutig, dass SCHERING schon früh Kenntnis von der Gefährlichkeit des Produkts hatte. Aus diesem Grund kann BAYER nicht länger Unbedenklichkeitsbescheinigungen für das Mittel ausstellen und muss stattdessen Verantwortung für die Geschädigten übernehmen, lautete das Credo Lyons. Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Gabelmann von der Partei „Die Linke“ teilte diese Einschätzung. „Werden Sie bereit sein, mit den Opfern und deren Angehörigen zu reden und ihnen die Aufklärung zu erleichtern? Und werden Sie sich mit der Bundesregierung zusammensetzen und ihre Bereitschaft erklären, sich finanziell an einer Entschädigungslösung zu beteiligen?“, fragte sie deshalb die Vorstände.
Der Kinderarzt Gottfried Arnold und die Apothekerin Beate Kirk widmeten sich ebenfalls dem Schwangerschaftstest. Der Mediziner thematisierte jedoch daneben auch noch die unerwünschten Arznei-Effekte des Hormon-Präparats CYREN A mit dem Wirkstoff Diethylstilbestrol und die Pharmazeutin die Nebenwirkungen der Hormon-Spiralen MIRENA, JAYDESS und KYLEENA. CYREN A kam lange bei Frauen mit einem erhöhten Fehlgeburten-Risiko zum Einsatz, bis Wissenschaftler*innen auf die fatalen Folgen aufmerksam machten. Bei den weiblichen Nachkommen trat häufig Scheiden-, Gebärmutterhals-, Eierstock- oder Brustkrebs auf und bei den männlichen Nachkommen verursachte das Mittel Fehlbildungen im Genitalbereich. Den Leverkusener Multi aber störte das damals nicht groß, berichtete Arnold, das Unternehmen beschränkte bloß das Anwendungsgebiet ein wenig und machte ansonsten weiter Kasse mit dem Medikament.
Auch MIRENA & Co. vermarktet der Konzern ohne Rücksicht auf Verluste, wie Beate Kirk in ihrem Beitrag kritisierte. So setzen sich Frauen, die mit einer Spirale verhüten, im Vergleich zu denjenigen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, einem höheren Depressions- und Suizid-Risiko aus. Einen entsprechenden Warnhinweis musste der Pharma-Riese Kirk zufolge auf Veranlassung der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA erst jüngst auf dem Beipackzettel anbringen. Darum richtete die Pharmazeutin die Frage an den Unternehmensvorstand: „Welchen Nutzen haben die von BAYER vertriebenen Hormonspiralen, der die (...) demnach wohl zu erwartende höhere Anzahl von Todesfällen bei Frauen rechtfertigen könnte?“
Für eine „höhere Anzahl von Todesfällen“ sind auch die Verhütungsmittel des Leverkusener Multis aus der YASMIN-Familie verantwortlich. Und beinahe hätte Felicitas Rohrer dazugehört. Sie hatte das Verhütungsmittel YASMINELLE mit dem Wirkstoff Drospirenon – eine Pille der 4. Generation – eingenommen und im Juli 2009 eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand erlitten. Nur durch eine Notoperation gelang es den Ärzt*innen damals, ihr Leben zu retten. Deshalb prozessiert die 34-Jährige gegen den Konzern und konfrontiert seine Manager*innen auf den Hauptversammlungen regelmäßig mit der Schreckensbilanz dieser Kontrazeptiva, welche das „Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte“ (BfArM) führt. „Alleine in Deutschland wurden dem BfArM durch Pillen der 3. und 4. Generation 53 Todesfälle und 1.463 thrombo-embolische Vorfälle gemeldet. Wir schätzen die Dunkelziffer weitaus höher, da oft kein kausaler Zusammenhang vermutet wird“, führte Rohrer aus. Beim Vorstand erkundigte sie sich dann nach den weltweiten Zahlen und fragte an, wie viele Prozesse das Unternehmen in dieser Angelegenheit mittlerweile führen muss.
Christopher Stark, Autor des Buches „DIANE, SELINA, LARISSA – Hormonverhütung und die Risiken“ (siehe auch SWB 2/19), sprach ebenfalls zum Gefährdungspotenzial von YASMIN & Co. „Für die Opfer dieser gefährlichen Präparate dürften BAYER-PR-Aussagen wie ‚Patienten-Sicherheit steht für BAYER an erster Stelle’ wie blanker Hohn erscheinen“, hielt er fest. Besonders an der aggressiven und irreführenden Werbung, die von „niedriger dosierten“ Mitteln mit einer nur „lokalen Wirkung“ spricht und von „schöner Gesichtshaut“ durch die Produkte kündet, nahm der Student Anstoß. Und Langzeit-Verhütungsimplantate wie JADELLE exklusiv in Ländern der „Dritten Welt“ in Umlauf zu bringen, rechnete er schlicht „neo-kolonialistischen Aktivitäten“ zu, die auf eine Beschränkung des Bevölkerungszuwachses aus ist.
Den zweiten Schwerpunkt im Pharma-Komplex bildeten die Medikamenten-Versuche mit Heimkindern, die der Leverkusener Multi in den 1950er Jahren begann und bis in die 1970er Jahre hinein fortsetzte. Nicht nur die Betroffenen selber ergriffen dazu das Wort (siehe S. 22 f.). Dr. Klaus Schepker von der Universität Ulm hat sich wissenschaftlich mit den Tests beschäftigt und gab einige Einblicke in die Hintergründe. So hat der Global Player laut Schepker das Landeskrankenhaus Schleswig, in dessen jugendpsychiatrischer Abteilung Eckhard Kowalke und andere Heimkinder „einsaßen“, im Zuge der Markt-Einführung von Psychopharmaka als „Prüfstelle“ genutzt. Anschließend bot der Konzern dann Pharmazeutika wie MEGAPHEN und AOLEPT gezielt für „pädagogische“ Indikationen an und hielt auch gleich „Anstaltspackungen“ bereit. Der Forscher zitierte dazu BAYER-Werbung, welche den Mitteln Eigenschaften wie „emotional und affektiv ausgleichend“, „unterdrückt destruktive und asoziale Tendenzen“ und „fördert die Anpassungsfähigkeit an Familie und Gemeinschaft“ zuschrieb. Als „ethisch fragwürdig“ verurteilte der Universitätslehrer diese Praxis.
Ob es noch ein bisschen mehr war, ließ Sylvia Gabelmann am 14. Dezember 2018 erörtern. Die Politikerin hatte zu diesem Termin im Bundestag ein Fachgespräch zu den Medikamenten-Erprobungen initiiert. Einigkeit über die Strafwürdigkeit des Tuns von BAYER und anderen Pillen-Firmen konnten die Expert*innen damals nicht erzielen, so Gabelmann, gleichwohl habe der Leverkusener Multi in jedem Fall „eine moralische Verantwortung“. Deshalb stellte sie den Vorständler*innen die Frage: „Sind Sie bereit, sich bei den Opfern zu entschuldigen, die unter den Arzneimittel-Studien zu leiden hatten? Und sind Sie bereit, Entschädigungen zu zahlen?“

Das Risiko/Nutzen-Profil
Dazu war Werner Baumann nicht bereit. Auch dem Wunsch von Felicitas Rohrer: „Und bitte unterlassen Sie den ewig gleichen Hinweis auf das positive Risiko/Nutzen-Profil Ihrer Pillen“ entsprach er nicht, obwohl Sanjay Kumar in seiner Rede ebenfalls eine solche Forderung formuliert hatte. Nach Ansicht des Medienwissenschaftlers verbietet es sich, positive und negative Arznei-Effekte gegeneinander aufzurechnen, wenn im schlimmsten Fall Gefahr für Leib und Leben droht. Für Kumar ist der Tod mit nichts aufzuwiegen. „Sind Sie eigentlich im Bilde, dass für eine Risikobewertung Nutzen komplett irrelevant sind?“, fragte er deshalb.
Aber der BAYER-Chef zeigte sich davon unbeeindruckt und brachte wieder die alten Textbausteine in Anschlag: „Sowohl die Hormon-Spiralen als auch die kombinierten oralen Kontrazeptiva von BAYER besitzen bei bestimmungsgemäßen Gebrauch (...) ein positives Nutzen/Risiko-Profil.“ Und überhaupt würden die Pharmazeutika des Konzerns „vor der Zulassung eingehend geprüft“, konstatierte Baumann.
In der Causa „Dhünnaue“ gab er ebenfalls Entwarnung. Obwohl der nordrhein-westfälische Landesbetrieb Straßenbau BAYERs Giftgrab im Zuge eines Autobahn-Baus wieder öffnet und das Abpumpen des verunreinigten Sickerwassers bei Niedrigständen des Rheins wie im letzten Sommers nicht mehr reibungslos funktioniert, beschied der Vorstandsvorsitzende Lars-Ulla Krajewski: „Gefahren bestehen nicht.“ Und selbstverständlich bestehen diese auch bei den neuen Gentechnik-Verfahren nicht, bekam Daniela Wannemacher zu hören. Und dann waren da noch die Nebenwirkungen der juristischen Nebenwirkungen der Glyphosat-Nebenwirkungen auf die Belegschaftsangehörigen, die Klaus Hebert-Okon vom BELEGSCHAFTSTEAM, einer alternativen Betriebsratsgruppe, zur Sprache brachte. „Mit jedem Urteil wächst die Angst“, sagte der Gewerkschaftler und verlieh damit Befürchtungen Ausdruck, der Agro-Riese könnte noch mehr als die bereits angekündigten 12.000 Arbeitsplätze vernichten. Dies verneinte Baumann und war sich im Übrigen bei der Beurteilung der rechtlichen Glyphosat-Risiken keiner Schuld bewusst: BAYER hätte ein Anwaltsbüro aus den Top Ten der US-amerikanischen Großkanzleien im Frühjahr 2016 mit einer Prüfung der Sache betraut und Entwarnung signalisiert bekommen.
35 Konzern-Kritiker*innen und zu allem Übel auch noch zahlreiche andere Redner*innen von Investment-Gesellschaften oder Aktionär*innen-Vereinigungen, die es zumeist auch nicht gerade gut mit dem Konzern meinten – das überforderte die Nehmer-Qualitäten Werner Baumanns an diesem Tag sichtlich. Nur einem Aktionär konnte er an diesem Tag aus vollem Herzen zustimmen. Dieser sah die Hauptversammlung „instrumentalisiert von Leuten, die gar keine echten Aktionäre sind“ und meinte damit offenkundig die Aktivist*innen von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und anderen Organisationen. Diese Empörung konnte der Vorstandsvorsitzende „in gewisser Hinsicht sehr gut nachvollziehen“.

[Nicht-Entlastung] BAYER-Vorstand nicht entlastet

CBG Redaktion

Ein historischer Tag

Solch eine Hauptversammlung gab es in der ganzen BAYER-Geschichte noch nicht: Vor Beginn eine Kundgebung mit mehreren hundert Teilnehmer*innen, ellenlange Warte-Schlangen vor dem Eingang, 35 Reden von Konzern-Kritiker*innen und 30 weitere, oftmals auch nicht gerade konzern-freundliche von Klein-Aktionär*innen und Fonds-Manager*innen und zu guter Letzt eine mit der Nicht-Entlastung des Vorstands endende Abstimmung.

Von Jan Pehrke

„Zukunft vor Profit“ stand neben einem durchgestrichenen BAYER-Kreuz auf dem Transparent, mit dem hunderte „Fridays For Future“-Demonstrant*innen in die Kundgebung zur BAYER-Hauptversammlung platzten, die auch zuvor schon mit Wort-Beiträgen, internationalen Musik-Darbietungen, Gruß-botschaften aus dem Hambacher Forst und Theater-Einlagen bunt und lebendig war.
Die Schüler*innen zogen bei ihrer Ankunft auf dem Platz der Vereinten Nationen an einem überdimensionalen BAYER-Chef Werner Baumann vorbei, der auf einem Haufen voller Probleme saß, weshalb sein kühner, mangelnde Risikobereitschaft in Deutschland beklagender Spruch „Mit voller Hose gewinnen Sie eben keinen 100-Meter-Lauf“ nun auf ihn selbst zurückfiel, und streiften an den gegen die bienengefährlichen Pestizide des Leverkusener Multis protestierende Imker*innen vorüber. Dann umkurvten sie den Polizei-Kordon, der zeitweilig die Aktionär*innen vor den Kundgebungsteilnehmer*innen abschirmte, und drückten sich schließlich um die symbolischen Grabes-Kreuze für Medikamenten-Opfer und banner-bestückten Trecker der ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄU-ER-LICHE LANDWIRTSCHAFT herum, ehe sie haltmachten.
„Es sind Ferien, und wir sind trotzdem hier“, konstatierte ihr Sprecher Felix Pohl in seiner Rede, um die Dringlichkeit des Anliegens zu betonen, das da lautete: „System change, not climate change.“ Aber danach stand dem Agro-Riesen nicht der Sinn. Er verweigerte einigen Schüler*innen trotz gültiger Eintrittskarte den Zutritt zum Aktionär*innen-Treffen. „Das zeigt, dass BAYER Angst hat, und es zeigt, dass Protest was bringt“, resümierten die beiden Schüler*innen Lisa und Noah auf der Kundgebungsbühne trocken.
Pohl hatte es jedoch in die heiligen Hallen geschafft. In seinem Beitrag griff er die klima-schädigende Geschäftspolitik scharf an und stellte detaillierte Fragen zu Kohle und anderen schmutzigen Energie-Trägern des Konzerns. „Zukunft statt Profit“ forderte er zum Schluss und setzte damit das Signal für die Fortsetzung des Demonstrationszuges in kleinerem Rahmen. Mit einem „Fridays for Future“-Transparent zogen eine Handvoll Schüler*innen durch den Saal und versetzten damit den Sicherheitsdienst in Alarmbereitschaft, der dann aber doch lieber auf den Zugriff verzichtete.
Jan Pehrke vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lieferte an dem Tag weitere Details zu BAYERs CO2-Ausstoß, der durch den Erwerb von MONSANTO noch bedenklichere Dimensionen angenommen hatte. „Die klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen erhöhten sich um mehr als 50 Prozent von 3,63 Millionen Tonnen auf 5,45 Millionen Tonnen. Sehr zurecht ist die Hauptversammlung darum zum Ziel einer großen „Fridays for Future“-Demonstration geworden“, so Pehrke.

Der Desaster-Deal
Die zahlreichen anderen negativen Folgen des Desaster-Deals kamen ebenfalls reichlich zur Sprache. Sarah Schneider von MISEREOR und Lena Michelsen von INKOTA machten als Verlierer vor allem die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Lateinamerika und Afrika aus. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann fügte der Liste die BAYER-Beschäftigten hinzu. 12.000 von ihnen verlieren nämlich im Zuge des Rationalisierungsprogramms, welches die Aktien-Gesellschaft auf Druck ihrer Großanleger*innen starten musste, weil der Aktien-Kurs durch die Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ abstürzte, ihren Arbeitsplatz. Eben auf dieses finanzielle Risiko hatte René Lehnherr vom MONSANTO-Tribunal schon auf der letztjährigen HV hingewiesen. „Ich komme mir vor wie ein Hellseher, dem man einfach nicht glauben will“, hielt er deshalb fest. Einer der Pestizid-Geschädigten, der sich in einem Rechtsstreit mit der jetzigen Tochter-Gesellschaft des Leverkusener Multis befindet, ist Paul François. Der französische Landwirt hat vor 15 Jahren durch das Ackergift LASSO massive gesundheitliche Schäden erlitten. Er verklagte MONSANTO deshalb drei Jahre später und errang am 11. April einen ersten Erfolg: Ein Gericht in Lyon sprach BAYER als Rechtsnachfolger des US-Unternehmens die Verantwortung für die Krankheiten zu. Am 26. April nun konfrontierte der Franzose die Aktionär*innen und den Vorstand direkt mit seinem Schicksal – die Initiative SumOfUs hatte ihm die Reise nach Bonn ermöglicht. In seiner Rede, die SumOfUs-Aktivistin Anne Isakowitsch auf Deutsch vortrug, forderte Paul François das Management eindringlich auf, Verantwortung für die Leidtragenden von Agrochemie-Produkten zu übernehmen: „Sie haben heute die Chance, das Richtige zu tun!“
Neben François traten an dem Tag noch zahlreiche andere Geschädigte von BAYER-Produkten vor das Mikrofon. Besonders eindrucksvoll geriet der Auftritt der drei ehemaligen Heimkinder Franz Wagle, Eckhard Kowalke und Günter Wulf, die in den 1960er Jahren gezwungen waren, als Versuchskaninchen für MEGAPHEN, AGEDAL und andere Arzneien des Pharma-Produzenten herzuhalten. Wulf zählte einfach in lakonischem Stil die Verordnungen aus seiner „Kranken-Akte“ auf wie etwa MEGAPHEN, Zwangsjacke, AGEDAL, „geschlossene Anstalt“ und zitierte dann die in den Berichten beschriebenen Effekte, zu denen Krämpfe und Kontrollverlust gehörten.
Eine Einverständnis-Erklärung der Pro-band- *innen oder deren Erziehungsberechtigten für die Medikamenten-Tests, wie sie eigentlich auch damals schon obligatorisch war, lag den Mediziner*innen nicht vor. „Wir waren rechtlos“, resümierte Eckhard Kowalke deshalb und nannte das Kind beim Namen: „Menschenrechtsverletzungen“. Trotzdem appellierte er erneut an den Vorstand, das Angebot zu einem Gespräch und einem Versöhnungsprojekt anzunehmen. „Wenn die Zukunft gestaltet werden will, muss die Vergangenheit aufgearbeitet werden“, so Kowalke.
Insgesamt hielten 35 Konzern-Kritiker*in-nen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Brasilien, England, Frankreich und Holland, auf dem Aktionär*innen-Treffen Reden – so viele hatte die CBG vorher noch nie versammeln können. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Themen setzten sie unter anderem das Bienensterben, BAYERs ehemalige Giftmüll-Deponie „Dhünnaue“, die gefährliche Kohlenmonoxid-Pipeline, doppelte Pestizid-Standards und die unerwünschten Arznei-Effekte von MIRENA, DUOGYNON, JADELLE & Co. auf die Tagesordnung.
Damit nicht genug, gerieten viele der übrigen 30 Rede-Beiträge nicht eben konzern-freundlicher. Bei Katzenjammer über den Wert-Verlust der BAYER-Aktie durch die umstrittene Übernahme blieb es nämlich zumeist nicht. „Kalt, kälter BAYER“ – dieses Führungszeugnis stellte Joachim Kregel von der „Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger“ der Manager*innen-Riege aus. Ingo Speich von DEKA-INVESTMENTS, der Fonds-Gesellschaft der Sparkassen, kritisierte den Vorstand derweil dafür, bei der Transaktion bloß der industriellen Logik gefolgt zu sein, wo doch immer mehr Aktionär*innen sich bei ihren Anlage-Entscheidungen mittlerweile auch von sozialen und ökologischen Maßstäben leiten ließen. Janne Werning von UNION INVESTMENT pflichtete Speich bei: „Reputation ist eine reale Wirtschaftsgröße.“ Die Veränderungen in der Gesellschaft, wie ihn zum Beispiel der Kampf gegen den Klimawandel dokumentiert, hätten spätestens seit dem Pariser Klima-Abkommen auch den Kapitalmarkt durchdrungen, so Werning gegenüber Zeit Online.Baumann aber focht das alles nicht an. Er weigert sich strikt, auf seinem Terrain eine andere als die industrielle Logik gelten zu lassen und verteidigte, bei der Kaufentscheidung für MONSANTO einzig solche Kriterien wie „Wachstums-potenzial“, „Markt-Profitabilität“ und „das Erreichen führender Wettbewerbspositionen“ zugrunde gelegt zu haben. Genau deshalb „war und ist der Erwerb der richtige Schritt für BAYER“, bekräftigte der Vorstandsvorsitzende in seiner Eröffnungsrede: „Und das gilt auch vor dem Hintergrund der Diskussion um Glyphosat.“ Das Total-Herbizid ist nämlich für Baumann nach wie vor „bei sachgerechter Anwendung ein sicheres Produkt“.
Das waren für ihn auch alle anderen Pestizide und Arzneien, deren Schadensbilanz die kritischen Aktionär*innen präsentiert hatten. So wurden nach seiner Aussage „alle Produkte umfangreich auf Bienensicherheit getestet“; und selbstredend besitzt die Hormonspirale MIRENA „ein positives Nutzen/Risiko-Profil“ und kommt der bis Anfang der 1980er Jahre von dem 2006 aufgekauften SCHERING-Konzern vermarktete Schwangerschaftstest DUOGYNON nicht als Ursache für Totgeburten und das Auftauchen von schweren Missbildungen bei Neugeborenen in Frage.
Die ehemaligen Heimkinder haben vom Leverkusener Multi ebenfalls nichts zu erwarten. Werner Baumann sprach ihnen zwar sein Mitgefühl aus, verweigerte aber sowohl eine Entschuldigung als auch eine Entschädigung oder irgendeine andere Art von Entgegenkommen. Und klima-technisch ist ihm zufolge beim Global Player auch alles in Butter: „Seit Jahrzehnten hat Klimaschutz bei BAYER Priorität.“
Bis spät in den Abend hinein gab der Ober-BAYER solche nichtssagenden Antworten. Verständlicherweise waren die Fragesteller*innen damit nicht zufrieden. So konnte Aufsichtsratschef Werner Wenning als Versammlungsleiter die Aussprache nicht wie vorgesehen beenden. Die Aktionär*innen rebellierten, und Baumann musste noch mal in die Bütt, obwohl die Hauptversammlung da in ihrem Zeitplan schon erheblich hinerherhinkte. Und das dicke Ende kam noch: Die Anleger*innen verweigerten dem Vorstand die Entlastung. Mit 55,52 Prozent stimmten sie dagegen – ein einmaliger Vorgang in der deutschen Wirtschaftsgeschichte! Aber der Aufsichtsrat hörte die Signale nicht. Noch in der Nacht hielt er eine Sondersitzung ab und stellte sich hinter Werner Baumann. Einige Großinvestoren, die gegenüber der Presse ihre Identität nicht preisgeben wollten, zeigten sich darüber not amused. Andere wie die DEKA wollen zumindest Veränderungen in Wennings Kontroll-Gremium sehen: Sie forderten aus gegebenem Anlass neue Aufsichtsräte mit Kern-Kompetenzen in den MONSANTO-relevanten Bereichen „Prozess-Wesen“ und „Agrar-Geschäft“.Dem leistete der Aufsichtsratschef zwar nicht Folge, dafür aber kündigte er an, einen beratenden Ausschuss mit Top-Anwält*innen ins Leben zu rufen. Das beruhigte die finanzschwersten Fonds einstweilen. Auch ELLIOT zeigte sich vorerst zufrieden, nicht ohne allerdings eine Aufspaltung des Konzerns ins Spiel zu bringen, sollte die neue Strategie scheitern. Damit nicht genug, machte das BAYER-Beispiel auch noch Schule. Wenige Tage nach der Hauptversammlung des Leverkusener Multis sprachen die Aktionär*innen der Schweizer Bank UBS Vorstand und Aufsichtsrat ihr Misstrauen aus, was die Faz als Zeichen für einen grundlegenden Wandel interpretierte: „Künftig könnten Abstimmungsergebnisse wie bei BAYER oder der UBS häufiger der Fall sein.
Während der Gesamtbetriebsrat Baumann die Absolution erteilte, reagierte die Politik angesichts der „Augen zu und durch“-Mentalität des Managements erbost. Karl Lauterbach von der SPD und Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen forderten den Rücktritt des BAYER-Chefs.
Wie die Sache ausgeht, bleibt einstweilen ungewiss. Was aber feststeht: Die CBG konnte an diesem Tag einen großen Erfolg feiern: Noch nie kamen so viele Menschen zu der traditionellen HV-Kundgebung, noch nie gab es so viele Rede-Beiträge von kritischen Aktionär*innen, noch nie dauerte eine Hauptversammlung bis 23 Uhr und noch nie endete sie mit einem solchen Debakel für das Management. Ohne die zahlreichen Mitstreiter wie COLABORA, IFOAM, INKOTA, DIE LINKE, MISEREOR, ATTAC DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRINNEN UND AKTIONÄRE, kollektiv tonali, BUND, MONSANTO-TRIBUNAL, RISIKO-PILLE, ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT, MEINE LANDWIRTSCHAFT, den FRIDAYS FOR FUTURE und anderen wäre das nicht möglich gewesen. Das Projekt „Konzern-Wende“ kann die CBG nach diesem historischen Tag jedenfalls gestärkt angehen. ⎜

Abstimmungsergebnisse
(je Aktie eine Stimme)
Von anwesenden ca. 600 Mio. Aktien stimmten bei den einzelnen Tagesordnungspunkten gegen den Vorstand mit „Nein“:

Gewinnverwendung
Nein-Stimmen 7,7 Mio. 1,3 %
Entlastung Vorstand
Nein-Stimmen 291,4 Mio. 55,5 %
Entlastung Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 175,9 Mio. 33,6 %
Wahlen zum Aufsichtsrat
Nein-Stimmen 73,9 Mio. 12,2 %

Abstimmungen auf Hauptversammlungen der Konzerne werden von wenigen Großaktionär*innen (Ultrareiche, Investmentfonds, Banken etc.) bestimmt. Sie besitzen bis zu 90 und mehr Prozent aller Aktien.
Die mehreren hunderttausend Klein-aktionär*innen halten zu--sammen lediglich fünf bis zehn Prozent der Anteile bei BAYER. Entsprechend beachtlich sind die Abstimmungsergebnisse.
Die Kritischen Aktionär*innen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatten zur Gewinnverteilung, zur Entlastung und zur Wahl alternative Anträge gestellt. Der Erfolg dieser Anträge wird deutlich an den Gegenstimmen zu den Anträgen des Vorstands.
Allerdings ist zu beachten, dass die verheerenden negativen Auswirkungen der MONSANTO-Übernahme sowie die massive internationale Kritik im Hinblick auf die vielen anderen Verbrechen an Mensch und Umwelt zu einer gefährlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens geführt haben. Es bildete sich deshalb bei dieser HV eine bemerkenswerte Allianz aus den ökologisch, sozial und politisch motivierten Kon-zern-Kritiker*innen, vielen Großaktionär*innen (darunter Finanzkonzerne wie BLACKROCK) und den traditionellen Kleinaktionär*innen, die um den Wert ihrer Aktien fürchteten. Im Ergebnis führte das zur historisch einmaligen Nicht-Entlastung des Vorstands.

Schamlose Profite
Das Grundkapital des BAYER-Konzerns beträgt ca. 2,4 Milliarden Euro. Es ist aufgeteilt auf ca. 932 Millionen Aktien. Diese werden von ca. 383.000 Aktionär*innen gehalten.
Der BAYER-Konzern machte im Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von 39,6 Milliarden Euro und einen bereinigten Gewinn von 9,5 Milliarden Euro. Das entspricht 24 Prozent des Umsatzes und fast 400 Prozent des Grundkapitals. Nach Steuern und nach sogenannten Sondereffekten wohlgemerkt!
Rund 2,6 Milliarden Euro des Gewinns wurden an die Aktionär*innen des Konzerns ausgeschüttet. Eine BAYER-Aktie repräsentiert einen Anteil am Gesamtkapital in Höhe von 2,56 Euro. Auf jede Aktie wurde eine Dividende von 2,80 Euro ausgeschüttet. Das entspricht einer Kapitalrendite von sage und schreibe 109,4 Prozent.
Um diese Maßlosigkeit vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, wendet der Leverkusener Multi einen Trick an. Er macht den Kurswert seiner Aktie zur Grundlage der Berechnung der Dividende. An der Börse notierte das Papier zum gegebenen Zeitpunkt bei rund 60 Euro. Damit fällt die Dividende – Hokuspokus – auf lediglich 4,7 Prozent.

[Glyphosat-Prozesse] Keine Gnade für Glyphosat

CBG Redaktion

BAYER muss zwei Milliarden Dollar Schmerzensgeld zahlen

Auch der dritte Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ endete für BAYER in erster Instanz mit einer Verurteilung zu einer hohen Straf-Zahlung. Entwickelt sich die Übernahme von MONSANTO für den Leverkusener Multi also immer mehr zu einem Desaster-Deal oder könnte die Profit-Rechnung am Ende doch noch aufgehen?

Von Jan Pehrke

Nach der Verurteilung der BAYER-Tochter MONSANTO zur Zahlung von mehr als zwei Milliarden Dollar Schadensersatz an die beiden Glyphosat-Geschädigten Alberta und Alva Pilliod war einer der Anwält*innen des Leverkusener Multis mit seinem Latein am Ende. Er ging auf die Geschworenen zu und fragte geradeheraus, womit er sie denn von der Ungefährlichkeit des Herbizids hätte überzeugen können. „Ich hätte gewollt, dass Sie aufstehen und es trinken“, bekam der Jurist zur Antwort. Und der Laien-Richter Doug Olsen erläuterte ihm den Schuld-Spruch: „Wir wollten MONSANTO klar sagen: ‚Hört auf damit!, macht es besser!’, und wir wollten genug Aufmerksamkeit dafür.“ Diesem und keinem anderen Ziel diente dem Schöffen zufolge die empfindliche Strafe. Sie sollte wie ein „Schlag in die Magengrube“ wirken, eine geringere Summe hätte diesen Effekt nicht erzielt, so Olson.
Diese erzieherische Maßnahme war nach Ansicht der Juror*innen nicht bloß deshalb dringend nötig, weil sie von der Gefährlichkeit des unter dem Namen ROUND-UP verkauften Mittels überzeugt waren. Erschwerend kam hinzu, dass der jetzt zu BAYER gehörende Konzern mit allen möglichen Tricks und Finten versucht hat, die Öffentlichkeit über die Risiken und Nebenwirkungen des Pestizids zu täuschen, wie aus den dem Gericht vorliegenden Dokumenten eindeutig hervorging. Und einer Richtschnur folgte die Jury bei der Festsetzung des Strafmaßes durchaus. Sie orientierte sich an dem Gewinn, den MONSANTO im Jahr 2017 machte und gelangte so zu dem Betrag von 2,055 Milliarden Dollar – mehr Schadensersatz verlangte die US-Justiz in Produkthaftungsverfahren bisher nur von sieben Unternehmen.
Der Leverkusener Multi reagierte den Umständen entsprechend. „BAYER ist von der Entscheidung enttäuscht und wird Rechtsmittel dagegen einlegen“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Mitte Juni 2019 folgten diesen Worten Taten. Der Global Player legte Einspruch ein. Er warf dem Verfahren vor, nur eine „abstrakte Verunglimpfung von MONSANTO“ im Sinn gehabt zu haben und forderte den Richter Winifred Smith auf, das Urteil aufzuheben. Es gehe auf „aufwieglerische, erfundene und irrelevante Beweise“ zurück, befand die Aktien-Gesellschaft. Die Presse konnte BAYER mit diesem Schritt nicht beruhigen. „MONSANTO entpuppt sich als teure Fehlkalkulation“, konstatierte etwa die Faz nach der nunmehr dritten juristischen Niederlage in Sachen „Glyphosat“.

Die ökonomische Logik
Rein ökonomisch betrachtet trifft diese Wertung nicht zu, denn die Zahlen stimmen. „Das Wertschöpfungspotenzial aus der Kombination der beiden Geschäfte ist unverändert sehr, sehr positiv“, hielt der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann im Frühjahr 2019 fest. Und tatsächlich erhöhte sich der Umsatz der Agro-Sparte im Jahr 2018 um 49 Prozent auf 14,3 Milliarden Euro, wobei 47,2 Prozent auf das Konto von MONSANTO gingen. Dabei wirkte sich auch ein wohlkalkulierter Nebeneffekt der Konzentrationswelle im Landwirtschaftsbereich positiv aus, die außer BAYER und MONSANTO noch DOW und DUPONT sowie CHEMCHINA und SYNGENTA zusammenbrachte: Da sich nun weniger Top-Unternehmen Konkurrenz machen, kann der Rest mehr Geld für seine Produkte nehmen. So heißt es im Geschäftsbericht des Leverkusener Multis lapidar: „Der Anstieg im Bereich Herbizide ist im Wesentlichen bedingt durch höhere Preise und Mengen-Ausweitungen von ROUNDUP in Lateinamerika.“
Auch Liam Condon, der Chef von BAYER CROPSCIENCE, äußert sich positiv über die Akquisition. „Im Landwirtschaftsbereich sind wir mit weitem Abstand der Marktführer, die Nr. 1 bei jeder großen Nutz-Pflanze, bei Frucht und Gemüse, und wir haben die führende digitale Plattform. Wir haben mehr Zugang zu den Farmern als jeder andere da draußen, und wir haben eine besser gefüllte Pipeline als jeder andere da draußen.“ Und Peter Müller, für das Deutschland-Geschäft des Agrar-Segments zuständig, teilt diese Meinung: „Die bereits veröffentlichten Zahlen spiegeln den wirtschaftlichen Erfolg und die Sinnhaftigkeit der Akquisition wider.“
Nur spiegelt der Aktien-Kurs all das zum großen Bedauern der Manager nicht wider. „Die Kapitalmarkt-Reaktion hat zumindest meines Erachtens momentan wenig mit dem inneren Wert des Unternehmens zu tun“, klagt Werner Baumann. Die Unkalkulierbarkeit der an Glyphosat hängenden Prozess-Risiken und der schlechte Ruf des Neueinkaufs zählen für die Börsianer*innen nämlich mehr als innere Werte. „Reputation ist eine reale Wirtschaftsgröße“, sagt etwa Janne Werning vom Vermögensverwalter UNION INVESTMENT. Das Manager Magazin kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: „Betriebswirtschaftliche Optimierung findet heute unter den komplexen Nebenbedingungen einer polarisierten Öffentlichkeit statt.“ Und nach Ansicht von Ingo Speich, der bei DEKA INVESTMENTS den Bereich „Nachhaltigkeit und Corporate Governance“ leitet, haben Baumann & Co. für diese Entwicklung kein Auge gehabt: „BAYER hat unterschätzt, dass viele Investoren mittlerweile auch darauf achten, ihr Geld nachhaltig anzulegen. Der Markt für nachhaltige Anlagen wächst dreimal so stark wie der Gesamtmarkt.“ Und Nachfrage nach Aktien des Leverkusener Multis besteht da eher nicht. „BAYER nahm und nimmt in Kauf, dass viele Anleger aufgrund des MONSANTO-Geschäfts nicht mehr investiert sein wollen. Mit der Akquisition hat man auch viele zukünftige Investoren ausgeschlossen“, befindet Speich.

Der Tatort-Reiniger
Hier sinnt das Unternehmen mittlerweile auf Abhilfe. Es hat den ehemaligen Grünen-Politiker Matthias Berninger verpflichtet, um sich einen grünen Anstrich zu verleihen. Allerdings ist Berninger nicht mehr so ganz farbecht, weil er schon beim Schokoriegel-Fabrikanten MARS in Greenwashing-Diensten stand. Bei BAYER leitet er nun den Bereich „Public Affairs und Nachhaltigkeit“, den der Agro-Riese neu geschaffen hat, um ein besseres Reputationsmanagement zu betreiben bzw. verstärkt den „gesellschaftlichen Austausch“ zu suchen, wie der Global Player es ausdrückt. Ohne einen solchen sei unternehmerischer Erfolg heutzutage nicht mehr möglich, erklärte Peter Müller gegenüber Proplanta, einem Informationsportal für die Landwirtschaft. Und der ehemalige Staatssekretär im Verbraucher*innenschutz-Ministerium setzte gleich ganz groß an und bastelte in den USA an einer Nachhaltigkeitsstrategie für den Konzern. Dabei kam er allerdings nicht weit. Der Skandal um die von der BAYER-Tochter MONSANTO geführten Kritiker*innen-Listen bedeutete nämlich einen ersten Rückschlag bei dem Werkeln an der Wirtschaftsgröße „Reputation“, und Berninger musste der Arbeitsplatz-Beschreibung gerecht werden, welche die Wirtschaftswoche schon im Vorfeld für ihn gefunden hatte: „Tatort-Reiniger“.
Nach diesem Intermezzo kümmerte er sich weiter um die „Public Affairs“ und entwickelte eine PR-Kampagne. Sie startete Mitte Juni 2019 mit ganzseitigen Tageszeitungsannoncen und versuchte, den Blick der Investor*innen durch vage Nachhaltigkeitsankündigungen wieder auf die inneren Werte BAYERs zu lenken. Dabei steht denen jedoch noch ein anderes Hindernis im Weg: die mit den „Glyphosat-Klagen“ einhergehenden finanziellen Unwägbarkeiten. Und dieses will der Konzern vorerst nicht beiseiteschaffen. Vergleichsverhandlungen mit den Geschädigten, die am Ende für Klarheit über die Gesamt-Lasten sorgen und den Anleger*innen eine Kalkulationsgrundlage liefern könnten, lehnt der Leverkusener Multi zum jetzigen Zeitpunkt noch ab. Auch von dem erfahrenen Juristen Kenneth Feinberg, den der Richter Vince Chhabria zum Schlichter der Rechtsstreitigkeiten um das Pestizid ernannt hat, erwartet das Unternehmen nicht viel. Es setzt vielmehr darauf, in den Berufungsverhandlungen mehr Gnade für Glyphosat finden. Dort sitzen nämlich Jurist*innen auf der Richter*innen-Bank und keine Geschworenen, die in den Augen des Managements stets allzu leicht für das tragische Schicksal der krebskranken Kläger*innen einzunehmen sind. Erst wenn es hier zu keinen merklichen Reduzierungen der Strafen kommt, dürfte der Global Player den Geschädigten Vergleiche anbieten und damit anzeigen, welchen Preis er bereit ist, für das Glyphosat-Desaster zu zahlen. Damit hätte der Gentech-Riese das Ganze dann schlussendlich berechenbar gemacht und in die ökonomische Sphäre zurückgeholt.
Bis es so weit ist, stellt die Finanz-Branche selber Zahlen-Spiele an. „Kommt BAYER mit Zahlungen von fünf Milliarden Dollar davon, hat der BAYER-Vorstand alles richtig gemeint“, meint etwa Markus Manns von UNION INVESTMENT: „Muss BAYER am Ende mehr als zehn Milliarden Dollar zahlen, hat der Vorstand die Risiken von MONSANTO klar unterschätzt.“ An zehn Milliarden Dollar hängt es ihm zufolge also, ob die ökonomische Logik am Ende ihren Geltungsanspruch zu behaupten vermag. Aber wie die Sache auch immer ausgeht, die Verlierer*innen stehen jetzt schon fest: Es sind die 12.000 BAYER-Beschäftigten, die im Zuge des Monopoly-Spiels auf dem Agro-Markt ihren Job verloren haben.

[Glyphosat-Gate] Die Geheimdossiers der BAYER-Tochter MONSANTO

CBG Redaktion

BAYERs Tochter-Gesellschaft MONSANTO hat die politische Landschaft über Jahre hinweg mit Geheimdienst-Methoden vermessen lassen, um sie so pflegen zu können, dass Glyphosat & Co. darin ein ideales Habitat finden.

Von Jan Pehrke

Sie nennen sich harmlos Kommunikations- oder PR-Agenturen, arbeiten aber de facto oft als private Nachrichtendienste für Konzerne: BURSON COHN & WOLFE, PUBLICIS, FLEISHMAN HILLARD, FTI & Co. Genaueren Aufschluss über ihre Tätigkeit geben jetzt Dokumente, die Unbekannte der französischen Zeitung Le Monde und dem TV-Sender France 2 zugespielt hatten.
So erstellte FLEISHMAN HILLARD für die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO ein ausführliches Lagebild über das politische Frankreich. Ein umfangreiches Dossier mit den Namen von 200 Journalist*innen, Politiker*innen, Verbands- und NGO-Vertreter*innen sowie Wissenschaftler*innen mitsamt Kontakt-Daten und Hobbys legte die Agentur für ihren Auftraggeber an. Minutiös verzeichnete sie die Haltung der Betreffenden zu Themen wie „Landwirtschaft“, „Ernährung“, „Umwelt“, „Gentechnik“, „Gesundheit“ und „Pestizide“. Die Glaubwürdigkeit der Personen, ihren Einfluss und ihre Haltung zu MONSANTO bewertete FLEISHMAN dabei mit Noten von „0“ bis „5“. Diese detaillierten Profile dienten dann als Ansatzpunkte, um passgenau „Vertrauen zu MONSANTO aufzubauen“.

Geheimdienst-Methoden
Schwerpunktmäßig widmeten sich FLEISHMAN HILLARD und PUBLICIS, die zweite an der Operation beteiligte Firma, Glyphosat. In den Jahren 2015 und 2016 konzentrierten sich die Aktivitäten hauptsächlich darauf, bei der Europäischen Union eine Zulassungsverlängerung für das umstrittene Herbizid zu erwirken.
Dabei gingen die beiden Unternehmen arbeitsteilig vor. Während FLEISHMAN HILLARD die Aufgabe zufiel, die öffentliche Sphäre zu überwachen und sorgsam sämtliche das Pestizid betreffenden politischen und juristischen Schritte zu registrieren, oblag es PUBLICIS, „Auskünfte und Informationen zu sammeln, die NICHT (Hervorhebung im Original, Anm. SWB) öffentlich zugänglich sind“, wie es in einem internen Memo hieß.
Als Ausgangsbasis hat PUBLICIS erst einmal eine „Kartografie“ der Glyphosat-Debatte in Frankreich erstellt. Anhand eines Koordinaten-Systems verorteten die Öffentlichkeitsbearbeiter*innen die Positionen der „Top 20 Stakeholder“ zu dieser Frage. Dazu trugen sie auf der x-Achse den Grad der Unterstützung bzw. Ablehnung ein, welche die betreffenden Personen MONSANTO entgegenbringen, und auf der y-Achse deren Einfluss. Die Farbe Orange haben die PR-Strateg*innen dabei für Regierungsvertreter*innen gewählt, hellblau für Abgeordnete, lila für Verwaltungsleute und grün für Vertreter*innen von Bauernverbänden und anderen Organisationen. Als verlässliche Bündnispartner*innen verzeichnete das Diagramm beispielsweise Maire Guittard, damals Beraterin des Landwirtschaftsministers, und den in der fraglichen Periode dem Landwirtschaftsverband FNSEA vorstehenden Xavier Beulin. Als eindeutigen Opponenten identifizierte das „Mapping“ hingegen Laurin Bouvier, der zu der Zeit Berater der Umweltministerin Ségolène Royale war.
FLEISHMAN HILLARDs Projekt zu dem von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften Pestizid war „FR Glyphosat-Ziele Aktionsplan“ überschrieben, wobei „FR“ für Frankreich stand. 74 Personen listete dieser Plan auf. Und zu den Eintragungen gab es jeweils Statusmeldungen. So firmierte etwa der Agrar-Ingenieur Gérard Kafadaroff – ein ehemaliger MONSANTO-Angestellter, der eine Organisation zur Förderung der Pflanzen-Biotechnologie gründete – als „Verbündeter“. Aber so ganz konnte FLEISHMAN doch nicht auf ihn zählen, obwohl Kafadaroff Botschaften des Unternehmens verbreitete. „Er könnte als Relais dienen, möchte aber nicht direkt mit MONSANTO in Verbindung gebracht werden, da er den Verlust seiner Glaubwürdigkeit fürchtet“, lautete der Vermerk in seiner Akte. Ebenfalls zu den „Verbündeten“ zählten die „Public Relations“-Expert*innen Jean Bizet, den Senatoren des Landkreises Manche. Als „prioritär“ stuften sie es ein, ihn zu rekrutieren. Dementsprechend verschnupft reagierte der Politiker gegenüber der Presse auf die Enthüllungen. Er zweifelte einfach die Echtheit der Dokumente an und verweigerte weitere Auskünfte. Auch auf den Präsidenten des Regionalrats von Hauts-de-France, Xavier Bertrand, wollte FLEISHMAN HILLARD bauen. Er habe zwar nicht allzu viele Einwirkungsmöglichkeiten auf den Prozess der Zulassungsverlängerung in Brüssel, so die Einschätzung der PR-Profis, dafür sei aber sein Einfluss auf konservative Abgeordnete „sehr groß“. Deshalb visierten sie einen Hausbesuch von MONSANTO-Emissär*innen bei ihm an und planten schon über den Termin hinaus. Sie fassten ins Auge, Bertrand danach mit detaillierten Informationen zu den ökonomischen, sicherheitstechnischen und klima-relevanten Aspekten von Glyphosat zu versorgen.
Die Umweltjournalistin Sandy Dauphin von der Radiostation „France Inter“ führte das Unternehmen als „mobil/beeinflussbar“, während es bei der damaligen Umweltministerin Ségolène Royal auf Granit biss: „null beeinflussbar“. Für solche Fälle hatte FLEISHMAN aber auch ein Mittel parat. „Isolieren“ stand als Arbeitsanweisung in den Dokumenten. „So funktioniert das Lobbying: „Wissen, welche Person zu kontaktieren ist und sie dann manipulieren, um eine Entscheidung zu verändern“, empört sich Royal über Glyphosat-Gate: „Was pervers ist, das ist dieses Lobbying im Verborgenen, das sich illegaler, der Spionage ähnelnder Methoden bedient.“

300 deutsche Namen
Die geleakten Papiere betreffen nur Frankreich. Aber FLEISHMAN HILLARD operierte aber auch in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien und Großbritannien, wie BAYER inzwischen einräumt. Hierzulande trugen die Einfluss-Agent*innen dem Konzern zufolge eine Liste mit 300 Namen zusammen. Nach Angaben des BAYER-Sprechers Christian Maertin befinden sich darunter mit Stand 14.06.2019 keine Journalist*innen, was Hendrik Zörner vom „Deutschen Journalisten-Verband“ allerdings für sehr unwahrscheinlich hält. Einen detaillierteren Einblick in die Arbeit vor Ort gewährte Le Monde. Das Blatt zitiert aus den berühmt-berüchtigten „MONSANTO-Papers“, welche durch die Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ publik wurden. Darin erwähnt der oberste MONSANTO-Öffentlichkeitsarbeiter Sam Murphey Arbeitsgruppen, die mit FLEISHMAN HILLARD eine Strategie für Deutschland entwickelten, „um es der Regierung zu erlauben, zu einer Position zurückzukehren, die der Glyphosat-Zulassungsverlängerung positiv gegenübersteht“. Und in der Tat ist der damals zuständige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) bei der EU-Abstimmung am 27. November 2017 zu einer solchen Position zurückgekehrt, obwohl die damalige Koalitionsvereinbarung eigentlich eine Enthaltung vorsah. „Die jetzigen Enthüllungen werfen ein neues Licht auf das Votum von Christian Schmidt. Nun müssen BAYER und das Landwirtschaftsministerium Rede und Antwort stehen, ob Schmidt unter Einfluss stand“, forderte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) deshalb in ihrer Presseerklärung zum Skandal.
FLEISHMAN HILLARD jedenfalls ließ sich nach der Entscheidung der Europäischen Union gebührlich feiern. Das Webportal Politico pries die größte Brüsseler Agentur, die über einen Jahres-Etat von fast sieben Millionen Euro für ihr Antichambrieren verfügt, überschwänglich. „Es war Fleishmans multinationale Kampagne, die MONSANTO und wohlmeinende Regierungen mit den Argumenten versorgte, welche diese brauchten, um diejenigen in die Schranken zu weisen, die für einen Bann eintraten“, konstatierte die Website.
Millionen-Summen hat es die jetzige BAYER-Tochter gekostet, sich der Dienste der rund 60 FLEISHMAN-Beschäftigten bei der Bearbeitung von Mitgliedern des Europäischen Parlamentes und der EU-Kommission zu versichern. Allein für die Lobby-Arbeit am EU-Hauptsitz überwies sie FLEISHMAN nach Angaben des Portals Lobbyfacts 2014 und 2015 jeweils 200.000 bis 300.000 Euro. Im Jahr 2016 waren es 700.000 bis 800.000 Euro, 2017 500.000 bis 600.000 Euro und 2018 400.000 bis 500.000 Euro. In den Hochzeiten der Kampagne hatte kein Auftrag eines Einzelunternehmens bei der Agentur ein so großes Volumen wie der von MONSANTO. Insgesamt brachte er ihr einen zweistelligen Millionenbetrag ein.
Dabei ist sich FLEISHMAN HILLARD keiner Schuld bewusst: „Unsere Arbeit entspricht den fachlichen Standards und Gepflogenheiten unserer Branche.“ Dies steht allerdings sehr in Frage. Das französische Gesetz untersagt es nämlich, politische Meinungen von Menschen ohne Zustimmung der Betreffenden in Datenbanken einzuspeisen. Deshalb kündigten Le Monde, Radio France und die Organisationen FOODWATCH und GÉNÉRATIONS FUTURES bereits rechtliche Schritte an. Vor deutschen Gerichten hätten sie ebenfalls Chancen, denn wie Sebastian Huld vom „Deutschen Journalistenverband“ in einem taz-Interview erläuterte, verbietet das Bundesdatenschutz-Gesetz das Verarbeiten persönlicher, der Öffentlichkeit nicht zugänglicher Daten. Und nach der Datenschutz-Grundverordnung „sind personen-bezogene Daten, aus denen weltanschauliche Überzeugungen hervorgehen, besonders geschützt“, so Huld weiter. Die nordrhein-westfälische Datenschutz-Beauftragte Helga Block ist deshalb schon an BAYER herangetreten und hat um Einsicht in die Unterlagen ersucht. Von einem möglichen Verfahren sprechen Block und ihre Kolleg*innen jedoch noch nicht, vorerst geht es nur um eine „Sachstandsermittlung“. Auch der „Deutsche Rat für Public Relations“ kündigte an, sich „Glyphosat-Gate“ annehmen zu wollen.

CBG will Auskunft
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte den Leverkusener Multi in einem Offenen Brief bereits auf, Auskunft darüber zu erteilen, ob und wenn ja, in welchen Zusammenhängen sich der Name der Coordination auf den Listen befindet. Die Grünen-Politiker*innen Anton Hofreiter, Oliver Krischer, Harald Ebner und Renate Künast haben vom Konzern ebenfalls schon Auskunft über eine eventuelle Speicherung ihrer Daten verlangt. „Mit der Übernahme von MONSANTO hat BAYER nicht nur landwirtschaftliche Gifte, sondern auch toxische Geschäftspraktiken übernommen“, konstatierte Künast. Die Aussage des Konzerns, keine Kenntnis von den Vorgängen gehabt zu haben, zweifelte die Bundestagsabgeordnete an: „Das Management von BAYER hat dabei wissentlich weggesehen.“ Konkreteres weiß offenbar schon der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach, der seinen Wahlkreis in Leverkusen hat. „Ich habe vor einigen Tagen Hinweise erhalten, dass MONSANTO auch über mich Dossiers in Auftrag gegeben hat“, erklärte der Politiker. Er forderte den Konzern daraufhin auf, „schnellstmöglich Klarheit zu schaffen“. Und Dr. Kirsten Tackmann von der Partei „Die Linke“ hat in der Causa eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. „Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um konkrete Kenntnisse über deutsche Staatsangehörige auf den sogenannten ‚Schwarzen Listen’ von BAYER/MONSANTO für Glyphosat-Kritikerinnen und -kritiker zu erlangen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus dem Vorgang?“, wollte die Bundestagsabgeordnete wissen. Das alles fiele in die Zuständigkeit der Landesdatenschutz-Behörden, antworteten Merkel & Co. knapp. „Statt sich schützend vor die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu stellen (...), hält die Bundesregierung damit zumindest indirekt schützend die Hand über einen Konzern, der unterdessen zum deutschen BAYER-Konzern gehört. Das lässt tief blicken“, kommentierte Tackmann.

Nicht nur FLEISHMAN
Im Zuge von „Glyphosat-Gate“ kamen auch noch andere Operationen ans Tageslicht. So hat MONSANTO die von britischen Geheimdienstler*innen gegründete „Beratungsfirma“ HAKLUYT, berühmt-berüchtigt für das Einschleusen von Spitzeln in Umweltgruppen wie GREENPEACE, engagiert, um die politische Lage in Washington zu sondieren. Der Leverkusener Multi hat den Auftrag nach der Übernahme des US-Unternehmens dann einfach weiterlaufen lassen und hörte nur Gutes von HAKLUYT. „Das aktuelle politische Umfeld steht hinter Ihnen“, hieß es etwa in einer E-Mail von Juli 2018 an den damals bei BAYER für die globale Konzern-Strategie zuständigen Todd Rands. Die Probe aufs Exempel, nämlich „die Temperatur bezüglich der aktuellen Haltung zur Regulierung von Glyphosat zu messen“, bestätigte dann den Befund. Der HAKLUYT-Mann im Weißen Haus zitierte einen Politik-Berater, der zwar den aktuellen Besitzer-Wechsel noch nicht registriert hatte, dafür aber versichern konnte: „MONSANTO braucht keine zusätzlichen Vorschriften zu befürchten.“ Und wenn diese von anderer Seite, etwa aus Brüssel, drohen würden, stände die Trump-Administration bereit, „in die direkte Konfrontation zu gehen“.
Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA hat den Reports zufolge ebenfalls nichts gegen Glyphosat. Die Autor*innen warnen jedoch vor einer möglichen Nebenwirkung des amtlichen Beistands: Er könnte NGOs auf den Plan rufen und sie zu einer verstärkten Aktivität animieren. Zudem stützt die Behörde die Industrie-Positionen laut HAKLUYT nicht einhellig. Die Berichte machen Konflikte innerhalb der Belegschaft fest. „Die politische Leitung favorisiert Deregulierungen und setzt sich über die Risiko-Analysen der Experten hinweg (...) Besonders, was Glyphosat angeht, gibt es starke Differenzen zwischen dem politischen und dem professionellen Personal“, gibt der „private Nachrichtendienst“ (Lobbypedia) die Worte einer Anwaltskanzlei mit gutem Einblick in die Behörden-Interna wieder.
Allerdings steht es auch bei der EPA mit dem Image von MONSANTO nicht zum Besten. So beklagt sich ein Angestellter über die Weigerung der BAYER-Tochter, auf wissenschaftlichem Gebiet „plausible Zusammenhänge anzuerkennen, wenn diese nicht ihrer Sichtweise entsprechen“. Nicht nur deshalb mahnt HAKLUYT an, etwas am Image zu tun. Zu diesem Behufe zitiert die Agentur einen Berater großer Agro-Konzerne: „Ich bin mir sicher, BAYER ist sich dessen bewusst und wird hier Korrekturen vornehmen. Es geht darum, das Image softer zu gestalten, nicht darum, die Argumente aufzugeben.“ Und mit der Berufung des Ex-Grünen-Politikers Matthias Berninger nach Washington sowie der Mitte Juni 2019 gestarteten PR-Kampagne hat der Leverkusener Multi solchen Empfehlungen dann ja auch entsprochen.
Die Mail-Wechsel zwischen BAYER und HAKLUYT diente im dritten Schadensersatz-Prozess um Glyphosat (siehe S. 18 ff.) als Beweismittel der Kläger*innen-Anwälte. Das Gericht vernahm dabei auch Todd Rands, der inzwischen nicht mehr in Diensten des Leverkusener Multis steht. Frank und frei erklärte der Ex-Angestellte den Richter*innen, warum MONSANTO und später BAYER die HAKLUYT-Leute die politische Landschaft in Washington vermessen ließen, ohne den Gesprächspartner*innen ihre Auftraggeber zu nennen: „Wir wollten sichergehen, dass wir Dinge zu hören bekommen, die die Leute uns nicht direkt sagen würden.“ Aber als „Nachrichtendienst-Arbeit für Konzerne“ („corporate intelligence work“) wollte er das, was HAKLUYT & Co. tun, nur zögerlich bezeichnet wissen. „Ich würde es ‚Recherche für Konzerne’ (‚corporate research’, Anm. SWB) nennen“, sagt Rands, gibt dann aber doch noch klein bei und akzeptiert den Begriff „Nachrichtendienst“.
Und nachrichtendienstlich wurde auch die Beratungsfirma FTI für BAYER tätig. Eine Beschäftigte gab sich in dem Schadensersatz-Prozess, den der Glyphosat-Geschädigte Edwin Hardeman in San Francisco gegen den Leverkusener Multi führte, als Berichterstatterin aus, um Gerichtsreporter*innen auszuspionieren. Die als „Glyphosate Girl“ bekannt gewordene Bloggerin Kelly Ryerson, zu der die FTIlerin ein engeres Verhältnis aufbauen konnte, deckte den Skandal auf.
Zu den neueren Enthüllungen äußerte der Agro-Riese sich noch nicht, in der Causa „FLEISHMAN HILLARD“ gibt er sich allerdings leutselig. „Nach einer ersten Analyse verstehen wir, dass ein solches Projekt Bedenken und Kritik ausgelöst hat“, bekundete er und kündigte die Prüfung interner und externer Konsequenzen an. Detaillierter, etwa zur Zukunft Sam Murpheys, der derzeit dem „Global Is-sues Management“ vorsteht, äußerte das Unternehmen sich jedoch bisher nicht. Ansonsten ließ es aber kein Zweifel daran, das in Rede stehende Vorgehen zu missbilligen. „Dies ist nicht die Art, wie BAYER den Dialog mit unterschiedlichen Interessengruppen und der Gesellschaft suchen würde“, hielt der Konzern fest. Sogar eine Entschuldigung kam ihm über die Lippen. Dabei sind dem Global Player die angewandten Methoden alles andere als fremd. Der Leverkusener Multi unterhält nicht nur selbst langjährige Geschäftsbeziehungen zu FLEISHMAN HILLARD, er geht auch mit Kritiker*innen ähnlich um. Von Bespitzelung über Verleumdung und Täuschungsmanövern bis hin zu gerichtlichen Schritten reicht das Arsenal.

BAYERs Aktivitäten
So hob er dereinst die Fake-Bürgerinitiative „Malocher gegen Schmarotzer“ aus der Taufe, um den alljährlichen Protest auf der BAYER-Hauptversammlung zu desavouieren. Zusammengestellt aus Werkschutz-Leuten und anderem Personal aus den eigenen Reihen, sollte die Truppe bei den Aktionär*innen-Treffen den „ehrlichen Arbeiter“ gegen dahergelaufene „Berufsdemonstranten“ und „rote Vögel“ in Stellung bringen.
Im Jahr 2008 sah sich der Konzern nach einer verheerenden Explosion am US-amerikanischen Standort Institute zu Maßnahmen gegen die ortsansässige Bürgerinitiative PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC veranlasst, hatte diese doch die unzureichende Anlagen-Sicherheit im Vorfeld immer wieder kritisiert. „Wir sollten versuchen, die PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC zu marginalisieren und als irrelevant erscheinen zu lassen. Dies sollte gerade in der aktuell schwierigen ökonomischen Situation möglich sein, in der Arbeitsplätze so viel zählen“, hieß es in einem firmen-internen Strategie-Papier.
Auch vor klandestinen Unternehmungen schreckt der Multi nicht zurück. Als die Coordination einmal zu einer schulinternen Veranstaltung geladen war, um über die Gefahren von Pestiziden zu berichten, bekam sie später aus BAYER-Kreisen ein minutiöses, dreiseitiges Werksschutz-Protokoll über den Vortrag und die anschließende Diskussion zugespielt. Und bei anderen Terminen tauchte regelmäßig ein Mann auf, der sich als freier Journalist ausgab, den CBGler*innen aber dann auf der Hauptversammlung des Unternehmens wiederbegegnete – in der Montur des Werksschutzes. Der Global Player streitet ein solches Vorgehen im Übrigen auch gar nicht ab. So räumte ein Anwalt des Unternehmens vor Gericht einmal ein: „Selbstverständlich überwacht meine Mandantin alle Veranstaltungen, auf denen Themen behandelt werden, die für BAYER relevant sind.“ Und sichtlich stolz fuhr er fort: „Wir wissen über alles Bescheid, auch in den höchsten Entscheidungsgremien der CBG.“
Da wundert es dann nicht, dass der Leverkusener Multi immer wieder auf ominöse Weise Kenntnis von geplanten Aktionen erhält, wie etwa 1993. Im März des betreffenden Jahres publizierte Tierra Amiga, die Zeitschrift eines Ökologie-Netzwerkes in Uruguay, einen kritischen Artikel über BAYERs Schmerzmittel ASPIRIN. Der Pharma-Riese reagierte postwendend. Er stritt dem Blatt das Recht ab, geschützte Markennamen auch nur zu erwähnen und forderte eine Unterlassungserklärung. Die Redaktion setzte sich umgehend mit der CBG in Verbindung. Mensch besprach das weitere Vorgehen und kam überein, eine Presseerklärung und einen Protestbrief zu veröffentlichen. Und bereits am nächsten Tag erhielt das Magazin einen Droh-Anruf von dem Konzern mit der unmissverständlichen Botschaft, solche Schritte besser nicht zu unternehmen. „Die Schlussfolgerung ist offensichtlich“, schrieb der Chefredakteur Jorge Barreiro in einem Kommentar: „Entweder hört BAYER auf irgendeine Art die Telefongespräche der Coordination mit oder hat jemanden dort eingeschleust. In jedem der beiden Fälle ist klar, dass BAYER einen Teil seiner Energien dazu verwendet, seine Kritiker auszuspionieren.“
Zuweilen schlägt das Unternehmen auch den Rechtsweg ein, um sich die CBG und andere vom Hals zu schaffen. Zuletzt ging es gegen die taz vor (siehe SWB 2/19), weil die Zeitung als „Krebs-Rundumpaket“ zusammenbrachte, was nach Leverkusener Meinung nicht zusammengehörte: BAYERs „wahrscheinlich krebserregendes“ Glyphosat und BAYERs Krebs-Therapeutikum ALIQOPA. Gegen die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN leitete der Leverkusener Multi bereits mehrmals juristische Schritte ein. So zwang er sie 1988, ihren ursprünglichen Namen „BAYER-Coordination“ aufzugeben. Es bestehe „die Gefahr von Verwechslungen bzw. von Zuordnungsirrtümern“, so argumentierten die Konzern-Anwält*innen, und so etwas könnte den „Weltruf“ der Marke durch „Ruf-Beeinträchtigungen, Image-Verfremdungen und sonstige Beeinträchtigungen“ schädigen. Angesichts des hohen Streitwertes von 50.000 Euro musste sich die CBG ebenso fügen wie anno 2001, als das Unternehmen gerichtlich gegen den Domain-Namen „BAYER-Watch“ vorging.
Die langwierigste rechtliche Auseinandersetzung, die für die CBG wegen der damit verbundenen Kosten existenz-bedrohend war, begann 1987. Der Agrar-Gigant nahm Anstoß an einer Passage aus einem Aufruf. Er betrachtete die Sätze: „In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt BAYER demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairness. Missliebige Kritiker werden unter Druck gesetzt, rechte und willfährige Politiker werden unterstützt und finanziert“, als Schmähkritik. Unter Strafandrohung „von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten bzw. einer Geldstrafe von bis zu DM 500.000“ forderte der Konzern eine Unterlassungserklärung. Die Sache ging bis vor das Bundesverfassungsgericht, das 1992 schließlich aber zu Gunsten der Meinungsfreiheit entschied und der Coordination recht gab.
Der Leverkusener Multi verfügt also über ein reichhaltiges Instrumentarium im Umgang mit Kritiker*innen und anders als von ihm verkündet, entspricht die Art, wie seine jetzige Tochter-Gesellschaft MONSANTO via FLEISHMAN HILLARD den „Dialog“ mit unterschiedlichen Interessengruppen und der Gesellschaft gesucht hat, genau der Art des Hauses.

[Die Eigentumsfrage] Muss der BAYER-Konzern Enteignungen fürchten?

CBG Redaktion

So schnell kann’s gehen: In Deutschland ist eine Debatte über Enteignungen entbrannt. Die Panik-Reaktionen aus den Vorstandsetagen ließen nicht lange auf sich warten. Aber müssen BAYER, BMW, SIEMENS & Co. jetzt wirklich Angst haben? Eher nicht. Die Konzerne profitieren sogar selber von den entsprechenden Regelungen im Grundgesetz.

Von Uwe Koopmann und Jan Pehrke

Ein kleines Gespenst geht um in Deutschland: Das Enteignungsgespenst. Freigelassen hat es eine Berliner Initiative, welche die Vergesellschaftung großer Immobilien-Konzerne als einziges Mittel sieht, der grassierenden Wohnungsnot Herr zu werden. Robert Habeck von Bündnis 90/Die Grünen äußerte Verständnis für den Vorstoß. Und in einem Interview mit der Wochen-Zeitschrift Die Zeit erweiterte der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert dann die Perspektive noch einmal und nahm auch Unternehmen wie BMW in den Blick. „Die Verteilung der Profite muss demokratisch kontrolliert werden. Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebs gibt. Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar“, sagte der Jungsozialist.
Es folgten harsche Reaktionen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warf Habeck „Linkspopulismus“ vor, und das Handelsblatt sah den Grünen-Vorsitzenden eine „Rolle rückwärts in den Sozialismus“ vollziehen. Kevin Kühnert musste sich Ähnliches anhören. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) machte bei dem Juso „das rückwärtsgewandte und verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten“ fest, während der CSU-Generalsekretär Markus Blume von „Hirngespinsten“ sprach. Die eigene Partei sparte ebenfalls nicht mit Kritik. „Grober Unfug“ erboste sich etwa Johannes Kahrs vom konservativen „Seeheimer Kreis“ der Sozialdemokraten. BAYERs Lobby-Club, der „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI) durfte in dem Chor natürlich nicht fehlen. „Unausgegorene Ideen für eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsform verlieren sich im Nebel aus unbestimmten Wünschen und Rezepten von gestern“, resümierte der BDI.
Nur vereinzelt gab es anderslautende Statements. „Was Kevin Kühnert gesagt hat, geht vielleicht über das Ziel hinaus. Aber die Richtung ist die richtige“, meint etwa die Vorsitzende der Kölner SPD, Christiane Jäger: „Es läuft momentan etwas auseinander in dieser Republik. Es muss doch so sein, dass jemand, der sein Leben lang Vollzeit gearbeitet hat, von dem Gehalt leben kann und ihm das auch mit der Rente noch möglich ist. Solche Entwicklungen haben konkrete Auswirkungen für Köln. Wo sollen beispielsweise die guten Einkommen herkommen, wenn bei FORD abgebaut wird, bei BAYER, in den Zentralen der Handelskonzerne, in der Braunkohle bei RWE. Wenn diese Arbeitsplätze nach und nach wegfallen, kann die Situation irgendwann kippen.“

Der Artikel 15
Dreh- und Angelpunkt der Debatte: der Artikel 15 des Grundgesetzes. „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen des Gemeineigentums überführt werden“, hält dieser fest. Und der Leverkusener Multi hatte – unfreiwilligerweise – keinen geringen Anteil daran, dass der Paragraf Eingang in die Verfassung fand. Er gehörte nämlich zu den Mitgründern der IG FARBEN, und die Verbrechens dieses Konzerns und anderer Unternehmen während des Faschismus veranlassten die Mütter und Väter des Grundgesetzes, Vorsorge-Maßnahmen gegen eine unbeschränkte Kapital-Herrschaft zu treffen. So schreibt die Rheinische Post: „Lange führte dieser Artikel ein Schattendasein, bisher ist er nie angewendet worden. Dass er überhaupt ins Grundgesetz kam, ist aus der historischen Situation zu erklären. Großkonzerne hatten Nazi-Deutschland U-Boote, Panzer und Treibstoff für den Weltkrieg geliefert sowie Giftgas für die Vernichtungslager. Zugleich hatten es die Konzerne in der Weimarer Republik nicht vermocht, Wohlstand für alle zu erzeugen.“ Bis in die CDU hinein verbreitete sich diese Auffassung. „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Macht-Politik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen“, heißt es im Ahlener Programm der Partei von 1947.
Wirtschaftsfreundliche Kreise traf der Enteignungsvorstoß einigermaßen unvor-bereitet. Zu spät hatten sie die offene Flanke in der Verfassung bemerkt, die auch noch vom Bundesverfassungsgericht gedeckt wird, spricht dieses doch von der „wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes“. Darum sannen die Fans des freien Unternehmertums sogleich auf Abhilfe, als sich die Schockstarre gelöst hatte. Wirtschaftsprofessor*innen starteten eine Initiative, um die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung zu verankern, und die FDP setzt von der anderen Seite her an. Sie will den Bundestag zu dem Beschluss veranlassen, den Artikel 15 zu streichen. Einem entsprechenden Antrag, „Bauen statt Klauen“ betitelt, stimmten die Delegierten auf dem Bundesparteitag Ende April 2019 zu. „Artikel 15 passt nicht zur sozialen Marktwirtschaft. Er ist ein Verfassungsrelikt und wurde aus gutem Grund nie angewandt. Ihn abzuschaffen, wäre ein Beitrag zum sozialen Frieden und würde die Debatte wieder auf das Wesentliche lenken“, sagte Liberalen-Chef Christian Lindner dem Tagesspiegel zur Begründung.
Andere Fraktionen hingegen halten den Kapitalismus für wehrhaft genug, den aktuell diskutierten Bestrebungen zu trotzen. So findet der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Dieter Grimm, in der Faz beruhigende Worte: „Die Wege in die radikalen Alternativen sind verfassungsrechtlich versperrt. Vor der sozialistischen Planwirtschaft stehen die Grundrechte der Eigentumsfreiheit (Artikel 14), der Berufsfreiheit (Artikel 12) und, als Teil der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2, Absatz 1), die Vertragsfreiheit.“ Der Jurist Helge Sodan hält sogar den notorischen Artikel 15 für wetterfest, weil hohe juristische Hürden dem Ansinnen entgegenstehen, ihn als Instrument für den Aufbruch in die klassenlose Gesellschaft zu nutzen. Darum ist der Paragraf Sodan zufolge „bei genauer Betrachtung alles andere als ein ‚Einfallstor’ für die Etablierung des Sozialismus als Wirtschaftsform“, sondern eher eine „Sozialisierungsvermeidungsnorm“. Und dann ist da ja auch noch Europa. Beim Vertrag von Lissabon, von 2009, haben die Regierungschef*innen nämlich Nägel mit Köpfen gemacht und die soziale Marktwirtschaft fest im Artikel 3 verankert.

BAYER enteignet selbst
Ein bisschen was geht aber doch, nur leider profitiert davon nicht die Allgemeinheit – ganz im Gegenteil. Manchmal steht das Eigentum fremder Leute nämlich auch den Profit-Interessen der großen Konzerne im Weg. Und in solchen Fällen gilt es, flugs alle Hindernisse zu beseitigen. Wenn BAYER etwa quer durch Nordrhein-Westfalen eine 67 Kilometer lange Pipeline zur Durchleitung hochgiftigen Kohlenmonoxids verlegen will, muss ohne Rücksicht auf Verluste alles weichen, was auf der Strecke liegt. Das taten etwa Teile des Grundstücks des Landwirts Heinz-Josef Muhr. Deshalb kam das „Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen“ in Anschlag, das die Lizenz zu Enteignungen ausstellt. Der „Lex BAYER“ folgte dann die „vorläufige Besitz-Einweisung“ auf dem Fuße. Durch diese erhielt der Leverkusener Multi die Verfügungsgewalt über den Grund und Boden und bestellte postwendend den Bau-Trupp. Muhr aber zog vor Gericht, denn er bestreitet die Rechtmäßigkeit des Verfahrens, dürfen Enteignungen doch nur vorgenommen werden, wenn sie dem Allgemeinwohl dienen. Und bei einer Leitung, die gemeingefährliches Giftgas transportiert, das der Konzern obendrein direkt vor Ort im Krefelder Chem-„Park“ produzieren könnte, ist ein solcher übergeordneter Nutzen nur schwerlich zu erkennen. Die juristische Auseinandersetzung, die bis vor das Bundesverfassungsgericht gelangte, zieht sich schon jahrelang hin. Während dieser Zeit ist viel passiert. BAYER stieß die Kunststoff-Sparte ab, die nun mitsamt dem Pipeline-Projekt unter dem Namen COVESTRO firmiert. Und 2015 verstarb Heinz-Josef Muhr. Aber der Prozess läuft weiter, Muhrs Frau Helga führt ihn fort. Die Entscheidung liegt jetzt beim Oberverwaltungsgericht Münster. Und ehe nicht die dortigen Richter*innen ihr Urteil gesprochen haben, darf die COVESTRO die schon lange fertiggestellte Pipeline nicht in Betrieb nehmen.
Mit Enteignungen hatte Heinz-Josef Muhr in seinem Leben schon so einige Erfahrungen gemacht. Strom-Masten und Autobahnen musste er schon Land opfern. Andere verloren wegen der Braunkohle Haus und Hof. In den Tagebau-Revieren macht der RWE-Konzern ganze Dörfer platt, damit er die Umwelt weiter mit dem schmutzigsten aller Energie-Träger belasten kann. Solche erzwungenen Besitzer*innen-Wechsel unter dem Signum des Allgemeinwohls gehören in der Bundesrepublik zum Alltag. Wie eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Sven Kindler von Bündnis 90/Die Grünen ergab, laufen derzeit allein in Sachen „Autobahn-Bau“ 65 Enteignungsverfahren. „Wenn es darum geht, neue überflüssige Autobahnen durchzudrücken, haben CDU, CSU und FDP keine Probleme mit der Enteignung von Privatleuten und Bauern. Geht es aber um die Vergesellschaftung großer Immobilien-Konzerne, die ihre Markt-Macht für Preistreiberei ausnutzen, heulen sie laut auf“, brachte der Politiker die Doppelzüngigkeit auf den Punkt. Und Abhilfe ist vorerst nicht in Sicht. Eine „Lex BAYER“, die nicht dem Leverkusener Multi den Weg freiräumt, sondern der Gesellschaft, welche die Kapital-Macht demokratischer Kontrolle unterwerfen will, steht bis auf Weiteres wohl nur in den Sternen statt in den Gesetzbüchern. ⎜