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Heroin

Leverkusener Anzeiger, 18.10.04

Und ewig hüstelt Herr Duisberg

Janis Joplin ist tot. Leverkusen ist schuld. Eine Theater-Performance feierte 106 Jahre Heroin von Bayer.

Eine skurrile Reisegruppe rollte da am Freitag aus Düsseldorf auf Leverkusen zu: Unser schönes Landesgartenschaugelände hieß bei ihnen immer noch „Giftmüllkippe Dhünnaue“, und während zuvor das Pflanzenschutzzentrum in Monheim, anschließend das Werk umrundet und unter anderem die zahlreichen nach Carl Duisberg benannten Orte besucht wurden, erläuterten zwei Mitglieder der Gruppe „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ das Ausmaß an Gefahren, das von der Bayer AG ausgehe, sowie die Geschichte des Herrn Duisberg, in der sich auch mancher dunkler Punkt finden lasse. Derart scharf gemacht und aufgehetzt verließ die etwa 50-köpfige Reisegruppe den Bus vor dem Erholungshaus, dass einem Angst und Bange um die beiden einsamen Empfangsdamen der Bayer-Kulturabteilung im Foyer werden konnte.

Künstlerische Eingriffe
Glücklicherweise war diese Angst unbegründet, denn die Reisenden, von denen sich einige sogar über die etwas zu einseitige Darstellung gegen Bayer beschwert hatten, freuten sich schlicht auf den Höhepunkt der Reise, das Stück „106 Jahre Heroin – Ein Festakt“, das im Studio im Obergeschoss des Erholungshauses seiner Premiere harrte. Die Reise war organisiert vom Düsseldorfer „Forum Freies Theater“ und der Auftakt einer Reihe von Theater-Performances, die im Rahmen von „Public Playgrounds – Labor für künstlerische Eingriffe“ bis Ende Oktober in Düsseldorf stattfinden.
Das Heroin-Stück ist aus der Feder von Donald Becker – und Gudrun Herrbold, die 1967 in Leverkusen geboren ist und somit in die Tradition der Leverkusener Künstler mit kritischem Standpunkt zu ihrer Heimatstadt eintreten darf, wenngleich sie mittlerweile in Berlin lebt. Auf Basis des Buchs von Michael DeRidder, das die Geschichte des Opiates erzählt, das von Bayer nahezu zeitgleich mit Aspirin entwickelt wurde und bis 1940 als Hustenmittel ein Verkaufsschlager war, treffen sich, in die Gegenwart versetzt, die immerzu leicht hüstelnden Carl Duisberg (Pitt Hartmann), der Chemiker und Heroin- und Aspirin-Erfinder Felix Hoffmann (Dirk Dreißen), sein jüdischer Gehilfe Arthur Eichengrün (Michael Hirsch) und Heinrich Dreser (Armin Zarbock), um ein wenig „Erholung“ zu suchen in ihrem Erholungshaus. (Das Erholungshaus tritt damit immerhin in eine Reihe mit nur wenigen Theaterhäusern der Welt, die als einzig möglicher Aufführungsort für bestimmte Stücke gedacht sind.)
Die vier resümieren die Geschichte des Heroins in einer knappen Stunde äußerst pointiert. Die vier Anzugträger erst im Erfindungs- und anschließend im Drogenrausch zu sehen, ist einfach herrlich. Kritik an Bayer bleibt ausgewogen, denn schließlich sei es „niemals im Sinne von Bayer gewesen, Heroin in konzentrierter Form direkt in die Venen zu spritzen“, wie es diese Amis täten, die dann an Überdosis sterben – „wie Frau Joplin“. Immer wieder wird auf den Konflikt zwischen Hoffmann und Eichengrün, der darauf besteht, der eigentliche Erfinder des Produkts zu sein, angespielt. Eichengrün ist auf der Bühne dazu verdammt, am Plattenspieler auf Zuruf die passende Musik zu spielen.
Eine gelungene Inszenierung eines Stücks, das die vielen Menschen unbekannte Geschichte von Bayer und damit der Stadt Leverkusen thematisiert und in die Nähe von musischen Höhepunkten der Popkultur rückt, die ja nicht selten mit Heroinkonsum einhergingen.
VON STEFAN ANDRES