Wussten Sie, dass zahlreiche Pestizide die relativ häufige neurologische Erkrankung Parkinson-Syndrom auslösen können? In der Öffentlichkeit ist darüber wenig zu hören, aber in der Fachwelt weiß man spätestens seit Ende der 90er Jahre Bescheid.
Nun hat die Bundesregierung Parkinson nach Pestizid-Exposition für in der Landwirtschaft Tätige in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen. Ist jetzt alles gut? – Leider nein, denn die Kosten für Behandlung, Verdienstausfall, Rente, Pflege etc. müssen die Betroffenen über die Beiträge zur Berufsgenossenschaft selber aufbringen, und viele geraten dadurch in existenzielle Not. Alleine die Kosten für die neue Berufskrankheit Parkinson erfordert die Erhöhung der Beiträge um 12 %, hinzukommen noch 8 % für weitere Kostensteigerungen. Die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft erwartet sogar selber, dass die Krankheitskosten in naher Zukunft noch weiter ansteigen werden.
Die Agro-Riesen merken das nicht, aber unsere Kleinbauern, die eh schon am Existenzminimum herumkratzen, obwohl sie sich bemühen, Natur und Umwelt zu schonen, weil sie den Hof häufig geerbt haben oder Landwirt*innen aus Leidenschaft sind, sie wissen häufig nicht, wie sie die erhöhten Beiträge aufbringen sollen.
Hinzukommt, dass Parkinson eine besonders tückische Krankheit ist, weil sie auch schon junge Menschen betreffen kann, und meist im mittleren Lebensalter auftritt. Anfangs können die neurologischen Ausfallerscheinungen und depressiven Symptome noch gut behandelt werden, aber mit fortschreitender Erkrankungsdauer werden die Symptome immer schwerer bis hin zur totalen Pflegebedürftigkeit.
Betroffen sind jedoch nicht nur Arbeitende in der Landwirtschaft, sondern auch Anwohnende, wie eine Studie der University of California in Los Angeles erbracht hat: Wer im Umkreis von ca. 500 m. eines Feldes wohnt, auf dem Pestizide verbracht werden, hat ein um 50-100 % erhöhtes Risiko, an Parkinson zu erkranken. Diese Personen gehen jedoch leer aus, was die Leistungen der Berufsgenossenschaft angeht, und leer gehen auch die Saisonarbeiter*innen aus, weil sie nicht versichert sind.
Es ist interessant, was die Berufsverbände zu diesem Thema sagen: Der Deutsche Bauernverband sowie der Industrieverband Agrar bestreiten schlicht den ursächlichen Zusammenhang zwischen Pestizid-Expositionen und Parkinson: Die Entstehung der Erkrankung sei so komplex, dass man nichts Genaues sagen könne, und die Korrelation der Zahlen könne auch andere Ursachen haben. Häh?! Sie ignorieren hierbei zahlreiche Studien mit eindeutigem Ergebnis. Letztes Jahr z. B. haben zwei niederländische Mediziner*innen im „The Lancet Planetary Health“ eindringlich an die europäischen Regierungen und Politiker*innen appelliert, die Zulassung für Glyphosat nicht zu verlängern, weil dieses Pestizid besonders stark Parkinson begünstige: Es wirke nämlich nicht nur direkt neurotoxisch, sondern schädige das Gehirn auch über die Beeinträchtigung der Darmflora. Aber, wie wir alle wissen, war die Giftigkeit von Glyphosat nicht ausschlaggebend bei der Entscheidung.
Peter Clausing vom Pestizid Aktions-Netzwerk weist darauf hin, dass bei Genehmigungsverfahren der EU sogenannte „Datenlücken“ folgenlos bleiben, d. h., solange zum Thema Neurotoxizität nichts im Antrag steht, wird auch nicht danach gefragt. Das Thema Pestizidzulassungsverfahren ist übrigens ein weites Feld, das Herr Clausing intensiv bearbeitet hat.
Begrüßt wurde die neue Ehrlichkeit und die erweiterten Möglichkeiten der Sozialleistungen hingegen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, von der IG Bau, dem Bundesverband deutscher Milchviehhalter und von Neuland e. V.
Allerdings mischen sich in die Freude hierüber auch Sorgen und Wut: Wie gesagt kann die Beitragserhöhung für die Berufsgenossenschaft existenzbedrohend sein, und es ist nicht einzusehen, dass die Verursacher dieser Krankheitslast sich überhaupt nicht an den Kosten beteiligen müssen! Denkbar wäre ein Entschädigungsfonds. Die AbL rätselt auch, warum der Deutsche Bauernverband so vehement gegen die Anerkennung der Berufskrankheit ist: Vielleicht will er die Chemie-Industrie schützen, vielleicht will er aber auch der gesellschaftlichen Kritik am Einsatz von Pestiziden nicht neue Nahrung verschaffen?
Die IG Bau, die für die abhängig Beschäftigten zuständig ist, meint: „Viel besser wäre es aber, auf Pestizide komplett zu verzichten.“ Bio-Bauern tun das ja schon heute, und der Welternährungsrat hat bereits darauf hingewiesen, dass wir die Weltbevölkerung locker mit biologisch erzeugten Lebensmitteln ernähren könnten, wenn wir nur weniger verschwenden und gerechter verteilen würden. Dann würden unsere Böden auch nicht mehr degradiert, sondern sogar wiederaufgewertet.
Für die Chemie-Industrie wäre das natürlich eine große Herausforderung, aber eine solche Transformation würde allen nützen. „Nur Mut!“, möchte ich Bayer und den anderen zurufen. Dänemark hat übrigens eine Pestizidsteuer eingeführt, was auch ein erster sinnvoller Schritt sein könnte. Eines ist jedoch klar:
„Immer-Weiter-So“ wird die Probleme nur verschlimmern und kein einziges lösen.