Antje Kleine-Wiskott: Rede auf der Bayer-Hauptversammlung 2009
Sehr geehrter Herr Wenning, sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat, sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre!
Mein Name ist Antje Kleine-Wiskott, ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. In diesem Jahr haben wir den Schwerpunkt auf das Thema „verantwortungsvolle Unternehmensführung“ gelegt und setzen uns für „Spielregeln für Global Players“ ein. Dazu stellen wir bei allen von uns besuchten Hauptversammlungen eine Reihe von Fragen. Herr Wenning, Sie kennen die meisten Fragen ja schon, da Sie bei E.ON im Aufsichtsrat sitzen und ich sie dort letzte Woche auch gestellt habe! E.ON plante im letzten Jahr auf dem Bayergelände in Antwerpen ein Steinkohlekraftwerk zu bauen, welches 6 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr emittieren würde. Ist dieses Projekt noch aktuell? Auf der letzten HV hatte Herr Wenning auf jeden Fall meine Frage, ob er keinen Interessenkonflikt darin sehe, dass er bei E.ON im Aufsichtsrat sitzt, verneint. WIR sehen darin einen Interessenkonflikt. Nun zu meinen weiteren heutigen Fragen.
1. Einführung gesetzlicher Regelungen zur Unternehmensverantwortung
Befürwortet Bayer die Einführung gesetzlicher Regelungen zur Unternehmensverantwortung?
2. Verbot eines direkten Wechsels von Vorständen in den Aufsichtsrat
Bei Bayer ist seit Jahrzehnten die Praxis gang und gäbe, dass der ehemalige Vorstandsvorsitzende zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wird. Wir sind der Auffassung, dass Aufsichtsratsmitglieder, die vorher Vorstände waren, nicht unabhängig sind und den Vorstand deshalb nicht kontrollieren können. Befürwortet Bayer gesetzliche Regelungen, die für Vorstände einen Wechsel in den Aufsichtsrat des eigenen Unternehmens erst nach zwei Jahren erlauben?
3. Begrenzung auf zwei Aufsichtsratsmandate je Vorstand
Aufsichtsräte tragen ein hohes Maß an Verantwortung. Sie müssen die Vorstandsmitglieder auswählen, die Vorstandsarbeit überwachen und wichtige strategische Entscheidungen treffen. Diese anspruchsvolle Tätigkeit erlaubt es dem Vorstand eines Unternehmens nicht, eine große Anzahl dieser Mandate nebenbei wahrzunehmen. Befürwortet Bayer eine Begrenzung der Aufsichtsratsmandate auf höchstens zwei je Vorstand?
4. Begrenzung der Gehälter von Vorständen in Aktiengesellschaften
Die Vorstandsgehälter in manchen Unternehmen betragen mehr als das Hundertfache der Durchschnittslöhne. Angesichts der Finanzmarktkrise muss es geradezu obszön wirken, wenn die Einkommensschere derart weit auseinanderklafft. Ist Bayer bereit, das Gehalt eines Vorstands inclusive Boni auf das 20-fache des Lohns eines durchschnittlichen Beschäftigten im Unternehmen zu begrenzen?
5. Verbot des „Goldenen Handschlags“
Vorstände, die ihrem Unternehmen nachweislich geschadet haben, wurden in der Vergangenheit häufig per „Goldenem Handschlag“ verabschiedet. Bei Bayer sind Vorstandsvorsitzende immer regulär verabschiedet worden. Würden Sie, falls dies mal nicht der Fall wäre, auf einen „Goldenen Handschlag“ verzichten? Gab es den „Goldenen Handschlag“ auf der Ebene unter dem Vorstand (Sie haben ja verschiedene Geschäftsbereiche!)? Wie sieht die Vertragslaufzeit derzeit für Vorstandsmitglieder und direkt an Vorstandsmitglieder berichtende Topmanager aus? Welche Leistungen seitens des Unternehmens fallen bei vorzeitiger Vertragsbeendigung an, ausschließlich fixe oder auch variable Gehaltsbestandteile? Befürwortet die Verwaltung den Vorschlag, mit Topmanagern keine befristeten Verträge mehr abzuschließen, sondern Verträge mit maximal einjähriger Kündigungsfrist, so dass bei Vertragsbeendigung maximal noch ein Jahresgehalt seitens des Unternehmens zu leisten ist? Sie geben auf Ihrer Website an, dass Sie dem Deutschen Corporate Governance Kodex zu 100% folgen. Ich habe auch gelesen, dass der Aufsichtsrat beschlossen hat, der im Sommer 2008 geänderten Empfehlung dieses Kodex zur Begrenzung von Abfindungszahlungen bei neuen Vertragsabschlüssen zu folgen. Gilt dies auch für davor abgeschlossene Verträge? Wenn nicht, werden Sie, die Vorstandsmitglieder von Bayer, dieser Empfehlung trotzdem FREIWILLIG folgen, so wie manche Vortandsmitglieder anderer Konzerne es gemacht haben? Falls nicht, mit welcher Begründung?
6. Persönliche Haftung für Vorstände
Bayer wurde in der Vergangenheit einer Vielzahl von Fällen des Kartell-Betrugs überführt. Die Mehrzahl solcher Absprachen bleibt vermutlich unentdeckt. Die Zeche zahlen Verbraucher und Steuerzahler.
Im Allgemeinen waren bisher Vorstände, die durch grob fahrlässiges Verhalten ihrem Unternehmen schadeten, zwar schadensersatzpflichtig. Doch in der Praxis haben die Unternehmen die Regressversicherungen (D&O-Versicherungen) für ihre Vorstände bezahlt. Ist unser Unternehmen bereit, zukünftig eine solche Leistung nicht mehr zu erbringen und auf einem angemessenen Selbstbehalt in Höhe von zwei Jahresgehältern zu bestehen?
7. Stärkere Berücksichtigung von Stakeholdern
Nicht nur die Shareholder, also die Aktionäre, haben Ansprüche an ein Unternehmen, auch die Stakeholder haben berechtigte Interessen. Dazu zählen wir die Kunden, die Arbeiter und Angestellten, die den Gewinn eines Unternehmens erwirtschaften, und alle, die von den Auswirkungen der Produktion betroffen sind. Ist Bayer bereit, Gremien einzurichten, in denen Stakeholder ihre Anliegen zum Ausdruck bringen können?
8. Regelungen zum Schutz von Whistleblowern
Whistleblower sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Hinweise auf illegales Handeln, Korruption und sonstiges Fehlverhalten in ihrem Unternehmen geben.
Fragen: Gibt es in unserem Unternehmen spezielle Regelungen für Whistleblowing bzw. zum Whistleblowerschutz? In wieweit genügt deren Ausgestaltung international anerkannter „Best Practice„, wie sie sich z.B. im Code of practice „Whistlelbowing arrangements“ (PAS 1998:2008) der British Standards Institution widerspiegelt?
9. Konflikt zwischen öffentlichen, Aktionärs- und Vorstandsinteressen
Wie ist sichergestellt, dass Hinweisen von Whistleblowern auf Risiken, Missstände und Gesetzesverstöße aller Art in unserem Unternehmen auch dann umfassend und bis zur Abhilfe nachgegangen wird, wenn es dabei um den Schutz von langfristigen Aktionärsinteressen oder öffentlichen Interessen geht und hierbei ein Interessenskonflikt mit den kurzfristigen Interessen der aktuellen Unternehmensleitung besteht?
10. Informationspolitik zum Whistleblowing
Erläutern Sie bitte die gegenwärtige Informationspolitik unseres Unternehmens bezüglich tatsächlich vorkommender Fälle von Whistleblowing.
Wir begreifen Whistleblowing als wichtiges Element der Risikovorsorge und Compliance. Ist in unserem Unternehmen die Informationspolitik intern und extern ausreichend, um bei potenziellen Whistleblowern und auch bei Aktionären, die diese Anschauung teilen, eine tragfähige Vertrauensbasis herzustellen?
Sie schreiben in Ihrem Geschäftsbericht: „Alle Bayer-Mitarbeiter sind verpflichtet, Verletzungen der Compliance Policy unverzüglich mitzuteilen. Die Anzeigen können auch anonym erfolgen; dazu sind in allen Ländern spezielle Hotlines eingerichtet, die ganz überwiegend zu von uns beauftragten spezialisierten Rechtsanwaltskanzleien führen.“
Was genau meinen Sie mit „ganz überwiegend“? Wer sind diese Anwälte? In welcher Beziehung stehen sie ansonsten zum Unternehmen? Was genau sind ihre Aufgaben? Gehören dazu auch unternehmensberatende Tätigkeiten oder gar Ermittlungen gegen Whistleblower, wie sie derzeit über Bahn-Ombudsleute berichtet werden? Könnten Sie sich vor diesem Hintergrund eine Einbeziehung wirklich Unabhängiger vorstellen?
Vielen Dank!