die tageszeitung, 12. September 2002
Argusaugen auf Chemieriesen
Die Organisation „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ beobachtet von Düsseldorf aus den Leverkusener Chemiekonzern Bayer – und entdeckt dabei viel Anrüchiges
Von NINA MAGOLEY
Es hatte ausgesehen wie Milchpulver. Doch nachdem die 42 Kinder der kleinen Dorfschule in den peruanischen Anden ihre Pausenmilch getrunken hatten, verhielten sie sich seltsam. Wenig später waren 24 Kinder tot, die übrigen schwer vergiftet. Sie hatten Insektenvernichtungsmittel zu sich genommen, hergestellt von der Firma Bayer.
Das hochgiftige weiße Pulver war am Straßenrand in Tüten verkauft worden, die statt der üblichen Warn-Piktogramme bunte Gemüsemotive zeigten. Die Bewohner dieser abgelegenen Region sind zum größten Teil Analphabeten.
„Bayer trägt die Verantwortung für den Tod der Kinder“, sagt Philipp Mimkes vom Verein „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG). Seit mehr als 20 Jahren beobachtet der in Düsseldorf ansässige CBG den weltweit agierenden deutschen Pharmariesen Bayer: Als 1978 im Wuppertaler Bayer-Werk ein Kessel mit Salzsäure explodierte, schlossen sich erschreckte Anwohner zu einer Bürgerinitiative zusammen.
Inzwischen zählt der Verein rund 1.000 Mitglieder in ganz Deutschland. Als Netzwerkorganisation koordiniert die CBG 10.000 Initiativen und Gruppen rund um den Globus, die auf die Gefahren chemischer Industrie aufmerksam machen. Mit Presseerklärungen, einer Internetseite in sechs Sprachen und der Zeitschrift „Stichwort Bayer“ will der Verein zeigen, dass die einst als „Fortschritt der Menschheit“ bejubelte Entwicklung chemischer Großproduktion inzwischen zu einer „modernen Geißel“ zu werden droht: Gesundheitsschäden, Verseuchung der Umwelt, aber auch Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung gehen mit der weltweiten Expansion der großen Chemie- und Pharmakonzerne einher.
„Multinationale Konzernriesen wie die Bayer AG bestimmen durch ihre wirtschaftliche Bedeutung inzwischen die Politik in allen Regionen der Welt“, warnt die CBG auf ihrer Homepage. Keine Regierung komme an solchen Machtblöcken vorbei, kein Gesetz könne ihr Tun wirksam kontrollieren.
Eine weitere Form der aktiven Kritik ist die Teilnahme an den jährlichen Aktionärsversammlungen der Firma Bayer. Im Besitz genau einer Bayer-Aktie tritt der Verein dort mit eigenen Reden und kritischen Fragen zu konkreten Fällen auf oder lässt mitgebrachte Gäste – Betroffene aus aller Welt – zu Wort kommen. Da neben den 8.000 Aktionären regelmäßig auch Journalisten die Versammlungen beobachten, bekommt die Kritik so ihre beabsichtigte Öffentlichkeit.
Auch von der Tragödie in Peru hat CBG-Vorstandsmitglied Philipp Mimkes auf einer der Aktionärsversammlungen berichtet. An den Bayer-Vorstand ging die Frage, ob der Fall, der sich im Jahr 1999 ereignete und in Peru landesweit Entsetzen auslöste, bekannt sei und ob man sich des Risikos bewusst gewesen sei. Beides wurde verneint. Vergangene Woche jedoch legte ein Untersuchungsausschuss im peruanischen Parlament einen Bericht vor, der Bayer eindeutig für schuldig erklärt.
Mimkes, der als einziges bezahltes CBG-Mitglied das Düsseldorfer Büro besetzt, erhält täglich Anfragen zu Bayer-Themen aus aller Welt. „Eine Organisation wie diese,“ sagt er fast ein bisschen stolz, „die sich ausschließlich auf die Beobachtung eines Konzerns konzentriert, ist weltweit einmalig“.
Weitere Informationen: www.CGBnetwork.de