BAYER-Kritik im Hauptabend-Programm
YASMIN – der Film
Jetzt brachten es BAYERs hochgefährliche Verhütungsmittel der vierten Generation wie YASMIN, YASMINELLE und YAZ sogar bis zur Filmreife. „Was wir wussten – Risiko Pille“ hieß das prominent besetzte Werk, das die ARD im Oktober 2019 zur besten Sendezeit ausstrahlte. Es stieß dementsprechend auf große Resonanz und entfachte die Diskussion um die Präparate neu.
Von Jan Pehrke
Ein Pharma-Multi will das Verhütungsmittel „Bellacara“ auf den Markt bringen und es profitträchtig als Lifestyle-Produkt vermarkten. Dafür heuert er junge Influencerinnen an, die das Präparat der jungen Zielgruppe „als Schönheitspille mit dem Schlank-Effekt“ verkaufen. Während die Planung der Produkteinführungskampagne schon auf Hochtouren läuft, erscheint eine Studie, die dem Wirkstoff des Medikaments größere Risiken als die sonst bei Kontrazeptiva handelsüblichen attestiert. Die Hauptfigur Dr. Carsten Gellhaus ringt mit sich, aber letztlich geht doch alles seinen kapitalistischen Gang. Der Pillen-Riese macht einfach weiter im Programm und überlässt das Übrige „uns wohlgesonnenen Wissenschaftlern“. Diese Geschichte erzählt der Film „Was wir wussten – Risiko Pille“. Es ist die Geschichte BAYERs bzw. des 2006 vom Leverkusener Multi erworbenen Unternehmens SCHERING und der Kontrazeptiva YASMIN, YASMINELLE und YAZ. „Der BAYER-Konzern hat in den letzten Jahren mit diesen Produkten mehr Umsatz gemacht als mit ASPIRIN“, sagt Drehbuch-Autor Volker A. Zahn und verdeutlicht so, dass Ähnlichkeiten von „Sonne Pharma“ mit real existierenden Firmen weder zufällig noch unbeabsichtigt sind.
Zahn und seine Frau Eva haben für ihre Arbeit akribisch recherchiert. Selbst ausgedacht wirkenden Szenen wie diejenige, in welcher Gellhaus seiner Tochter aus vorbeugendem Gesundheitsschutz die „Sonne“-Kontrazeptiva entreißt, beruhen auf Tatsachen. Die Zahns haben sich jedoch nicht nur unter BAYER-Beschäftigten umgetan, sondern zur Vorbereitung auch Kontakt zu der Selbsthilfegruppe RISIKO PILLE aufgenommen. Und am Schluss haben deren Mitglieder sogar einen kleinen Auftritt. Als eine „Bellacara“-Geschädigte auf der Hauptversammlung des „Sonne“-Konzerns eine flammende Rede hält, stehen die Aktivistinnen in einer Phalanx daneben, ganz so wie im wirklichen Leben auf den AktionärInnen-Treffen von BAYER. Da gilt es nämlich immer dem Vorstand zu signalisieren: Es geht hier nicht um einen Einzelfall, die ganze Sache hat System.
Im Abspann folgten dann Fakten zu den Risiken und Nebenwirkungen der Pillen mit dem Wirkstoff Drospirenon. Und dann ging es bruchlos weiter im Programm mit einem Plusminus-Beitrag zu den Verhütungsmitteln, der gleich am Anfang Ross und Reiter nennt: BAYER und die Produkte der YASMIN-Reihe. Julia Frenking nahm eines dieser Kontrazeptiva ein, die der Leverkusener Multi als Lifestyle-Präparate mit „Smile Effect“, „Feel-Good-Faktor“ und „Figur-Bonus“ anpreist, und hätte das fast mit dem Leben bezahlt, wie sie vor der Kamera berichtet. Sie erlitt eine beidseitige Lungen-Embolie mit Herzstillstand und kämpft noch heute mit den Folgen. Die Frauenärztin hatte ihr zu einem drospirenon-haltigen Mittel geraten, ohne sie vor dem erhöhten Thrombose-Risiko zu warnen. Während sich unter YASMIN bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen pro Jahr ein Blutgerinnsel bildet, kommt es bei Arzneien mit den Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nur bei 5 bis 7 von 10.000 Frauen dazu. In den USA zogen die Betroffenen schon in Massen vor Gericht und errangen auch Erfolge. 2,1 Milliarden Dollar Schadensersatz musste der Pharma-Multi dort bereits zahlen. Hierzulande agiert die Justiz jedoch konzern-freundlicher. Die Klage von Felicitas Rohrer etwa, die schon oft auf den BAYER-Hauptversammlungen Reden zu YASMIN & Co. hielt, wiesen die RichterInnen ab. Aber die Mitgründerin von RISIKO PILLE lässt sich nicht entmutigen und ficht das Urteil an, wie sie den Plusminus-JournalistInnen versicherte.
Dieser veritable Themenabend rief eine riesige Resonanz hervor. Die Kommentar-Sparte, welche die ARD auf der Website zu „Was wir wussten – Risiko Pille“ eingerichtet hatte, quoll fast über. „Danke für diesen Film!!! Ich glaube an seine aufklärende Überzeugungskraft“, postete eine Frau, während eine andere festhielt: „Auch ich habe gestern den Film gesehen und mich darüber geärgert, dass es diese Pillen immer noch auf dem Markt gibt.“ „Der Film hat gut die Skrupellosigkeit der Pharma-Industrie gezeigt. Es geht nur ums Geld, die Frauen sind nur Mittel zum Zweck“, befand eine weitere Zuschauerin. Ein Arzt konstatierte derweil: „Direkt am Folgetag war der Beratungsaufwand immens“, und ein Kollege hatte sogar Informationen über Interna aus der Frühzeit der Drospirenon-Pillen. Wegen der lebensgefährlichen Nebenwirkungen „haben die Wissenschaftler von SCHERING seinerzeit von der Verwendung als Kontrazeptiva abgeraten. Durchgesetzt habt sich in der Firma aber der Vertrieb mithilfe der Finanzabteilung“, schrieb er. Einem Kommentatoren reichte es indes, unter dem knappen Vermerk „Betrifft: BAYER AG“ sparten-übergreifend die ganzen gesundheitsschädlichen Produkte des Leverkusener Multis aufzulisten: Antibaby-Pillen, Gerinnungshemmer, Fluorchinolone, IBEROGAST, um dann zu befinden: „Dieser Konzern hat so viele Tote und Geschädigte auf dem Gewissen, dass man ihn mit Kriegsverbrechern auf eine Stufe stellen kann.“ Auch der „Berufsverband der Frauenärzte“ reagierte und suchte den Austausch mit der „RISIKO PILLE“-Initiative.
Das alles konnte BAYER nicht unberührt lassen. Schließlich machte der Konzern mit den Erzeugnissen aus der YASMIN-Familie allein im Jahr 2018 einen Umsatz von 639 Millionen Euro. Also bekannte das Unternehmen sich weiterhin zu den Präparaten. „Die sorgfältige Bewertung aller wissenschaftlichen Daten durch die Gesundheitsbehörden bestätigt das positive Nutzen-Risiko-Profil von kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK) bei bestimmungsgemäßer Einnahme. Diese Einschätzung wird auch von unabhängigen Experten geteilt“, tat er kund. Die bei der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA bis Ende November 2019 eingegangenen 37.000 Meldungen über Nebenwirkungen der Drospirenon-Pillen interessierten da nicht weiter. Und auch zu dem von Felicitas Rohrer angestrengten Prozess äußerte der Pharma-Riese sich: „BAYER hält die geltend gemachten Ansprüche für unbegründet (…) Gleichwohl möchten wir ausdrücklich betonen, dass wir großes Mitgefühl mit dem Schicksal von Frau Rohrer und mit Patienten haben, die unsere Produkte anwenden und von ernsten gesundheitlichen Beschwerden berichten – unabhängig von deren Ursachen.“
Eine weitere juristische Niederlage in Sachen „Kontrazeptiva“ musste der Leverkusener Multi unlängst aber doch einstecken. Ein Gericht in Kentucky schloss einen seit 2013 anhängigen Fall ab und verurteilte den Global Player zu einer Zahlung von 17 Millionen Dollar, da er in seinen Marketing-Anstrengungen über die von YAZ ausgehende Thrombose-Gefahr nicht richtig informiert hatte. Dies dürfte ihn aber kaum davon abhalten, Business as usual zu betreiben. Auch die Aufsichtsbehörden regen sich bisher nicht. Sie machen keinerlei Anstalten, YASMIN & Co. zu stoppen, obwohl es sicherere Alternativen gibt. „Wir sehen uns nicht in der Lage, medizinische Ratschläge zu erteilen oder eine Medikation mit einer anderen zu vergleichen“, erklärt z. B. die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird aber in Kooperation mit den Geschädigten weiterhin alles tun, um ein Verbot der Risiko-Pillen zu erreichen.