Liebe Aktionärinnen, liebe Aktionäre.
Mein Name ist Thomas Eberhardt-Köster. Ich spreche für das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC und möchte dem Vorstand einige Fragen in Bezug auf die nachhaltige Entwicklung des Bayer-Konzerns stellen.
Nachhaltigkeit und kurzfristige Profitinteressen
Auf die von neoliberaler Seite nach wie vor gerne wiederholte Behauptung, dass der Markt alles regele und sich langfristig immer ein Gleichgewicht einstellen würde, gab der in den letzten Monaten wieder vermehrt zur Kenntnis genommene Ökonom John Maynard Keynes seine berühmte Antwort: „Langfristig sind wir alle tot und ergänzte: „Die Ökonomen stellen sich eine zu einfache und zu nutzlose Aufgabe, wenn sie uns in stürmischen Zeiten lediglich mitteilen können, dass das Meer, sobald der Sturm vorüber ist, wieder glatt sein wird.
Heute würde kein Ökonom mehr, selbst wenn er es denkt, öffentlich äußern, langfristig kommt schon alles wieder ins Lot, vielmehr bemühen sich alle darauf hinzuweisen, dass Nachhaltigkeit wichtiger den je sei, selbst wenn sie wissen, dass das tendenziell kurzfristig orientierte ökonomische Denken langfristig dazu führt, dass wir die natürlichen Ressourcen aus dem Blick verlieren, sie zerstören und damit uns selbst sowie unseren Kindern und Enkeln die Lebensgrundlage entziehen.
Das Bayer-Management scheint allerdings weitsichtiger zu sein, als die Mehrheit der Ökonominnen und Ökonomen. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man den Aussagen in der Bayer-Publikation „Namen, Zahlen, Fakten 2009, 2010“ glaubt.
Ich möchte kurz daraus zitieren:
„Ökonomie, Ökologie und soziales Engagement sind für uns gleichrangige Ziele innerhalb unserer Unternehmenspolitik.“ (NZF S.3)
Ja, Sie haben sich nicht verhört, so steht es im ersten Kapitel, das mit „Credo“ überschrieben ist, und weiter heißt es dort, dass das Unternehmen, ich zitiere wieder, „den Menschen nützen und zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen“ will (NZF S. 2).
Eigentlich könnten mich solche Aussagen zufrieden stimmen, denn auch ich meine, dass Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammen gedacht werden müssen.
Wenn ich mir aber die Geschäftspraktiken des Bayer-Vorstandes ansehe, setzt sich bei mir der Eindruck fest, dass dieser in krassem Gegensatz zu den eingangs zitierten Aussagen steht.
Wenn ich diese Geschäftspraktiken ansehe drängt sich mir zudem der Verdacht auf, dass der Vorstand und insbesondere der Vorstandsvorsitzende Werner Wenning wenig bis nichts aus der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise gelernt hat und sein Heil in einem einfachen „Weiter so“ sucht.
Ich will dies an drei Punkten festmachen:
§ Erstens an den Entgeltkürzungen für die Bayer-Beschäftigten im Bereich MaterialSience,
§ zweitens am Umgang mit Leiharbeit im Konzern und
§ drittens an der für die heutige Versammlung vorgeschlagene Dividendenausschüttung.
Entgeltkürzungen
Weltweit hatte der Bayer-Konzern 2008 108.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Dies waren 2.200 mehr als 2007. Gleichzeitig wurden die Personalaufwand um 1,1 Prozent gesenkt. (NZF S. 32). Dies bedeutet, dass die Beschäftigten 2008 im Durchschnitt weniger verdient haben als 2007. Wie wir dem Geschäftsbericht entnehmen konnten war das Jahr 2008 das erfolgreichste in der Unternehmensgeschichte von Bayer. Trotz bereits aufziehender Wirtschaftskrise konnte ein Gewinn von 6,9 Milliarden Euro eingefahren werden. Möglich war dies offensichtlich, weil Personalkosten gespart wurden. Auch 2009 soll diese Strategie fortgesetzt werden in dem unter anderem Arbeitszeitverkürzungen ohne Entgeltausgleich durchgesetzt wurden. Dabei wurde das gute Ergebnis im Jahr 2008 von den Beschäftigten mit erwirtschaftet, denen nun die Entgelte gekürzt werden.
Hier nun meine Frage an den Vorstand: Warum nutzt er nicht einen Teil der geplanten Dividendeausschüttung zur Entgeltsicherung für die Bayer-Beschäftigten?
Leiharbeit
Unter anderem in Folge der Krise der Automobilindustrie ist der Umsatz im Bereich MaterialSience zurückgegangen. Bezogen auf das gesamte Jahr 2008 um insgesamt – 4,6 Prozent (NZF S. 12). Hinzu kommt, dass laut Arbeitsdirektor Pott – in der Financial Times Deutschland vom 9. März 2009 nachzulesen – als Folgen steigender Produktivität „jährlich einige Hundert Mitarbeiter“ abgebaut werden. Der schleichende Jobverslust an inländischen Standorten machte 2008 laut derselben Pressemeldung 1.700 Kolleginnen und Kollegen aus 2007 = 39.100; 2008 = 37.400 (FTD am 9.3.2009).
Für 2009 schließt der Vorstand noch betriebsbedingte Kündigungen aus. Hier kommt zum Tragen, dass der Konzern in den letzten Jahren verstärkt Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter eingesetzt hat. Diese haben nicht nur deutlich weniger als die Stammbelegschaft verdient. Sie sind zudem in der Krise die ersten, die ihren Job verlieren.
Meine Frage an den Vorstand in diesem Zusammenhang, insbesondere an Arbeitsdirektor Pott: Wie viel Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen waren 2008 im Konzern beschäftigt und wie viele haben in Folge von Umsatzeinbrüchen ihren Arbeitsplatz verloren?
Und weiter: Was gedenkt der Vorstand zu tun, um die Arbeitsplätze bei Bayer langfristig zu sichern?
Zu Höhe der Dividende
Der Vorstand schlägt vor, für das Geschäftsjahr 2008 1,40 Euro pro Aktie auszuschütten, insgesamt 1.070 Millionen Euro. Offensichtlich macht er sich weniger Sorgen um die langfristige Entwicklung des Konzerns, als vielmehr um die kurzfristige Verbesserung der Performance der Bayer-Aktie.
Anstatt die in 2008 erwirtschafteten Gewinne zu nutzen, um in die Entwicklung ökologisch nachhaltige Produkte und in die Sicherung von Arbeitsplätzen zu investieren, schlägt er eine Rekorddividende vor.
Würde die Dividende um die Hälfte gekürzt, stünden rund 500 Millionen Euro für Zukunftsinvestitionen zur Verfügung.
Meine Frage in diesem Zusammenhang: Wie will der Vorstand auf die anhaltende ökonomische Krise der Automobilindustrie – die Abnehmer vieler Bayer-Produkte ist – reagieren und warum investiert er nicht einen Teil der geplanten Dividendeausschüttungen in ökologischen Standards genügende Zukunftstechnologie?
Lernfähig?
Die deutsche Chemieindustrie ist von der globalen Wirtschaftskrise weiterhin stark betroffen. Dies liegt unter anderem an der starken Exportorientierung und daran, dass wichtige Abnehmerindustrien, wie die Automobil- und die Bauindustrie von der Krise erfasst sind. Im vierten Quartal 2008 lag die Auslastung der Kapazitäten bei lediglich 75 Prozent 75% (IG BCE). Der Neoliberalismus ist gescheitert und eine stärkere Regulierung der Ökonomie auf nationaler und internationaler Ebene immer nötiger. Werner Wenning hat in einem Spiegel-Interview vor staatlicher Regulierung gewarnt und geäußert: „Es wäre deutlich besser, jetzt jene Bremsen zu lösen, die den Wachstum behindern.“ Er möchte nicht nur die Bremsen lösen, sondern auch möglichst wenig Verkehrsregeln haben, damit sich die ökonomisch Starken auf Kosten der Schwachen und der Natur durchsetzten.
Angesichts der Abstütze der Banken und Investmentgesellschaften, die nicht zuletzt den Deregulierungen den internationalen Finanzmärkte in den letzten drei Jahrzehnten geschuldet waren, und angesichts der auf uns zukommenden Klimakatastrophe kommen einem solche Aussagen wie die Wahnträume eines auf den Abgrund Zurasenden vor, der kurz vor dem Ende noch einmal den ultimative Kick verspüren will. Wer etwas klarer denkt, weiß nicht nur im Straßenverkehr Regulierungen durchaus zu schätzen und ist spätestens auf der abschüssigen Passstrasse froh, dass der TÜV so hohen Wert auf sichere Bremssysteme legt.
In diese Richtung geht auch meine abschließende Frage: Wäre der Vorstand angesichts der Defizite, die die Finanzmarktkrise dem Betriebsrentenfonds von Bayer beschert hat nicht glücklich, wenn eine strengere internationale Finanzaufsicht so manchen Kurssturz im Vorhinein verhindert hätte?
Thomas Eberhardt-Köster, Düsseldorf 12. Mai 2009