Bespitzelung von AktivistInnen
Das Public-Relations-Unternehmen v-Fluence sammelte Daten über konzernkritische AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und InfluencerInnen. Darüber hinaus organisierte es eine Plattform für gemeinschaftliche Angriffe der Chemielobby auf Konferenzen und weitere Veranstaltungen, die Kritik an den Geschäftspraktiken von BAYER & Co. äußerten. Nun wurden durch die beiden Webportale The New Lede und Lighthouse Reports eine ganze Reihe von Dokumenten geleakt. Was steht drin, und wo hat BAYER seine Hände mit im Spiel?
Von Bernd Tabuch
„Wir werden fast immer als die Bösewichter in solchen Szenarios dargestellt“, so zitiert die britische Zeitung The Guardian Jay Byrne aus einer Rede, die er 2016 auf einer Industriekonferenz gehalten hat. Leicht hat es der ehemalige Clinton-Vertraute und MONSANTO-Kommunikationschef dieser Tage tatsächlich nicht: Das von ihm gegründete „Public relations“-Unternehmen V-FLUENCE sieht sich harter Kritik ausgesetzt. Grund dafür sind geleakte E-Mails und Dokumente, die beweisen, dass durch V-FLUENCE und das von der Firma gegründete Social Network „Bonus Eventus“ (Latein für „glücklicher Ausgang“) Informationen über Aktivist-Innen der konzernkritischen Bewegung, UN-MitarbeiterInnen und viele mehr gesammelt und Mitgliedern zugänglich gemacht wurden. Die Nachrichtendienst-Leistungen umfassten beispielsweise Details zu Ehe und Familie, Privatadressen, Telefonnummern und Hobbys. Doch nicht nur das – über das Netzwerk wurden auch gemeinsame Strategien für die „Öffentlichkeitsarbeit“ entwickelt.
Zu den Mitgliedern des Netzwerks zählten US-RegierungsmitarbeiterInnen, ManagerInnen agrochemischer Großkonzerne und LobbyistInnen. Der Guardian geht von über 1.000 Mitgliedern aus. Die The New Lede-Journalistin Carey Gillam, die federführend an der Enthüllung der Vorgänge rund um V-FLUENCE beteiligt war, bestätigte auf Nachfrage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, dass sich auch mehrere BAYER-ManagerInnen auf der Verteilerlliste von „Bonus Eventus“ befunden haben. Ein Artikel zu den Enthüllungen fasste das Vorgehen von V-FLUENCE wie folgt zusammen: „Das Profiling war Teil des Versuchs, Pestizidgefahren runterzuspielen, GegnerInnen zu diskreditieren und das internationale Vertragswesen zu unterlaufen […]“.
Zudem bahnte V-FLUENCE für die Branche Kontakte mit der Politik an. So organisierte die Firma etwa eine Zusammenkunft von BAYER- und SYNGENTA-RepräsentantInnen sowie anderen Branchen-VertreterInnen mit US-amerikanischen Handelsbeauftragten, „um die Pestizid-Handelspolitik für das Jahr 2018 zu erörtern“.
Tatort Nairobi
Ein besonders reges Interesse hegte V-FLUENCE offensichtlich für Afrika, wo die Agentur vermittels des USAid-Programms unter dem Vorwand der Entwicklungshilfe kräftig die Werbetrommel für die Pestizidproduzenten zu rühren versuchte. Jedoch ist der gesamte Kontinent nicht nur politisch tief gespalten, sondern auch teilweise dem Zugriff der westlichen Agro-Riesen entzogen, wodurch sich die Ausdrucksformen der Einflussnahme deutlich verschärften. Als 2019 eine Konferenz des „World Food Preservation Center“ in Kenia anberaumt war, gingen deshalb bei „Bonus Eventus“ die Alarmglocken an. So warnte Margaret Karembu, Chefin der afrikanischen Sektion der Gentech-Organisation „International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications“ über das Netzwerk, auf dieser Konferenz würden Gilles-Éric Seralini und Hans Herren sprechen, bekannt durch seine Glyphosat-Studien der eine, als Mitgründer des MONSANTO-Tribunals der andere.
Zu den EmpfängerInnen der Mail gehörten neben Beschäftigten des US-Departments für Landwirtschaft auch die BAYER-ManagerInnen Godwin Lemgo, der inzwischen bei der „Bill and Melinda Gates Foundation“ angeheuert hat, und Jimmy Kiberu, BAYERs Mann in Kenia. Kiberu teilte die Einschätzung Karembus und mahnte: „Obgleich wir vielleicht nicht ihre langfristigen Pläne und Strategien kennen, dürfen wir nicht ihre Fähigkeit unterschätzen, Unruhe zu stiften und Zweifel zu säen, was in diesen schwierigen Zeiten Auswirkungen auf einflussreiche Personen und die Politik haben könnte.“ Darum schlug er umgehend ein Treffen zur Planung von Gegenstrategien vor.
Kurz darauf zogen sich zahlreiche SponsorInnen wie z. B. Afrikanische Entwicklungsbank aus der Organisation der Konferenz zurück, worüber auch Byrne eifrig in seinem Netzwerk „informierte“. Er bestritt jedoch jegliche Einmischung in diese Entwicklung. Das US-Departement für Landwirtschaft und USAid enthielten sich jeweils einer Stellungnahme. Der veröffentlichte Mailverkehr beweist dennoch mindestens, dass sich hier Funktionär-Innen der Agroriesen und ihrer Interessensvertretungen mit US-Regierungsbehörden absprachen und offensichtlich mindestens teilweise in der ein oder anderen Form gegen die Konferenz aktiv wurden. Auch die Lighthouse Reports schildern dieses Vorgehen: „Wir erhielten einen Hinweis, dass die US-Regierung in einen Versuch involviert sei, eine wissenschaftliche Konferenz in Nairobi, Kenia, zu sabotieren, die nachhaltige Lösungen für Pestizidprobleme vorstellen sollte.“ Die Diskreditierung von Seralini und Herren als „unwissenschaftliche“ WissenschaftlerInnen, die in den Mails betrieben wird, gemahnt außerdem an die von MONSANTO initiierte Kampagne gegen Seralinis Studien zu Genmais.
Der MONSANTO-Vertrag
Gleichfalls interessant sind die geleakten Details aus dem 2014 geschlossenen Vertrag zwischen V-FLUENCE und dem seit 2018 zu BAYER gehörendem MONSANTO-Konzern. Sie vermitteln nämlich einen plastischen Eindruck davon, wie Unternehmen versuchen, sich in der Öffentlichkeit ein positiveres Image zu geben. So heißt es wörtlich im Anhang I des Vertrags unter dem Titel „Work Plan“: „V-FLUENCE wird mit bestehenden akademischen und verwandten NGO-Netzwerken zusammenarbeiten, um ein hochrangiges, glaubwürdiges akademisches öffentliches Engagement in wissenschaftlichen Fragen zu fördern, um ein besseres Verständnis für die Landwirtschaft und genetisch veränderte (transgene) Nutzpflanzen zu erreichen.“ Auch Kommunikationstrainings standen auf dem Programm, um eine „effektive Zusammenarbeit mit der Presse, bei öffentlichen Veranstaltungen und über soziale Medienkanäle zu fördern“. So wollte die Agentur MONSANTO schließlich „ermöglichen, sich in den entsprechenden öffentlichen Dialogen stärker zu engagieren, sichtbar zu werden und Einfluss zu nehmen“.
So offen kann mensch das beschreiben. Was hinter diesen Maßnahmen zur Kommunikationsförderung steckt, dürfte niemanden überraschen. V-Fluence tritt hier als bevorzugtes PR-Unternehmen der Agrochemie auf. Das lässt sich offensichtlich auch die US-amerikanische „Entwicklungshilfe“ einiges kosten – über 400.000 US-Dollar flossen zwischen 2013 und 2019 an die „Public-Relations“-ExpertInnen von V-FLUENCE. Darunter lief natürlich nicht nur reine Öffentlichkeitsarbeit, sondern eben auch die gezielte Desinformation über Risiken von Pestiziden und Gentechniken, wie aus den Recherchen von Lighthouse Reports hervorgeht.
Bei ihren Nachrichtendienstleistungen könnten Byrne & Co. auch die allgemeinen Datenschutzrichtlinien der EU verletzt haben – V-FLUENCE beauftragte zuletzt eine Anwaltskanzlei, um sich hier rechtlich abzusichern. Für Wendy Wagner, Professorin für Rechtswissenschaften an der Universität von Texas, stellen sich durchaus juristische Fragen. „Ich bin mit der von Unternehmen initiierten Schikanierung von Wissenschaftlern, die unliebsame Forschungsergebnisse vorlegen, durchaus vertraut, und manchmal werden dabei auch persönliche Informationen über die Wissenschaftler ausgegraben, um ihre Arbeit weniger glaubwürdig erscheinen zu lassen“, sagte Wagner. „Aber ich bin noch nicht auf die Verwendung größerer Datenbanken gestoßen, in denen persönliche Daten von zahlreichen Kritikern eines Unternehmens (einschließlich unabhängiger Wissenschaftler und Journalisten) gespeichert werden. Es ist schwer, die Relevanz von persönlichen Details zu erkennen, wenn sie nicht zur Schikanierung verwendet werden.“
Die MONSANTO-Listen
In Europa wurde so etwas aber schon aktenkundig, im Jahr 2019, und wieder war MONSANTO mit dabei. Die sogenannten MONSANTO-Listen machten Schlagzeilen. Die PR-Agentur FLEISHMAN HILLARD hatte für das US-Unternehmen im Vorfeld der für 2017 anstehenden Entscheidung der EU über eine Zulassungsverlängerung für Glyphosat eine ausführliche Kartierung der politischen Landschaften der Mitgliedsstaaten erstellt. Allein zu Frankreich legte die Agentur ein Dossier mit Namen von 200 JournalistInnen, PolitikerInnen, Verbands- und NGO-VertreterInnen sowie WissenschaftlerInnen mitsamt Kontakt-Daten und Hobbys für ihren Auftraggeber an. Minutiös verzeichnete sie die Haltung der Betreffenden zu Themen wie „Landwirtschaft“, „Ernährung“, „Gentechnik“, „Umwelt“, „Gesundheit“ und „Pestizide“. Die Glaubwürdigkeit der Personen, ihren Einfluss und ihre Haltung zu MONSANTO bewertete FLEISHMAN dabei mit Noten von „0“ bis „5“. Diese detaillierten Profile dienten dann als Ansatzpunkte, um passgenau „Vertrauen zu MONSANTO aufzubauen“.
Der Leverkusener Multi entschuldigte sich damals bei den Betroffenen und erklärte: „Dies ist nicht die Art, wie BAYER den Dialog mit unterschiedlichen Interessensgruppen und der Gesellschaft suchen würde.“ Offenbar aber doch, wie jetzt der V-FLUENCE-Skandal zeigt.
Die Firma will jetzt ihre Richtlinien ein bisschen überarbeiten, „um künftige Fehlinterpretationen unseres Arbeitsprodukts zu vermeiden.“ Darüber hinaus hat sie das Profiling eingestellt und zudem ihre Mitglieder vor den investigativen Recherchen gewarnt, die rund um das bedenkliche Netzwerk stattfinden. Auch Stellen musste der Nachrichtendienstleister streichen. Schuld auch hier wieder, so Byrne, die AktivistInnen, die „ (…) unsere MitarbeiterInnen, PartnerInnen und KlientInnen mit Drohungen und Falschdarstellungen“ belästigten. So uneinsichtig gibt sich der v-FLUENCE-Chef ebenfalls bezüglich der Offenlegungen. Er spricht von einer „Schmierkampagne“ und „Falschdarstel-lungen“, die von „keinen Fakten oder Beweisen“ gestützt seien. Einige tausend Seiten Dokumente sprechen da jedenfalls eine andere Sprache. ⎜