Neue Studie kritisiert BAYER
Kinderarbeit und kein Ende
Die Kinderarbeit bei den Zulieferern von BAYERs indischer Saatgut-Tochter PROAGRO droht zur Dauereinrichtung zu werden. Obwohl BAYER, MONSANTO & Co. nach öffentlichem Druck schon im Jahr 2003 ankündigten, diesen Missstand binnen sechs Monaten abstellen zu wollen, leisten allein bei den Vertragspartnern des Leverkusener Multis immer noch über 300 Minderjährige Frondienste, wie die neue Studie „Seeds of Change“ des indischen Wissenschaftlers Davuluri Venkateswarlu nachweist. Und die Zahl der KinderarbeiterInnen dürfte im nächsten Jahr noch beträchtlich ansteigen, denn der Konzern will die Saatgut-Produktion auf dem Subkontinent versechsfachen!
Von Jan Pehrke
Im Jahr 2003 veröffentlichte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) die Übersetzung einer Studie über Kinderarbeit in Indien. Nach Recherchen des indischen Instituts „Glocal Research and Consultancy Services“ (GRCS) schufteten Zehntausende Kinder ab sechs Jahren über 13 Stunden am Tag auf den Feldern von Betrieben, die Saatgut für BAYER, MONSANTO und andere Agro-Riesen herstellten. Die Untersuchung erregte in der Bundesrepublik großes Aufsehen. Fernsehen und Presse berichteten, und die Konzerne gerieten gehörig unter Druck. Sie gelobten jedoch Besserung und kündigten an, das Problem binnen sechs Monaten aus der Welt zu schaffen. BAYER wollte mit Initiativen vor Ort kooperieren und ein Kontrollsystem aufbauen, den Ausschluss von Kinderarbeit mit den Zulieferern vertraglich vereinbaren und darüber hinaus „Entwicklungshilfe“ in den verarmten Regionen leisten.
Nach Ablauf der Frist war das Problem allerdings noch in der Welt. Selbst drei Jahre später hatte es BAYER trotz einiger Fortschritte nicht bewältigt. Immer noch war jede/r fünfte Beschäftigte auf den Saatgut-Farmen ein Kind. Die FeldinspektorInnen überprüften mit 185 acres (ca. 76 Hektar) zwei Drittel der Anbauflächen und stießen dabei auf 251 Minderjährige, eine Quote von 1,35 pro acre. In Dr. Davuluri Venkateswarlus Auswertung der Pflanzsaison 2006/07, die auf einer Stichproben-Untersuchung von 61 der 281 acres mit den Saatgut-Kulturen beruht, sank diese Kennzahl auf 1,1. Der Kinderarbeitsanteil reduzierte sich auf 11,2 Prozent – bei den MONSANTO-Zulieferern betrug dieser „nur“ fünf Prozent.
„Das Problem ist noch weit entfernt davon, gelöst zu sein“, lautet deshalb das Resümee der Studie „Seeds of Change“. Der Rückgang der Zahlen sei zwar ermutigend, aber um das gesteckte Ziel der Abschaffung der Kinderarbeit in der Saatgut-Produktion zu erreichen, müssten BAYER und MONSANTO ihre Anstrengungen verstärken, so Venkateswarlun. Als einen wichtigen Grund, warum nach wie vor so viele Kinder auf den Feldern arbeiten, nennt der Forscher die niedrigen Abnahme-Preise für die Saaten. Die Initiativen vor Ort hatten den Agro-Multis deshalb geraten, den FarmerInnen mehr Geld zu geben, damit diese vermehrt Erwachsene einstellen könnten. Aber BAYER & Co. weigerten sich, so dass die jungen InderInnen weiterhin den „Preis der Kindheit“ (Davuluri Venkateswarlu) zahlten. Der Leverkusener Multi startete stattdessen ein Schulungsprogramm zur Erhöhung der Produktivität, das den FarmerInnen zu einem höheren Einkommen verhelfen sollte. Ein „totaler Fehlschlag“, konstatiert der Wissenschaftler. Nur vier der von ihm befragten 22 LandwirtInnen gelang es, ihre Erträge zu steigern. Einige erlitten sogar Einbußen.
Darüber hinaus hielt sich der Agro-Riese nicht an die Zusage, die Saatgut-Bauern und -Bäuerinnen mittels Prämien und Sanktionen zum Verzicht auf KinderarbeiterInnen zu bewegen und nur noch mit den Kooperationswilligen unter ihnen zusammenzuarbeiten. Durch dieses Anreizsystem hätte BAYER wirklich „Seeds of Change“ pflanzen können, aber der Konzern zog es vor, seine Zulieferer bis auf einen komplett auszutauschen. „So musste BAYER mit der ganzen Aufklärungskampagne wieder bei Null anfangen“, hält Dr. Venkateswarlu fest.
Zudem hatte der Global Player nicht wie zugesichert mit allen Saatgut-Produzenten Verträge unterzeichnet, die Kinderarbeit ausschließen. Dies tat er nur in Andhra Pradesh, wo die Initiativen vor Ort am meisten Druck ausübten, nicht aber in „ruhigeren“ Regionen wie Karnataka und Tamilnadu. Darum gab BAYER wohl auch – anders als MONSANTO – bis heute das Material über das Monitoring der Saatgut-Farmen in Karnataka nicht frei. Auch bezüglich der Daten für Andhra Pradesh ließ es der Multi lange an Transparenz vermissen. Er hielt die MV FOUNDATION und andere Organisationen immer wieder hin und nahm an an anberaumten Treffen nicht teil. Nur die FondsmanagerInnen der „grünen“ Geldanlagen durften mehr wissen. Ihnen präsentierte der Gen-Gigant die erhobenen Daten – zumindest einen Teil davon. Er dokumentierte nämlich nur die Ergebnisse der Erstinspektionen auf den Feldern, nicht aber die der nachfolgenden Stippvisiten, bei denen die KontrolleurInnen regelmäßig auf mehr minderjährige Beschäftigte als beim vorherigen Besuch stießen. Zudem befleißigte sich der Konzern recht eigenwilliger Rechen-Methoden, weshalb das Ergebnis stimmte: ein KinderarbeiterInnen-Anteil von 1,5 Prozent an der Gesamtbelegschaft und eine Quote von 0,08 Kindern pro acre! Und im nächsten Jahr will BAYER die ganze Daten-Erhebung in die eigene Hand nehmen, um dann wohl endgültig virtuell Vollzug melden zu können.
Auf symbolische Politik beschränkt blieben der Studie zufolge weitgehend auch die flankierenden Maßnahmen in den Bereichen „Handhabung von Pestiziden“ und „Bildung“. Am positivsten beurteilt Dr. Venkateswarlu noch die Anstrengungen zur Vermeidung von Pestizid-Vergiftungen bei der Saatgut-Zucht wie kostenlose Bereitstellung von Schutzkleidung und Schulungen für den Umgang mit den Agrochemikalien. Allerdings setzte der Leverkusener Multi hier gleichfalls eher auf Einmal-Effekte statt auf Langfristigkeit. Die Unterweisungen waren schnell heruntergerissen, und eine Überprüfung der alltäglichen Praxis auf den Feldern erfolgte nicht, moniert Venkateswarlu. Als totaler Flop erwiesen sich die so genannten Learning Centers, in denen die KinderarbeiterInnen ihre versäumten Schulstunden nachholen sollten. Die Einrichtungen erreichten nie ihre anvisierte Zielgruppe, weshalb MONSANTO diesen Versuch auch schon aufgegeben hat.
Der Leverkusener Multi aber will weiter in Bildung investieren, denn es lohnt sich – vor allem für ihn. Mit großem Tamtam gab der Konzern Ende August seine finanzielle Unterstützung für ein landwirtschaftliches Ausbildungszentrum in Hyderabad bekannt. „Diese neue Einrichtung wird dazu beitragen, unterpriviligierten Kindern in ländlichen Regionen ein besseres Leben zu ermöglichen“, sagte BAYER-CROPSCIENCE-Chef Friedrich Berschauer bei der feierlichen Vertragsunterzeichnung. Vor allem wird es dazu beitragen, dem Agro-Riese kompetente MitarbeiterInnen zuzuführen, nicht zuletzt weil BAYER netterweise „auch einen Beitrag zur Entwicklung des Lehrplans leisten“ will. Von dem Ziel der Abschaffung von Kinderarbeit ist in der Presseerklärung hingegen gar nicht mehr die Rede, nur weit vager von bedürftigen Kindern, die es zu schützen gilt.
Und das hat seinen Grund: PROAGRO hat nämlich vor, die Saatgut-Herstellung in Indien auszuweiten, was zwangläufig ein Ansteigen der Kinderarbeit zur Folge hat. Das Agrar-Unternehmen kündigte an, in der kommenden Pflanzsaison die Anbauflächen von 281 acres auf 1.800 acres – also um mehr als das Sechsfache! – auszuweiten.
Die Züchtung überlässt die Konzern-Außenstelle allerdings dem indischen Multi RAASI; PROAGRO übernimmt lediglich die Vermarktung des Saatguts. Der Vertrag enthält zwar einen Passus über den Ausschluss von Kinderarbeit, aber Papier ist geduldig. Bereits 2006/07 standen 120 acres der BAYER-Saatgutzüchtung unter RAASI-Kuratel, und über das Lippenbekenntnis, man wolle RAASI bitten, alle notwendigen Schritte zur Verhinderung der Beschäftigung von Minderjährigen einzuleiten, kam BAYER nicht hinaus. „Trotz des Wissens um Kinderarbeit auf RAASI-Farmen versuchte PROAGRO nie, RAASI zu einer klaren Anti-Kinderarbeits-Politik zu bewegen“, stellt Venkateswarlu fest. Darum dürfte mit weit mehr als nur einer Versechsfachung der bisherigen Zahl von ca. 300 KinderarbeiterInnen zu rechnen sein.
Das Fazit der Studie ist deshalb wenig optimistisch. „Wenn Unternehmen eine klare Strategie zum Thema „Kinderarbeit“ haben, sind sie gehalten, diese ungeachtet der Produktionsorte oder Art der Geschäfte umzusetzen. Das passiert aber nicht. Beide Unternehmen reagieren nur auf Druck oder wenn Probleme benannt werden. Ein verantwortlicher Konzern müsste aber aus Prinzip und aus unternehmerischer Verantwortung überall auf der Welt und alle seine geschäftlichen Aktivitäten umfassend eine solche Politik praktizieren“, heißt es in „Seeds of Change“.
Die bundesdeutsche Kontaktstelle der OECD, vor welche die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und andere Initiativen den Fall gebracht haben, war da anderer Meinung. Sie schloss die Akten und vertraute der Selbstverpflichtungserklärung von BAYER, „weiterhin aktiv gegen Kinderarbeit einzutreten“. Was jedoch nicht allzusehr verwundert, denn die OECDler waren dem Leverkusener Multi während des Verfahrens sogar so weit entgegengekommen, dass sie gegen die Verfahrensgrundlagen verstießen und BAYERs Drängen, keinem Vertreter der CBG gegenüberzutreten zu müssen, nachgaben.