BAYER & Co. in der Pflicht
Seit dem Frühjahr 2024 ist „Parkinson durch Pestizide“ offiziell als Berufskrankheit bei Bauern und Bäuerinnen anerkannt. Die landwirtschaftliche Sozialversicherung rechnet mit zahlreichen Fällen und entsprechend hohen Kosten. Dafür sollen aber nicht BAYER & Co. als Hersteller der Ackergifte aufkommen, sondern die LandwirtInnen selbst. Die Berufsgenossenschaft erhöht deshalb ihre Beiträge saftig. Dagegen formt sich jedoch Protest.
Von Jan Pehrke
„Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat eine wissenschaftliche Empfehlung für eine neue Berufskrankheit ‚Parkinson-Syndrom durch Pestizide‘ beschlossen (…) Betroffen sind voraussichtlich vor allem landwirtschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer, deren mitarbeitende Familienangehörige sowie Beschäftigte in der Landwirtschaft“, verkündete das Arbeitsministerium von Hubertus Heil am 20. März 2024. Auf mehr als 60 Seiten trug der ÄSVB die wissenschaftlichen Gründe für die Entscheidung zusammen, die überfällig war.
Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) hat aktuell 8.000 Parkinson-PatientInnen unter ihren Mitgliedern. Für die Zukunft rechnet sie mit einer noch weit höheren Fallzahl und entsprechenden Kosten. Diese will sie auf ihre Mitglieder umlegen. Deshalb hebt die zur SVLFG gehörende Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft die Beiträge um 20 Prozent an, davon entfallen rund zwölf Prozent auf den neuen Ausgabeposten „Parkinson“.
Zu Recht empören sich die LandwirtInnen darüber. „Parkinson als Berufskrankheit anzuerkennen, ist richtig. Die Kosten dafür aber auf alle Bäuerinnen und Bauern umzulegen, ist unfair (…) Hier muss das Verursacher-Prinzip gelten und [müssen] die Hersteller der Pflanzenschutzmittel oder die Zulassungsbehörden zur Kasse gebeten werden!“, fordert etwa die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Auch der „Bundesverband deutscher Milchvieh-Halter“ und der Neuland-Verein lehnen es ab, die finanzielle Last der Solidargemeinschaft der Versicherten aufzubürden. Einige LandwirtInnen machen sogar schon konkrete Vorschläge und verlangen von den Agro-Riesen die Einrichtung eines Fonds. „[D]ie haben ja auch mit Spritzmittel-Verkauf Geld verdient“, so der bayerische Bauer Hans Leis gegenüber dem TV-Magazin quer. 500 Euro kostet ihn die neue Regelung im Jahr.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) verlangt ebenfalls eine finanzielle Beteiligung von BAYER & Co. Das Thema „Parkinson durch Pestizide“ brachte die CBG bereits 1999 in die Öffentlichkeit. Das Stichwort BAYER berichtete damals über MedizinerInnen, die eher zufällig auf diese Krankheitsursache stießen. Sie untersuchten Jugendliche, die nach Einnahme der Droge MPPP Parkinson-Symptome herausbildeten, und stießen auf eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dem chemischen Aufbau des Opioids und dem der Ackergifte. Das säte Zweifel an der bis dahin vorherrschenden Hypothese, dass das Nervenleiden erblich bedingt sei. Eine Zwillingsstudie mit 20.000 TeilnehmerInnen widerlegte diese Annahme dann endgültig, denn die Krankheit trat fast nie paarweise auf.
Wie MPTP, das bei unsachgemäßer MPPP-Herstellung entsteht, wirken viele Pestizide neurotoxisch und schädigen die Nervenzellen im Gehirn, die Dopamin produzieren. Das Fehlen dieses Neurotransmitters führt dann zu den Parkinson-Symptomen Zittern, Krämpfe und Gliedersteifheit.
Zu den Gefährdeten zählen dabei längst nicht nur LandwirtInnen. Das machte die Umwelt-Epidemologin Beate Ritz von der University of California in Los Angeles (UCLA) in einem Interview mit Schrot & Korn deutlich. Und Ritz muss es wissen: Sie hat unlängst an einer großen Studie über den Zusammenhang zwischen dem Nervenleiden und Pestiziden mitgearbeitet, die nicht weniger als 68 Agro-Chemikalien mit der Nebenwirkung „Parkinson“ ausgemacht hat. „Wenn man im Umkreis von 500 Metern von gespritzten Feldern wohnt, hat man im Schnitt ein 50 bis 100 Prozent höheres Risiko, an Parkinson zu erkranken. Und je nach Windrichtung besteht ein Risiko auch jenseits der 500 Meter“, sagte Ritz der Zeitschrift. Das ist aber noch nicht alles. Auch ein weniger direkter Kontakt mit den Substanzen vermag, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, den Ausbruch der Krankheit zu begünstigen.
Nicht umsonst hatten deshalb im letzten Jahr die MedizinerInnen Dr. Bastiaan Bloem und Dr. Tjitske Boonstra gerade wegen der von Glyphosat ausgehenden Parkinson-Gefahr davor gewarnt, die Zulassung des Herbizids nochmals zu verlängern. Dazu verwiesen sie in dem Fachjournal The Lancet Planetary Health nicht nur auf die direkten nervenschädigenden Effekte des Pestizids, sondern auch auf die indirekten durch eine Einwirkung auf die Mikroorganismen im Darm. „Solche mikrobiellen Veränderungen könnten eine Kaskade von neurodegenerativen Prozessen in Gang setzen“, halten die beiden fest. Den Pestizid-Zulassungsverfahren der EU werfen sie vor, derartigen Mechanismen nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken und dabei zu versagen, die Neurotoxizität eines Mittels richtig einzuschätzen. Fast flehentlich wendeten sich Bloem und Boonstra an die Verantwortlichen: „Eindringlich appellieren wir an die Regierungen und Politiker der Europäischen Union, gegen die Verlängerung der Marktzulassung von Glyphosat um weitere zehn Jahre zu stimmen.“
Die „Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) kommt zum gleichen Befund wie die beiden niederländischen WissenschaftlerInnen. „Für viele Pestizide ist ein direkter toxischer Effekt auf das Nervensystem nachgewiesen. So auch für Glyphosat, welches zu Veränderungen der Neurotransmitter- (Überträgerstoff-)Konzentrationen im Nervensystem und zu einem zellschädigenden Milieu beiträgt. Parkinson-Erkrankungen werden sowohl nach akuter (…) wie auch nach chronischer (…) Glyphosat-Exposition beobachtet“, konstatiert die DGN.
Andere Länder reagierten bereits viel früher auf diese Alarmzeichen als Deutschland. Frankreich erkannte „Parkinson durch Pestizide“ schon im Jahr 2012 als Berufskrankheit für LandwirtInnen an, Italien 2019. Hierzulande aber gelang es immer nur einzelnen Bauern und Bäuerinnen, und das oft nur in Verfahren gegen die Berufsgenossenschaft, eine Anerkennung ihres Leidens als Berufskrankheit durchzusetzen.
In anderen Sparten sind die Ackergifte indessen durchaus schon häufiger aktenkundig geworden. Die Statistik der „Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ weist für das Jahr 2023 413 anerkannte Berufskrankheiten durch chemische Einwirkungen von Lösungsmitteln, Pestiziden und sonstigen chemischen Stoffen aus. In 4.343 Fällen wurde ein entsprechender Antrag nicht bewilligt. Diese immense Ablehnungsquote verwundert nicht weiter, denn in den Entscheidungsgremien der Berufsgenossenschaften sitzen auch UnternehmensvertreterInnen.
Diese haben weder ein Interesse an hohen Fall-Zahlen noch an der Identifizierung neuer Berufskrankheiten. Darum zeigt sich der „Industrieverband Agrar“ (IVA) in Sachen „Parkinson“ uneinsichtig. „Die Entstehung von Parkinson ist komplex und in der Medizin nicht vollständig geklärt“, behauptete er gegenüber dem TV-Magazin quer. Die vorliegenden Studien würden zwar „statistische Zusammenhänge abbilden (Korrelation), aber die Ursache nicht erklären (Kausalität)“, so der Lobby-Verband von BAYER & Co.
Solches medizin-statistisches Fachwis-sen schütteln die InfluencerInnen natürlich nicht selbst aus dem Ärmel. Dieses liefert dem Industrieverband das „Bundesinstitut für Risikobewertung“ (BfR) zu, das ihm schon bei der Glyphosat-Beurteilung treu zu Diensten stand. Unschwer ist die jüngste Stellungnahme des BfR zu „Pflanzenschutzmittel und Parkinson“ als Quelle für die Textbausteine des IVA-Statements zu erkennen. „Die Entstehung des Morbus Parkinson (im Folgenden als ‚Parkinson‘ bezeichnet) ist ein komplexer Prozess, der noch nicht vollständig verstanden ist“, befindet das Bundesinstitut da. Und zu einer Studie über die Erkrankung vieler Weinbauern und -bäuerinnen an Parkinson heißt es: „Hierbei ist zu betonen, dass diese Beobachtung bisher auf Korrelationen beruht.“ Kausalitäten will das BfR praktischerweise nur bei bereits verbotenen Produkten wie etwa Paraquat erkennen.
Auch dem Deutsche Bauernverband (DBV) liefert es damit nützliche Argumente dafür, weiterhin in Treue fest zu Glyphosat & Co. zu stehen. Kontraproduktiv nennt die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT deshalb „die Haltung des Bauernverbandes, das Risiko wieder kleiner zu reden, um … ja, was eigentlich? Die Chemieindustrie zu schützen? Oder gesellschaftlicher Kritik am Einsatz von Pestiziden nicht Nahrung von neuer Seite zu verschaffen?“.
Die IG BAU, die rund 800.000 abhängig Beschäftigte aus den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Gartenbau und Floristik vertritt, begrüßte die Entscheidung hingegen. „Es ist gut und richtig, dass Parkinson, ausgelöst durch den Umgang mit Pestiziden, nun endlich als Berufskrankheit anerkannt wird. Damit wird eine langjährige Gewerkschaftsforderung umgesetzt“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende Harald Schaum. Und sein Kollege Jörg Heinel mahnte: „Präventiv muss mehr denn je auf Anwenderschutz geachtet werden, wie Schutzanzug, Schutzhandschuhe, Augen- sowie Gesichtsschutz und Atemschutz“. Das ist für ihn jedoch auch keine Lösung: „Viel besser wäre aber, auf Pestizide komplett zu verzichten.“
Die „Wir haben Agroindustrie satt“-Proteste, die jeden Januar traditionell als Gegenprogramm zur Grünen Woche stattfinden, räumen dem Skandalon „Parkinson durch Pestizide“ diesen Mal einigen Platz ein, wofür sich die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ziemlich ins Zeug gelegt hat. So gibt es auf dem Fest der Agrarwende einen Workshop dazu, und auch der Aufruf zur Demonstration am 18.1. greift das Thema auf. Er stellt die rhetorische Frage: „Wer profitiert hier eigentlich?“ und führt unter den profitablen Missständen neben Klimakrise, Verlust der Artenvielfalt und Höfesterben auch das pestizid-induzierte Parkinson-Leiden auf. Dementsprechend verlangt er: „Verursacherprinzip anwenden: Kosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden müssen die Pestizid-Konzerne tragen.“ Die CBG wird diese Forderung an dem Tag direkt adressieren und vor dem Sitz des „Industrieverbandes Agrar“ Stellung beziehen. ⎜