Kahlschlag in Berlin
BAYER entmietet
Der BAYER-Konzern will in Berlin einen ganzen Kiez mit rund 140 Wohnungen abreißen lassen, um auf den Grundstücken neue Gebäude für sich zu errichten. Dabei gibt es viele Alternativen, die keinen Wohnraum kosten. Dementsprechend laufen die MieterInnen Sturm gegen die Pläne.
Von Jan Pehrke (mit Material der INTERESSENGEMEINSCHAFT DER BEWOHNERINNEN DES METTMANNKIEZES)
„BAYER nimmt billigend in Kauf, die BewohnerInnen in Not und Verzweiflung zu treiben und auf die Straße zu setzen“, heißt es in einem Offenen Brief von MieterInnen von Wohnungen auf der Tegeler Straße und der Fennstraße in Berlin-Wedding an die BezirkspolitikerInnen. „Wir appellieren nachdrücklich an die politisch Verantwortlichen, die Wohnraum-Vernichtung abzuwenden und dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen“, so Niklas Gohlke von der INTERESSENGEMEINSCHAFT DER BEWOHNERINNEN DES METTMANNKIEZES. Nicht nur Wohnhäuser will der Leverkusener Multi dort plattmachen, um Gewerbe-Immobilien hochzuziehen, sondern auch eine KiTa mit Spielplatz im Grünen, Künstler*innen-Ateliers, Gewerbebetriebe im zugehörigen Gewerbehof und Büroräume.
Das Gelände befindet sich in Nachbarschaft zur Betriebsfläche des Pharma-Riesen. Nach derzeitiger planungsrechtlicher Situation liegen die Häuser in einem sogenannten beschränkten Arbeitsgebiet. Sie genießen Bestandsschutz, solange der Eigentümer das wünscht. Aber der wünscht das nicht mehr; er hat andere Pläne. Der Konzern versucht den Eindruck zu erwecken, dass durch eine millionen-schwere „Erweiterung der Aktivitäten“ Arbeitsplätze gesichert werden könnten. „Die Zukunftssicherheit von mehr als 1.000 Arbeitsplätzen in Berlin“ solle dadurch „langfristig und nachhaltig gewährleistet werden“, so der Agro-Riese. Allerdings gibt es auf seinem Firmen-Gelände schon Platz genug, mehr als 25 Prozent der Fläche sind unbebaut. Daher wirkt die Behauptung, dass weniger als fünf Prozent des Areals einen so unverzichtbaren Beitrag zum Erhalt des Standortes darstellen, dass er schwerwiegende existenzielle Nöte und Folgeschäden für so viele Menschen rechtfertigt, alles andere als überzeugend. Vielmehr sprechen belastbare Indizien für pure Immobilien-Spekulation. So hat BAYER erst im Mai 2021 ein Bürogebäude an der Sellerstraße mit 15.800 m2 für 100 Millionen Euro an den Immobilienfonds QUEST INVESTMENT PARTNERS verkauft. Im Moment mietet das Unternehmen dieses Gebäude zu einem vergleichsweise günstigen Preis zurück. Der Mietvertrag läuft jedoch nur noch wenige Jahre – das war natürlich die Bedingung dafür, dass BAYER die Immobilie für diesen Wucherpreis an QUEST veräußern konnte – und wird in Zukunft deutlich höher ausfallen, um den Kaufpreis wieder einzuspielen. Darum hat sich der Leverkusener Multi nach etwas Neuem umgeschaut und ist auf sein eigenes Grundstück an der Tegeler Straße gestoßen. Für einen direkten Verkauf wäre es nicht in Frage gekommen, denn es hätte nicht viel eingebracht. Potenziellen InvestorInnen wäre klar gewesen, dass sie diese geschichtsträchtigen Gebäude nicht einfach so hätten räumen und abreißen lassen können. Die Aktien-Gesellschaft hingegen spekuliert darauf, dass die Politik ihr den Weg frei macht, wenn sie das Arbeitsplatz-Argument aus der Tasche zieht.
Letztlich versucht BAYER sich hier also auf dem Rücken der langjährigen MieterInnen an einer Profitmaximierung durch Immobilien-Spekulation. Das erscheint vor dem Hintergrund der milliarden-schweren Strafzahlungen in den MONSANTO-Prozessen auch irgendwie logisch, stößt jedoch auf unerwartete Hindernisse. Die MieterInnen schließen sich zusammen, gründen eine Initiative und gehen für ihre Interessen auf die Straße. Der Leverkusener Multi setzt derweil auf Repression und schickt seinen Werksschutz auf Patrouille. Aber der Mettmann-Kiez lässt sich nicht einschüchtern. 70 Menschen fanden sich Mitte September auf der Kundgebung vor den vom Kahlschlag bedrohten Häusern ein.
Die Lokalpolitik wissen die AktivistInnen dabei hinter sich. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen brachte mit Erfolg einen Dringlichkeitsantrag in die Bezirksverordneten-Versammlung ein, der das Bezirksamt auffordert, sich dafür einzusetzen, „dass die beabsichtigten Abrisse der Tegeler Straße 2-5 nicht umgesetzt und die bereits erfolgten Kündigungen der Wohnungen der MieterInnen umgehend zurückgenommen werden.“ Aber der BAYER-Konzern, der die Häuser auf der Tegeler Straße 1,6 und 7 und auf der Fennstraße 33 und 34 vorerst stehenlassen will, weiß das Gesetz wieder mal hinter sich. „Die betroffenen Gebäude sind planungsrechtlich nicht mehr für Wohnzwecke ausgewiesen“, erklärt das Unternehmen. Darum müsste das Land Berlin ein neues Paragrafen-Werk ausarbeiten, was nicht zu erwarten steht. Aber am Tag der Bundestagswahl hat sie ein ganz neues Instrument in die Hand bekommen. Da stimmten nämlich 56 Prozent der Berliner*innen für Enteignungen von sozial unverantwortlichen GrundeigentümerInnen. ⎜