Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Veröffentliche Beiträge von “CBG Redaktion”

Seminar

CBG Redaktion

9. November 2009

Referat von Jan Pehrke (Coordination gegen BAYER-Gefahren) im Seminar „Haste mal ´ne Billion? Konzerne, Kapitalismus und die Krise“

BAYER und die Krise

Ich möchte am Beispiel BAYER veranschaulichen, was die Krise für einen großen Konzern konkret bedeutet. Ich werde dafür zunächst schildern, wie das Unternehmen von der Krise betroffen war und welche Maßnahmen BAYER eingeleitet hat. Dann werde ich darstellen, wie BAYER sich die Krise erklärt, und was das für Folgen hat. Dabei nehmen die Forderungen an die Politik einen größeren Raum ein. Zum Schluss werde ich auf die Rolle der Chemie-Gewerkschaft IG BCE bei dem Krisen-Management eingehen.

Wenn es nach BAYER ginge, wäre die Krise eigentlich gar kein Thema mehr. Seinen neuesten Geschäftsbericht überschrieb der Konzern nämlich mit „BAYER schafft die Trendwende“. Er meldete eine kleine Gewinn-Steigerung gegenüber dem Vorjahr und gab sich zuversichtlich, eine Kapital-Rendite von 21,1 Prozent erreichen zu können. Deshalb glaubt BAYER, mit einem Gewinn-Minus von fünf Prozent durch das laufende Geschäftsjahr zu kommen. Weil die Nachfrage wieder angezogen hat, hob BAYER Anfang November auch die Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzungen wieder auf, die der Konzern im Frühjahr eingeführt hatte: eine Absenkung der Wochenarbeitszeit von 37,5 auf 35-Stunden ohne Lohnausgleich.

Kürzerarbeit im Kunststoffbereich
So früh BAYER jetzt die Krise ad acta legen will, so spät hat BAYER sie überhaupt erst wahrgenommen. Als im letzten Herbst die BASF schon daran ging, 80 Standorte stillzulegen, war für den Leverkusener Multi noch alles im grünen Bereich. Man habe eh schon Rationalisierungsprogramme laufen, das genüge, hieß es aus der Zentrale. Aber wenig später sah der Konzern dann doch rot. Er kündigte an, die Fertigung des Kunststoffes Polycarbonat um ein Viertel zu reduzieren. Diese Krise hatte BAYER also doch erreicht. Besonders stark im Kunststoff-Bereich, der ca. 30 Prozent zum Konzern-Ergebnis beiträgt. Dort kam es zu einem Nachfrage-Einbruch von seiten der Auto- und Bau-Industrie. Das schlug stark durch, denn von den BAYER-Kunststoffen gehen 18 Prozent an die Automobil-Industrie und 14 Prozent an die Bau-Industrie.

Zunächst reagierte der Konzern auf die Flaute, indem er Wartungsarbeiten vorzog und die Beschäftigten zwang, an ihre Arbeitszeitguthaben zu gehen. Aber irgendwann reichte das nicht mehr. Anfang des Jahres begann eine Diskussion um Kurzarbeit. Dazu kam es dann nicht ganz, sondern nur zu Kürzerarbeit - eine Öffnungsklausel im Chemie-Tarifvertrag machte es möglich. Die Belegschaft im Kunststoff-Bereich hatte 6,7 Prozent weniger zu arbeiten für 6,7 Prozent weniger Lohn.

Die Gewerkschaft hatte gefordert, das auch die anderen, besser gehenden Bereiche sich an den Krisen-Kosten beteiligen, aber dazu war die Geschäftsleitung nicht bereit. Trotzdem pries sie die Lösung als sozial-verträglicher als normale Kurzarbeit, weil so nicht nur Beschäftigte in der Produktion betroffen wären. Tatsächlich waren es aber technische Gründe, die zu der Maßnahme führten. Die minutiös mit viel Vorlauf geplanten Produktionsprozesse sind nämlich aufeinander abgestimmt und lassen sich nur sehr kompliziert plötzlich auf halbe Kraft fahren.

Arbeitsplatzvernichtungen
Daneben kam es zu Arbeitsplatzvernichtungen durch Rationalisierungsmaßnahmen. Zuerst mussten die Leiharbeiter und die MitarbeiterInnen von Fremdfirmen dran glauben. In der Lack-Sparte strich BAYER 100 Jobs, am Standort Brunsbüttel ebenso. Dort leitete BAYER zudem die Ausgliederung von Werksschutz, Feuerwehr und Sicherheitszentrale ein, wovon 56 Beschäftigte betroffen sind. In Krefeld machte BAYER die ganze Forschungsabteilung dicht und legte sie mit der von Leverkusen zusammen, was nochmal 40 bis 80 Jobs kostete.

Krefeld und Brunsbüttel sind reine Kunststoff-Standorte. Schon lange gibt es dort Befürchtungen, dass BAYER sie dichtmachen könnte. In der Krise sind diese noch einmal konkreter geworden. Es könnte aber auch das „Worst Case Scenario“ eintreffen: Eine Abstoßung der ganzen Kunststoff-Abteilung. „Die dritte Säule wackelt“ haben Zeitungen schon zur Hauptversammlung im Juni geschrieben. Und der Wenning-Nachfolger Dekkers, der kein erstmals kein BAYER-Eigengewächs ist und sich der Tradition nicht verhaftet fühlt, dürfte kaum Trennungsschmerz verführen.

Über den Tag hinaus
Es gibt bei BAYER ein aktuelles Krisenmanagement, aber auch Planungen über den Tag hinaus. Das aktuelle Krisenmanagement hielt immer nach dem Tiefpunkt Ausschau, von wo aus es wieder voran gehen würde. Diesen glaubt der Konzern nun erreicht zu haben. Darum das Wort von der Trendwende. Und dann gibt es noch ein längerfristiges Krisenmanagement. Und das rechnet aus, wie lange es wohl dauern wird, wieder auf das Niveau von vor der Krise zu kommen und zieht daraus entsprechende Konsequenzen. So sagte Wenning:

„Außerdem gilt es zu klären, welche Strukturen kurzfristig benötigt werden, wenn vielleicht erst in fünf Jahren das Nachfrage-Niveau vor Ausbruch der Krise erreicht werden kann. Die heutigen Strukturen jedenfalls wird man so lange nicht erhalten können“

Und fünf Jahre sind eine lange Zeit, für eine kapitalistische Wirtschaft, die eigentlich Jahr für Jahr Wachstum generieren muss, um das Kapital ordnungsgemäß zu verwerten. Deshalb spricht Wenning von „langfristigen Kapazitätsanpassungen“. Bei der Vorstellung der „Trendwende“-Quartalszahlen kündigte er die Stilllegung von Anlagen in den USA und in Japan an.

Also wird der Konzern nach der Krise kaum noch so aussehen wie vor der Krise.

BAYER und die Finanzmärkte
Bei BAYER ist jedoch nicht nur der Kunststoffbereich von der Krise betroffen. Auch bei Pharma und im Landwirtschaftsbereich laufen Einsparprogramme und Ausgliederungen.

Zudem gehen die Krisenfolgen weit über die Produktionssphäre hinaus. BAYER ist über viele Kanäle mit den Finanz- und Aktienmärkten verwoben und hatte entsprechend unter den Folgen zu leiden.

So haben die Pensionskassen des Konzerns, aus denen sich die betriebliche Altersversorgung finanziert, viel Geld in Aktien angelegt. Die deutschen Kassen über 17 Prozent des Geldes und die auswärtigen sogar bis zu 38 Prozent. Deshalb gab es dort Einkommensverluste. BAYER musste ein Darlehen in Höhe von 310 Millionen Euro gewähren. Zudem erhöhte der Konzern die Rückstellungen für fällige Zahlungen um 846 Millionen. Darüber hinaus stiegen die Beiträge für den Pensionssicherungsfonds, der einspringt, wenn Unternehmen Pleite gehen. 70 Millionen Euro musste BAYER da zahlen, das Siebenfache wie vor der Krise.

Und dann leidet BAYER auch unter der Kreditklemme. Firmenaufkäufe über 10 Milliarden Euro sind zur Zeit nicht finanzierbar, hat Wenning sich einmal beklagt. Aber der Konzerne wie BAYER sind bei der Geldbeschaffung nicht allein auf die Banken angewiesen. Ihnen steht das Instrument der Unternehmensanleihe zur Verfügung; das ist eine Art festverzinsliche Aktie. Aber auch hier bestimmt der Markt den Zinssatz, und dieser stieg bei der im März begebenen Anleihe bereits auf 4,6 Prozent.

Und parallel zu den Beiträgen zum Pensionssicherungsfonds stiegen auch die Beiträge der Kreditversicherungen, mit denen BAYER sich vor Zahlungsausfällen seiner Kunden schützt. Außerdem schrecken die Versicherungen vor der Versicherung hoher Summen zurück. Das führte zu einem massiven Konflikt von BAYER mit seiner Versicherung. Der ging so weit, dass BAYER damit drohte, eine eigene Agentur aufzumachen.

BAYER erklärt die Krise
Das war jetzt so in etwa die Bestandsaufnahme der Krisen-Folgen. Jetzt wollte ich darauf kommen, wie BAYER die Krise erklärt, weil das wichtig für die Reaktionen des Konzerns ist. BAYER macht es sich dabei ganz einfach. In einem Interview erklärte Wenning frank und frei:

„Wir von der Industrie haben uns da wenig vorzuwerfen“

Über die liebe Realwirtschaft ist die Krise also wie ein Schicksal gekommen, schuld war die böse Irrealwirtschaft, die Finanzmärkte, und da auch nicht alle, sondern besonders die US-amerikanischen.

Diese Zweiwelten-Theorie ist allerdings kaum haltbar. Man muss sich nur einmal fragen, warum die Finanzmärkte in den letzten Jahrzehnten so rasend wuchsen, warum sie immer mehr Kapital anzogen? Offensichtlich, weil Anlagen in der Realwirtschaft weniger Profit versprachen. Nach den Worten von Robert Kurz gibt es eine schwindende Basis der realen Verwertung von Kapital. BAYER & Co. produzieren immer mehr mit immer weniger Menschen, und genau darin liegt die Crux. Das hört sich zwar nach der Erfolgsformel schlechthin an, ist es aber nicht. Denn zur Mehrwertproduktion braucht der Kapitalist den Menschen. Maschinen kann man nicht ausbeuten. Das ist das, was Marx mit dem tendenziellen Fall der Profitrate meint.

Je weniger menschliche Arbeit in einem Ding steckt, desto weniger ist es für den Kapitalisten wert. Darum verteuert sich für ihn die Produktion, und er muss sich immer mehr verschulden. Bei BAYER beträgt die Schuldenlast momentan ca. 10 Milliarden Euro.

Dadurch ist die Wirtschaft gezwungen, das Volumen der Produktion zu erhöhen, damit es die Masse macht, und nach neuen Absatzgebieten Ausschau zu halten. Und wenn es nicht genug zahlungskräftige Kunden gibt, dann leiht man ihnen das Geld. Das ist das, was auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt passiert ist, und das ist auch das, was in den USA insgesamt passiert ist. Die USA waren der Gesamtschuldner der Weltwirtschaft, die also auf Pump finanziert war.

Durch diese Entwicklung wurden die Finanz- und Aktienmärkte immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt der Weltwirtschaft. Auch für BAYER nahmen sie an Bedeutung zu. Mit Werner Wenning kam zum ersten Mal ein ausgewiesener Finanzexperte an die Spitze des Konzerns. Seine Vorgänger waren noch Betriebswirtschaftler, Diplom-Kaufleute oder - aber das ist schon länger her - sogar Chemiker, was für einen Chemiekonzern ja gar nicht so unnaheliegend ist. So hat BAYER bei seinem Amtsantritt auch gleich verkündet:

„Als ausgewiesener Finanzfachmann besitzt er hohe Akzeptanz auf den internationalen Kapitalmärkten“

Bei seinem Vorgänger Manfred Schneider war dies nicht so unbedingt der Fall. Der hat immer nie so richtig begriffen, warum er sich von irgendwelchen jungen Schnöseln von Pensionsfonds etwas sagen lassen sollte.

Wenning aber schon. Er hat den Konzern schon in seiner Zeit als konsequent auf die Bedürfnisse der Finanzmärkte hin umgestaltet. So hat er bespielsweise das Wertmanagement eingeführt, um - wie er sagt - „Werttreiber und Wertvernichter noch leichter identifizieren zu können“.

BAYERs Schlussfolgerungen
Aber BAYER sieht ja wie gesagt überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft. Entsprechend sieht der Konzern natürlich auch keinen Grund, den Kapitalismus an sich in Frage zu stellen.

Als der Spiegel Werner Wenning fragte:

„Aber gibt es nicht eine gemeinsame Ursache für die Krise: das übertriebene Streben der Manager nach Profit?“

antwortete der BAYER-Chef:

„Vielleicht ist ein wenig ‚gesunde‘ Gier sogar ganz nützlich und natürlich. Das treibt uns an und bringt uns weiter“

Es soll sogar alles noch ein bisschen gieriger werden. Schon im letzten Herbst verkündete Werner Wenning:

„Es wäre deutlich besser, jetzt jene Bremsen zu lösen, die Wachstum behindern“

Und solche Bremsen hatte BAYER schnell ausgemacht: Umweltauflagen, Steuergesetze und fehlende Forschungsunterstützung. BAYER forderte, dass der Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten - der Emissionshandel - weiterhin kostenlos bleibt. Zudem forderte der Konzern, dass die Zinsschranke aufgehoben wird. Dieses Instrument beschränkte BAYER & Co. darin, Zinszahlungen von der Steuer abzusetzen. Diese Möglichkeit hatte zu teils absurden Vorgängen geführt. Wenn BAYER etwa im Ausland ein Unternehmen kaufte, war dies für den Fiskus ein Verlustgeschäft. Steuern zahlte BAYER nämlich im Ausland, während BAYER in Deutschland nur die Zinskosten geltend machte. Genau das wollte BAYER wieder so haben. Zudem wollte er in Zukunft auch seine Forschung besser von der Steuer absetzen können. Bei fast jedem öffentlichen Vortrag wiederholte Wenning diese Forderung, immer mit dem Hinweis, in den USA wäre diese Regelung schon eingeführt.

Bis auf den letzten Punkt konnte BAYER sich mit allem durchsetzen. Damit hörte die Bescherung aber noch nicht auf. Auch von dem Konjunktur-Paket profitierte der Konzern. Er erhielt fünf Millionen zum Bau eines Technologie-Zentrums. Zudem musste er durch die Absenkung der Tarife weniger Krankenkassen-Beiträge zahlen. Darüber hinaus erlaubten Verlustvorträge Steuer-Ersparnisse: BAYER konnte die Verluste von heute mit den Gewinnen von gestern verrechnen und so Steuern zurückerhalten. Unter „Bürgerentlastungsgesetz“ firmierte dieses Steuergesetz unpassenderweise.

Aber natürlich gestaltete BAYER eine solche Politik auch aktiv mit. Wenning nahm an den Kanzlerrunden teil und machte sich dort besonders für eine Aufhebung der Kreditklemme stark. An solchen informellen Kreisen störte sich sogar das manager-magazin. Als „Kungelrunden“ bezeichnete die Zeitschrift diese und kritisierte:

„Auch der Bundeskanzlerin erscheint es inzwischen komfortabler, die Nummern der DAX-Konzernchefs zu wählen und um Rat und Unterstützung zu bitten, als die notwendigen Schritte unabhängig vom Gemütszustand der Wirtschaftslenker zu erörtern“

Nur zwei Wermutströpfchen gab es, über die sich BAYER dann auch bitterlich beklagte. Die Bundesrepublik machte es Steueroasen wie Belgien ein wenig schwerer, die auch BAYER immer wieder gern in Anspruch genommen hatte. Und dann gab es noch ein neues Regelwerk für Manager. Sie können künftig nicht mehr so leicht vom Vorstandssessel zum Aufsichtsratssessel wechseln, kommen nicht mehr ganz so leicht an Boni und müssen sogar ein bisschen für eigene Missetaten haften.

Das fand BAYER gar nicht gut. Aufsichtsratschef Manfred Schneider gehörte darum zu den Mitunterzeichnern eines Brandbriefes an Angela Merkel.

„Wir warnen nachdrücklich davor, unternehmerische Entscheidungen wie die Gestaltung von Vorstandsverträgen zu vereinheitlichen“

Das werde der „komplexen Unternehmenswirklichkeit“ nicht gerecht, beklagten die Bestverdiener. Und als Schneider auf der letzten Hauptversammlung gefragt wurde, ob er bereit wäre, die ManagerInnen-Gehälter auf das 20fache eines BAYER-Durchschnittslohnes zu beschränken, antwortete er schlicht, er lehne solche „statistischen Grenzen“ ab.

Unterm Strich aber konnte sich BAYER unter diesem Rettungsschirm der Regierung sehr gut einrichten. Das Ziel, gestärkt aus der Krise hervorzugehen, haben diese Maßnahmen bedeutend leichter gemacht.

Und die Gewerkschaften?
BAYER trägt also die Krise auf dem Rücken der Beschäftigten aus und bekommt dafür auch noch massiv Unterstützung von seiten der Politik. Das wirft die Frage auf, wo die Chemie-Gewerkschaft IG BCE bei dem Spiel war?

Als Spielverderber ist sie offensichtlich nicht in Erscheinung getreten. Vor der Krise sozialpartnerschaftlich orientiert, hat auch die Krise sie keines Besseren belehrt. Deshalb hat ihre Co-Management-Philosophie auch zu einem Co-Krisenmanagement geführt. Die Gewerkschaft erklärte:

„Sozialpartnerschaftliches Miteinander ist Voraussetzung, in den Unternehmen schwierige Zeiten bestmöglich zu bewältigen“

Am Kapitalismus-Kongress, den der DGB im Mai veranstaltet hatte, nahm der IG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt folglich gar nicht erst teil. Über den Kapitalismus brauchte man seiner Meinung nach nicht zu reden. Nur über die soziale Marktwirtschaft. In einer Missachtung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft sah die Gewerkschaft die Ursache der Krise. Und die wurden vornehmlich in der Irrealwirtschaft des Finanzsektors missachtet.

An BAYER & Co. waren folglich keine Forderungen zu stellen. Nur am Anfang war die IG BCE ein wenig aufmüpfig. Sollten die Konzerne Sozialabbau betreiben, so drohen Konflikte, warnte die Gewerkschaft. Aber Sozialabbau hat sie nirgends gesehen. Also wurde die Politik der vordringliche Adressat der Gewerkschaftsforderungen.

Diese legte die IG BCE in der „Entschließung zur Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik“ dar. Darin forderte sie unter anderem:

- einen Rettungsschirm für die „Opfer der Krise“, die Realwirtschaft“
- eine Stärkung der „industriellen Basis der Wirtschaft“ (Akzeptanz-Förderung für umstrittene Technologien)
- eine verbesserte steuerliche Abzugsfähigkeit von Forschungsaufwändungen
- eine Entlastung der strom-intensiven Branchen.

Das klangt seltsam vertraut, es waren dieselbe Forderungen, die BAYER auch gestellt hatte.

Diese Position hatte zur Folge, dass die IG BCE alle BAYER-Maßnahmen mittrug - mehr oder weniger zähneknirschend. Bei den Verhandlungen über die Kürzerarbeit hatte sie erst noch dafür plädiert, sie von allen Beschäftigten gemeinsam tragen zu lassen, also nicht nur von der Kunststoff-Belegschaft. Sie konnte sich damit allerdings nicht durchsetzen und verkündete etwas kleinlaut:

„Diese Lösung ist in Summe für die Mitarbeiter die beste Option“

Die Arbeitsplatzvernichtungen in Brunsbüttel trug die Gewerkschaft ebenfalls mit. Der entsprechende Kommentar lautete:

„Wir haben bewiesen, dass der Standort, den manche schon auf dem Abstellgleis sahen, zurück im Geschehen ist“

Gegen die Schließung des Forschungsstandortes Krefeld protestierte sie dagegen vehement, aber erfolglos. Und in den Worten von Ralf Köpke, diesmal nicht von der IG BCE, sondern vom DGB, ist schon ein wenig Verzweiflung darüber zu hören, wie wenig Früchte man für sein Wohlverhalten ernten konnte.

„Wir als DGB haben uns nicht so vehement für das geplante Kraftwerk und die CO-Pipeline eingesetzt, um jetzt vom Konzern an der Nase herumgeführt zu werden“

Aber einen Kurswechsel werden die Gewerkschaften wohl kaum vornehmen, wenn auch der Schmoldt-Nachfolger Vassiliadis vor kurzem etwas andere Töne anschlug. So forderte er, die Finanzwirtschaft an den Kurzarbeit-Kosten zu beteiligen und plädierte für eine Unternehmenssteuerreform. Künftig sollten Unternehmen mit besonders hohen Eigenkapitalrenditen mehr Steuern zahlen, weil sie höhere soziale Kosten verursachen. Da war schon ein wenig mehr Krisenbewusstsein zu spüren, aber Folgen dürfte das kaum haben.

Fazit
Aber wenn man das ganze vergangene Krisen-Jahr Revue passieren lässt, fällt die Bilanz doch ernüchternd aus. Eine Zeitlang sah es doch ganz danach aus, als ob der Kapitalismus an sich in Frage gestellt wäre. Viele alte Gewissheiten schienen überholt. Alan Greenspan verzweifelte daran, dass der Egoismus doch nicht der Ethik-Garant schlichthin war. Der Staat gelangte als wirtschaftspolitische Akteur wieder zu Ansehen, und Keynes kehrte vom Müllhaufen der Geschichte zurück. Aber das währte alles nur kurze Zeit, und jetzt haben wir eine FDP, die mit über 14 Prozent in der Regierung sitzt. Im Moment sieht es also ganz danach aus, als ob die Linke, die historische Chance, die die größte Krise des Kapitalismus der vergangenen Jahrzehnte bot, nicht hat nützen können. Dieses pessimistische Urteil gilt aber nur, wenn man meint, dass es das jetzt schon war mit der Krise, was nicht gesagt ist.

[Zinsgewinne] Zahlungsmoral

CBG Redaktion

Presse Info vom 6. November 2009
Coordination gegen BAYER-Gefahren

„Zahlungen an Mitarbeiter und Zulieferer systematisch verzögert“

hohe Zinsgewinne für BAYER / Interview mit freien Mitarbeitern veröffentlicht / „Klima der Angst“

Freie Mitarbeiter des BAYER-Konzerns werfen dem Unternehmen vor, Zahlungen an Zulieferer und Mitarbeiter systematisch zu verzögern. Nach Aussage von Sprachlehrern, die seit mehr als fünfzehn Jahren für das Unternehmen arbeiten, sollen ausgehende Zahlungen zwei Monate und länger rausgezögert werden, während eingehende Zahlungen in kürzester Zeit reklamiert werden. Spesenabrechnungen von Mitarbeitern werden über Monate hinweg nicht beglichen.

Demnach existiert bei BAYER eine eigene Arbeitsgruppe, die sich mit der Verzögerung ausgehender Zahlungen beschäftigt. Consulting-Firmen sollen von BAYER angehalten werden, einer Bezahlung von Rechnungen erst nach 90 Tagen zuzustimmen. Durch die Maßnahmen würde BAYER jährlich mehrere hunderttausend Euro einsparen.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Das von den freien Mitarbeitern geschilderte Vorgehen ist nicht zu tolerieren. Ein hochprofitables Unternehmen wie BAYER muss Forderungen von Angestellten und Zulieferern umgehend begleichen. Wir verurteilen zudem das Klima der Angst, das bei BAYER augenscheinlich herrscht: Kritik darf nicht die Drohung eines Rausschmisses nach sich ziehen.“ Der Coordination gegen BAYER-Gefahren werden seit den 80er Jahren immer wieder Berichte über scheinselbständige Beschäftigungsverhältnisse und verspätete Zahlungen bei BAYER zugespielt. „Dieses System wurde in den letzten Jahren offenbar perfektioniert“, so Mimkes weiter.

Im folgenden veröffentlichen wir ein Interview, das die Coordination gegen BAYER-Gefahren mit zwei Sprachlehrern führte, die seit vielen Jahren bei Schering bzw. Bayer Schering beschäftigt sind. Die Namen wurden geändert.

Herr Fox, Herr Chirico, Sie arbeiten seit langem als Sprachlehrer, zunächst für Schering, nun für Bayer Schering. Hat sich das Betriebsklima durch die Übernahme sehr verändert?

Peter Fox: Bei Schering blies ein laues Lüftchen, bei Bayer weht einem die scharfe Brise mitten ins Gesicht. Für uns Trainer entwickelte sich die Zeit nach der Übernahme zu einer rasanten Achterbahn-Fahrt, die jetzt schon mehrere Jahre andauert. Immer stand die Frage im Raum: Werden wir abgewickelt oder bleiben wir als Abteilung erhalten? Immer öfter wird einem das Gefühl vermittelt, dass man als Mitarbeiter total austauschbar ist. Immer öfter und unverhohlener wird gedroht mit Arbeitskräften, die die gleiche Arbeit für weniger Geld erledigen. Bei ihrem Abschied sagten mir neulich Kollegen von Fremdfirmen, die entlassen wurden: „Die andere Firma war einfach noch billiger, als wir es schon sind!“

Und das Honorar?

Peter Fox: Tja, das Honorar... Kollegen, die schon sehr lange bei Schering/Bayer sind, erzählen, dass sie mit 60 Mark pro Unterrichtsstunde angefangen haben. Das war damals ein extrem hoher Stundensatz!
Jetzt, nach zwanzig Jahren fast ohne Honorarerhöhung, verdienen wir gerade mal 2 Euro mehr, - dies aber auch nur, weil sich verschiedene Kollegen vehement für eine Honorarerhöhung eingesetzt haben. Die Inflation hat diese 2 Euro aber schon längst wieder aufgefressen.
Von den 33 Euro gehen anteilig die Beiträge für die Einkommenssteuer, die Krankenkasse und die Rente/Lebensversicherung ab. Die Krankenkasse ist für uns sehr teuer, weil wir natürlich als Selbständige keinen Arbeitgeberanteil bekommen und alleine für die ganze Summe aufkommen. Dies gilt auch für die Rente bzw. Lebensversicherung.
Anders als in der Sprachschule können wir Trainer auch kein „Standardprogramm“ anbieten; der Unterricht soll optimal auf die Kursteilnehmer zugeschnitten sein. Das erfordert oft eine extrem hohe Vorbereitungszeit, die uns aber nicht extra vergütet wird. Einmalig pro Kurs von 30 Stunden bekommt man zwar eine Kurspauschale von 80 Euro, die aber für die Dokumentation der Kursinhalte bestimmt ist.
Auch lange Wege innerhalb der Firma von einem Büro zum anderen werden nicht bezahlt; längere Anfahrtswege zu anderen Werken oder zu Kursteilnehmern nach Hause werden maximal mit 2 oder 3 Euro pro Fahrt vergütet. Man ist dann manchmal zwei Stunden unterwegs, um 90 Minuten Unterricht zu halten. Hinzufügen möchte ich noch, dass Schering und auch Bayer großen Wert auf gut ausgebildete Trainer legt, d.h. wir haben alle ein Universitätsstudium absolviert. Das alles hat zur Folge, dass sehr beliebte und erfahrene Trainer resignieren und entweder die Firma ganz verlassen, oder nur noch wenige Kurse übernehmen.
Man gewinnt immer mehr den Eindruck, dass es Bayer nicht darum geht, beliebte Trainer zu halten, sondern nur noch darum, dass das Personal möglichst „unauffällig“ und billig seiner Arbeit nachgeht.

Wir wissen von Ihnen, dass es jetzt ein Problem mit der Überweisung des Honorars gab...

Sergio Chirico: Ja, das stimmt! Wir mussten acht Wochen lang auf unser Honorar für den Juli warten. Das war für uns völlig unvorhersehbar und hat uns eiskalt erwischt. Auf das Geld für den August haben wir sechs Wochen gewartet. Mal sehen, wo und ob es sich einpendelt. Exakte Informationen zu diesem Thema haben wir seit Ende Juli bis jetzt nicht bekommen.
Dass wir auf das Juli-Geld so lange warten mussten, kam vielleicht dadurch zustande, dass wir ein besonderes Schreiben von der Einkaufsabteilung bekommen haben. Jeder Trainer wird „eingekauft“, bekommt eine Rahmenbestellnummer und man bestellt uns wie aus einem Katalog. In dem Brief wurde uns unsere Bestellnummer mitgeteilt und am Ende des Briefes stand ein für uns ganz neuer Passus zum Thema „Zahlung“. Für die Chefs unserer Abteilung war der Passus offensichtlich auch ganz neu.

Was genau stand in dem Schreiben, das Sie bekommen haben?

Sergio Chirico: „Zahlung bei Rechnungseingang bis zum 15. des Monats bis zum 16. des Folgemonats ohne Abzug bei Rechnungseingang bis zum Ende des Monats bis zum 2. in 2 Monaten ohne Abzug“.
Ja, an diesem Satz kann man sich echt die Zähne ausbeißen! Wir haben lange darüber gerätselt, was dies bedeuten könnte... und keiner kann es uns bis heute erklären, sagt man uns jedenfalls. Diese acht Wochen Verzögerung waren eine harte Zeit und für viele die reine Verzweiflung: Kollegen mussten ihre Sparkonten auflösen, wenn sie überhaupt welche hatten; Kollegen, die einen Kredit aufgenommen hatten, konnten den Kredit nicht mehr tilgen; zwei Kollegen haben bei einem Kredithai ein Darlehen beantragt, das sie jetzt 19% Zinsen kostet.
Bayer soll durch die verspäteten Überweisungen unserer Honorare rund 800.000 Euro im Jahr einsparen, erzählt man sich.

Gibt es Anzeichen dafür, dass Bayer die Zahlungen systematisch verzögert?

Peter Fox: Ja, die gibt es. Von mehreren Mitarbeitern/Schülern und Kollegen habe ich gehört, dass es bei Bayer eine spezielle Arbeitsgruppe geben soll, die sich nur damit beschäftigt, wie lange Bayer Zahlungen hinausschieben kann und wie schnell Bayer Einnahmen verlangen kann: hinausschieben bis zwei Monate und verlangen in zehn Tagen. Kapital muss schließlich arbeiten.
Es ist auch bekannt, dass neuerdings manche Consulting-Firmen einen Vertrag unterschreiben sollen, in dem sie zustimmen, dass eine Rechnung ihrer Firma erst nach 90 Tagen bezahlt wird.
Bekannt ist auch, dass viele Firmen gar nicht mehr für Bayer tätig werden oder liefern wollen, weil Bayer die Rechnungen viel zu spät bezahlt und kleinere Betriebe um ihre Existenz fürchten müssen oder schon ruiniert sind. Es soll wohl auch Firmen geben, die mittlerweile Vorkasse verlangen.
Mehrere Studenten aus ganz unterschiedlichen Abteilungen erzählen mir immer wieder, dass sie von Fremdfirmen angerufen werden, die auf ihr Geld warten und die sie dann weiter vertrösten müssen.

Haben Festangestellte ähnliche Probleme?

Peter Fox: Ja, der Zahlungstermin für die Gehälter wurde umgestellt, deshalb bekommen die Festangestellten ihre Gehälter später als noch zu Schering-Zeiten. Wenn Mitarbeiter auf Geschäftsreise gehen, müssen sie die Bayer-Kreditkarte benutzen und damit die anfallenden Rechnungen für Hotel, Restaurant etc. bezahlen. Die Mitarbeiter strecken die Ausgaben dann privat vor; Bayer bucht das Kreditkartenminus einmal pro Monat vom Privatkonto ab. Wirklich erstattet werden die Spesen dann oft erst nach acht Wochen. Das ärgert viele Leute sehr.

Hatten Sie auch früher schon Probleme mit den Überweisungen?

Sergio Chirico: (lacht)... ja, die gab es allerdings! Das kann man einfach so zusammenfassen: Ich bin 15 Jahre lang fast Monat für Monat meinem Geld hinterhergerannt. Wie ein Sisyphos! Fünfzehn Jahre: Was das heißt, das kann sich kein Mensch vorstellen! Das zermürbt auf Dauer. Das macht dich fix und fertig.
Es interessiert niemanden, ob ich pünktlich bezahlt werde oder nicht. Wenn es jemanden wirklich interessiert hätte, hätte er schon lange etwas dagegen unternommen.
Ich habe deswegen schon mehrere (!) Urlaube stornieren müssen und an Weihnachten wussten schon alle Freunde und Familienmitglieder, dass die Geschenke für sie erst später kommen würden. Das Geld für den Dezember war zwar immer für kurz vor Weihnachten versprochen, kam aber bestimmt zehn Jahre lang erst im Januar.
In der meisten Zeit fühle ich mich wie ein Bettler: betteln bei Bayer, dann betteln bei der Bank, dass sie dringende Überweisungen noch ausführt, und dann betteln bei den Freunden, dass sie mir noch Geld leihen. Wie demütigend das ist, kann man nur schwer in Worte fassen.
Die Visa-Karte wurde schon vor Jahren eingezogen, meine EC-Karte ist Anfang September gesperrt worden, weil so viele Wochen kein Geld eingegangen ist. Die Kosten von 10 Euro für die Sperrung muss natürlich ich übernehmen, Bayer nimmt das alles nur billigend in Kauf.
Normalerweise gehen wir selbst dann noch zur Arbeit, wenn wir schon den Kopf unter dem Arm tragen. Aber wenn Kollegen einmal richtig schwer krank werden und ein paar Monate ausfallen, dann sammeln wir Trainer untereinander für eine Karte ins Krankenhaus und einen Blumenstrauß. Wir haben auch schon Geld gesammelt, um eine Kollegin wenigstens ein bisschen finanziell unterstützen zu können. Bayer schickt in solchen Fällen keinen Blumenstrauß.

Gibt es Solidarität unter den Kollegen?

Sergio Chirico: Fast gar nicht. Es gibt kaum ein koordiniertes Vorgehen gegen diese Zustände. Wir haben keinen Betriebsrat, der sich für uns einsetzt, weil wir Selbständige sind. Und wir haben keine Gewerkschaft, an die wir uns wenden könnten.
Dadurch haben wir keinerlei Druckmittel. Wenn wir etwas fordern oder uns beschweren, ist das eine große Gratwanderung und natürlich auch sehr gefährlich und mit einem hohen Risiko verbunden. Wenn ich dieses Risiko näher beschreiben sollte, würde ich das Wort „Rausschmiss“ wählen.
Außerdem haben wir Trainer auch einen unterschiedlichen finanziellen Hintergrund: Ein paar von uns sind nicht so sehr auf das Geld und eine pünktliche Bezahlung angewiesen, weil die Partner feste Jobs haben und gut verdienen. Die große Mehrheit aber lebt von der Arbeit als Trainer.
Wir alle arbeiten übrigens nicht ausschließlich für Bayer, sondern auch für andere Sprachschulen, Firmen und Universitäten. Für viele ist Bayer aber die Haupteinnahmequelle. Vom Volumen her richten wir uns da nach dem Gesetz der „Scheinselbständigkeit“.

Wollen Sie mich aber jetzt nach diesem Interview nicht mal fragen, warum ich eigentlich immer noch für Bayer arbeite?

Warum arbeiten Sie eigentlich noch für Bayer?

Sergio Chirico: Der Job ist sehr interessant, abwechslungsreich, ist immer eine persönliche Bereicherung, bietet inhaltlich viele Freiheiten. Ich mag die Studenten sehr!

Die Fragen stellte Philipp Mimkes (Coordination gegen BAYER-Gefahren)

Antwerpen

CBG Redaktion

Presse Information vom 4. November 2009

BAYER-Werk Antwerpen:

Gewerkschaften lehnen Lohnkürzungen ab

siehe hierzu einen 9minütigen Film der Gewerkschaft (deutsch): http://www.youtube.com/watch?v=0-ll9IUQY1E

Die belgischen Gewerkschaften Algemeen Belgisch Vakverbond (ABVV) und ACV Energie-Chemie lehnen die vom BAYER-Konzern geforderten freiwilligen Lohnsenkungen in der Antwerpener Kunststoff-Produktion ab. Das Unternehmen verlangt eine Kürzung des Lohns um 10% oder eine entsprechende Verlängerung der Arbeitszeit. Hierdurch sollen Einsparungen von jährlich 9 Millionen Euro erreicht werden.

Levi Sollie, Vertrauensmann der ABVV im Antwerpener Werk: „BAYER Antwerpen hat im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn von 190 Millionen Euro verbucht. Vor diesem Hintergrund verlangen wir, dass das Management die Vereinbarungen zu Löhnen und Arbeitszeiten respektiert. Auch werden wir nicht zulassen, dass wir gegen die Kollegen im BAYER-Werk Uerdingen ausgespielt werden.“ Im Werk Krefeld-Uerdingen produziert BAYER ebenfalls Polycarbonate. „Die Vertrauensleute im Antwerpener Werk werden keiner sozialen Demontage zustimmen, wir werden weder zu Lohnsenkungen noch zu Arbeitszeitverlängerungen „Ja“ sagen. Es darf zwischen den einzelnen Werken keinen Wettkampf um die niedrigsten Löhne und die längste Arbeitszeit geben!“, so Sollie weiter.

Schon im Jahr 2007 hatte BAYER im Antwerpener Werk die damals gültigen Abmachungen mit der Belegschaft („Service Level Agreements“) aufkündigen wollen. Die Belegschaft wehrte sich mit einer Blockade des Werks und konnte hierdurch einen Bruch der betrieblichen Vereinbarungen durch die Werksleitung verhindern. Im Antwerpener Werk arbeiten insgesamt 880 Mitarbeiter.

Jan Pehrke vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Die Wirtschaftskrise darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden, nur damit BAYER weiter eine Kapitalrendite von über 20% einfahren kann. Wir kritisieren die sogenannten „Effizienz-Programme“, die in Wirklichkeit zu Arbeitsplatzvernichtung, der Zusammenlegung von Abteilungen und zu höherem Arbeitsdruck führen“. Der BAYER-Teilkonzern MaterialScience hatte seit Anfang Februar eine tarifliche Öffnungsklausel angewandt und die Arbeitszeit um 6,7% reduziert. Das Unternehmen war erst Anfang dieser Woche zur normalen tariflichen Arbeitszeit zurückgekehrt.

Trotz steigender Gewinne spart BAYER auch in der deutschen Polycarbonat-Produktion. So wurde Ende August die Schließung des Forschungslabors im Werk Krefeld-Uerdingen beschlossen. Knapp 130 Arbeitsplätze werden hierdurch in Krefeld wegfallen, auch 28 Auszubildende sind betroffen. Der Betriebsrat befürchtet nach der Ausgliederung der Granulatnachbehandlung und des Verkaufs der Thermoplastics Testing Center einen Ausverkauf des Werks.

weitere Informationen:
· Arbeiter blockieren BAYER-Werk in Antwerpen
· Rationalisierung trotz Rekordgewinn

[Bhopal] 25 Jahre Bhopal

CBG Redaktion

24. Oktober: Bhopal-Opfer in Leverkusen

25 JAHRE DANACH: DIE OPFER DER GIFTGAS-KATASTROPHE WARTEN WEITER AUF GERECHTIGKEIT

WER: Sanjay Verma, Safreen Khan und Rachna Dhingra
Überlebende, Opfer und Aktivisten der Bhopal-Katastrophe

Auf Einladung von amnesty international, dem britischen Bhopal Medical Appeal und der Coordination gegen BAYER-Gefahren kamen Opfer der Giftgas-Katastrophe von Bhopal nach Leverkusen-Opladen, um die bis heute bestehenden Probleme der Betroffenen öffentlich zu machen.

Sanjay Verma, Safreen Khan und Rachna Dhingra von der „International Campaign for Justice in Bhopal“ sind in einem umgebauten Bus unermüdlich auf Tour. Bis zum 25. Jahrestag am 2. Dezember besuchen sie sieben europäische Länder. Sie fordern Gerechtigkeit für die Opfer und Überlebenden der Bhopal-Giftkatastrophe. Sanjay Verma war sechs Monate alt, als er seine Eltern in Folge der Katastrophe verlor. Safreen Khan und ihre Familie wohnen bis heute in der Nähe des kontaminierten Fabrikgeländes. Rachna Dhingra stammt aus Delhi, erst vor wenigen Jahren ist die Menschenrechtsaktivistin nach Bhopal gezogen.

Bei dem verheerenden Giftgasunfall in der Pestizidfabrik der Firma Union Carbide (UCC) am 02.Dezember 1984 wurden tausende Menschen getötet. Hunderttausende wurden krank und gerieten durch das Unglück noch tiefer in Armut. 25 Jahre nach der Katastrophe ist das betroffene Gebiet noch immer verseucht. Die Opfer haben bis heute keinen angemessenen Schadensersatz erhalten.

Gemeinsam mit den Überlebenden und Aktivisten fordert Amnesty, dass die Opfer Wiedergutmachung erhalten, das Firmengelände gereinigt wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. „Das Unglück und der Umgang mit den Folgen von Bhopal werfen grundlegende Fragen nach der rechtlichen und ethischen Verantwortung von transnationalen Unternehmen auf“, sagt Michael Gottlob, Indien-Experte von Amnesty International Deutschland.

Unmittelbar nach dem Unfall unterstützte die Firma UCC zwar die Schadensbeseitigung, versuchte aber von Anfang an seine Schadensersatzpflicht zu begrenzen und verließ das Firmengrundstück, ohne es zu reinigen und die giftigen Überreste zu entsorgen. 2001 wurde UCC ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der US-Firma Dow Chemical Company (Dow). Dow hat wiederholt öffentlich erklärt, keine Verantwortung für die Bhopal-Katastrophe und die Folgen zu tragen.

Das „Schwester-Werk“ von Bhopal steht im US-Bundesstaat West Virginia, es gehört seit sieben Jahren zum BAYER-Konzern. Erst vor zwei Monaten erklärte sich BAYER bereit, die hochgefährliche Lagerung des in Bhopal ausgetretenen Giftgases MIC zu beenden. Im vergangenen Jahr war es zu einem schweren Unfall mit Todesfolge in dem Werk gekommen.

Die Betroffenen möchten mit der Bevölkerung – gerade auch in Leverkusen, in der Nähe eines großen Chemiewerks – diskutieren. In dem Bus können Filme aus Bhopal gezeigt werden.

Alle Infos zur Bhopal Bustour (engl.): http://www.bhopalbus.com

Informationen zum Bhopal-Schwesterwerk in den USA

Bus erinnert an Giftgasexplosion im indischen Bhopal

Katastrophe ohne Ende

Von Annika Franck

WDR.de -- Sauberes Trinkwasser, medizinische Versorgung und ein Leben ohne Gift: Für die Opfer der Katastrophe in Bhopal ist das bis heute keine Selbstverständlichkeit. Der Bhopal-Bus tourt durch Europa, um auf die Katastrophe nach der Katastrophe aufmerksam zu machen.
Es ist fast 25 Jahre her: In der Nacht zum 3. Dezember 1984 ereignete sich ein Vorfall, der als eine der schlimmsten Industrie- und Umweltkatastrophen aller Zeiten gilt. Im nordindischen Bhopal explodierte ein Gastank mit Methylisocyanat1 (MIC) in der Pestizid-Fabrik des amerikanischen Chemieriesen Union Carbide Corporation. Innerhalb der ersten drei Tage nach der Katastrophe starben nach offiziellen Angaben 3.000 Menschen, weil sie der Giftgaswolke ausgesetzt waren. Immer noch ist die Zahl der Opfer ungewiss: Zwischen 100.000 und 600.000 Menschen sollen noch heute an chronischen Erkrankungen leiden. 15.000 Menschen sind offiziell nach dem Giftgasunglück gestorben, inoffizielle Schätzungen gehen von bis zu 30.000 Toten aus.

30.000 Menschen trinken verseuchtes Wasser
„Wir sind hier, um an die größte Industriekatastrophe aller Zeiten zu erinnern“, erklärt Rachna Dhingra von der International Campaign for Justice in Bhopal. Sie steht am Samstag (24.10.09) mit dem Bhopal-Bus in der Fußgängerzone von Leverkusen-Opladen, um angesichts des nahenden 25. Jahrestags des Unglücks auf die Katastrophe nach der Katastrophe aufmerksam zu machen. „Mehr als 23.000 Menschen sind an den Folgen gestorben, mehr als 500.000 Menschen waren den giftigen Stoffen ausgesetzt, mehr als 30.000 Menschen trinken noch heute verseuchtes Wasser“, sagt die indische Aktivistin. „Bisher sind weder einzelne Personen noch Unternehmen dafür ins Gefängnis gegangen, obwohl viele Menschen gestorben sind und verletzt wurden.“ Bhopal sei demnach nichts, was vor 25 Jahren passierte - es geschehe noch immer.
Neben der International Campaign for Justice in Bhopal und dem britischen Bhopal Medical Appealist auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International an der Aktion beteiligt, die durch sieben europäische Länder führt. Gerade in Deutschland, so haben die Aktivisten festgestellt, wissen viele Menschen wenig oder gar nichts über die Katastrophe vom Dezember des Jahres 1984.

Opfer erzählen eigene Leidensgeschichte
„Meine beiden Eltern wurden dem Gas nach der Explosion ausgesetzt“, erzählt Safreen Khan. Sie lebt mit ihrer siebenköpfigen Familie in dem Gebiet, in dem noch heute das Grundwasser verseucht ist. „Mein Vater hat seit der Katastrophe Herzprobleme, meine Mutter ist fast erblindet, meine Geschwister leiden an unterschiedlichen Hautkrankheiten und haben Magenprobleme. Meine jüngere Schwester und ich geraten schnell außer Atem, wenn wir unsere Schultaschen tragen“, sagt die schüchterne 17-Jährige. Geld für den Umzug in unverseuchte Gebiete hat die Familie nicht.
An Bord des Bhopal-Busses ist auch Sanjay Verma. Der 25-Jährige hat fast seine gesamte Familie bei der Giftgaskatastrophe verloren, wuchs in einem Waisenhaus auf. „Wir lebten direkt gegenüber der Fabrik, 150 Meter entfernt. Drei meiner Schwestern, zwei Brüder und meine Eltern starben in der Nacht. Meine Schwester, mein älterer Bruder und ich waren die einzigen Überlebenden.“ Auch Sanjay, der bei dem Unglück erst sechs Monate alt war, muss heute Medikamente nehmen. „2005 hatte ich einen Schlaganfall, was für Menschen in meinem Alter ungewöhnlich ist, meinen die Ärzte.“ Ob das Giftgas direkte Ursache seiner gesundheitlichen Probleme ist, können die Mediziner aber nicht sagen.

Schlechte medizinische Versorgung
Nach der Explosion herrschte Chaos. Es gab keine Katastrophenpläne, die Krankenhäuser waren völlig überfüllt, die zu wenigen Ärzte hatten keine Ahnung, was MIC im menschlichen Körper anrichtet, Union Carbide blieb tagelang sprachlos. Wer dem tödlichen Giftgascocktail ausgesetzt war, litt unter Atemlähmung, es kam zu Herzstillstand oder zur Verätzungen der Augen und Lungen. In den Folgejahren litten die Betroffenen vor allem an Lungenerkrankungen, Krebs, Unfruchtbarkeit. Babys kamen mit schweren Missbildungen zur Welt. Zur unzureichenden medizinischen Versorgung kommt der Mangel an psychologischer Betreuung: Viele Traumata blieben bis heute unbewältigt.

Bayer produziert hoch giftiges Gas
Dass die Aktivisten gerade in Leverkusen, in unmittelbarer Nähe zum Bayer-Werk, einen Busstopp einlegen, ist kein Zufall. Denn auch Bayer betreibt im US-amerikanischen West Virginia, in der Stadt Institute, ein Werk, in dem MIC hergestellt wird. „Das ist das gleiche Gift wie in Bhopal“, erinnert Aktivistin Dhingra. 2008 kam es in den USA zu einem schweren Unfall, bei dem zwei Arbeiter ums Leben kamen. Nur 20 Meter vom MIC-Tank entfernt explodierte ein Rückstandsbehälter. Eine Untersuchung des US-Kongresses kam zu dem Ergebnis, dass es zu einer schlimmeren Katastrophe als in Bhopal hätte kommen können. Inzwischen hat Bayer angekündigt, die MIC -Produktion in Institute um 80 Prozent zu reduzieren.
Zwar bedauert Union Carbide (heute Dow Chemicals) den Vorfall vor beinahe 25 Jahren. Doch zur Verantwortung gezogen wurde bis heute niemand. Bis heute ist das Gebiet der ehemaligen Fabrik mit Giftmüll kontaminiert. Der damalige Manager der indischen Fabrik, Warren Anderson, wird zwar in Indien per Haftbefehl gesucht. Er war zwar dort festgenommen worden, kam aber nach Zahlung einer Kaution frei und floh in die USA. Noch heute lebt er zurückgezogen in Florida.

[gallery]

[Yasmin] Antibaby-Pillen

CBG Redaktion

22. Oktober 2009
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Yaz/Yasmin: Swissmedic bestätigt erhöhtes Embolie-Risiko

Präparate bleiben jedoch auf dem Markt / „Entscheidung unverständlich“

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren bezeichnet die heute veröffentlichte Entscheidung der Aufsichtsbehörde Swissmedic, die Kontrazeptiva Yaz und Yasmin auf dem Markt zu belassen, als „nicht nachvollziehbar“. Die Schweizer Behörde urteilte, die Kontrazeptiva seien „im Risikobereich anderer Präparate“. Dies sei widersprüchlich, da Swissmedic zugleich die Ergebnisse jüngster Studien bestätigte, wonach Yaz und Yasmin das Risiko lebensgefährlicher Embolien gegenüber älteren Präparaten um 80% erhöhe.

Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG): „Eine Zunahme lebensgefährlicher Nebenwirkungen ist nicht hinnehmbar. Kontrazeptiva sollen verhüten, und das tun ältere Präparate mit einem geringeren Risiko ebenso gut. Es ist daher unverständlich, dass Swissmedic nicht mit einem Verbot reagiert hat - natürlich müsste dann auch die Zulassung von Kontrazeptiva der 3. Generation überprüft werden.“

In der heutigen Berichterstattung Schweizer Zeitungen wird festgestellt, dass „Yaz und Yasmin nicht gefährlicher sind als andere auf dem Markt erhältliche Präparate“. Tatsächlich schreibt Swissmedic aber wörtlich: „Im Direktvergleich wurde in beiden Studien gezeigt, dass Antibabypillen der 3. Generation gegenüber denjenigen der 2. Generation ein rund 2-fach erhöhtes Risiko aufweisen. Das Risiko, eine venöse Thromboembolie zu bekommen, liegt bei Einnahme von drospirenonhaltigen Pillen etwas tiefer als bei denen der 3. Generation.“ (Anmerkung: Yaz und Yasmin gehören zur sogenannten 4. Generation von Kontrazeptiva).

Damit bestätigt Swissmedic das Ergebnis der jüngsten Studien aus Holland und Dänemark, wonach Yasmin gegenüber älteren Präparaten ein um etwa 80% erhöhtes Thrombose-Risiko verursacht. Die beiden Studien zeigten, dass Frauen, die Pillen der zweiten Generation einnehmen, gegenüber Frauen ohne Pille ein 3,6-mal höheres Thromboserisiko haben. Die Risikoerhöhung bei Pillen der dritten Generation liegt jedoch deutlich höher - je nach Gestagen 5- bis 7-fach höher gegenüber Frauen ohne Pille. Für Drospirenon-haltige Präparate wiederum lag dieser Faktor bei 6,3. Damit wird die von dem Hersteller Bayer stets zitierte EURAS-Studie widerlegt, wonach Drospirenon-haltige Pillen ein vergleichbares Thromboserisiko hätten wie die Klassenbesten, die Pillen der zweiten Generation. Die EURAS-Studie war von Bayer Schering finanziert worden.

Jan Pehrke von der CBG: „Es ist empörend, dass neue Verhütungsmittel gefährlicher sind als alte, nur weil BAYER sie aus Profitgründen mit Versprechen wie „Gewichtsabnahme“ und „wirkt gegen Akne“ auf dem Lifestyle-Markt platzieren will.“ In den Werbekampagnen für Yasmin werden die Risiken mit keinem Wort erwähnt, das Marketing zielt in erster Linie auf Anwendungen wie Akne-Behandlung und Gewichtsregulierung ab. „Was Yasmin so gefährlich macht, ist genau der immer wieder beschworene „Figur-Bonus“. Denn indem das in Yasmin enthaltene Hormon Drospirenon Wassereinlagerungen entgegenwirkt, macht es zugleich das Blut zähflüssiger und steigert so die Embolie-Gefahr“, so Pehrke weiter.

weitere Informationen

Die Entscheidung von Swissmedic:

Swissmedic schliesst Überprüfung der Antibabypillen ab

22.10.09 - Antibabypillen, die den Wirkstoff Drospirenon enthalten, sind im Risikobereich der anderen auf dem Markt erhältlichen Präparate. Das Risiko für Frauen, eine venöse Thromboembolie zu bekommen, ist wie bei allen Antibabypillen im ersten Jahr der Einnahme am stärksten erhöht. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der Überprüfung von kombinierten oralen Kontrazeptiva, die das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic aufgrund von zwei neuen internationalen Studien seit Juni dieses Jahres durchgeführt hat. Nach Auffassung der Swissmedic sollten kombinierte orale Kontrazeptiva deshalb nur nach sorgfältiger Abklärung durch den Arzt verschrieben werden. Bei der Verschreibung von Antibabypillen, die den Wirkstoff Drospirenon enthalten und bei den Pillen der so genannten 3. Generation sollten Risikofaktoren von venösen Thromboembolien, wie genetische Veranlagung, Übergewicht und Rauchen, besonders beachtet werden. Liegt ein Risikofaktor vor, empfiehlt Swissmedic eine nicht-hormonelle Verhütungsmethode.
Seit Mai 2009 werden die Risiken der Antibabypillen in den Schweizer Medien intensiv diskutiert. Swissmedic informierte auf ihrer Homepage über die wichtigsten Fakten zum Risiko venöser Thromboembolien (VTE) http://www.swissmedic.ch/aktuell/00003/01095/index.html?lang=de. Gemeinsam mit ihrem Human Medicines Expert Committee führte das Heilmittelinstitut eine Analyse der aktuellsten Daten und Studien zu den Risikofaktoren durch. Dabei wurden besonders zwei neue epidemiologische Studien aus Holland und Dänemark vom August 2009 unter die Lupe genommen, die über ein erhöhtes VTE-Risiko im Zusammenhang mit dem Wirkstoff Drospirenon berichteten. Die Ergebnisse belegten, dass das Risiko mit steigendem Alter der Frau und höherem Östrogengehalt der Pille zunimmt. Im Direktvergleich wurde in beiden Studien gezeigt, dass Antibabypillen der 3. Generation gegenüber denjenigen der 2. Generation ein rund 2-fach erhöhtes Risiko aufweisen. Das Risiko, eine venöse Thromboembolie zu bekommen, liegt bei Einnahme von drospirenonhaltigen Pillen etwas tiefer als bei denen der 3. Generation.
Nach Abschluss dieser aktuellen Überprüfung wird Swissmedic die Resultate in die Arzneimittelinformation aufnehmen. Diese Informationen weisen ausführlich auf die notwendigen Vorsichtsmassnahmen hin. Frauen, die hormonell verhüten wollen, sollten die Risiken mit ihrem Arzt ausführlich besprechen.

Antibaby-Pillen

CBG Redaktion

19. Oktober 2009

Heute: TV-Berichte zu gefährlichen Antibaby-Pillen von BAYER

=> Wiso, ZDF, 19.25 Uhr
=> Markt, WDR, 21.00 Uhr

Die Einnahme neuerer Kontrazeptiva wie Yaz, Yasminelle und Yasmin ist mit einem erhöhten Thrombose- und Embolie-Risiko verbunden. Immer wieder kommt es zu schweren Zwischenfällen und Todesfällen.

Die TV-Magazine WISO (siehe http://wiso.zdf.de/ZDFde/inhalt/20/0,1872,7913044,00.html) und MARKT berichten heute über das Thema. In beiden Beiträgen wird Felicitas Rohrer interviewt. Frau Rohrer hatte im Juli nach der Einnahme von Yasminelle eine schwere Lungenembolie erlitten und fordert gemeinsam mit der Coordination gegen BAYER-Gefahren ein Verbot von Antibaby-Pillen mit erhöhten Nebenwirkungen.

Alle Infos zur Kampagne

[ZDF Bericht] Antibaby-Pillen

CBG Redaktion

ZDF, WISO, 19. Oktober 2009

Antibabypille unter Verdacht

Erhöhtes Thromboserisiko

Antibabypillen der dritten und vierten Generation sollen häufiger Blutgerinnsel hervorrufen, die Lungenembolien auslösen können. Seitdem die Pillen der vierten Generation im Jahr 2000 auf den Markt gekommen sind, starben allein in Deutschland sieben Frauen, die solche Präparate eingenommen hatten, an einer Lungenembolie oder ihren Folgen. Die Präparate stehen, genauso wie die der dritten Generation, seit längerem unter dem Verdacht, ein höheres Thromboserisiko mit sich zu bringen als frühere Antibabypillen-Präparate.

Neue Studien
Zwei neue Studien kommen zu dem Ergebnis, dass durch die Einnahme von Antibabypillen der dritten und vierten Generation ein erhöhtes Thromboserisiko besteht. „Die dritte Generation beinhaltet den Wirkstoff Desogestrel, die vierte Drospirenon und beide Stoffe bringen ein viel höheres Risiko für Thrombose gegenüber der älteren, zweiten Generation“, sagt Professor Frits Rosendaal von der Universität Leiden in den Niederlanden in WISO. Er hält die neueren Pillen deswegen für gefährlicher als die alten.

Nach seinen Erkenntnissen erhöht der Wirkstoff Drospirenon das Risiko der Blutgerinnselbildung um das Fünffache. In einer anderen Studie, die an der Universität Kopenhagen erstellt wurde, stellt Professor Ojvind Lidegaard ein doppeltes Risiko durch diesen Wirkstoff fest.

Hersteller zweifelt an Studien
Der Pharmakonzern Bayer-Schering, weltweit Marktführer bei Antibabypillen, zieht die Gültigkeit der Studien in Zweifel, weil sie zu unterschiedlichen Risikoeinschätzungen kommen. „Diese Punkte sowie weitere methodische Schwächen lassen die Validität der Studienergebnisse zweifelhaft erscheinen“, erklärt Bayer-Schering schriftlich gegenüber WISO.

Die deutsche Aufsichtsbehörde prüft wegen der Studien, inwieweit Patientinnen in Beipackzetteln auf erhöhte Risiken hingewiesen werden müssen. Ulrich Hagemann, Fachmann für Arzneimittelsicherheit beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), sagt in WISO: „Wir haben unmittelbar nach Publikation dieser Studien auf EU-Ebene in einer Arbeitsgruppe zur Arzneimittelsicherheit die Studien beraten und es wird eine Schlussfolgerung geben, welche Textänderungen in der Packungsbeilage zu machen sind.“

Schweiz prüft Pillen
Die Schweizer Aufsichtsbehörde Swissmedic will am 21. Oktober die Ergebnisse ihrer Überprüfungen sämtlicher Antibabypillen der jüngsten Generation vorlegen. Anlass sind mehrere Vorfälle in der Schweiz. Eine damals 16-Jährige erlitt nach nur vierwöchiger Einnahme der Drospirenon-Pille eine doppelseitige Lungenembolie. Heute, knapp zwei Jahre später, ist sie schwerbehindert, ein Pflegefall.

Ihre Mutter sagt in WISO: „Sie hatte keine anderen Medikamente eingenommen als die Pille und deswegen konnte man relativ schnell sagen, dass da mit ziemlicher Sicherheit die Pille der Verursacher der Lungenembolie ist.“ Das habe ihr die behandelnde Klinik schriftlich bestätigt. In der Schweiz verstarb erst Ende September eine andere Frau, die Antibabypillen der vierten Generation einnahm, an einer schweren Lungenembolie.

weitere Informationen

Seminar

CBG Redaktion
Tagung am Samstag, 7. November 2009:

Haste mal ´ne Billion? - Konzerne, Kapitalismus und die Krise

Referat von Prof. Rainer Roth zu den Ursachen der Wirtschaftskrise Referat von Jan Pehrke (Coordination gegen BAYER-Gefahren): „BAYER und die Krise“ Referat von Rainer Roth anhören: 1. Teil: http://www.nojobfm.de/2009-11-07-rainer_roth/2009-11-07-rainer_roth_cd1.m3u 2. Teil: http://www.nojobfm.de/2009-11-07-rainer_roth/2009-11-07-rainer_roth_cd2.m3u Zeit: 7. November, 9.30 – 17.30 Uhr Ort: Umweltzentrum Düsseldorf Veranstalter: Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. Nach dem Zusammenbruch des alten Finanzsystems schien es ausgemacht, dass die demokratische Kontrolle von Banken und Konzernen stark ausgeweitet werden muss. Doch ein Jahr später hat sich der Wind gedreht: die Allgemeinheit hat die Kosten des Crashs weitgehend übernommen. Im Bankenbereich bleibt es dank geschickter Lobbyarbeit bei kosmetischen Korrekturen. Und in der Öffentlichkeit werden die Hintergründe der Krise kaum noch diskutiert. Die Referenten werden die Ursachen des Finanz-Crashs analysieren, eine Kritik der bisherigen Reaktionen der Politik vornehmen und die Forderungen von Globalisierungskritikern darlegen. Außerdem sollen in der Tagung Handlungsperspektiven diskutiert werden. Doch auch eine selbstkritische Diskussion ist nötig: warum ist in der Bevölkerung bislang nur ein geringer Mobilisierungs-Schub zu beobachten? Wie kommt es, dass die Hintergründe der Krise im Bundestagswahlkampf fast keine Rolle spielten und ausgerechnet neoliberale Positionen ein Comeback erleben? Themen und Referenten: => Die Krise – welche Perspektiven ergeben sich für die Globalisierungskritik? Pedram Shahyar, Mitglied attac Koordinierungskreis => Finanz- und Wirtschaftskrise: Ursachen und „Lösungen“; Prof. Rainer Roth, Autor des Buchs „Sie kriegen den Karren nicht flott ..." => Rekorddividende und Lohnkürzungen - Das Krisenmanagement à la BAYER, Jan Pehrke (Journalist / Coordination gegen BAYER-Gefahren) vollständiges Programm unter: http://www.cbgnetwork.de/downloads/Jahrestagung2009.pdf ANMELDUNG: e-Mail an CBGnetwork(at)aol.com weitere Infos: Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) Tel 0211 - 33 39 11 Fax 0211 - 33 39 40

CO Pipeline stoppen!

CBG Redaktion

13. Oktober 2009, Rheinische Post

„Bayer schadet Standort NRW“

Mettmann/Erkrath (RP) Die CDU-Landtagsabgeordneten aus dem Kreis Mettmann werfen Bayer grobe Fehler und Unprofessionalität beim der Bau der CO-Pipeline vor. Der Konzern selbst sei Schuld, dass die Leitung nie akzeptiert werden wird.

Bayer selbst ist dafür verantwortlich, dass die entlang der Trasse der CO-Pipeline lebenden Anwohner die Leitung „nicht akzeptieren und niemals akzeptieren werden“. In einem gehharnischten offenen Brief an Bayer-Chef Werner Wenning nehmen die vier Landtagsabgeordneten der CDU aus dem Kreis Mettmann jetzt Stellung und verwahren sich gleichzeitig gegen den Vorwurf einer von Wenning beklagten „wachsenden Industriefeindlichkeit“.
In dem unter anderem von Marc Ratajczak (Wüfrath/Mettmann) und Harald Giebels (Erkrath/Mettmann) unterschriebenen Brief nennen die Abgeordneten als einen Grund für die fehlende Akzeptanz „unterlassene Informationen“ und eine für einen Weltkonzern wie Bayer „unprofessionell wirkende Kommunikation“.

„Augen zu und durch“
Trotz des erkennbaren Widerstandes der Bevölkerung und der Politik fehle jegliches Entgegenkommen des Konzerns, um konstruktive Lösungsvorschläge zu suchen. Die Devise von Bayer sei offensichtlich „Augen zu und durch“. Die Abgeordneten – außer Ratajczak und Giebels der Ratinger Wilhelm Droste und der Langenfelder Hans Dieter Clauser – hätten immer wieder Anstrengungen unternommen, um die Ängste und Nöte der betroffenen Menschen deutlich zu machen.
Wenning scheine über den Sachverhalt nicht ausreichend informiert, so die CDU-Abgeordenten. Anders sei die Aussage Wennings nicht zu verstehen, dass nur „kleine lokale Gruppen und Kommunalpolitiker“ besorgt seien. Die Landespolitiker halten in ihrem Schreiben dagegen, dass nicht nur alle zehn Bürgermeister aller kreisangehörigen Städte, der Landrat und alle Landtagsabgeordneten aus dem Kreis dieser „falschen Behauptung“ entgegenstehen, sondern darüber hinaus inzwischen 103 000 Bürger, die mit ihrer Unterschrift ihre Ablehnung der Pipeline dokumentiert haben. Damit hätten bereits annähernd so viele Menschen gegen die CO-Leitung unterschrieben, wie der Bayer-Konzern Mitarbeiter habe. Bürger und Politik im Kreis Mettmann stünden geschlossen und mit großem Engagement gegen die Inbetriebnahme der CO-Pipeline.
Nicht die Bürger und die Politiker aus dem Kreis Mettmann würden den Wirtschaftsstandort NRW beschädigen, sondern das „mehr als kritikwürdige Vorgehen Ihres Konzerns“. Wenn der Vorstandsvorsitzende andererseits Verlässlichkeit für die Industrie fordere, so befremde dies sehr. Habe doch Bayer „vielfach und wiederholt nachweislich mit Wissen und Wollen gegen Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses verstoßen“. Die Abgeordneten beziehen dies unter anderem auf die Bauausführung trotz fehlender Kampfmittelfreigabe, auf die Verwendung dünnerer Rohre und schmalerer Schutzmatten. VON JÜRGEN FISCHER

Alle Informationen zur CO-Pipeline

Ausgliederungen

CBG Redaktion

Presse Information vom 12. Oktober 2009
Coordination gegen BAYER-Gefahren

„BAYER-Wurzeln sterben ab“

Agfa, Dynevo und jetzt DyStar und Tanatex: immer länger wird die Liste der vom BAYER-Konzern abgespaltenen Firmen, bei denen Mitarbeiter entlassen oder die in die Pleite getrieben werden. Beim Farbstoffproduzenten Dystar bangen aktuell 3000 Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze - dabei gehörten die Foto- und Farben-Chemie im 19. Jahrhundert zu den Wurzeln der deutschen Chemieindustrie. Zu den Ursachen des Niedergangs interviewten wir den Chemiker Dr. Hauke Fürstenwerth, ehemaliger Forschungsleiter bei BAYER und Autor des Buchs „Geld arbeitet nicht - wer bestimmt über Geld, Wirtschaft und Politik?“.

Frage: Herr Fürstenwerth, DyStar war der Zusammenschluss der Farben-Chemie von BAYER, Hoechst und BASF, also den drei IG Farben-Schwestern. Wo liegen die Ursachen für die Pleite des Unternehmens, das unter wechselnden Namen fast 150 Jahre lang Farbstoffe produziert hat?
Antwort: DyStar war einem harten Wettbewerb ausgesetzt, den man allein über Kosteneffizienz nicht gewinnen konnte. Man hätte sich vom reinen Rohstofflieferanten zum Systemanbieter weiterentwickeln und neue Geschäftsfelder erschließen müssen. Die hierzu notwendigen Investitionen hat der Finanzinvestor Platinum Equity nicht getätigt. Stattdessen hat man DyStar die Schulden aus dem Erwerb des Unternehmens aufgebürdet. Hoher Kostendruck und nicht tragbare Finanzschulden haben DyStar überfordert.

Frage: Wer den Schutz des BAYER-Konzerns verliert, muss mit dem schlimmsten rechnen. Wie ändern sich der Arbeitsalltag und die soziale Absicherung der Belegschaft nach einem Verkauf an einen Finanzinvestor?
Antwort: Die Sozialleistungen des verkauften Unternehmens werden auf das gesetzlich und tariflich vorgesehene Mindestmaß zurückgeführt. Die zu bedienenden Finanzschulden führen zu maximalen Personaleinsparungen, die Belastungen der verbleibenden Mitarbeiter werden bis hin zur Überlastung ausgereizt.

F.: Welche Auswirkungen hat die Pleite von Firmen wie DyStar, Agfa oder auch TMD Friction für Ihre Heimatstadt Leverkusen?
A.: Verheerende! Im Jahr 2000 hatte die Stadt Gewerbesteuereinnahmen von 100 Mio. Euro, nach der Steuerreform waren es in 2001 nur noch 36 Mio. Euro. Von diesem Einnahmeneinbruch hat sich die Stadt bisher nicht wieder erholt. Die Gewerbesteuereinnahmen verharren auf dem Niveau der frühen 1970er Jahre. 2006 hat die Stadt ihre finanzielle Misere mit einem vom Stadtrat beschlossenen Steuerverzicht von 100 Mio. Euro zu Gunsten von Finanzinvestoren der TMD Friction freiwillig weiter verschärft. Trotz massiver Einsparungen bei allen städtischen Ausgaben wird auf absehbare Zeit kein ausgeglichener Haushalt der Stadt möglich sein. Die Haushaltsplanungen der Stadt unterliegen dem Nothaushaltsrecht. Die Bezirksregierung in Köln gibt harte Einsparvorgaben vor, welche die Stadt einzuhalten hat.
Unternehmen wie DyStar, Agfa oder auch TMD Friction haben bedingt durch ihre hohen Finanzschulden bereits vor der Insolvenz keine Ertragssteuern mehr gezahlt. Weitere in Leverkusen tätige Unternehmen befinden sich ebenfalls im Besitz von Finanzinvestoren, u.a. Momentive Performance Material, Carcoustics, NoVaSep, Strauss Innovation, ATU. Deren Finanzschulden senken ebenfalls die Steuereinnahmen der Stadt. Der Substanzverlust ist in der gesamten Stadt mit Händen greifbar. Es läuft ein sozialpolitischer Erosionsprozess, ganze Stadtteile werden zu sozialen Brennpunkten. Ein Prozess, welcher auch am Standort Frankfurt der ehemaligen Hoechst AG in aller Schärfe zu beobachten ist. Die Hoechst AG ist komplett auf dem Altar der Finanzwirtschaft geopfert worden.

F.: Welche Rolle spielt bei dieser Entwicklung die Unternehmenssteuerreform von 2000, die von Heribert Zitzelsberger, einst Leiter der Steuerabteilung bei BAYER und später Staatssekretär im Finanzministerium, ausgearbeitet wurde?
A.: Die Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung folgte dem klassischen neoliberalen Dogma: lasst den Unternehmen das Geld und sie werden es zum Wohle aller investieren, ihre Geschäfte ausbauen und somit Arbeitsplätze schaffen. Ein Dogma, welches auch der Politik der neuen schwarz-gelben Regierung als Richtschnur gilt. Bisher gibt es allerdings keinen empirischen Beleg für den Erfolg dieses Ansatzes, weder bei uns noch in anderen Ländern. Die vielen Steuersenkungen für die Unternehmen haben deren Investitionstätigkeit nicht beflügelt. Seit Jahren ist die Nettoinvestitionsquote der deutschen Industrie rückläufig, daran haben auch die umfangreichen Steuergeschenke der Steuerreform 2000 nichts geändert. Dieses herrschende Dogma blendet die Tatsache aus, dass unter dem dominierenden Einfluss der Finanzwirtschaft die Unternehmen Gewinne im Finanzcasino abliefern statt in die Kreativität ihrer Mitarbeiter zu investieren.
Ein weiteres Ziel der Schröder-Regierung war die Zerschlagung der „Deutschland AG“. Es wurde behauptet, die enge Verflechtung von Banken und Unternehmen müsse aufgebrochen werden, um Wachstumskräfte frei zu setzen. De facto ging es um eine Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen. Seither müssen Einnahmen aus dem Verkauf von Unternehmen nicht mehr versteuert werden. Damit hat man ein Eldorado für Private-Equity-Fonds, den berüchtigten „Heuschrecken“, geschaffen. Das Geschäftsmodell dieser Fonds beruht darauf, den Erwerb von Unternehmen mit Krediten zu finanzieren, deren Zinsen und Tilgung man auf das erworbene Unternehmen ablädt. Die Liste der Unternehmen, welche auf diese Weise ausgesaugt wurden, ist lang. Sie umfasst neben vielen anderen wohlklingenden Namen auch Namen wie Grohe, Märklin, Wehmeyer, Woolworth, TMD Friction, und nun auch DyStar. Die Heuschrecken sind die Geldeintreiber für das globale Finanzcasino. Sie transferieren Geld aus den Unternehmen ins Casino. Die Steuerreform 2000 hat diese Geschäftspraktiken enorm gefördert. Die Zeche zahlen Unternehmen und deren Mitarbeiter.

F.: Ist eine mittelgroße Stadt wie Leverkusen den globalen Finanztransaktionen multinationaler Unternehmen eigentlich gewachsen?
A.: Wenn sie durch entsprechende politische Rahmengesetzgebung geschützt wird: ja. Wenn man sie aber gemäß der Auffassung vom ehemaligen Vorsitzenden der Grünen, Joschka Fischer, man könne keine Politik gegen die Finanzwirtschaft machen, im Regen stehen lässt: nein. Leider hat sich Fischers Auffassung parteiübergreifend in der Politik durchgesetzt. Und wenn man dann noch wie die Stadt Leverkusen es im Falle TMD Friction getan hat, Heuschrecken mit Steuergeschenken belohnt, wird sie vom Opfer zum Täter.

F.: Sie waren lange Forschungsleiter bei BAYER. Was denken Sie, wenn Sie die Plakate der jüngsten Imagekampagne „Leverkusen und BAYER. Ein starkes Team“ sehen?
A.: Bitte erfüllt dieses Motto wieder mit Leben! Nehmt es euch zum Vorbild, dass BAYER einmal mit freiwilligen Steuervorauszahlungen Infrastrukturprojekte der Stadt wie den Südring oder auch umfangreiche Kultur- und Sportprojekte finanziert hat. Placebos wie publicity-wirksame Spenden an Schulen und Kindergärten, so gut gemeint sie auch sind, sind kein adäquater Ersatz.

F.: BAYER hat im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn eingefahren. Trotzdem nehmen die Probleme der Belegschaft durch die ständigen Ausgliederungen, Rationalisierungsprogramme und Betriebsschließungen immer mehr zu. Wie kann die soziale Sicherheit der Mitarbeiter zurückgewonnen werden?
A.: Nur indem das Management sich mit konkreten Leistungen zu seinen Mitarbeitern bekennt. Vordergründige Verweise auf Wettbewerb und Globalisierung dürfen nicht als Vorwand für Sozialabbau missbraucht werden.

F.: Könnte sich BAYER den Forderungen der Finanzwirtschaft nach Eigenkapitalrenditen oberhalb von 20% eigentlich entziehen?
A.: Ja. Diese Kennzahl ist zwar zum politischen Kampfwort geworden, hat aber in der operativen Unternehmenspraxis kaum Bedeutung. Von 1994 bis 2006 haben die deutschen Unternehmen nach Angaben der Deutschen Bundesbank eine durchschnittliche Eigenkapitalrendite von knapp 32% erzielt. Spitzenreiter war der Einzelhandel mit 94%, Schlusslicht der Fahrzeugbau mit 5%. Dennoch ist der Einzelhandel weitaus renditeschwächer als der Fahrzeugbau. Nur arbeitet er mit einem vielfach höheren Fremdkapitalhebel und kann somit die Eigenkapitalrendite verbessern. Eigenkapitalrendite mit Fremdkapital, also Schulden, aufzubessern ist ein Markenzeichen von Hedgefonds. Deren Geschäft sind Wetten im Finanzcasino. Ein solches Gebaren sollte man nicht als Maßstab unternehmerischen Handelns nehmen.

F.: Meinen Sie, dass der Schrumpfungsprozess bei BAYER nun beendet ist oder glauben Sie, dass es zu weiteren Abspaltungen, z. B. im Kunststoffbereich, kommen wird?
A.: Wenn ich die Darstellungen des Unternehmens richtig interpretiere, ist die Optimierung des Geschäftsportfolios, also der An- und Verkauf von Geschäftseinheiten, weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensstrategie. Die hierbei erzielten Gewinne sind steuerfrei! Ein nicht zu unterschätzender Anreiz.

F.: Schon vor zwei Jahren, also vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, haben Sie vor Subprime Hypotheken und fehlenden Kontrollen der Finanzwirtschaft gewarnt. Die Kosten des Crashs werden nun zum großen Teil von der Allgemeinheit getragen. Was muss getan werden, um eine weitere Erosion des Sozialstaats zu verhindern?

A.: Erosion des Sozialstaats und Finanzkrise folgen der gleichen Ideologie: einem ungehemmten, nicht regulierten „survival of the fittest“, frei von jeder Verantwortung für Mitmenschen und Gesellschaft. Basierend auf den ideologischen Irrlehren von Friedman und Hayek hat man mit der Deregulierung der Finanzmärkte ein Monster geschaffen, welches das soziale Miteinander ruiniert. Es ist heute attraktiver, Wettgeschäfte im globalen Finanzcasino zu tätigen, als in reale Unternehmen zu investieren. Die Finanzwirtschaft hortet unglaubliche Geldmengen. Diese werden in Form von Wettgeschäften, bei denen kein Mehrwert generiert wird, zwischen den Spielern umverteilt. Damit die Illusion eines Wertzuwachses in diesem Casino aufrechterhalten werden kann, muss ständig Geld aus der Realwirtschaft nachgeliefert werden. Hierauf ist nicht nur die Steuergesetzgebung ausgerichtet, auch die Geschäftsstrategien der Unternehmen werden diesem Zwang unterworfen: ausschütten geht vor investieren. Staat und Sozialsysteme werden auf diese Weise ausgetrocknet. Das solidarische Fundament des Gemeinwesens wird gesprengt.
In „Geld arbeitet nicht“ habe ich belegt, dass die Kombination von Gier der Finanzmanager, deren ideologische Rechtfertigung durch den Neoliberalismus und dessen Umsetzung in praktische Politik das Gewinnstreben von der Realwirtschaft in die Finanzwirtschaft verlagert. Diese Kombination führt zur schleichenden Erosion der Sozialen Marktwirtschaft. Sie produziert systemische Arbeitslosigkeit, spaltet die Gesellschaft in reich und arm. Sie zerstört die solidarischen Grundlagen des Gemeinwesens. Hier muss angesetzt werden. Der Primat der Realwirtschaft gegenüber der Finanzwirtschaft muss wieder hergestellt werden. Dazu bedarf es eines tief greifenden Sinneswandels in Politik und Wirtschaft.
Fragen: Philipp Mimkes (Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.)

[CO Pipeline] CO Pipeline stoppen!

CBG Redaktion

Presse Info vom 10. Oktober 2009
Coordination gegen BAYER-Gefahren

Landesregierung leistet Rückendeckung

CO-Pipeline: BAYER geht in die Offensive

Der BAYER-Konzern geht - gestützt auf die Willfährigkeit der Landes- und der Bezirksregierung - in eine neue Offensive: „Wir halten an der CO-Pipeline fest!“ ist das Motto der soeben gestarteten millionenschweren Kampagne. Der Chemie-Multi zeigt sich entschlossen, die Pipeline durchzupeitschen. Trotz eines beim Oberverwaltungsgericht Münster anhängigen Verfahrens gegen die Pipeline; trotz zweier negativer Urteile des Verwaltungsgerichts in Düsseldorf; trotz hunderter fachlich und sachlich fundierter Stellungnahmen und Gutachten; trotz der großflächigen tödlichen Gefahren für mehr als Hunderttausend Anwohner; und trotz der seit Jahren anhaltenden Proteste. Der Konzern ist entschlossen, seine Profite zu sichern. Koste es, was es wolle.

In historisch einmaliger Weise steht dem Vorhaben eine außergewöhnlich starke Phalanx der Ablehnung entgegen. Der Protest geht über alle Parteigrenzen hinweg, bezieht alle Stadt-, Gemeinde- und Kreisräte entlang der Trasse ein, wird getragen von Ärzten, Sicherheitskräften, Katastrophenschutz und anderen, wird mit persönlich geleisteten Unterschriften von mehr als 100.000 Menschen aus dem betroffenen Gebiet unterstützt.

In ebenso historisch einzigartiger Weise stellte sich das Land NRW (vertreten durch die Bezirksregierung) hinter die BAYER-Pipeline und schloss einen „Gemeinnützigkeitsvertrag“, der dem Konzern unbefristet (!) bescheinigt, dass der aus rein betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus vorgenommene Bau der Pipeline „gemeinnützig“ sei.

Axel Köhler-Schnura, Vorstandsmitglied der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Mit der Bescheinigung der Gemeinnützigkeit für den BAYER-Konzern bricht die Landesregierung den von ihren Mitgliedern auf die Verfassung geleisteten Eid, der sie verpflichtet, ‚Schaden von Volk zu wenden‘. Zugleich verstößt sie gegen den Artikel 24 der Verfassung, der vorschreibt, dass der Schutz der Menschen Vorrang hat vor dem Schutz materiellen Besitzes. Die Landesregierung macht sich zu einem Sachwalter der BAYER-Profite. Noch dazu in höchst lächerlicher Weise.“ Zudem springt die Landesregierung mit einem „Persilschein“ BAYER in einem laufenden Gerichtsverfahren zur Seite. In dem vor dem Oberverwaltungsgericht anhängigen Verfahren gegen die Pipeline spielt nämlich genau die fehlende Gemeinnützigkeit eine zentrale Rolle.

Klar ist : Der Widerstand gegen die tödliche CO-Pipeline wird ausgebaut und verstärkt werden.

Alle Informationen zur CO-Pipeline

[Editorial] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

Repression ist leider eine Reaktion der vom Protest betroffenen staatlichen oder wirtschaftlichen Institutionen, die weder neu noch sonderlich verwunderlich ist. Und dennoch bewerten wir Gesellschaften danach, wie sie mit politischem Dissens umgehen und wie offen sie für Einspruch und Veränderungen sind. Während über mediale Inszenierungen die Niederschlagung von Protesten außerhalb Europas oder der USA teilweise skandalisiert wird – wenigstens das noch, so muss man fast sagen – applaudiert die Öffentlichkeit der stärksten Industrienationen der Verfolgung und Unterdrückung emanzipatorischer Bewegungen in den eigenen Ländern. Die Umweltbewegung und die Tierrechtsbewegung stehen dabei besonders am Pranger. Green Scare (Grüne Angst) nennen KritikerInnen in den USA bereits die Hatz der politisch-wirtschaftlichen Allianz auf Tierrechts- und UmweltaktivistInnen, angelehnt an den antikommunistischen Red Scare der McCarthy-Ära.
Auch heute werden politisch Andersdenkende zu Sondergruppen gemacht, diese überwacht, infiltriert, von innen zu zersetzen versucht und von außen bekämpft – erneut auch unter Zuhilfenahme eines Feindstrafrechts, das sich dezidiert gegen die politischen Partizipationsformen und teils sogar gegen die Ziele der Protestbewegungen richtet. Im Falle der Tierrechtsbewegung ist dies z. B. der bereits 1992 in den USA klammheimlich erlassene „Animal Enterprise Protection Act“, der nach 9/11 semantisch in „Animal Enterprise Terrorism Act“ (AETA) umgedeutet wurde, um noch größere Spielräume bei der Verfolgung von TierbefreiungsaktivistInnen zu haben.
„Ökoterrorismus“ ist das Stigma, das den betroffenen AktivistInnen einen Teil ihrer Grund- und Freiheitsrechte raubt. Als TerroristIn verurteilt werden kann jede Person in den USA, die versucht, einem Tierausbeutungsunternehmen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, gleich mit welchen Mitteln. Die Recherche, unter anderem die Sicherung von aussagekräftigen Schriftdokumenten und das Erstellen von Foto- und Videoaufnahmen zum Beispiel in einem Tierversuchslabor, kann laut AETA ebenso als terroristischer Akt gewertet werden wie das Verteilen von Flugblättern, wenn dies zum wirtschaftlichen Schaden der Unternehmen gereicht.
Deutlicher kann die Ökonomie ihre Macht zum Bestandsschutz und zur vollkommenden Immunisierung gegen sozialen Protest nicht ausdrücken. 2006 wurden sechs AktivistInnen der SHAC-Kampagne gegen das weltweit zweitgrößte Tierversuchsauftragslabor HUNTINGDON LIFE SCIENCES (HLS) nach diesem Gesetz zu Haftstrafen von bis zu 6 Jahren verurteilt – dafür, dass sie eine Kampagne gegen das Testlabor geführt haben. Die Kampagne, die in England begann und dort im Januar diesen Jahres Haftstrafen bis zu 11 Jahren für sieben AktivistInnen nach sich zog, richtet sich nicht nur gegen HLS, sondern weltweit auch gegen alle seine GeschäftspartnerInnen. Zu diesen gehören BAYER und andere Unternehmen, welche die Tierversuche in Auftrag geben.
Die Erfahrung, dass die Ökonomie im Zeichen wirtschaftlicher Umbrüche, die mit veränderten Legitimationserfordernissen wirtschaftlichen und staatlichen Handelns einhergehen, nun zu neuen Formen der Sozialkontrolle greift – im Moment: langjährige Wegsperrung der politischen DissidentInnen – sollte alle emanzipatorische Bewegungen veranlassen, gemeinsam Gegenstrategien zu entwickeln. Auch wenn die Wirtschaft nicht in allen Ländern etwas Vergleichbares wie den AETA wird durchsetzen können, der Wege gibt es viele, wie zum Beispiel England und jüngst auch Österreich zeigen. In dem Alpenland werden Anfang kommenden Jahres zehn TierrechtlerInnen aufgrund ihrer teils erfolgreichen Kampagnenarbeit wegen vermeintlicher „Bildung einer kriminellen Organisation“ (§278a StGB) vor Gericht stehen. Diese und ähnliche Gesetze eignen sich deswegen so gut als politisches Repressionsinstrumentarium, weil kein konkreter Tatvorwurf erbracht und keine Straftat nachgewiesen werden muss, sondern allein die behauptete Zugehörigkeit zu einer so genannten Risikogruppe für die Verfolgung ausreichend ist. Repression als Risikomanagement – auch das ist nicht verwunderlich in Zeiten der totalitären Ökonomie.

Dipl.-Soz.Wiss. Melanie Bujok ist langjährige Tierbefreiungsaktivistin und lehrt im Bereich der Human-Animal-Studies.

[Greenpeace] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

CBG im greenpeace magazin

„BAYER-Watch ist ein Fulltime-Job“

Das greenpeace magazin hat der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) anlässlich ihres 30-jährigen Dienstjubiläums einen ausführlichen Artikel gewidmet.

Von Jan Pehrke

„Der Pestizid-Weltmarktführer BAYER produziert hochgefährliche Chemikalien. Eine kleine Organisation überwacht die riskanten Geschäfte und alarmiert Öffentlichkeit und Behörden“ - so leitet das greenpeace magazin seinen „BAYER-Watch“ überschriebenen Artikel über die mittlerweile 30 Jahre währende Arbeit der CBG ein. Von der Gründung der Coordination 1978 nach einem „Störfall“ im Wuppertaler BAYER-Werk über den Einsatz gegen gesundheitsgefährdende Pestizide und Medikamente bis hin zu den aktuellen Auseinandersetzungen um Kohlekraftwerke und die Kohlenmonoxid-Pipeline skizziert der Text den Werdegang des Netzwerks. Und eine ihm beigestellte Liste mit den größten Unfällen beim Chemie-Multi von 1976 bis heute unterstreicht zusätzlich noch einmal die Dringlichkeit konzern-kritischen Engagements. „BAYER-Watch ist ein Fulltime-Job“, lautet deshalb das Resümee der Zeitschrift, die CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes dann auch gleich auf der Pirsch am BAYER-Stammsitz in Leverkusen ablichtete.

Beizeiten hat die CBG auch Job-Sharing betrieben und gemeinsam mit GREENPEACE Aktionen durchgeführt - „der altbekannte Gegner“ schreibt deshalb das greenpeace magazin über den Global Player. Näher kam man sich vor allem beim Kampf gegen BAYERs Dünnsäure-Einleitungen in die Nordsee. Dabei wirkte die Umweltschutz-Initiative wie ein Geburtshelfer der Coordination. Die 1982 und 1985 organisierten Blockaden in Leverkusen und Antwerpen brachten die CBG nämlich mit Gruppen aus vielen verschiedenen Ländern in Kontakt und zeigten, wie wichtig eine internationale Vernetzung ist. Eine Erfahrung, auf der die Coordination seither aufgebaut hat - sehr zum Leidwesen von BAYER.

Der Leverkusener Multi machte daher gegenüber dem greenpeace magazin auch wenig Anstalten, seine Einsilbigkeit in Sachen „CBG“ aufzugeben. Wie es die journalistische Sorgfaltspflicht verlangt, hatte die Zeitschrift den Pharma-Riesen um eine Stellungnahme zum Treiben seines langjährigen Begleiters aufgefordert, aber das Unternehmen rief nur die alten Textbausteine ab. „Die so genannte COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ist eine antiindustriell und antikapitalistisch ausgerichtete Protestgruppe, mit der ein Dialog nicht möglich ist“, konstatierte Konzern-Sprecher Dirk Frenzel in knappen Worten.

Der Artikel im vollen Wortlaut

[IGBCE] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Die IG BCE mit neuer Führung

Kuschelkurs 3.0

Neuer Mann, alte Politik: Michael Vassiliadis, der frisch gekürte Vorsitzende der INDUSTRIEGEWERKSCHAFT BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) setzt den unternehmerfreundlichen Kuschelkurs seiner Vorgänger Hubertus Schmoldt und Herrmann Rappe fort. Angesichts stetig sinkender Mitgliederzahlen schließt dies inzwischen die Gefahr des Untergangs der Gewerkschaft mit ein.

Von Paul Kranefeld-Wied

Kolleginnen und Kollegen, die den neuen IG BCE-Vorsitzenden in den 80er Jahren als Mitglied der Gesamtjugendvertretung der BAYER AG kennenlernten, berichten, schon damals habe der junge Gewerkschafter die Karriere fest im Blick gehabt. Der Förderung - zunächst durch den BAYER-Betriebsratsvorsitzenden Erhard Gipperich und dann durch den Gewerkschaftschef Hubertus Schmoldt - habe er sich immer sicher sein können.
Während andere junge Gewerkschafter oppositionelle Listen gründeten und die verstaubte Politik der ewigen Anpassung an die Unternehmerseite ablehnten, war Vassiliadis schon in jungen Jahren ein angenehmer Verhandlungspartner für die BAYER-Vorstandsriege. Auch die dürfte früh erkannt haben, dass da einer vom Schlage der Schmoldt und Rappe heranwächst, mit dem man immer werde „reden“ können. Öffentliche Förderung hat es gleichwohl nie gegeben, denn die wäre kontraproduktiv gewesen.
Bereits im Alter von 16 Jahren war Michael Vassiliadis 1980 Mitglied der IG BCE-Vorgängerin IG CHEMIE, PAPIER, KERAMIK geworden. Er absolvierte eine Lehre als Chemielaborant und war danach drei Jahre lang in diesem Beruf tätig. Bereits 1986 wurde er hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. Das dürfte auch eine Belohnung dafür gewesen sein, dass er erfolgreich den Versuch der IG Metall abwehrte, beim Kamera- und Filmproduzenten AGFA einzusteigen. Mit der kämpferischen Metaller-Gewerkschaft wäre die spätere Abwicklung der AGFA durch die BAYER AG sicher schwieriger geworden. Damals soll Hubertus Schmoldt nach Informationen der Tageszeitung Die Welt (11. 10. 2009) auf Vassiliadis aufmerksam geworden sein.
Vassiliadis wurde zunächst Sekretär der IG CHEMIE-PAPIER-KERAMIK in der Verwaltungsstelle Leverkusen, ab 1990 im Bezirk Nordrhein-Westfalen und von 1994 bis 1997 Geschäftsführer der Verwaltungsstelle in Leverkusen. In das Ende seiner Leverkusener Amtszeit fielen die bundesweit ersten Verhandlungen über den sogenannten Standortsicherungsvertrag, der 1997 abgeschlossen wurde. Inhalt des Vertrages waren weitgehende Zugeständnisse des Betriebsrats und der Gewerkschaft in puncto Flexibilität bei Arbeitszeit und -platz, beim Abbau nichttariflicher Lohnbestandteile und bei der Betriebsausgliederung. Im Gegenzug sicherte die BAYER AG zu, nicht betriebsbedingt zu kündigen. Diese damals völlig neue Vertragsform wurde hundertfach - nicht nur in der Chemiebranche - übernommen.
Vassiliadis verließ dann 1997 Leverkusen. Er wurde auf dem ersten Gewerkschaftstag der neuen IG BCE zum Vorstandssekretär gewählt und leitete in der Hauptverwaltung in Hannover die Abteilung „Vorsitzender/Personal“. Damit ist er bereits die rechte Hand von Schmoldt.
Dessen Kurs des Co-Managements wird Vassiliadis unbeirrt fortsetzen. Seine Haltung als rechter SPDler ist gefestigt. Als der Kapitalismus im Zuge der Krise in die Kritik geriet, antwortete Vassiliadis auf die Frage „Bekennen Sie sich zum Kapitalismus?“ folgendermaßen: „Ich bekenne mich zur sozialen Marktwirtschaft. Absolut. Und auch zu ihren innewohnenden Grundgesetzen. Wir werden weltweit kein anderes System finden, das den Wohlstand der breiten Bevölkerung besser entwickeln könnte. Und ohne die Dynamik der Marktwirtschaft wird es kaum gelingen, die großen Zukunftsfragen zu erfolgreich beantworten: Klima, Umwelt, Ernährung“.
Fraglich bleibt, ob der Kuschelkurs mit dem Kapitalismus der Gewerkschaft eine Perspektive bietet. Zum Kuscheln gehören bekanntlich zwei. Doch das Unternehmerlager zieht die Daumenschrauben immer weiter an; der „Verband der Chemischen Industrie“ (VCI) förderte mit der Einführung eines Tarifvertrags extra für Dienstleister die Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Chemie-Branche mit Stammbelegschaften auf der einen und deutlich schlechter gestellten Beschäftigten auf der anderen Seite. Das führte zu einem rapiden Mitgliederverlust der IG BCE. Die einstige Millionen-Gewerkschaft hat nur noch 690 000 Mitglieder - Tendenz sinkend.
Aber auch die Zugeständnisse, welche die Chemie-Multis bisher im Bereich der Kernbelegschaften machten, werden immer mehr abgebaut. Exemplarisch lässt sich dies an Vassiliadis’ alter Wirkungsstätte in Leverkusen verfolgen. Die alte „BAYER-Family“ ist dahin. Der Leverkusener Multi hat traditionsreiche Einrichtungen wie Kaufhäuser, Schwimmbäder oder Sportvereine etc. dichtgemacht oder „gesundgeschrumpft“. Große Teile der alten AG hat das Unternehmen ausgelagert. Die neuen Firmen gehören zwar noch zum Konzern, stehen jedoch großenteils nicht mehr unter dem Schirm der Chemietarife. Die Standortvereinbarungen sind immer weniger das Papier wert, auf dem sie stehen. Das betrifft vor allem den angeblichen Kündigungsschutz. Bereits jetzt ist es der Konzernspitze möglich, auch Mitglieder der Kernbelegschaft schrittweise aus dem Betrieb zu drängen. Und bezüglich der neuen Standortvereinbarung fordert der BAYER-Vorstand, dass der Kündigungsschutz auch formal fällt - noch wehrt sich die IG BCE.
Ein bedrohliches Signal ist auch die Regelung der Nachfolge des mächtigsten Mannes der deutschen Chemie-Industrie, des BAYER-Bosses Werner Wenning. Wie der neue Gewerkschaftschef ist auch Wenning gelernter Chemielaborant. Das heißt, die beiden kommen aus dem gleichen BAYER-Stall. Dass dies nicht unwichtig ist, konnte man beobachten, als vor drei Jahren die Sparte BAYER INDUSTRY SERVICES (BIS) komplett ausgelagert werden sollte. Nach zähem Widerstand der Belegschaft gab Wenning insofern nach, als extra für BIS ein neuer Chemietarif geschaffen wurde, der den Betrieb nicht völlig in die Rechtslosigkeit entlässt. Auch vom massiven Arbeitsplatzabbau sah der BAYER-Vorstand ab. Wenning, der bis heute mit Kollegen aus seiner Lehrzeit befreundet ist, konnte als bodenständiger BAYER-Mann wohl nicht anders.
Dieses Problem wird jetzt angegangen. Zum erstenmal in der Geschichte der BAYER AG holt man sich einen Konzernchef, der nicht von der Pieke auf bei BAYER gelernt hat. Der neue hat noch nicht einen Tag beim Pharma-Riesen gearbeitet. Es handelt sich um den gebürtigen Niederländer Marijn Dekkers, der ab dem 1. Oktober 2010 BAYER-Chef wird. Das dürfte es ihm leichter machen, sich von BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) zu trennen, wie es FinanzinvestorInnen seit Ausbruch der Wirtschaftskrise fordern. Eine Arbeitsplatzvernichtung in großem Ausmaß wäre die Folge.
Mit diesen für die gesamte Chemie-Industrie typischen Entwicklungen hat es der neue IG BCE-Chef zu tun. Sein erklärtes Ziel, neue Mitglieder zu gewinnen, ist unter diesen Umständen nahezu utopisch; es sei denn, die IG BCE begänne ähnlich wie die IG Metall, die vor allem junge Mitglieder gewinnt, einen kämperischeren Umgang mit den Unternehmern. Vassiliadis prägt in diesem Zusammenhang den Begriff „Zukunftsgewerkschaft“, den er sich sogar rechtlich hat sichern lassen. Doch ist kaum zu sehen, wohin diese Zukunftsgewerkschaft gehen soll. Vassiliadis‘ Einlassungen zu diesem Thema bleiben nebulös: „Eine Zukunftsgewerkschaft ist nicht statisch. Sie muss vorwärts denken, die gesellschaftlichen und technologischen Zukunftsfelder erkennen und analysieren, sich dann entscheiden, wo sie hingehen will und schließlich verantwortlich handeln. Das gilt beispielsweise für Arbeitswelt, Demografie und Technologie.“ Das kann alles und nichts bedeuten. Die IG BCE und ihr Vorsitzender stecken in einem massiven Dilemma. Bleiben sie beim Kuschelkurs, begeben sie sich in die Hände der Unternehmer. Und da ist es alles andere als kuschelig.

[Presserat] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Presserat lehnt CBG-Beschwerde ab

Ergebnis: unzuständig

Die Süddeutsche Zeitung hatte ein Interview mit der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nach einer Intervention von BAYER nicht gedruckt (SWB 3/09). Die CBG rief daraufhin den deutschen Presserat an, der allerdings wies die Beschwerde ab.

Von Jan Pehrke

Im letzten Jahr hatte die Süddeutsche Zeitung anlässlich des 30. Geburtstages der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ein Interview mit zwei Vorständlern geführt. Von der Entstehung der CBG im Jahr 1979 bis zu den aktuellen Auseinandersetzungen um Störfälle und die Kohlenmonoxid-Pipeline ging es dabei. Die Arbeitsweise der Coordination kam ebenso zur Sprache wie ihre Erfolgsbilanz und die Konzern-Kritik in Zeiten der Wirtschaftskrise. Nur lesen durfte es keine/r. BAYER intervenierte nämlich bei der Zeitung. Nicht einmal die Nachlieferung konkreter Belege für die in dem Gespräch gemachten Aussagen konnte die Verantwortlichen zu einer Veröffentlichung bewegen.

Die CBG schaltete daraufhin den deutschen Presserat ein. Dieser nahm die Eingabe auch zur Entscheidung an. Am 10. September 2009 beschäftigte sich der Beschwerdeausschuss mit der Sache. Zu einer Rüge der Süddeutschen Zeitung konnte er sich allerdings nicht durchringen. Das Gremium stellte das Verfahren wegen Unzuständigkeit ein. „Die Mitglieder sind übereinstimmend der Auffassung, dass die Entscheidung, ob ein redaktioneller Beitrag erscheint oder nicht, eine redaktionsinterner Vorgang ist und eine Zuständigkeit des Presserates nicht besteht“, lautete die Begründung.

Damit schlossen die VertreterInnen sich der Meinung des stellvertretenden Chefredakteurs der SZ an, der schon nicht einsehen mochte, warum der Beschwerdeausschuss sich überhaupt mit dem Fall beschäftigte. Es gehöre zum Redaktionsalltag, Texte nicht zu publizieren, gibt der Presserat seine schriftlichen Einlassung wieder, auch wenn Autor und Ressortleiter die Artikel für druckfertig hielten. Und im Übrigen wäre die Entscheidung aus verschiedenen Gründen gefallen, die alle nichts mit der von dem Beschwerdeführer behaupteten Intervention von außen zu tun hätten.

Und so bestätigte der Ausgang der „Beschwerdesache BK2-203/09“ aufs Schönste die Aussage des CBGlers Axel Köhler-Schura in dem SZ-Interview: „Allerdings hört beim Kapitalismus die Öffentlichkeit an der Werksgrenze auf“.

[Wasserverbrauch] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

NRW-Landesregierung plant Steuergeschenk

Wasserverbrauch der BAYER-Werke veröffentlicht

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren veröffentlicht erstmals die von den BAYER-Werken in NRW entnommenen Wassermengen. Der Verbrauch des Leverkusener Werks ist demnach doppelt so hoch wie der Trinkwasserbedarf der benachbarten Millionenstadt Köln. Trotz dieses gewaltigen Eingriffs in die Natur schafft die NRW-Landesregierung den sogenannten „WasserCent“ ab. Damit geht einer der wenigen Anreize zum Wasser sparen verloren.

von Philipp Mimkes

Die Fabriken von BAYER entziehen dem Boden enorme Mengen Grundwasser. An mehreren Standorten sank hierdurch der Grundwasserspiegel beträchtlich, so zum Beispiel in Wacken (Schleswig Holstein), wo sich der Boden absenkte und Schäden an Gebäuden entstanden. Das Wackener Wasserwerk versorgt das BAYER-Werk in Brunsbüttel (siehe Stichwort BAYER 4/2008).

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN erhielt nun über eine Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz Angaben zum Wasserverbrauch der fünf größten BAYER-Werke in Nordrhein-Westfalen (siehe Tabelle). Der jährliche Gesamtbedarf liegt demnach bei etwa 220 Millionen Kubikmetern Grund- und Flusswasser. Mit jährlich rund 130 Mio cbm hat das Leverkusener Werk dabei den höchsten Verbrauch. Das Monheimer BAYER-Werk verbraucht rund 50 Mio Kubikmeter. Zum Vergleich: die rund eine Million Einwohner von Köln benötigen nach Angaben des örtlichen Versorgers RheinEnergie etwa 57 Mio Kubikmeter Trinkwasser pro Jahr.

Besonders kritisch zu sehen ist daher der hohe Verbrauch von Grundwasser, welches in der Regel sauberer ist als Flusswasser. Während allein das Leverkusener Werk 85 Millionen cbm Grundwasser verbraucht, beziehen große Teile von NRW ihr Trinkwasser aus aufwändig gereinigtem Rheinuferfiltrat. BAYER besitzt für seine Werke „alte Wasserrechte„, die zum Teil bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen.

Harald Gülzow vom BUNDESVERBAND BÜRGERINITIATIVEN UMWELTSCHUTZ (BBU) kommentiert: „BAYER muss verantwortlicher mit den Grundwasservorräten umgehen. Deshalb ist dringend in Produktions- und Reinigungsprozesse zu investieren, bei denen keine Abwässer entstehen, sondern das Gebrauchswasser wieder in einem Kreislauf zurückgeführt und aufbereitet wird.“

Um einen Anreiz zu schaffen, den Wasserverbrauch zu senken, hatte die damalige NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn im Jahr 2003 ein Wasserentnahmeentgelt eingeführt – bis dahin hatte der Konzern keinerlei Gebühren für die gewaltige Wasserentnahme entrichtet. Der sogenannte WasserCent für entnommenes Grund- und Oberflächenwasser liegt je nach Nutzung zwischen 0,3 und 4,5 Cent pro Kubikmeter. Das jährliche Aufkommen in NRW in Höhe von 86 Millionen Euro wird etwa zur Hälfte von privaten Haushalten und der Industrie entrichtet. Die Einnahmen sind zweckgebunden, das Land finanziert damit Maßnahmen zum Gewässerschutz im Zuge der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie. BAYER, bzw. die BAYER-Tochterfirma CURRENTA, zahlte im vergangenen Jahr rund 4,6 Millionen Euro.

WasserCent abgeschafft
Die schwarz-gelbe Landesregierung beschloss nun, den WasserCent schrittweise abzuschaffen. Damit kommt die Regierung Rüttgers einer langjährigen Forderung der Industrie nach. So hatte BAYER-Chef Werner Wenning bereits vor der Einführung des WasserCent kritisiert: „Diese landesspezifische Regelung führt zu gesteigerten Produktionskosten und wirft den gesamten Wirtschaftsstandort NRW, insbesondere aber die chemische Industrie mit ihren wasser- und energieintensiven Betrieben, auch im Vergleich mit anderen Bundesländern, zurück." Im August diesen Jahres bezeichnete Wenning den WasserCent trotz der vergleichsweise geringen Summen erneut als „Investitionshemmer“, und forderte – parallel zur ermäßigten Ökosteuer für große Energieverbraucher – eine Entlastung. Auch der von der Landesregierung NRW eingeführte „Dialog Wirtschaft und Umwelt“, in dem BAYER und RWE (nicht aber die Umweltverbände) vertreten sind, hatte stets die Abschaffung gefordert.

Vor dem Hintergrund des hohen Wasserverbrauchs von BAYER kritisierten der BUND, die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und der BUNDESVERBAND BÜRGERINITIATIVEN UMWELTSCHUTZ die Entscheidung in einer gemeinsamen Stellungnahme. Paul Kröfges, NRW-Landesvorsitzender des BUND: „Aus der Sicht des BUND ist das Wasserentnahmeentgelt unverzichtbar, denn es stellt einen wichtigen Anreiz dar, Wasserentnahmen auf das unbedingt nötige Maß zu beschränken. Insbesondere für die Entnahme von Kühlwasser wäre im Gegenteil eine deutliche Anhebung der Abgabe erforderlich, um den erheblichen Auswirkungen der Erwärmung unserer Gewässer Rechnung zu tragen.“ Untermauert wird diese Ansicht durch eine aktuelle Studie des BUND, die die Erwärmung des Rheins dokumentiert und insbesondere die Belastungen durch die Kühlwassernutzungen darstellt.

Die Abschaffung des Wasserentnahmeentgelts wird auch die künftige Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie erschweren – entweder werden Projekte zum Gewässerschutz gestrichen, oder die Bürger werden über den Umweg anderer Steuermittel mit den erforderlichen Kosten belastet. Deutlich gerechter gewesen wäre es, die Verursacher der Gewässerbelastungen weitgehender in die Pflicht zu nehmen.

Die von BAYER entnommenen Wassermengen (in Kubikmeter/Jahr):

2008 - 2007 - 2006 - 2005
Werk Leverkusen
Rheinwasserwerk: 45.538.921 - 59.006.356 - 44.001.389 - 42.503.718
Grundwasser: 85.608.897 - 89.957.325 - 92.010.147 - 87.083.140
Werk Monheim 52.691.314 - 46.796.344 - 41.399.608 - 46.554.953
Werk Dormagen
Brunnen Worringen: 17.873.420 - 17.327.201 - 19.634.105 - 19.786.530
Brunnen Dormagen: 7.484.009 - 7.779.134 - 7.996.759 - 7.885.573
Werk Krefeld 3.047.057 (vorl.) - 16.625.913 - 16.966.824 - 16.472.239

[25 Jahre Bhopal] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

25 Jahre Bhopal

Vor 25 Jahren kam es im indischen Bhopal zum größten Chemie-Unfall der Geschichte. Eine solche Katastrophe könnte sich jederzeit wieder ereignen - auch bei BAYER, wie nicht zuletzt die Explosion in Institute am 28. August 2008 gezeigt hat.

Von Jan Pehrke

„Es war dunkel. Töne von Klagelauten, Schreien, Husten drangen herein ... Es gab viel Verkehr, ungewöhnlich für die Stadt zu diesem Zeitpunkt. Ich stand auf, machte das Licht an und ging zum Fenster. Die Töne schwollen an, es hörte sich an, als ob ein Kind sanft vor sich hin weinen würde, nur elektronisch verstärkt. Ich schob den Vorhang zurück und spürte einen Knall, irgendetwas Unsichtbares gelangte in den Raum. Meine Augen begannen zu brennen und zu tränen. Ich brauchte Luft ...“ - mit diesen Worten beschrieb der Inder Ashay Chitre die Unglücksnacht vom 3. Dezember 1984.

Ausgelöst wurde die Katastrophe in dem Pestizid-Werk von UNION CARBIDE CORPORATION (UCC), das zu diesem Zeitpunkt gar nicht in Betrieb war, durch Wasser. Die Flüssigkeit sickerte in einen mit der Chemikalie Methylisocyanat (MIC) gefüllten Tank ein und löste eine chemische Reaktion aus. Dabei erhöhte Kohlendioxid den Innendruck so stark, dass das Behältnis explodierte. 25 bis 40 Tonnen MIC und andere Reaktionsprodukte bildeten eine Gaswolke, die sich über das die Fabrik umgebende Elendsviertel legte. In der so genannten Nacht des Massakers (indisch: Quatl-ki-raat) starben ca. 8.000 Menschen. Hunderttausende erlitten Vergiftungen, die zu Hirnschäden, Lungenkrankheiten, Unfruchtbarkeit, Lähmungen, Herz-, Magen-, Leber- und Nierenleiden führten. An den Spätfolgen, die bis in die Gegenwart reichen, gingen noch einmal mindestens 20.000 Menschen zugrunde.

Quatl-ki-Raat
BAYER als europaweit einzigster Hersteller von MIC besaß umfassende Informationen über die Wirkung der Substanz auf den menschlichen Organismus. Deshalb forderten die indischen Behörden den Chemie-Multi auf, den HelferInnen dieses Wissen zur Verfügung zu stellen, um Menschenleben zu retten. Aber der Konzern blockte ab. Er schickte zwar ExpertInnen nach Bhopal, betrachtete das Katastrophengebiet aber lediglich als riesiges Freiland-Labor für eigene Studien. Ashay Chitre empörte sich über solche ForscherInnen: „Ich bin zu vielen Ärzten und Wissenschaftlern gegangen, und jeder wollte seine Hand auf mich legen, weil ich ein Opfer bin, nicht aber, weil er mir helfen wollte. Das Opfer als Versuchskaninchen“.

Bhopal ist nirgendwo
Die Chemie-Konzerne erklärten umgehend, ein solches Unglück könne sich in der westlichen Welt nicht zutragen. Der Leverkusener Multi schickte „Fakten zur Produktion von Methylisocyanat“ an über 200 Zeitungen, Zeitschriften, Agenturen und TV-Sender und wiegelte in punkto MIC ab: „Die BAYER AG verwendet ein völlig anderes Produktionsverfahren“. Dabei versicherte das Unternehmen sich auch der freundlichen Unterstützung des damaligen NRW-Gesundheitsministers Friedhelm Farthmann. Nach einer Betriebsbesichtigung gab der Politiker Entwarnung. „Ein Giftgas-Unglück, wie es sich in Bhopal ereignet hat, ist bei BAYER auch unter ungünstigen Umständen nicht möglich“, erklärte Farthmann am 17. Dezember 1984 vor JournalistInnen.

Das Bundesumweltministerium sah das - zumindest intern - anders. „Chemieanlagen mit einem Gefahren-Potenzial wie in Bhopal gibt es in der Bundesrepublik zu Hunderten“, zitierte das Magazin Natur aus einem vertraulichen Papier der Behörde. Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) meldete gleich erhebliche Zweifel an den Beschwichtigungen der Unternehmen an. Gegründet nach einem verheerenden Salzsäure-GAU in Wuppertal, wusste die Initiative nur zu gut um die „BAYER-Gefahren“, die von einer profit-getriebenen Chemie-Produktion ausgehen. Darum startete die CBG umgehend Initiativen. Vorständler Axel Köhler-Schnura nahm beispielsweise Mitte Dezember 1984 an einer Pressekonferenz mehrerer Organisationen zu „Bhopal ist überall“ teil, wo er BAYER zufolge „Falschmeldungen zur MIC-Produktion“ verbreitete, was nicht ohne Folgen blieb. „Am 13. Dezember übernahm die Abgeordnete der ‚Grünen‘, Antje Vollmer, fast wörtlich die Köhler-Falschmeldung in einer ‚Aktuellen Stunde‘ des Bundestages“, beklagte sich der Konzern. Zum ersten Jahrestag der Explosion hielt die CBG Mahnwachen vor den BAYER-Werken ab. In den folgenden Jahren vergaß die Coordination Bhopal ebenfalls nicht. So hat sie 1994 gemeinsam mit dem BUND in Köln die Konferenz „Bhopal - 10 Jahre danach“ abgehalten. Sie startete zudem mit dem BUND und dem PESTICIDES TRUST den Aufruf „Bhopal mahnt“, der unter anderem mehr Unterstützung für die Opfer der Katastrophe, sicherere Chemie-Anlagen und eine Beendigung der doppelten Standards forderte. Darüber hinaus nahm ein Vertreter der Coordination 1994 am „Permanent Peoples Tribunal“ teil, auf dem Geschädigte von „Störfällen“ mit den Verursachern zu Gericht gingen.

Toxic Hell Month
Wie berechtigt die Befürchtungen der Initiativen waren, sollte sich schon acht Monate nach Bhopal im US-amerikanischen Institute zeigen, wo UNION CARBIDE das Schwester-Werk zu der indischen Anlage betrieb. UCC hatte offiziell stets betont, die beiden Fertigungsstätten wären nicht zu vergleichen, weil es in Institute automatisierte Kontrollen, Chloroform- statt Wasserkühlung, für reines MIC sorgende Zwischentanks und besser ausgebildeteres Personal gäbe, tat dies aber wider besseren Wissens. Bereits vor Bhopal wusste der Konzern um die Gefährlichkeit der MIC-Produktion, wie ein internes Memo, das sich auf einen im Juli 1984 abgeschlossenen Sicherheitsreport bezog, unter Beweis stellte. Es warnte vor „einer außer Kontrolle geratenen Reaktion, die eine katastrophale Auswirkung auf die Vorratstanks mit dem giftigen (MIC-)Gas“ in Institute haben könnte.

Und „außer Kontrolle geratene Reaktionen“ gab es am Standort schon bald reichlich, nur glücklicherweise ohne die verheerenden Folgen von Bhopal. Am 11. August 1985 drangen durch ein Leck Grundstoffe zur Produktion des Pestizides Aldicarb nach außen und formierten sich zu einer Gaswolke. 135 Menschen vergifteten sich und mussten ins Krankenhaus. 15 Tage später schwebte ein Wasser/Säure-Gemisch über der Gemeinde South Charleston. Am 7. September traten die Agro-Chemikalie Larvin und das Vorprodukt Dimethyldisulfid aus, einen Tag später die Substanz Methylmercaptain und am 11. September Monomethylamin. Vom „Toxic Hell Month“ sprachen die AnwohnerInnen fortan. Die Monate und Jahre davor verliefen auch nicht viel ungiftiger. Der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA, die unmittelbar nach dem Jahrhundert-GAU alle Chemiewerke inspizierte, beichtete UCC 190 Leckagen für den Zeitraum von 1979 bis 1984. Nach EPA-Recherchen gelangte dabei 28 Mal der Bhopal-Stoff MIC ins Freie.

Bhopal ist in Institute
Die Pannenserie riss auch nicht ab, als BAYER im Jahr 2001 die Herstellungsanlagen übernahm. Kurz vor Sylvester 2007 barsten mehrere Pestizid-Fässer, am 20. Dezember 07 emittierten aus einem Faultank stinkende Abgase und am 16.11.07 wurden 50 kg der Chemikalie Rhodimet freigesetzt. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN nahm das zum Anlass, auf der BAYER-Hauptversammlung einen Gegenantrag zur prekären Sicherheitssituation in Institute einzubringen. Als „unbegründet“ wies ihn der Vorstand ab.

Drei Monate später lieferte die Realität die Begründung nach. Am 28. August 2008 kommt es in Institute zu einem großen Knall. Ein Rückstandsbehälter fliegt durch die Luft, und ein fünfzig Meter hoher Feuerball steigt auf. AugenzeugInnen sprechen von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“; die Erschütterungen sind in einem Umkreis von mehr als zehn Meilen zu spüren. Tausende AnwohnerInnen dürfen über Stunden ihre Häuser nicht verlassen. Die Behörden ziehen die Sicherheitskräfte aus Angst vor austretenden Chemikalien ab und sperren eine nahe gelegene Autobahn. Ein Arbeiter stirbt sofort, ein zweiter wird später seinen schweren Verbrennungen erliegen.

Wie ein Untersuchungsbericht des US-amerikanischen Kongresses nachher feststellte, ist Institute nur haarscharf an einem Super-GAU vorbeigekommen. „Die Explosion in dem BAYER-Werk war besonders beunruhigend, weil ein mehrere Tonnen wiegender Rückstandsbehälter 15 Meter durch das Werk flog und praktisch alles auf seinem Weg zerstörte. Hätte dieses Geschoss den MIC-Tank getroffen, hätten die Konsequenzen das Desaster in Bhopal 1984 in den Schatten stellen können“, heißt es in dem Report. Es sei reiner Zufall gewesen, dass der Behälter in eine andere Richtung flog, so die AutorInnen.

Nicht umsonst hat deshalb die „International Campaign for Justice in Bhopal“, auf ihrer Bustour zum Gedenken an „25 Jahre Bhopal“, in Institute Station gemacht. Und für die AktivistInnen aus Indien war es eine ganz besondere Begegnung. „Das war einer unserer seltenen Stopps in den USA, wo wir einen anderen betroffenen Ort besuchten. Es war sehr bewegend und schockierend zu sehen, dass aus dem Bhopal-Desaster nicht gelernt wurde (...) Festzustellen, wie dicht die Fabrik an die Wohnsiedlungen heranreicht, hat uns alle sehr deprimiert“, sagte Rachna Dhingra im nachfolgenden SWB-Interview.

Auf dem Fahrplan der Initiative stand auch der BAYER-Stammsitz in Leverkusen. Unterstützt von der CBG, machte die Kampagne in Leverkusen-Opladen Halt und verteilte Informationsmaterialien. „Wir wollten den Leuten in Leverkusen sagen, dass sich so etwas wie in Bhopal nie wieder ereignen darf und dass niemand mehr so leiden sollte wie die Menschen in Bhopal und Institute leiden“, so Dhingra zum Lokaltermin in Leverkusen.

Bhopal heute
„Leiden“ hat Rachna Dhingra dabei ganz bewusst ins Präsens gesetzt, denn in Bhopal dauert die Katastrophe noch an. Ein hoher Betonwall umgibt heute das 32 Hektar große Firmen-Areal. Dahinter hat sich kaum etwas getan. Eine grundlegende Sanierung des Geländes hat nie stattgefunden. 1989 bequemte sich UNION CARBIDE dazu, die Tanks und Fässer zu leeren und ein paar Chemikalien zu entsorgen. 1998 führte der indische Staat noch einige Reinigungsarbeiten durch, aber das war es dann auch. Und so tickt hinter dem kapitalistischen Schutzwall noch eine chemische Zeitbombe: 1.500 bis 4.000 Tonnen Schadstoffe und 27.000 Tonnen kontaminierte Erde. Das ergab 2004 eine Untersuchung von GREENPEACE. Tanklastzüge müssen deshalb für die AnwohnerInnen das Trinkwasser bereits seit Jahrzehnten aus weit entfernten Gebieten anliefern. Aber trotzdem macht der Chemie-Cocktail die Menschen rund um das Katastrophengebiet immer noch krank. Über die belastete Muttermilch vererben sich die Schädigungen sogar an die nachfolgenden Generationen.

Und so geht die Geschichte von Bhopal weiter, die Rachna Dhingra zufolge nicht nur eine von Bhopal ist, sondern „eine von Unternehmen, die von Gier und Profiten getrieben sind und diese über das Leben von Menschen und die Umwelt stellen“. Auch Ashay Chitre holte das Chemie-Unglück noch ein. Im Jahr 2003 starb er an den Spätfolgen. Panikattacken und Alpträume sollten ihn sein Leben lang nie verlassen. Nach den Worten seines Vaters fühlte er sich vom 3. Dezember 1984 an als ein Paria, ein Unberührbarer. In dem Nachruf auf seinen Sohn schreibt er: „Ich habe die letzten 20 Jahre daran geglaubt, dass Ashay das Gefühl überwindet, ein Opfer zu sein. Ich habe nicht verstanden, dass er wirklich ein Opfer war. Heute beginne ich zu verstehen, dass ein Opfer gar nicht anders fühlen kann“.

Interview zum Jahrestag

[Ticker 4 2009] STICHWORT BAYER 04/2009 – Ticker

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Jahrestagung 2009
Am 7. November 2009 fand die Jahrestagung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zum Thema „Haste mal ‘ne Billion? - Konzerne, Kapitalismus und die Krise“ statt. Zum Auftakt sprach Professor Rainer Roth vom RHEIN-MAIN-BÜNDNIS GEGEN SOZIALABBAU UND BILLIGLÖHNE über die Ursache der Krise. Das Problem einer lukrativen Kapitalverwertung hat seiner Ansicht nach zu Überproduktion und „Nachfrage-Doping“ mittels Verschuldung geführt und den Wirtschaftsorganismus schließlich kollabieren lassen. „Entwarnung“ konnte Roth deshalb noch lange nicht geben. Pedram Shahyar vom ATTAC-Koordinierungskreis arbeitete die Frage auf, warum die Linke nicht stärker von der Krise profitiert hat. Die „Globalisierung“ der Neoliberalismus-Kritik, das Vertrauen auf das Krisenmanagement der Eliten, die Rückkehr des Korporatismus von Gewerkschaften und Unternehmen, eine zu flache Krisen-Interpretation und eine Fixierung der Betroffenen auf ihr eigenes Schicksal im Zuge drohenden Job-Verlustes nannte er als Gründe. Im Anschluss daran machte Shahyar Vorschläge für eine neue linke Krisen-Politik. „Verstärkte Suche nach Alternativen“, „Deglobalisierung“, „Eigentumsfrage“ und „Gesundschrumpfung der Wirtschaft“ lauteten hier die Stichwörter. Jan Pehrke (CBG) schließlich zeichnete den Verlauf der Krise am Beispiel BAYER nach und konnte so den im Laufe des Tages erörterten, manchmal recht komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen Anschaulichkeit verleihen. Fast 50 TeilnehmerInnen lockte die Veranstaltung an - so viele BesucherInnen hatte eine Jahrestagung der CBG bisher noch nie. Offensichtlich bestand ein großes Interesse daran, ein Jahr nach Ausbruch der Krise eine erste Bestandsaufnahme vorzunehmen und über die Perspektiven antikapitalistischer Interventionen zu diskutieren.

Antwerpener Beschäftigte protestieren
Der Leverkusener Multi erpresst die Belegschaft des Antwerpener Werks und droht mit einer Schließung, falls die Beschäftigten nicht einer Lohnkürzung zustimmen (siehe KAPITAL & ARBEIT). Diese wollen sich darauf jedoch nicht einlassen. Deshalb nahmen die AntwerpenerInnen nicht nur an einer Großdemonstration in Brüssel teil, die unter Druck stehende Belegschaften vieler belgischer Werke zusammenführte, sondern ergriffen dort auch das Wort. Levi Sollie, der Vertrauensmann der Gewerkschaft Algemeen Belgisch Vakverbond (ABVV), sprach auf der Kundgebung über die Situation am belgischen BAYER-Standort.

Klima-Protest vor BAYER-Zentrale
Zum Auftakt der Weltklimakonferenz in Kopenhagen hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) am 7. Dezember 2009 gemeinsam mit Vertretern vom NIEDERRHEINISCHEN UMWELTSCHUTZVEREIN und von der Linkspartei eine Mahnwache vor der Leverkusener BAYER-Zentrale abgehalten, um auf die Klima-Sünden des Konzerns hinzuweisen. So leitet der Pharma-Riese jährlich bis zu acht Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre und trägt auf diese Weise zum Treibhauseffekt bei. Und von einem Umdenken ist bei dem Unternehmen nichts zu spüren. Es setzt weiter auf klimaschädigende Müll- und Steinkohlekraftwerke. Darum wollte die CBG BAYER auch einen Offenen Brief übergeben, der zu einer Energie-Wende aufruft, aber dazu kam es nicht. Der Multi verweigerte die Annahme.

CEFIC für Klima-Negativpreis nominiert
LOBBYCONTROL hat den „Verband der Europäischen Chemischen Industrie“ (CEFIC) für den Negativpreis „Angry Mermaid Award“ nominiert. Die Initiative hält den Verband für würdig, die in Anspielung auf die Kopenhagener Klimakonferenz „Die aufgebrachte Meerjungfrau“ getaufte Auszeichnung zu erhalten, weil er sich durch besonders destruktive Lobbyarbeit gegen Klimaschutz-Maßnahmen hervortat. So gelang es der CEFIC LOBBYCONTROL zufolge etwa, der chemischen Industrie kostenträchtige Folgen des Handels mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten zu ersparen, weshalb Investitionen in ökologischere Verfahren unterblieben. Aber schlussendlich musste sich die CEFIC dem noch schlimmeren Finger MONSANTO geschlagen geben.

Pipeline-Protest vor Ständehaus
Am 23. November 2009 war BAYER-Chef Werner Wenning Stargast des Düsseldorfer Ständehaus-Treffs in den Räumen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Aber der von Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo moderierte Plausch mit dem Konzern-Lenker vor Promis wie Gabriele Henkel, Heiner Kamps, Rudi Altig und Heide Rosendahl konnte nicht ungestört ablaufen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und andere Gegner der vom Leverkusener Multi geplanten Kohlenmonoxid-Pipeline hielten nämlich eine Mahnwache vor dem Gebäude ab. Die Veranstalter taten dabei alles, den Protest zu erschweren. Als Tagesmieter des Ständehauses reklamierten sie das Hausrecht für sich und drängten die AktivistInnen mit Hilfe von Polizei und privatem Sicherheitsdienst an den äußersten Rand der Auffahrt, um Wenning & Co. den Abend nicht allzu sehr zu verderben. Di Lorenzo kam beim Talk jedoch nicht darum herum, die Sache aufzugreifen. „Wenning ging offensiv mit dem Thema um“, vermeldete die Rheinische Post anschließend, „Er ist fest von der absoluten Sicherheit der Leitung überzeugt, aber er weiß auch, dass keiner ausschließen kann, dass irgendein Unfall passiert“.

PRIMODOS-Anfrage
In den 50er Jahren hatte die jetzige BAYER-Tochter SCHERING den Schwangerschaftstest PRIMODOS (auch DUOGYNON) auf den Markt gebracht, der bei Neugeborenen zu Herzfehlern, Fehlbildungen an Händen und Füßen sowie zu Gaumenspalten führte. Auf der diesjährigen Hauptversammlung des Leverkusener Multis haben die Opfer des Hormon-Präparates eine Entschädigung gefordert; zudem sind Klagen in Vorbereitung (siehe RECHT & UNBILLIG). Im Juli hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) dem Gesundheitsministerium zum Fall „PRIMODOS“ einen Brief geschrieben. Die CBG wollte wissen, warum die Betroffenen bis heute keine Unterstützung erhalten und welche Unterlagen im Archiv noch zu dem Pharma-GAU existieren. Zudem fragte die Coordination, ob es bezüglich der Entschädigungsfrage Kontakte zum Pharma-Riesen und zu den Behörden in Großbritannien gibt, wo das Thema ebenfalls auf der Tagesordnung steht. Darüber hinaus erbat sie eine Stellungnahme zur Weigerung des Global Players, die Geschädigten abzufinden. Diese mochte das Gesundheitsministerium in seiner Antwort nicht abgeben. Es habe in der Sache weder Verbindung zu BAYER noch zur britischen Regierung aufgenommen und hätte auch keine Akten zu dem Fall mehr, hieß es in dem Schreiben weiter. „Zu Ihrer Frage, warum die Betroffenen keine Unterstützung erhalten haben, lassen sich daher nur Vermutungen aufgrund von nicht validen Informationen anstellen. Es scheint damals aber wohl eine gewisse Unsicherheit in der Kausalitätsbewertung zwischen den aufgetretenen Missbildungen und der Verabreichung des entsprechenden Medikamentes gegeben zu haben“, so das Ministerium.

Die „Global Compact“-Beschwerde
1999 haben sich BAYER und andere Multis am Rande des Davoser Weltwirtschaftsforums im „Global Compact“ dazu bekannt, soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards einzuhalten. Nach Meinung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat der Leverkusener Multi mit der Beinah-Katastrophe in Institute und seiner Reaktion darauf gegen die Regularien des an die UN angebundenen Industrie-Zusammenschlusses verstoßen. Der Konzern hatte im Vorfeld lange bekannte Sicherheitsmängel nicht behoben, defekte Detektoren nicht repariert und Warnsysteme deaktiviert. Nach der Explosion informierte er zudem die Öffentlichkeit unter Berufung auf die Antiterror-Gesetze nur spärlich (siehe SWB 2/09). Die CBG hat die UN deshalb in einem Offenen Brief aufgefordert, den Agro-Riesen aus dem „Global Compact“ auszuschließen. Die Antwort traf umgehend ein. Der „Global Compact“ legte dar, dass er über keinerlei Mandat verfügt, die Einhaltung seiner Prinzipien zu kontrollieren und gegebenenfalls Sanktionen auszusprechen. Nur einen Dialog moderieren könne er. Das tat er dann auch, indem er BAYER zu einer Stellungnahme aufforderte. Nach einigem Briefverkehr mit dem Leverkusener Multi und der CBG teilte die Organisation mit, sie habe die Beschwerde nun an die bundesdeutsche Dependance weiterverwiesen. Die Coordination erklärte sich damit nicht einverstanden. Sie dringt darauf, den Fall statutengemäß im Leitungsgremium zu verhandeln, und legte Protest ein.

180.000 Unterschriften gegen LL62
Im Jahr 2006 hat BAYERs Genreis LL601 für den größten Gen-GAU der Nuller-Jahre gesorgt: Trotz fehlender Zulassung tauchte er in den handelsüblichen Supermarkt-Sorten auf. Das hält den Leverkusener Multi jedoch nicht davon ab, weiter auf die Risiko-Technologie zu setzen. So liegt der EU bereits seit längerem ein Antrag zur Importgenehmigung von LL62-Reis vor. GREENPEACE hat dagegen mobil gemacht und der EU-Gesundheitskommissarin Anroulla Vassiliou, die demnächst das Bildungsressort übernimmt, im Oktober 2009 180.000 Unterschriften gegen eine Einfuhr-Lizenz übergeben.

Kritik an Beobachtungsstudien
Die „Kassenärztliche Bundesvereinigung“ (KBV) hat die Beobachtungsstudien angeprangert, mittels derer BAYER & Co. ihre Medikamente in Arztpraxen testen lassen. Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Anwendungsuntersuchungen, bei denen die ÄrztInnen nur einen kleinen Fragebogen ausfüllen müssen, kaum ergiebig, moniert die KBV, aus finanzieller Sicht allerdings schon - sowohl für die Konzerne als auch für die DoktorInnen. In Wahrheit verfolgen die Expertisen nämlich den Zweck, die PatientInnen auf das getestete Präparat - zumeist ein neues und deshalb besonders teures - umzustellen, und genau dafür zahlen die Unternehmen dann auch bis zu 1.000 Euro. Als „Fangprämien“ bezeichnete Leonard Hansen von der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ deshalb die Honorare, und der KBV-Vorstand Carl-Heinz Müller lässt keinen Zweifel an den Motiven von Big Pharma: „Das Ziel einer schnelleren Umsatzsteigerung ist sicher nicht von der Hand zu weisen“. Der Leverkusener Multi verfolgte dieses Ziel unter anderem mit Beobachtungsstudien zu BETAFERON. Kritik an dieser Praxis wies der Konzern immer wieder zurück. So verteidigte BAYER-Vorstand Wolfgang Plischke das Vorgehen der Pillen-Produzenten im Jahr 2008 mit den Worten: „Ich halte Anwendungsbeobachtungen allerdings für sinnvoll, da sie uns Langzeitdaten über die Wirkung von Medikamenten in die Hand geben, die wir aus den Zulassungsstudien nicht bekommen“.

Mediziner kritisiert Krebsmedikamente
Im Pharma-Geschäft versprechen Krebs-Arzneien die höchsten Gewinne. ExpertInnen erwarten für die nächsten Jahre einen 66 Milliarden Dollar schweren Absatzmarkt. Mit den Heilsversprechen der Pillenriesen - BAYER etwa preist NEXAVAR als einen „Meilenstein im Kampf gegen Krebs“ an - ist es nach Ansicht des Krebs-Spezialisten W.-D. Ludwig allerdings nicht so weit her. Nach Meinung des Mediziners, der an der HELIOS-Klinik in Berlin-Buch arbeitet und den Vorsitz der „Arzneimittel-Kommission der deutschen Ärzteschaft“ innehat, sorgt vor allem eine kreative Gestaltung der klinischen Tests für den guten Leumund der Mittel. So bestimmen die Untersuchungen als Ziel der Therapie nicht etwa das Überleben der PatientInnen und dauern auch gar nicht so lange, um den Gesundheitszustand der ProbandInnen über einen angemessenen Zeitraum hinweg verfolgen zu können. Ihnen reicht es als positiver Befund aus, wenn sich das Leiden erst einmal nicht verschlimmert oder der Körper überhaupt in irgendeiner Weise auf den Pharma-Stoff anspricht, was noch überhaupt nichts über eine Beeinflussung des Krankheitsverlaufs aussagt. Da es noch kaum wirksame Krebs-Arzneien gibt, müssen die Konzerne zudem keine großen Vergleichsstudien finanzieren. Das alles erleichtert „erfolgreiche Erprobungen“ natürlich ungemein. Ludwig forderte als Konsequenz aus dieser Art von Studien mehr unabhängige Arzneimittel-Untersuchungen.

Einspruch gegen BVL-Bescheid
Im letzten Jahr hat BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO ein verheerendes Bienensterben ausgelöst. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hegte den Verdacht, dass der Agro-Riese diese „Nebenwirkung“ bei den Genehmigungsbehörden heruntergespielt hat und verlangte in einem Offenen Brief an das „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ (BVL) die Herausgabe der Zulassungsunterlagen. Die Behörde gab dem Begehr zwar trotz BAYER-Widerstand statt, erlaubte jedoch nur eine kurze Einsichtnahme bei einem Lokaltermin. Dagegen legte die CBG Widerspruch ein, weil so zu wenig Zeit für die Überprüfung der Dokumente bleibt.

Frankfurter Uni umbenannt
Im Jahr 2001 ging das Frankfurter IG-FARBEN-Haus in den Besitz der „Johann Wolfgang von Goethe-Universität“ über. Seit dieser Zeit traten Studierende und Lehrende dafür ein, die mahnende Erinnerung an den von BAYER mitgegründeten Mörderkonzern wachzuhalten, indem die Hochschule den ehemaligen IG-Zwangsarbeiter Norbert Wollheim ehrt. Die Leitung wehrte sich aber erfolgreich dagegen, einen Platz auf dem Gelände nach dem Mann zu benennen, der durch seinen 1951 begonnenen Musterprozess Entschädigungszahlungen für die SklavenarbeiterInnen ermöglichte. Stattdessen errichtete sie mit dem „Norbert Wollheim Memorial“ eine Gedenkstätte für ihn (siehe SWB 1/09). Im Zuge des Bildungsstreiks jedoch knüpften Studierende an die alte Idee an. Sie besetzten das Casino-Gebäude und benannten die Alma Mater symbolisch in „Norbert Wollheim Universität“ um.

Kritik an EU-Pharmapolitik
Die EU betrachtet Medikamente nicht als Bestandteil des Gesundheitswesens, sondern als Wirtschaftsgut. Deshalb untersteht das Arzneimittelrecht ebenso wie die für Pillen-Zulassungen zuständige „Europäische Arzneimittelbehörde“ dem Industrie- und nicht dem Gesundheitskommissar. An dieser Politik hat jetzt der gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei, der Christdemokrat Peter Liese, scharfe Kritik geübt.

KAPITAL & ARBEIT

Neue Standortsicherungsvereinbarung
BAYER hat mit dem Gesamtbetriebsrat eine neue Standortsicherungsvereinbarung abgeschlossen (siehe auch STANDORTE & PRODUKTION). Wie schon bei dem Vorgänger-Vertrag ließ sich der Leverkusener Multi das Zugeständnis, fünf Jahre auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, teuer abkaufen. So müssen die Beschäftigten jetzt ihre Arbeitszeit noch stärker den Konjunktur-Schwankungen anpassen und sogar Ortswechsel in Kauf nehmen. Bei der Sparte BAYER TECHNOLOGY SERVICES haben sie zudem eine Stunde länger zu arbeiten, ohne dafür mehr Lohn zu bekommen. „Zu bemerken ist, dass in vielen Punkten wieder einer zeitlich begrenzten Zusage des Arbeitgebers dauerhaft abgegebene Besitzstände der ArbeitnehmerInnen gegenüberstehen“, kommentieren die KOLLEGEN UND KOLLEGINNEN FÜR EINE DURCHSCHAUBARE BETRIEBSRATSARBEIT, eine alternative Gewerkschaftsgruppe im Leverkusener BAYER-Werk, das Ergebnis der Verhandlungen.

Kürzerarbeit wieder aufgehoben
Im Zuge der Wirtschaftskrise hatte BAYER in der Kunststoff-Sparte die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich um 6,7 Prozent gekürzt und weitere Maßnahmen durchgeführt, was dem Leverkusener Multi Kosten in zweistelliger Millionenhöhe ersparte. Anfang November 2009 hat der Konzern die Kürzerarbeit-Regelung wieder aufgehoben - „eine derzeit verbesserte Auftragslage“ bewog das Unternehmen zu diesem Schritt.

Antwerpen: BAYER droht mit Schließung
Am Standort Antwerpen erpresst BAYER die Belegschaft. Der Leverkusener Multi droht mit einem Aus für die Kunststoff-Produktion, wenn die Beschäftigten nicht auf zehn Prozent ihres Lohn verzichten. Die beiden Gewerkschaften Algemeen Belgisch Vakverbond (ABVV) und ACV Energie-Chemie wollen das nicht mitmachen. „Die Vertrauensleute im Antwerpener Werk werden keiner sozialen Demontage zustimmen, wir werden weder zu Lohnsenkungen noch zu Arbeitszeitverlängerungen ‚Ja‘ sagen“, kündigt ABVV-Vertrauensmann Levi Sollie an und verweist auf den 190-Millionen-Euro-Gewinn der Niederlassung. Einer Standort-Konkurrenz mit Krefeld verweigert sich die Gewerkschaft ebenfalls: „Auch werden wir nicht zulassen, dass wir gegen die Kollegen im BAYER-Werk Uerdingen ausgespielt werden“. Der Pharma-Riese musste die staatliche Schiedskommission anrufen, weil es mit den Belegschaftsvertretern zu keiner Einigung kam. Eine Entscheidung des Gremiums steht noch aus.

Gerüchte über BMS-Verkauf
Im November 2009 tauchten Gerüchte über einen von BAYER beabsichtigten Verkauf der Kunststoff-Sparte BAYER MATERIAL SCIENCE (BMS) auf. Die INTERNATIONAL PETROLIUM INVESTMENT COMPANY (IPIC) mit Sitz in Abu Dhabi hatte Verhandlungen mit dem Pharma-Riesen bestätigt. Der Leverkusener Multi hielt sich dagegen bedeckt: „Marktgerüchte kommentieren wir grundsätzlich nicht“. Wenig später dementierte IPIC-Direktor Khadem Al Qubaisi die von dem Informationsdienst Chemical Industry News & Intelligence in Umlauf gebrachte Meldung. Es sei bei den Gesprächen mit BAYER nicht um einen Verkauf, sondern um ein geplantes Joint Venture in Abu Dhabi gegangen. Wie dem auch sei - Wirtschafts- und Finanzkreise machen jedenfalls weiter Verkaufsdruck. So schrieb beispielsweise das Handelsblatt unlängst angesichts wieder etwas besserer BMS-Geschäftszahlen: „Der Pharma- und Chemiekonzern kann sich wieder über seine Kunststoffe freuen. Zeit, an einen Verkauf zu denken“.

USA: BAYER gegen Gewerkschaftsgesetz
In den Vereinigten Staaten versucht der Leverkusener Multi mit aller Macht, die Gewerkschaften aus dem Konzern herauszuhalten. Immer wenn sich irgendwo die Gründung einer Beschäftigten-Vertretung anzubahnen droht, trommelt das Unternehmen die Belegschaft zusammen und warnt vor Arbeitsplatzvernichtungen, sollten sich im Werk Betriebsgruppen bilden. Folglich gibt es nur an drei von 50 BAYER-Standorten in den USA Gewerkschaften. Die Regierung Obama hat sich jetzt vorgenommen, den Organisationen den Rücken zu stärken und sie besser vor Repressionen zu schützen. Aber BAYER & Co. investieren Millionen, um das Gesetzesvorhaben zu verhindern.

IG BCE für Unternehmenssteuerreform
Der neue IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis will den industriefreundlichen Kurs seines Vorgängers Hubertus Schmoldt fortsetzen (siehe auch SWB 4/09) und demonstrierte dies auch gleich eindrucksvoll, indem er sich von dem DGB-Vorschlag distanzierte, in Zeiten der Krise den Übergang zwischen Arbeitslosengeld und Hartz IV finanziell weicher zu gestalten. Er überraschte auf dem Chemiegewerkschaftskongress in Hannover allerdings mit einer Forderung zur Reform der Unternehmensbesteuerung. So verlangte Vassiliadis, die Höhe der Körperschaftssteuer nach der Eigenkapitalrendite zu bemessen und so besonders rücksichtslose Profit-Jäger abzustrafen. „Wenn eine extreme Rendite nur mit einer sehr aggressiven Strategie erreicht werden kann, erst dann beginnt ein höherer Steuersatz“, so sein Vorschlag. Zudem möchte der Gewerkschaftler die Krisenverursacher stärker zur Verantwortung ziehen und machte sich für eine KurzarbeiterInnen-Abgabe des Bankensektors stark.

Merkel lobt die IG BCE
Bundeskanzlerin Angela Merkel trat auf dem Bundeskongress der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) auf und konnte gar nicht mehr aufhören, die Verdienste der Gewerkschaft um das Co-Management zu rühmen. Laut Frankfurter Rundschau gelang es der Politikerin, die IG BCE „innerhalb einer halben Stunde gefühlte 30 Mal zu loben und sich abwechselnd ‚herzlich‘, ‚freundlich‘ oder ‚besonders‘ zu bedanken“. In puncto Gentechnik standen ihr Vassiliadis & Co. sogar näher als die CDU-GenossInnen. Die „Zukunftsgewandtheit“ der GewerkschaftlerInnen stände auch den eigenen Parteikreisen gut zu Gesicht, vermerkte Merkel.

Betriebskrankenkassen-Fusionitis
Mitte 2007 schloss sich BAYERs Betriebskrankenkasse mit der FORTISNOVA BKK zur PRONOVA BKK zusammen. Zum Jahreswechsel fusioniert diese wiederum mit den Kassen FORD & RHEINLAND und GOETZE & PARTNER, „um unsere Position im Gesundheitsmarkt langfristig zu stärken“, wie aus der Zentrale verlautete. Name, Filialnetz und MitarbeiterInnen-Zahl bleiben erhalten, und mit über 500.000 Versicherten zählt die PRONOVA BBK nunmehr zu den 30 größten Krankenkassen der Bundesrepublik. Besonders aggressive Verhandlungen mit BAYER um Arznei-Preise dürften von ihr jedoch nicht zu erwarten sein.

ERSTE & DRITTE WELT

Afrika kommt zu BAYER
Afrika nimmt für BAYER & Co. vor allem wegen seiner Rohstoff-Vorkommen, um die ein Wettlauf mit China entbrannt ist, eine immer größere Bedeutung ein. Aus diesem Grund versuchen die Konzerne eine African Connection aufzubauen, indem sie Kontakte zu späteren Eliten aufbauen. Diesem Behufe dient das Programm „Afrika kommt“, in dessen Rahmen BAYER und weitere Unternehmen junge Spitzenkräfte des Kontinents mit freundlicher Unterstützung des Auswärtigen Amtes in der Bundesrepublik „weiterqualifizieren“. Die Koordination übernimmt dabei die seit langem mit dem Leverkusener Multi verbundene Agentur „Inwent“. 1921 vom damaligen BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg gegründet, hörte sie lange auch auf seinen Namen. Erst im Jahr 2002 legte die Einrichtung die Bezeichnung „Carl-Duisberg-Gesellschaft“ ab.

Venezuela hebt BAYER-Patent auf
Patente auf Medikamente verschaffen den Herstellern Monopol-Gewinne und verhindern eine preisgünstige Arzneiversorgung, was vor allem in den Ländern der Dritten Welt verheerende Folgen hat. In Venezuela wollten Pillen-Produzenten deshalb eine Nachahmer-Version von BAYERs Antibiotikum-Wirkstoff Moxifloxacin auf den Markt bringen. Der Leverkusener Multi klagte, die venezolanische Behörde SAPI prüfte - und stieß auf Unregelmäßigkeiten in der Patentschrift. Deshalb hob sie den Schutz des geistigen Eigentums für Moxifloxacin auf. Das Handelsministerium unterstützte den Schritt und erklärte, dass „Aktionen wie die von BAYER sich gegen das Recht auf Gesundheit richten und auf die Errichtung eines Industrie-Monopols zielen, ohne auf die Bedürfnisse des Volkes Rücksicht zu nehmen“. Auch Ecuador hat Maßnahmen angekündigt, um die Verfügbarkeit von Medikamenten zu verbessern. Die Regierung will die Patente von 2.000 Präparaten für ungültig erklären.

IG FARBEN & HEUTE

100 Jahre Synthese-Kautschuk
Mit großen Artikeln feierte die Presse den hundertsten Geburtstag von Synthese-Kautschuk, das der BAYER-Forscher Fritz Hofmann entwickelt hatte. In den netten Ständchen fehlten allerdings Passagen darüber, welche wichtige Rolle dieser Stoff bei den Kriegsvorbereitungen der Nazis spielte. Er machte das Verbrecherregime nämlich unabhängig von Rohstoff-Importen aus dem Ausland und verschaffte den von BAYER mitgegründeten IG FARBEN so eine profitable Führungsposition bei den wirtschaftlichen Planungen zu den Waffengängen.

IG FARBEN an „Aktion T4“ beteiligt
Die vom Leverkusener Multi mitgegründeten IG FARBEN haben nicht nur das Zyklon B für die Vergasung der Juden im „Dritten Reich“ geliefert. Der Mörderkonzern hat auch für die „Aktion T4“ genannte Euthanasie, der mehr als 100.000 behinderte oder psychisch kranke Menschen zum Opfer fielen, den passenden Rohstoff bereitgestellt: das heute wieder durch BAYERs umstrittenes Pipeline-Projekt ins Gerede gekommene Kohlenmonoxid.

IG FARBEN besaß Zeitungsanteile
Der von BAYER mitgegründete Mörderkonzern IG FARBEN war nicht auf wohlmeinende Presseberichte angewiesen - er hielt sich selbst eine Zeitung. 1929 erwarb das Unternehmen 35 Prozent der liberalen Frankfurter Zeitung und 1930 weitere 14 Prozent. Mit diesem Besitzerwechsel ging auch eine Veränderung des politischen Kurses einher. So musste unter anderem der bekannte Publizist Siegfried Kracauer gehen. Ob sich der Leverkusener Multi nach dem Krieg auch an der Neugründung des Blattes unter dem Namen Frankfurter Allgemeine Zeitung beteiligte, steht nicht fest.

  • KONZERN & VERGANGENHEIT

ASPIRIN und die Grippewelle von 1918
Im Jahr 1918 raffte die Spanische Grippe über 50 Millionen Menschen auf der Welt dahin. Nach Ansicht der Medizinerin Dr. Karen M. Starko könnten viele Sterbefälle jedoch nicht durch die Krankheit, sondern durch das Heilmittel ASPIRIN ausgelöst worden sein. BAYERs „Tausendsassa“ kam bei der Behandlung der Infizierten nämlich in einer doppelt so hohen Dosis wie heute zum Einsatz, und den Autopsien zufolge kommt der Virus als Todesursache oftmals nicht in Frage. So wiesen zahlreiche Tote kaum Lungenschädigungen auf. Deshalb konnten MedizinerInnen sich die große Mengen blutiger Flüssigkeit in den Atemorganen bisher nicht erklären - Starko aber schon: Blutungen sind eine bekannte Nebenwirkung von ASPIRIN.

POLITIK & EINFLUSS

Lobby-Register ohne CEFIC
Die CEFIC, der europäische Lobbyverband der Chemie-Unternehmen, hat 170 Beschäftigte und einen Etat von ca. 47 Millionen Euro. Die Organisation kann jedoch auch ganz bescheiden auftreten. Im neu geschaffenen Lobby-Register der EU bezifferte sie die jährlichen Kosten für ihr Antichambrieren auf schlappe 50.000 Euro. Die Umweltgruppe FRIENDS OF THE EARTH wollte daran nicht glauben und witterte eine Irreführung der Behörden. Die EU-Kommission rechnete nach und gab der Initiative Recht. Daraufhin flog die CEFIC aus dem Register. Aber seit dem Herbst 2009 ist der Verband wieder drin, weil er sich zu kapitalistischem Realismus entschlossen hatte: Der Lobbyclub korrigierte seine Zahlen um das 80-fache nach oben und fand sich mit vier Millionen Euro plötzlich auf Platz sechs der finanzkräftigsten Einflussnehmer wieder.

BAYER in Kopenhagen
Über zahlreiche Lobbyorganisationen hat BAYER in Kopenhagen substanzielle Beschlüsse zur Rettung des Klimas zu verhindern versucht. „Croplife“ bemühte sich, verbindliche Auflagen zur Kohlendioxid-Reduzierung in der Landwirtschaft abzuwenden. Der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) erklärte: „Wir sind nicht mehr länger das Problem, wir sind Teil der Lösung“ und lud unter dem Titel „Business for Climate Protection“ zu einer Podiumsdiskussion, an der auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen teilnahm. „3C - Combat Climate Change“ betrieb derweil Werbung für die Kohlendioxid-Abspaltung - und damit für Kohlekraftwerke; das „International Chamber of Commerce“ und das „World Business Council for Sustainable Development“ unterstützten „3C“ dabei nach Kräften. Das tat auch „Business Europe“. Zudem hatte der Verband bereits im Oktober eine Konferenz zum Thema „Zwischen der Wirtschafts- und der Klimakrise - ist Kopenhagen der Ausweg?“ abgehalten, die unliebsamen Besuch von UmweltaktivistInnen erhielt. Darüber hinaus präsentierte „BusinessEurope“ EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso mit der „Copenhagen Scorecard“ eine Wunschliste in Sachen „Klimapolitik“. So sollte die Europäische Union Entwicklungsländer wie China in Dänemark zu verbindlichen Reduktionszielen drängen - und in heimischen Gefilden mehr auf „freiwillige Selbstverpflichtungen“ setzen.

„Croplife“ gegen US-Klimagesetze
„Croplife“, der US-amerikanische Verband von BAYER und anderen Agro-Multis, versucht, Obamas Klimaschutz-Agenda zu Fall zu bringen. Zu diesem Behufe hat die Organisation die Lobby-Agentur ALPINE GROUP engagiert, die in Washington über beste Kontakte verfügt.

Wenning beim Wirtschaftsgipfel
Die Kreditklemme gehört für den Leverkusener Multi zu den unangenehmsten Folgen der Wirtschaftskrise. „In der Größenordnung von zehn Milliarden Euro dürfte eine Akquisition für die meisten derzeit nicht mehr finanzierbar sein“, mit diesen Worten beklagte sich BAYER-Chef Werner Wenning in der Faz über die Beschränkung der Einkaufsmöglichkeiten. Deshalb drängte er bereits auf dem ersten Krisengipfel, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel gerufen hatte, auf eine Lösung des Problems. Auch bei der trauten Runde, die sich am 2. Dezember 2009 im Kanzleramt diesem Thema widmete, saß Wenning wieder mit dabei, flankiert unter anderem von Josef Ackermann, Dieter Hundt vom Arbeitgeberverband und Michael Vassiliadis von der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE.

BAYER unterzeichnet NRW-Pakt
Die nordrhein-westfälische Landesregierung tut alles dafür, BAYER & Co. in politische Entscheidungen einzubinden. So rief sie beispielsweise den „Dialog Wirtschaft und Umwelt“ ins Leben. Im November 2009 haben Rüttgers & Co. jetzt mit BAYER und anderen Unternehmen einen Pakt geschlossen, denn „die Distanz zwischen Wirtschaft und Politik verhindert Wachstum“. Diese Entfremdung - „Die Wirtschaft hat vielfach geglaubt, ohne die Politik auszukommen. Die Politik hat sich an einer Manager- und Unternehmerschelte beteiligt“ - wollen Bosse und CDU/FDP-Koalition mittels Spitzentreffen schnellstmöglich aufheben. Nicht zuletzt BAYERs umstrittenes Pipeline-Projekt dürfte die konzertierte Aktion nötig gemacht haben.

BAYER & Co. sponsern den Staat
Die Konzerne unterstützten die Regierungstätigkeit im großen Umfang finanziell. Das geht auch aus dem 3. Zweijahresbericht über Sponsoring-Leistungen hervor, den das „Bundesministerium des Inneren“ im Mai 2009 veröffentlichte. Geld- und Sachleistungen in einer Größenordnung von fast 80 Millionen Euro brachten die Unternehmen in den Jahren 2007 und 2008 auf. BAYER befand sich natürlich ebenfalls unter den „edlen Spendern“. Der Leverkusener Multi stiftete für das Sommerfest von Bundespräsident Horst Köhler Sachleistungen im Wert von 30.000 Euro. Für den Empfang zum „Tag der Deutschen Einheit“ machte der Konzern 33.170 Euro locker und für das Kunstprojekt „inform“ 50.000 Euro.

„World Environment Day“ in Pittsburgh
Als „Bluewashing“ kritisieren die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Initiativen die Strategie der Konzerne, sich durch Kooperationen mit den Vereinten Nationen ein gutes Image zu verschaffen. BAYER tut dies hauptsächlich durch ein Sponsoring der UNEP, des Umweltprogramms der UN. So richtete das Unternehmen 2007 in Leverkusen eine Konferenz mit 150 jungen UmweltschützerInnen aus aller Welt aus. Im Oktober 2009 gelang dem Multi erneut ein Coup. Er setzte für 2010 mit Pittsburgh den Standort seines US-amerikanischen Hauptquartiers als Gastgeber-Stadt des „World Environment Day“ durch. Dort hofft sich der Chemie-Riese dann wieder einmal als Öko-Engel präsentieren zu können.

BDI treibt Gesundheitspolitik
Im November 2009 präsentierte der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) sein „gesundheitswirtschaftliches Innovationskonzept“. Die Organisation sprach sich darin für eine Abkehr vom paritätisch finanzierten Gesundheitswesen aus und trat stattdessen für „transparente, lohnunabhängige Prämien“ ein. Zudem wiederholte sie die alte BAYER-Forderung nach einer steuerlichen Absetzbarkeit von Forschungskosten. Auch „zentralistische Eingriffe in die Preisbildung“ von Medikamenten verbat sich der BDI. Darüber hinaus sollten die Krankenkassen unbesehen die Kosten für jede neu auf den Markt kommende Arznei übernehmen. Natürlich durfte in dem Papier auch eine Kritik am „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ nicht fehlen, das Kosten/Nutzen-Analysen von Arzneimitteln durchführt und dabei nach Meinung von BAYER & Co. allzu oft zu negativen Ergebnisse kommt. Aber mit einer weiteren Loslösung vom Solidarprinzip hat das „gesundheitswirtschaftliche Innovationskonzept“ den Konzernen zufolge nichts zu tun, „ohne Wenn und Aber“ sprachen sie sich gegen eine Zwei-Klassen-Medizin aus.

Verheugen kämpft gegen Werbeverbot
Das Pillengeschäft könnte noch mehr Profite abwerfen, wenn die Hersteller für verschreibungspflichtige Medikamente werben dürften. Deshalb versuchen BAYER & Co. seit geraumer Zeit, das EU-Reklameverbot zu Fall zu bringen. Den Industrie-Kommissar der EU, Günter Verheugen, haben sie dafür als Bündnispartner gewonnen. Trotzdem liegt sein Gesetzesvorschlag vorerst auf Eis, weil viele ParlamentarierInnen eine Kosten-Explosion durch eine aggressive Reklame für teure Arzneien befürchten. Der SPD-Politiker versuchte daher kurz vor Ende seiner Amtszeit noch, Medikamenten-Fälschungen als Argument dafür anzuführen, den Pharma-Riesen mehr Raum für das zuzubilligen, was sie „Informationen“ nennen.

PROPAGANDA & MEDIEN

Klima-Manager Wenning?
Aus unerfindlichen Gründen ließ der Berliner Tagesspiegel in seiner Reihe „Die Klima-Manager“ auch BAYER-Chef Werner Wenning zu Wort kommen. Der gibt sich zunächst reumütig: „Die Industrie ist Teil des Problems“, nimmt dann aber flugs für sich in Anspruch, zur Lösung beitragen zu können. Gemeint ist allerdings lediglich ein Klimakrisen-Management aus dem Ackergiftschrank des Multis. So können Wenning zufolge bestimmte Pestizide den Pflanzen helfen, mit den Folgen des Klimawandels wie etwa Trockenheit umzugehen. Eine „zweite grüne Revolution“ nennt der Vorstandsvorsitzende das unbescheiden. Alleine machen will er sie jedoch nicht. „Die öffentlichen Ausgaben für Agrarforschung und landwirtschaftliche Infrastruktur reichen dafür noch nicht aus“, meint er und fordert frech Subventionen.

BAYER sponsert Klima-SkeptikerInnen
Der Leverkusener Multi bläst jährlich 7,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft und setzt weiter auf klimaschädigende Kohle- und Müllkraftwerke. Darum hat er auch ein großes Interesse daran, das Problem „Klimawandel“ zu verharmlosen und unterstützt Denkfabriken, die diesen Job für das Kapital erledigen. So gehört der Konzern zu den Sponsoren des „Science Media Centers“ und des „Institute of Ideas“, das sich daneben auch gut auf Pro-Gentech-PR versteht.

Greenwashing zum G20-Gipfel
Der diesjährige G20-Gipfel der weltgrößten Industrieländer fand in Pittsburgh statt, dem Sitz von BAYERs US-amerikanischem Hauptquartier. Der Leverkusener Multi legte sich daher mächtig ins Zeug, um sich trotz seines jährlichen Kohlendioxid-Ausstoßes von 7,6 Millionen Tonnen als Umweltengel zu präsentieren und begrüßte die Staatenlenker mit großen „Welcome“-Bannern.

BAYER lädt zum Gynäkologie-Kongress
Der Leverkusener Multi hat mit QLAIRA ein neues Verhütungsmittel kreiert. Um dieses auch auf die Rezeptblöcke zu bringen, lud er 700 FrauenärztInnen ins Berliner Hotel Andel‘s zu dem Kongress „GynSights“ ein. Prof. Dr. Alfred O. Mueck und Dr. Anneliese Schwenkhagen gestalteten den Werbeblock für die Antibabypille, der nur von einigen Workshops zu gynäkologischen Themen unterbrochen wurde. Zu allem Übel firmiert das Ganze auch noch unter „Weiterbildungsmaßnahme“. „Diese Fortbildung haben wir bei der zuständigen Ärztekammer zur Zertifizierung eingereicht“ lässt BAYER die ÄrztInnen-Schar auf der Einladung wissen.

Werbekosten: vier Milliarden Dollar
Nach eigenen Angaben belaufen sich die jährlichen Marketing-Kosten von BAYER auf vier Milliarden Dollar. Allein in den USA investiert der Konzern 840 Millionen Dollar.

VI gibt TransGen-Trägerschaft auf
Die „Verbraucher Initiative“ (VI) ist mehr eine Konzern-Initiative. So hat sie sich ihr Gentechnik-Informationsportal TransGen von BAYER und anderen Gen-Giganten bezahlen lassen, was nicht ohne Einfluss auf die Berichterstattung blieb. Im November 2009 gab die VI nun endlich die Trägerschaft auf. Das Propaganda-Portal existiert jedoch weiterhin.

Standort-Kampagne in Leverkusen
BAYER spielt seinem Stammsitz Leverkusen seit längerer Zeit übel mit. Das Werk schrumpft und schrumpft und damit auch die Zahl der Arbeitsplätze, die Gewerbesteuer fließt nur noch spärlich und die vielbeschworene BAYER-Familie wird dysfunktionaler und dysfunktionaler. Was tun Konzerne in einem solchen Fall? Sie starten eine Image-Kampagne, die Eintracht beschwört. Und so heißt es nun: „Leverkusen und BAYER. Ein starkes Team“. Anzeigen beschwören den „Heimvorteil Leverkusen“, auf einer extra eingerichteten Internet-Seite betreibt der Multi Lokalpolitik und ein Fotowettbewerb zum Thema ist ebenfalls in Planung.

DRUGS & PILLS

Wieder eine YAZ-Tote
Im September 2009 erlitt eine 21-jährige Schweizerin nach der Einnahme von BAYERs Verhütungsmittel YAZ eine Lungenembolie und starb. Obwohl das Embolie-Risiko bei den Drospirenon-haltigen Kontrazeptiva wie YAZ um das 1,75fache höher liegt als bei den älteren Präparaten der 2. Generation, sah die zuständige Aufsichtsbehörde „Swissmedic“ auch nach dem neuerlichen tragischen Fall keine Veranlassung, die Pillen der YASMIN-Produktfamilie vom Markt zu nehmen. Das Heilmittel-Institut rät den MedizinerInnen lediglich zur Vorsicht. So sollen diese beim Verschreiben YASMIN & Co. auf die Gefahren aufmerksam machen; nur bei Frauen mit Hautleiden legte die Einrichtung den Einsatz der Mittel nahe. Zudem verlangt „Swissmedic“ eine Änderung des Beipackzettels - und mehr Folgen als eine andere Packungsbeilage dürfte der Pharma-GAU auch in der Bundesrepublik nicht haben.

Antibiotika nicht lukrativ
Antibiotika wie BAYERs CIPROBAY wirken gegen immer mehr Krankheitserreger nicht mehr. Das stört den Leverkusener Chemie-Multi aber kaum. Er gehört nicht zu den wenigen Pharma-Riesen, die nach Alternativen forschen. Antibiotika zählen nämlich nicht gerade zu den Kassenschlagern auf dem Pillen-Markt. Die MedizinerInnen verschreiben sie nur für wenige Tage, und neue Mittel haben die ÄrztInnen für besonders schwierige Fälle zurückzuhalten. „Medikamente, die Patienten über viele Jahre einnehmen müssen, sind viel lukrativer“, so Petra Gastmeier vom „Institut für Hygiene“ der Berliner Charité.

Senkt ASPIRIN das Darmkrebs-Risiko?
Nach einer neuen britischen Studie senkt ASPIRIN das Darmkrebs-Risiko. Die WissenschaftlerInnen warnen trotzdem vor einer vorbeugenden Einnahme des „Tausendsassas“, da er schwere Nebenwirkungen wie Magenbluten hat. Frühere Untersuchungen belegten einen Effekt von ASPIRIN nur auf eine bestimmte Art von Darm-Tumoren, weshalb die ForscherInnen ebenfalls von einer Gabe des Medikamentes zur Prophylaxe abrieten. Die einzige bisher durchgeführte Langzeitstudie sprach dem Mittel sogar jeden Nutzen bei der Darmkrebs-Prävention ab.

Keine Infarkt-Prävention mit ASPIRIN
BAYER vermarktet ASPIRIN mit großem Aufwand auch als Mittel zur Herzinfarkt-Prävention. Eine neue, im Drugs and Therapeutics Bulletin veröffentlichte Studie hat jetzt den Nutzen untersucht und kam zu einem negativen Ergebnis. Bei gesunden Menschen beugt der Tausendsassa einem Herzinfarkt nicht vor, während er das Risiko verdoppelt, innere Blutungen zu erleiden.

Brasilien: Kinder-ASPIRIN vom Markt
In Ländern der Dritten Welt vermarktet der Leverkusener Multi ASPIRIN als Allheilmittel und bietet es auch in einer Version für Kinder an, obwohl es gerade für Jüngere gravierende Risiken und Nebenwirkungen hat. So kann es bei Kindern mit Fiebererkrankungen das Reye-Syndrom auslösen, eine lebensbedrohliche Erkrankung der Leber und des Gehirns. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert BAYER deshalb seit Jahren auf, das Präparat vom Markt zu nehmen. Endlich hat der Konzern nun einen ersten Schritt gemacht und für Brasilien einen Verkaufsstopp verkündet.

FDA prüft MAGNEVIST
BAYERs Röntgen-Kontrastmittel MAGNEVIST hat bei vielen Nierenkranken eine nephrogene systemische Fibrose, ein lebensgefährliches unkontrolliertes Wachstum des Bindegewebes, ausgelöst, weshalb den Gerichten bereits über 200 Klagen von Opfern oder deren Angehörigen vorliegen (Ticker 2/09). Jetzt schreitet auch die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA ein. Ein Ausschuss beschäftigt sich mit den Risiken von MAGNEVIST und anderen Kontrastmitteln. Allzu viel Unbill hat der Leverkusener Multi jedoch nicht zu erwarten. Es dürfte mit einer Veränderung der Anwendungsempfehlungen getan sein.

Hormon-Therapie weiter geduldet
Für BAYER machen typische Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche eine Hormon-Therapie unausweichlich. Auch kosmetische Gründe lassen dem Konzern zufolge einen Pharma-Einsatz angeraten erscheinen: Sie machen angeblich die Haut straffer. Zudem nutzt das Unternehmen die Angst als Verkaufsargument. Angeblich beugen Hormone der Osteoporose vor und wirken präventiv gegen Demenz. Nach Untersuchungen ist das Gegenteil der Fall: Hormone steigern sogar das Risiko, an Demenz zu erkranken. „Ein riesiges, unkontrolliertes Experiment mit den Frauen“ nennt das arznei-telegramm deshalb das „Menopausen-Management“. Darüber hinaus schädigen Hormon-Therapien nach einer in der Fachzeitschrift Proceedings veröffentlichten Studie das Gehör. Und trotz all dieser Befunde rät die „Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe“ auch in ihren jüngst veröffentlichten Leitlinien noch immer nicht von den Produkten ab.

LEVITRA & Co. sprengen Rentenkassen
In Brasilien heiraten immer mehr Männer um bis zu 30 Jahre jüngere Frauen, was die Sozialkassen sprengt, weil es den Staat überfordert, mehr als 15 Jahre lang Witwen-Renten auszuzahlen. BeobachterInnen führen diese Änderung im Paarungsverhalten auf den massenhaften Konsum von VIAGRA, BAYERs LEVITRA und anderen Potenzmitteln zurück und sprechen vom „VIAGRA-Effekt“.

LEVITRA als Schmelztablette
BAYER machte mit der Potenzpille LEVITRA im Geschäftsjahr 2008 einen Umsatz von 341 Millionen Euro. Das reicht dem Leverkusener Multi offenbar nicht. Er plant nämlich, das Präparat auch als Schmerztablette auf den Markt zu bringen, weil zur Einnahme dann kein Wasser mehr nötig ist, und hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Sollten die Zulassungsbehörden ihn genehmigen, dann kommen bald wohl noch mehr Männer in den Genuss der zahlreichen Nebenwirkungen des Mittels. Temporärer Gedächtnisverlust, zeitweilige oder dauerhafte Hörschäden, Sehstörungen bis zum Sehverlust, Schwindel, Höhenangst, Kopfschmerzen, Nasenschleimhaut-Entzündungen, Grippe-Symptome sowie Gesichtsrötungen zählen dazu.

BAYER kauft Krebsmittel
Der Leverkusener Multi hat sich von dem norwegischen Pharma-Unternehmen ALGETA die Vermarktungsrechte an einem Krebs-Therapeutikum gesichert. Das sich momentan in der letzten Phase der klinischen Erprobung befindende Mittel soll angeblich Krebszellen mittels Alpha-Strahlung zerstören und dabei das gesunde Gewebe schonender behandeln als vergleichbare Produkte.

PESTIZIDE & HAUSHALTSGIFTE

Bienensterben global
Im vorletzten Jahr hat BAYERs Saatgut-Beizmittel PONCHO in Süddeutschland ein verheerendes Bienensterben ausgelöst. Deshalb dürfen die LandwirtInnen das Produkt in der Bundesrepublik vorerst auf Maisfeldern nicht mehr ausbringen. Frankreich hat die Ausbringung von bestimmten Pestiziden wie dem vom Leverkusener Multi hergestellten GAUCHO bereits seit längerem streng reglementiert, während Italien das Mittel ganz verboten hat. In Staaten, die keine Maßnahmen getroffen haben, setzt sich indessen das Bienensterben fort. Aktuell haben ImkerInnen in Polen und Argentinien große Verluste zu beklagen.

Gepanschte Pestizide
In Brasilien hat der Leverkusener Multi seine Pestizide nach ganz eigenen Rezepten zusammengebraut und ohne Genehmigung gefährliche Mixturen angerührt (siehe auch SWB 4/09). Das stellte die brasilianische Gesundheitsbehörde „Agência Nacional de Vigilância Sanitária“ (Anvisa) bei einer Inspektion des BAYER-Werks in Belford Roxo fest. Sie ordnete daraufhin einen vorläufigen Verkaufs- und Produktions-Stopp für zwölf Ackergifte an. Auch mit einer Strafe in Höhe von 1,5 Millionen Real (rund 580.000 Euro) muss der Konzern rechnen.

Pestizide in Kräutern und Gewürzen
GREENPEACE hat Kräuter und Gewürze nach Pestizid-Rückständen untersucht und wies in einem Viertel der 37 Proben Spuren nach. Auch Wirkstoffe, die in BAYER-Produkten enthalten sind, waren mit von der Partie. Unter anderem stießen die WissenschaftlerInnen auf Chlorpyrifos, Imidacloprid, Methomyl, Thiabendazol und das hierzulande längst verbotene Methamidophos.

OBERON schädigt Orchideen
In Neuseeland hat das BAYER-Pestizid OBERON die Ernten von Orchideen-ZüchterInnen zerstört (siehe auch SWB 4/09). Der Leverkusener Multi musste das Ackergift nach dem Flurschaden aus dem Verkehr ziehen; inzwischen hat er jedoch eine Wiederzulassung für Tomaten- und Paprika-Kulturen erreicht. Rund 20 Prozent der Erträge hat das Insektizid auf dem Gewissen; der Einnahme-Verlust für die ZüchterInnen beträgt vier Millionen neuseeländische Dollar. Der Konzern hat den Betroffenen eine Entschädigung angeboten, aber mehr als die Hälfte lehnte ab. Viele der Orchideen-PflanzerInnen mussten nach dem GAU nämlich ihr Geschäft aufgeben, weil es zu lange dauern würde, die Blumen wieder in derselben Art zu kultivieren. Der Züchter Paul Hulshof hat aus Protest gegen das Zerstörungswerk des Agro-Multis eine LKW-Ladung kaputter Orchideen vor der neuseeländischen BAYER-Zentrale in Glenfield ausgekippt.

Tomaten-Rückruf wg. VOLARE
In Italien hat sich BAYERs Antipilzmittel VOLARE (Inhaltsstoffe: Propamocarb-Hydrochlorid und Fluopicolid) auf Tomatenfeldern vorzeitig zersetzt und einen üblen Chlorgeruch verströmt. Die Behörden mussten deshalb eine große Tomaten-Rückrufaktion starten.

Soja-Boom treibt Pestizid-Verbrauch
Im brasilianischen Bundesstaat Matto Grosso hat sich die Soja-Anbaufläche von 1998 bis 2008 verdreifacht. Dementsprechend wächst der Pestizid-Verbrauch. Neben Paraquat und Duquat kommt dabei auch das in Europa seit langem verbotene Endosulfan zum Einsatz, das zur Produktpalette von BAYER gehörte. Nach Aussage des Universitätsprofessors Wanderlei Antonio Pignati haben die Ackergifte die Kranken-Raten massiv steigen lassen. Allein in Sorriso, „der Hauptstadt des Soja“, haben die Krebserkrankungen und Missbildungen seit dem Boom um das Fünffache zugenommen. Auch Lungenkrankheiten und Allergien treten vermehrt auf. Zu allem Unglück nutzen die Soja-Barone die Agro-Chemikalien sogar dazu, um Kleinbauern und -bäuerinnen zu vertreiben, indem sie die Dörfer regelrecht mit Endosulfan & Co. einnebeln.

Pestizide fördern Dengue-Fieber
In Südamerika breitet sich das Dengue-Fieber immer stärker aus. Die eigentlich seit den 50er Jahren als eingedämmt geltende Krankheit hat sich inzwischen zu einer regelrechten Epidemie entwickelt. In Bolivien starben 2009 bereits 20 Menschen, in Brasilien 38. In diesen beiden Ländern und Argentinien erkrankten bisher insgesamt 68.000 Menschen. Der Agronom Alberto Lapolla führt den Anstieg der Zahlen neben dem Klimawandel, welcher den Moskitos als Überträgern bessere Lebensbedingungen bietet, auf den mit der Ausweitung des Soja-Anbaus einhergehenden exzessiven Pestizid-Einsatz zurück. Agrochemikalien wie Glyphosat, das nicht nur in MONSANTOs ROUNDUP, sondern auch in den BAYER-Produkten GLYPHOS, KEEPER und USTINEX enthalten ist, vergiften Lapolla zufolge nämlich Fische, Frösche, Kröten und andere natürliche Feinde der Moskitos. „Wir können ohne Übertreibung feststellen, dass die Amphibien in den Sojaanbau-Gebieten der Vergangenheit angehören. Sie wurden von den Pestiziden vernichtet, die bei der Aussaat verwendet werden“, so Lapolla.

Pestizide erhöhen Parkinson-Risiko
Pestizide haben Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem, darum befördern sie viele Krankheiten. Besonders Menschen, die täglich mit Agrochemikalien umgehen, gefährden ihre Gesundheit. So erhöhen Ackergifte das Risiko, an Parkinson zu erkranken, beträchtlich. Permethrin, das unter anderem in BAYERs Insektenmittel COOPEX und der gegen Flöhe wirkenden Tier-Arznei ADVANTIX enthalten ist, lässt diese Gefahren um das Dreifache ansteigen. Das wies eine neue, in den Archives of Neurology veröffentlichte Studie nach.

Immer mehr Pestizide
BAYER & Co. produzieren immer mehr Pestizide. Die in der Bundesrepublik hergestellte Wirkstoff-Menge wuchs 2008 im Vergleich zum Vorjahr von 86.733 Tonnen auf 115.756 Tonnen - eine Erhöhung um 33,5 Prozent! Auch der Export nahm zu. Er stieg von 101.565 auf 108.931 Tonnen an.

GENE & KLONE

NEXAVAR bei Schilddrüsenkrebs?
Der Leverkusener Multi versucht unentwegt, das Anwendungsspektrum seiner zur Behandlung von fortgeschrittenem Nieren- und Leberkrebs zugelassenen Gentech-Arznei NEXAVAR zu erweitern. Für die Indikation „Schilddrüsenkrebs“ hat gerade die dritte und letzte Testphase begonnen. Entsprechende Versuche laufen auch zur Therapie von Brust- und fortgeschrittenem Lungenkrebs; bei Haut- und Bauchspeicheldrüsenkrebs versagte das Medikament dagegen.

NEXAVAR wieder zu teuer
Nicht nur der Berliner Krebs-Spezialist W.-D. Ludwig beurteilt den Wert von neuen Krebsmedikamenten kritisch (siehe AKTION & KRITIK). Das britische Pendant zum bundesdeutschen „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“, die Sondergesundheitsbehörde NICE, kommt zum selben Ergebnis. Sie unterzog BAYERs zur Behandlung von Leberkrebs zugelassene Gentech-Arznei NEXAVAR einer Kosten/Nutzen-Analyse und stellte ein schlechtes Zeugnis aus. Deshalb ersetzen die Krankenkassen die Kosten nicht. Zuvor war die NICE schon zum Nierenkrebs-NEXAVAR nicht „nice“ gewesen.

Krebs-Antikörper erreicht Testphase
Das Biotech-Unternehmen MORPHOSYS entwickelt für BAYER einen Antikörper, der ein Molekül ausschalten soll, das eine Rolle bei Krebserkrankungen spielt. Inzwischen sind die Forschungen so weit gediehen, dass die erste Phase der klinischen Tests beginnen kann. Die Konkurrenz hat gegenüber dem Konzern allerdings einen Vorsprung. Der Antikörper des Unternehmens WILEX, der dasselbe Ziel anvisiert wie der des Leverkusener Multis, befindet sich bereits in der Endrunde der Erprobung.

Raps-Genom entschlüsselt
BAYER hat gemeinsam mit der „University of Queensland“, dem Pekinger Genomics-Institut und dem niederländischen Unternehmen KEYGENE das komplette Erbgut der Rapssorte Canola entschlüsselt. Der Leverkusener Multi will die Erkenntnisse zur Beschleunigung seiner Forschungs- und Zuchtprogramme nutzen. So hat der Konzern vor, den Ölgehalt der Pflanzen zu erhöhen. Solchermaßen angereicherter Raps eignet sich besonders gut als Rohstoff für die Agrosprit-Produktion, die immer mehr Ackerflächen in Anspruch nimmt und so die ausreichende Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln gefährdet.

BAYER kauft neue Gentechnik ein

  • 1


Der Leverkusener Multi hat vom US-Unternehmen CHROMATIN die Nutzungsrechte an einer Technologie erworben, die es erlaubt, mehrere Gene auf ein Chromosom zu übertragen. Der Konzern will dieses Verfahren unter anderem bei der Produktion seiner Baumwoll-Pflanzen nutzen.

BAYER kauft neue Gentechnik ein

  • 2


Der Leverkusener Multi hat das US-amerikanische Biotech-Unternehmen ATHENIX gekauft. Nach BAYER-Angaben verfügt ATHENIX über eine „umfangreiche Entwicklungsplattform von Pflanzen-Eigenschaften“ zur konventionellen Einzüchtung sowie „über die branchenweit größte Kollektion von so genannten Bt-Genen“, die das Ackerfrüchte-Erbgut mit dem für Insekten tödlichen Bacillus thuringiensis bestücken. Auch gegen Fadenwürmer hat die Firma etwas im Angebot. Zudem hat sie Lizenz-Abkommen mit Konzernen geschlossen, die jährlich 500 Millionen Euro einbringen.

Neues Baumwoll-Forschungszentrum
Baumwolle - gentechnisch manipuliert, konventionell oder mit eingezüchteten Sondereigenschaften - gehört zu den Kerngeschäften BAYERs. Deshalb hat der Agro-Multi jetzt auch im texanischen Lubbock ein neues Zentrum für Baumwollforschung und -züchtung in Betrieb genommen.

WASSER, BODEN & LUFT

PCB-Verbrennung: 15.000 Tonnen
Besonders wegen ihrer langen Halbwertzeit zählen Polychlorierte Biphenyle (PCB) zu den gefährlichsten Chemikalien überhaupt. Obwohl bereits seit 1985 verboten, ist die Substanz, zu deren Hauptanbietern BAYER gehörte, noch nicht aus dem Alltag verschwunden und überdauert beispielsweise als Isoliermaterial in Gebäuden. Und wenn etwa Sanierungsmaßnahmen anstehen, findet das PCB auch seinen Weg zurück zu BAYER und landet in den Sondermüll-Verbrennungsanlagen des Konzerns. Allein der Leverkusener Ofen schluckt jährlich 15.000 Tonnen - und spuckt angeblich kaum PCB-Rückstände aus.

Warnung vor Tabun
Etwa 6.000 Giftgas-Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg liegen zweieinhalb Seemeilen vor Helgoland in der Nordsee (Ticker 2/09). Bestückt sind sie mit dem Kampfstoff Tabun, den Gerhard Schrader 1936 im Leverkusener BAYER-Werk entwickelt hatte. Nach Einschätzung der schleswig-holsteinischen Katastrophenschutz-Behörde ist die Substanz durch Seewasser, Druck und Korrosion schon lange aus den Geschützen ins Meer entwichen. Das „Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrologie“ hat deshalb davor gewarnt, in dem Gebiet „grundnahe Fischerei“ zu betreiben. Eine Bergung oder andere Maßnahmen planen die zuständigen Institutionen derzeit nicht.

Wolfenbüttel: Bodensanierung beendet
Im letzten Jahr hat BAYER die Pestizid-Produktion am Standort Wolfenbüttel aufgegeben und ein verseuchtes Werksgelände hinterlassen. Nicht nur 325 Kilogramm Pestizide schlummern im Erdreich, sondern auch 3.000 Kilogramm Benzol sowie Lösungsmittel, Mineralöle und Schlacken. Für den größten Schadstoff-Eintrag hatte 1978 - damals betrieb SCHERING auf dem Gelände eine Chemie-Produktion - eine Explosion gesorgt, denn mit dem Löschwasser versickerte ein ganzer Chemie-Cocktail (Ticker 3/09). Die Sanierung des Grunds gestaltete sich schwierig. Im Laufe der Arbeiten entdeckten die Fachleute noch mehr Schadstoffe und erweiterten ihren Aktionsradius um 200 Quadratmeter. Im November 2009 hatten sie dann auf 1.200 Quadratmetern bis zu einer Tiefe von acht Metern Erde ausgehoben und beendeten ihre Tätigkeit. Die Reinigung des Grundwassers allerdings dürfte noch lange dauern. Der Geologe Jürgen Röhrs veranschlagt dafür 50 Jahre; BAYER will es hingegen in einer Dekade schaffen.

Antwerpen: Stadt gegen Kraftwerk
Der Energie-Riese E.ON will für BAYER am Standort Antwerpen ein Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 1.100 Megawatt bauen. Die Stadt hat sich jetzt angesichts der zu erwartenden Kohlendioxid-Emissionen von ca. sechs Millionen Tonnen und des Schadstoff-Ausstoßes gegen das Projekt ausgesprochen. Ein Aus für die Dreckschleuder bedeutet dieses Votum jedoch nicht.

CO2: Darf‘s ein bisschen weniger sein?
7,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid hat BAYER im Jahr 2008 produziert. Nun hat der Konzern angekündigt, diese Menge bis zum Jahr 2013 um zehn Prozent reduzieren und die Emissionen mittels eines neuen Verfahrens zu Chlor-Herstellung weiter senken zu wollen. Klimawende sieht anders aus.

GIFTIG, ÄTZEND & EXPLOSIV

Bisphenol in Schnullern
Die von BAYER massenhaft hergestellte und vor allem in Mineralwasser- und Babyflaschen sowie Konservendosen Verwendung findende Chemikalie Bisphenol A (BPA) wirkt hormon-ähnlich und kann deshalb die Entwicklung des Gehirns, Stoffwechselprozesse und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen sowie Diabetes und Herz/Kreislauf-Erkrankungen befördern. Eine neue Studie, die der BUND gemeinsam mit GLOBAL 2000 in Auftrag gab, hat nun eine hohe Bisphenol-Konzentration in Schnullern festgestellt. 400 Mikrogramm pro Kilogramm wiesen die WissenschaftlerInnen nach.

Sexualstörungen durch Bisphenol
Das von BAYER massenhaft produzierte Bisphenol A kann nach einer von US-amerikanischen und chinesischen WissenschaftlerInnen gemeinsam durchgeführten Studie das Geschlechtsleben beeinträchtigen. Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz mit der Chemikalie in Kontakt kamen, klagten den ForscherInnen zufolge deutlich häufiger über Ejakulationsstörungen, Erektionsprobleme und Unlustgefühle.

Phthalate stören Geschlechtsentwicklung
Phthalate und andere Weichmacher beeinträchtigen die Geschlechtsentwicklung. Da die von BAYER in großen Mengen hergestellten Stoffe hormon-ähnlich wirken, stören sie die Produktion von Testosteron. So beobachteten ForscherInnen bei Kindern zwischen drei und sechs Jahren, die im Mutterleib hohen Weichmacher-Konzentrationen ausgesetzt waren, ein markant unmännlicheres Spielverhalten als bei ihren unbelasteten Altersgenossen.

Modernisierung der Chlorproduktion?
BAYER gehört zu den letzten Chlor-Herstellern, die noch das veraltete Amalgam-Verfahren einsetzen, bei dem das hochgefährliche Schwermetall Quecksilber emittiert wird - mittelständische Betriebe haben ihre Anlagen längst umgerüstet. Nun hat der Chemie-Multi am Standort Krefeld endlich auch Modernisierungsmaßnahmen angekündigt. Allerdings stellte er diese erpresserisch unter Vorbehalt: Nur wenn es ein „Ja“ zur Kohlenmonoxid-Pipeline und zum Kohlekraftwerk gibt, will er die nötigen Investitionen vornehmen.

CO & CO.

Pipeline nicht erdbebensicher
In der Niederrheinische Bucht gibt es nach Aussage des Diplom-Physikers Klaus Lehmann vom „Geologischen Dienst NRW“ eine „moderate Erdbeben-Gefährlichkeit“. Die letzte größere Erderschütterung hatte eine Stärke von 5,9. Sie ging vom niederländischen Roermond aus und war bis Krefeld spürbar. Im Damenbecken des Schwimmbades entstanden Risse, weshalb die Stadt die Badeanstalt schloss. Deshalb muss BAYERs von Dormagen nach Krefeld verlaufende Kohlenmonoxid-Pipeline auch absolut erdbebensicher sein. Dies ist aber nach Einschätzung des „Geologischen Dienstes“ „bislang nicht ausreichend nachgewiesen“. Die Behörde hält in ihrem Gutachten zusätzliche Untersuchungen und Berechnungen für erforderlich, um beispielsweise Bodenrutschungen ausschließen zu können. BAYER weist die Kritik zurück: „Unsere Experten und der TÜV kommen zu anderen Schlussfolgerungen. Daran halten wir uns“.

CDUler fordern Pipeline-Stopp
Vier CDU-Landespolitiker haben in einem Offenen Brief an BAYER-Chef Werner Wenning einen Stopp der umstrittenen Kohlenmonoxid-Pipeline gefordert. „Beenden Sie sofort das Projekt CO-Pipeline. Tödlich giftiges Gas wie CO muss am Entstehungsort verarbeitet werden - in keinem Fall gehört es in eine Leitung, die durch Wohngebiete, Schulgelände und Kindertagesstätten geführt wird“, heißt es in dem Schreiben. Wenning zeigte sich wenig beeindruckt. „Unsere Pipeline erfüllt den höchsten Sicherheitsstandard“, versicherte er wieder einmal. Der BAYER-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Thomas de Win sprang seinem Boss bei, sprach von „platten Vorwürfen“ und warf den PolitikerInnen vor, auf Kosten des Leverkusener Multis Wahlkampf betreiben zu wollen.

Uhlenberg übt Kritik
Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte der Firma WINGAS als Bauherr von BAYERs umstrittener Kohlenmonoxid-Pipeline vorgeschrieben, den Boden vor Beginn der Verlegungsarbeiten sorgfältig mit Detektoren nach Fliegerbomben und anderen Kampfmitteln zu durchsuchen. Das Unternehmen kam dieser Aufforderung jedoch nur unvollständig nach (Ticker 3/09). Deshalb geht nun auch der nordrhein-westfälische Umweltminister Eckard Uhlenberg auf Distanz zum Bau. Er habe das Vertrauen in WINGAS verloren, erklärte der CDU-Politiker vor dem Umweltausschuss des Landtages. Ein hoher Beamter des Innenministeriums warf der Firma sogar vor, die Landesregierung belogen zu haben.

Pipeline-Baustelle als Holzlager
In Solingen haben Waldarbeiter die Pipeline-Baustelle als Holzlager benutzt und direkt über der Leitung Pfähle in den Boden gerammt. Da die Pflöcke nicht weit genug in die Erde reichten, hätte keine Gefahr bestanden, die Rohre zu beschädigen, gab die Stadt umgehend Entwarnung. Die Bezirksregierung forderte BAYER zu einer Stellungsnahme auf. Diese gab der Leverkusener Multi auch ab, und Regierungspräsident Jürgen Büssow ließ es dabei bewenden.

Sicherheitsstandards gesenkt
Die Bezirksregierung hat erneut die Sicherheitsstandards von BAYERs Kohlenmonoxid-Pipeline gesenkt. Sie hat die überirdischen Stationen, die bei einem Störfall für eine Absperrung der verschiedenen Leitungsabschnitte sorgen sollen, aus der Explosionsschutzzone gestrichen und damit den bisher 66 Änderungsbescheiden einen weiteren hinzugefügt. Ähnlichkeiten der jetzt gebauten Pipeline mit dem von der Bezirksregierung genehmigten Projekt sind nur noch rein zufällig. „Wieder wurde - ohne öffentliche Beteiligung - ein Standard verändert, der vorher zweieinhalb Jahre Gültigkeit besaß. Das ist keine Petitesse“, kritisierte Dieter Donner als Sprecher der Pipeline-GegnerInnen.

NANO & CO.

Nano-Warnungen vom Umweltbundesamt
Nano leitet sich vom griechischen Wort für Zwerg ab. Die Nanotechnik beschäftigt sich folglich mit der Entwicklung von mikroskopisch kleinen Werkstoffen. Da sich diese durch eine besondere Festigkeit auszeichnen und weitere vorteilhafte Material-Eigenschaften besitzen, erwartet der Leverkusener Multi von der „Zukunftstechnologie“ Millionen-Umsätze. Deshalb errichtet er derzeit die weltgrößte Anlage nur Produktion von Nano-Kohlenstoffröhrchen, den so genannten BAYTUBES. Um mögliche Gesundheitsgefahren schert der Konzern sich nicht weiter - im Gegensatz zum Umweltbundesamt (UBA). Die Behörde hat eine Broschüre zur Nano-Technologie veröffentlicht, die wegen der dort aus der wissenschaftlichen Literatur zusammengestellten Risiken und Nebenwirkungen einigen Wirbel auslöste. So gibt es laut UBA Hinweise auf eine asbest-ähnliche Wirkung von Kohlenstoffröhrchen. Besonders für die Atemwege stellen die Winzlinge eine Bedrohung dar. Die Partikel können aber auch in Organe eindringen, die Blut/Hirn-Schranke überwinden oder zu den Zellkernen vorstoßen - mit bisher noch überhaupt nicht erforschten Folgen. Diese Material-Eigenschaften gefährden desgleichen Tiere und Ökosysteme. Wasserflöhe hat der Kontakt mit Nano-Stoffen nach Beobachtung von WissenschaftlerInnen schon dahingerafft, und für Wasser, Boden und Luft versprechen die Teilchen ebenfalls nichts Gutes. Nach dem unerwartet breiten Medien-Echo musste das Umweltbundesamt zurückrudern und Entwarnung geben. „Man darf nicht nur über die Risiken diskutieren, sondern auch über die Chancen“, meinte Autor Wolfgang Dubbert und stellte segensreiches Nano-Wirken auf den Gebieten des Umwelt- und Gesundheitsschutzes in Aussicht.

STANDORTE & PRODUKTION

Krefeld: Zusagen unter Vorbehalt
Im neuen Standortsicherungsvertrag (siehe auch KAPITAL & ARBEIT) hat BAYER dem Krefelder Werk Bestandschutz gewährt - allerdings unter Vorbehalt. Nur bei einem „Ja“ zur umstrittenen Kohlenmonoxid-Pipeline und zum Kohlekraftwerk erklärt der Leverkusener Multi sich bereit, 200 Millionen Euro zu investieren und Auslastungsgarantien abzugeben.

Monheimer Substanz-Bibliothek erweitert
BAYER hat für ca. fünf Millionen Euro die Substanz-Bibliothek am Standort Monheim erweitert. In dem Hochregal-Lager „archiviert“ der Konzern 2,2 Millionen Chemie-Stoffe, die den Grundstock zur Entwicklung neuer Ackergifte bilden.

IMPERIUM & WELTMARKT

BAYER kauft ATHENIX
Der Leverkusener Multi hat für knapp 250 Millionen Euro das US-amerikanische Biotech-Unternehmen ATHENIX gekauft (siehe auch GENE & KLONE).

Chemie„park“-Kooperation mit China
Die BAYER-Chemie„parks“ in Leverkusen, Dormagen und Krefeld haben ein Kooperationsabkommen mit einem chinesischen Pendant, dem „Nanjing Chemical Industry ‚Park‘“ geschlossen und einen Informationsaustausch, gemeinsame Weiterbildungsaktivitäten sowie eine Überlassung von Beschäftigten vereinbart. Einfädelt hatte den Deal Nordrhein-Westfalens landeseigene Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW.INVEST, weshalb die Verträge auch während der China-Reise von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers unterzeichnet wurden.

ÖKONOMIE & PROFIT

697 Patente angemeldet
Unaufhörlich treibt BAYER die Privatisierung von Wissen mittels Patentierungen voran. Im Jahr 2008 hat der Leverkusener Multi 697 entsprechende Anträge gestellt, die ihm profitträchtige Monopolstellungen sichern sollen.

BAYER & Co. dominieren Wirtschaft
Über drei Millionen umsatzpflichtige Firmen existieren in der Bundesrepublik. 99,7 Prozent davon sind kleine und mittlere Unternehmen, 0,3 Prozent Multis wie BAYER. Allerdings landen 62 Prozent des Umsatzes bei den Global Playern.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Phosgen-Austritt in Dormagen
Am 28.11.2009 trat im Dormagener BAYER-Werk aus einer Pilotanlage Phosgen aus, das extrem giftig ist und im Ersten Weltkrieg als Kampfgas zum Einsatz kam. Zum Schutz zog der Multi eine Dampfwand aus - ebenfalls gesundheitsschädlichem - Ammoniak auf.

Blausäure-Austritt in Institute
Die Pannenserie in Institute hält an. War es an dem US-amerikanischen BAYER-Standort im August letzten Jahres zu einer Explosion gekommen, in deren Folge zwei Beschäftigte starben, so ereignete sich am 24.10.09 ein erneuter Zwischenfall. Aus einer Destillieranlage traten rund sechs Kilogramm Blausäure aus, von der schon geringste Menge ausreichen, um tödlich zu wirken.

RECHT & UNBILLIG

  • #

Genreis-GAU: BAYER muss zahlen
Im Jahr 2006 war gentechnisch veränderter Langkorn-Reis von BAYER weltweit in Supermärkten aufgetaucht, obwohl zu diesem Zeitpunkt n

[Yasmin] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Kein Verbot für BAYERs YASMIN

„Wir müssen damit leben“

Im September 2009 forderte ein Verhütungsmittel aus BAYERs YASMIN-Produktfamilie ein weiteres Todesopfer: eine 21-jährige Schweizerin starb an einer Lungenembolie. Nach diversen Meldungen über Risiken und Nebenwirkungen (SWB 3/09) gelangten die Pillen so erneut in die Schlagzeilen und sorgten für Angst und Schrecken. Nur die Verantwortlichen bei den Aufsichtsbehörden blieben ganz cool. Sie sehen keinen größeren Handlungsbedarf und wollen es dabei belassen, BAYER zu deutlicheren Warnhinweisen auf den Packungsbeilagen zu verpflichten.

Von Jan Pehrke

„Die Ärzte wussten im ersten Moment nicht, was sie machen sollten: Da lag ein 25-jähriges Mädchen mit akutem Herzversagen und sie wussten nicht, woher (...). Mir wurde das Brustbein durchgeschnitten, und dann haben sie gesehen, dass die Lunge voll war von Thromben, beide Lungenflügel, also eine doppelte Lungenembolie. Und dann musste es halt ganz schnell gehen“, so beschreibt das YASMINELLE-Opfer Felicitas Rohrer in einem Fernseh-Interview die dramatischen Stunden ihrer Rettung.
Seit jenem Tag ist nichts mehr so wie vorher. Die Tierärztin hat einen dauerhaften Gefäßschaden erlitten. Immer noch trägt sie in ihrem linken Bein ein Blutgerinnsel mit sich herum, das die MedizinerInnen nicht entfernen konnten. Die junge Frau muss nun Stützstrümpfe tragen und jeden Morgen ihre Blutwerte kontrollieren. Die Angst ist jetzt ihr dauerhafter Begleiter, die sie mit Hilfe eines Psychologen zu bändigen hofft.
„Wir haben nur die Pille genommen, um nicht schwanger zu werden. Wir wollten doch nicht unser Leben riskieren!“, hadert Felicitas Rohrer mit ihrem Schicksal und klagt an: „Meine körperliche Unversehrtheit hat BAYER mir genommen“.
Der 21-jährigen Yvonne hat BAYER noch mehr genommen: Das Leben. Die Schweizerin, die seit zehn Monaten mit der drospirenon-haltigen Pille YAZ verhütet hatte, erlag im September 2009 einer Lungenembolie. Der Leverkusener Multi jedoch weist alle Verantwortung von sich und hält solche Spontanmeldungen „aus methodischen Gründen grundsätzlich nicht geeignet für einen Risiko-Vergleich“. „So ein Todesfall ist natürlich immer tragisch, aber es ist bekannt, dass es in ganz seltenen Fällen zu Embolien kommen kann. Das steht auch in der Packungsbeilage“, erklärte eine Unternehmenssprecherin und machte dabei en passant noch auf die wahre Funktion des Beipackzettels aufmerksam. Indem dieser die Risiken und Nebenwirkungen der Präparate aufzählt, erspart er BAYER & Co. zugleich rechtliche Risiken und Nebenwirkungen. „Wir haben ja schon frühzeitig auf Gefahren hingewiesen!“, vermögen die Pharma-Riesen dann nämlich immer zu ihrer Verteidigung zu sagen.

BAYERs PR-Offensive
Diese juristischen Spitzfindigkeiten waren natürlich ebenso wenig geeignet, die Öffentlichkeit zu beruhigen wie der Verweis auf die Singularität des Ereignisses. Zu viele schlagzeilenträchtige Einzelfälle hatte es in letzter Zeit gegeben. Im Mai schockierte ein Bericht über die 18-jährige, nach einer Lungenembolie zum Pflegefall gewordene Céline das schweizer Fernsehpublikum, und im Herbst erlangte die Leidensgeschichte von Felicitas Rohrer große Publizität, nachdem die Frau sich an die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gewandt und die CBG auf ihren Fall aufmerksam gemacht hatte. Als Folge dieser Resonanz stieg auch das Bewusstsein für die von den Pillen ausgehenden Gesundheitsschädigungen. Allein in der Schweiz kamen zu den 691 ab 2005 dokumentierten Meldungen über unerwünschte Verhütungsmittel-Wirkungen seit des gestiegenen Medien-Interesses im Mai noch einmal 70 dazu.
BAYER reagierte und startete eine große PR-Offensive. Der Konzern sah sich zu einer „Stellungnahme zu aktuellen Medienberichten im Zusammenhang mit der Einnahme oraler hormoneller Kontrazeptiva“ gezwungen und befand: „Das Sicherheitsprofil von Drospirenon-haltigen Pillen ist unverändert positiv“. Zudem lud der Leverkusener Multi die Presse zu einem Hintergrundgespräch. Dort präsentierte er mit dem Professor Dr. Michael Ludwig auch gleich jemand, der aus berufenem Munde Entwarnung geben sollte. Qualifiziert hatte Ludwig sich für diesen Job durch treue (und teure) BAYER-Dienste auf Symposien, wo er „die Vorteile der neuen Pille“ pries und durch Auftritte auf vom Pharma-Riesen organisierten Gynäkologen-Kongressen.
Dem willigen Mediziner oblag es nun, zwei neuere Studien in Zweifel zu ziehen, die Drospirenon-Pillen ein weit ungünstigeres Risiko-Profil ausstellten als älteren Verhütungsmitteln und im Gegenzug eine von BAYER finanzierte und zu einem weit positiveren Befund kommende Untersuchung als über jeden Zweifel erhaben darzustellen.
Die Ergebnisse der Expertise des niederländischen Mediziners Frits Rosendaal von der Universität Leiden hält Ludwig „statistisch für nicht signifikant“. Den Faktor 6,3, um den die Thrombose-Gefahr bei YASMIN & Co. nehmenden Frauen gegenüber nicht hormonell Verhütenden steigt, hätten die ForscherInnen als Mittelwert aus Zahlen abgeleitet, die zwischen 2,9 und 13,7 und damit zu breit variieren, so der Vorwurf. Die dänische Studie hingegen hat Ludwig zufolge nicht sauber zwischen Erst- und Langzeit-Anwenderinnen differenziert, was die Daten zuungunsten der neueren Präparate verfälsche, weil es in der ersten Zeit der Verschreibung zu den meisten Zwischenfällen komme. Diesen feinen Unterschied hat die von BAYER gesponsorte Euras-Untersuchung auch nicht gemacht. Das hinderte den Hormonmediziner aber nicht daran, ihr eine bessere Methodik zu bescheinigen und das Resultat für die BAYER-Pillen - ein „mehr oder weniger in der gleichen Größenordnung“ wie das der älteren Präparate liegendes Gefährdungsprofil - zu beglaubigen. Aber letztendlich versteht der Herr Professor die ganze Aufregung um die Verhütungsmittel gar nicht, die in gut und weniger gut informierten Kreisen entstanden ist: „Schließlich ist das absolute Thrombose-Risiko durch Antibabypillen bei Frauen ohne zusätzliche Risikofaktoren verschwindend gering“.
Der Leverkusener Multi jedoch hatte, was er haben wollte. Mit „Aktuelle Studiendaten wurden in den Medien zum Teil falsch interpretiert“ konnte er seine nachfolgende Pressemeldung überschreiben. Und nach Ansicht des Konzerns interpretierten die Medien noch so manch anderes falsch im Zusammenhang mit den Pillen. Um das zu belegen, gab das Unternehmen bei der Universität Zürich eine Untersuchung in Auftrag. Der „Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft“ analysierte 90 Presse-Meldungen zu den Risiken und Nebenwirkungen der BAYER-Kontrazeptiva und stellte den Beiträgen ein schlechtes Zeugnis aus. Einen emotionalisierten Journalismus auf vager Fakten-Grundlage ohne eigenen Recherche-Anteil konstatierten die AuftragsforscherInnen pflichtgemäß und fanden sogleich bei der einflussreichen Neuen Zürcher Zeitung Gehör. Mit der Anfälligkeit gegenüber Grippeviren verglich das konservative Organ die flächendeckende publizistische Reaktion auf den Fall Céline und riet dem Global Player sogar zu einer Klage.

Swissmedic leidensfähig
Auch eine andere schweizer Institution zeigte sich BAYER gefällig: Die Aufsichtsbehörde „Swissmedic“. Sie hatte nach dem großen Medienecho auf den TV-Bericht über die nach der Einnahme von YASMIN schwerstbehinderte Céline angekündigt, die neuesten Studien zu den Verhütungsmitteln zu überprüfen und dann eventuell Maßnahmen einzuleiten. Ende Oktober 2009 gab das Heilmittelinstitut das Ergebnis bekannt. Ganz im Gegensatz zu Michael Ludwig verortet „Swissmedic“ die methodischen Mängel bei der Euras-Studie und nicht bei den Untersuchungen aus Dänemark oder Holland, denn jene hat sich bevorzugt Thrombose-gefährdete Patientinnen als Probandinnen ausgesucht. Das „reduziert tendenziell eine möglicherweise bestehende Risiko-Erhöhung durch KOK (kombiniertes orales Kontrazeptivum, Anm. SWB)“, befinden die SchweizerInnen.
Die Resultate der anderen beiden Studien, die diese Risiko-Erhöhung für YASMIN belegten, zweifelt die Behörde hingegen nicht an. Die niederländische Untersuchung hatte gegenüber nicht hormonell verhütenden Frauen eine um den Faktor 6,3 gestiegene Gefährdung ausgemacht; während dieser bei Pillen der 2. Generation nur 3,6 und bei solchen der 3. Generation je nach Präparat zwischen 5,6 und 7,3 schwankt. Trotzdem sah „Swissmedic“ keinen Handlungsbedarf und konstatierte: „Antibabypillen, die den Wirkstoff Drospirenon enthalten, sind im Risikobereich der anderen auf dem Markt befindlichen Präparate“.
Aber immerhin rät die Institution zur Vorsicht. So sollen die MedizinerInnen künftig beim Verschreiben von YASMIN-Produkten die Thromboembolie-Gefahr besonders beachten und gefährdeten Frauen eine nicht-hormonellen Schwangerschaftsverhütung vorschlagen. Einen Einsatz von Drospirenon-haltigen Pillen legen die ExpertInnen nur nahe, wenn die Frauen unter Hautkrankheiten leiden. Zudem verlangt „Swissmedic“ eine Änderung des Beipackzettels, welche die Ergebnisse der neuen Studien berücksichtigt.
Eine andere Packungsbeilage - das ist auch das einzige, wozu der Pillen-GAU in der Bundesrepublik führen dürfte. Mehr erachtet der beim „Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) für die Arzneimittelsicherheit zuständige Dr. Ulrich Hagemann nicht für notwendig. Professor Hans-Peter Zahradnik von der Universität Freiburg, der sich auch schon für BAYER verdingt hat, pflichtete ihm in einem Beitrag des TV-Magazins WISO über Felicitas Rohrer bei: „Jeder Fall, der als Nebenwirkung auftritt, ist ein tragischer Fall. Aber es ist im Rahmen der Einnahme dieser Medikamente eben eine Nebenwirkung, die wir kennen. Die müssen wir nicht unbedingt akzeptieren, aber wir müssen damit leben“. Viele YASMIN-Opfer wollen das jedoch nicht. In den USA steigt die Zahl der Klagen kontinuierlich. Bis Anfang Oktober waren es 300.

=> alle Infos zur Kampagne