Veröffentliche Beiträge von “CBG Redaktion”
»Stop BAYER/MONSANTO!«
Demonstration und Protestaktionen anlässlich der Hauptversammlung der BAYER-Aktionäre am 28. April 2017 auf dem Platz der Vereinten Nationen in Bonn
Nach dem ersten Bündnistreffen unter dem Motto „Stop BAYER/Monsanto!“ im Bonner DGB-Haus, zu dem die ver.di-Jugend NRW-Süd und die Coordination gegen BAYER-Gefahren eingeladen hatten, verbreitert sich die Protestfront. Es waren bundesweite und internationale BäuerInnenverbände, Gewerkschaften, Initiativen, Parteien, Netzwerke, NGOs und Einzelpersonen vertreten und die Liste wird jeden Tag länger. International gemeinsam gegen die Gift-Hochzeit der Multis „Wir haben uns darauf geeinigt, auch international alle an einem Strang zu ziehen, um der giftigen Hochzeit der multinationalen Megakonzerne die Show zu vermasseln!“ sagt Axel Köhler-Schnura für die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG). Zu den Initiatoren des Bündnisses zählen neben der CBG und der ver.di-Jugend auch die internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM Organics International) und die Internationale Navdanya-Stiftung. Deren Gründerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises, Vandana Shiva, ruft nun auch mit auf zu den Protesten in Bonn: „Monsanto und BAYER haben es auf der ganzen Welt darauf abgesehen, jedes Glied bei den Wertschöpfungsketten Nahrung und Gesundheit zu kontrollieren. Von herkömmlichem Saatgut über Pestizide bis zu Gentech, besteht ihre Strategie in der Schaffung eines neuen multinationalen Megakonzerns.“ Proteste in der BAYER-Hauptversammlung im WCCB Vandana Shiva fährt fort: „BAYER befragt seine AktionärInnen nicht einmal zur Monsanto-Übernahme. Ich appelliere daher an die AktionärInnen, auf der Hauptversammlung den Gegenantrag der Coordination gegen BAYER-Gefahren zu unterstützen und Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten." Auch Vor und in der BAYER-Aktionärsversammlung im Bonner World Conference Center (WCCB) selbst organisiert die CBG mit dem Bündnis „Stop BAYER/Monsanto“ vielfältige Proteste. Axel-Köhler Schnura dazu: „Die Übernahme des weltweit zurecht unpopulärsten Monopols Monsanto durch den deutschen BAYER-Konzern gibt den Protesten, die wir schon seit 35 Jahren in und vor der Hauptversammlung organisieren, nochmals zusätzliche Bedeutung. Wir rufen alle kritischen AktionärInnen dazu auf, uns mit Spenden zu unterstützen, uns ihr Stimmrecht zu übertragen oder den Konzernverbrechen mit klaren Redebeiträgen eine Absage zu erteilen! Mit uns wird es kein stillschweigendes Monsanto-Facelifting durch den BAYER-Konzern geben!“ Demonstration am 28.4.: Platz der Vereinten Nationen oder „Platz der Vereinten Konzerne?“ Bereits Anfang März hat die CBG für das Protest-Bündnis „Stop BAYER/Monsanto!“ eine Demonstration am Vormittag des 28.4. angemeldet - direkt vor der Aktionärsversammlung auf dem Bonner Platz der Vereinten Nationen. Die Polizei will dort aber keine Versammlung zulassen, mit fadenscheinigen Begründungen. Der Mitorganisator vom ver.di-Bezirksfachbereichsvorstand Bildung, Wissenschaft und Forschung in NRW-Süd und Anmelder für die CBG, Simon Ernst, sagt dazu: „Nun nehmen BAYER-Konzern und Stadtverwaltung offenbar Kurs auf einen Eklat: Sie wollen den breiten gesellschaftlichen Protest rechtswidrig in eine Nebenstraße des Platzes der Vereinten Nationen verbannen. Der Stadt Bonn geht es sicher darum, sich als Kongressstandort zu vermarkten und das städtische Millionengrab WCCB attraktiver zu machen. In unseren Augen ist das, nicht nur kommunalpolitisch, ein handfester Skandal! Aus dem Platz der Vereinten Nationen macht die UN-Stadt Bonn einen Platz der Vereinten Konzerne! Und BAYER zeigt gleich einmal, wohin die Reise mit Monsanto gehen soll: ins demokratische Abseits.“ Hintergrund: Nach der CBG-Anmeldung hat die Stadt Bonn den gesamten öffentlichen Platz der Vereinten Nationen kurzerhand für 500 Euro an die BAYER AG „mitvermietet“: Mithilfe einer erst am 17. März – also lange nach Anmeldung der Demonstration! – beantragten und am 20. März ausgestellten gebührenpflichtigen Sperrerlaubnis (anbei). Diese sieht vor, nicht nur ein überdimensioniertes Zelt auf dem gesamten Vorplatz des World Congress Center Bonn (WCCB) zu errichten, sondern darüber hinaus den Platz der Vereinten Nationen großräumig durch eine massive Zaunanlage vollständig von der Versammlung „Stop BAYER/Monsanto!“ abzuschirmen. Der angebliche Grund für die Sperrung, Sicherheitsbedürfnisse, ist mehr als lächerlich. „Trotz der Proteste seit 1982 konnten immer alle AktionärInnen sicher die HV besuchen. Die großräumige Absperrung mit Errichtung eines Oktoberfest-Zeltes dient einzig der Unterbindung der Proteste in unmittelbarem Kontakt mit den AktionärInnen. Das ist nicht nur politisch und moralisch verwerflich, sondern auch nach geltender Rechtsauffassung schlichtweg illegal. Wir werden das nicht einfach hinnehmen und uns dagegen mit allen gebotenen Mitteln zur Wehr setzen!“ erklärt Simon Ernst für das Bündnis. BAYER hatte Ende Februar kurzfristig seinen Umzug mit der HV von der Kölner Messe ins Bonner WCCB bekanntgegeben, nachdem sich in Köln ein Protestbündnis formiert hatte. Ernst dazu: „Das Versteckspiel BAYERs vor den Protesten geht, nach dem Umzug der HV nach Bonn, mit der Blockade großräumiger öffentlicher Flächen zur Verhinderung von Protesten in die >zweite Runde<“. Kontakt: Simon Ernst, se@cbgnetwork.org, Tel 0151-10734531 Aktionsüberblick onlineImperium & Weltmacht
Die Mühen der Ebenen
Der MONSANTO-Marathon
Der BAYER-Konzern kommt nach eigener Aussage mit seiner MONSANTO-Übernahme gut voran. Um das Verfahren noch einmal zu beschleunigen, machte er dem neuen US-Präsidenten Donald Trump seine Aufwartung und versprach dem Politiker Arbeitsplätze in die Hand. Trotzdem sieht sich die Akquisition noch mit so einigen Hindernissen von Seiten der Kartell-Behörden konfrontiert. Und auch der Widerstand von Gruppen und Initiativen aus der ganzen Welt gegen die Transaktion nimmt zu.
Von Jan Pehrke
Der BAYER-Konzern hat sich in seiner über 150-jährigen Geschichte noch immer mit den Zeitläufen arrangiert, um sein auf Profit ausgerichtetes Geschäftsmodell nicht zu gefährden. Ob Kaiserreich, parlamentarische Demokratie oder Faschismus, ob Friedens- oder Kriegszeit – immer fand das Unternehmen Mittel und Wege, ökonomischen Nutzen aus der jeweiligen historischen Konstellation zu ziehen. Im „Dritten Reich“ ging das sogar so weit, in der Nähe von Auschwitz ein eigenes KZ zu unterhalten und daraus ZwangsarbeiterInnen zu rekrutieren.
Da gibt es dann auch keine Berührungsängste mit Donald Trump – schließlich hatte sich der Global Player dem neuen US-Präsidenten schon durch eine Wahlkampf-Hilfe für die Republikaner in Höhe von 433.000 US-Dollar empfohlen (SWB 1/17). Und so machte BAYER-Chef Werner Baumann dem Politiker am 11. Januar 2017 persönlich seine Aufwartung, um ihm den Plan des Leverkusener Multis, MONSANTO zu übernehmen, näherzubringen. Dabei hatte er mit Hugh Grant auch den Boss des Agro-Riesen aus St. Louis im Schlepptau, dem bei diesem Plausch die undankbare Rolle zufiel, die Wonnen der Unselbstständigkeit zu bekunden. Womit die beiden Trump betören konnten, wussten sie ganz genau, hatte dieser doch zuvor schon einige Konzern-Herren mit Forderungen nach US-Jobs zur Ordnung gerufen. Darum lieferten Baumann und Grant. „Die Vereinigten Staaten sind im Landwirtschaftsbereich global führend, und die Kombination von BAYER und MONSANTO wird diese Rolle unterstreichen und sicherstellen, dass die USA ihre hervorgehobene Stellung als Anker dieser Industrie behalten“, hieß es in einem gemeinsamen Statement der Firmen. Forschungsausgaben von acht Milliarden Dollar binnen der nächsten sechs Jahre in dem Land kündigten die Manager an und beschrieben das als Investitionen in „Innovationen und Menschen“. Mehrere Tausend gut bezahlte Hightech-Arbeitsplätze versprachen Baumann und Grant.
„Trumps Anbiederer“
Auf diese Weise kam BAYER zu der zweifelhaften Ehre, als erstes deutsches Unternehmen den knapp bemessenen Platz der bevorzugten Kommunikationsform Trumps, der Twitter-Nachricht, erobert zu haben. „Die BAYER AG hat nach dem Treffen mit dem gewählten Präsidenten Donald Trump Investments und das Schaffen von mehr US-Jobs zugesichert, als letztes Unternehmen einer ganzen Reihe“, setzte der Politik-Novize ab. Ein „unwürdiges Spektakel“ nannte die FAZ diese Wirtschaftsdiplomatie von BAYER und anderen Gesellschaften daraufhin. „Seit der Wahl lassen sich reihenweise Unternehmen zu vermeintlich großen Ankündigungen hinreißen, um dem neuen Präsidenten zu gefallen“, kritisierte die Zeitung unter der Überschrift „Trumps Anbiederer“. Die Risiken und Nebenwirkungen beschrieb das Blatt ein paar Zeilen später: „Sie nehmen es in Kauf, dass er ihre Zusagen als Ergebnis seines Verhandlungsgeschicks darstellt, auch wenn es nicht stimmt. Sie helfen ihm, Twitter-Interventionalismus als erfolgreiche Wirtschaftspolitik erscheinen zu lassen. Sie lassen sich vor den Karren eines Präsidenten spannen, der in seiner Antrittsrede ein Zeitalter des neuen Protektionismus ausgerufen hat.“
Wohlweislich sprach die Frankfurter Allgemeine von „vermeintlich großen Ankündigungen“, denn Baumann hatte Trump nichts Neues erzählt. So räumte er bei der Bilanz-Pressekonferenz am 22. Februar 2017 dann auch ein: „Wir haben keine Versprechungen gemacht, die über das hinausgehen, was wir im September bei der Bekanntgabe der Transaktion gesagt haben.“ Trotzdem befürchtete der BAYER-Betriebsrat, das Job-Versprechen des Vorstandsvorsitzenden im Zuge seiner transatlantischen Charme-Offensive würde auf Kosten bundesdeutscher Arbeitsplätze gehen. „Wir erwarten (...) vom BAYER-Vorstand, dass er die Zusagen einhält, die er der Belegschaft im Mai bezüglich Kündigungsschutz und Standort-Sicherung gemacht hat“, erklärte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Oliver Zühlke. Aus ganz anderen Gründen beurteilten einige WirtschaftsexpertInnen die Arbeitsplatz-Zusagen des BAYER-Chefs skeptisch. „Ein Unternehmen, das nach einer Akquisition mehr Beschäftigte braucht, suggeriert, dass der Deal ineffizient ist (...) Der Aufbau von Stellen würde ein Grund sein, den Deal zu verhindern statt ihn zu befördern“, schrieb etwa der Kartellrechtsprofessor John M. Newman.
Die eigentliche Zielgruppe von Baumanns Aktion, die Finanzmarkt-AkteurInnen, urteilten erwartungsgemäß positiver über das Treffen. „Mission erfüllt“ hieß es in diesen Kreisen. „Die BAYER AG (...) scheint dem Deal festeren Boden verschafft zu haben, indem sie Präsident Trump Investitionen und den Erhalt von amerikanischen Jobs zusicherte, gab MarketWatch die Ansicht von InvestorInnen und AnalystInnen wieder. Einer allerdings glaubte schon viel früher an die Sache: Warren Buffet. Der nach Bill Gates zweitreichste Mann der Welt hatte über seine Firma BERKSHIRE HATHAWAY bereits im September 2016 mehr als 800 Millionen Dollar in MONSANTO-Aktien gesteckt.
Sicherheitshalber engagierte der Leverkusener Multi aber noch vier neue KommunikationsberaterInnen für die Pflege der politischen Landschaft in den USA und zwangsverpflichtete MONSANTO, bei den PR-Maßnahmen mitzumachen. Und so musste dann der Konzern, der sich Jahrzehnte lang konsequent vor der Öffentlichkeit abgeschottet hatte und sogar sorgfältig darauf achtete, im Internet keine Bilder von seiner Firmen-Zentrale in St. Louis kursieren zu lassen, auf einmal JournalistInnen die Türen öffnen und Image-Pflege betreiben. Mit warmen Worten wie „Ich finde es toll, dass ich jetzt von meiner Arbeit erzählen darf“, begrüßten die ForscherInnen jetzt die ReporterInnen. „Wir tun viele gute Dinge und den Leuten, die hier arbeiten, liegt die Menschheit wirklich sehr am Herzen. Trotzdem werden wir verteufelt“, klagten sie und bemühten sich redlich, eine andere Seite von MONSANTO zu zeigen. Wie sehr ihnen die Menschheit am Herzen liegt, demonstrierten die WissenschaftlerInnen unter anderem mit ihrer Arbeit an einer Zwiebel, die beim Schneiden nicht mehr auf die Tränendrüse drückt. Aber da die beiden Unternehmen den 66-Milliarden-Dollar-Deal mit Vorliebe als ein Projekt vermarkten, das sich als eine Art börsennotierter Welthungerhilfe versteht, setzte sich der US-Gigant bei den Lokalterminen vor allem als Entwicklungshelfer in Szene, den nichts so sehr umtreibt, als die Ernährungsprobleme der Menschheit zu lösen.
Jenseits solcher publizistischen Nebelkerzen lässt BAYER jedoch keinen Zweifel daran, an der Unternehmenspolitik festhalten zu wollen, die MONSANTO zurecht den Beinamen „Evil Empire“ eingebracht hat. So hat der Leverkusener Multi gar nichts dagegen, LandwirtInnen Lizenz-Verträge für Saatgut aufzuzwingen und die Gerichte zu bemühen, falls die Bauern und Bäuerinnen es dann wieder aussäen, ohne zu zahlen. „MONSANTO hat ein völlig neues Geschäftsmodell etabliert und marktfähig gemacht“, lobt Baumann. Selbst die Klagen gegen FarmerInnen rechtfertigt er: „Wenn man ein solches Verhalten als Unternehmen toleriert, entzieht man dem Geschäftsmodell die Basis. MONSANTO hat nur seine Rechtsposition verteidigt“. Gegen Glyphosat hat der Große Vorsitzende ebenfalls nichts. „Ein sehr gutes und auch gut erforschtes Herbizid von MONSANTO, das auch weiterhin seine Daseinsberechtigung haben wird“, befindet er. Gegenteilige Einschätzungen, etwa als krebserregendes Pestizid, seien nicht auf wissenschaftlicher Basis erfolgt, so der Ober-BAYER im Interview mit Die Zeit. Und dass sich in Indien schon hunderttausende FarmerInnen umgebracht haben, weil sie das teure, aber nur wenig Erträge einbringende Gentech-Saatgut von MONSANTO in den Ruin getrieben hat, streitet der Manager schlichtweg ab. „So etwas wird nicht dadurch wahr, dass NGOs sich gegenseitig bestätigen und in ihrer Kritik noch bestärken“, meint er.
Gelänge die Übernahme, so hätte das neue Konstrukt die Möglichkeit, solche Praktiken mit noch mehr Markt-Macht durchzusetzen. Die Geschäftszahlen von 2015 zugrunde gelegt, erzielen die Landwirtschaftssparten von BAYER und MONSANTO zusammen einen Umsatz von 23,1 Milliarden Dollar. Damit kann niemand aus der Branche mithalten. Bei den Pestiziden erreichen BAYER und MONSANTO zusammen einen Marktanteil von rund 25 Prozent, beim Saatgut für gentechnisch veränderte und konventionelle Ackerfrüchte einen von rund 30 Prozent. Allein die Gen-Pflanzen betrachtet, erlangen die beiden Konzerne vereint mit weit über 90 Prozent sogar eine Monopol-Stellung. Und diese hofft Werner Baumann vor allem in China nutzen zu können, wenn das Reich der Mitte im Zuge des SYNGENTA-CHEMCHINA-Deals wie erwartet seinen Widerstand gegen die Laborfrüchte aufgeben wird. Zudem hätte der Leverkusener Multi durch die Akquisition Zugriff auf das riesige Reservoir an Pflanzen-Saaten, das MONSANTO zusammengetragen hat, und wäre so imstande, Mutter Natur tüchtig in die Parade zu fahren. Der Leverkusener Multi aber möchte von diesen Befürchtungen nichts wissen. Er streitet schlichtweg ab, durch die Übernahme eine dominante Position zu erlangen. „Es wird weiterhin intensiven Wettbewerb in der Branche geben“, meint der BAYER-CROPSCIENCE-Leiter Liam Condon.
EU will genau prüfen
Die Kartell-Behörden, denen die Genehmigung der Transaktion obliegt, scheinen daran so ihre Zweifel zu haben. Nicht zuletzt deshalb zeigt sich Werner Baumann zwar zuversichtlich: „Bei der vereinbarten Übernahme von MONSANTO kommen wir gut voran“, appelliert aber doch schon mal vorsorglich an die Geduld seiner AktionärInnen: „Die Übernahme von MONSANTO ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“ Und es liegen so einige Hindernisse auf der Strecke, die Umwege erfordern. In den USA, wo das Prüfverfahren schon läuft, sieht sich der Konzern beispielsweise schon gezwungen, mehr Geschäftsbereiche abzugeben, als zunächst geplant. Hatte er ursprünglich einkalkuliert, sich von einem Sortiment in einem Umfang von bis zu 1,6 Milliarden Dollar Umsatz trennen zu müssen, um die Kartell-WächterInnen gnädig zu stimmen, so ist der Multi in seiner Rechnung nun bereits bei 2,5 Milliarden angelangt.
In Brüssel kam der Konzern bei seinem Marathon-Lauf nicht einmal aus den Startblöcken. Die Wettbewerbsbehörde der Europäischen Union hat Anfang 2017 die Annahme des BAYER-Antrags verweigert, weil wichtige Unterlagen fehlten. Der weitere Ablauf dürfte ebenfalls nicht störungsfrei verlaufen, wie die ManagerInnen von SYNGENTA, CHEMCHINA, DOW und DUPONT schon zu erfahren hatten. Da kommt also so einige Arbeit auf Volker Koch-Achelpöhler zu, den der Leverkusener Mulit im Februar 2017 zu seinem neuen Chef-Lobbyisten in EU-Angelegenheiten bestallte. Der EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis kündigte jedenfalls schon einmal an, die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager werde sich auch BAYSANTO „sehr, sehr genau ansehen“. Bereits unmittelbar nach Bekanntgabe des Deals hatte die sozial-liberale Politikerin aus Dänemark klargestellt, dafür Sorge tragen zu wollen, „dass die Landwirte und Verbraucher die Auswahl zwischen verschiedenen Saaten haben und sie nicht einem einzigen Produzenten und einer einzigen Art von Pestiziden gegenüberstehen“.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) schaltete sich zugleich in den Prozess ein. Sie forderte Vestager in einem Offenen Brief auf, sich nicht in einer kleinteiligen Prüfung des MONSANTO-Kaufs und der anderen Deals zu ergehen und die Vorgänge jeweils bloß mit der Auflage, sich von einigen Geschäften zu trennen, abzuschließen, sondern die Transaktionen schlichtweg zu verhindern. In dem Schreiben, das die Coordination gemeinsam mit der schweizer Initiative „Brot für alle“ verfasste, welche die Übernahme von SYNGENTA durch CHEMCHINA zu stoppen sucht, heißt es unter anderem: „Bereits heute beherrschen sechs transnationale Konzerne die Weltmärkte für Pestizide und Saatgut. Nach Abschluss der geplanten drei Fusionen wären es noch vier. Deren Marktbeherrschung und Kontrolle über das Ernährungssystem wäre immens. Sollten alle Übernahmen zustande kommen, würden die betreffenden drei Firmen über 65 Prozent des globalen Pestizid-Markts und fast 61 Prozent des kommerziellen Saatgutmarkts beherrschen. Bei einzelnen Nutzpflanzen und Pestiziden wäre die Konzentration noch weitaus größer.“ Und die Wettbewerbskommissarin fand in ihrem Briefkasten überdies nicht nur diesen Offenen Brief, sondern auch ähnliche Appelle von BÜNDNIS 90/Die Grünen, FIAN und FRIENDS OF THE EARTH EUROPE. Und das MONSANTO-Tribunal, das im letzten Herbst 29 ZeugInnen zu den Machenschaften der US-Firma vernahm (SWB 1/17) und seine Schlussfolgerungen daraus der Öffentlichkeit am 18. April präsentieren will, sandte ebenfalls Post in die belgische Hauptstadt. Es forderte Margrethe Vestager – mit Durchschlag an den Leverkusener Multi – in einer Eingabe auf, „sicherzustellen, dass BAYER im Falle einer Übernahme die volle juristische Verantwortung übernimmt“ für das, was MONSANTO in den letzten Jahren so verbrochen hat.
Allein auf dem kleinen Dienstweg in Brüssel dürfte die neueste Konzentrationswelle im Landschaftsbereich aber kaum zu stoppen zu sein. Darum gab es in den letzten Monaten noch eine Vielzahl von Aktionen auf der Straße gegen das BAYER-Vorhaben. Am 11. Oktober demonstrierten LandwirtInnen mitsamt ihrer Schweine vor dem BAYER-Stammsitz in Leverkusen gegen den Deal. Drei Wochen später statteten AktivistInnen der Initiative EZLN der Niederlassung des Leverkusener Multis im belgischen Diegem einen Besuch ab und gestalteten die Eingangshalle mit etwas Laub, Erde und Geäst um. Und am 18. Januar 2017 fanden sich LandwirtInnen, ImkerInnen und andere AktivistInnen vor der Berliner BAYER-Zentrale ein und forderten: „BAYER und MONSANTO – bleibt uns vom Acker.“ Auch die „Wir haben es satt“-Demonstration drei Tage später schrieb sich diese Parole auf die Fahnen.
Kulminieren werden diese Proteste aber bei der BAYER-Hauptversammlung, die am 28. April im Bonner „World Conference Center“ (WCCB) stattfindet. Schon am Tag zuvor ist in der Kölner Universität eine Diskussionsrunde zum Weltagrarmarkt mit TeilnehmerInnen wie dem Träger des Alternativen Nobelpreises, Nnimmo Bassey und dem nordrhein-westfälischen Umweltminister Johannes Remmel angesetzt. Und beim AktionärInnen-Treffen selbst muss der Agro-Riese sich vor und in der Halle auf einiges mehr gefasst machen als in den letzten Jahren ...
IG FARBEN & heute
Gerhard Domagk im „Dritten Reich“
BAYERs Nobelpreisträger
Der Arzt und Psychoanalytiker Dr. rer. nat. Detlev Stummeyer stieß bei seinen Familien-Forschungen auf einen Briefwechsel des ehemaligen BAYER-Forschers Gerhard Domagk mit dem Großvater seiner Frau, Paul Bosse, dem Chirurgen und Autoren der Monografie „Die örtliche Sulfonamidtherapie“ (1942). Seitdem beschäftigt er sich mit dem Mann, der in keiner BAYER-Festschrift fehlen darf. Domagk entdeckte nämlich 1932 die antimikrobielle Wirkung der Sulfonamide und erhielt dafür 1939 den Medizin-Nobelpreis. Den durfte er allerdings nicht annehmen. Stattdessen verbrachte er sogar einige Tage in Haft. Aber reicht diese Episode, um aus dem Wissenschaftler einen Regime-Gegner zu machen? Das Stichwort BAYER geht der Frage nach.
Von Detlev Stummeyer
Gerhard Domagk und die Sulfonamide gehören zusammen. 1932 entdeckte der BAYER-Wissenschaftler die antimikrobielle Wirkungsweise dieses Pharma-Stoffes, und nicht wenige sehen darin zu Recht eine wahre Revolution der Behandlungsmöglichkeiten in der Medizin. Wahre Wunderdinge erwartete die Fachwelt damals von den Sulfonamiden. In so gut wie allen Disziplinen der Heilkunst halten die Sulfonamide ihren Einzug – heutzutage würde man es einen „Hype“ nennen. Domagk, der zu der Zeit im Wuppertaler Werk der von BAYER mitgegründeten IG FARBEN die Stellung eines Abteilungsleiters innehat, reagiert etwas zurückhaltender. Er streicht zwar deutlich die neuartigen Qualitäten der heute eher ein Schattendasein fristenden Sulfonamide heraus, verbindet dies aber mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer genauen Indikationsstellung und dringt auf die Beachtung bestimmter Regeln bei ihrer Anwendung wie etwa eine möglichst frühzeitige Einnahme in genügend hoher Dosierung und Menge.
Für seine Entdeckung der Wirkkraft der Sulfonamide erhält Domagk 1939 den Medizin-Nobelpreis. Er darf die Auszeichnung allerdings nicht entgegennehmen. Da Hitler die Verleihung des Friedensnobelpreises an den antifaschistischen Journalisten Carl von Ossietzky sehr erzürnt, untersagt er 1937 allen Deutschen, den Nobelpreis anzunehmen. So bedankt sich Domagk in einem offiziellen Brief für die Ehrung, äußert jedoch starke Zweifel daran, den Preis annehmen zu können. Schon allein das ist den Nazis zu viel. Nach dem Willen des Auswärtigen Amts und der Reichskanzlei sollte nämlich die deutsche Gesandtschaft in Stockholm die Ablehnung verkünden. Der BAYER-Forscher startet einen Versuch, Hitler umzustimmen. Er wendet sich persönlich an ihn und bittet, das Preisgeld für wohltätige Zwecke spenden zu dürfen. Die „Pflege von deutschen Verwundeten und solchen des Feindes“ in deutscher Hand schlägt er vor, „falls nicht eine andere Regelung im Interesse des Reiches wichtiger ist“. Das Schreiben bleibt jedoch ohne Antwort. Zwischenzeitlich kann der Bakteriologe und Pathologe noch einmal Hoffnung schöpfen, denn mit Adolf Butenandt und Richard Kuhn gibt es weitere deutsche Nobelpreisträger und in der Folge Fürsprecher für eine Annahme. Hitler bleibt jedoch bei seinem Entschluss. Und Domagk kommt am 17.11. sogar für mehrere Tage in Haft – auf Geheiß des „Führers“ wegen „verbotener internationaler“ Kontakte, wie der Forscher während des Krieges von einem ihm bekannten Professor und höheren NS-Funktionär erfährt. Einen vorformulierten, ablehnenden Brief an das Nobelpreis-Komitee müssen die drei Geehrten unterschreiben: Domagk kurz nach seiner Haft, Butenandt nach einer Bedenkzeit, Kuhn den Zusatz „Des Führers Wille ist unser Glaube“ hinzufügend.
Aber weist die Affaire um den Nobelpreis Domagk schon als Gegner des Nationalsozialismus aus? Ganz so einfach stellt sich der Sachverhalt nicht dar. Hitlers Intervention wird kurz nach Domagks Haft in einem geheimen Schreiben mit dem „illoyalen Verhalten“ des Wissenschaftlers gegen das Reich begründet, gleichzeitig wird seine wissenschaftliche Leistung hervorgehoben. Die auf Domagks Ansehen als unbestechlicher Patriot bedachte Biographie von Ekkehard Grundmann1 lässt die erst in den 1960er Jahren verfassten Erinnerungen Domagks zu einem authentischen Tagebuch werden. Grundmann ist es, der wichtige Abschnitte ausblendet, in denen sich Domagk als Nutznießer des NS-Systems zu erkennen gibt. Hingegen attestiert im November 1939 der SD (Sicherheitsdienst, Außenstelle Wuppertal) dem Forscher, „voll auf dem Boden des Nationalsozialismus“ zu stehen2.
Für Domagks Karriere hat die Haft dann auch keine negativen Folgen. Er erhält kein Reiseverbot, im Gegenteil, er fährt ab 1940 vielfach zu Ehrungen ins faschistische Ausland, wird aber auch im Inland ausgezeichnet. Zudem erhält er als geschätzter Wissenschaftler weiterhin Einladungen zu Vorträgen und Kongressen. „Aus dem Ministerium in Berlin (Prof. Mentzel) (einflussreicher Wissenschaftspolitiker und hohes SS-Mitglied, Anm. SWB)“ wird ihm bedeutet, dass man ihn für seinen Verzicht auf den Nobelpreis entschädigen wolle, berichtet Domagk in seinen Erinnerungen. Und er ist geschmeichelt und genießt sichtlich die vielfältigen Kontakte auf seinen Reisen ins Ausland, die ihn auch mit staatlichen Würdenträgern und faschistischen Parteifunktionären zusammenbringen. Er gibt sich als ein überzeugter Deutsch-Nationaler zu erkennen, der lange Hitlers Erfolge feiert. Er ist kein Nationalsozialist, aber ein Beispiel dafür, wie es die Machthaber im „Dritten Reich“ verstanden haben, mit Hilfe von Gratifikationen auch dem NS-System ursprünglich nicht nahestehende Personen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, solange es genügend ideologische Übereinstimmungen gibt. Im Falle von Domagk verschränkt sich diese Zusammenarbeit mit der engen Verstrickung seines Arbeitgebers, der IG FARBEN, mit dem Hitler-Regime. Noch Anfang der 1960er Jahre, zu der Zeit, als er an seinen Erinnerungen schreibt, spricht er rückblickend angesichts von innerbetrieblichen Konflikten im Jahr 1943 von mehreren Angeboten. Er müsse nur „zusagen“, dann werde der Gau Ostpreußen für ihn ein Institut errichten oder er könne in einem Werk in Schlesien weiter forschen – der Wechsel nach Ostpreußen bleibt allerdings ebenso aus wie der nach Monowitz, wo die IG FARBEN ein eigenes KZ betreibt.
So nimmt es kein Wunder, dass er Ende 1943 durch den Reichsminister des Inneren Heinrich Himmler zum Ehrenmitglied des Robert-Koch-Institutes, das sich an Menschenversuchen mit KZ-Häftlingen beteiligt, ernannt wird. 1944 wird er in den Wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigen für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, Karl Brandt, berufen. Ebenfalls 1944 wird er für seine Entdeckungen auf dem Gebiet der Sulfonamide mit dem „Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes“ ausgezeichnet – eine Ehrung, die nur mit Hitlers persönlicher Zustimmung erfolgen kann. Noch am 30.1.45 erhält der BAYER-Wissenschaftler von der Universität Münster, an der er Pathologie lehrt, die Ehrendoktorwürde. Aus der Hand des Rektors, dem fanatischen Nationalsozialisten Herbert Siegmund, nimmt er sie entgegen. Für die anlässlich dieser Ehrung ausgerichtete Feier in Salzuflen, wohin die Medizinische Fakultät in den letzten Kriegsmonaten ausgelagert wird, bedankt er sich vielmals beim Rektor, mit Wünschen für „ihre aufblühende Universität als Vorbild künftiger deutscher Hochschulen“. Kein Zweifel: Domagk gehört, auch während der NS-Zeit, zur ärztlichen Elite Deutschlands.
Sein Interesse an den Sulfonamiden rührt von seiner Erfahrung als Sanitäter im Ersten Weltkrieg her. Damals vermag man gegen Gasbrand-Infektionen, eine besonders schwere Wundinfektion, nichts auszurichten; sie enden zumeist mit einer Amputation oder dem Tod. Darum kämpft Domagk nun dafür, dass den Militär-Ärzten bei der Behandlung von Wundinfektionen die Anwendung von Sulfonamiden befohlen wird. Im Sonderlazarett Brüssel demonstriert der Mediziner im Sommer 1942 die Wirkung bereits eingesetzter Sulfonamide an Tieren. Aber obwohl er damit den Heeres-Sanitätsinspekteur Siegfried Handloser und Karl Brandt, Begleitender Arzt Hitlers und mitverantwortlich für die Ermordung von geistig und körperlich Behinderten im Zuge der Aktion T4, überzeugt, wird die bestehende Empfehlung für die Anwendung von Sulfonamiden bei Wundinfektionen nicht umgewandelt in eine Anweisung mit Befehlscharakter – und dies ändert sich auch im ganzen Krieg nicht mehr.
Im Gegensatz dazu entscheiden sich die Alliierten sehr früh für den obligaten Einsatz von Sulfonamiden bei Wundinfektionen. Die Engländer erbeuten 1943 in Nordafrika von der deutschen Armee zurückgelassenes, ihnen unbekanntes Sulfonamid, das IG-Produkt Marfanil. Als dieses Medikament in englischen Kliniken getestet wird, stellt man fest, dass es das wirkungsvollste, bisher untersuchte Sulfonamid gegen Gasbrand sei. Amerikanische Forscher hielten 1940 dieses Sulfonamid in ihren Händen, unterließen aber eine Testung auf anaerobe Bakterien, die Erreger des Gasbrands – so entging ihnen die besondere Wirksamkeit dieses Stoffes gegen Gasbrand-Infektionen.
In Deutschland tobt derweil ein erbitterter Streit um die Anwendung von Sulfonamiden bei Kriegswunden zwischen um ihr Fach fürchtenden, einflussreichen Chirurgie-Professoren auf der einen Seite und nicht so renommierten Chirurgie- und Dermatologie-Professoren sowie Militär-Ärzten auf der anderen Seite. Immer wieder versucht Domagk zaudernde Kollegen von der Notwendigkeit eines obligaten Einsatzes von Sulfonamiden gegen Gasbrand-Erreger zu überzeugen. Sie lassen aber nur eine großzügige Ausschneidung der Wundränder als chirurgische Behandlung gelten; sie befürchten eine Vernachlässigung chirurgischer Maßnahmen und bestreiten den Nutzen einer zusätzlichen medikamentösen Behandlung mit Sulfonamiden. Allerdings werden die Sulfonamide bis Kriegsende massenweise bei Wundinfektionen an der Front eingesetzt, und ihr praktischer Nutzen spricht eine eindeutige Sprache: Viele Leben werden durch diese Behandlung gerettet. Trotzdem wird 1949 auf dem Chirurgie-Kongress in Frankfurt die Wirksamkeit der Sulfonamide zur Verhinderunng oder Linderung von Wund-Infektionen angezweifelt. Es werde bei aller Begeisterung „eine Nachlese geben (...), und diese Nachlese wird eine sehr chirurgische sein“, bekommt Domagk nach seinem Vortrag von Eduard Rehn, dem Präsidenten der „Deutschen Gesellschaft für Chirurgie“ zu hören.
Traurige „Berühmtheit“ erlangen die Sulfonamide durch die Menschenversuche in den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen, vor allem aber durch die im KZ Ravensbrück ab Juli 1942. Zwar hat es schon ab 1939/40 Versuche zur Gasbrand-Behandlung gegeben, aber nach dem Scheitern der „Blitzkriege“ und einer bedrohlich steigenden Zahl von Kriegsverletzten drängen Wehrmacht und Waffen-SS auf eine Klärung des Streits. Die Art, wie das geschieht, spricht nicht nur jedem moralischen Empfinden Hohn, sie hält auch keinen wissenschaftlichen Kriterien stand, nicht zuletzt deshalb, weil ein Mediziner damit nur sein persönliches Interesse verfolgt.
Nach dem Tod des hohen SS-Führers Reinhard Heydrich im Juni 1942 durch ein Attentat gerät nämlich der seine Behandlung beaufsichtigende Chirurg Karl Gebhardt bei Hitler und Himmler unter Druck, hat er doch als entschiedener Gegner der neuen Therapie bei der durch die Verletzungen ausgelösten Sepsis eine Behandlung mit Sulfonamiden unterlassen3. Er setzt durch, dass die Menschenversuche unter seiner Aufsicht und Bewertung im KZ Ravensbrück erfolgen, um seinen Therapie-Ansatz zu stützen. So dienen als Versuchspersonen nicht etwa die im KZ bereits an Gasbrand erkrankten Häftlingsfrauen. Stattdessen infizieren Ärzte Versuchspersonen neu. Durch das Einbringen von Gasbrand-Erregern, Holzspänen und Glassplittern in eine tiefe, künstlich gesetzte Wunde erzeugen die Mediziner in der letzten von drei Versuchsserien das Vollbild einer Gasbrandinfektion. Den zur Behandlung mit Sulfonamiden ausgewählten 24 jungen polnischen Häftlingsfrauen wird jedoch nicht die ausreichende Dosis an Sulfonamiden verabreicht. Im Ergebnis zeigt sich so kein wesentlicher Unterschied zu den unbehandelten Versuchspersonen. Von den 24 Polinnen sterben schließlich fünf an einer Infektion, sechs werden nach Versuchsende erschossen. Die Überlebenden sind nach dem Erleiden höllischer Qualen zumeist invalide. Gebhardt wird bei den Nürnberger Prozessen dafür bestraft: Wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhängen die Richter die Todesstrafe.
Im Mai 1943 werden die Resultate – weitgehende Wirkungslosigkeit der Sulfonamide bei der Behandlung einer Gasbrand-Infekton – schließlich vor der versammelten akademisch-ärztlichen und militär-ärztlichen Elite Deutschlands referiert, ohne dass eine einzige protestierende Stimme sich erhebt, als deutlich wird, dass diese Versuche an wehrlosen Opfern durchgeführt wurden. Trotz des negativen Ausgangs der Menschenversuche setzt sich dann in der Wehrmacht die Behandlung des Gasbrands mit Sulfonamid, speziell mit dem IG-Produkt Marfanil, zunehmend durch.
Die spätere Behauptung Domagks, er habe von der Existenz der Konzentrationslager und damit der Menschenversuche erst nach dem Krieg erfahren, ist stark anzuzweifeln. Ein Forscher mit seinem Renommee und in seiner Stellung hatte wissenschaftlichen Kontakt zu Medizinern, die in Menschenversuche involviert waren – auch IG-Kollegen in Wuppertal-Elberfeld sind das. Zudem soll er persönlich Marfanil-Proben an Gebhardt geschickt haben4. Auf jeden Fall muss das ‚Übersehen’ der verbrecherischen Experimente sehr viel psychischen Aufwand gekostet haben.
Domagk wendet sich gegen Ende des Krieges dann mehr der Entwicklung von Tuberkulostatika zu, wobei er um die Unterstützung seiner Vorgesetzten kämpfen muss, denen eine wissenschaftliche Arbeit auf dem mehr Gewinne versprechenden Gebiet der Sulfonamide lieber gewesen wäre. Aus den Tuberkulostatika-Forschungen wird jedoch seine zweite Großtat erwachsen: die Entwicklung von Conteben und Neoteben (INH). Woran er ab Frühjahr 1944 bis Kriegsende forscht, bleibt im Unklaren, darüber schweigt Domagk. Dass auch er zu denen gehört, auf die der Nationalsozialismus angewiesen ist, wovon der Wissenschaftler wiederum profitiert, hat er da schon längst vergessen. Bereits in seinen Entnazifizierungsunterlagen schreibt er im September 1945, er habe „auf Veranlassung der Universität“ das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes verliehen bekommen. Dass es der Rektor des „Totalen Krieges“, sein Kollege im Wissenschaftlichen Beirat von Karl Brandt und Freund Herbert Siegmund ist, der ihn für die Ordensverleihung im Dezember 1943 dem Reichsmarschall Göring vorschlägt, spielt hier keine Rolle mehr. Domagk hat so an seiner eigenen Legendenbildung gearbeitet, aber andere haben gerne daran mitgewirkt und sie befördert – bis heute.
1Ekkehard Grundmann, Gerhard Domagk. Der erste Sieger über die Infektionskrankheiten. Münster 2001. Hier S. 3; besonders eklatant S. 110.
2Alfred Neubauer, Bittere Nobelpreise. Norderstedt 2011. Hier Pos. 481 (eBook)
3 Offiziell stirbt Heydrich an Sepsis. Hardt findet in einer Nachschau der Obduktionsbefunde keinen Hinweis auf ein septisches Geschehen. (Hardt, Nicolas: Das Attentat von Prag 1942 und die Chirurgie – Zwischen Wissenschaft und Politik, in: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (Hg.): Mitteilungen, Heft 2/2012, S. 157–164, hier S. 161).
4Paul Weindling, Victims and Survivors of Nazi Human Experiments. Science and Suffering in the Holocaust. London 2015, S. 86.
CO & Co.
BVG: Kohlenmonoxid-Pipeline verfassungsgemäß
Im Namen BAYERs
Die nordrhein-westfälische Landesregierung darf Enteignungen vornehmen, um den Weg für BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline freizumachen, befand das Bundesverfassungsgericht am 21. Dezember 2016 in einem Skandal-Urteil. Die GegnerInnen der Giftgas-Leitung lassen sich von diesem Beschluss jedoch nicht entmutigen.
Von Jan Pehrke
Seit Urzeiten beschäftigt die Kohlenmonoxid-Pipeline nun schon die Gerichte. So wehrte sich etwa der Monheimer Landwirt Heinz-Josef Muhr dagegen, Teile seines Grundstücks für den Röhren-Verbund hergeben zu müssen und reichte 2007 eine erste Klage ein. 2011 kam es vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht zu einer Verhandlung. In zweiter Instanz landete das Verfahren dann beim Oberverwaltungsgericht Münster (OVG). Aber dort blieb es nicht lang. Die RichterInnen sahen durch den Fall nämlich Verfassungsfragen berührt. Sie hatten erhebliche Zweifel daran, ob das nordrhein-westfälische Rohrleitungsgesetz, mit dem die Düsseldorfer Landesregierung der Giftgas-Leitung den Weg zwischen den beiden BAYER-Standorten Dormagen und Krefeld/Uerdingen freimachen wollte, überhaupt verfassungsgemäß ist. Enteignungen zum Gedeih eines Großkonzerns mit dem Verweis auf das Allgemeinwohl zu legitimieren, wie es das auch „Lex BAYER“ genannte Paragrafen-Werk tut – das mochten die JuristInnen nicht so einfach akzeptieren. Durch ein solches Projekt könne „das Wohl der Allgemeinheit allenfalls mittelbar gefördert werden“, konstatierten sie und befanden, das Rohrleitungsgesetz müsse sich „an den hohen Anforderungen messen lassen, die das Grundgesetz für eine Enteignung zugunsten privater Unternehmen enthalte“. Zur Überprüfung der Sachlage entschloss sich das Gericht deshalb im August 2014, das Bundesverfassungsgericht (BVG) anzurufen.
Mehr als zwei Jahre später – Muhr war inzwischen verstorben, aber seine Witwe führte die juristische Auseinandersetzung für ihn weiter – gab das Bundesverfassungsgericht dann seine Entscheidung bekannt. Es nahm die RichterInnen-Vorlage aus Münster nicht einmal zur Entscheidung an. „Der Vorlage-Beschluss entspricht nicht den Begründungsanforderungen. Er begründet die angenommene Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nur unzureichend“, urteilte die 2. Kammer des Ersten Senates am 21. Dezember 2016 (nicht). Auf neun Seiten fasste sie ihre Motive für die Ablehnung zusammen. De facto kam diese Instant-Rechtsprechung damit doch einem RichterInnen-Spruch gleich.
Das Bundesverfassungsgericht monierte unter anderem, das OVG habe dem weiten Spielraum, den die Verfassungsregelungen zu Enteignungen einräumen, nicht genügend Rechnung getragen. Überdies hätte es die Gründe nicht ausreichend gewürdigt, die das Pipeline-Gesetz zur Legitimation der Eingriffe anführt. Die drei Karlsruher RichterInnen selbst ließen hingegen Sympathie für die Darlegungen erkennen, wonach die Rohrleitung zum Allgemeinwohl beitrage und Inbesitznahmen fremden Eigentums deshalb gesetzeskonform erfolgen könnten. So hielten die JuristInnen etwa in Übereinstimmung mit dem NRW-Gesetzgeber fest, „dass die vom Rohrleitungsgesetz zugelassene Enteignung nicht nur dem die Anlage betreibenden Unternehmen dient, sondern einer Vielzahl von Kohlenmonoxid verarbeitenden Betrieben in der Region zugutekommt“. Und das steigert das Bruttosozialprodukt und dient – der Logik des BVG zufolge – so dem Allgemeinwohl.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN bezeichnete das Karlsruher Votum in einer Presseerklärung als „krasses Fehlurteil“ und warf der 2. Kammer mangelnde Sachkenntnis vor. „Von der CO-Pipeline profitiert zum größten Teil, wenn nicht sogar ausschließlich die BAYER-Tochter COVESTRO“, hieß es in dem Text. Die STOPP BAYER-CO-PIPELINE-Initiativen gingen in ihrem Statement sogar noch weiter: „Das könnte man fast schon als ‚Fake News’ bezeichnen, denn kein weiteres Unternehmen auf der Strecke von Dormagen und am Endpunkt Uerdingen verarbeitet Kohlenmonoxid (CO).“
Überdies sieht das Bundesverfassungsgericht den Röhren-Verbund fälschlicherweise als alternativlos an, denn es besteht die Möglichkeit, das Gas vor Ort, per Steam Reformer, zu produzieren, was die COVESTRO in Dormagen auch bereits tut. Damit entfällt jedoch die rechtliche Voraussetzung für die Enteignungen. Das Rohrleitungsgesetz selber hält diese nämlich nur dann für zulässig, wenn „der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise, insbesondere aus Grundbesitz des die Anlage errichtenden und betreibenden Unternehmens, nicht erreicht werden kann“. Mit diesen technischen Fragen hat sich das BVG skandalöserweise aber gar nicht befasst. Wohl auch nur deshalb schreibt es der CO-Leitung „eine vergleichsweise geringe Belastungsintensität“ zu und verharmlost damit das Kohlenmonoxid in unverantwortlicher Weise. Allein die von diesem Giftgas ausgehenden Risiken sprechen jedem Verweis auf das Allgemeinwohl Hohn.
BAYER zeigte sich natürlich hocherfreut über so viel juristische Ignoranz. „Die Einschätzungen, die das BVG anführt, entsprechen unserer Auffassung“, ließ die COVESTRO verlauten. „Die Richter in Karlsruhe formulieren, dass das Gesetz aus ihrer Sicht geeignet ist, dem Allgemeinwohl zu dienen und bestätigen damit die hinreichende Bestimmheit der gesetzlichen Formulierungen“, befand NRW-Standortleiter Klaus Jaeger. Der Konzern macht sich nun Hoffnung auf eine baldige Betriebsgenehmigung. Ob sich dies erfüllt, steht jedoch noch lange nicht fest. Einstweilen landet die Klage jetzt nämlich erst einmal wieder beim Oberverwaltungsgericht Münster. Die RichterInnen wollen ihre Arbeit nun an dem Punkt fortsetzen, an dem sie diese für Karlsruhe unterbrochen hatten. „Das Prüfprogramm beginnt jetzt“, erläuterte der Pressedezernent Dr. Ulrich Lau auf Anfrage von Stichwort BAYER und verwies dabei unter anderem auf das Sicherheitskonzept und andere Fachfragen. Als „sehr komplex“ und „Tausende von Seiten“ umfassend beschrieb er diesen Vorgang. Also dürften wieder so einige Jährchen ohne den Kohlenmonoxid-Verbund ins Land ziehen. Die Anti-Pipeline-Initiativen lassen sich dann auch vom Bundesverfassungsgericht nicht entmutigen. „Wir kämpfen weiter und sind auf weitere kreative und aktive Jahre eingestellt“, kündigten sie an.
HERVORHEBUNG:
Allein die von diesem Giftgas ausgehenden Risiken sprechen jedem Verweis auf das Allgemeinwohl Hohn
Pflanzen & Saaten
BAYER & Co. setzen auf Hybrid-Weizen
Das große Geschäft lockt
BAYER & Co. wollen mit allen Mitteln ihre Gewinne sichern und weiter steigern. Seit einigen Jahren versuchen sie, aus der Weizen-Züchtung ein globales, lukratives Geschäft zu machen. Auch hier setzen sie auf gentechnisch veränderte Pflanzen und Lizenz-Gebühren. Ein wichtiger Teil ihres Weizen-Programms besteht zudem darin, einen Hybrid-Weizen zu entwickeln, also eine nicht zur Wiederaussaat geeignete Sorten zu züchten, um die Bauern und Bäuerinnen vom Nachbau abzuhalten. Ein Ende des Nachbaus beim Weizen aber heißt: eine noch größere Abhängigkeit von Konzern-Interessen.
Von Eva Gelinsky und Hans-Dieter von Frieling
Das Thema „Nachbau-Gebühren“ bei Getreide werde über kurz oder lang Geschichte sein, so konnte man im Mai 2016 im Internet-Portal des Branchendienstes Top Agrar lesen. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass die Nachbau-Gebühren für diese Arten abgeschafft werden sollen, im Gegenteil. Wenn sich der „illegale“ bäuerliche Nachbau nicht auf rechtlichem Weg verhindern lässt, dann wird es eben auf biologische Weise versucht. Hybrid-Getreide lässt sich schließlich nicht sorten-echt vermehren. Was bei Fremdbefruchtern wie Roggen gut funktioniert – hier beträgt der Hybrid-Anteil bereits über 75 Prozent – soll nun endlich auch beim Selbstbefruchter „Weizen“ klappen. Europa-weit sei Hybridweizen mit ca. 500.000 ha Anbaufläche bereits eine „Erfolgsgeschichte“ und in Deutschland ein „Zukunftsmarkt“ (derzeit ca. 20.000 ha), erklärte Gero Heumann von der SAATEN-UNION, der Vertriebsorganisation mittelständischer Pflanzen-Züchter.
An dieser „Erfolgsgeschichte“ wollen offensichtlich viele Unternehmen teilhaben. Seit 2009 arbeiten einige der ganz Großen – darunter MONSANTO, BAYER, SYNGENTA, BASF, KWS, VILMORIN und DUPONT PIONEER – (teilweise wieder) an der Entwicklung von Hybrid-Weizen. An vollmundigen Versprechen mangelt es nicht. So wollen BAYER und SYNGENTA die ersten Sorten bereits ab 2020 auf den Markt bringen, wobei der schweizer Agro-Riese das Spitzenumsatz-Potenzial laut Medien-Mitteilung vom September 2015 auf über drei Milliarden US-Dollar taxiert. Doch sind die Erfolgsaussichten für die Unternehmen tatsächlich so rosig? Zweifel sind angebracht. Zum einen ist der Ertragszuwachs der Hybrid-Gewächse, der sogenannte Heterosis-Effekt, bei Selbstbefruchtern kleiner als bei Fremdbefruchtern. Bei Hybridweizen soll er z. B. nur bei rund 10 Prozent liegen, bei Hybrid-Roggen sind dagegen Steigerungen bis zu 280 Prozent möglich. Die SAATEN-UNION selbst bemerkt, dass die LandwirtInnen, angesichts der um 60 Prozent höheren Aussaat-Kosten von Hybrid-Getreide, unter Umständen mit leistungsfähigen Liniensorten die bessere Wahl treffen würden. Zum zweiten besteht das Problem, dass die Erzeugung von Hybrid-Saatgut komplex ist und im großen Maßstab einen solchen Hybrid-Mechanismus erfordert, durch den Selbstbefruchtung ausgeschlossen und eine Kreuzbefruchtung gesichert wird.
Die Möglichkeiten der Hybrid-Züchtung bei Winter-Getreide sind:
• Manuelle Kastration. Diese ist bei Getreide zu aufwendig und kommt deshalb nicht in Frage.
• Chemische Kastration der Mutterlinien über das Versprühen chemischer Stoffe (Gametozide). Auch dieses Verfahren ist aufwendig, zudem im Ergebnis unsicher und kritisch, weil man die Übertragung des toxischen Stoffes auf die Hybriden vermeiden muss. Bisher ist nur ein Wirkstoff in der EU zugelassen. Dieser darf nur in Frankreich angewendet werden.
• Genetische Eingriffe, vor allem über die Cytoplasmatische Männliche Sterilität/CMS. Bei diesem Verfahren werden in der Mutterlinie Mutationen induziert, die zu männlicher Unfruchtbarkeit führen. Hier besteht allerdings das Problem, dass diese Ausschaltung der Selbstbefruchtung nicht immer vollständig gelingt und eine aufwendige Selektion der männlich sterilen Pflanzen notwendig ist. Zudem muss anschließend die männliche Fertilität (das natürliche Reproduktionssystem) mittels einer Restorer-Linie wiederhergestellt werden.
• Hoffnungsträger sind aktuell verschiedene gentechnische Ansätze, welche die Sterilität durch die Veränderung des Genoms erzeugen sollen. Ein Problem ist jedoch bislang, dass in den fertigen Hybriden das transgene Event noch enthalten ist. Das Ergebnis wäre ein GV-Hybridweizen.
All diese Methoden haben nicht nur verschiedene technische Tücken – das soll nach ExpertInnen-Meinung auch für die neuen gentechnischen Ansätze gelten – sondern sie sind auch (noch) zu teuer für eine Saatgut-Produktion im großen Maßstab. Ob es den angekündigten Durchbruch in den nächsten Jahren also tatsächlich geben wird, ist zumindest fraglich. Die aktuellen Entwicklungen sollten dennoch aufmerksam und kritisch verfolgt werden. Denn die Politik fördert die Hybridweizen-Züchtung massiv, und die großen Saatgut-Konzerne haben die (Hybrid-)Weizenzüchtung (wieder-)entdeckt und viel Geld investiert. So gibt es allein in Deutschland seit 2007 mindestens ein Dutzend öffentlich (mit)finanzierte Forschungsprojekte wie etwa zur Entschlüsselung des Weizengenoms, zu neuen CMS-Verfahren (z. B. „Gene-Splitting“) und zu Vorhersagen der Hybrid-Leistung. Auch auf der internationalen Ebene ist die Politik aktiv geworden und unterstützt Forschungsgroßprojekte zur Weizen- und vor allem Hybridweizenzüchtung, darunter die 2014 gegründete International Wheat Yield Partnership (IWYP). Ziel ist eine Steigerung der Weizen-Erträge um 50 Prozent bis 2034. In den ersten fünf Jahren sollen 100 Mio. US$ bereitgestellt werden. Das Projekt arbeitet in enger Kooperation mit privaten Unternehmen wie BAYER, DUPONT PIONEER, DOW AGROSCIENCE, SYNGENTA und KWS. Die Saatgut-Konzerne versuchen, sich den exklusiven Zugang zu weizen-genetischen Ressourcen zu sichern, einerseits durch Kooperationsverträge mit Universitäten und Forschungsinstituten, andererseits durch den Aufkauf von Unternehmen. Zu den Sorten und Linien, die sich in der Hand der großen Multis befinden, erhalten kleinere Unternehmen kaum oder gar keinen Zugriff mehr. Aufgrund ihrer Kapital-Ausstattung können die Großen mehr Geld in die Forschung und Entwicklung investieren als kleinere Firmen und haben bessere Möglichkeiten, um intellektuelle Eigentumsrechte durchzusetzen. Und je mehr Patente angemeldet werden, desto unübersichtlicher und riskanter wird es für kleinere Unternehmen, die selbst in diesem Bereich der Züchtung aktiv sind.
Fazit: Auch ohne den großen Durchbruch könnten die aktuellen Entwicklungen im Bereich der (Hybrid-)Weizenzüchtung gravierende Folgen haben: 1. Die Verfügbarkeit und Vielfalt bei Weizen-Saatgut dürfte deutlich eingeschränkt werden, da es kleinere Unternehmen in Zukunft (noch) schwerer haben werden, sich auf dem von den ganz Großen dominierten Markt zu behaupten. 2. Der letzte Bereich, in dem noch nennenswert Nachbau möglich ist, verschwindet. Die Abhängigkeit der LandwirtInnen von den Saatgut-Konzernen wächst weiter.
Eva Gelinsky ist politische Koordinatorin der INTERESSENSGEMEINSCHAFT GENTECHNIK- FREIE SAATGUT-ARBEIT
Hans-Dieter von Frieling ist Wirtschaftsgeograf
Erste & Dritte Welt
BAYER & Co. „beglücken“ die Armen mit Gentech 1.0
Letzte Ausfahrt Afrika !?!
In den Industrie-Staaten stagniert das Geschäft mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Zuwächse erfährt es indessen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Darum verstärken BAYER & Co. dort ihr Engagement. Besonders im Fokus steht seit einiger Zeit Afrika. Allerdings vermarkten die Konzerne dort mit Vorliebe ihre noch nach den alten Verfahren hergestellten Labor-Früchte.
Von Stig Tanzmann (BROT FÜR DIE WELT)
Während in Europa und insbesondere in Deutschland schon um die „neuen“ Gentechnikverfahren gestritten wird, erlebt der afrikanische Kontinent eine bisher nicht dagewesene Welle an Anträgen zum kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) nach „alten“ Verfahren. Das wird an einer sich immer weiter fortsetzenden Reihe von Feldversuchen und Zulassungsanträgen deutlich. Am weitesten gediehen sind die Zulassungsanstrengungen bei GVO-Baumwolle. Im Rahmen der „Neuen Allianz zur Ernährungssicherung“1 – einer stark an den Interessen der Privatwirtschaft ausgerichteten Entwicklungsinitiative der G7-Staaten, die mit verschiedenen afrikanischen Staaten eine Zusammenarbeit vereinbart hat – kündigte MONSANTO in Malawi schon 2013 einen kommerziellen Anbau von GVO-Baumwolle an. Bis heute allerdings konnte dort der kommerzielle GVO-Anbau aufgrund vielfältiger Aktivitäten und der Lobbyarbeit der Zivilgesellschaft verhindert werden. MONSANTO hatte sicherlich nicht mit solch fundierten und lang anhaltenden Protestwellen gerechnet, als es sein Bestreben 2013 öffentlich gemacht hatte. Der „Erfolg“ der Zivilgesellschaft kann aber nicht über die äußerst prekäre Situation in Malawi hinwegtäuschen. Denn die Zivilgesellschaft hat in dem sehr schwach entwickelten Land kaum mehr die Kapazität, auch noch die Feldversuche mit GVO-Bananen und GVO-Augenbohnen, die ebenfalls erfolgen oder angekündigt sind, intensiv zu begleiten. Auch mit Blick auf GVO-Baumwolle ist zu erwarten, dass der kommerzielle Anbau nicht dauerhaft aufgehalten werden kann.
Ähnlich sieht es in Nigeria aus. Dort wird die Kommerzialisierung von GVO-Baumwolle ebenfalls vorangetrieben. Das ist insofern verwunderlich, als im nur wenige Hundert Kilometer entfernten Burkina Faso der kommerzielle Anbau von GVO-Baumwolle auf Druck der Bäuerinnen und Bauern für gescheitert erklärt worden ist2. Das GVO-Saatgut war zu teuer und die Faserqualität der GVO-Baumwolle zu schlecht. Logisch wäre es eigentlich aus der Perspektive der nigerianischen Regierung, sehr kritisch und genau zu prüfen, was in Burkina Faso passiert ist, denn in beiden Ländern herrschen ähnliche klimatische und sozioökonomische Bedingungen.
In Nigeria hat sich 2016 eine große Koalition von über hundert Organisationen, die mehr als fünf Millionen Menschen repräsentieren, gegen den Anbau von GVO-Baumwolle und die gleichfalls geplanten Feldversuche mit GVO-Mais formiert. Doch Rufus Ebegba, Generaldirektor der nigerianischen Behörde für Biosicherheit und zuständig für die GVO-Zulassung, hat in einem Interview keinen Zweifel daran gelassen, dass er GVOs für sicher hält und die europäische Zurückhaltung dieser Technologie gegenüber nicht teilt. Zudem verbittet er sich jeden positiven Bezug auf Europa in der nigerianischen Gentechnik-Debatte. Weiter stellte Ebegba klar, dass es auch nigerianische WissenschaftlerInnen und Institute seien, die an den GVOs arbeiteten3. Folgerichtig ist der Anbau von GVO-Baumwolle von seiner Behörde genehmigt worden. Ob der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen Realität in Nigeria werden wird, ist angesichts des anhaltenden Protestes derzeit dennoch noch nicht abschließend abzusehen.
Eine konzertierte Aktion
Die Abgrenzung vom europäischen Umgang mit GVOs ist von einigen afrikanischen RegierungsvertreterInnen und EntscheidungsträgerInnen in den letzten Jahren häufiger kommuniziert worden. Diese Stimmen – auch aus der Forschung – sind so bekannt geworden, dass der MONSANTO-Konzern sich ihrer ebenfalls bedient. So hat das US-Unternehmen 2016 auf den Bericht des Entwicklungsausschusses des Europäischen Parlaments zur „Neuen Allianz zur Ernährungssicherung“, der die G7-Initiative unter anderem für die Propagierung von GVOs kritisiert, mit dem Vorwurf des Neokolonialismus durch das EU-Parlament reagiert4.
Die großen Agro-Konzerne wie BAYER, DUPONT, MONSANTO und SYNGENTA haben in den letzten Jahren zusammen mit der „Bill & Melinda Gates-Stiftung“, der staatlichen Entwicklungsagentur USAID aus den Vereinigten Staaten und der „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ (AGRA) ein gut verwobenes Netzwerk von GentechnikprofiteurInnen und -befürworterInnen quer durch den afrikanischen Kontinent in Regierungen, Ministerien, wissenschaftlichen Instituten und der Wissenschaftsgemeinschaft etabliert. Insbesondere für WissenschaftlerInnen war und ist die Forschung an und zu GVOs häufig die einzige Möglichkeit, eine erfolgreiche Karriere zu starten. In diesem Sektor gab und gibt es Stipendien über das oben genannte Netzwerk sowie die Chance, Zugang zu renommierten US-Universitäten zu bekommen. Gleichzeitig floss und fließt viel Geld der Entwicklungszusammenarbeit aus den USA und Großbritannien in diesen Bereich, wie es sich auch bei der Unterstützung der „African Agricultural Technology Foundation“ (AATF) zeigt. Über AATF besteht eine direkte Verbindung zum „Water Efficient Maize for Africa Project“ (WEMA), über das unter anderem stark für die Einführung von GVO-Mais in Afrika geworben wird5.
Unbedingt beachtenswert und auch besorgniserregend ist vor allem das Folgende: Systematisch speisen die großen Konzerne in diese afrikanischen Netzwerke eigentlich von ihnen geschützte Gen-Sequenzen für Forschungsprojekte afrikanischer Wissenschaftsinstitute und afrikanischer Regierungen ein. Dabei nehmen sie auch Pflanzen in den Blick, die von der herkömmlichen Züchtung eher vernachlässigt werden. Insbesondere der Fokus dieser Aktivitäten auf Pflanzen wie Cassava, Sorghum, Süßkartoffel, Augenbohne, Straucherbse und Bananen, aber auch Reis, hat der GVO-Technologie zunehmend afrikanische Wurzeln verliehen6. Hier spielt es für die Multis sicher eine Rolle, ihre Behauptung, Gentechnik sei für die Sicherung der Welternährung von großer Bedeutung, mit neuen Projekten und Programmen zu unterlegen. Von der internationalen Öffentlichkeit kaum bemerkt, finden in diesem Bereich schon teils weitreichende Feldversuche statt. Im Fokus stehen Länder wie Ägypten, Burkina Faso, Ghana, Kenia, Malawi, Nigeria und Uganda7. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass es aufgrund der Feldversuche bereits zur Kontamination von konventionellen Sorten der genannten Pflanzen gekommen sein kann. Dies sollte in Zukunft auch beim Import der Früchte dieser Gewächse nach Europa beachtet werden, selbst dann, wenn es nicht flächendeckend zur angestrebten Kommerzialisierung dieser neuen GVO-Pflanzen kommt.
Südafrika als Zentrum
Ein spezieller Fall ist Südafrika, dem Zentrum des GVO-Anbaus auf dem Kontinent. Dort wird von MONSANTO die Kommerzialisierung des via WEMA schon viel beworbenen dürre-resistenten GVO-Mais’ vorbereitet. Sicher wird dieses Anliegen auch von der starken Trockenheit, die das südliche Afrika 2015 und 2016 heimsuchte, begünstigt. Eine Klage der Zivilgesellschaft gegen die ersten Feldversuche, die auch die Effektivität des manipulierten Mais‘ infrage stellt, ist 2016 erfolgt. Angesichts der Tatsache, dass sich der südafrikanische Staat gegenüber den großen Saatgut- und Gentechnik-Konzernen stark geöffnet, aber auch abhängig gemacht hat, ist hier mit wenig Erfolg zu rechnen. So sind in Südafrika über 85 Prozent des angebauten Mais‘ gentechnisch verändert, und das Saatgut stammt von zwei Anbietern. Einer davon ist MONSANTO.
Der afrikanische Kontinent wird von den dort aktiven Konzernen weiterhin unter strategischen Gesichtspunkten als wichtig angesehen. Deutlich wird dies unter anderem am Bereitstellen von geschützten genetischen Sequenzen für Forschung und Erzeugung von GVOs durch die großen Saatgut-Hersteller. Der Fokus liegt hier auf lange vernachlässigten afrikanischen Ernährungspflanzen, und natürlich wird der spätere kommerzielle Anbau bei diesen Projekten angestrebt. Sicher ist hier auch ein Ziel, endlich Belege dafür zu bekommen, dass GVOs für die Überwindung des Hungers wichtig sind. Dies wird umso klarer, wenn man betrachtet, wie sich diese Gen-Giganten ihrer Aktivitäten in dem Projekt „Access to Seed-Index“8 öffentlich rühmen, gegen das durchaus der Vorwurf des Green Washing erhoben werden kann. Ziel des „Access to Seed-Index“ ist es nämlich nicht, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu helfen, es geht vielmehr darum, die beteiligten Unternehmen erfolgreicher zu machen. In den Gremien dieses von der „Bill & Melinda Gates-Stiftung“ mitfinanzierten Index sitzen unter anderem ehemalige Mitarbeiter großer Saatgut-Konzerne.
Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie sehr die „alten“ Gentechnik-Verfahren für die Multis inzwischen schon entwertet sind. Das große Geld verspricht man sich anscheinend eher von den „neuen“ Techniken auf Basis von CRISPR/Cas oder anderer Methoden. Nicht umsonst haben sich alle großen Saatgut-Multis inzwischen in die Schlüsselpatente dieser Praktiken eingekauft9. Was die „alten“ Verfahren angeht, können vor diesem Hintergrund die genetischen Sequenzen für die vernachlässigten Pflanzen bereitwillig geteilt werden.
Für die afrikanische Zivilgesellschaft entsteht so der Eindruck, als würde Afrika einmal mehr als letzte Ausfahrt für eine inzwischen veraltete Technologie genutzt. Besteht schon ein kommerzieller Markt für GVOs oder ist er im Entstehen wie bei Baumwolle und Mais, verlangen die Agro-Riesen natürlich trotzdem Geld von den Bäuerinnen und Bauern für die Patente. Ziel scheint es dabei alles in allem auch zu sein, die GVO-Technologie zu afrikanisieren und so eine neue Akzeptanz für die Labor-Früchte aufzubauen. In Teilen scheint dies gelungen, und MONSANTO hat schon begonnen zu zeigen, wie dies in Zukunft gegen die KritikerInnen der Grünen Gentechnik genutzt werden soll.
Die Wirtschaftsinteressen
Dass hinter diesen afrikanischen Aktivitäten der großen Konzerne weiterhin knallharte Geschäftsinteressen stehen, sollte nicht vergessen werden. Dies wird deutlich, wenn man betrachtet, wie strategisch eben diese Unternehmen in den zurückliegenden Jahren die letzten größeren unabhängigen afrikanischen Saatgut-Firmen aufgekauft haben10. Sollten also einmal GVOs in größerem Stil in Afrika angebaut und gehandelt werden, so werden diese Gesellschaften sicherlich davon profitieren, denn sie haben nun auch einen guten Zugang zu den Vermarktungsnetzwerken. Auch sollte beachtet werden, dass die Frage des Zugangs zu den Märkten der Entwicklungsländer, also auch denen der afrikanischen Staaten, eine wichtige Rolle bei den derzeitigen Mega-Fusionen im Agrar-Bereich spielt. SYNGENTA hat vor allem auch deshalb positiv auf das Übernahme-Angebot von CHEMCHINA reagiert, weil sich das Management so mehr Markt-Anteile und Umsatz-Wachstum in den Entwicklungsländern verspricht. Für BAYER sind die afrikanischen Aktivitäten von MONSANTO sicher auch von Interesse. Vor diesem Hintergrund wird es wichtig sein, sehr genau auf die zukünftigen Aktivitäten des im Entstehen begriffenen neuen BAYER-MONSANTO-Konzerns auf dem Kontinent zu schauen.
1https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analyse51_Ernaehrung_fuer_alle.pdf
2http://www.ensser.org/fileadmin/user_upload/Mex16.DOWD-URIBE.Burkina.Faso.GM.Crops.FINAL.Version.2.pdf
3http://www.environewsnigeria.com/cotton-maize-nigeria-release-gm-food-ebegba
4http://www.nutraingredients.com/Regulation-Policy/Monsanto-hits-back-at-MEP-vote-on-GM-in-Africa
5http://acbio.org.za/hands-off-our-food-systems-small-farmers-not-corporates-feed-africa/
6https://acbio.org.za/wp-content/uploads/2016/04/GM-Orphan-Crops-Report.pdf
7http://acbio.org.za/hands-off-our-food-systems-small-farmers-not-corporates-feed-africa/
8http://www.accesstoseeds.org/the-index/
9https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_konzernatlas_2017.pdf
10http://acbio.org.za/wp-content/uploads/2015/12/Seed-Sector-Sub-Sahara-report.pdf
Kasten
BAYER-Gentechnik in Afrika
Wie MONSANTO & Co. konzentriert auch der BAYER-Konzern sein Gentech-Engagement auf Südafrika. Die am weitesten kapitalistisch erschlossene Nation des Kontinents nimmt weltweit unter den Produzenten von Pflanzen mit verändertem Erbgut den neunten Rang ein. Der Leverkusener Multi verfügt dort über Zulassungen für fast sein komplettes Sortiment von FIBERMAX-Baumwolle über LIBERTYLINK-Soja, -Mais und -Reis bis hin zu INVIGOR-Raps. Den Schwerpunkt legt er dabei auf Baumwolle. Der Global Player führte in der Vergangenheit zahlreiche Feldversuche mit den Gewächsen durch und vertreibt aktuell mehrere Sorten für den kommerziellen Anbau.
Daneben kooperiert das Unternehmen mit den Hochschulen des Landes. So arbeitet der Agro-Gigant mit den Gentech-Instituten der Universitäten von Pretoria und Stellenbosch zusammen und erteilt ihnen Forschungsaufträge. Die von ihm geplante Übernahme von MONSANTO hätte nach Einschätzung des AFRICAN CENTRE FOR BIODIVERSITY (ACB) fatale Konsequenzen für den Staat, nicht nur in Sachen „Labor-Früchte“. Das Center kommt in einer für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellten Studie zu dem Urteil, „dass ein potenzielles Zusammengehen von BAYER und MONSANTO signifikante negative Auswirkungen auf den Saatgut- und Pestizid-Sektor sowie auf Bauern und Konsumenten in Südafrika hätte“. Aber auch im Westen Afrikas treibt die Aktien-Gesellschaft ihre Baumwoll-Aktivitäten voran: In Kamerun testet sie derzeit mehrere Arten.
Und selbstverständlich darf der Agrar-Riese bei der „Neuen Allianz zur Ernährungssicherung“, dem „Access-to-Seed-Index“, der „African Agricultural Technology Foundation“ (AATF) und anderen Initiativen des Kapitals, die diesen Erdteil heimsuchen, nicht fehlen.
BAYER-Gentechnik in Afrika
Wie MONSANTO & Co. konzentriert auch der BAYER-Konzern sein Gentech-Engagement auf Südafrika. Die am weitesten kapitalistisch erschlossene Nation des Kontinents nimmt weltweit unter den Produzenten von Pflanzen mit verändertem Erbgut den neunten Rang ein. Der Leverkusener Multi verfügt dort über Zulassungen für fast sein komplettes Sortiment von FIBERMAX-Baumwolle über LIBERTYLINK-Soja, -Mais und -Reis bis hin zu INVIGOR-Raps. Den Schwerpunkt legt er dabei auf Baumwolle. Der Global Player führte in der Vergangenheit zahlreiche Feldversuche mit den Gewächsen durch und vertreibt aktuell mehrere Sorten für den kommerziellen Anbau.
Daneben kooperiert das Unternehmen mit den Hochschulen des Landes. So arbeitet der Agro-Gigant mit den Gentech-Instituten der Universitäten von Pretoria und Stellenbosch zusammen und erteilt ihnen Forschungsaufträge. Die von ihm geplante Übernahme von MONSANTO hätte nach Einschätzung des AFRICAN CENTRE FOR BIODIVERSITY (ACB) fatale Konsequenzen für den Staat, nicht nur in Sachen „Labor-Früchte“. Das Center kommt in einer für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellten Studie zu dem Urteil, „dass ein potenzielles Zusammengehen von BAYER und MONSANTO signifikante negative Auswirkungen auf den Saatgut- und Pestizid-Sektor sowie auf Bauern und Konsumenten in Südafrika hätte“. Aber auch im Westen Afrikas treibt die Aktien-Gesellschaft ihre Baumwoll-Aktivitäten voran: In Kamerun testet sie derzeit mehrere Arten.
Und selbstverständlich darf der Agrar-Riese bei der „Neuen Allianz zur Ernährungssicherung“, dem „Access-to-Seed-Index“, der „African Agricultural Technology Foundation“ (AATF) und anderen Initiativen des Kapitals, die diesen Erdteil heimsuchen, nicht fehlen.
Wasser, Boden & Luft
Die kurzen Dienstwege des Konzerns
Verkehrsplaner BAYER
Bereits seit Jahren tobt in Leverkusen ein Streit über die Pläne, die marode Autobahn-Brücke über den Rhein zu ersetzen und die A1 in dem Aufwasch gleich auf bis zu zwölf Spuren zu erweitern. „Tunnel oder Stelze“ lautet die Alternative. Wie positioniert sich BAYER in diesem Konflikt?
Von Jan Pehrke
Vom Kölner Stadtanzeiger an Silvester gefragt, welche Erwartungen er mit dem kommenden Jahr verknüpft, musste Dr. Erich Grigat von der BAYER-Tochter CURRENTA nicht lange überlegen. „Für 2017 wünsche ich dem Chem-„Park“ und den Leverkusener Bürgern den Start des Brücken-Neubaus, damit das Verkehrs-Chaos in absehbarer Zeit besser wird“, so der Leiter des Leverkusener Chemie-„Parks“. Dieses Projekt nebst des Ausbaus der A1 auf bis zu zwölf Spuren treibt ihn nämlich schon lange um. „Wenn nicht schnellstmöglich Abhilfe geschaffen wird, fürchten wir, dass die Industrie verlagert wird. Damit ist das langsame Sterben der chemischen Industrie in Deutschland vorprogrammiert“, malt er schon seit einiger Zeit schwarz.
Die Abhilfe, die der Landesbetrieb Straßenbau NRW jetzt schaffen will, hat es allerdings in sich. Die IngenieurInnen wollen für das Vorhaben nämlich BAYERs erst zur Landesgartenschau 2005 einigermaßen abgedichtetes Giftgrab „Dhünnaue“ wieder öffnen. 6,5 Millionen Tonnen Abfälle schlummern dort – mehr oder weniger friedlich – unter der Erde, davon fast eine Million Tonnen gefährliche Rückstände aus der Chemie-Produktion wie Quecksilber, Arsen, Chrom und Blei. Und den Schlaf von rund 160.000 Tonnen, darunter 32.000 Tonnen höher belastetes Erdreich, plant Straßen.NRW jetzt zu stören und für das Fundament der Autobahn-Trasse abzutragen. Da sogar aus der eigentlich abgedichteten Deponie noch Gas austritt, beabsichtigt der Landesbetrieb mit viel Aufwand eine Absaugvorrichtung zu installieren und alle ArbeiterInnen mit Schutzanzügen auszustatten. Und damit weder Gas noch Gift von der Baustelle unkontrolliert an andere Orte gelangt, müssen die Lastwagen, die den Müll in besonders gesicherten Containern abtransportieren, erst einmal eine Art Waschstraße durchfahren, ehe sie das Gelände verlassen. Vielen KritikerInnen erscheint das trotzdem zu risikoreich. Zudem warnen sie vor unkalkulierbaren chemischen Reaktionen durch den Eingriff und „Einstürzende Neubauten“, denn der organische Anteil des Mülls zersetzt sich, weshalb das Volumen abnimmt und mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist. Darum plädiert das Bürgerinitiativen-Bündnis „LEV muss leben“ für eine Kombi-Lösung: einen langen Tunnel als Alternative zur „Megastelze“, der einen Großteil der Verkehrsströme aufnimmt, sowie eine Instandsetzung der alten Brücke.
Doch Ernst Grigat will davon nichts wissen. Bedenken, die „Büchse der Pandora zu öffnen, kennt er keine. Zudem belässt der Chef des Chem-„Parks“ es nicht bei frommen Wünschen. Er hat in der Vergangenheit bereits so einiges für deren Verwirklichung getan. In Tateinheit mit dem CURRENTA-Geschäftsführer Günter Hilken schrieb er bereits im Juli 2013 einen Brief an den Bundesverkehrsminister, den Landesverkehrsminister und Straßen.NRW, um vor dem Tunnel zu warnen. „Eine Tunnel-Lösung im Verlauf der A1, wie sie derzeit in Leverkusen diskutiert wird, würde sich negativ auf unsere Standorte auswirken“ hieß es in dem Schreiben, das eine eindeutige Forderung enthält: „Im Interesse aller an diesen Standorten produzierenden Unternehmen bitten wir Sie daher, von einer derartigen Planung abzusehen.“ Und die Politik hörte die Signale. Der Ministerialrat Michael Heinze sagte den CURRENTA-Managern laut Kölner Stadtanzeiger zu, dass „eine Tunnel-Lösung für Leverkusen nicht vorgesehen sei“. Die Rahmenbedingungen ließen „nicht erkennen, wie ein Tunnel bautechnisch und verkehrstechnisch umgesetzt werden könnte“, so der Beamte. „Da schreibt ein Unternehmen einen Brief an den Verkehrsminister und an die Planungsbehörde, dass eine Tunnel-Lösung ja so schlecht für das Geschäft ist. Und schon werden alle Anstrengungen für die Tunnel-Lösung fallen gelassen. Da sieht man mal wieder, dass der Profit wichtiger ist, als die Gesundheit und Lebensqualität tausender Leverkusener Bürger“, erboste sich ein Leser des Kölner Stadtanzeigers daraufhin.
Das Hauptargument der CURRENTA gegen den Tunnel: Dieser lässt keine Gefahrgut-Transporte zu. Die BefürworterInnen der Kombi-Lösung bestreiten das allerdings. Ernst Grigat regte daraufhin in einem Gespräch mit dem Leverkusener Oberbürgermeister Uwe Richrath an, zur Klärung dieser Frage ein Gutachten zu beauftragen. Das tat die Stadt dann auch. Anfang März 2017 lag das Resultat vor. Und die ExpertInnen vom Ingenieur-Büro VÖSSLING und von der PTV TRANSPORT CONSULT hielten es durchaus für möglich, gefährliche Güter durch die Röhre zu führen, wenn dafür bestimmte Vorrichtungen geschaffen würden wie etwa zusätzliche Notausgänge und Flucht-Treppenhäuser. Also bräuchte die BAYER-Tochter sich eigentlich auch bei dieser Variante keine Sorgen um die rund 200 LKWs zu machen, die täglich mit explosivem und/oder giftigem Material den Chemie-„Park“ verlassen. Entsprechend froh stimmte die Expertise die Bürgerinitiativen. Aber die CURRENTA ließ die Hochstimmung nicht lange währen, denn ergebnis-offen agierte das Unternehmen in der Sache nicht. Da die GutachterInnen anders als vom Konzern erwartet urteilten, blieben Grigat & Co. einfach bei ihrer Position. „Unabhängig von einer konkreten Lösung: Für uns ist wichtig, dass der Gefahrgut-Verkehr über eine Autobahn-Trasse möglich ist“, verlautete aus der CURRENTA-Zentrale.
Die Realisierung dieser Möglichkeit böte dem Betreiber des Chemie-„Parks“ en passant noch die zauberhafte Gelegenheit, sich der Verantwortung für einen Teil der Altlast zu entledigen. Die Haftung geht nämlich an den „Zustandsstörer“ über, wie es das BürokratInnen-Deutsch verklausuliert, also an Straßen.NRW. Im Klartext: Die SteuerzahlerInnen kommen im Fall des Falles für den Schaden auf. Erhard Schoofs von der Bürgerliste wollte im Leverkusener Stadtrat deshalb genauer wissen, was die BAYER-Tochter da gemeinsam mit der Stadt und dem Land NRW vereinbart hat. Da der Kommunalpolitiker glaubt, die CURRENTA habe viel mehr Giftmüll-Fläche an Stadt und Land abgetreten, als für den Autobahn-Bau quer durch die Dhünnaue eigentlich nötig wäre, stellte er einen Antrag auf Offenlegung des Vertrags. Dafür bekam er allerdings nicht die notwendige Mehrheit.
Und noch eine Chance tut sich für die Gesellschaft, an der BAYER 60 Prozent der Anteile hält, im Zuge des Projekts auf: Absurderweise kann sie sich auch noch Hoffnung auf ein Geschäft mit den eigenen giftigen Hinterlassenschaften machen, hat sie mit ihren haus-eigenen Müllverbrennungsanlagen doch Entsorgungsdienstleistungen im Programm.
Der ohnehin nicht gerade gute Ruf von BAYER am eigenen Stammsitz hat durch das Agieren von Mutter- und Tochtergesellschaft in der Frage des A1-Ausbaus noch mehr gelitten. Leverkusens Bundestagstagsabgeordneter Karl Lauterbach (SPD) etwa äußerte seine Verärgerung darüber, dass der Konzern „erwartet, die Infrastruktur soll in der Stadt vorhanden sein, aber BAYER trägt nichts dazu bei, noch nicht einmal Steuern an die Stadt. Das ist nicht die Haltung, die ich von einem Welt-Konzern mit Standort-Bekenntnis erwarte.“ Ob sich die Erwartungen des Unternehmens im Hinblick auf die Mega-Stelze erfüllen, bleibt vorerst im Unklaren. Die Bezirksregierung hatte zwar grünes Licht für das Vorhaben gegeben, aber die Bürgerinitiativen reichten gegen den Beschluss Klage ein. Mit der Entscheidung des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts über den Einspruch ist für den September zu rechnen.
Pflanzen & Saaten
Und ewig blüht der Profit
Weizen-Macher BAYER
Seit Anfang des Jahrzehnts treibt der Leverkusener Multi systematisch die Entwicklung neuer Weizen-Arten voran. „Wer erfolgreich eine wesentlich ertragreichere Weizen-Sorte entwickelt, wird ein lukratives Geschäft auftun“, so BAYER-Manager Liam Condon zum Sinn der Übung.
Von Jan Pehrke
„Im Pflanzenschutz für Weizen sind wir bereits das weltweit führende Unternehmen. Jetzt bauen wir zudem eine Forschungsplattform auf, die bei der Züchtung verbesserter Weizen-Sorten führend sein wird“, erklärte der ehemalige BAYER-Manager Dr. Rüdiger Scheitza im Jahr 2011. Die „Verbesserung“ hofft der Agro-Riese dabei sowohl durch konventionelle Zucht als auch durch die Gentechnik und Verfahren, die hybride, also nicht zur Wiederaussaat geeignete Sorten produzieren, zu erreichen. 1,5 Milliarden Euro nimmt der Konzern dazu bis 2020 in die Hand; spätestens dann will er auch einen Weizen made by BAYER auf den Markt bringen. Und bis 2030 strebt der Konzern in Europa beim Hybrid-Weizen einen Marktanteil von 25 bis 30 Prozent an.
Dazu geht der Global Player äußerst planmäßig vor. Er sichert sich den Zugang zu den genetischen Ressourcen der Pflanzen-Art, intensiviert – mit freundlicher Unterstützung durch staatliche Subventionen – seine Forschungsanstrengungen und baut ein globales Netz von Zucht-Stationen auf. Überdies spekuliert die Aktien-Gesellschaft in Sachen „Weizen“ auch darauf, bei der geplanten MONSANTO-Übernahme von Forschungen des US-Moguls in diesem Bereich profitieren zu können.
2010 kaufte BAYER zwei ukrainische Weizenzucht-Unternehmen auf. 2011 unterzeichnete der Leverkusener Multi eine Lizenz-Vereinbarung mit dem rumänischen „National Agricultural Research and Development Institute“ (NARDI) und erhielt so Zugriff auf Sorten, die eine hohe Trockenheitstoleranz, Winterhärte und Widerstandsfähigkeit gegen verschiedene Pflanzenkrankheiten auszeichnet. Im selben Jahr handelte der Global Player einen Vertrag mit der „South Dakota University“ über die Nutzung bestimmter Sommerweizen-Linien aus und ging einen Deal mit der französischen Firma RAGT ein, um an die Erträge von deren Winterweizen-Zuchtprogramm zu kommen.
Parallel dazu treibt der Konzern eigene Labor-Aktivitäten voran. Vor allem aber erschließt er sich Wissen von außen. Bereits seit 2009 arbeitet BAYER mit der australischen Forschungseinrichtung „Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation“ (CSIRO) zusammen. 2010 erteilte die Aktien-Gesellschaft dem israelischen Biotech-Unternehmen EVOGENE den Auftrag, nach Genen zu forschen, die – in das Weizen-Erbgut eingeschleust – bessere Erträge, ein besseres Wachstum und/oder eine erhöhte Widerstandsfähigkeit versprechen.
2013 kam das Unternehmen mit dem niederländischen Unternehmen KEYGENE ins Geschäft und erhielt so den Schlüssel zu der neuen Züchtungstechnologie „KeySeeQ“, die den Pflanzen durch das „Hochdurchsatz-Mutagenese-Verfahren“ Eigenschaften wie Trockenheitstoleranz einimpft. Im selben Jahr begann eine Kooperation mit der „Nebraska State University“ zur Kreation neuer und zur „Verbesserung“ alter Weizen-Sorten sowie eine solche mit der „Kansas State University“ zur Entwicklung hybrider Arten. Und 2016 folgten weitere Abkommen in Sachen „Weizen“ mit der „Chinese Academy of Agricultural Sciences“ (CAAS) und dem „Center for International Maize and Wheat Improvement“ (CIMMYT). Damit nicht genug, profitiert der Agro-Riese auch noch von staatlich geförderten Weizenforschungsprojekten wie etwa „Zuchtwert“, das von den bundesdeutschen SteuerzahlerInnen Subventionen in Höhe von sechs Millionen Euro kassierte.
Der Wissenstransfer erfolgt dann in eigenen Zucht-Stationen, deren Zahl BAYER seit 2013 kontinuierlich steigert. Das größte – und unlängst nochmals ausgebaute – Zentrum nahm 2012 im sachsen-anhaltinischen Gatersleben den Betrieb auf. Mittlerweile verfügt es über 80 Hektar Ackerfläche. Weitere Einrichtungen unterhält der Konzern im französischen Millet-la-Foret, im australischen Horsham, im US-amerikanischen Beaver Crossing, im kanadischen Saskatchewan und nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Die Methoden, die der Konzern in den Zucht-Stationen anwendet oder in seinen Laboren erprobt, weisen eine große Bandbreite auf. Die Agro-IngenieurInnen erzeugen etwa Hybride, indem sie in der Mutterlinie Mutationen induzieren, die zu männlicher Unfruchtbarkeit führen. Auch über gentechnische Eingriffe in das Erbgut der männlichen Linie versuchen die ForscherInnen diese Sterilität zu produzieren. Überdies bedienen sich die WissenschaftlerInnen Techniken zur Kennzeichnung vielversprechender Pflanzen-Sorten. „Mit molekularen Markern können wir aussichtsreiche Kreuzungsvarianten schnell erkennen und weniger aussichtsreiche schon früh im Prozess verwerfen“, erklärt BAYERs Weizenzuchtprogramm-Leiter Edward Souza. Die klassische Kreuzungszüchtung praktizieren Souza & Co. aber ebenfalls noch. Große Hoffnungen setzen sie jedoch vor allem auf die neuen Gentech-Verfahren wie z. B. CRISPR/Cas (siehe SWB 2/16). Dieses bedient sich eines Abwehr-Mechanismus’ von Bakterien zum Aufspüren von Fremd-DNA, um bestimmte Gen-Abschnitte anzusteuern, und nutzt dann das Cas-Enzym als Schere zur Auftrennung der Genom-Sequenz. Anschließend setzt CRISPR/Cas entweder mitgeführte neue Erbgut-Stränge ein oder leitet Mutagenese-Effekte ein, also von der Zelle selbst induzierte Veränderungsprozesse.
All diese Möglichkeiten der Manipulation befeuern beim Leverkusener Multi Allmachtsfantasien. Als „Weizen-Macher“ präsentiert er sich in seinem Magazin Research, der sich gottgleich an der 2. Schöpfung versucht. Allerdings mit profanen Zielen: Das Tuning der Pflanzen lässt Extra-Profite erwarten. „Wer erfolgreich eine wesentlich ertragreichere Weizen-Sorte entwickelt, wird ein lukratives Geschäft auftun“, frohlockt Liam Condon, der Chef von BAYER CROPSCIENCE mit Blick auf die Investitionsentscheidungen der ManagerInnen der großen Agrar-Fabriken. Das Versprechen guter Ernten ist es nämlich, was die Saaten „zu einer rentablen Wahl für den Erzeuger macht“, wie der Multi einmal in Bezug auf seine „Ertragsrekorde“ verheißenden „Hightech-Tomaten“ festgehalten hat. Aber mit diesen Business-Strategien mag die Aktien-Gesellschaft die große Öffentlichkeit nicht konfrontieren. Ihr gegenüber inszeniert sie sich lieber als ein Unternehmen, das sich um „die Zukunft des Weizens“ kümmert und damit einen wichtigen „Beitrag zur Sicherung der Welternährung“ leistet.
»Stop BAYER/MONSANTO!«
Demonstration und Protestaktionen anlässlich der Hauptversammlung der BAYER-Aktionäre am 28. April 2017 in Bonn
Nach dem Umzug des BAYER-Konzerns von Köln-Deutz ins Bonner WCCB, anbei unser erster Aktionsüberblick. Immer mehr Organisationen aus den Bereichen bäuerliche und ökologische Landwirtschaft, Umweltschutz, NGOs, Gewerkschaften, soziale Basisinitiativen und studentische Organisationen wie der Allgemeine Studierendenausschuss der Universität zu Köln, haben mittlerweile vielfältige Proteste rund um die BAYER-Hauptversammlung angekündigt. Größere Konzerne, größere Proteste „Die beschlossene Übernahme von Monsanto durch den BAYER-Konzern verbreitert dieses Jahr sichtbar die Protestfront“ sagt Axel Köhler-Schnura für die Coordination gegen BAYER-Gefahren. In und vor der BAYER-Aktionärsversammlung in Bonn wird die (CBG) wie in den letzten 32 Jahren Proteste organisieren – diesmal auch eine Demonstration und ein ganzes Veranstaltungs- und Protestprogramm in mehreren Städten. Bereits beim „Internationalen Monsanto-Tribunal“ in Den Haag im Oktober 2016 kündigten viele Organisationen angesichts der Monsanto-Übernahme ihre Unterstützung für Proteste in BAYERs „Heimat“ Deutschland an. BAYER-HV zieht nach Bonn – der Protest auch! Am 22. Februar gab BAYER nun kurzfristig in seiner Pressekonferenz zur Hauptversammlung bekannt, am 28.4. von der Kölner Messe ins Bonner World Conference Center (WCCB) zu ziehen. „Dahinter steht womöglich auch die Erwägung des Managements, aus der Großstadt Köln an einen ‚ruhigeren Ort‘ zu ziehen, um Proteste klein zu halten. Da kann ich ihnen auch als Bonner sagen: Daraus wird nichts!“ sagt dazu Mitorganisator Simon Ernst vom ver.di-Bezirksfachbereichsvorstand Bildung, Wissenschaft und Forschung in NRW-Süd. „Wir werden laut vernehmbar am Ort des Geschehens, direkt in und vor der Aktionärsversammlung protestieren und laden alle dazu ein, früh aufzusteh’n und uns dabei zu unterstützen! Demonstration am 28.4. auf dem Platz der Vereinten Nationen Für die Coordination gegen BAYER-Gefahren hat Ernst mittlerweile eine Demonstration am Vormittag des 28.4. direkt vor dem WCCB angemeldet. Er fragt: „Können wir es etwa still hinnehmen, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit der Profitwirtschaft einiger globaler Riesenkonzerne wie BAYER und MONSANTO geopfert werden?“. Köhler-Schnura dazu: „Durch die Megafusion entsteht ein Monopol im Bereich des gentechnisch hergestellten Saatguts und der Pestizide und damit eine unkalkulierbare Gefahr für die Ernährung der Menschheit.“ BAYER will Monsanto-Image aufpolieren BAYER will jetzt das schmutzige Image von Gentechnik und Monsanto in Frankreich und vor allem hier in Deutschland aufpolieren. „Dieser BAYER-Kampagne wollen wir einen Strich durch die Rechnung machen!“ sagt Axel Köhler-Schnura für die CBG, und weiter: „Das kann am Ende auch gewaltig nach hinten losgehen für BAYER. Auch der Protest ist jetzt ja angesichts der Übernahme immer mehr vernetzt und zunehmend aufgefordert, zusammenzugehen und mit globalem Widerstand zu antworten.“ Der AStA der Uni Köln ruft ebenfalls zu den Protesten auf ...und ist Mitveranstalter des Townhall-Meetings am 27.4. Die Referentin für Ökologie und Nachhaltigkeit des AStA Joanna Dommnich: „Ich finde es ist äußerst kritisch zu bewerten, dass ein gewinnorientiertes Unternehmen wie Bayer zum Beispiel durch einen geheimen ‚Kooperationsvertrag‘ mit der Universität zu Köln Einfluss nimmt auf eine öffentliche Hochschule. Universitäten haben in der Gesellschaft auch die Aufgabe, Wissen-(schaft) kritisch zu hinterfragen und neu zu denken. Dies ist in einem solchen Abhängigkeitsverhältnis nur eingeschränkt oder sogar überhaupt nicht möglich.“ Kontakt: Simon Ernst, se@cbgnetwork.org, Tel 0151-10734531 Anbei: Aktionsüberblick Aktionsüberblick onlinePresse-Information vom 22.02.2017
Coordination gegen BAYER-Gefahren e. V.
Navdanya International
IFOAM – Organics International: Weltweiter Dachverband für biologischen Landbau
Bündnis kündigt für den 28. April Proteste gegen BAYERs MONSANTO-Deal an
Wir wollen Demokratie statt Konzernmacht!
Ein breites Bündnis nimmt die BAYER-Hauptversammlung am 28. April zum Anlass für Protest-Aktionen gegen die geplante MONSANTO-Übernahme. Während der Leverkusener Multi am heutigen Mittwoch seine Bilanz für das Geschäftsjahr 2016 präsentiert und seinen Investoren den MONSANTO-Deal als gute Geld-Anlage präsentiert, macht ein Netzwerk verschiedener Initiativen gegen das Projekt mobil. Unter dem Motto „BAYER und MONSANTO – Hände weg von unserem Essen!“ kündigt es rund um das AktionärInnen-Treffen Widerstand gegen die Transaktion an.
Wie immer gibt es zur Hauptversammlung Proteste vor der Kölner Messehalle und Reden zur Nicht-Entlastung des Vorstandes auf der AktionärInnen-Versammlung selber. Parallel dazu findet in der Domstadt auch eine Demonstration mit dem einen oder anderen Trecker statt. Zudem plant das Bündnis eine Podiumsveranstaltung in der Kölner Universität. Sogar für Berlin kündigt es eine Kundgebung an. Ob der BAYER-Stammsitz Leverkusen ebenfalls mit Besuch rechnen muss, steht dagegen noch nicht fest.
„Wir wollen gesundes Essen! Aber Pestizide von BAYER und MONSANTO wie z. B. Glyphosat belasten unsere Lebensmittel, es droht Gentechnik durch die Hintertür und LandwirtInnen werden in den Ruin getrieben. Monokultur und Agrar-Industrie – Nein danke!“, erklärt Simon Ernst, Sprecher des „Koordinierungskreises der BAYER/MONSANTO-Demo“.
Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) erwartet infolge des MONSANTO-Erwerbs zudem Arbeitsplatz-Vernichtungen. Überdies sind nach Ansicht Köhler-Schnuras Einnahme-Verluste der Standorte-Städte zu befürchten: „Bisher hat BAYER noch jeden Großeinkauf von der Steuer abgesetzt“. Einzig das ökonomische Gebot, alljährlich die Renditen zu steigern, steht dem Diplom-Kaufmann zufolge hinter den jüngsten Entwicklungen. „Dieser Druck von Seiten der großen Finanzinvestoren wie etwa BLACKROCK treibt das zynische Monopoly-Spiel um das wichtigste Gut der Menschheit – die Ernährung – an.“
Die Organisatoren suchen noch nach Unterstützung für die Aktionen. Und die BesitzerInnen von BAYER-Aktien bittet die CBG um Stimmrechtsübertragungen, damit sie die Vorstandsriege in der Hauptversammlung mit möglichst vielen Beiträgen von Konzern-KritikerInnen konfrontieren kann.
Düsseldorf und Bern, den 16.2.2017
Margrethe Vestager
European Commission
Rue de la Loi / Wetstraat 200
1049 1049 Brussels
Belgium
Sehr geehrte Frau Vestager,
Wir wenden uns an Sie, weil die Wettbewerbsbehörde der EU in den nächsten Wochen zur geplanten Übernahme von Syngenta durch die chinesische ChemChina Stellung nehmen muss. Zudem stehen mit der Fusion der US-amerikanischen Dow und DuPont und der Übernahme von Monsanto durch Bayer zwei weitere geplante Merger im Agrarsektor vor dem Abschluss. Damit steht eine beispielslose Marktkonsolidierung bevor, die zu einem noch mächtigeren Oligopol führen würde. Die unterzeichnenden Organisationen fordern Sie deshalb auf, diese geplanten Übernahmen und Fusionen in ihrer Gesamtheit zu betrachten und sie aus den unten aufgeführten Gründen abzulehnen. Eine Einzelfallprüfung reicht nicht. Es darf keinesfalls bei ein paar Auflagen an jeweils einzelne der drei entstehenden Firmen bleiben. Bayer und Monsanto beispielsweise haben diese von Anfang an einkalkuliert und sogar schon genau auf einen Umsatz von höchstens 1,6 Milliarden Dollar beziffert. Sie rechnen offenbar damit, sich von Teilen des Baumwoll- und Rapsgeschäfts sowie von weiteren kleinen Bereichen trennen zu müssen1. Damit könnte der umfassenden Dominanz dieser Firmen aber kein Einhalt geboten werden.
Bereits heute beherrschen sechs transnationale Konzerne die Weltmärkte für Pestizide und Saatgut. Nach Abschluss der geplanten drei Fusionen wären es noch vier. Deren Marktbeherrschung und Kontrolle über das Ernährungssystem wäre immens. Sollten alle Übernahmen zustandekommen, würden die betreffenden drei Firmen über 65 % des globalen Pestizidmarktes und fast 61 % des kommerziellen Saatgutmarktes beherrschen2. Bei einzelnen Nutzpflanzen und Pestiziden wäre die Konzentration noch weitaus größer3. Diese Marktkonzentration hätte negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Innovation sowohl in der EU als auch global. Die Forschung und Entwicklung würde sich noch stärker nur auf ein paar wenige Pflanzensorten und kommerziell nutzbare Eigenschaften fokussieren, die Forschungsagenda durch die geballte Marktmacht diktiert und noch stärker und auf die Bedürfnisse der Firmen zugeschnitten. Die Auswirkungen auf die BäuerInnen und VerbraucherInnen wären massiv. BäuerInnen hätten immer weniger Auswahl beim Saatgut und müssten mehr für Betriebsmittel zahlen, wie es bereits jetzt in den USA der Fall ist4. Dies würde wiederum zu höheren Preisen und einem kleineren Angebot für die VerbraucherInnen führen. Doch eine Vielfalt der Pflanzensorten ist essentiell für die Stabilität des Systems und damit sich die Landwirtschaft an die sich verändernden Umweltbedingungen und neuen Herausforderungen wie bspw. dem Klimawandel anpassen kann. Dieser Konzentrationsprozess stellt eine Bedrohung für die Welternährung und für die Zukunft der Landwirtschaft sowohl in Europa als auch weltweit dar.
Darüber hinaus bitten wir Sie zu berücksichtigen, dass diese Übernahmen das Lobbying für Agrargifte und Agrogentechnik stärken würden. Bayer und Syngenta sind die beiden größten Hersteller von Neonicotinoiden, deren Beitrag zum Bienensterben immer deutlicher wird. Monsanto ist der weltweit größte Hersteller des umstrittenen Herbizids Glyphosat, Syngenta jener des in der EU verbotenen Herbizids Paraquat. Diese Kombination führt oft dazu, dass auch umstrittene oder gar verbotene Produkte wider besseres Wissen weiter im Handel bleiben. Zusammen halten die drei Konzerne Monsanto, Bayer und Syngenta heute schon einen großen Teil der Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Wir sehen in den geplanten Zusammenschlüssen eine Gefahr für die demokratische Gestaltung der Zukunft der weltweiten Landwirtschaft und speziell für die künftigen Aushandlungsprozesse Agrogentechnik und Pestizide betreffend.
Sie und damit die EU müssen sich auch mit der Rolle beschäftigen, die Blackrock, Vanguard und andere Finanzinvestoren bei der Transaktion spielen. Mit ihren großen Anteilen an Bayer, Monsanto und Syngenta gelten diese Finanzakteure als Treiber solcher Fusionen. Der Leiter der bundesdeutschen Monopolkommission, Achim Wambach, fordert deshalb bezüglich Monsanto und Bayer: „Der US-Investor Blackrock ist an beiden Unternehmen zu sechs bis sieben Prozent beteiligt. Hier schließen sich also zwei Unternehmen zusammen, die zu Teilen dem gleichen Eigentümer gehören (...) Das sollten die Behörden beachten5.“ Blackrock und andere große amerikanische Vermögensverwalter stehen auch hinter dem Verkauf von Syngenta. Im Zentrum steht dabei die Aktionärsrendite.
In diesem Sinne halten wir es für notwendig, dass die Wettbewerbskommission bei der Begutachtung des Prüfantrags auch die Folgen mitberücksichtigt, welche die jeweilige Übernahme für die Beschäftigten hätte. Denn während die AktionärInnen profitieren, gehört zu den „Synergieeffekten“ solcher Fusionen immer auch die Einsparung von Arbeitsplätzen. So hat Bayer auch schon die Schließung von Labors im US-amerikanischen Cropscience-Hauptquartier in Betracht gezogen6. Darüber hinaus dürfte das Erfordernis, die durch den Kauf von Monsanto angehäuften Schulden abzutragen, in der näheren Zukunft zu Verkäufen von Unternehmensteilen und Rationalisierungsmaßnahmen durch Bayer führen. Und trotz entgegengesetzter Versprechen ist davon auszugehen, dass die geplante Übernahme durch ChemChina längerfristig auch Stellen von Angestellten Syngentas gefährdet.
Die Renditeorientierung der großen Finanzakteure führt außerdem zur Fokussierung auf Ausgaben- und Steuerverminderung. So kommunizierte Bayer 2014 bei seiner letzten großen Akquisition, dem Erstehen einer Merck-Sparte7: „Bayer rechnet ab dem ersten Jahr nach dem Vollzug mit signifikanten Steuereinsparungen.“ Die Aktiengesellschaft hat in der Folge die Ausgaben für den Erwerb tatsächlich von der Steuer absetzen können. Ähnliches ist jetzt bei der Monsanto-Übernahme zu befürchten. Die Standorte hätten so unter den Transaktionen ebenfalls zu leiden. Denn obwohl Bayer an seinem Stammsitz Leverkusen oder Syngenta in Basel bereits heute kaum noch Gewerbesteuern zahlen, würde dieser Trend durch diese Fusionen noch verstärkt.
Der Monsanto-Manager Dr. Robert T. Fraley hatte die Vorgänge in der Agrarindustrie bereits 1996 so kommentiert8: „Dies ist nicht nur eine Konsolidierung von Saatgutfirmen, sondern eine Konsolidierung der gesamten Nahrungskette.“ Mehr als 20 Jahre später ist diese Konsolidierung noch weiter fortgeschritten. Eine Handvoll Konzerne hat sich den Zugriff auf die Welternährung gesichert. Die EU hat mit ihrem Votum jetzt die Chance, ein Zeichen für eine Umkehr zu setzen. Wir appellieren an Sie als verantwortliche Wettbewerbskommissarin, diese Gelegenheit zu nutzen!
Wir danken Ihnen im Voraus für Ihre Antwort auf unseren Offenen Brief.
Mit freundlichen Grüßen,
Bernard DuPasquier,
Geschäftsführer Brot für Alle
Jan Pehrke
Vorstandsmitglied der Coordination gegen BAYER-Gefahren
Weitere Unterzeichner:
Multiwatch
Public Eye
Swissaid
Fastenopfer
Seeds Action Network Germany
Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG)
Blauen Institut
IG Saatgut
Forum Umwelt und Entwicklung
Pestizid-Aktions-Netzwerk e. V.
Bündnis für Gentechnikfreie Landwirtschaft
pro natura
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V.
Agrar Koordination
Gen-ethisches Netzwerk
- Bayer (2016). Transcript Bayer AG Meet Management 2016. Sept 20, 2016. www.investor.bayer.com/securedl/14257;
Triangle Business Journal (2016). Monsanto CEO on Bayer buyout: “There is very little overlap”. Oct 5, 2016. http:www.bizjournals.com/triangle/news/2016/10/05/monsanto-ceo-on-bayer-buyout-theres-very-little.html
- ETC Group (2016). Merge-Santo: New Threat to Food Sovereignty. March 23, 2016. http:www.etcgroup.org/content/merge-santo-new-threat-food-sovereignty
- Erklärung von Bern (2014). Saatgut – Bedrohte Vielfalt im Spannungsfeld der Interessen. https:www.publiceye.ch/fileadmin/files/documents/Saatgut/Doku_Saatgut_D_Web.pdf
- Business Insider (2017). Trump could approve a giant merger that's scaring American farmers http:uk.businessinsider.com/bayer-monsanto-merger-trump-farmers-worried-2017-2?r=US&IR=T
- Rheinische Post (2016). ZEW-Chef Achim Wambach im Interview. „Bayer-Kartellprüfung dürfte viele Monate dauern“. http:www.rp-online.de/wirtschaft/bayer-kartellpruefung-duerfte-viele-monate-dauern-aid-1.6297209
- Triangle Business Journal (2016). Monsanto CEO on Bayer buyout: “There is very little overlap”. Oct 5, 2016. http:www.bizjournals.com/triangle/news/2016/10/05/monsanto-ceo-on-bayer-buyout-theres-very-little.html
- Bayer (2014). Bayer will Consumer-Care-Geschäft des US-Konzerns Merck & Co., Inc. übernehmen und vereinbart strategische Pharma-Kooperation im Bereich sGC-Modulatoren. https:www.bayer.at/de/medien/pressenews/bayer-will-consumer-care-geschaeft-des-us-konzerns-merck-co-inc-uebernehmen.php
- Mammana, Yvan (2014). Concentration of market power in the EU seed market. A study commissioned by the Greens/EFA Group in the European Parliament. http:greens-efa-service.eu/concentration_of_market_power_in_EU_see_market/
Erste & Dritte Welt
Entwicklungshelfer BAYER
Vom Bock zum Gärtner
2012 rief das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ) mit BAYER, BASF, SYNGENTA und ca. 30 weiteren Konzernen die „German Food Partnership“ (GFP) ins Leben. „Mit ihrem Kapital, vor allem aber ihrem Know-how und ihrer Wertschätzung für Umwelt- und Sozialstandards trägt die Privatwirtschaft ganz wesentlich zu entwicklungspolitischen Fortschritten bei“, so die Begründung des damaligen Entwicklungsministers Dirk Niebel (FDP) für den „Schulterschluss mit der Privatwirtschaft“. Ende 2015 erklärte das Ministerium die GFP zwar für beendet, aber die auf den Weg gebrachten Projekte laufen vorerst weiter. OXFAM hat sich drei von ihnen einmal genauer angeschaut.
Weltweit werden genügend Lebensmittel produziert, um die gesamte Menschheit zu ernähren. Dennoch leiden nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 800 Millionen Menschen chronisch unter Hunger. Dieser Fakt deutet darauf hin, dass Hunger kein Problem des Mangels ist, sondern von Armut und der Verletzung von Menschenrechten. Das hat auch damit zu tun, dass eine kleine Elite von Regierungen und Konzernen das globale Ernährungssystem dominiert. Die Hauptproduzenten der Lebensmittel - hunderte Millionen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern - sowie die Milliarden VerbraucherInnen bleiben dagegen außen vor. Wenn der Hunger bis 2030 wirklich weltweit beseitigt und die globalen Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen, wie es die Vereinten Nationen 2015 versprachen, muss dieses ungerechte Ernährungssystem grundlegend transformiert werden.
Doch die staatliche Entwicklungszusammenarbeit macht genau das Gegenteil, kooperiert verstärkt mit den großen Agrarkonzernen und macht damit den Bock zum Gärtner. Diese Kooperation begann Ende der 1990er Jahre und verstärkte sich nach dem Weltwirtschaftsforum 2011. Die dort verabschiedete „Neue Vision für die Landwirtschaft“ beförderte die Gründung der Investitionsplattform „GROW Africa“ und der „Neuen Allianz für Ernährungssicherheit“ der G8 und inspirierte zudem den damaligen deutschen Entwicklungsminister Dirk Niebel, eine „German Food Partnership“ GFP) ins Leben zu rufen.
Mehr als 30 Unternehmen und Verbände hatten die GFP Mitte 2012 unter der Schirmherrschaft des Entwicklungsministeriums als große, langfristig angelegte öffentlich-private Partnerschaft (PPP) gegründet. Selbsterklärtes Ziel war es, die Ernährungssituation in Entwicklungs- und Schwellenländern durch mehr und qualitativ höherwertige Lebensmittel zu verbessern. Mit den GFP-Projekten sollte die Produktivität und die Leistungsfähigkeit entlang der Wertschöpfungskette auf eine sozial und ökologisch nachhaltige Art und Weise gesteigert werden, indem Bauern und Bäuerinnen der Zugang zu Betriebsmitteln und Märkten erleichtert wird. Betriebseinkommen sollten erhöht, die Ernährung von lokalen Bauern, insbesondere Kleinbauern und -bäuerinnen, sowie von VerbraucherInnen verbessert werden.
Am 05.11.2013 wurden die ersten PPPs der GFP öffentlich lanciert. In Reaktion auf die Kritik von Seiten vieler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sagte das BMZ vollständige Transparenz zu. NGOs bekämen alle Informationen, die sie wollen. Oxfam hatte bereits eine Woche später nachgehakt und Informationen zu den Projekten angefordert. Damit begann eine lange Zeit des Wartens. Nach zehn Monaten schließlich entschloss sich OXFAM eine offizielle Anfrage mit Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz zu stellen. Im Dezember 2014 erhielt OXFAM den schriftlichen Bescheid vom BMZ, brachte aber aufgrund von fehlenden Informationen Ende 2014 ein Widerspruchsverfahren auf den Weg. Und erst Anfang Oktober lagen auch die angeforderten Schulungsmaterialen vor. Auf der Grundlage dieser Dokumente und eines Lokaltermins in Kenia hat OXFAM dann drei Kooperationen näher analysiert.
Die CARI-Initiative
Die „Competitive African Rice Initiative“ (CARI) mit BAYER als Industrie-Partner hat einen Etat von 18,4 Millionen Euro, den die „Bill and Melinda Gates“-Stiftung zu 73 Prozent und das Entwicklungsministerium (BMZ) zu 27 Prozent tragen. Sie erstreckt sich auf die Länder Nigeria, Ghana, Burkina Faso und Tansania.
Die Analyse der in Nigeria zur Anwendung kommenden Trainingsmaterialien ergab, dass CARI stark ein input-basiertes Agrarmodell fördert. Die Anwendung von Pestiziden wird als die vorzuziehende und überlegene Methode zur Beseitigung von Unkräutern, Krankheiten und Schädlingen dargestellt: Formulierungen wie „Chemisches Jäten spart Zeit und Geld“ oder „Säubern des Landes mit Herbiziden“ zeigen dies exemplarisch. Während der Einsatz von zugelassenen und empfohlenen Pestiziden nur bei Schädlings- bzw. Krankheitsbefall angeraten wird, gibt es keinen einzigen Hinweis auf alternative biologische Schädlingsbekämpfungsansätze. Das vom BMZ geforderte Prinzip der Wahlfreiheit wurde missachtet, denn CARI beinhaltet Empfehlungen für den Einsatz von spezifischen Pestiziden. Entgegen den Aussagen des BMZ werden bei CARI den Kleinbäuerinnen und -bauern keine ökologischen Anbauverfahren als Option vorgestellt.
CARI empfiehlt den Einsatz von hochgefährlichen Pestiziden (Highly Hazardous Pesticides, HHPs) wie Lambda-Cyhalothrin, Cypermethrin, Deltamethrin und Mancozeb, die auf der Schwarzen Liste des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKES (PAN) stehen. Lambda-Cyhalothrin ist ein akut toxisches Pestizid, das verhängnisvoll bis tödlich („fatal if inhaled“) bei Inhalation sein kann. Ursprünglich wurde auch Glyphosat empfohlen, dies ist aber inzwischen wieder geändert worden. In der aktuellen Online-Version vom 13.5.2016 ist es nicht mehr zu finden. Im Rahmen von CARI – nachgewiesen in einer gemeinsamen Studie von der „Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) und CARI zum integrierten Pflanzenschutz in Nigeria - werden sechs kommerzielle Produkte von BAYER CROPSCIENCE empfohlen, wobei zwei als „besonders nützlich“ hervorgehoben werden: INNOVA und ROUTINE. Auch Glyphosat steht auf der Liste der empfohlenen Pestizide. Es werden also entgegen den Aussagen des BMZ besonders umweltschädliche Produkte und spezifische Pestizide im Rahmen von CARI empfohlen. Das im Guide verankerte Prinzip der Wahlfreiheit in Bezug auf die Anwendung von Inputs wurde nicht beachtet. Die Bundesregierung hatte im Oktober 2015 angekündigt, dass die PAN-Liste und deren Fortschreibungen zeitnah in der GIZ-internen Beschaffungsrichtlinie berücksichtigt werden. Gleichwohl hat das nicht dazu geführt, dass die hochgefährlichen Pestizide bei der nachträglichen Änderung des CARI-Schulungsmaterials im Mai 2016 komplett ausgeschlossen wurden.
Der Einsatz von Pestiziden wird ab dem Erreichen bestimmter Schadschwellen empfohlen („Schadschwellenprinzip“, siehe auch GFP-Guide). Dieser Ansatz ist unnötig schädlich und veraltet angesichts der letzten Innovationen in der Reisproduktion, die eine Steigerung der Produktion ohne den Einsatz von Pestiziden erlauben. Auch ein im Unterrichtsmaterial enthaltener Vergleich von zwei verschiedenen Anbaumethoden – mit und ohne Inputs wie Pestiziden – stellt sich bei näherer Betrachtung als kaum verhohlene Empfehlung eines pestizid-basierten Ansatzes heraus. Auf agrar-ökologische Anbaumethoden wie das „System of Rice Intensification“ (SRI), das erhebliche Ertragssteigerungen gerade bei traditionellen Reissorten ermöglicht, wird gar nicht eingegangen.
Beim Saatgut werden ausschließlich verbesserte und zertifizierte Sorten empfohlen. Beim Erwerb von zertifizierten Sorten müssen die LandwirtInnen Lizenzgebühren zahlen, während traditionelle Sorten frei getauscht und nach der Ernte wiederverwendet werden können. Zwei von fünf Empfehlungen beinhalten den Einsatz der Reissorte Nerica, die in Afrika als „Wunder-Pflanze“ gepriesen wurde, in der Praxis aber nicht hielt, was sie versprach. Das Wort „Bodenfruchtbarkeit“ taucht nur einmal im 57-seitigen Schulungsdokument auf. CARI hakt das Thema mit dem Hinweis ab, dass es besser sei, für den Reisanbau ein Stück Land zu wählen, wo in der vorherigen Saison z. B. Reis, Kuhbohnen oder Sojabohnen angebaut wurden. Entgegen den Aussagen des BMZs ist der Erhalt und gar die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit nicht im Fokus von CARI.
Zusammenfassend betrachtet ist das CARI-Schulungsmaterial im Hinblick auf die direkte und eindeutige Förderung von agro-chemischen Inputs (Düngemittel, Pestizide) sehr kritisch zu sehen, weil potenziell negative wirtschaftliche, Umwelt- und Gesundheitsfolgen komplett bzw. nicht hinreichend berücksichtigt werden. Auch werden keine Alternativen (z. B. biologische Schädlingsbekämpfung) aufgezeigt. Hochgefährliche Pestizide und Markenprodukte von BAYER werden explizit empfohlen. Es ist ein untragbarer Umstand für ein groß angelegtes Programm wie CARI, dass die ökologische Nachhaltigkeit vernachlässigt wird. Dieser Umstand wird von der GIZ in ihrem Angebot in einem Punkt auch explizit eingeräumt. Dort heißt es: „Durch die Intensivierung von Bewässerungsreis trägt das Vorhaben nicht zu vermehrtem Umweltschutz bei“.
Die „Better Rice Initiative“
An der „Better Rice Initiative Asia“ (BRIA) nehmen außer BAYER noch BASF, Royal DSM, die DEUTSCHE BANK und weitere Unternehmen teil. Diese tragen den zehn Millionen Euro schweren Etat auch zu 70 Prozent; 30 Prozent steuert das Entwicklungsministerium bei. Die Landwirtschaftsministerien von Indonesien, Thailand, Vietnam und von den Philippinen – die Länder, in denen die Projekte stattfinden – fungieren als offizielle Partner.
Das Schulungsmaterial ist für die Philippinen sehr umfassend und für Indonesien sehr beschränkt, während jenes in Thailand nur in thailändisch verfügbar ist und für dieses Dossier nicht analysiert werden konnte. Verglichen mit CARI sind die Module von BRIA-Philippinen umfassender und breiter gefächert. Sie enthalten auch mehr Optionen. Auch hier ist ein starker Fokus auf eine input-basierte Landwirtschaft vorzufinden. Gleichwohl erwähnen die Module einige Alternativen wie das „System of Rice Intensification“ (SRI) oder Saatgutbanken auf Gemeindeebene, ohne sie jedoch im Detail ausführlich zu erklären. Im Hinblick auf Saatgut wird zertifiziertes Saatgut gefördert, traditionelle Sorten werden wie bei CARI nicht erwähnt. Hinweise auf die Vorteile der Agrobiodiversität sucht man ebenso vergeblich.
Den Kern der Schulungsmaterialien bildet das so genannte PalayCheck System. Es stellt grundsätzlich einen integrierten Ansatz dar, fällt aber hinter andere Anbaumethoden wie SRI zurück, die weniger Düngemittel und Pestizide erfordern. PalayCheck gibt wenig Orientierung bezüglich der Bedeutung von organischer Substanz für das Bodenleben und des Alters der Setzlinge und ihrer Anordnung, was wichtig für die Ausbildung von gesunden Wurzeln ist. In puncto Bodenfruchtbarkeit wird zwar eine gute Vorbereitung des Feldes und die Integration von Pflanzenresten hervorgehoben, aber wenig über die Bedeutung von organischen Düngemitteln wie zum Beispiel Kompost oder anderer Biomasse gesagt. Stattdessen wird sehr einseitig auf die positiven Effekte und die Notwendigkeit von synthetischen Düngemitteln als einem hervorragenden Ansatz zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit verwiesen.
In einem Modul bietet BRIA BAYER CROPSCIENCE eine Plattform, um die Vorteile chemischer Schädlingsbekämpfung zu präsentieren. Auch wenn keine spezifischen Produkte genannt werden, ist die Botschaft trotzdem klar: „Pestizide sind hilfreich zum Pflanzenschutz“ und „negative Auswirkungen von Pestiziden sind bei korrekter Anwendung vermeidbar“. Diese Empfehlungen ignorieren bedauerlicherweise die Erfahrungen mit der Anwendung von SRI, bei dem der Einsatz von Pestiziden gar nicht oder nur sehr spärlich erfolgt. Ähnlich wie bei CARI werden auch bei BRIA hochgefährliche Pestizide empfohlen, die auf der Liste von PAN International stehen, zum Beispiel Mancozeb und Carbendazim.
Insgesamt geben die BRIA-Schulungsmaterialien input-basierten Technologien den Vorrang gegenüber nachhaltigen Ansätzen wie der biologischen Schädlingsbekämpfung. Gleichwohl verweisen einige Folien auf agrarökologische Anbauverfahren. Einige Module enthalten Empfehlungen von spezifischen Pestiziden und Düngemittelprodukten. Der Auflage des BMZs, keine Marken-Werbung zu betreiben, wurde somit nicht entsprochen. Manche Pestizide sind hochgefährlich und werden in der Liste von PAN International aufgeführt. Ebenso wurde entgegen den Aussagen des BMZs kein besonderer Wert auf die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit gelegt.
An der „Potato Initiative Africa“ (PIA) nehmen außer BAYER noch SYNGENTA, die Landmaschinen-Hersteller Lemken und Grimme sowie weitere Unternehmen teil. Sie brachten auch 50 Prozent des 1,4 Millionen Euro umfassenden Etats auf, das BMZ die andere Hälfte. Bei dem Projekt kamen Pestizide von BAYER CROPSCIENCE und SYNGENTA zum Einsatz. Die Aussage des BMZs, dass der Einsatz „spezifischer Pflanzenschutzmittel“ nicht vorgesehen sei, dürfte sich nicht nur auf Trainings, sondern auf alle Vorhaben bezogen haben. Insofern ist davon auszugehen, dass die Richtlinien nicht eingehalten wurden. Inwieweit die eingesetzten Pestizide als hochgefährlich einzustufen sind, kann aufgrund fehlender Informationen nicht beurteilt werden. Explizit ökologische Anbauverfahren wurden entgegen den Aussagen des BMZs bei diesem Projekt quasi ausgeschlossen, da sie nicht angewendet wurden. Auch wurde in diesem Fall nicht sichergestellt, dass die Bodenfruchtbarkeit verbessert wird. Eine Anforderung, die gemäß dem BMZ und dem GFP-Guide für alle Vorhaben gilt.
Nicht nachhaltig
Eine vollständige Bewertung der PPPs ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich, zumal die Reisprojekte bis Ende 2017 laufen. Es müssten zudem die Baseline-Studien und die Evaluierungsberichte nach Abschluss der Projekte vorliegen. Diese Analyse stellt vielmehr ein Zwischenfazit im Hinblick auf die Erfüllung der BMZ-Anforderungen im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit und der Wahlfreiheit für Bauern und Bäuerinnen dar und problematisiert die einseitige Festlegung auf ein input-basiertes Agrarmodell mit seinen negativen Auswirkungen. Angesichts der sich verschlechternden Umweltbedingungen und der Überschreitung planetarischer Grenzen ist es verantwortungslos, die Dimension der ökologischen Nachhaltigkeit derart zu vernachlässigen, wie das bei den PPPs der Fall ist. Zahlreiche Beispiele belegen, dass diversifizierte Anbausysteme weniger anfällig für Krankheiten und Schädlingsbefall sind. Mit der Fokussierung auf den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln werden die Umweltprobleme in der Landwirtschaft und die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen, die mit dem Einsatz insbesondere hochgefährlicher Pestizide einhergehen, nicht angegangen, sondern mittel- und langfristig eher noch verschärft. Wichtige Ansätze, die die Widerstandsfähigkeit der Landwirtschaft bei fortschreitender Bodenzerstörung, zunehmender Wasserknappheit und der Häufung extremer Wetter-Ereignissen erhöhen könnten, werden ignoriert.
Marktorientierung
„Die Zielgruppe sind marktorientierte Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die nicht ausschließlich subsistenzorientiert arbeiten“, erklärt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zu den GFP-Projekten. Im GIZ-Angebot bei CARI werden als Zielgruppe Reisbauern und -bäuerinnen mit einem Einkommen von weniger als 2 US-Dollar am Tag benannt, bei PIA kleinbäuerliche ErzeugerInnen mit 1 bis 5 ha und durchschnittlichen Erträgen von 3 bis 7 Tonnen pro Hektar. Bei BRIA wird die Zielgruppe nicht genauer spezifiziert. Mit dem Wertschöpfungskettenansatz können in der Tat nur die marktorientierten Kleinbauern und Kleinbäuerinnen – oder wie das BMZ auch formuliert: „die Potenzialbauern und -bäuerinnen“ erreicht werden. Ihr Anteil wird allgemein auf 10 bis 25 Prozent der kleinbäuerlichen ErzeugerInnen geschätzt. Marginalisierte Gruppen, also die ärmsten Bauern und Bäuerinnen, fallen gänzlich durch das Raster. Deren Diskriminierung – oft Grund für Hunger und Armut – wird weiter verschärft. Dabei erfordert das Menschenrecht auf Nahrung, dass insbesondere marginalisierte und vulnerable Gruppen im Fokus stehen und dass ihre Partizipation sichergestellt wird. Bei großangelegten Entwicklungsprojekten ist es nicht nur wichtig, die Netto-Einkommenseffekte, die ökologische Nachhaltigkeit und die Resilienz zu analysieren, sondern auch die Auswirkungen auf die kleinbäuerlichen ErzeugerInnen und andere vulnerablen Gruppen, die nicht Teil des Projektes sind. Eine entsprechende Risikoanalyse findet sich in den Projektkonzepten nicht. Mit der „Modernisierung der Landwirtschaft“ nach europäischem Vorbild werden zudem der Strukturwandel befördert und Arbeitskräfte freigesetzt werden. Mangels anderer Wirtschaftssektoren, die den Verlust landwirtschaftlicher Arbeitsplätze auffangen könnten, werden so immer mehr Menschen ins Abseits gedrängt. Ohne eine Gesamtagrarstrategie, die niemanden zurücklässt („Leave no one behind“, Agenda 2030), wird es nur bessere Lebensbedingungen für bessergestellte, marktteilnehmende Bauern und Bäuerinnen geben, während auch weiterhin marginalisierte Kleinbauern und Kleinbäuerinnen vernachlässigt und diskriminiert werden.
In den 558 Seiten (ohne Trainingsmaterialien), die uns vom BMZ zugesandt wurden, hat OXFAM keinen Hinweis dafür gefunden, dass Kleinbauern und Kleinbäuerinnen bzw. LandwirtInnen- und Frauenorganisationen bei der Entwicklung eines der Projekte eng eingebunden wurden. Dabei ist dies ein wichtiges menschenrechtliches Prinzip, das grundsätzlich vom BMZ anerkannt und auch im GFP-Guide mit der Vorgabe zur notwendigen Einhaltung des Rechts auf Nahrung festgehalten ist. Es ist frappierend, dass Projekte immer noch ohne die Zielgruppen entwickelt werden. Dabei sollten insbesondere die Menschen, die von Armut und Hunger betroffen sind, in die Entwicklung von Projekten und Programmen eingebunden werden. Nur wenn ihr Wissen, ihre Bedürfnisse und ihre Prioritäten stärker berücksichtigt werden, kann das Ziel der Beendigung des Hungers bis 2030 erreicht werden.
Kontaktpflege für BAYER
Im BRIA-Kooperationsvertrag mit BAYER CROPSCIENCE ist klar beschrieben, dass der Konzern über die Kooperation mit der GIZ seine Kontakte zu LandwirtInnen ausweiten will. Bei CARI wird dargelegt, dass die Unternehmen permanent anstreben, eigene Wettbewerbsvorteile zu erhalten oder zu erreichen, wodurch auch im Interesse der staatlichen Träger die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wertschöpfungskette gestärkt werde. Im PIA-Konzept wird das Unternehmensinteresse am ausführlichsten beschrieben: Alle beteiligten Unternehmen möchten durch die Zusammenarbeit mit der GIZ, Regierungsbehörden etc. ihren Marktzugang in Nigeria und Kenia stärken. Besonders interessiert seien die Unternehmen daran, Kleinbauern und –bäuerinnen zu erreichen und dadurch ihre Beschaffung von Agrarprodukten und den Verkauf ihrer Inputs (Pestizide etc.) zu erhöhen. Es werde davon ausgegangen, dass das bessere Verständnis von LandwirtInnen in puncto Profitabilität von besseren Prozessen, Saatgut, Schädlingsbekämpfung und Düngung deren Nachfrage nach den von den Unternehmen angebotenen Lösungen erhöhe und damit schlussendlich die Marktsichtbarkeit, die Marktanteile und Geschäftsmöglichkeiten der Unternehmen verbessert würden. Durch die Kooperation mit der GIZ werde ein besseres Erreichen der Zielgruppe erwartet.
Das Interesse der Unternehmen liegt wie oben beschrieben klar auf der Hand. Die GIZ ist für sie ein nützlicher Türöffner, um ihren Zugang zu den Märkten der Entwicklungsländer zu stärken bzw. zu verbessern. Politisch wird zumindest in Kauf genommen, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit genutzt wird, um den Markt-Auftritt deutscher Unternehmen gegenüber einheimischen oder anderen internationalen Unternehmen zu verbessern. Implizit stellt die öffentlich-private Partnerschaft somit ein Instrument der Wirtschaftsförderung dar und wirft wettbewerbsrechtliche Fragen auf. Die GIZ selbst sieht sich indessen als „Broker“ zwischen den zu verfolgenden Entwicklungszielen und den Unternehmensinteressen und hat auch vor allem marktorientierte Kleinbauern und Kleinbäuerinnen im Blick.
OXFAM möchte mit der Analyse die notwendige Diskussion über diese zentralen Fragestellungen voranbringen. Bislang werden die Hinweise auf die Risiken nach wie vor vom BMZ und von der GIZ nicht angemessen diskutiert oder gar berücksichtigt. Eine umfassende Evaluierung der landwirtschaftlichen PPPs liegt bislang nicht vor. Es wäre sinnvoll, in einem ergebnisoffenen Prozess den Rahmen zu definieren und einzugrenzen, in dem eine Kooperation mit der Agrar- und Ernährungswirtschaft aus Entwicklungsperspektive förderlich sein könnte. Es ist unbestritten, dass eine Kooperation mit Unternehmen aus Entwicklungsperspektive einen Beitrag zur Armutsreduzierung leisten kann. Gleichwohl ist es wichtig, die Implikationen auf der Mikro- und Makroebene bei der Ausgestaltung zu berücksichtigen und die Einflusssphären der Unternehmen zu begrenzen. Im Hinblick auf die direkte Verbesserung der Ernährungssituation von Menschen, die unter Hunger leiden, darf die Sinnhaftigkeit dieser Art von PPPs bezweifelt werden. Marktbasierte Entwicklungsmodelle unterschätzen die Risiken für vulnerable Haushalte, und Wertschöpfungsketten-Ansätze adressieren nicht die Bedürfnisse der vulnerabelsten Menschen. Die Verwendung hochgefährlicher Pestizide bringt erhebliche Gesundheits- und Umweltprobleme mit sich. Die Bundesregierung sollte ihren Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich ausschließen. Statt eine industrielle Landwirtschaft zu befördern, sollte der Schwerpunkt auf Anbauverfahren liegen, die Bodenfruchtbarkeit verbessern, die biologische Vielfalt erhalten und eine Anpassung an den Klimawandel ermöglichen.
Dieser Text basiert auf der OXFAM-Broschüre „Böcke zu Gärtnern“. Für die vorliegende Fassung hat die Redaktion jedoch Kürzungen vorgenommen.
Wasser, Boden & Luft
Unter dem Pflaster liegt BAYERs Giftmüll
Grünes Licht für A1-Ausbau
Am 11. November 2016 hat die Bezirksregierung Köln dem landeseigenen Straßenbetrieb die Genehmigung erteilt, für den Ausbau der A1-Autobahn BAYERs Dhünnaue-Deponie wieder zu öffnen.
Von Jan Pehrke
„Im Rahmen des Anhörungsverfahrens hat die Bezirksregierung Köln alle vorgetragenen Einwendungen und Stellungnahmen sorgfältig geprüft und über den Antrag des Landesbetriebs Straßenbau NRW positiv entschieden“, erklärte die Behörde am 11. November 2016. Für den Ausbau der Autobahn A1 erlaubte sie Straßen.NRW, BAYERs Giftmüll-Deponie Dhünnaue, die erst zur Bundesgartenschau 2005 in langjähriger Arbeit halbwegs gesichert wurde, wieder zu öffnen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) protestierte scharf gegen den Beschluss. „Es ist unverantwortlich von der Bezirksregierung, Straßen.NRW Hand an BAYERs Giftgrab legen zu lassen, in dem Millionen Tonnen toxischer Abfälle von Quecksilber über Arsen und Chrom bis zu Blei schlummern. Aus reinen Kosten-Erwägungen heraus beschwört sie damit Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt herauf“, hieß es in der entsprechenden Presseerklärung.
Für das Fundament der Trasse hat Straßen.NRW vor, eine Erdschicht von zwei Metern Tiefe, die 87.820 Kubikmeter Giftmüll birgt, abzutragen. Bei dem Erörterungstermin, der Anfang Juli 2016 in der Stadthalle von Köln-Mülheim stattfand, wertete der Straßenbetrieb das selbst als einen nur „beschränkt optimierten Eingriff“. Ein Ingenieur bezeichnete stattdessen die Auskofferung des ganzen Giftgrabes ganz offen als die „optimale Gründung“ für die A1. Eine solche Auskofferung hatten die CBG und andere Initiativen schon gefordert, als Anfang der 1990er Jahre die Debatte um die Sanierung der Dhünnaue anhob. Aus Kostengründen erfolgte jedoch nur eine Abdichtung, was Ernst Grigat von der 60-prozentigen BAYER-Tochter CURRENTA nun bedauert. Der Leverkusener Chempark-Leiter nannte es gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger einen Fehler, damals die giftigen Hinterlassenschaften nicht geborgen und verbrannt zu haben.
Diese geben nämlich keine Ruhe. In der Deponie rumort es bisweilen noch kräftig. Der organische Anteil des Mülls zersetzt sich und das Volumen nimmt ab, weshab mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist. Das tut auch Straßen.NRW. In ihren Planungen gehen die IngenieurInnen vorsichtshalber schon einmal von einstürzenden Neubauten aus. „Eine ggf. erforderliche vorzeitige Instandsetzung des Oberbaus ist berücksichtigt“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme des Landesbetriebs zu der Einwendung, welche die CBG im Rahmen des Planfeststellungsverfahren eingereicht hatte.
Aber auch nach der Entscheidung der Bezirksregierung kann der Straßenbetrieb des Landes nicht einfach loslegen, denn die Initiativen haben gegen den Planfeststellungsbeschluss eine Klage eingereicht. Und die Proteste gehen ebenfalls weiter. So luden sich Umweltverbände, die CBG und andere Gruppen am 7 Dezember 2016 selbst zur Feier zu „125 Jahre BAYER in Leverkusen“ ein und vermiesten dem Global Player, seiner Gratulantin Hannelore Kraft und den anderen Gästen gehörig die Stimmung.
Drugs & Pills
BAYER-Psychopharmaka beteiligt
Arznei-Tests mit Heimkindern
In den 1950er Jahren begannen MedizinerInnen mit Medikamenten-Versuchen in Kinderheimen und Jugend-Psychiatrien. Dabei testeten sie auch Psychopharmaka von BAYER.
Von Jan Pehrke
Die bundesdeutschen Kinderheime haben eine dunkle Vergangenheit. Die Pharmazeutin Sylvia Wagner fügte dieser Geschichte jetzt ein weiteres skandalträchtiges Kapitel zu. Bei den Recherchen zu ihrer Dissertation fand sie heraus, dass in diesen Einrichtungen von den 1950er bis zu den 1970er Jahren Medikamenten-Versuche stattfanden. Damit nicht genug, testeten die MedizinerInnen auch in Jugendpsychiatrien Pillen.
Die Doktorandin stieß mit ihrer Arbeit sogleich weitere Nachforschungen an. Ein Team des NDR sah sich beispielsweise die Akten des Landeskrankenhauses Schleswig genauer an und fand Belege für Versuchsreihen mit BAYER-Arzneien. So erprobten MedizinerInnen der jugendpsychiatrischen Abteilung zwei Pharmazeutika des Pharma-Riesen. Das Neuroleptikum MEGAPHEN mit dem Wirkstoff Chlorpromazin testeten die ÄrztInnen als Therapeutikum gegen zu „zappelige“ SchülerInnen. 23 „anstaltsgebundenen Sonderschul-Kindern“ verabreichten sie es. Das Neuroleptikum AOLEPT mussten sogar 141 Kinder und Jugendliche schlucken. Dabei zeigten sich gravierende Nebenwirkungen wie etwa „Muskelverkrampfungen an den Augen, des Rückens und der mimischen Muskulatur“.
Die Ergebnisse der Pillen-Prüfungen publizierten die DoktorInnen in der Schriftenreihe des Hospitals, und dabei konnten sie es kaum erwarten, mit der nächsten Runde zu beginnen. „Die Industrie bemüht sich gegenwärtig schon um die Schaffung von Kombinationspräparaten, z. B. wurde uns gerade eine MEGAPHEN-Kombination folgender Zusammensetzung zur Erprobung an die Hand gegeben: Megaphen 25 mg, Atosil 5 mg, Reserpin 0,5 mg“, hieß es in der Veröffentlichung.
Weder die Kinder noch ihre Erziehungsberechtigten haben damals ihre Einwilligung zu den Tests erklärt. Zudem unterzogen die MedizinerInnen oftmals völlig gesunde Heranwachsende der Prozedur. Auch führten die ÄrztInnen in der Regel keine Voruntersuchungen durch. „Das ist ethisch problematische Forschung. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: ‚Das ist ethisch unzulässige Forschung’“, sagt die Kieler Medizin-Ethikerin Alena Buyx deshalb. Selbst damaligen Standards habe das Vorgehen der ÄrztInnen nicht entsprochen, konstatiert die Wissenschaftlerin.
BAYERs Erklärung zu dieser ethisch problematischen Forschung fällt äußerst knapp aus. Dazu gebe es intern keine Unterlagen, verlautet aus der Konzern-Zentrale. Arznei-Tests mit den Schwächsten der Schwachen haben beim Pillen-Riesen allerdings eine unrühmliche Tradition. Das Unternehmen hat während des Dritten Reichs Medikamente gegen Fleckfieber und andere Präparate an KZ-Häftlingen ausprobiert. Und noch heute führt es klinische Erprobungen in armen Ländern wie Indien durch, weil dort unschlagbare Preise, schnellere Verfahren und eine mangelhafte Aufsicht locken.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) fordert BAYER auf, Konsequenzen aus den Enthüllungen zu ziehen und die Opfer zu entschädigen. Überdies sieht die Coordination den Global Player in der
Pflicht, seinen Teil zur vollständigen Aufklärung des Skandals beizutragen.
Tiere & Versuche
Unsicherheitsfaktor Tierversuche
Von Menschen und Mäusen
In der Diskussion um Pestizid-Rückstände in Lebensmitteln wird oft angeführt, dass die Rückstandshöchstgehalte (RHG) „extra sicher“ wären. Eine beliebte Begründung: hohe „Sicherheitsfaktoren“ bei der Ableitung der aus Tierversuchen gewonnenen toxikologischen Grenzwerte. Diese Argumentation zeugt von einer Verkennung der Sachlage.
Von Lars Neumeister
Um die Giftigkeit eines Pestizids oder anderer Schadstoffe für den Menschen zu beurteilen, werden in der Regel immer noch viele Tierversuche gemacht. Dabei werden gesunde Labortiere einem einzelnen Stoff unter kontrollierten Bedingungen ausgesetzt und bestimmte Effekte und die Effektschwellen1 beobachtet. Aus diesen Beobachtungen2 werden dann toxikologische Grenzwerte, wie ADI/TDI oder ARfD abgeleitet.
Die Übertragung von Ergebnissen von Experimenten mit gesunden Labortieren zum Menschen in all seiner Vielfalt (Gesunde, Kranke, Gestresste, Alte, Junge, Föten usw.) ist aber sehr schwierig. Deswegen hat man in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts pauschal Faktoren3 eingeführt, die Unterschiede und Unwissen irgendwie berücksichtigen sollen:
1. Da man nicht sicher weiß, wie empfindlich ein Mensch im Vergleich zum Versuchstier ist, hat man einen Sicherheitsfaktor von 10 eingeführt.
2. Man geht pauschal davon aus, dass es innerhalb der menschlichen Bevölkerung Unterschiede in der Empfindlichkeit von maximal 10 geben kann – daraus leitet sich ein nochmaliger Faktor von 10 ab.
3. Ein zusätzlicher Faktor in beliebiger Höhe kann angewendet werden, wenn die Behörden wegen ungenügender Datenlage (z. B. fehlende Tests) zu wenig über die Giftigkeit eines Stoffes wissen.
Diese Unsicherheitsfaktoren wurden erfunden, weil man es in den 1950er Jahren nicht besser wusste. Sie sind also eher Unwissenheitsfaktoren. In der wissenschaftlichen Literatur werden sie dementsprechend häufig und richtig „uncertainty factors (UF)“ genannt4,5,6, und auch die US-amerikanische Umweltbehörde EPA verwendet fast ausschließlich diesen Begriff. Deshalb heißt es z. B in der IRIS Datenbank konsequent „UF“. Würden gesunde, standardisierte Labortiere die gleiche Empfindlichkeit gegenüber einem Stoff haben, wie z. B. ein unter Medikamenten stehender Kranker, ein sich entwickelnder Fötus usw., dann könnte man von „Sicherheitsfaktoren“ reden. Die gegenwärtigen Unsicherheitsfaktoren decken aber nicht einmal die spezielle Empfindlichkeit von Neugeborenen, Alten und Kinder ab (Dorne 20077; Dorne 20108). Sie spiegeln auch nicht ausreichend die Unterschiede zwischen den Arten wieder (Bokkers & Slob 20079).
Nicht alle Ratten sind gleich
Nicht einmal innerhalb einer Art kann man die Variabilität der Empfindlichkeit auf einen Faktor von 10 beschränken. Hier einige Beispiele:
1. Bei Fütterungsversuchen mit zwei verschiedenen Rattentypen (Fischer-Ratten10 und Sprague-Dawley-Ratten) wurde der gleiche Effekt einmal bei 20mg/kg pro Tag und einmal bei etwa 1600 mg/kg pro Tag beobachtet. Die Empfindlichkeit der Fischer-Ratten war in diesem Fall 800-mal höher als die der Sprague-Dawley-Ratten. Die gleichen Autoren führten ebenfalls Versuche mit Frauen durch und leiteten daraus einen weiteren „uncertainty factor“ von 200 für die Empfindlichkeit des Menschen ab (Boogaard et al 2012)11.
2. Wie unterschiedlich empfindlich verschiedene Rattentypen sein können, zeigt auch ein Infektionsversuch an fünf Rattentypen. Einer der Rattentypen hatte nach dem Versuch über 1000 Zysten im Gehirn, die anderen vier hatten gar keine (Gao et al. 2015)12.
3. Hermsen et al. (2015)13 untersuchten die genetische Struktur von 40 unterschiedlichen Laborratten-Typen und fanden allein zwischen den verschiedenen Varianten der Laborratten eine starke Variabilität. Wie stark die Variabilität ist, lässt sich aus dem Artikel allein allerdings nicht ableiten.
Selbst zwischen nah verwandten Arten kann es erhebliche Unterschiede geben, die Unsicherheitsfaktoren von 10 nicht berücksichtigen können. Bei Studien zur möglichen Schädigung des Immunsystems durch Pestizide hat die EPA z. B. festgestellt, dass ein Fungizid (Cyflufenamide) zwar das Immunsystem von Ratten, nicht aber das von Mäusen unterdrückt. Bei einem anderen Fungizid (Penthiopyrad) war es genau umgekehrt (US EPA 201314). Die gleiche Untersuchung zeigte für einige Pestizide auch erhebliche Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Tieren. Die Effektschwellen waren je nach Geschlecht 4-6 Mal höher bzw. niedriger (ebenda).
Menschen reagieren anders
Insgesamt ist die Übertragung der Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen mit vielen Unsicherheiten behaftet. Eine vergleichende Studie der Pharmaindustrie zeigte, dass bei 30 Prozent der Untersuchungen (verglichen wurden Experimente mit 150 Medikamenten) zwar Symptome beim Menschen festgestellt wurden, aber keine bei Tieren (Olson et al. 200015). Am schlechtesten stimmten die Ergebnisse zwischen Tier- und Menschenversuchen bei Effekten an der Haut, dem Hormonsystem und dem Leber-Galle-Trakt überein (Dourson et al. 200116).
Unsicherheitsfaktoren, die berücksichtigen, dass der moderne Mensch täglich unzähligen Chemikalien gleichzeitig ausgesetzt ist, fehlen ganz und gar. Sehr viele Stoffe, denen wir ausgesetzt sind, wirken sehr ähnlich (siehe u. a. EFSA 201317), und diese Realität wird in der heutigen Risikobewertung komplett ausgeblendet. Bei der Bewertung der Pestizid-Rückstände für die Smartphone-App „Essen ohne Chemie“ wird dies aber berücksichtigt.
In meinem Artikel „Warum nicht gleich würfeln? – Über die Festlegung von Höchstgehalten von Pestiziden im Essen“ beschreibe ich, dass Rückstandshöchstgehalte (RHG) für Pestizide keiner Sicherheitsbewertung unterliegen. Die Risiko-Bewertung betrachtet einen willkürlich gewählten Rückstand, der im Schnitt 7-mal unter der gesetzlich erlaubten Menge im Essen liegt. Das ist so, als wenn man ein Fahrzeug für eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h zuließe, den Crash-Test aber mit 10 km/h machen würde. Für Pestizid-Rückstandshöchstgehalte bedeutet das mathematisch nichts weiter, als dass sich einer der vermeintlichen Sicherheitsfaktoren fast wieder aufhebt.
Zusammenfassend kann man sagen: Der gegenwärtige angewandte Unsicherheitsfaktor von 100 (10 x 10) wurde schon vor über 60 Jahren entwickelt (Dorne & Renwick 2005)18 und seitdem nicht mehr verändert. Er stellt eine politische Vereinbarung dar. Keine Sicherheit.
Zum Autor: Lars Neumeister betreibt den Blog „Essen ohne Chemie“, hat die Ratgeber-App „Essen ohne Chemie“ entwickelt und arbeitet selbstständig für Organisationen wie GREENPEACE, BUND, WWF und andere.
Fußnoten und Quellen
1 z. B. der „no observed adverse effect level“ (NOAEL) und der „lowest observed adverse effect level“ (LOAEL)
2 In den USA oder auf internationaler Ebene (z. B. Codex Alimentarius Commission) werden auch Daten aus Versuchen mit Menschen verwendet. Die EU akzeptiert solche Daten nicht.
3 Mathematisch gesehen handelt es sich nicht um einen Faktor, sondern um einen Divisor: der „no observed adverse effect level“ (NOAEL) wird durch 10 geteilt.
4 z. B. Gürtler R (2010): Safety of food additives from a German and European point of view. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 53(6):554-60. doi: 10.1007/s00103-010-1073-4.
5 Dorne JL (2010): Metabolism, variability and risk assessment. Toxicology 268(3):156-64. doi: 10.1016/j.tox.2009.11.004.
6 Raffaele KC & Rees C (1990): Neurotoxicology dose/response assessment for several cholinesterase inhibitors: use of uncertainty factors. Neurotoxicology 11(2):237-56
7 Dorne JL (2007): Human variability in hepatic and renal elimination: implications for risk assessment. Journal of Applied Toxicology (2007): 27(5):411-20
8 Dorne JL (2010): Metabolism, variability and risk assessment. Toxicology 268(3):156-64. doi: 10.1016/j.tox.2009.11.004.
9 Bokkers BG & Slob W (2007): Deriving a data-based interspecies assessment factor using the NOAEL and the benchmark dose approach. Critical Review of Toxicology 37(5):355-73.
10 Der volle Name ist „Fischer 344 Ratten“.
11 Boogaard PJ, Goyak KO, Biles RW, van Stee LL, Miller MS, & Miller MJ (2012): Comparative toxicokinetics of low-viscosity mineral oil in Fischer 344 rats, Sprague-Dawley rats, and humans–implications for an Acceptable Daily Intake (ADI). Regulatory Toxicology and Pharmacology, 63(1), 69-77.
12 Gao JM, Yi S, Wu MS, Geng GQ, Shen JL, Lu FL, Hide G, Lai DH, Lun ZR (2015): Investigation of infectivity of neonates and adults from different rat strains to Toxoplasma gondii Prugniaud shows both variation which correlates with iNOS and Arginase-1 activity and increased susceptibility of neonates to infection. Experimental Parasitology 149:47-53. doi: 10.1016/j.exppara.2014.12.008.
13 Hermsen R, de Ligt J. Spee W, Blokzijl F, Schäfer S, Adami E, Cuppen E (2015): Genomic landscape of rat strain and substrain variation. BMC Genomics, 16(1), 357. doi:10.1186/s12864-015-1594-1 Open Access Artikel
14 US EPA (2013): A Retrospective analysis of immunotoxicity studies (870.7800). Office of Pesticide Programs, U.S. Environmental Protection Agency (US EPA).
15 Olson H, Betton G, Robinson D, Thomas K, Monro A, Kolaja G, Lilly P, Sanders J, Sipes G, Bracken W, Dorato M, Van Deun K, Smith P, Berger B & Heller A (2000): Concordance of the toxicity of pharmaceuticals in humans and in animals. Regul. Toxicol. Pharmacol. 32, 56–67.
16 Dourson ML, Andersen ME, Erdreich LS & MacGregor JA (2001): Using human data to protect the public’s health. Regul Toxicol Pharmacol. 33(2):234-56.
17 EFSA (2014b): Scientific Opinion on the identification of pesticides to be included in cumulative assessment groups on the basis of their toxicological profile (2014 update). EFSA Journal 11(7):3293, 131 pp. doi:10.2903/j.efsa.2013.3293
18 Dorne JL & Renwick AG (2005): The refinement of uncertainty/safety factors in risk assessment by the incorporation of data on toxicokinetic variability in humans. Toxicololgical Science 86(1):20-6. Open Access Artikel
Konstantin Wecker (über Coordination gegen BAYER-Gefahren)
Mut und Zuversicht in unruhigen Zeiten
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich wende mich hier und jetzt mit einer Herzensangelegenheit an Sie: In einer Gesellschaft, in der man Empathie mehr oder weniger abgeschafft hat, die ausschließlich auf Konkurrenz– und Leistungsdruck basiert, sind Katastrophen scheinbar unabwendbar.
Weiter und weiter geht die Vernichtung der Arten, ihrer Lebensräume und unserer Ressourcen. Macht – und Mutlosigkeit macht sich bei Vielen breit. Scheinbar gibt es kein Entrinnen. Unbeeindruckt, getrieben von reiner, unersättlicher Geldgier ruinieren sie den Planeten.
Doch es ist wichtig, nein, es ist sogar unsere Pflicht, etwas zu tun.
Wir müssen uns gemeinsam gegen diese Gräueltaten auflehnen. Aber zuerst mal braucht es diejenigen, die auf die Missstände aufmerksam machen.
Beispielhaft für den Mut, die Machenschaften der Konzerne an den Pranger zu stellen, ist für mich die Coordination gegen BAYER-Gefahren. In über 38 Jahren haben empathische, überaus engagierte Menschen ein weltumspannendes Netzwerk geschaffen und stellen einen der ganz großen Multis unter Beobachtung und Kritik.
Krankmachende und lebensgefährliche Produkte, Gentechnik, Pestizide, Störfälle, politischer Machtmissbrauch, chemische Waffen, Steuerhinterziehung oder Arbeitsplatzvernichtung - die CBG legt mutig und konsequent bei allem den Finger in die Wunde.
Nun auch noch die Übernahme von MONSANTO durch den BAYER Konzern. Diese gefährliche Fusion stellt die Coordination gegen BAYER-Gefahren vor neue und unvorstellbar große Herausforderungen.
Als Botschafter des MONSANTO-Tribunals im Oktober in Den Haag sage ich Ihnen: Ja, es ist möglich, etwas zu bewegen, nämlich dann wenn als Summe aus Ver- stand und Mitgefühl die Vernunft hervorgeht, gepaart mit viel, viel Engagement und Ausdauer der tausenden von ehrenamtlich für die CBG tätigen Menschen auf der ganzen Welt.
Doch dieser Widerstand gegen die Machenschaften der Konzerne kostet Geld und auf eine offizielle finanzielle Förderung kann die CGB nicht bauen. Seit 1983 bereits wird ihr wegen ihrer konsequent konzernkritischen Arbeit die Gemeinnützigkeit verweigert. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hat ständig mit fehlenden Finanzmitteln zu kämpfen.
Deshalb möchte ich Sie eindringlich bitten: Unterstützen Sie diese wertvolle Arbeit mit einer Spende, werden Sie Fördermitglied bei der CBG.
Ihr
Konstantin Wecker
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