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[Editorial] STICHWORT BAYER 04/2009

CBG Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

Repression ist leider eine Reaktion der vom Protest betroffenen staatlichen oder wirtschaftlichen Institutionen, die weder neu noch sonderlich verwunderlich ist. Und dennoch bewerten wir Gesellschaften danach, wie sie mit politischem Dissens umgehen und wie offen sie für Einspruch und Veränderungen sind. Während über mediale Inszenierungen die Niederschlagung von Protesten außerhalb Europas oder der USA teilweise skandalisiert wird – wenigstens das noch, so muss man fast sagen – applaudiert die Öffentlichkeit der stärksten Industrienationen der Verfolgung und Unterdrückung emanzipatorischer Bewegungen in den eigenen Ländern. Die Umweltbewegung und die Tierrechtsbewegung stehen dabei besonders am Pranger. Green Scare (Grüne Angst) nennen KritikerInnen in den USA bereits die Hatz der politisch-wirtschaftlichen Allianz auf Tierrechts- und UmweltaktivistInnen, angelehnt an den antikommunistischen Red Scare der McCarthy-Ära.
Auch heute werden politisch Andersdenkende zu Sondergruppen gemacht, diese überwacht, infiltriert, von innen zu zersetzen versucht und von außen bekämpft – erneut auch unter Zuhilfenahme eines Feindstrafrechts, das sich dezidiert gegen die politischen Partizipationsformen und teils sogar gegen die Ziele der Protestbewegungen richtet. Im Falle der Tierrechtsbewegung ist dies z. B. der bereits 1992 in den USA klammheimlich erlassene „Animal Enterprise Protection Act“, der nach 9/11 semantisch in „Animal Enterprise Terrorism Act“ (AETA) umgedeutet wurde, um noch größere Spielräume bei der Verfolgung von TierbefreiungsaktivistInnen zu haben.
„Ökoterrorismus“ ist das Stigma, das den betroffenen AktivistInnen einen Teil ihrer Grund- und Freiheitsrechte raubt. Als TerroristIn verurteilt werden kann jede Person in den USA, die versucht, einem Tierausbeutungsunternehmen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, gleich mit welchen Mitteln. Die Recherche, unter anderem die Sicherung von aussagekräftigen Schriftdokumenten und das Erstellen von Foto- und Videoaufnahmen zum Beispiel in einem Tierversuchslabor, kann laut AETA ebenso als terroristischer Akt gewertet werden wie das Verteilen von Flugblättern, wenn dies zum wirtschaftlichen Schaden der Unternehmen gereicht.
Deutlicher kann die Ökonomie ihre Macht zum Bestandsschutz und zur vollkommenden Immunisierung gegen sozialen Protest nicht ausdrücken. 2006 wurden sechs AktivistInnen der SHAC-Kampagne gegen das weltweit zweitgrößte Tierversuchsauftragslabor HUNTINGDON LIFE SCIENCES (HLS) nach diesem Gesetz zu Haftstrafen von bis zu 6 Jahren verurteilt – dafür, dass sie eine Kampagne gegen das Testlabor geführt haben. Die Kampagne, die in England begann und dort im Januar diesen Jahres Haftstrafen bis zu 11 Jahren für sieben AktivistInnen nach sich zog, richtet sich nicht nur gegen HLS, sondern weltweit auch gegen alle seine GeschäftspartnerInnen. Zu diesen gehören BAYER und andere Unternehmen, welche die Tierversuche in Auftrag geben.
Die Erfahrung, dass die Ökonomie im Zeichen wirtschaftlicher Umbrüche, die mit veränderten Legitimationserfordernissen wirtschaftlichen und staatlichen Handelns einhergehen, nun zu neuen Formen der Sozialkontrolle greift – im Moment: langjährige Wegsperrung der politischen DissidentInnen – sollte alle emanzipatorische Bewegungen veranlassen, gemeinsam Gegenstrategien zu entwickeln. Auch wenn die Wirtschaft nicht in allen Ländern etwas Vergleichbares wie den AETA wird durchsetzen können, der Wege gibt es viele, wie zum Beispiel England und jüngst auch Österreich zeigen. In dem Alpenland werden Anfang kommenden Jahres zehn TierrechtlerInnen aufgrund ihrer teils erfolgreichen Kampagnenarbeit wegen vermeintlicher „Bildung einer kriminellen Organisation“ (§278a StGB) vor Gericht stehen. Diese und ähnliche Gesetze eignen sich deswegen so gut als politisches Repressionsinstrumentarium, weil kein konkreter Tatvorwurf erbracht und keine Straftat nachgewiesen werden muss, sondern allein die behauptete Zugehörigkeit zu einer so genannten Risikogruppe für die Verfolgung ausreichend ist. Repression als Risikomanagement – auch das ist nicht verwunderlich in Zeiten der totalitären Ökonomie.

Dipl.-Soz.Wiss. Melanie Bujok ist langjährige Tierbefreiungsaktivistin und lehrt im Bereich der Human-Animal-Studies.