Absage von Dr. Faust
Kinderarbeitsdiskussion ohne BAYER
Anlässlich einer vom EINE-WELT-NETZ initiierten Podiumsdiskussion zu Kinderarbeit bei BAYER-Zulieferern demonstrierte der Leverkusener Multi einmal mehr, was er unter Dialog versteht: Eine von kritischen Interventionen nicht weiter getrübte lockere Plauderrunde zur Produktion von moralischem Mehrwert für das Unternehmen. Das stand entgegen früheren Erwartungen bei der Landeskonferenz des EINE-WELT-NETZES nicht mehr in Aussicht, und BAYERs Krisenkommunikator Dr. Wolfgang Faust sagte seine Teilnahme krankheitsbedingt ab.
Von Jan Pehrke
BAYER hatte es sich so schön ausgedacht: Wegen Kinderarbeit bei indischen Zulieferern der Tochterfirma PROAGRO in der Kritik, hatte sich das Unternehmen gegenüber dem EINE-WELT-NETZ im April 2005 dialogbereit gezeigt und mit dem „action plan“ auch gleich schon eine Strategie zur Lösung des Problems parat. Auf der Neusser Landeskonferenz der Initiative am 22. Oktober wollte der Agromulti dann Vollzug melden – „Kinderarbeit um 90 Prozent reduziert!“ – und sich öffentlichkeitswirksam als verantwortungsvoller Konzern in Szene setzen.
Aber aus dem PR-Coup wurde nichts. Jens Elmer vom EINE-WELT-NETZ und der Journalist Werner Paczian kamen im September nämlich auf die Idee, sich einmal vor Ort von den Segnungen des „Glückliche Ernte“ genannten „action plans“ zu überzeugen und reisten in den indischen Bundesstaat Andrah Pradesh. Dort trafen sie Dr. Davuluri Venkateswarlu, der mit seiner Kinderarbeitsstudie für eine holländische Nichtregierungsorganisation den Stein ins Rollen gebracht hat, sprachen mit BAYER-VertreterInnen und betrieben „Feld“-Forschung.
Bei ihren offiziellen Besuchsterminen fanden sie keine Minderjährigen auf den Feldern mehr an. Machten Elmer und Paczian allerdings unangemeldet Stippvisiten, so sahen sie auf den einzelnen Saatgutpflanzungen bis zu neun Kinder. Dr. Davuluri bestätigte diese Einzelbeobachtungen später. Nach seinen Recherchen arbeiteten auf den 120 Feldern der BAYER-Zulieferer insgesamt mehr als 1.000 Kinder – nur 500 weniger als im Jahr 2004.
BAYERs Musterdörfer hatten sich also als Potemkinsche Dörfer erwiesen. Und wenn es dafür noch eines Extra-Beweises bedurft hätte, so lieferte ihn der unter den Plakaten mit der Aufschrift „Bringt die Kinder in die Schulen“ noch nicht ganz trockene Kleister, der eindeutig verriet, wer die Adressaten der Blitzaktion waren: Nicht die Eltern der arbeitenden Kinder, sondern die Besucher aus Europa.
Zurück in der Bundesrepublik, machte Jens Elmer die wenig erfreuliche Lage in Andrah Pradesh per Presseerklärung publik. Am Tag der Veranstaltung schließlich änderte sich noch etwas. Andreas Vollmert als Moderator der mit Elmer, Paczian, Dr. Davuluri und Dr. Faust geplanten Podiumsdiskussion musste den ca. 100 BesucherInnen die krankheitsbedingte Absage des BAYER-Mannes bekannt geben. Er berichtete dem Publikum von einer regen „Krisenkommunikation“ im Vorfeld der Landeskonferenz. Dr. Faust nahm dem EINE-WELT-NETZ die ohne Rücksprache mit ihm veröffentlichte Presseerklärung übel. Auch in der Zusammensetzung der Gesprächsrunde sah er nicht länger die Gewähr dafür, dem Titel „Erfolgreich gegen Kinderarbeit und für ein Recht auf Bildung“ gerecht zu werden, weshalb er sein Kommen bereits in Frage stellte. Nach diesen Ausführungen machte sich jede/r im Saal so seine eigenen Gedanken über die Krankheitsursachen.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte einem Dialog mit BAYER in dieser Form von vornherein skeptisch gegenübergestanden. Allzu viele Erfahrungen mit nicht eingehaltenen Versprechen und Hinhaltetaktiken hatte die CBG mit dem Multi schon gemacht. Auf einem Transparent und auf Flugblättern brachte die Coordination an dem Samstag ihre Position zum Ausdruck. Nicht nur durch das Fernbleiben von Dr. Faust konnte die CBG sich in ihrer Haltung bestätigt fühlen. Zustimmung kam auch vom Podium. „Wenn kein Druck da ist, haben wir nichts zu erwarten“, sagte Dr. Davuluri vom Standpunkt der indischen AktivistInnen aus. Ohne die mit der Übersetzung seiner ersten Studie durch die CBG in der Bundesrepublik einsetzende Kampagne hätte BAYER sich überhaupt nicht bewegt, meinte der Wissenschafter. Von der Dialogbereitschaft des Konzerns erwartete er nicht mehr viel: „Sie machen wenig und reden viel“.
Werner Paczian pflichtete ihm bei. „BAYER lügt im Zweifelsfall“, sagte der Journalist und hatte dafür gleich ein Beispiel parat. Auf den Feldern hatte er das Versprühen von BAYERs hoch giftigem Pestizid Monocrotophos beobachtet und das Produkt auch noch auf Verkaufsregalen entdeckt, obwohl der Agromulti längst angekündigt hatte, es aus seinem Angebot zu streichen. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, antwortete ihm die Konzern-Zentrale später auf die Frage, ob der Konzern das Pestizid in Indien noch verkaufe: Der Verkauf von Monocrotophos wurde Ende 2004 eingestellt. Wir haben Restbestände aus dem Handel zurückgerufen und diese sachgerecht entsorgt.„ Paczians Schlussfolgerung lautete deshalb: “Ich glaube BAYER nur noch das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe„.
In Sachen “Kinderarbeit” ist Dr. Davuluri so ein Gewährsmann. Im Dezember (nach Redaktionschluss dieses Heftes, Anm. SWB) veröffentlicht er eine umfassende Untersuchung über die Kinderarbeit bei den BAYER-Zulieferern in der Pflanzsaison 2004/05. Die Ergebnisse werden dann zeigen, ob die CBG und ihre Kooperationspartner bereits genug Druck entfaltet haben, oder ob sie sich im nächsten Jahr noch mehr ins Zeug legen müssen. Der Glaube an einvernehmliche Lösungen mit BAYER hat jedenfalls am 22. Oktober noch einmal viele Anhänger verloren.