Stellungnahme der Coordination gegen BAYER-Gefahren
Seit 1978 arbeitet die Coordination gegen BAYER-Gefahren zu allen negativen Auswirkungen, die das Modell der kapitalistisch organisierten Chemieproduktion nach sich zieht. Einmal im Jahr sammelt sie ihr gesamtes Material und zeigt auf der BAYER-Hauptversammlung die unmittelbaren Folgen der Produktionsweise des Weltkonzerns auf. Der Vorstand hat unsere Arbeit in der Vergangenheit stets als politische Intervention von außen abgetan. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Was wir dokumentieren und skandalisieren, sind die unmittelbaren Folgen der Geschäftspolitik des Vorstandes. Aus ihrer Verantwortung für eben diese Folgen entlassen wir weder Vorstand noch Aufsichtsrat. Um deren Entlastung zu verhindern, haben wir und unsere BündnispartnerInnen auch in diesem Jahr zahlreiche Gegenanträge eingereicht. Diese sind auf der BAYER-Homepage komplett einsehbar: https://www.bayer.com/sites/default/files/gegenantraege-hv2023.pdf sowie auf der Homepage der CBG unter https://cbgnetwork.org/8115.html. In unseren Gegenanträgen versuchen wir, wie in unserer sonstigen Arbeit, das breite Spektrum an Problemen aufzuzeigen, welches die kapitalistisch organisierte Chemieproduktion mit sich bringt. Als Geschäftsführer der CBG möchte ich Ihnen in dieser Stellungnahme einige ausgewählte Einblicke geben in die skandalösen Geschäftspraktiken, die hinter den nüchternen Zahlenpräsentationen des Vorstandes gerne in den Hintergrund treten.
Wer BAYER heutzutage erwähnt, kommt nicht mehr umhin, den Komplex Glyphosat und die zahlreichen bisher damit verbundenen Verfahren zu benennen. 2023 ist für diese Frage ein besonderes Jahr, denn nun steht endlich die im vergangenen Jahr verschobene Entscheidung an, ob Glyphosat vom europäischen Markt verschwindet. Ende des Jahres wird über eine mögliche Verlängerung der EU-Zulassung des Agrargiftes Glyphosat entschieden. Für eine Verabschiedung von einer für Mensch und Umwelt schädlichen Produktionsweise auf der Basis von Pestiziden und gentechnisch veränderten Nutzpflanzen wird es höchste Zeit.
BAYER steht zudem vor einer Zäsur: Zu Beginn des Jahres erfuhr die Öffentlichkeit, dass der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann im Mai seinen Hut nehmen muss. Der Architekt der MONSANTO-Übernahme steht wie kein anderer für die Verluste, die BAYER wegen seines gefährlichen Einkaufs und aufgrund des weltweiten Widerstandes gegen die fortgesetzte Glyphosat-Produktion hinnehmen musste. Nun steht mit Bill Anderson ein neuer CEO in den Startlöchern. Er steht nun als der Nachfolger Baumanns zusätzlich unter Druck, die Übernahme profitabel zu machen und aus dem Konzern den letzten Tropfen Gewinn für die ihn unterstützenden GroßaktionärInnen zu pressen.
Wir wollen dem kommenden Vorsitzenden von BAYER glasklar vor Augen führen, welche verheerenden Schäden für Natur und menschliche Gesundheit die fortgesetzte Produktion von Glyphosat und anderen Pestiziden mit sich bringt und welche Schuld der BAYER-Konzern auf sich lädt, wenn er diese fortsetzt. Die Konsequenzen sind drastisch: In den Ländern Nord- und Süd-Amerikas, wo Glyphosat-Produkte in großen Mengen seit längerer Zeit angewendet werden, leiden die Menschen insbesondere in den Anbaugebieten sehr stark unter bestimmten Krebs-Erkrankungen. Überdies kommen viele Neugeborene mit Fehlbildungen auf die Welt. Da Glyphosat auch wie ein Antibiotikum wirkt, schwächt das Mittel das Mikrobiom von Menschen und (Nutz-)Tieren. Darüber hinaus schädigt das Herbizid die Artenvielfalt. Damit nicht genug, nehmen allerorten die Resistenzen zu, so dass immer höhere Dosen ausgebracht werden. Dennoch gibt es Äcker, die wegen der Ausbreitung von multiresistenten Unkräutern aufgegeben werden mussten. Diese negativen Auswirkungen treffen in geringerem Umfang auch auf Europa und Deutschland zu.
Aber nicht nur Glyphosat, auch andere Pestizide, an deren Produktion und Vertrieb der BAYER-Konzern maßgeblich beteiligt ist, haben erwiesenermaßen verheerende Wirkungen. Die im Jahr 2020 erschienene Untersuchung „The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning“ verzeichnet 385 Millionen Pestizid-Vergiftungen im Jahr. BAYER hat am Pestizidmarkt durchgehend einen Marktanteil von mehr als 15 Prozent. Wenn man diesen Marktanteil an den Pestiziden auf die Vergiftungen umrechnet, die diese anrechnen, kommt man auf die schwindelerregende Zahl von 57.750.000. Diese sind weltweit ungleich verteilt. Am stärksten betroffen sind die Weltregionen, die auch am schlimmsten ausgebeutet werden: Entwicklungs- und Schwellenländer. Prozentual die meisten Fälle unter LandwirtInnen und LandarbeiterInnen gibt es in Süd- und Südost-Asien sowie in Ostafrika. Auch südamerikanische Staaten wie Kolumbien, Venezuela und Argentinien kommen auf beunruhigend hohe Raten.
Viele der Pestizide, die der BAYER-Konzern in den Ländern des globalen Südens vermarktet, sind innerhalb der EU wegen ihrer Risiken und Nebenwirkungen verboten. Demnach vermarktet der Leverkusener Multi in Brasilien mit Carbofuran, Cyclanilid, Ethiprole, Ethoxysulfuron, Fenamidon, Indaziflam, Ioxynil, Oxadiazon, Probineb, Thidiazuron, Thiodicarb und Thiram dreizehn Ackergifte ohne EU-Zulassung. In Südafrika ist der Konzern mit acht Stoffen dabei: Carbofuran, Oxadiazon, Probineb, Pyrosysulfone, Thiadiazuron, Thiodicarb und Triadimenol. Und auf dem mexikanischen Markt finden sich zwei BAYER-Substanzen, welche die EU mit einem Bann belegt hat: Beta-Cyfluthrin und das im Rest der Welt von BASF vertriebene Glufosinat. Auch die von Brüssel erst nach Erscheinen der Untersuchung aus dem Verkehr gezogenen Mittel Spirodiclofen, Imidacloprid und Clothianidin behielt der Konzern in Brasilien im Angebot. In Südafrika beschränkte er sich auf Imidacloprid und Clothianidin und in Mexiko auf Imidacloprid.
Seit 1990 hat die Ackergift-Produktion steil zugenommen. Um rund 80 Prozent erhöhte sich die Menge der von BAYER & Co. in Umlauf gebrachten Substanzen von 1990 bis 2017. Darunter litten ebenfalls wieder vor allem die Länder des globalen Südens. In Südamerika legte die Pestizid-Nutzung um 484 Prozent zu und in Asien um 97 Prozent, während sie in Europa um drei Prozent schrumpfte. Von einem „Problem, das nach einem sofortigen Handeln verlangt“, sprechen die AutorInnen angesichts der vielen Vergiftungen. Die tödlich verlaufenden Intoxikationen haben dagegen abgenommen. Sie reduzierten sich von jährlich 20.000 im Jahr 1990 auf nunmehr 10.000. Rechnet man dies abermals auf den Marktanteil von BAYER um, kommt man auf einen Anteil von 1500. Obgleich dies keine absoluten Zahlen sind, können sie klar illustrieren, dass das Geschäft mit den Pestiziden für Menschen überall auf der Welt tödliche Folgen hat. Dies sollte eigentlich ein Grund sein, daraus auszusteigen – aber leider ist BAYER als kapitalistisches Unternehmen ja nur der Jagd nach der größtmöglichen Rendite verpflichtet.
Der BAYER-Konzern hat, wie Sie alle wissen, jedoch nicht nur eine agrarwirtschaftliche Sparte. Bekannt geworden ist BAYER als Produzent von Medikamenten, auch heute ist der Leverkusener Riese eines der größten Pharma-Unternehmen der Welt. Seine Produktion ist weltweit organisiert, um Lohn- und Produktionskosten so gering wie möglich zu halten. Diese Organisation bringt logistische Probleme mit sich, die im allgemeinen Sprachgebrauch recht neutral als Lieferengpässe bezeichnet werden. Doch diese sind nicht gottgegeben, sondern sind ein Resultat dessen, dass die einzelnen Teile der Produktionskette zur Profitmaximierung über den gesamten Planeten verstreut sind. Die vom Konzern seit jeher forcierte Globalisierung der Wertschöpfungsketten im Pharma-Bereich gefährdet inzwischen massiv die Arzneimittel-Versorgung. Die Anzahl der Lieferengpässe von BAYER-Pharmazeutika steigt ständig. 2023 betrafen diese bisher CIPROBAY, ASPIRIN in den unterschiedlichen Darreichungsformen, das Herz/Kreislauf-Präparat NIMOTOP, das Magenmittel IBEROGAST und einige Kosmetika-Produkte. In den vergangenen Jahren standen der Gerinnungshemmer XARELTO, die Salben BEPANTHEN und ADVATAN, das Schmerz-Medikament ALKA SELTZER, die Malaria-Arznei RESOCHIN, das Krebs-Therapeutikum XOFIGO, das Kontrazeptivum YASMINELLE, das Bluthochdruck-Pharmazeutikum BAYOTENSIN sowie das pflanzliche Produkt LAIF zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen zeitweise nicht mehr zur Verfügung. Dieses Problem illustriert deutlich, wie eine auf Profitmaximierung ausgerichtete Produktionsweise gesellschaftlichen Bedürfnissen widerspricht: Statt eine günstige Grundversorgung mit den wichtigsten Medikamenten sicherzustellen, konzentriert der BAYER-Konzern seine Ressourcen allein auf hochprofitable Produkte und Therapien.
All diese Beispiele zeigen deutlich auf, dass eine chemische Produktion von der Größe des BAYER-Konzerns nicht nach dem Maßstab der kapitalistischen Profitmaximierung organisiert werden kann, ohne dass dies drastische Konsequenzen für menschliche Gesundheit und Umwelt hat. Daher kann die Schlussfolgerung nur lauten, dass sie nicht nach diesem Prinzip organisiert werden kann. Es reicht auch kein Wechsel an der Konzernspitze aus, um diese grundlegenden Probleme zu beheben. Eine Produktionsweise, die auch zukünftigen Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlässt, kann nur erreicht werden, wenn Konzerne wie BAYER grundlegend demokratisiert und in gesellschaftliche Hand gegeben werden. Alle unsere Anstrengungen, nachzuweisen, wie fatal sich das jetzige Modell auswirkt, haben immer als andere Seite die Perspektive, eine Wirtschaftsweise zu errichten, sozial gerecht, umweltbewusst und nachhaltig ist.
Düsseldorf, 21. April 2023
Marius Stelzmann
Geschäftsführer CBG