Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Silke Ehrenberg und ich spreche jetzt zum Thema Duogynon. Duogynon war ein Schering-Produkt, welches in den 60er und 70er Jahren als hormoneller Schwangerschaftstest eingesetzt wurde. Es gab frühzeitige Warnungen, doch der Verkauf ging trotzdem jahrelang weiter, wodurch es zu Hunderten, vielleicht sogar Tausenden vermeidbaren Behinderungen kam.
Sie haben vielleicht schon einiges zu dem Thema gehört, auch auf der Hauptversammlung im letzten Jahr. Ich bitte Sie trotzdem kurz um Ihre Aufmerksamkeit.
Ich will nicht noch mal ausführlich auf die Wirkungs- und Anwendungsweise des Medikamentes eingehen, sondern werde mit Ihnen ein Stück meiner persönlichen Geschichte teilen.
Ich wurde im Juni 1976 mit einer Schädigung an beiden Armen geboren. Meine Mutter bekam Duogynon als Injektion, da ihre Monatsblutung ausgeblieben war. Direkt nach meiner Geburt wurde ich in die Kinderklinik verlegt, allein, denn damals gab es kein so genanntes Rooming-In, vielleicht haben Sie eine Vorstellung davon, was dies für einen Säugling und eine junge Mutter bedeutet. Zahlreiche Untersuchungen wurden durchgeführt.
Es gab nach meiner Geburt einen Arzt, der meine Mutter sofort fragte, ob sie Duogynon eingenommen habe. Meine Mutter sagte, ihr fiel es wie Schuppen von den Augen.
Dieser Arzt hat seinen Verdacht nie wieder bestätigt. Konnte man sich nach dem Contergan-Skandal nicht noch einmal einen ähnlichen Skandal erlauben?
Seit ich sechs Wochen alt war habe ich Krankengymnastik bekommen. Das bedeutete drei Mal in der Woche eine Dreiviertelstunde Turnen, meine Mutter erinnert sich heute noch gut daran, wie ich als Säugling angefangen habe zu brüllen,sobald wir in die Straße eingebogen sind.
Durch das Engagement meiner Eltern bin ich nicht auf einer Sonderschule für Körperbehinderte gelandet. Denn das war damals ein üblicher Umgang mit Behinderung, von Integration waren wir weit entfernt.
Und so kam es auch, dass ich mich überall als Sonderling gefühlt habe. Die Kinder in meiner Klasse waren nie mit irgendeiner Form von Behinderung konfrontiert, nicht selten kam es vor, dass ich beim Aufstellen in Zweierreihen übrig blieb. Ich erinnere mich wie ein Junge rief: „Ihh! Die fass ich nicht an, das ist ja ekelig!“ Auch die Lehrer waren überfordert und nicht entsprechend ausgebildet, so bekam ich zum Beispiel eine schlechte Zensur im Turnen, da mir Handstand oder Übungen am Reck nicht möglich waren und ich aus dem normalen Bewertungssytem herausfiel.
Ich bin anders und das bekam ich ständig und überall zu spüren. Wenn ich zum Zahnarzt ging oder wegen einer Grippe zum Arzt ging, waren meine Arme und Hände medizinisch interessant.
Als angehender Teenager wurde ich zwei Mal operiert. Bei der Besprechung der OP standen ungefähr 15 Ärzte im Studium um mich herum und betrachteten mich, ich kam mir vor wie ein Gegenstand, der auf sein Funktion untersucht wird.
Ich strebte also an, so normal wie möglich zu sein. Denn ich hatte verstanden, dass Anderssein in dieser Gesellschaft nicht angesagt ist. Ich verrenkte mich um nicht auf die Hilfe von anderen abhängig zu sein, dies brachte Folgeschäden mit sich, ständige Rückenschmerzen sind der Preis.
Immer wieder kreiste ich um die Frage, woher kommt meine Behinderung. Konnte also ein Schwangerschaftstest solche Auswirkungen haben? Als ich vor zweieinhalb Jahren anfing im Internet zu recherchieren bin ich auf Berichte von Andre Sommer gestoßen, jetzt gab es etwas, woran ich mich orientieren konnte, es gibt andere Menschen, mit ähnlichen oder viel schlimmeren Behinderungen. Ich war plötzlich nicht mehr alleine damit. Dies war nicht mehr nur mein persönliches Schicksal, sondern eines von vielen. Es gibt sehr frühe Artikel, in denen vom Zusammenhang von Fehlbildungen und Duogynon gesprochen wird.
Mit-Betroffene haben Einsicht in die Akten verlangt. Bayer hat die Einsicht verweigert und vor Gericht gab es das Urteil: „Verjährt“. Von einem so großen Unternehmen, wie Bayer es ist, erwarte ich verantwortungsvolles Verhalten, davon ist der Konzern durch die Verweigerung der Akteneinsicht in meinen Augen weit entfernt.
Mir geht es hier nicht in erster Linie um Ihr Mitleid. Ich stehe gut im Leben, ich arbeite als Therapeutin mit autistischen Kindern, habe selbst zwei Kinder und kann nicht sagen dass es mir durch mein Handycap in meinem Alltag heute schlecht geht.
Die Behinderung ist da und ich muss damit umgehen, zum Beispiel wenn es wieder mal anfängt zu regnen und ich nicht in der Lage bin einen Regenschirm zu halten oder meine Kapuze aufzusetzen.
Würden Sie einen fremden Menschen ansprechen: „Entschuldigen Sie, setzen Sie mir meine Kapuze auf?“
Meine Einschränkungen sind meistens händelbar, manchmal schaffe ich es darüber zu lächeln. Doch bis dahin war es ein langer Weg, den ich mit liebevollen Eltern und einer großen Portion Mut gegangen bin.
Ich gestalte mein Leben aus eigener Kraft. Als Mutter und vollwertiges Mitglied der Gesellschaft sehe ich es als meine Pflicht an Sie auf diesen Missstand aufmerksam zu machen.
Dies heute und hier ist für mich ein weiterer Schritt zu mir zu stehen. Zu sagen: Ich lebe mit einer Behinderung. Und ich wünsche mir vom Bayer-Konzern, dass er die Verantwortung für die Schattenseiten seines Tuns übernimmt.
Vielleicht ist das für viele von Ihnen nicht nachvollziehbar, Sie denken vielleicht: „Warum ist das so wichtig, sie sagt doch, sie lebt gut damit?“ Das stimmt, ich lebe gut damit. Und trotzdem hat diese Behinderung mein ganzes Leben geprägt.
Die Aussage, die Angelegenheit Duogynon sei verjährt ist ein wie ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen.
Ich stehe hier heute vor Ihnen und lebe damit. Von Verjährung keine Spur. Es geht hier nicht darum das Schicksal von Menschen mit Behinderung zu bedauern. Es geht darum eine Schädigung von Menschen anzuerkennen und diese damit ernst zu nehmen. Respekt – ein bedeutungsvolles Wort mit dem Sie auf Ihrer website werben. Ich empfinde es als respektlos sich auf die Verjährung zu berufen.
Ich bitte Sie Ihre Haltung zu diesem Urteil mit einem Blick auf die Menschen zu überdenken.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.