Staatsanwaltschaft Köln macht Unrecht zu Recht
„Unternehmen werden zu Preisabsprachen ermutigt“
Kartellabsprachen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des BAYER-Konzerns. Schon Firmenchef Carl Duisberg erkannte 1905 den Vorteil solcher „Frühstückskartelle“ für die Sicherung der Konzernprofite und adelte sie in bis heute einzigartiger Weise mit dem Zusammenschluss der gesamten deutschen Chemieindustrie in einer einzigen „Interessengemeinschaft“ – der IG FARBEN. Dieses Super-Kartell endete 1949 mit den Schuldsprüchen des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals.
Doch auch heute gehören Kartelle zur Geschäftspraxis des Konzerns. Allein in den vergangenen Jahren wurde Bayer rund zehnmal bei illegalen Absprachen mit der Konkurrenz erwischt. Ob beim Verkauf von Zitronensäure, Kautschuk oder Diabetestests – stets sprachen die beteiligten Firmen Preise und Verkaufsquoten bis auf´s Prozent genau ab. 275 Mio Euro stellte die Firma allein im vergangenen Jahr für Kartellstrafen zurück.
Kartelle dienen der Sicherung von Monopolprofiten, also von Gewinnen, die die sonst üblichen Margen überschreiten. Sie verstoßen gegen die Regeln kapitalistischer Wirtschaft, zerschlagen sie doch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage. Den Schaden müssen in erster Linie die VerbraucherInnen tragen, die über die überhöhten Preise die Extra-Profite der Kartell-Beteiligten finanzieren müssen.
Dabei geht die Coordination gegen BAYER-Gefahren, die den Konzern seit 1978 international beobachtet, davon aus, dass die meisten Kartelle unentdeckt bleiben. Axel Köhler-Schnura, Wirtschaftswissenschaftler und Vorstandsmitglied der CBG: „Die Vorstände von BAYER haben in den Nürnberger Prozessen keinerlei Reue gezeigt. Sie haben wohl aber gelernt, ihre Handlungen weiter zu verschleiern, damit nie wieder Tonnen belastender Materialien in die Hände von Staatsanwälten fallen.“ Aufgrund des Konzentrationsprozesses werden die Absprachen in vielen Branchen zudem immer einfacher.
BAYER argumentiert öffentlich, dass das Top-Management Kartelle ablehnt und von existierenden Kartellen nicht wüsste. Nach Meinung der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) ist es jedoch undenkbar, dass Entscheidungen, bei denen es um Milliarden geht, ohne Wissen der Konzernleitung getroffen werden. Deshalb erstatteten die Konzernkritiker am 28. April, dem Tag der BAYER-Hauptversammlung, Strafanzeige gegen den Vorstandsvorsitzenden Werner Wenning und weitere Führungskräfte des Konzerns. In der Versammlung forderten Sprecher der CBG vor 7.000 AktionärInnen, der Konzernleitung das Mißtrauen auszusprechen und den Vorstand zu entlassen.
Da Preisabsprachen in Deutschland – im Gegensatz zu vielen Staaten der Welt und auch zur EU – keinen Straftatbestand darstellen und Kartelle nur nach Wettbewerbs-Recht verfolgt werden, musste der Verein einen juristischen Umweg nehmen: wegen der notwendig gewordenen hohen Rückstellungen für Kartellstrafen zeigte die CBG den BAYER-Vorstand wegen Veruntreuung an.
Die Staatsanwaltschaft Köln lehnte Anfang Juni die Einleitung eines Strafverfahrens ab. Die Begründung ist skandalös, da sie Unrecht zu Recht macht und darüber hinaus dem BAYER-Konzern und der gesamten Kartell-Mafia einen ausdrücklichen Freibrief ausstellt: „Bei lebensnaher Betrachtung (ist) davon auszugehen, dass ein weltweit agierender Konzern wie die Bayer AG letztlich durch Kartellabsprachen größere Gewinne erzielt, als wenn sie auf solche verzichten würde“, heißt es etwa. Und weiter: „Es ist in Anbetracht des Umstandes, dass viele namhafte Unternehmen an den Absprachen beteiligt waren davon auszugehen, dass diese Vereinbarungen lediglich (!) in der Absicht einer sicheren Gewinnmaximierung getroffen wurden.“
Axel Köhler-Schnura in einer ersten Stellungnahme: „Es ist ein Skandal, dass jeder Ladendieb für seine Taten haftbar gemacht wird, während Konzern-Vorstände für kriminelle Machenschaften der von ihnen geleiteten Unternehmen strafrei ausgehen und sogar noch einen Freibrief erhalten.“ Rechtsanwalt Eberhard Reinecke, der die Strafanzeige im Auftrag der Coordination einbrachte, ergänzt: „Der große Umfang derartiger Kartellabsprachen und die Vorsorge in der Bilanzierung belegen ganz eindeutig, dass es sich hier nicht um einzelne Ausrutscher, sondern um eine systematische Geschäftspolitik handelt. Daher kann die Argumentation der Staatsanwaltschaft Köln nur als merkwürdig bezeichnet werden. Große Unternehmen werden hierdurch zu illegalen Handlungen geradezu ermutigt.“ Für Reinecke ist es eine „gesetzgeberische Fehlleistung ersten Ranges“, dass Kartell-Vergehen bislang nur mit Bußgeldern und zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen geahndet werden.
Die CBG legte daher Ende Juli bei der Staatsanwaltschaft Köln Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens ein. Zudem wandte sich der Verein mit der Forderung nach einer „Manager-Haftung“ an den Bundestag. Unterstützung erhält die Coordination gegen BAYER-Gefahren dabei von der Europäischen Union. Juan Antonio Rivière, Leiter der Abteilung Verbraucherschutz bei der EU-Wettbewerbsbehörde, bezeichnete die Strafanzeige gegen BAYER als „hilfreich“ und „sinnvoll“. Gegenüber der CBG äußerte er die Einschätzung, dass auf mittlere Sicht eine Manager-Haftung kommen werde.
Rivières Vorgesetzte, EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, stuft private Klagen gegen Kartelle gar als „zentrales Mittel der Bekämpfung rechtswidriger Absprachen“ ein. Nach der Verhängung der Kartellstrafe gegen BAYER hatte Kroes im vergangenen Jahr angekündigt: „Ich werde dafür sorgen, dass Kartelle weiterhin aufgedeckt, strafrechtlich verfolgt und bestraft werden. Mit der jüngsten Entscheidung gebe ich ein sehr starkes Signal an die Unternehmensvorstände, dass Kartelle nicht toleriert werden und an die Anteilseigner, dass sie sorgfältig darauf achten sollen, wie ihre Unternehmen geführt werden.“
Philipp Mimkes/Axel Köhler-Schnura
Einige der Kartelle, an denen BAYER in den vergangenen Jahren beteiligt war:
· Von 1996 bis 2001 sprach der Leverkusener Konzern mit den Konkurrenten Flexsys und Crompton die Preise für Kautschuk-Chemikalien ab. Die EU-Kommission verhängte ein Bußgeld von 58,88 Mio Euro, in den USA zahlte BAYER zusätzlich 66 Mio Dollar. Zwei Verkaufsleiter des Unternehmens wurde in den USA zu Haftstrafen verurteilt;
· Die Schweizer Wettbewerbskommission ermittelt gegenwärtig gegen drei Anbieter von Potenzmitteln, darunter Bayer, wegen abgestimmter Preisbildung;
· Im Herbst 2004 wurde BAYER in den USA zu einer Strafe von 33 Mio Dollar verurteilt. Zwischen 1998 und 2002 hatte sich der Konzern an einem Kartell für Polyole beteiligt;
· ebenfalls im Herbst 2004 wurde BAYER zu einer Strafe von 4,7 Mio Dollar verurteilt; hierbei ging es um Preisabsprachen beim Verkauf von Acrylonitril;
· im Oktober 2005 wurde BAYER in Portugal und Brasilien zu Kartellstrafen verurteilt. In beiden Fällen ging es um Pharmazeutika. Die Strafe in Portugal betrug rund 5 Mio Euro, die Laufzeit des Kartells dort war 2001-2004;
· in den USA hat BAYER über Jahre hinweg bei Lieferungen an die staatlichen Gesundheitsprogramme „Medicare“ und „Medicaid“ falsche Preise gemeldet. Dem Staat waren durch die Preismanipulationen jährliche Schäden von rund einer Milliarde Dollar entstanden. Den US-Behörden fielen geheime Firmen-Dokumente zu, in denen die Manipulationen als bewährte „Marketing-Instrumente“ beschrieben wurden. BAYER zahlte die Rekord-Strafe von 257 Mio Dollar;
· in Italien hat BAYER mit Konkurrenzfirmen die Preise für Diabetes-Tests abgesprochen. BAYER und vier weitere Unternehmen wurden 2003 zu Strafen von insg. 30 Mio verurteilt. Das Kartell lief von 1996 bis 2001;
· 1997 wurde die damalige BAYER-Tochter Haarmann+Reimer zu 50 Mio Dollar Strafe verurteilt, hinzu kamen Klagen von geschädigten Firmen. H+R hatte von 1991 bis 1995 den Preis für Zitronensäure mit Konkurrenten abgestimmt;
· in den 80er Jahren beteiligte sich BAYER an einem europaweiten Kartell für den Kunststoff Polyethylen. Preise und Quoten der Kartell-Teilnehmer wurden vorab exakt abgestimmt.