Schwäbische Zeitung, 06.11.2007
Bayer-Pestizid im Trinkwasser: Arzt schlägt Alarm
RAVENSBURG Sorgen um das Trinkwasser im Schussental macht sich der Ravensburger Arzt Dr. Friedhelm Struben. Die Belastung des Wassers durch Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft sei nicht so harmlos wie zunächst angenommen. In einem offenen Brief hat er sich jetzt an Kommunalpolitiker gewandt.
Wie berichtet, war das Pflanzenschutzmittel „Euparen“ wegen des Abbauproduktes Dimethylsulfamid von der Firma Bayer im Februar 2007 nach 20 Jahren Einsatz im Obst- und Weinanbau vom Markt genommen worden. Grund: Bei der Behandlung mit Ozon entsteht das erbgutschädigende und krebserregende NDMA (Nitroso-Dimethylamin). Und Ozon wird von manchen Wasserwerken für die Trinkwasseraufbereitung verwendet.
Überall im Land ist daraufhin das Trinkwasser auf Rückstände des Pflanzenschutzmittels untersucht worden. In Ravensburg – vor allem in den südlichen und westlichen Ortschaften Taldorf, Eschach und Schmalegg, wo viel Obst angebaut wird – ist der Grenzwert von 0,0001 Milligramm pro Liter etwa um das Vierfache überschritten worden. In Weingarten blieben die Messwerte unter dem Grenzwert. Da aber die Technischen Werke Schussental ihr Wasser nicht mit Ozon behandeln, wurde die Belastung vom Kreisgesundheitsamt als ungefährlich eingestuft und eine Ausnahmegenehmigung für die weitere Abgabe von Trinkwasser bis zum 30. April 2010 erteilt.
Offener Brief an Fraktionen
Das hält Dr. Friedhelm Struben, Facharzt für Frauenheilkunde, Geburtshilfe und für Psychosomatische Medizin, für „nicht zumutbar“. Die giftige krebserregende Verbindung könne seinen Informationen nach bei allen Oxidationsvorgängen an Dimethylsulfamid entstehen, nicht nur durch die Beigabe von Ozon. „Es kann also nicht mit hinreichender Sicherheit so einfach behauptet werden, dass eine gesundheitliche Gefährdung über dieses Trinkwasser nicht besteht“, schreibt Struben in einem offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien im Ravensburger Gemeinderat. Man könne nicht „einfach zur Tagesordnung übergehen“ und diese Gefährdung banalisieren und beschönigen, meint der Arzt. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ konkretisierte er seine Bedenken: „Wasser ist ein Grundnahrungsmittel. Ich kann doch die Grenzwerte nicht einfach am grünen Tisch ändern, weil es so am bequemsten ist.“ Nicht einmal Abkochen würde helfen, da es sich bei dem Fungizid (Pilzabtötungsmittel) im Wasser ja nicht um Keime handele. Seinen Patienten empfiehlt Struben, möglichst Mineralwasser zu verwenden.
Dr. Andreas Thiel-Böhm, Geschäftsführer der Technischen Werke Schussental (TWS), sieht hingegen keine Gefahr. Das von den TWS an vielen Brunnen im Osten von Ravensburg und Weingarten geförderte Trinkwasser sei so rein, dass überhaupt kein chemisches Verfahren zur Trinkwasseraufbereitung verwendet werden müsse. Weder Ozon noch sonst etwas. Mikrobiologische Keime würden allein durch UV-Licht abgetötet. Zu einer Oxidation komme es dabei nicht, folglich könne sich auch nicht das gefährliche NDMA bilden.
UV-Licht reicht aus
„Wenn Trinkwasser ohnehin schon klar ist und keinen weiten Weg zum Verbraucher zurücklegen muss, reicht die UV-Licht-Bestrahlung“, erklärt Thiel-Böhm. Anders sehe das zum Beispiel am Bodensee aus, dessen Wasser bis in den Stuttgarter Raum gepumpt wird, bevor es jemand trinkt. Das Wasser aus den Brunnen der Region sei jedoch so gut, dass es kaum noch aufbereitet werden müsse.
Kann man die Qualität des Wassers in Ravensburg trotzdem noch steigern, um jegliches Restrisiko auszuschließen? Theoretisch schon, meint Thiel-Böhm. Wollte man die seiner Ansicht nach ungefährlichen Rückstände des Pflanzenschutzmittels herausholen, müsste man jedoch enorm kostspielige Anlagen bauen. Etwa Aktivkohlefilter. Das würde aber dann das Trinkwasser mindestens um 25 bis 50 Prozent verteuern. „Wir sprechen hier von 50 Cent pro Kubikmeter.“
Seine Sicht der Dinge teilt man beim Ravensburger Landratsamt, das als Gesundheitsbehörde die Ausnahme-Erlaubnis für die Abgabe des belasteten Wassers gegeben hat. Dort habe man sich wiederum beim Bundesamt für Risikoabschätzung rückversichert. Franz Hirth, Pressesprecher des Landratsamtes: „Wir wissen nur, dass die Belastung dort, wo Obst angebaut wurde – von der Erdbeere bis zum Apfel – höher ist. Ansonsten wissen wir noch relativ wenig über den Stoff.“ Es sei zum Beispiel noch unklar, ob die Werte sinken oder steigen würden. „In ein, zwei Jahren wissen wir mehr. Jetzt haben wir keine neuen Erkenntnisse.“
Daten & Fakten
Das Pflanzenschutzmittel „Euparen“ der Firma Bayer wurde 20 Jahre lang eingesetzt. Anwendung fand es besonders im Obst- und Weinanbau gegen Pilzbefall. Im Herbst des vergangenen Jahres hat die Firma bei einer Eigenuntersuchung von „Euparen“ erstmals das Entstehen des Abbauproduktes Dimethylsulfamid festgestellt und dem Bundesamt für Verbraucherschutz mitgeteilt. Seit Februar ist die Verwendung von „Euparen“ durch das Amt untersagt. Der Stoff Dimethylsulfamid soll gesundheitlich unbedenklich sein. Wenn allerdings Trinkwasser mit Ozon aufbereitet wird, entstehen krebserregende Nitrosamine, Nitroso-Dimethylamin (NDMA).
Annette Vincenz